Stormglass. Angriff der Killerbienen - Andy Deemer - E-Book

Stormglass. Angriff der Killerbienen E-Book

Andy Deemer

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Beschreibung

Jake ist ein ganz normaler 14-jähriger Junge mit vollkommen durchschnittlich langweiligen Sommerferien, bis er eines Tages von zwei Schülern in seinem Alter als Stormglass-Agent rekrutiert wird. Lizzie und Filby scheinen aber nicht nur Ahnung vom Agentenhandwerk zu haben, sie statten Jake auch gleich mit jeder Menge Gadgets (wie mit einer Kamera mit Ultrazoom und einem Fahrrad mit eingebautem Abwehrmechanismus) aus. Und es dauert nicht lange, bis die drei neuen Freunde ihren ersten Auftrag bekommen. Vindiqo, ein internationales Großunternehmen, hat eine neue Bienenart entwickelt, die der herkömmlichen Honigbiene den Garaus machen soll und damit für die Menschheit zur existenziellen Bedrohung wird. Lizzy, Jake und Filby jagen im Affenzahn um den Globus, um ihre halsbrecherische Mission zu erfüllen. Aber werden sie die Katastrophe verhindern können?

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01

PROLOG: FELDVERSUCH

»Warum haben Sie mich hierher gebracht?«, fragte der Doktor. Er trug einen eleganten grauen Anzug und stand am Rande einer sanft geschwungenen grünen Wiese, einen glänzenden Schuh auf die untere Latte eines Holzzauns gestützt.

Die Landschaft hätte einen idyllischen Anblick geboten, wenn die Weide nicht mit den stinkenden Kadavern von zwei Dutzend Kühen übersät gewesen wäre, ihre Körper grässlich aufgedunsen und verunstaltet, während Heerscharen von Fliegen um die frischen Leichname herumsurrten. Der Gestank war kaum zu ertragen.

Der Assistent machte eine ausschweifende Handbewegung. »Ich dachte, Sie sollten das Ergebnis des vierten Versuchs sehen.« Weitere Forschungsassistenten liefen in weißen Schutzanzügen zwischen den toten Kühen umher. »Die Bienen sind immer noch viel zu giftig. Sie können sie auf keinen Fall als Ersatz für …«

»Ah, ah, ah.« Der Doktor lächelte und zog seine riesigen Augenbrauen hoch, als erinnere er sich an einen Witz. »Kein Wort, bitte.«

»Aber was ist mit den Toten?«

»Warum regen Sie sich so auf? Es sind doch nur Kühe.«

»Das ist jetzt schon der vierte Vorfall, Sir. Die Schafherde in Vermont war schrecklich und die Schweinefarm in Wladiwostok auch. Aber mir bereiten vor allem die Katzen Sorgen. Die in der Nähe von San Francisco.«

Der Doktor schüttelte den Kopf und gluckste. »Zerbrechen Sie sich darüber nicht den Kopf. Ich habe diesen Ort aus einem ganz bestimmten Grund ausgewählt; und dem Bericht nach zu urteilen, den ich heute Morgen erhalten habe, geht mein Plan wunderbar auf. Es ist bereits ein Stormglass-Team hingeschickt worden.«

Der Assistent runzelte die Stirn. »Stormglass? Was hat Stormglass damit zu tun?«

Der Doktor musterte seinen Assistenten mit eiskaltem Blick. »Kümmern Sie sich einfach um meine Bienen.«

»Ja, Sir«, sagte der Assistent, zögerte dann aber. »Es gibt da allerdings noch ein Problem. Der Viehzüchter …«

»Mmmm. Als er nach seinen Kühen sehen wollte, hat er diesen Murks vorgefunden?«

Der Assistent nickte und unterdrückte ein Schaudern. »Mundt hält den Mann im Bus fest«, erklärte er. Mundt, ein junger Mann um die zwanzig, hatte bei einer grauenhaften Explosion einen seiner Arme verloren, der später durch eine hochmoderne Prothese ersetzt worden war. Als Mundt dem Assistenten die Hand gegeben hatte, hatte er so fest zugedrückt, dass diesem Tränen in die Augen getreten waren.

»Das ist ausgesprochen lästig«, kommentierte der Doktor. »Wir können keine Zeugen gebrauchen.«

Der Assistent blickte besorgt. »Er ist nur ein kleiner Geschäftsmann, und wir haben aus Versehen seinen gesamten Viehbestand ausgelöscht. Bestimmt können Sie sein Schweigen erkaufen …«

»Absolutes Schweigen lässt sich nur auf eine Art gewährleisten, junger Mann, und die ist viel billiger, als jemandem einen Scheck zu schreiben. Das wissen Sie. Sie haben das seit sieben Jahren gewusst.« Der Doktor sah einen Moment lang zu den Wolken hoch. »Haben Sie schon die Zwillinge kennengelernt?«

Der Assistent schloss die Augen. Als er versuchte zu sprechen, war seine Kehle auf einmal völlig trocken. Er hustete und presste mit Mühe heraus: »Nur einmal. Sie haben einen Rundgang durch das Labor gemacht.« Die zerschlagenen Reagenzgläser und zertrümmerten Oszillatoren ließen sich ersetzen, aber die ruinierten Stammzellen hatten ihr Forschungsprojekt mehrere Monate zurückgeworfen.

»Nun ja, ich schicke sie heute nach San Francisco, aber sie haben vorher noch ein bisschen Zeit. Vielleicht könnten sie sich um den Viehzüchter kümmern.«

»Glauben Sie mir, Doktor, es gibt keinen Grund, einen unschuldigen Mann …«

»Jeder muss irgendwann sterben«, sagte der Doktor scharf. »Unschuldig oder nicht. Wer das Spiel gewinnen will, muss dafür sorgen, dass die Feinde zuerst sterben.«

02

VERDÄCHTIGE AKTIVITÄTEN IN DER GLEAM STREET

Es waren Jakes Eltern, die ihn, ohne es zu wollen, auf verdächtige Aktivitäten in der Gleam Street aufmerksam gemacht hatten.

Jake trainierte gerade Verstecken und Tarnen in der Vorratskammer – weil er sonst nirgendwo erwartet wurde – und verdrückte einen Teil des geheimen VindiqoQo-Schokoladenvorrats seiner Mutter. Als er hörte, wie seine Eltern in die Küche kamen und sich unterhielten, kauerte er sich hin und nutzte die Gelegenheit, um seine Fähigkeiten im Belauschen zu verbessern.

Jakes Dad sagte: »Du kennst doch das leer stehende Haus drüben in der Gleam Street? Das blaue, bei dem es aussieht, als würde das Dach jeden Augenblick einstürzen? Ich glaube, ein paar Obdachlose haben es sich da gemütlich gemacht. Als ich gestern Abend daran vorbeigefahren bin, habe ich oben kurz Licht aufflackern sehen.«

»Vielleicht möchte jemand das Haus kaufen und hat sich drinnen umgesehen«, erwiderte seine Mom. »Ist bestimmt spottbillig.«

»Kann sein. Aber so wie sich auf der Eingangstreppe immer noch der Müll stapelt, würde mich das eher wundern. Echt schade. Der gesamte Block geht den Bach runter.«

Jake biss noch einmal von seinem VindiqoQo-Riegel ab und beschloss die Sache genauer unter die Lupe zu nehmen. Wenn in dem Haus irgendeine verdeckte Operation vor sich ging, wollte er alles darüber herausfinden. Man konnte nie wissen, wo sich Spione verbargen. Oder Betrüger auf der Flucht. Oder eine Bande von gefährlichen Terroristen. Das würde auf jeden Fall ein wenig Schwung in einen bisher ziemlich langweiligen Sommer bringen.

Sobald seine Mom zur Arbeit gefahren war, huschte Jake unbemerkt aus der Vorratskammer und ging ins Arbeitszimmer seines Dads, um ihm zu sagen, dass er ein bisschen rausgehen würde. Er lief ein paar Blocks in westliche Richtung und schlenderte dann lässig die Gleam Street entlang, als wäre er zu einem netteren Ort unterwegs. Die Bücherei befand sich einen Block weiter westlich, was ihm einen guten Vorwand lieferte, dort vorbeizulaufen – für alle Fälle hatte er auch ein Buch in der Hand.

Das besagte Haus war ein zweistöckiges Gebäude, an dem der blaue Anstrich abblätterte. Das Gras im Garten war kniehoch und die unteren Fenster waren mit Brettern zugenagelt. Es sah nicht so aus, als würde da irgendjemand – legal oder illegal – wohnen. Aber als er es etwas genauer betrachtete – während er so tat, als binde er sich die Schuhe –, fielen ihm ein paar merkwürdige Dinge auf: An der Holzpforte hing kein Vorhängeschloss, doch man konnte noch den schmutzigen Umriss von einem sehen. Das rostige Garagentor war auch nicht völlig zu. Ein zweieinhalb Zentimeter großer Spalt zwischen Boden und Tor ließ vermuten, dass jemand sie gewaltsam geöffnet und nicht wieder ordentlich hatte zumachen können.

Diese kleinen Ungereimtheiten sorgten dafür, dass Jake die Neugier nun richtig packte, aber er wusste nicht so recht, wie er die Sache unauffällig weiter untersuchen könnte. Er beschloss, seinen vorgeschobenen Ausflug zur Bücherei abzuschließen und das Buch abzugeben, verbrachte dort ein paar Minuten damit, die kleine Auswahl an Büchern über Magie und Kartentricks zu durchstöbern – er hatte sie schon alle gelesen –, und ging dann denselben Weg zurück, um einen weiteren Blick auf das Haus zu werfen.

Etwas hatte sich verändert. Das Durcheinander aus alten Eimern, Betonziegeln und rostigen Farbdosen, das die Eingangstür versperrte, war verrückt und der Staub und Dreck drum herum aufgewirbelt worden. Als hätte jemand das Haus auf diesem Weg betreten und den Müll wieder zurückgelegt, aber nicht genau wie vorher. Das Vorhängeschloss hing auch wieder an der Pforte – Jakes Magen machte einen kleinen Sprung, als er das bemerkte. Es bedeutete, dass jemand sich erst vor ein paar Minuten im Haus herumgetrieben hatte, während Jake in der Bücherei gewesen war!

Er tat so, als hätte er einen Krampf im Bein, beugte sich vor und hüpfte auf einem Bein in die Einfahrt. Dort setzte er sich hin, um sich die Sache genauer anzusehen, und rieb sich die Wade. Aus der Nähe konnte er jetzt erkennen, dass das Vorhängeschloss nicht eingeschnappt war, sondern lediglich in Schließstellung dort hing, damit es aus der Ferne verschlossen aussah.

In dem Haus wohnte auf jeden Fall jemand.

Wahrscheinlich bloß ein Obdachloser, vermutete Jake. Aber was, wenn nicht? Seit sein Dad an Filmabenden immer Spionagefilme auswählte, machte ihn schon die kleinste Sache misstrauisch.

Er beschloss das Haus zu observieren. In diesen Sommerferien gab es sowieso nicht viel, mit dem er sich die Zeit vertreiben konnte. Seine besten Freunde waren zu Besuch bei Verwandten, im Urlaub oder im Zeltlager, und so hatte er angefangen verdeckt zu ermitteln. Zumindest war er dann nicht allein allein – er war einfach als einsamer Undercoveragent in streng geheimer Mission weit hinter feindlichen Linien unterwegs.

Jake richtete sich vor dem Haus in der Gleam Street auf, machte sich auf den Heimweg und plante schon den nächsten Schritt. Zu Hause ging er rein und wieder raus, ohne dass sein Dad, der wie immer am Computer arbeitete, ihn überhaupt bemerkte.

Zehn Minuten später saß Jake in viereinhalb Meter Höhe rittlings auf einem Ast, mit dem Fernglas bewaffnet, das sein Vater zum Vogelbeobachten benutzte. Er hatte nie verstanden, was so toll daran sein sollte, Vögel zu beobachten. Aber Verbrecher beobachten? Das war ein klarer Fall.

Der Baum, auf dem er es sich gemütlich gemacht hatte, war eine alte Eiche mit starken Ästen und dichter Belaubung. Jake war sich ziemlich sicher, dass man ihn nicht sehen konnte, außer wenn der Wind die Blätter bewegte, doch die Leute im Haus würden bestimmt nicht nach einem Undercoveragenten Ausschau halten. Die Eiche stand direkt gegenüber dem blauen Haus, das schon so lange leer stand, dass das »Zu verkaufen«-Schild umgefallen und nicht wieder aufgestellt worden war. Kein Wunder, dass die Verbrecher oder wer auch immer es sich als Versteck ausgesucht hatten.

Er ließ das Fernglas am Tragegurt über der Brust baumeln und wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. Es war ein heißer Tag, selbst im Schatten des Baums. Mit einer Hand nahm er die kleine Wasserflasche heraus, die in einer Tasche seiner kurzen Cargo-Hose steckte, und mit der anderen hielt er sich am Ast fest. Vom Baum zu fallen wäre eines Spions nicht gerade würdig. Nachdem er einen Schluck getrunken und die Flasche zurückgesteckt hatte, hielt er sich das Fernglas vor die Augen und schaute noch einmal durch das obere Fenster …

Und erstarrte, als er sah, wie jemand ihm ebenfalls mit einem Fernglas entgegenblickte.

03

HEIMLICHES EINDRINGEN

Die Person im Fenster hatte ein viel cooleres Fernglas als Jake. Es war schwarz, riesig und verfügte über viele verschiedene runde Objektive auf kleinen beweglichen Armen wie die Apparate beim Augenarzt. Als die Person das Fernglas herunternahm, sah Jake, dass es ein Mädchen war – etwa so alt wie er – mit lockigem schwarzem Haar, langer Nase, spitzem Kinn und finsterem Blick.

Sie verschwand vom Fenster und Jake machte sich sofort daran, vom Baum hinunterzuklettern. Ob sie mich gesehen hat?

Er ließ sich auf den Boden fallen, rannte auf das Ende des Blocks zu und flitzte nach Hause. Er sprintete zwei Blocks lang, bevor er sich endlich traute, einen Blick hinter sich zu werfen. Weit und breit war kein Verfolger zu sehen. Was ihm jetzt, da er wieder einen klaren Gedanken fassen konnte, völlig logisch erschien. Auch wenn das Mädchen ihn im Baum gesehen hatte, hatte es vermutlich mehr Angst vor ihm als er vor ihr. Wer war sie? Sie kam ihm nicht bekannt vor, war also vermutlich nicht aus dem Viertel. Eine Ausreißerin vielleicht?

Aber als Jake bei sich zu Hause in die Einfahrt trat, kam seine Fantasie in Schwung. Was, wenn sie nicht bloß eine Ausreißerin war? Dieses abgefahrene Fernglas sah nicht nach etwas aus, das einer Ausreißerin gehörte. Doch was könnte sie sonst sein? Eine Einbrecherin? Eine superjunge Terroristin? Vielleicht sogar das entführte Kind irgendeines bedauernswerten Millionärs?

Im Haus verriet ihm das Geräusch der klappernden Computertastatur, dass sein Vater immer noch an seinem Schreibtisch saß. Jake schnitt sich eine Scheibe von dem Brot ab, das sie am Vorabend zur Hälfte aufgegessen hatten, und tröpfelte Honig darauf. Er lehnte sich im Arbeitszimmer seines Vaters gegen den Türrahmen, biss ein Stück von seinem Brot ab, kaute und schluckte, während er den Rücken seines Dads betrachtete.

»In einem der leeren Häuser in der Gleam Street geht, glaube ich, irgendwas Komisches vor sich«, sagte Jake, um zu testen, ob sein Dad ihm überhaupt zuhörte. »Ich hab eine Weile oben in einem Baum gesessen und die Gegend ausgekundschaftet, um mögliche Aktivitäten dort zu überwachen. Da hat jemand aus dem Fenster genau auf die Stelle geschaut, wo ich mich versteckt hatte, aber ich glaube nicht, dass ich aufgeflogen bin.« Bei so einer Geschichte würde doch bestimmt sogar sein Dad stutzig werden, oder?

»Hm.« Die Stimme seines Dads klang zerstreut und weit entfernt. Er betrachtete etwas auf seinem Bildschirm. »Als ich ein Kind war, haben wir einfach Cowboy und Indianer gespielt. Die Zeiten haben sich definitiv geändert.«

»Cowboy hab ich auch gespielt … als ich neun war. Das ist Kinderkram. Außerdem soll man sie nicht mehr Indianer nennen, Dad. Sie sind die Ureinwohner Nordamerikas. Indianer ist ein veralteter Begriff.«

»Recht hast du«, antwortete sein Dad, aber in dem typischen Tonfall, wenn er nur mit halbem Ohr zuhörte. Jake verdrehte die Augen und verzog sich nach oben in sein Zimmer.

Den Rest des Nachmittags verbrachte er damit, Kartentricks zu üben, doch seine eigentliche Stärke waren Münzentricks. Er holte eine große Halbdollarmünze heraus und ließ sie über seine Fingerknöchel hin und her gleiten, indem er sie geschmeidig über Zeigefinger, Mittelfinger, Ringfinger und kleinen Finger rollte, bis er die Münze schließlich mit der Daumenspitze zurück an den Anfang schnippte. Nicht schlecht, dachte er. Sie fiel ihm erst herunter, als seine Gedanken zu dem Mädchen mit dem Fernglas abschweiften. Hatte sie ihn gesehen? Und wer war sie? Sollte er morgen versuchen Kontakt mit ihr aufzunehmen?

»Ich bin zu Hause«, rief seine Mom von unten, »und ich hab Pizza mitgebracht!«

Sie aßen zusammen vor dem Fernseher und sahen sich einen Dokumentarfilm über einen nordkoreanischen Terroristen namens Kim Kyok-un an. Jake gähnte, als der Moderator zeigte, wo Kim bei den Olympischen Spielen Sprengstoff deponiert hatte.

»Pass gut auf, Jake«, sagte sein Dad. »Das ist einer der bösen Jungs.«

»Aber das hat doch nichts mit uns zu tun«, erwiderte Jake. »Es ist ja nicht so, als würde er einen Anschlag auf uns verüben wollen.«

»Na ja, 2010 hat er versucht, einen Anschlag auf die Olympischen Spiele in Vancouver zu verüben. Das ist gar nicht so weit weg von hier! Es heißt, er hätte erst kürzlich mit einem EMP herumexperimentiert.«

»Was ist ein EMP?«, fragte Jake.

»Ein elektromagnetischer Impuls. Das ist ein Energiestoß, der alles Elektronische in seiner Umgebung stilllegt. Computer, Telefone, Ampeln, Autos, alles.«

»Warum schauen wir uns das an?«, unterbrach Jakes Mom sie. »Ist nicht gerade sehr aufbauend.«

»Na ja«, sagte Jakes Dad, »Kim könnte potenziell eine ganze Stadt lahmlegen und tun, was er will …«

»Ja, aber heute Abend können wir eh nichts dagegen tun, warum schauen wir uns also nicht was Leichteres an? Ich hatte so einen langen Tag. Komm, suchen wir uns eine Sendung mit flauschigen Tierchen. In Ordnung?«

Sie drückte ein paar Knöpfe der Fernbedienung und schaltete auf den Naturkanal um.

»Überall sterben Bienen«, erklärte der Ansager mit belegter, unheilvoller Stimme, als spreche er durch ein Papprohr. »Bedeutet dies das Ende allen menschlichen Lebens? Finden Sie mehr darüber in der heutigen Natursondersendung Völkerkollaps – die Menschheit in Gefahr? heraus!«

»Ich geb’s ja nicht gern zu, aber das ist auch nicht viel besser«, sagte Jakes Mom, als mit Horrorfilmmusik untermalte Bilder von leeren Bienenstöcken und toten Bienen über den Fernsehbildschirm flimmerten. »Ich habe darüber schon im New Yorker gelesen, glaube ich. Es ist total merkwürdig. Überall verschwinden Bienen.«

»Hat nicht Scotty McLean, du weißt schon, der Typ, der am anderen Ende der Straße wohnt und dieses alte Mustang-Cabriolet fährt, erst letzten Monat seinen Bienenstock verloren? Er ist mit seinem großen Imkeranzug rausgegangen, um Honig zu holen, und alle seinen Bienen waren weg. Sein gesamtes Bienenvolk war verschwunden. Aber warum würde es das Ende der Menschheit bedeuten?«

»Vielleicht sammelt dieser Terrorist Kim Bienen«, meinte Jake.

»Das ist nicht lustig«, erwiderte sein Dad und fügte dann mit einem Grinsen hinzu: »Süßer.«

Jakes Mom versuchte ihr Lächeln zu verbergen, als Jake und sein Dad in schallendes Gelächter ausbrachen.

Als Jake später ins Bett ging, musste er wieder an das Mädchen denken. Vielleicht könnte er morgen über das Gartentor des leeren Hauses klettern und sich hinten im Garten umschauen. Er könnte so tun, als hätte er seinen Baseball verloren – das würde wahrscheinlich nicht als unbefugtes Betreten gelten, jedenfalls nicht wirklich, dachte er, als er langsam einschlief.

Ein paar Stunden später riss er die Augen auf, war sich aber nicht sicher, warum. Es musste irgendein Geräusch gewesen sein, doch wenn es so war, hörte er es nicht noch einmal. Jake stützte sich auf die Ellbogen und schaute sich in dem dunklen Zimmer um. Er hatte das ganz merkwürdige Gefühl, dass er nicht allein war.

»Hallo?«, sagte er zögerlich, aber natürlich antwortete ihm niemand.

Jake warf die Bettdecke zurück, doch bevor er aufstehen konnte, ging die Stehlampe in der hinteren Ecke seines Zimmers an, und er erblickte das dunkelhaarige Mädchen aus dem leer stehenden Haus, das auf seinem Stuhl neben dem offenen Fenster saß. Sie war von Kopf bis Fuß schwarz angezogen und hatte eine merkwürdige Schutzbrille vor den Augen, die sie wie ein Insekt aussehen ließ.

»Hallo, Greenhorn«, sagte sie mit einem finsteren Lächeln. »Wir müssen reden.«

Jake wollte vor Schreck losschreien, erstarrte aber, als sich ihm etwas Kaltes und Rundes in den Hals drückte. Jakes Matratze knarzte und gab nach, als sich jemand neben ihn setzte, doch Jake traute sich nicht, den Kopf zu drehen, um zu sehen, wer es war.

Die Stimme eines Jungen flüsterte ihm ins Ohr: »Denk nicht mal dran zu schreien, Greenhorn. Schlimme Dinge werden passieren, wenn du schreist.«

04

DAS GREENHORN

Das Mädchen auf dem Stuhl prustete.

»Schlimme Dinge werden passieren? Musst du immer gleich so melodramatisch sein, Filby?« Sie fügte hinzu: »Auch wenn er in gewisser Weise Recht hat, Greenhorn. Wenn du schreist, würden tatsächlich schlimme Dinge passieren. Denn dann müssten wir aus dem Fenster springen und Filby würde sich beim Landen wahrscheinlich die Beine brechen.« Sie hob leicht den Blick. »Könntest du bitte aufhören, ihm die Taschenlampe in den Hals zu bohren? Er macht sich bestimmt schon vor Angst in die Hosen.«

»Die Taktik hat aber funktioniert«, wandte der Junge – Filby? – ein, »er hat nicht geschrien.« Das kalte, runde Etwas löste sich von Jakes Hals und er drehte den Kopf. Der Junge auf seinem Bett war genau wie das Mädchen angezogen, lange schwarze Hose und eine schwarze Armeejacke mit Reißverschluss, aber er war nicht groß und dünn wie sie. Er war klein und pummelig, mit roten Haaren und Sommersprossen, und hatte sich seine Schutzbrille auf die Stirn geschoben. Filby lächelte verlegen, hielt eine kleine, metallene Taschenlampe hoch und steckte sie in eine der vielen Taschen seiner Jacke. »’tschuldige«, sagte er und wurde ein bisschen rot. »Mir ist nichts Besseres eingefallen. Ich wollte dir nicht die Hand auf den Mund legen. Ich bin nämlich schon mal gebissen worden.«

»Ich hab ihn gebissen«, erklärte das Mädchen. »Kurz danach sind wir Freunde geworden.«

»Wer seid ihr?«, fragte Jake. »Und was macht ihr in meinem Zimmer?«

»Wir sind Undercoveragenten«, antwortete das Mädchen. »Was du wissen würdest, wenn du mal deine Post lesen würdest. Wie viele Briefe hast du weggeschmissen? Vier? Fünf? Deshalb haben sie beschlossen dir etwas zu schicken, das du nicht so einfach ignorieren kannst. Uns.«

»Wovon redet ihr überhaupt? Ich kriege nie Briefe, höchstens Postkarten von meinen Großeltern.«

»Ist auch egal. Wir sind hier, um dich zu rekrutieren.« Filby grinste, dann fiel ein Schatten auf sein Gesicht. »Aber du hast uns zuerst entdeckt. Damit hatten wir nicht gerechnet.« Er kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf. »Das hätten wir wohl tun sollen. Sie hat ja gesagt, dass du ein vielversprechender Kandidat wärst. Wie bist du auf unser Versteck gestoßen?«

»Das Vorhängeschloss war nicht richtig zugeschnappt«, antwortete Jake. Ihm wurde schwindelig bei dem Versuch, sich einen Reim auf das zu machen, was die zwei da erzählten. »Die Garage war offen. Der Müll auf der Veranda war verrückt worden. Aber wer seid ihr?«

Filby ließ die Schultern hängen. »Wir waren schlampiger, als ich dachte.« Er riss die Augen auf und schlug mit den Fäusten in die Luft. »Oder du bist einfach besser, als ich dachte. Ja, das muss es sein! Du bist außergewöhnlich gut!«

Das Mädchen hustete leise und Jake drehte sich zu ihr. »Weil du so vielversprechend bist, Greenhorn, hat man uns die Erlaubnis erteilt, dich bei unserer nächsten Mission mit ins Boot zu holen. Und das ist gut – wir könnten wirklich ein zusätzliches Paar Augen gebrauchen.«

»Ein zusätzliches Paar Augen?«, fragte Jake und schüttelte den Kopf. »Ist das ein Spiel? Ein Scherz? Wer seid ihr?«

Filby zeigte mit dem Kopf auf das Mädchen. »Ihr Deckname ist Lizzie Lew.«

»Nenn mich Lizzie«, sagte sie.

»Und meinen hast du schon aufgeschnappt, nehme ich an. Er ist Filby. Und das ist kein Spiel – du bist rekrutiert worden.«

»Rekrutiert? Wie?« Jake verzog das Gesicht und überlegte, ob er irgendetwas Wichtiges vergessen hatte.

»Jemand hat gesagt, dass du einen guten Agenten abgeben würdest.«

»Was? Wer hat das gesagt?«

»Ich weiß nicht. Vielleicht war es ein Freund der Familie oder ein Lehrer an der Schule.«

»Meine Bewerbung hat meine Tante eingereicht«, erklärte Lizzie. »Sie war auch Agentin.«

»Meine kam von Leuten, die vor langer Zeit mein Leben gerettet haben. Es spielt keine große Rolle. Jemand hat dich empfohlen. Jemand anderes hat dich überprüft. Ein Dritter hat dich bewilligt. Und da du deine Post nicht liest, sind wir jetzt hier.«

Bevor Jake ein weiteres Mal protestieren konnte, dass er keine Post bekommen hatte, fuhr Lizzie fort. »Was passiert also als Nächstes, Greenhorn …«

»Hör auf, mich so zu nennen«, fuhr Jake sie an. »Ich heiße …«

»Ah, ah, ah.« Lizzie wackelte mit dem Finger. »Wir wissen, wer du bist, aber du musst sofort damit aufhören, deinen richtigen Namen zu benutzen. Wir haben dir ja auch nicht unsere echten Namen gesagt, oder? Dein Deckname ist, äh … warte, mir liegt’s auf der Zunge …«

Filby unterbrach sie. »Komm schon, Lizzie, sein Deckname ist Hale!«

»Ja, genau, das ist es – Hale!«

»So werbt ihr also Leute an? Indem ihr bei ihnen ins Haus einbrecht?«

»Wir bezeichnen das eigentlich als ›heimliches Eintreten‹«, erklärte Filby und wurde rot.

»Und darin bin ich am besten«, sagte Lizzie stolz, während sie sich die Schutzbrille auf die Stirn schob, so dass man jetzt ihre dunklen, wachsamen grauen Augen sehen konnte. »Nur wenn es für eine gute Sache ist natürlich.«

»Was redet ihr da für ein Zeug? Könnt ihr nicht einfach wie normale Menschen an die Tür klopfen?«

»Hör mal, wir sind Mitglieder einer internationalen Geheimorganisation – wir helfen dabei, die Welt zu beschützen«, sagte Filby. »Und wir möchten, dass du dich uns anschließt!«

»Wir verlangen nicht von dir, dass du jetzt gleich Ja sagst, Greenhorn – ich meine, Hale. Wir sind nur hier, um uns vorzustellen. Damit du nicht durchdrehst, wenn wir morgen Vormittag auftauchen.«

»Hier? Warum?«

»Wir sind auf einer Mission«, antwortete Filby. »Lizzie und ich sind nicht von hier und wir brauchen jemanden, der sich in der Gegend auskennt. Wir tun so, als wären wir Geschwister, die gerade erst in die Stadt gezogen sind, und …«

»Stiefgeschwister, versteht sich«, sagte Lizzie mit einem Grinsen. »Glaubst du, irgendjemand würde uns abkaufen, dass wir blutsverwandt sind?«

Jake war immer noch etwas schlaftrunken und das Adrenalin fing an nachzulassen. Die beiden waren vermutlich verrückt oder nahmen ihn auf den Arm … aber was, wenn sie die Wahrheit sagten?

»Aber wer seid ihr wirklich?«

»Das können wir dir nicht sagen«, antwortete Filby. »Aber alles, was du gerade empfindest, die ganzen Zweifel und der Argwohn – so ist es uns am Anfang auch gegangen. Natürlich haben wir unsere Post tatsächlich gelesen und haben die Anweisungen befolgt, so dass wir uns langsam an den Gedanken gewöhnt haben. Morgen wirst du sehen, dass wir die Wahrheit sagen.«

»Das ist doch alles totaler Quatsch«, protestierte Jake und ließ die Sache mit der Post erst mal ruhen. »Wie könnt ihr schon Geheimagenten sein? Ihr seid gerade mal so alt wie ich!«

»Genau deshalb sind wir perfekt dafür geeignet«, gab Lizzie mit einem aufgeregten Lächeln zurück. »Niemand kommt auch nur auf die Idee, dass wir verdeckt ermitteln! Und wenn wir geschnappt werden, halten Erwachsene uns bloß für Kids, die irgendeinen Quatsch anstellen. Sie verscheuchen uns, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, dass wir internationale Spione sein könnten!«

»Nicht so laut«, ermahnte sie Filby. »Du weckst noch seine Eltern auf. Wir sollten jetzt lieber gehen, aber wir kommen morgen früh wieder.«

»Häng dich morgen einfach an uns dran«, sagte Lizzie und zwinkerte Jake zu. Dann drehte sie sich um und sprang mit dem Kopf voran aus dem offenen Fenster und Jake musste einen Schrei unterdrücken.

»Sie muss immer voll angeben«, stöhnte Filby und steuerte auf das Fenster zu.

»Warte.« Jake packte den anderen Jungen am Handgelenk. »Diese Mission morgen, von der ihr gesprochen habt – um was geht’s da?«

»Um nichts Besonderes hoffentlich«, erwiderte Filby und kaute auf seiner Unterlippe herum. »Aber es passieren gerade extrem merkwürdige Dinge. Überall auf der Welt werden Tiere tot und aufgedunsen aufgefunden und, na ja, gestern ist es hier passiert. Unser Echelon-Kommandant will, dass wir uns das genauer ansehen.«

Echelon-Kommandant?, dachte Jake und runzelte die Stirn. Meinen die beiden das wirklich ernst?

Filby durchquerte das Zimmer und kletterte viel vorsichtiger aus dem Fenster als Lizzie – aber Jake war sich nicht sicher, worauf er kletterte, es sei denn, sie hatten eine Leiter ans Haus gelehnt. Jake stieg aus dem Bett, um nach draußen zu sehen, doch da war weder eine Spur von den beiden noch von einer Leiter und auch sonst war nichts Ungewöhnliches zu sehen. Der mondbeschienene Rasen war völlig leer. Er schloss das Fenster, verriegelte es und legte sich wieder schlafen.

Sind Lizzie und Filby wirklich Undercoveragenten?, ging es Jake durch den Kopf, während er den Blick erwartungsvoll auf den dunklen Himmel vor seinem Fenster heftete, als könnten die beiden auf einmal zurückkommen. Und wenn ja, wo wohnten sie? Gingen sie in die Schule? Jake strich mit dem Finger über die Stelle an seinem Hals, wo ihm Filby die Taschenlampe hineingebohrt hatte, und die Haut fühlte sich da irgendwie anders an, fast unwirklich, als wäre sie von einem Gegenstand aus einer anderen Welt berührt worden. Warum waren sie zu ihm gekommen? Sie hatten gesagt, man hätte ihn empfohlen. Aber er war nichts Besonderes. Auch wenn er sich die Spiele der San Francisco 49ers anschaute, war er alles andere als eine Sportskanone, und er konnte auch kein Karate oder Kung-Fu. Außergewöhnlich intelligent war er ebenso wenig. Ich kenne ein paar gute Tricks, dachte er, als er sich daran erinnerte, wie er vor ein paar Monaten auf einer Messe eine Gruppe Erwachsene beeindruckt hatte. Er hatte ihnen die Kniffe gezeigt, die er kannte, um Münzen und Karten in der Hand verschwinden zu lassen – sogar seine Mom war völlig hin und weg gewesen –, und im Gegenzug hatten sie ihm ein paar neue Tricks beigebracht. Aber das waren nur Tricks.

Im Ernst, Jake war bloß ein durchschnittlicher, stinknormaler Teenager. Vielleicht haben sie sich im Haus geirrt, dachte er. Oder es war nur ein superausgeklügelter Streich. Jake schwirrte der Kopf, als er versuchte wieder einzuschlafen. Doch es gelang ihm nicht.

05

DIE ERSTE MISSION

Jake gähnte beim Frühstück ununterbrochen und aß nicht viel, obwohl sein Dad Buttermilch-Käse-Speck-Brötchen gebacken hatte. Seine Mom war schon längst weg und fuhr gerade durch den Stoßverkehr, mit nichts anderem als Kaffee und VindiqoQo im Magen.

»Heute kommen vielleicht ein paar Freunde vorbei«, sagte Jake.

»Ich dachte, Aaron und Pete sind diese Woche im Zeltlager?« Sein Dad strich mit dem Finger über den Bildschirm seines Tablets, das neben seinem Teller lag, und checkte die neuesten Nachrichten, Twitter oder sonst irgendetwas.

»Sind sie auch. Das sind neue Freunde. Ich hab sie erst gestern kennengelernt, als ich zur Bücherei gegangen bin. Filby und Lizzie.«

»Mmmm. Na, dann freue ich mich, sie kennenzulernen. Macht nur nicht zu viel Lärm im Haus, ich habe heute sehr viel zu tun und muss mich konzentrieren.«

»Wir gehen, glaube ich, sowieso raus.« Jake spielte mit seinem Buttermesser. Er wusste zwar, dass sein Dad nicht richtig zuhörte, beschloss aber, auf Nummer sicher zu gehen und ihm eine Notlüge zu erzählen – auch wenn ihm sein Dad nie im Leben abkaufen würde, dass man ihn als Undercoveragent rekrutiert hatte. Jake war sich nicht sicher, ob er selbst so richtig daran glaubte. »Wahrscheinlich gehen wir in den Park – ich will ihnen den Radweg zeigen.«

»Hm? Klingt doch super«, sagte sein Dad, den Mund voller Brötchen.

Jake seufzte. Seine Eltern schenkten ihm nie viel Beachtung. Was heute mal was Gutes hat, dachte er bei sich.

Jake wartete vorne auf der Veranda, als Filby und Lizzie ankamen. Er hatte mehr oder weniger damit gerechnet, dass sie sich vom Dach seines Hauses abseilen, mit dem Fallschirm auf den Rasen gleiten oder in einem schwarzen Hubschrauber landen würden, doch sie fuhren einfach auf Rädern auf sein Haus zu. Auf sehr extravaganten Rädern – ihres war rot und seins schwarz, aber sonst waren sie völlig gleich, supersportlich und mit Spiegeln und schwarzen Segeltuchsatteltaschen ausgestattet. Unterhalb der Lenkerstange waren sogar richtige Scheinwerfer befestigt.

»Ist das eine Kamera?«, fragte Jake und streckte die Hand nach einem Gerät vorne an Lizzies Fahrrad aus.

»Nicht anfassen«, sagte sie und schob seine Finger beiseite. »Dieses Ding kann gefährlich sein.«

»Du hast doch ein Fahrrad, oder?«, erkundigte sich Filby.

»Mit euren kann es aber nicht mithalten.« Jake schob sein altes Dreigangrad aus der Garage.

Filby musterte es und nickte mit einem vielsagenden Lächeln. »Keine Sorge, du bekommst bessere Ausrüstung, sobald du offiziell im Einsatz bist.«

»Diese Fahrräder sind der Hammer«, sagte Lizzie. »Siehst du die Schalter da?« Sie schnippte an einem der Lenkergriffe ein verborgenes Fach auf und enthüllte eine Reihe von blinkenden Knöpfen. »Ausweichmanöver. Wenn du auf den hier drückst, fallen Nägel aus den Satteltaschen.«

»Die heißen Krähenfüße, Lizzie.«

»Ja, geschenkt. Es sind kleine Nägel, mit denen man Reifen zum Platzen bringen kann. Der hier lässt Schmieröl ab, das jede Straße in eine Rutschbahn verwandelt. Und der hier …« Sie grinste. »Filby, du hast bei seiner Konstruktion geholfen. Erklär du’s ihm.«

»Unter dem Sitz ist ein elektrischer Motor versteckt«, sagte Filby. »Mit dem kommt man schnell voran. Überraschend schnell. Es hält nicht lang an, ist aber ziemlich furchterregend.«

»Das ist noch gar nichts«, meinte Lizzie. »Warte mal, bis du die Welbikes siehst.«

»Welbikes?«

Filby verdrehte die Augen. »Ich glaube kaum, dass Hale demnächst aus einem Flugzeug springen wird.«

»Na ja, in diesem Geschäft weiß man das nie. Steig auf, Greenhorn. Wir haben einen Auftrag zu erledigen.«

Sie radelten los und sausten durch das Viertel. Jake bildete das Schlusslicht und fragte sich, ob er einfach umkehren und sich so weit wie möglich von ihnen fernhalten sollte. Bewirkten die Knöpfe an den Lenkern wirklich irgendetwas oder nahmen ihn die beiden nur auf den Arm? Jake hoffte so sehr, dass sie die Wahrheit sagten, aber es fiel ihm schwer, etwas so Unwahrscheinliches zu glauben. Die leuchtenden Knöpfe waren so oder so ziemlich cool. Außerdem war ihm stinklangweilig. Selbst wenn Lizzie und Filby totale Spinner waren, könnte es spannend werden, Zeit mit ihnen zu verbringen. Schließlich hatte er ja sonst niemanden, mit dem er abhängen konnte.

Nach einer Weile verließen sie die vormittäglichen ruhigen Straßen und fuhren in den Angleton-Park, dessen Grün sich über mehrere Hektar durch die Stadt hindurch erstreckte. Als kleiner Junge war Jake mit seinen Eltern oft hierhergekommen, um Drachen steigen zu lassen und so was, und an sonnigen Wochenenden wimmelte es immer nur so von Leuten, die spazieren gingen, picknickten und Bälle für ihre Hunde warfen. Heute war es aber weder sonnig noch Wochenende und der Park war nahezu menschenleer.

»Okay, jetzt bist du gefragt«, sagte Filby. »Wir haben keine genauen Koordinaten, aber wir sollen zum großen Wal gehen.« Er schnaubte. »Ist ›großer Wal‹ nicht so was wie ’ne Tautologie? Wie wenn man ›kleine Krabbe‹ oder ›nasses Wasser‹ sagen würde? Ich meine, das Typische an Walen ist doch, dass sie groß sind.«

»Es gibt aber zwei Wale«, wandte Jake ein. »Einen großen und einen kleinen.«

»Ha«, entfuhr es Lizzie. »Wo sind sie?«

»Kommt, ich zeig’s euch.«

Jake radelte durch den Park und folgte Asphaltwegen, die sanft bergab zum Bachbett führten. Entlang des Bachs standen hier und da Betonstatuen, verwittert oder von unzähligen darüber kletternden Kindern glatt poliert. Da waren eine küchentischgroße Schildkröte, ein Drachenkopf so breit wie ein Sofa sowie die beiden Wale. Der eine hatte die Größe einer Kuh, mit einem künstlerisch gestalteten Wasserspeier, der aus dem Kopf des Meeressäugers herausragte. Das war der kleine Wal. Der andere hatte eher den Umfang eines Lasters und hob seinen Schwanz in die Höhe.

»Da sind wir«, sagte Jake und lehnte sein Fahrrad gegen einen Baum.

Filby und Lizzie stiegen von ihren Rädern ab. Lizzie kletterte auf den Rücken des großen Wals und schaute sich in alle Richtungen um, als würde sie nach verdächtigen Dingen Ausschau halten. Filby ging langsam um den Wal herum und betrachtete den Boden mit zusammengekniffenen Augen. Jake fragte sich, was sie da trieben.

»Gibt es hier viele wild lebende Tiere, Hale?«, fragte Filby.

Jake brauchte einen Moment, um sich daran zu erinnern, dass »Hale« sein Deckname war. »Wild lebende Tiere? Wie Eichhörnchen und Vögel? Ja, klar. Es gibt auch eine Menge herrenloser Katzen, die im Park herumstreunen.«

»Nicht mehr«, erwiderte Filby und zögerte, bevor er hinzufügte: »Hier wurden vor fünf Tagen ein Dutzend verwilderte Hauskatzen gefunden, entstellt, aufgedunsen und tot.«

»Wir glauben, dass man sie vergiftet hat«, erklärte Lizzie, als sie vom Wal herunterhüpfte und wie eine Katze in der Hocke landete. »Aber warum, wie, von wem?«

Filby ließ den Blick über die Landschaft schweifen. »Manchmal bekommt man einen Auftrag, den man versteht, Hale, und manchmal nicht.« Er stützte sich auf ein Knie und studierte den Boden.

Lizzie beobachtete ihn im Stehen und gähnte dann übertrieben. »Während du nach Hinweisen suchst, Agent Filby, übe ich am Schießstand.« Sie schlenderte hinunter zum Bach und schnappte sich eine Handvoll Kieselsteine. Sie feuerte sie über das Wasser und traf jedes Mal dasselbe herumschwimmende Stück Müll.

»Sie ist eine gute Agentin«, sagte Filby und sah zu ihr hinüber, »aber sie hat keine Geduld für kriminaltechnische Arbeit.« Er holte vorsichtig ein elektronisches Gerät aus seiner Tasche – das aber nicht wie ein Telefon aussah –, tippte auf dessen Display und führte es langsam über die Erde.

»Wonach suchen wir denn?«, fragte Jake. Filby erinnerte ihn auf einmal an einen Detektiv aus einem Science-Fiction-Film.

»Nach allem, was irgendwie ungewöhnlich ist«, antwortete Filby, ohne den Blick vom Boden zu heben.

»Injektionsnadeln«, rief Lizzie vom Bach herüber. »Streichholzbriefchen von Nachtclubs aus Monaco. Seltsame, ausländische Zigarettenkippen. Alles Mögliche.«

»Wir sammeln Hinweise und analysieren sie dann«, fügte Filby hinzu.

Jake zuckte mit den Schultern, schlenderte langsam auf die andere Seite des Wals und musterte dabei aufmerksam die Umgebung. Er hatte die natürliche Gabe, Dinge zu bemerken, und in der Regel fiel ihm alles Ungewöhnliche um ihn herum sofort auf. Als er klein war, war er beim Ostereiersuchen immer sehr gut gewesen. Aber reichte das wirklich, damit irgendeine Geheimorganisation ihn ausfindig machte und rekrutieren wollte?

Nicht dass ihm in dem Moment viel auffiel. Da waren ein paar Münzen – nur dreckige Cents –, ein paar Cracker, die nicht von Vögeln oder Eichhörnchen gefunden worden waren, eine leere Limonadendose, eine verbogene Büroklammer, ein totes Insekt – Moment mal. Es war kein gewöhnliches totes Insekt.

»Hey, Leute«, rief Jake, »hier drüben ist eine Biene. Aber so eine merkwürdige Biene hab ich noch nie gesehen.«

»Wo?« Filby eilte an seine Seite, beugte sich vor und betrachtete das Insekt, ohne es zu berühren. Jake hatte natürlich schon eine Menge Bienen gesehen und die hier war auch gelb mit schwarzen Streifen, aber sie war knallgelb wie ein Postauto. Sie war fast so breit wie eine Centmünze und hatte lange Flügel und Fühler sowie einen gebogenen Stachel, der so groß war, dass man ihn sehen konnte, ohne die Augen zusammenkneifen zu müssen. Jake fragte sich, ob das eine der sterbenden Bienen war, von denen er im Fernsehen gehört hatte, obwohl diese hier irgendwie unecht wirkte. Sie sah eher aus wie ein Fleißiges-Bienchen-Logo auf einer Müsli-Packung oder einem Glas Honig.

Nur dass sie tot war, also gar nicht mehr fleißig.

»Das könnte wichtig sein«, sagte Filby und nickte Jake lächelnd zu.

»Eine gute Beobachtungsgabe«, sagte Lizzie und schlenderte langsam zurück, »ist in unserem Job echt nützlich. Lass mich mal sehen.« Sie blickte nach unten. »Komisch.«

»Schauen wir uns das mal genauer an«, meinte Filby. Er zog ein weiteres Gerät aus seiner Tasche und hielt es ihm hin. »Bitte schön, Hale. Das ist dein HyperOpticon. Alle neuen Agenten bekommen eins an ihrem ersten Tag.«

Jake nahm das kleine, rechteckige Gerät mit blinkenden Knöpfen entgegen und stellte fest, dass es einen Bildschirm hatte und auf den Knöpfen so Dinge standen wie »Zoom«, »Vergrößern« und »Aufnehmen«. Er bestaunte das leichte Gerät. Es sah nicht wie eine schlichte Kamera aus – obwohl er genauso beeindruckt gewesen wäre, wenn sie ihm eine Kamera gegeben hätten –, aber es war ein ziemlich eindeutiger Hinweis darauf, dass Lizzie und Filby ihn nicht auf den Arm nahmen. Vielleicht sind sie doch echte Agenten, dachte Jake. Filby drehte die Biene mit einer kleinen weißen Plastikzange um und bewegte vorsichtig ihren Körper. »Film das bitte«, sagte er. Jake drückte zögerlich auf »Aufnehmen« und richtete das kleine Gerät lächelnd auf die Biene, während Filby die Zange drehte, damit er das Exemplar aus verschiedenen Winkeln filmen konnte.

»Okay«, sagte Filby. »Jetzt versuch heranzuzoomen.«

Jake tat ihm den Gefallen und drückte ein paarmal auf die entsprechenden Knöpfe, woraufhin die Biene so stark vergrößert wurde, dass er die einzelnen Haare an ihrem Körper erkennen konnte. »Was ist das auf ihrem Bauch?«, fragte er. Nahezu verborgen zwischen den winzigen Härchen des Insektenbauchs zeichnete sich ein stilisiertes, scharfkantiges V ab.

»Lass mich mal sehen«, sagte Lizzie, die von hinten an sie herangetreten war und sich über Jakes Schulter beugte. Sie pfiff durch die Zähne. »Erkennst du das, Filby?«

»Vindiqo«, flüsterte Filby.

»Wie VindiqoQo? Die Süßigkeiten-Leute?«

»Sie stellen nicht nur Süßigkeiten her«, erwiderte Filby. »Vindiqo ist ein riesiges Unternehmen.«

»Mit Verbindungen zu kriminellen Banden«, fügte Lizzie hinzu. Filby funkelte sie böse an. »Was? Das ist kein Geheimnis!«

Zwei Jugendliche, die etwas älter waren als sie, liefen an ihnen vorbei, schubsten sich gegenseitig und lachten scheinbar grundlos laut auf. Jake sah hoch, als sie vorbeigingen. Es waren Zwillinge. Sie trugen Khakihosen und Polohemden und hatten kurz geschnittenes blondes Haar und leuchtend blaue Augen. Sie sahen etwa wie fünfzehn oder sechzehn aus. Einer von ihnen trat im Vorbeilaufen gegen Jakes Fahrrad, was den anderen noch lauter zum Lachen brachte.

»Blödmänner«, sagte Filby.

Die Zwillinge blieben stehen und drehten sich gleichzeitig um.

»Was hast du gesagt, Fettwanst?«, schrie einer von ihnen.