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Junge Polizistin beauftragt Privatdetektiv mit der Beschattung ihres Verlobten. Als dieser bei einem Anschlag getötet wird, arbeitet sie mit dem Privatermittler zusammen, um die Mörder zu fassen. Sie ahnt jedoch nicht, dass es sich bei dem sympathischen Schnüffler um den berühmt-berüchtigten Serienkiller handelt, dem sie und ihr Polizeiteam seit über einem Jahr erfolglos hinterherjagen! Auf der gemeinsamen Suche nach den Attentätern entwickeln sie sogar Gefühle füreinander. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die Wahrheit ans Licht kommt… In STORMWARNUNG begegnen euch folgende Charaktere: - eine eifrige, junge Polizistin, deren Verlobter getötet wird - ein sympathischer Privatdetektiv, Millionenerbe aus Adelshause und Serienkiller zugleich - eine Jurastudentin und Femme Fatale - ein saucooler, korrupter Kommissar, der mit… - …einem ruchlosen Unterweltboss und Menschenhändler zusammenarbeitet - zwei muskelgestählte Auftragskiller und Massenmörder - ein schmieriger Frauenvergewaltiger und Heiratsschwindler - ein eiskalter Kindermörder und Kinderpornograf - eine angehende Chirurgin, die eigenen Organhandel betreibt - drei schwerkriminelle Einbrecher-Brüder - ein karrieregeiler Enthüllungsjournalist - ein notorischer Fremdgeher und Vergewaltigungsversucher - und zuallerletzt das Unglaubwürdigste: ein ehrenwerter Politiker ;)
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Seitenzahl: 494
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Martin Wendel
Stormwarnung
Er mordet für den guten Zweck
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Vorwort
(1) Trauer, Wut und Hoffnung
(2) Der Junge im Keller
(3) Einführung
(4) Keine billige Schlampe
(5) Nachtschicht
(6) Erwachen
(7) Arbeit
(8) Hartnäckige Kundengewinnung
(9) Schlimmer als gedacht
(10) Zusammenkunft
(11) Ein Spaziergang?
(12) Noch was vor
(13) Date
(14) Konsequenzen
(15) Lektion gelernt?
(16) Aber was war damals passiert?
(17) Storms Warnung
(18) Auserzählt
(19) Die erste Begegnung (I)
(20) Wo ist mein Toyboy?
(21) Die erste Begegnung (II)
(22) Zu Hause?
(23) Nur ein Tag
(24) On The Mission
(25) Auswertung
(26) Tatort
(27) Fragen
(28) Ermittlungen
(29) Dunkles Geheimnis
(30) Rückzieher?
(31) Der Informant
(32) Zwickmühle
(33) Bei Hades
(34) Auf Tour
(35) Treffen
(36) Gekauft
(37) Brisante Botschaft
(38) Notfall
(39) Paradox
(40) Alptraum
(41) Trauer
(42) Ordentlich Gas?
(43) Allein
(44) Erste Hinweise
(45) Max Storm (I)
(46) Zeugen
(47) Kopf frei
(48) Das war’s?
(49) Post
(50) Geständnis
(51) Recherche
(52) Letzte Warnung
(53) Schlaf! Los!
(54) Lektion gelernt?
(55) Auf Band
(56) Was jetzt, Herr Storm?
(57) A Walk In The Park
(58) Verliebt
(59) Arbeit wartet
(60) Schock
(61) Beweise
(62) Geheimnis gelüftet
(63) Kopftornado
(64) The City’s Biggest Titties
(65) Fahndung
(66) Vorbereitungen
(67) Max Storm (II)
(68) Auf dem Grill
(69) Überstanden
(70) Abschied
(71) Sie kommen
(72) Sie gehen
(73) Der Morgen danach
(74) Informationen
(75) gemeinsam
(76) High Performance
(77) Was jetzt?
(78) Unerwarteter Besuch
(79) Böse Überraschung
(80) Die Schlinge zieht sich zu
(81) Zugriff
(82) Verarscht
(83) Gute Arbeit
(84) In Zukunft?
(85) Flucht
(86) Zusammen
(87) Zeichen
(88) Nach dem Abschied kommt…
(89) Standhaft bis zum Ende
(90) Neue Lieferung
(91) Paranoid?
(92) Serienkiller meeting…
(93) Grimms Märchen endet…
(94) Einer fehlt noch
Impressum neobooks
Martin Wendel
STORMWARNUNG
Er mordet für den guten Zweck
Hallo! Herzlichen Dank, dass du mein Buch lesen möchtest. Es würde mich freuen, wenn du mir nach der Lektüre dein ehrliches Feedback gibst, da mir jede Meinung wichtig ist und mir als Autor weiterhelfen kann. (siehe Impressum)
Die durch die Formatierung und den Druck bedingten Leerseiten am Ende, möchte ich nutzen, um dir weitere Werke von mir zu präsentieren. (gilt auch für eBooks)
Auf der allerletzten Seite findest du eine Übersicht der wichtigsten Figuren, die du dort gerne jederzeit nachschlagen kannst, falls es bei der Komplexität der Story nötig ist.
Drehbuch- und Buchautor Martin Wendel wurde im späten 20. Jahrhundert auf dem Planeten Erde geboren. Er studierte Germanistik und Anglistik und nutzt seine Kreativität und Fantasie, um unterhaltsame Geschichten zu schreiben, die Menschen begeistern und Denkanstöße liefern. Seit Jahren versucht er, so nachhaltig und ressourcenschonend wie möglich zu leben.
Martin Wendel
STORMWARNUNG
Er mordet für den guten Zweck
Thriller
Alternative Titel, die auch passen könnten:
Ein gewaltiger Storm zieht auf
Er l(i)ebt das Morden
Serienkiller gesucht – Liebe gefunden
Seine Opfer sind Täter
Er bringt um und Hoffnung
Kann der beste Killer gut sein?
Gerechte Selbstjustiz vs. Selbstgerechte Justiz
Der Zweck heiligt den Tod
Er tötet aus Liebe – zu Mord
Ein gewaltiger Storm braut was zusammen
Ein Storm im Grimmschen Märchenwald
Impressum
Texte: © 2024 Copyright by Martin Wendel
Umschlag: © 2024 Copyright by Martin Wendel
Verantwortlich
für den Inhalt: Martin Wendel
www.martinwendel71.de
Druck: neobooks – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin
Diese fiktive Geschichte beinhaltet explizite Schilderungen, die teilweise nur schwer zu ertragen sind. Dennoch sind sie notwendig, um zu veranschaulichen, dass in der brutalen Realität tagtäglich Menschen, vor allem Feuerwehr-, Polizei- und Rettungskräfte, diesen schrecklichen Ereignissen und Bildern ausgeliefert sind. Sie sind gezwungen, sich damit auseinanderzusetzen. Ich wünsche niemandem solche grauenvolle Erfahrungen zu machen. Die folgende Erzählung soll in sicherer Umgebung zumindest einen kleinen, authentischen und ungeschönten Eindruck vermitteln, wie Betroffene sich dabei fühlen müssen und somit Empathie, Mitgefühl für sie schaffen.
Wer die erste halbe Seite übersteht, wird im Nachhinein überrascht von einer wendungsreichen und anspruchsvollen Epik, welche auch mit Zynismus, Humor und Herz das eigene Wahrnehmungsbild samt Voreingenommenheit auf den Prüfstand stellt.
Eine außergewöhnliche Liebesgeschichte im Gewand eines zum Teil blutrünstigen Serienkiller-Thrillers, der sich bewusst von gewöhnlichen Whodunit-Krimis abhebt und nicht nur Tätern, sondern auch Opfern ein Gesicht gibt.
Spannende Unterhaltung!
Nackt liegt sie da. Still. Unschuldig. Mit ihren süßen 16 Jahren. Ein dunkelblonder Engel mit ausgebreiteten Flügeln. Wie ein Model. Ihre sportliche, schlanke Figur, ein Traum. Ihre großen blau-grünen Augen. Ihre ellenlangen Haare zu einem Zopf geflochten. Ihre zarten, rosafarbenen Lippen. Aufgeplatzt. Ihr Mund an beiden Seiten bis über die Wangenknochen aufgeschlitzt. Ihre Kehle zerfetzt. Darunter Würgemale, blau-grüne Blutergüsse auf ihrem Dekolletee, an ihren Schenkeln. 33 Messerstiche übersäen ihren ehemals makellosen und nun entstellten Körper. Ihre beiden Hände abgetrennt. Ihre Vagina zerstückelt.
Sie war Elisa.
Abgelegt zwischen stinkenden Müllcontainern in der Gosse. Der prasselnde Regen spült das inzwischen kalte Blut in die Rinne, fort in die Kanalisation. Vorbei an dem nachtaktiven, gefräßigen Rattenrudel, das an ihren Augenlidern, Zehen und offenen Wunden nagt.
Ein grausamer, tieftrauriger Anblick, den zum Glück kaum jemand von uns in seinem Leben erfahren muss. Bilder, die sich ins Gedächtnis einbrennen, einen nie wieder loslassen. Man möchte seine Augen verschließen. Vor der Wahrheit. Man will sie nicht sehen. Doch manche müssen.
Denn genau so fand sie ihr Vater Paul in jener späten, düsteren Nacht. Als kalte Leiche, für immer von ihm gerissen.
Schreckliche Gefühle, die nicht annähernd zu beschreiben sind. Elisa ist tot. Sie ist nicht nur gestorben. Auch wenn der Tod am Ende immer gleich ist, das WIE ist für die betroffenen Angehörigen von so großer Bedeutung. Ob ruhig in der Nacht eingeschlafen oder aber vergewaltigt, gefoltert, bis nahezu aufs Unkenntliche entstellt, macht einen riesigen Unterschied. Immer wieder die Gedanken, welche Horrorqualen sie in den letzten Atemzügen ihres noch kindlichen Lebens durchleben musste.
Paul und seine Ehefrau Sandra trauern um ihre einzige Tochter, ihr Ein und Alles.
Elisa war einzigartig. Eine herzensgute junge Frau, die sich um ihre Mitmenschen kümmerte und – im Gegensatz zu oftmals zitierten rebellischen Teenagern – ihre Eltern über alles liebte. Sie war ein Naturtalent, sportlich und galt als kommender Star. Sie besaß neben ihrer mitreißenden Ausstrahlung auch eine enorme Intelligenz, um die Welt zu verändern. Sie engagierte sich für benachteiligte Kinder, bedrohte Tiere und setze sich für ihr höchstes Gut ein. Unser aller Heimat: Unsere Erde. Sie war top in der Schule und dennoch konnte niemand ihrer Mitschüler neidisch auf sie sein. Sie war eben Elisa. Man konnte sie nur lieben. Eine großartige Zukunft lag vor ihr. Das sahen alle so. Von ihren Eltern über ihre Trainerin bis zu ihren Lehrern.
Umso größer ist die Trauer jetzt. Es ist nun über eine Woche her, in der Paul und Sandra keine Minute geschlafen haben. Gequält von Selbstvorwürfen, als Elisas Überreste in einer Urne im Erdreich für immer verschwinden.
Elisa machte sich an jenem Abend, es war kurz nach 21 Uhr, nach dem Turntraining allein auf den Weg nach Hause. Es waren ja gerade mal knapp fünf Kilometer. Was sollte schon passieren? Normalerweise fuhr sie diese Strecke mit ihrem Fahrrad. Doch diesmal war es anders. Paul brachte sie zur Turnhalle und fuhr weiter ins Büro seines Marketingunternehmens in der City, keine 10 Kilometer entfernt. Auf dem Rückweg sollte er seine Tochter wieder abholen. Doch dazu kam es nicht mehr. Seine Videokonferenz mit einem Kunden aus Übersee dauerte etwas länger und er war nicht rechtzeitig für sie da. Nach getaner Arbeit sah er auf dem Display seines Smartphones einen verpassten Anruf, den er sich auf der Mailbox anhörte, als er vom Büro zu seinem Wagen im Parkhaus eilte, um seine Tochter nicht noch länger warten zu lassen. Elisas letzte Worte. Ihre ruhige Stimme. Ein allerletztes Mal:
„Hi Papa, ich nehm’ an, du musst noch länger arbeiten. Macht nix. Ich jogge den Weg nach Hause. Ich lasse meine Sporttasche im Spind. Das Wetter ist noch schön und sollte halten. Ah, die frische Nachtluft tut so gut. Also, bis nachher.”
So war sie. Kein Vorwurf oder Gemecker. Noch einen Monat, dann hätte sie ihren Führerschein und ihr eigenes kleines E-Auto gehabt. So zumindest wurde gemunkelt. Und so hätte sie ihre Eltern entlasten können, die sie neben dem normalen Training im Verein dreimal in der Woche zum 60 Kilometer entfernten Olympiastützpunkt fuhren. Dabei empfanden Paul und Sandra dies nie als Belastung, sondern als Freude und Stolz bei ihrer Tochter zu sein und sie, wo immer es geht, zu unterstützen. Auf dem Weg zu einer erwachsenen, empathischen und sympathischen jungen Frau.
Wer macht sowas? Wieso? Wieso Elisa? Diese Fragen stellen sich Paul und Sandra, Tag für Tag. Und sie bekommen keine Antwort. Weder ihr Verstand, noch die klugen Köpfe der ermittelnden Polizeibeamten oder Seelsorger können weiterhelfen. Es gibt bislang keinerlei Hinweise oder Zeugen der grausamen Mordtat. Und so bleiben sie hilflos, allein gelassen. Auch, weil sie den Eindruck haben, dass sich die verantwortlichen Beamten nicht wirklich Mühe geben, den Mord aufzuklären und den Täter zu finden. Natürlich tun sie das. Doch für sie ist Elisa eben nur ein weiterer Fall. Ein Fall von vielen in unserer rauen, brutalen Welt. Paul und Sandra haben den Eindruck allerdings auch, da sie an jenem Abend nicht ernst genommen wurden, als sie die Polizei darüber verständigt hatten, dass ihre Tochter verschwunden sei. Die nette Dame am Telefon hat ihnen eingeredet, dass dies öfter vorkomme, sie sich keine Sorgen machen müssten, alles gut werden würde und Elisa am nächsten Tag wohl wieder auftauchen würde. So wie in 99 Prozent der Fälle. Sie sei mit Sicherheit nur bei ihrer Freundin und so weiter und so fort mit dem beschwichtigen Gerede. Heruntergeleierte Standardphrasen. Doch die nette Frau von der Polizei kannte Elisa nicht. Alle Versuche seitens Sandra, sie zu überzeugen, dass es nicht Elisas Art sei, sich nicht zu melden und sie genau dieses eine Prozent sein könnte oder ist, scheiterten am Telefon. Und so machten sich schließlich die Eltern selbst und allein auf die Suche nach ihrer Tochter, bis ihr Vater sie Stunden später tot in der Gasse einer Nebenstraße auffand. Er war es. Nicht die Polizei, dein Freund und Helfer. Und vielleicht hätte Elisa noch gerettet werden können, könnte noch leben, wenn wirklich alles Menschenmögliche unternommen worden wäre. Allein diese Vorstellung, diese Möglichkeit und der Unmut machen ihre Trauer noch größer. Und es scheint, als sollte es keine Gerechtigkeit geben. Elisa ist tot. Und ihr Mörder ist da draußen. Irgendwo. Ungestraft. Vielleicht sind sie ihm sogar schon begegnet? Auf der Beerdigung? Was, wenn der Killer sie verfolgt? Er wieder zuschlägt? Für Paul und Sandra ist das Leben nicht mehr dasselbe und wird es nie mehr sein. Ein Leben voller Kummer und Angst. Und immer wieder schleicht sich die Frage in ihre Köpfe: Wer ist das Monster?
Die Antwort sollten sie bekommen. Genau jetzt.
Am frühen Samstagmorgen, als die Sonne aufgeht und sich einen Kampf mit dem schleierartigen Frühnebel liefert, findet Paul einen Brief im Briefkasten und bringt ihn zusammen mit der Zeitung ins Haus. Er setzt sich zu Sandra, die sich auf ihrem Stuhl nach hinten zur Anrichte lehnt und zwei Sandwichtoastscheiben in den Toaster schiebt, an den Frühstückstisch in der Küche und zeigt ihr den Brief.
„Der war im Briefkasten. Anonym, ohne Absender.” Paul fühlt mit seiner Hand. „Da scheint etwas drin zu sein. Soll ich ihn öffnen?“
Sandra rückt näher an ihren Ehemann. „Ja, aber sei vorsichtig.”
Paul öffnet den Brief, der nicht zugeklebt ist und zieht eine Papierseite heraus, faltet sie auf. Der Text ist in Courier New geschrieben.
Hallo liebe Sandra und lieber Paul,
gleich vorweg: Habt keine Angst, ich will euch mit diesem Schreiben bloß helfen.
Paul hält inne und den Brief von sich weg. „Was soll der Schwachsinn?“
Sandra nimmt den Brief. „Lass mich mal.“
Ich habe mitbekommen und in der Presse verfolgt, was euch und eurer geliebten Tochter Elisa widerfahren ist. Ihr habt mein Mitgefühl. Ich kann mir vorstellen, dass ihr euch alleingelassen fühlt, weil die Polizei ihren Job nicht macht. Ich kenne das. Ich kann mich leider nicht persönlich vorstellen – zu meinem, aber vor allem zu eurem Schutz. Aber ich habe etwas für euch, das euch hilft, vielleicht mit dem Schmerz und der Trauer umzugehen. Zumindest ein wenig. So etwas wie Gerechtigkeit zu erfahren. Dieses Schreiben ist nur für euch bestimmt und ihr dürft es niemandem zeigen. Auch nicht der Polizei. Auf der Rückseite –
Sandra wendet kurz das Blatt und dreht es dann wieder um, um weiterzulesen.
– habe ich euren Zielort markiert. Er ist keine 10 Kilometer entfernt. Der Schlüssel öffnet die Tür. Die Tür zu eurem Frieden. Oder wenigstens ist es ein erster Schritt auf dem Weg dorthin.
Ihr werdet einen Mann sehen, der dort gefesselt auf einem Stuhl sitzt. Er wird flehen und betteln. Er wird alles versuchen, damit ihr ihn befreit. Doch lasst euch nicht von ihm täuschen. Ihr könnt mit ihm machen, was ihr wollt. Der Polizei übergeben oder Rache üben. Er ist mein Geschenk an euch: Der Mörder von Elisa!
Paul und Sandra sehen einander an. Sprachlos, perplex. Für einen Moment herrscht Totenstille. Lediglich das leise Ticken der Wanduhr.
Paul nimmt Sandra den Brief wieder aus der Hand und sieht ihn sich an. „Was zum?!“
„Was sollen wir machen?“, fragt Sandra. „Zur Polizei? Vielleicht können die was damit anfangen? Wenn das öfter vorkommt?“
„Da steht aber keine Polizei“, weist Paul hin.
„Ich weiß. Ich will nach diesem Desaster auch nicht zur Polizei“, gesteht Sandra beinahe resignierend, ehe sie sich weiterfragt. „Was, wenn das eine Falle ist? Wenn der Mörder das geschrieben hat?“
„Kann sein. Aber hört sich das für dich so an?“
„Keine Ahnung.“
„Ich weiß es auch nicht“, sagt Paul und legt den Brief vor sich auf den Tisch ab. „Ich bin skeptisch. Vielleicht ist das jemand, der gut schreiben kann. Nicht umsonst suchen die pädophilen kranken Spinner sich ihre Opfer in Chats aus, in dem sie sich als nett und vertrauenswürdig ausgeben und sie so um die Finger wickeln.“
„Ja, du hast Recht. Also? Was machen wir? Warten wir?“
Beide überlegen. Sie sehen sich gemeinsam wieder die Wegbeschreibung auf der Rückseite des Blattes an.
„Es ist echt nicht weit weg“, findet Paul.
„Willst du wirklich dort hinfahren?“
Er zuckt mit den Achseln „Aber was, wenn es doch stimmt?“
„Wieso sollte jemand diesen brutalen Killer schnappen, wenn die Polizei noch nicht mal irgendwelche Spuren oder Hinweise hat? Das macht mir Angst, Paul.“
„Du hast Recht. Das macht alles keinen Sinn. Das hier ist irgend so ein Irrer, der Aufmerksamkeit will. Weißt du was-?“ Er schnappt sich das Papier und ist drauf und dran es zu zerreißen, als ihn Sandra fest- und davon abhält.
„Warte, Schatz. Wenn wir sehr vorsichtig sind. Und dort hinfahren, einfach nur um–.“ Sie stockt und schaut ihn an. Mit einem Gesichtsausdruck, den Paul schon lange nicht mehr bei seiner Frau gesehen hat. Ein Hauch von Hoffnung.
Er zerreißt den Zettel nicht, harrt aus und schaut sie dabei ernst an. „Ja, was soll schon passieren? Außer, dass uns jemand auflauert und abknallt?“
Sandra atmet tief aus und sackt zusammen.
Er hebt ihr Kinn an. „Nein, ich stimme dir zu. Wenn es uns unheimlich vorkommt, fahren wir einfach weiter. Wir können dann immer noch die Polizei rufen.“
Sandra nimmt erneut das Papier und liest es sich noch einmal durch.
Paul schnappt sich den Briefumschlag und nimmt heraus, was er vor dem Öffnen abgetastet hat: Ein einzelner silberner Schlüssel.
„Sollen wir es tun? Jetzt?“, fragt Paul.
„Es ist unser einziger Hinweis.“
„Was sagt dein Bauchgefühl?“
Sandra nickt. „Haben wir noch was zu verlieren? Wir fahren dorthin. Wir tun es.“
Ihr Vollkornsandwich aus dem Toaster ist längst wieder abgekühlt und ihr Hunger auf Frühstück verflogen.
Früher als erwartet, machen sie sich auf den Weg. Die Hoffnung auf Erlösung ist stärker als die Vernunft oder die Ungewissheit, die sich weiter in ihr Herz frisst. Noch am selben frühen Morgen, in derselben Stunde folgen sie dem Navi in Richtung des gewünschten Zielorts. Folgen dem Wunsch nach Antworten und Gewissheit, wiewohl sie sich trotz der Zweifel immer wieder und wieder die Frage stellen, ob sie das Richtige tun. Doch sie müssen. Für sich. Für Elisa. In ihrer betrübten Lage machen die Worte in dem Schreiben ihnen Mut. Merkwürdigerweise mehr als das auf die Schulter-Geklopfe und all das Wird-schon-wieder. Bislang wurde nichts. Gar nichts. Und schon gar nicht gut.
Nur noch einen Kilometer entfernt, nähern sie sich der Autobahn. Und kurze Zeit später finden sie ihre Destination: Ein etwa 4x4 Meter großer, quadratischer Betonklotz, wie ein Schuppen, in dem sich vermutlich Straßenbaumaterial oder Stromkästen befinden. Unscheinbar und doch prominent steht er da, neben den massiven Brückenpfeilern der darüber liegenden Autobahn isoliert. Gute 20 Meter ringsum beginnen der Grünstreifen und Gebüsch, die zu ewig weiten Rapsfeldern dahinter führen. Einzig der Lärm der über ihnen vorbeirasenden Fahrzeuge schallt zwischen den grauen Füßen der Autobahnbrücke hindurch. Paul und Sandra halten auf dem schmalen Schotterweg an, der zum Schuppen führt, noch gute 30 Meter entfernt. Sie sehen sich nervös und angespannt um. Sandra dreht die ohnehin nur leise im Hintergrund laufende Radiomusik aus.
„Hier isses wohl“, mutmaßt Paul, schaltet den Motor ab. „Wir warten erst mal, bevor wir aussteigen oder irgendwas machen. Sieh dich um und sag mir, wenn du irgendwas, irgendjemanden ausmachst, der uns beobachten könnte.“
Sandra nickt und sie harren im Wagen aus, beide mit wippenden Beinen. Fünf Minuten vergehen, die ihnen wie fünf Stunden vorkommen. Ohne jegliche Bewegung in der Umgebung bis auf ein braunrotes Eichhörnchen, das kurz aus dem Busch hüpft, sich zwei ehemals von ihm versteckte Haselnüsse in die Backentaschen schiebt und genauso schnell im Dickicht verschwindet, wie es gekommen war. Ansonsten alles unverändert. Sie und der Betonschuppen. Und diese gewaltige Anspannung.
„Okay, ich sehe keinen, auch nicht in den Hecken. Ich fahr näher ran.“
„Langsam und vorsichtig.“
Paul startet den Motor und sie rollen etwas langsamer als Schrittgeschwindigkeit auf die graue Stahltür zu. Sie ist mit einem robusten Vorhängeschloss versehen. Der Schotter knirscht unter dem schwarzen Gummi der Reifen. Sie halten etwa acht Meter davor an.
Paul streckt seine Hand nach Sandra aus, ohne den Blick vom Schuppen zu wenden. „Gut, gib mir den Schlüssel.“
„Ich komme mit“, spricht sie mit dem silbernen Schlüssel fest in der Hand umschlossen.
„Nein, bleib du im Auto.“
Sandra behält den Schlüssel und insistiert „Ich komme mit dir, Paul.“
Sie sehen einander ernst an.
Widerwillig erkennt Paul an, dass er seine Frau nicht überzeugen und davon abbringen kann.
Gleichzeitig öffnen sie ihre Autotüren. Sie gehen nach vorne an der warmen Motorhaube vorbei Richtung Tür. Davor angekommen, streckt Paul seine Hand erneut nach dem Schlüssel aus, ohne weiter die Umgebung abzuscannen. Sandra legt ihm den Schlüssel auf die Handinnenfläche.
„Halte du weiter Ausschau, Sandy.“ Paul versucht mit seinen zittrigen, schweißnassen Händen den Schlüssel ins Vorhängeschloss zu stecken. Schließlich gelingt es ihm und er dreht ihn um. Das Schloss springt auf. Er zieht es ab und schiebt den Riegel zurück und die Tür mit einem rostig-stählernem Kreischen und Quietschen auf. Der Pulsschlag der beiden rast. Ihr Blut, angefüllt mit Adrenalin, durchströmt jeden Muskel ihrer Körper. Es ist der mentale Stress, der erbarmungslos an ihren Nerven zerrt.
Paul hängt das Vorhängeschloss an den Türriegel und späht vorsichtig hinein, während Sandra die Umgebung draußen im Blick behält. Es scheint, als seien sie allein. Der größer werdende Streifen des hereinfallenden Lichts flutet langsam den kalten, dunklen Raum ohne Fenster. Bedächtig schiebt Paul die Tür ächzend im Scharnier weiter auf und wagt einen ersten Schritt hinein. Stickige Luft schwappt ihm dabei entgegen. Er erschreckt, als mit einem kurzen Klicken die einzige LED-Leuchtröhre an der Decke anspringt. Was er vor sich sieht, lässt ihn auf der Stelle gefrieren. Der Raum ist komplett leer, bis auf diesen hageren MANN (Mitte 30) hinten an der Rückwand. Sieben-Tage-Bart, braunes, mittellanges, gewelltes, schweißnass-verklebtes Haar, das ihm ins Gesicht hängt. Gefesselt mit Seilen und silbernem Duct Tape an einem Holzstuhl, seinen Kopf kraftlos auf seiner Brust abgestützt. Oberkörperfrei, nackte Füße, nur mit einer Jeans gekleidet, Tape über seinem Mund, das seine Hilferufe verstummen lässt, nachdem er zur Tür blickt. Zuerst geblendet vom grellen Licht, zeigen seine weit aufgerissenen Augen schiere Angst, als er die dunkle Silhouette von Paul an der Tür stehen sieht. Die Zeit steht still und auch Sandra tritt an Pauls Seite, ist schockiert über den Anblick, der sich ihr bietet.
Es ist tatsächlich wahr. Was sie insgeheim als makabren Scherz vermutet hatten, scheint plötzlich in diesem Moment knallharte Realität. Vor ihnen sitzt ein gefesselter, hilfloser, verängstigter, nassgeschwitzter Mann. Sein Aussehen und die Lage, in der er sich befindet, erinnern an Jesus am Kreuze. Ist er tatsächlich der Mörder von Elisa? Fühlen die beiden es nicht? Jetzt von Angesicht zu Angesicht? Würden sie es als Eltern nicht irgendwie spüren, wenn er es tatsächlich war, der ihnen ihre geliebte Tochter für immer genommen hat? Ja, irgendwie ist das Gefühl da. Doch auch noch etliche mehr. Wen wundert’s?
Paul zieht Sandra zu sich und nimmt sie in den Arm. „Komm.“
Sie machen einander stützend gemeinsam einen weiteren Schritt in den Raum. Sie schrecken kurz auf, als die Stahltür hinter ihnen zufällt. Pure Physik. Es ist ihnen keiner gefolgt. Niemand hat sie von außen zugeschlagen, sind sie sich sicher.
„Verdammt, was machen wir jetzt bloß?“, fragt Sandra und krallt sich an Pauls Oberarm fest. Eine ihrer möglichen Antworten liegt vor ihnen, prominent in der Mitte des Raumes: Ein massives Fleischermesser mit Holzgriff.
„Wer immer uns die Nachricht geschickt hat, hat an alles gedacht“, sagt Paul süffisant und kaschiert so seine innere, aufgeregte Gefühlswelt.
Sie treten zusammen mit kleinen Schritten näher und bleiben vor dem glänzenden Stahl der großen, funkelnden Edelstahlklinge stehen.
Die verstummten Schreie unter dem silbernen Panzertape schallen ihnen im Betonklotz entgegen. Seine Augen schreien jetzt noch lauter nach Hilfe.
„Was, wenn er es nicht ist?“, hat Sandra berechtigte Bedenken.
Der Mann wackelt weiter hilflos auf dem Stuhl herum und scheint mit wildem Kopfnicken Sandras geäußerte Frage und These unterstützen zu wollen.
„Schatz, wir sind hierhergekommen. Wir wollten Antworten“, sagt Paul nüchtern und zeigt auf den Mann. „Ob er es war oder nicht – von ihm kriegen wir sie.“ Er will auf den Mann zugehen, als sich Sandra, mit all ihrem Gewicht der gerade mal 60 Kilo, an ihm festklammert. „Pass auf.“
„Ja.“ Er, nimmt sanft ihre Hände von seinem Arm und nähert sich dem Gefesselten bis auf etwa anderthalb Meter.
Sandra bückt sich und hebt mit kalten, bibbernden Händen das Messer vom Boden auf.
Als Paul dem Mann nur noch eine Armlänge gegenübersteht, harrt er aus und lauscht den flehenden Worten hinter dem Tape, die nicht sehr schwerverständlich sind: „Hilfe. Helft mir. Bitte.“
Paul zögert, zeigt dem Mann mit seiner linken Hand den Zeigefinger, um ihn zu beruhigen und legt dann seine rechte Hand an das Tape und reißt es mit einem Ruck vom Mund des Fremden ab.
Außer Atem und hektisch fleht der Gefesselte, mit dringlicher und gedämpfter Stimme, wobei Paul instinktiv einen Schritt zurück macht.
„Danke. Ihr müsst mich befreien. Schnell! Bevor er zurückkommt! Bitte! Los, beeilt euch!“
„Bevor wer zurückkommt?“, fragt Paul nach.
„Der Kerl, der das getan hat! Er hat mich entführt. Ich– ich weiß nicht, wer er ist. Er hat mich überfallen, betäubt und – und verdammt dann bin ich hier aufgewacht.“
„Du hast also keine Ahnung, warum du hier bist?“, möchte Paul wissen.
„Nein, bitte macht mich los. Keinen blassen Dunst. Ich hab Geld, vielleicht wollte er mich erpressen. Ich– ich geb’ euch alles, was ihr wollt, ich will nur nicht–“
Sandra rückt an die Seite ihres Gatten und zerrt ihn wieder am Arm zurück, weg von dem hysterischen Fremden. „Erinnerst du dich, Paul? Er würde alles sagen“, meint Sandra.
Der Mann, mit wässrigen Augen. „Ja, aber das ist die Wahrheit!“
Paul greift in seine Hosentasche und nimmt seine Brieftasche heraus, klappt sie auf. Er tritt wieder vorsichtig zu dem Mann und zeigt ihm die aufgeklappte Brieftasche. Ein Foto von Elisa, das sie zwischen den Armen ihrer Eltern vor knapp einem Jahr an ihrem 16. Geburtstag zeigt. Froh und lächelnd.
„Kennst du dieses Mädchen?“, fragt Paul.
Der Mann sieht hin, allerdings fast nur beiläufig, er will einfach nur noch weg. Nein, lautet seine Antwort, da er wild mit dem Kopf schüttelt.
Paul gibt sich damit nicht zufrieden. „Sieh sie dir genau an oder du verrottest hier!“
„Tut mir leid, ich will doch nur–“ Er schaut sich das Foto jetzt genauer an und hält inne. „Nein, ich kenne sie nicht.“
Kurz bevor Paul entnervt die Brieftasche zuklappen will, dann doch.
„Moment! Ein bisschen näher. Bitte!“
„Pass auf, Schatz“, sagt Sandra zum gefühlt zehnten Mal.
Paul nickt und zeigt ihm das Foto aus naher Distanz, in Schlagweite.
„Ja.“ Der Mann kneift die Augen. Seine durch die Tränen verschwommene Sicht klart sich auf. „Ja. Doch! Jetzt weiß ich es! Ich hab sie gesehen!“, platzt es aus ihm heraus.
Paul zieht die Brieftasche weg und steckt sie ein. „Bullshit! Du hast sie getötet!“, schreit er wutentbrannt.
Der Mann wehrt sich energisch. „Nein! Nein! Hab ich nicht! Ich schwör‘s! Es stimmt, ich hab sie gesehen, bevor– “
„Wo hast du sie gesehen, hä?!“, fällt ihm Paul ins Wort, ballt seine Faust, kurz davor ihn am Hals zu packen und ihm eine reinzuhauen.
„Abends auf der Straße. Vor vielleicht zwei Wochen?! Ist das – ist das wirklich eure Tochter?“
Paul macht einen Schritt zu Sandra zurück, versucht sich zu sammeln.
„Ich erinner‘ mich jetzt wieder ganz genau. Das Mädchen aus den Nachrichten. Ja, an dem Abend. Sie war zu Fuß unterwegs, ist gejoggt. Sie hat mich freundlich gegrüßt. Ich war mit meinem Hund Gassi. Sie hat kurz Halt gemacht, Benno gestreichelt. Wir haben kurz geredet.“
„Was?“ Paul ist nicht überzeugt, aber dennoch schleichen sich bei ihm gemischte Gefühle ein, wo er die vermeintlich letzten Augenblicke von Elisas Leben hört.
„Smalltalk. Sie hat gesagt, dass sie Tiere mag. Alle Tiere. Sie hat gestrahlt. Sie war so herzlich.“
Paul und Sandra kämpfen um Fassung, weil genau so ihre Elisa war. Es ist glaubhaft.
„Sie ging dann weiter und dann– “ Der Mann stockt kurz, überlegt – „Ja, es macht jetzt Sinn: Kurz später, vielleicht nicht mal ne halbe Minute oder so, ist ein Lieferwagen an mir vorbeigefahren. Ein weißer– oder Moment, jedenfalls ein heller. Ich erinner’ mich, weil er so langsam gefahren ist. Vielleicht ein bisschen schneller als Schritttempo. Es war auf jeden Fall merkwürdig. Aber hab mir nix Schlimmes dabei gedacht. Dacht’ halt nur, gut, er fährt vorsichtig, weil Benno noch ein bisschen aufgedreht und aufgewühlt war, nach der Streicheleinheit und dem Spielen mit – mit ihrer Tochter. Er ist ja fast auf die Straße gesprungen.“
„Hast du dir das Nummernschild gemerkt?“, fragt Paul.
„Nein, wie gesagt, ich hatte ja keine Ahnung. Wer rechnet denn mit sowas!?“
„Stand was auf dem Wagen. Ein Firmenname? Irgendwas?“
„Nein, ich weiß nur, die Fenster – ja, die Fenster waren verdunkelt. Ich konnte niemanden erkennen. Aber was, wenn das der Kerl ist? Macht mich los, bitte. Wir gehen sofort gemeinsam zur Polizei. Vielleicht kann ich euch ja noch mehr helfen, aber wir müssen–“
„Warum sollte er das hier tun?“, will Paul wissen. „Er hat uns ein Schreiben geschickt. Dort steht, dass er den verdammten Täter hat. Und das bist du!“
„Nein, nein! Überlegt doch mal! Er denkt, ich bin ein potentieller Zeuge! Ich weiß nicht, was in seinem kranken Hirn vorgeht. Aber vielleicht will er wissen, was ich weiß oder mich einfach nur umbringen! Und jetzt hat er auch noch euch! Die Eltern von seinem Opfer! Was, wenn das sein Plan war? Stellt euch das vor! Das geilt ihn auf, oder so! Wir müssen hier weg. Ich flehe euch an. Der kranke Bastard zieht hier sein scheiß Spiel ab. Und wer weiß, was er noch alles geplant hat! Oder warum seid ihr hier ohne Polizei?“
Paul und Sandra sehen einander an, Verzweiflung und große Fragezeichen in ihren Gesichtern. Ihre Emotionen sind nicht mehr greifbar. Was sollen sie bloß tun?
„Okay, dann ruft doch bitte jetzt wenigstens die Polizei. Oder bindet mich endlich los. Was soll ich euch denn antun? Ihr habt das Messer von dem Dreckschwein?! Er wollte, dass ihr mich tötet. Ihr macht für ihn die Drecksarbeit! Verflucht, seht ihr das nicht?!“
„Jetzt sei still!“, befiehlt Paul und wendet sich Sandra zu. „Ich kann das nicht mehr hören.“
„Bitte macht mich los. Ich dreh durch, ich hab Durst, mir ist schlecht. Ich hasse es, gefesselt, eingeengt zu sein. Ich halt’s – ich halt’s nicht mehr aus. Verdammt.“ Er beginnt zu zittern. „Ich krieg kaum noch Luft. Mein Hals- schnürt sich-“ Er verdreht die Augen, schluckt und bekommt keine Luft. Seine Venen treten an seiner Stirn und seinem Hals hervor. Sein Kopf rötet sich in all seiner Panik.
Paul und Sandra sehen erneut einander an. Ebenso fragend und hilflos.
„Shit, dem geht’s echt nicht gut“, deutet Paul nicht ganz unbegründet.
Der Mann röchelt. „Mein Asthma, ich– ich–bitte-“
Sandra rennt zu dem Mann und beginnt mit dem Messer die Seile und das Tape an dessen Händen hinter der Stuhllehne durchzuschneiden.
„Ey, was machst du!?“, fragt Paul entsetzt über das beherzte Eingreifen seiner Frau.
„Er braucht Hilfe“, sagt Sandra, während sie neben ihm gebeugt die Fesseln durchtrennt.
„Er spielt das nur vor!“, schreit Paul, eilt zu Sandra, zerrt sie zurück in sichere Distanz, vier Meter weg von dem Gefesselten bis an die Rückwand neben der geschlossenen Tür und nimmt ihr das Messer aus der Hand.
Der Mann kämpft noch immer und befreit sich von den Resten seiner Handfesseln. Er beugt sich nach vorne runter zu seinen Füßen und versucht sich auch hier von den Seilen und dem Tape zu befreien.
Paul und Sandra schauen zu, wie er es vergeblich versucht. Entkräftet sackt er mit seiner Brust auf seinen Oberschenkeln zusammen, ringt nach Luft, röchelt. Heiseres Wehgeschrei. Sein Brustkorb hebt sich nur noch schwach.
Sandra schaut ernst zu ihrem Ehemann. „Hilf ihm, bitte! Er schafft es nicht.“
Paul nickt und geht auf den Mann zu und bleibt auf halber Strecke stehen. „Hey, beruhig dich. Ich helfe dir. Atme tief durch, ja?“
Der Mann zeigt keine Reaktion, sein Oberkörper weiter vornüber gebeugt. Seine Arme schlaff am Boden über seinen Fußfesseln baumelnd. „Ja, okay“, sagt er leise, heiser und mit wenig Luft in seiner Kehle „Danke. Ich- ich versuch- ich beruhige – mich.“ Seine Atmung verlangsamt sich tatsächlich und er richtet sich vorsichtig auf, lehnt sich zurück, atmet durch und blickt erschöpft zur Decke, schluckt schwer.
Paul sieht zu Sandra nach hinten, die ihm zunickt. Er geht zu dem Kerl, schaut ihm ernst in die Augen und nimmt dessen kühlen, zittrigen Hände. „Ich mach dich jetzt los. Und dann hauen wir gemeinsam hier ab, ja?“
Der Mann nickt bloß.
„Dann wird sich alles klären“, verspricht Paul. „Entspann dich.“
„Danke“, flüstert der Mann erschöpft. „Ich weiß, ihr könntet jetzt einfach gehen. Ich danke euch- wirklich.“
Paul sieht die echte und ehrliche Dankbarkeit und Hoffnung in den Augen seines Gegenübers. „Okay.“ Er kniet sich zu Füßen des Mannes, während Sandra weiter an der Wand nervös umhertippelt und an ihren restlich vorhandenen Fingernägeln kaut.
Ein mattgrauer Audi RS 5 rast über die Autobahn. Der Fahrer des Sportwagens sieht die Bilder, die sich im Betonraum abspielen auf dem Display der Mittelkonsole. „Shit!“ Er schaltet die Gänge durch und schießt kreuz und quer an den anderen, hupenden Verkehrsteilnehmern vorbei. Ihm gefällt überhaupt nicht, was er da sieht. Doch er ist unterwegs.
Im Betonklotz bricht ein Surren und Klingeln plötzlich die eingekehrte Stille, die nur vom Reißen der Fasern der Seile und des Panzertapes beim Zerschneiden begleitet wird. Alle drei halten inne.
„Ein Handy?!“, fragt Paul.
Sandra sieht sich um und findet das aufleuchtende Display in der rechten Ecke der Türseite des Raums. Sie geht hin und hebt es auf.
Gebannt schauen auch ihr Mann und der Gefangene zu ihr.
„Scheiße! Das ist der Kerl! Verdammt, er beobachtet uns!“ schreit der Gefesselte und zeigt jetzt auf die kleine Kamera, die an der Wand über der Tür angebracht ist. Sie erkennen den roten, leuchtenden Punkt: Aufnahme.
Das Surren und Klingeln des Smartphones stoppt und Sandra sieht auf das Display, auf dem ein Foto des Mannes erscheint. Gefesselt auf dem Stuhl sitzend. Fast in der gleichen Position, wie sie ihn vor wenigen Minuten vorgefunden haben.
„Was ist da?“, will Paul von seiner Frau wissen.
Sie starrt verwirrt auf das Display des Smartphones. „Ein Foto“, teilt sie mit. „Nein.“ Sie erkennt jetzt das Dreieck auf dem Bild, das wir als Playtaste-Symbol kennen. „Es ist ein Video.“ Sie drückt Play und das Video startet.
Auf dem Video ist der Gefesselte, nassgeschwitzt, wimmernd.
Sandra schaut sich den Clip an.
„Seht es euch nicht an. Wir müssen weg! Er kommt!“, fordert der nicht mehr ganz Gefesselte in Jetztzeit auf seinem Stuhl.
Doch Elisas Eltern harren aus. Sandras Blicke sind auf dem Display gebannt.
Paul noch immer zu Füßen des Mannes kniend. „Sandra, was siehst du?“
Der Gefesselte umgreift eines der Seile, die noch als Fetzen um seine Hände hängen.
„Sandra?“ Paul will gerade aufstehen, als der Mann das Seil straff spannt und mit einem Ruck über Pauls Kopf und um dessen Hals schleudert und mit voller Kraft zuzieht.
Komplett überrascht, verliert Paul sein Gleichgewicht und das Messer. Er wird von dem Mann abgefangen, der aufsteht und das Seil um Pauls Kehle weiter zuzerrt.
Jetzt röchelt Paul in den Fängen des Mannes und sieht mit hilflosen, mit Todesangst gefüllten Augen, die von dem massiven Druck hervortreten, zu Sandra.
Die lässt unter Schock das Smartphone fallen und kommt wieder in der Realität an. „Was zum–?!“
„Halt dein Maul und komm her, du Drecksschlampe!“, schreit der nun Entfesselte, Paul wie eine Puppe vor sich herzerrend. „Leg dich auf den Boden!“, fordert er Sandra auf.
„Tu ihm nichts! Wir wollen nur-“
„Los! Sofort mit deiner scheiß Fresse auf den Boden!“ Er zieht noch heftiger die Schlinge um Pauls Hals zu.
Dessen Kehlkopf und pulsierende Halsschlagader werden weiter zusammengedrückt. Paul kämpft um sein Bewusstsein. Doch sein Blick verschwimmt. Nur noch der fahle Umriss seiner Ehefrau, ehe sie ganz im Schwarz verschwindet.
Sandra hebt hektisch ihre Hände zur Ergebung. „Beruhig dich, ich versteh dich–“
„Du verstehst gar nix!“, brüllt der Mann durch seine aufeinander gepressten Zähne und mit schierer Wut in seinen dunklen Augen.
Zur gleichen Zeit. An einem anderen Ort. Totale Finsternis. Er ist abgemagert, seine Haut blass. Noah. Zehn Jahre. Er kauert in seinem dünnen, grauen Hemdchen unter dem kleinen Kellerfenster, das mit Brettern und Schaumstoff versiegelt wurde. Somit blieben seine Schreie jetzt schon seit über zwei Jahren ungehört. Etwa seit dem gleichen Zeitraum hat Noah kein Wort mehr gesprochen. Er ist verstummt. Die Dunkelheit frisst allmählich sein Augenlicht auf. Ohne jemals wieder das Sonnenlicht gesehen zu haben.
Seit dem Schicksalstag, als er von einem scheinbar netten Onkel auf dem Spielplatz ein zuckersüßes Schoko-Eis versprochen bekam. Ab diesem Moment ließ ihn die eisige Kälte nie wieder los. Anfangs kämpfte Noah noch. Inzwischen ist er ausgemergelt, krank, sowohl physisch als auch psychisch. Gebrochen, seiner Kindheit, seiner Freunde, seiner Eltern beraubt. Diese haben die Suche nach ihrem Kind nicht aufgegeben. Würden sie ihn je wieder sehen? Ihr Junge ist weit weit weg. Auch hunderte Kilometer aus dem Kreis der beiden übrig gebliebenen Kriminalbeamten, die sich noch immer mit dem Vermisstenfall beschäftigen. Allerdings nur noch pro Forma, da seit Monaten keinerlei brauchbare Hinweise mehr auftauchen. Doch Noah lebt noch. In den Gedanken seiner Eltern. Nur, dass ihre Erinnerungen an ihren Sohn mit jedem Tag verblassen. Die Hoffnung jedoch nicht aufgebend.
Noah zuckt zusammen und umschließt mit seinen dünnen Unterärmchen seine Schienbeine und schmiegt sich an die Wand des kleinen Bunkerraums, der lediglich ein Bettchen, einen Tisch und zwei Stühle beherbergt. Er beginnt zu zittern, denn er weiß, was gleich geschieht.
Ein Lichtstrahl schiebt sich unter der Tür hindurch. Das Knarren der Holztreppe. Er hört die Schritte aus dem Flur, die näher kommen.
Noahs kleines, krankes Kinderherz pocht und rast. Er schließt die Augen, kneift sie fest zu. Gänsehaut am ganzen Körper. Mit einem Klicken wird die robuste Stahltür entriegelt.
Er ist da.
Die Tür schiebt sich auf. Gleißendes Licht aus dem Flur fällt hinein.
Und über Noah, sein alltägliches Martyrium. Sein Wille zu leben verliert langsam den Kampf gegen seinen Wunsch zu sterben. Was ihm bleibt, ist lediglich das Hoffen auf ein Wunder. Auf Erlösung. Oder auf einen Erlöser.
Halte den kleinen Noah in deiner Erinnerung. Er wird Erlösung finden…
Greller, fetter Vollmond – hat aber nichts zu bedeuten, es geht ja nicht um Werwölfe, Vampire oder Geisterscheiß. Dennoch ist es ein offensichtlich böses Omen. Kurz vor Mitternacht hält in der Ferne ein silberner 5er BMW auf der Seitenstraße des ruhigen Spießervororts mit einem Ü70 Durchschnittsalter. Ein im schicken Anzug gekleideter, schmieriger Schönling sitzt auf dem Beifahrersitz der Limousine. In diesem Dress ist er kaum noch wiederzuerkennen: Der ehemals gefesselte Jesus aus dem Betonraum. Doch er ist es wirklich. Nur eben frisch rasiert und parfümiert, beinahe der perfekte Schwiegersohn. Er schaut rüber auf die gut zehn Jahre ältere Fahrerin.
Sie trägt ein elegantes, schwarzes Ausgehkleid. In ihren Augen funkelt Liebe. In seinen eher nicht.
Allerdings lässt er es sich nicht anmerken und verabschiedet sich mit einem leidenschaftlichen Kuss.
„Nochmal, es tut mir leid, dass ich mich nicht gemeldet habe“, entschuldigt er sich bei der Dame, nachdem sich ihre Lippen nach Sekunden wieder voneinander lösen. „Aber mir kam da was dazwischen.“
Die feine Lady nickt verständnisvoll „Hättest ja nur kurz texten brauchen“, wirft sie ihm dennoch vor.
„Mein Fehler. Kommt nicht wieder vor.“ Er greift zum Türgriff, um auszusteigen.
Sie hält ihn an der linken Hand fest, an der sich noch die dunkelroten Striemen der Seile befinden. „Sehen wir uns morgen wieder?“
„Klar, selbe Zeit“, antwortet er nüchtern. Noch ein schneller Schmatzer und er klettert aus dem Wagen.
Sie sieht ihm verliebt hinterher, wie er sein kleines, ebenerdiges Einfamilienhaus betritt, sich nochmal umschaut und ihr zum Abschied winkt, bevor er die Tür schließt.
Drinnen lehnt er sich entkräftet an die Haustür an, atmet durch und fasst seine Gedanken.
Eigentlich habe ich im Moment Wichtigeres zu tun als hier weiter den Lover zu spielen. Aber es ist das Beste, sie bei Laune zu halten. Trotzdem muss ich unbedingt so schnell wie möglich herausfinden, wie das alles passieren konnte. Wer ist hinter mir her? Wer wagt es, sich mit mir anzulegen? Fakt ist, ich muss verdammt aufpassen und irgendwas unternehmen.
Er stößt sich von der Tür ab, kratzt sich kurz zwischen Zeigefinger und Daumen seiner rechten Hand und geht weiter durch den Flur. Im Wohnzimmer entledigt er sich seines grauen Anzugs, schnappt sich eine Whiskyflasche vom Tisch, flaniert zum antiken Holzschrank, aus dem er ein Fotoalbum herausnimmt und lässt sich danach auf die Couch fallen. Nach zwei kräftigen Zügen und der seelischen Auffrischung widmet er sich dem Album auf seinem Schoß:
Bilder von sich zusammen mit einer jungen Frau, definitiv nicht dieselbe Schnepfe, die er vorhin ausführte. Darauf auch zu erkennen: Ein kleiner Junge im Alter von vier Jahren.
Er trinkt den Rest billigen Fusels aus der Flasche, als er aus der Küche ein metallisches Klirren hört – als ob eine Gabel oder ein Löffel aus Geisterhand zu Boden fiel. Er hält inne, stellt die Flasche vor sich auf den Tisch und lauscht. „Rex, ich bin zu Hause. Ich komme ja.“
Er rafft sich mit einem angestrengten Stöhnen auf und geht in Richtung des Flurs, der zur Küche führt.
Rex kommt ihm entgegengeflattert. Der grün-gelbe Papagei von der Größe einer Elster fliegt an ihm vorbei und setzt sich auf die Lehne der Couch im Wohnzimmer.
Der Mann bleibt stehen und schaut ihm hinterher. „Bist du schon wieder ausgebüxt, du kleiner Scheißer? Wenn ich irgendwann in den Knast wander’, gibst du mir Tipps, hast du kapiert? Warte, ich hol dir was zu futtern.“ Er lacht, stolziert durch den Flur, biegt in die Küche und knipst das Licht an. Er schlendert geradewegs zum Schrank und will ihn öffnen, als es passiert:
Ein Kerl, komplett in pechschwarz gehüllter, sportlicher Kleidung, Latexhandschuhe und Sturmhaube, hat ihm aufgelauert und attackiert ihn von der Seite, presst ihm ein mit Chloroform getränktes Tuch vor Mund und Nase. Der Angreifer steht jetzt hinter ihm und hat ihn mit seiner zweiten Hand um den Hals fest im Griff, drückt ihm die Luft ab. Der Kampf ist bereits nach wenigen Sekunden vorbei. Klar, etwas langweilig, aber effektiv und effizient. Der Mann sackt bewusstlos vor dem Eindringling zusammen, still beobachtet vom gefiederten Augenzeugen namens Rex, der auf die Anrichte geflogen ist und noch immer auf sein versprochenes Futter wartet.
Der Fremde marschiert ins Wohnzimmer, sieht das Fotoalbum auf dem Wohnzimmertisch und nimmt es auf.
Knappe 15 Minuten später regt sich der Mann. Er kommt langsam wieder zu sich. Er kneift seine Augen, geblendet vom grellen Licht der Wohnzimmerlampe, die über ihm baumelt. Er findet sich todsicher fixiert mit Seilen und Tape auf seinem Wohnzimmertisch vor, das Fotoalbum auf seiner Brust. Er dreht vorsichtig seinen Kopf und erblickt den vermummten Fremden zwei Meter rechts neben ihm vor der Couch mit verschränkten Armen stehen, ihn regungslos unter seiner Sturmhaube anstarrend.
„Nicht schon wieder, hm?“, fragt der Fremde mit dunkler Stimme. „Diesmal noch etwas bequemer in Liegeposition. Und sogar direkt bei dir Zuhause.“
Der Mann erlangt immer mehr sein Bewusstsein zurück. „Was – soll das, du – Bastard?“, sagt er noch ein wenig stammelnd und versucht vergebens, sich von seinen Fesseln zu befreien. „Bring mich einfach um, wenn du die Eier dazu hast, du verdammter Wichser!“
„Mich beleidigen? In deiner Situation? Nicht sehr schlau“, entgegnet der Maskierte und macht zwei Schritte zum Gefesselten hin und beugt sich über ihn. „Aber das ist egal. Ich kann dich beruhigen. Dein Wunsch geht in Erfüllung. Du wirst gleich sterben“, verspricht er kühl und nüchtern.
„Was denkst du, wer du bist, hä?! Was willst du, verdammt nochmal?“
„Indirekt hattest du eine Chance, obwohl du sie nicht verdient hast.“
„Jetzt halt dein Maul mit dem Scheiß und mach mich los!“
„Oh wie hast du vor und nach deinem Geständnis auf Band gewimmert und hoch und heilig versprochen, dass du dich ändern wirst, niemanden mehr verletzen willst. Ja, ich hab dich nicht getötet. Das muss ich mir vorwerfen. Du…“ Der Fremde tippt mit seinem im Handschuh gehüllten Zeigefinger respektlos auf die Stirn des Mannes. „...Du hast mit deinem Gelalle Elisas Eltern tatsächlich dazu gebracht, dich zu befreien.“ Er richtet sich wieder auf. „Warum bist du nicht einfach abgehauen? Sag mir, warum musstest du auch noch diejenigen umbringen, die dir helfen wollten?“
„Scheiße! Halt dein verficktes Maul!“, schreit der Mann voller Zorn. „Du denkst, du bist so clever, hä!“
„Weißt du, über die Jahre hab ich festgestellt: Es gibt einfach Menschen wie dich. Die sind nicht mehr resozialisierbar. Egal, was man versucht. Auch der beste Psychotherapeut der Welt schafft es nicht. Und es tut mir auch leid, was immer dich zu so einem kranken Arschloch gemacht hat. Aber du bist – wie du es leider wieder bewiesen hast – nur noch eine unkalkulierbare Gefahr für unsere Mitmenschen. Eine tickende Zeitbombe, die jeden treffen kann. Der letzte Abschaum.“
„Und was bist du?!“, knirscht der Gefesselte vor Wut durch die Zähne. „Der Selbstjustizgott, oder was? Ich sag dir was: Ich scheiß’ auf dich!“
Der Fremde schüttelt den Kopf. „Im Gegenteil, eigentlich verurteile ich Selbstjustiz.“ Er zieht ein Fleischermesser hinter seinem Rücken hervor, führt es in Zeitlupe an den Augen des Mannes vorbei. „Erkennst du das Messer hier?“ Dann setzt er die Klinge an dessen Kehle an.
„Mir doch scheißegal! Fick dich, du Schwuchtel!“
Der Fremde wechselt den normalen Handgriff um das Messer und dreht die Klinge um 90 Grad, sodass die Messerspitze genau auf den Kehlkopf des Mannes drückt. „Letzte Chance, dass das nicht deine letzten Worte waren, mit denen du dich für immer von dieser Welt verabschiedest. Im Nichts verschwindest.“
Der Mann spürt bereits die scharfe Klinge an seiner Kehle kratzen. Die Spitze durchdringt die erste Hautschicht. Er setzt ein Lächeln auf, das den puren Wahnsinn in seinen Augen zeigt. „FUCK – YOU!“ Er lacht, wobei sich sein bebender Kehlkopf an der Messerspitze aufreibt.
„Okay.“ Der Fremde setzt die Klinge wieder ab.
Der Mann lacht weiter und lauter. „Ich wusste es! Du kannst es nicht! Ich erkenne so jemanden wie dich sofort. Ein kleiner Schlappschwanz, ein scheiß Schwätzer! Ich bin ein echter Killer. Und ich kill’ dich, du Scheißarschloch.“
Der Fremde führt dem Mann den Griff des Messers vor Augen. Auf dem braunen Edelholz sind etwa ein Dutzend kleine Einkerbungen eingeritzt.
„Erkennst du jetzt, wem das Messer gehört?“, fragt der Maskierte.
Der Mann hört mit einem Mal auf zu lachen, ist sprachlos, stumm.
„Ja, es ist deine Mordwaffe. Dein Heiligtum. Damit hast du bereits zu viele Mädchen und Frauen auf bestialische Weise getötet. So auch Elisa und ihre Eltern. Du hast mittlerweile viel zu viel auf dem Kerbholz.“
Der Mann schweigt weiter als ob man ihm sein größtes Machtwerkzeug genommen habe.
Der Eindringling legt das Messer neben dem Kopf des Gefesselten auf dem Tisch ab und nimmt eine silberne Taperolle, von der er ein Stück abreißt und es über den nun wortfaulen Mund seines Opfers klebt. „Bevor du stirbst, hole ich mir noch was zurück.“ Der Fremde legt die Rolle zur Seite und nimmt das Messer wieder auf. Mit seiner Linken erfühlt er die auf dem Tisch gefesselte rechte Hand des Mannes. Zwischen Daumen und Zeigefinger.
Vorerst hauptsächlich in Schweden steigt auch hierzulande die Anzahl der Menschen, die sich freiwillig einen Mikrochip unter die Haut setzen lassen, stetig an. Ob um Türen auf der Arbeit öffnen zu können, sie als Schlüssel zu verwenden oder damit bargeldlos zu bezahlen. Das sind die heutigen Möglichkeiten. Die Technik ist dieselbe wie die Chips auf EC-Karten. Tracking ist normalerweise nicht üblich und möglich. Doch der Typ hier trägt das kleine Gadget ja auch nicht freiwillig. Mit new-age-high-tech-Zeugs aus dem Militärbereich lässt sich die Position tatsächlich in Echtzeit bestimmen. Der Mini-Akku hält nur wenige Tage. Doch mehr brauche ich sowieso nie. Wegen der gesundheitlichen Risiken wird ein GPS-Tracker in naher Zukunft wohl nicht im Alltagsgebrauch bei Menschen verpflanzt werden. Es sei denn, die Gesundheit ist egal. Und beim Militär oder im Krieg ist das ja meistens der Fall. So auch hier.
Der Fremde sticht mit dem Messer in das Fleisch zwischen dem Daumen und Zeigefinger des Gefesselten, dessen Wehgeschrei unter dem Klebeband verstummt.
„Du hast es nicht einmal gespürt, hm? Bei all dem Stress? Vielleicht ein kleines Jucken, hä? Als ob da vielleicht ein kleines Knorpelstückchen gesplittert ist.“
Der Mikrochip, kleiner als ein Reiskorn, wird mit einer speziellen Spritze und einer Kanüle, in welcher der Mikrochip sitzt, unter die Haut injiziert. Tut kaum weh. Und da er sowieso bewusstlos war – kein Problem.
Umso mehr spürt der Gefesselte nun den Schmerz. Die scharfe Klinge des Messers durchschneidet mühelos die Haut und das zarte Muskelfleisch. Ein langsamer, kleiner Schnitt von nicht einmal zwei Zentimetern. Mit seiner linken Hand tastet der Fremde die blutende Wunde ab und nimmt die kleine, längliche Kapsel aus dem Fleisch hervor und platziert sie in ein silbernes Döschen auf dem Tisch. Daneben liegt ein rechteckiger, gelber Tafelschwamm, wie wir ihn aus der Schule kennen. Er nimmt ihn auf.
Der Gefesselte auf dem Tisch schreit unter dem Tape und versucht sich mit letzter Kraft zu befreien. Vergeblich.
„Vielleicht empfindest du ja irgendwas in den letzten Atemzügen deines Lebens. Einen Hauch von Empathie. Ich schenke dir nämlich genau jetzt das Gefühl, wie sich all deine Opfer gefühlt haben: Todesangst.“
Er legt den Schwamm auf den Hals des Mannes, der nun wieder schweigt und realisiert, dass sein Ende tatsächlich in diesem Moment gekommen ist.
Der Mann blickt in die Leere, die er in den Augen des Fremden auszumachen vermag. In die Augen eines Mannes, dem das Töten ebenso wenig auszumachen scheint wie ihm selber. In die Augen des Meisters, den er heute und zum krönenden Abschluss gefunden hat.
Der Fremde sieht sich nochmals die Einkerbungen auf dem Messergriff an und fühlt mit seinen behandschuhten Fingern die Schlitze, die jeweils für ein Menschenleben stehen. „Hier hast du deine Opfer verewigt. Du stirbst jetzt nicht durch meine Hand. Sieh es als Rache und Genugtuung der armen Seelen der von dir Getöteten und deren Hinterbliebenen. Die trauernden Eltern, Geschwister, Freunde und in einem Fall sogar Kinder. Du hast genug zerstört. Nie mehr. Nie wieder.“ Er setzt die Messerspitze auf dem Schwamm an. „Es hat gedauert, bis ich dich ausfindig gemacht habe. Leider zu lange. Doch jetzt–“
Er sticht zu – oder führt es ein, um auch dem Kapitel dieses Buchs zu entsprechen. Die Klinge bohrt sich mühelos, lautlos durch den Schwamm, durch die Haut, durch den Kehlkopf, durch die Luftröhre, durch die Schlagader. Der Schwamm färbt sich blutrot, saugt sich voll. Das Leben weicht aus den weit aufgerissenen Augen des Mannes, als er röchelnd am eigenen Blut, das ihm wegen des Tapes vorm Mund durch die Nase emporsteigt, erstickt. Man könnte sogar fast Mitleid mit ihm haben. Doch angesichts seiner schrecklichen Taten – nicht nur der Mord an Elisa und deren Eltern – blutet hier lediglich ein wahres Monster aus…
Zehn Minuten später. Der Fremde schleicht sich wie ein Geist durch die menschenleere, abgelegene und schwach beleuchtete Straße, wo er an einem Kleinwagen angelangt. Er sieht sich bedächtig um. Keine Lichter in den vereinzelten Häusern mit runtergelassenen Rollläden. Perfekt. Er steigt ein und fährt los. Erst, als er die Ortschaft verlässt und Richtung Landstraße fährt, zieht er seine Handschuhe aus und die Sturmhaube ab und wirft sie in den Fußraum des Beifahrerplatzes. MAX STORM (30). Emotionslos rollt er durch die Stille der Finsternis und dennoch nehmen seine dunklen Augen alles um ihn herum wahr. Seine Sinne sind schärfer als die Messer, mit denen er bereits öfters Menschenfleisch filetierte.
Okay, ich weiß, was du jetzt denkst: Was für ein rücksichtsloser, bestialischer Bastard! Aber urteile bitte nicht so schnell über mich. Denn es ist total unbegründet: Natürlich hab ich dem kleinen Rex Futter gegeben! Bin ja kein Unmensch. Er ist jetzt frei, das Fenster zum Hof ist offen und er kann fliegen, wo immer ihn seine Schwingen bringen.
Aber echt jetzt: Ich bin mir bewusst, dass der erste Eindruck zählt. Und der ist von mir bestimmt etwas ausbaufähig. Ja, ich geb’s zu, ich hab den Typen eiskalt ermordet. Bringt ja nichts das zu leugnen. Aber das wird niemand erfahren – außer dir. Natürlich hab ich alle Hinweise, die eventuell auf mich zurückführen könnten, entfernt oder vernichtet. Den Mikro-GPS-Chip, das Schreiben, das ich Elisas Eltern geschickt habe. Ja, es war ein Risiko. Und es war zu groß. Aber jetzt ist es vorbei. Mal sehen, wie die Polizei mit diesem Fund umgeht. Mein Job hier ist erledigt. Doch es warten noch viele mehr.
Und nochmal: Bitte vorverurteile mich nicht, nur weil ich hier so brutal eingeführt wurde. Du hast doch sicher kein Mitleid mit dem Toten. Der spielt keine Rolle mehr. Ich musste ihn umbringen.
Max hält kurz inne, als er an einer leeren Einmündung auf der Landstraße stehen bleibt. Er kuppelt aus und geht von der Bremse. Er starrt in das Dunkel des Waldes und reflektiert.
Ich hab einen riesen Fehler gemacht. Hatte nur gute Absichten. Wollte, dass die Opfer wahre Gerechtigkeit üben dürfen. Zumindest die Entscheidung darüber haben, was mit dem Mörder ihrer geliebten Tochter Elisa passiert. Sie hatten es in der Hand. Leider habe ich den Mistkerl unterschätzt. Dass er sie in ihrem labilen Gemütszustand erwischen würde. Ich hätte eingreifen müssen. Doch ich kam zu spät. War nicht drauf vorbereitet, dass sie direkt dorthin fahren würden. Dass sie es überhaupt tun würden?! Mein Anruf kam nicht mehr durch, nachdem das Mobiltelefon auf dem Betonboden gelandet war. Konnte es nicht mehr kontrollieren. Hatte nicht mit diesem fatalen Ende gerechnet.
Max steht noch immer allein an der Einmündung, erinnert sich an die Bilder, die sich ihm boten, als er die Tür des Betonklotzes aufriss und die blutüberströmten Leichen von Sandra und Paul auf dem Boden sah.
Meinetwegen sind zwei weitere Menschen tot. Es war meine Schuld. Ich hatte den Serientäter ja nach der ersten Betäubung und Entführung gechippt. Konnte ihn also nicht verlieren. Und trotzdem war ich nicht rechtzeitig da, als meine Hilfe gebraucht wurde.
Max legt den ersten Gang ein und fährt weiter. Nach knapp fünf Minuten und weiteren vier hochgeschalteten Gängen gelangt er an einer noch schmaleren, einsameren Landstraße an, auf der er ohne Abblendlicht in die Finsternis rast.
Ein gutgemeinter Versuch ist gescheitert. Mit tödlichem Ausgang. So etwas darf sich nicht wiederholen. Wird es nicht. Ich nehme es wieder in die eigene Hand. So wie immer.
Es bleibt mein Geheimnis. Muss mein Geheimnis bleiben. Niemand wird es verstehen. Wird mich verstehen. Ein einsamer Wolf. Auf der Jagd. Auf der Jagd nach anderen Wölfen. Bösen Wölfen.
In mir leben die Geister der unzähligen unschuldig Getöteten weiter. Gemeinsam nehmen wir Rache an den ruchlosen, verdorbenen Menschen dieser Welt. Du findest, das ist Schwachsinn? Okay, aber ich mag allein die Vorstellung.
Im Laufe der Geschichte erfährst du mehr über mich. Vorweg schon mal: Ich bin kein schnöder Auftragskiller. Ich könnte keinen Menschen einfach so töten, nur weil mir einer das vorschreibt oder befiehlt. So wie im Krieg: Wo sich Menschen gegenseitig umbringen, nur weil sie zufällig in einem anderen Land geboren wurden und sie als scheinbar hirnlose Marionetten den Befehl haben, ihre Opponenten auszuschalten. Meistens nur aus banalen Beweggründen wie die Gier nach Macht, wegen Religion oder anderem Schwachsinn. Dort werden Menschen zu Feinden gemacht, die womöglich außerhalb dieses menschengemachten Kriegszustands mit ihren eigenen Wertvorstellungen und Tugenden zu besten Freunden geworden wären. Nein, das ist nicht mein Job. Werde nicht bezahlt mit einer riesen Summe, die so eine Tat möglich macht. Nein, ich mach’s umsonst. Für die Gesellschaft, für mich. Quasi ehrenamtlich. Nur, dass ich nie eine Ehrennadel oder einen Bundesverdienstorden vom Bundespräsidenten oder irgendeiner anderen politischen Puppenfigur bekommen werde. Bin ich auch nicht scharf drauf. Niemand wird es je erfahren. Das macht mir nichts aus. Ich bin nicht auf Ruhm aus. Ich bin mir sicher, du wirst mich und meine Taten zum Teil nachvollziehen können. Du wirst mich sogar sympathisch finden und ich behaupte sogar: Du wirst mich lieben! Ich bin wirklich anständig und wohlerzogen. Du wirst verstehen, warum ich der wurde, der ich bin. Wart’s ab. Ich fahr jetzt in mein bescheidenes „nach Hause“ und wünsche dir gute Unterhaltung beim weiteren Verlauf. Und dass sich so eine Tragödie nicht so schnell – nein, nie mehr – wiederholt.
Während Max uns hier sein – nach seiner Meinung nach noch vorhandenes – Herz ausschüttet, ahnt er noch nicht, dass er im weiteren Verlauf eine Botschaft von einem berühmt-berüchtigten Serienkiller Englands aus dem späten 19. Jahrhundert erhalten wird! Aber alles zu seiner Zeit.
Im Hier und Jetzt nähert er sich seinem bescheidenen Heim. Er biegt auf einen schmalen Waldweg aus Sand und Schotter ab, der sich gute 400 Meter in den Forst schlängelt. Bevor er zu Hause angelangt, sieht er einen dunkelgrauen SUV ein wenig abseits des Pfads in einer Waldschneise stehen. Etwas hinter und gegenüber dem massiven, elektrifizierten Stahltor, das genauso wie der hohe Zaun ringsum seiner Landhausvilla Eindringlinge fernhält – egal ob tierischer oder menschlicher Art. Max rollt im Schritttempo den Weg entlang, gute 25 Meter von dem Tor und 30 Meter von dem SUV entfernt. Seine Aufmerksamkeit voll auf den Geländewagen im Wald gerichtet.
Das gefällt mir gar nicht.
Nur noch wenige Meter bis zum Tor und Max drosselt weiter das geringe Tempo und scannt die Umgebung rundum den geparkten SUV mit seinen getönten Scheiben. Gleichzeitig betätigt er die Fernentriegelung der Pforte, die sich nun öffnet. Max rollt in seinem Kleinwagen durch das Tor in die Einfahrt seines Anwesens, ohne dabei im Seitenspiegel seinen Blick für einen Bruchteil einer Sekunde vom anderen Wagen zu nehmen. Er rollt weiter die leicht ansteigende, mit Verbundsteinen gepflasterte Einfahrt hoch und schließt das Tor wieder per Funk hinter sich.
Nach circa 100 Metern erreicht er das kleinere der beiden Garagentore an der Seite der Villa und öffnet es. Plötzlich wird er im Rückspiegel geblendet. Das Licht des SUVs strahlt ihn kurz an. Der Wagen wendet draußen auf dem Waldweg und rollt langsam den Schotterpfad entlang Richtung Landstraße.
Max wartet vor der Garage, bis der SUV außer Sichtweite ist. Dann fährt er hinein. Das Garagentor schließt sich per Tastendruck hinter ihm. Er harrt einen Moment im Auto aus.
Klar, es gibt einen gewissen Hang zur Paranoia, wenn man Menschen tötet und nicht erwischt werden will. Aber das hab ich total im Griff. Ich hab einen extrem guten Instinkt. Und der sagt mir, das war kein Jäger. Jedenfalls keiner, der nach Wild aus ist. Hier ist jemand hinter mir her. Oder hinter meinem Besitz. Und er will entweder, dass ich denke, dass er total bescheuert ist, hier so auffällig vor meinem Haus zu parken. Oder es ist ihm scheißegal, was ich denke. Beides ist ein wenig beunruhigend, muss ich zugeben. Vor allem, weil es nicht das erste Mal ist, dass ich den SUV gesehen habe. Nur diesmal wollte er wohl absichtlich sehr prominent ins Auge fallen und sichergehen, dass ich ihn bemerke. Er will spielen. Im Moment hab ich keine Zeit und Lust auf sowas. Aber er hat auf jeden Fall meine Aufmerksamkeit. Ich brauche derzeit niemanden, der mir an den Hacken hängt.
Max steigt aus, geht an seinem Zweitwagen, dem mattgrauen Audi RS 5, vorbei und betritt durch die in der Garage liegende Tür das stattliche Anwesen aus adligem Hause.
Ob sich Max Storms Ahnung und Instinkt bewahrheiten?
Der graue SUV fährt in tiefer Nacht über die verlassene Landstraße. Die drei Insassen: Die Baller-Brüder.
ARON BALLER (36) am Steuer des PKW. Zwei Jahre jünger BROCK, der neben ihm auf der Beifahrerseite sitzt und dessen fünf Minuten jüngerer Zwilling CASPER, der als Küken der Familie in der Mitte auf dem Rücksitz Platz genommen hat. Nicht nur, dass die eineiigen Zwillinge sich ähneln, eint alle drei ihr Äußeres: Sie sind fast so breit wie hoch – bei einer Größe um die 1,90 Meter wohlbemerkt. Fitnessstudios und schwere Hanteln sind ihnen nicht fremd und Proteinshakes ihr absolutes Lieblingsgericht. Tätowiert von der Fußsohle bis zum Hals. Sämtliche Drachen, Totenköpfe, martialische Tribal-Motive und Gangsymbole zieren ihre robusten, aufgepumpten Körper. Die drei wären der ganze Stolz ihrer Eltern, wenn diese sich nicht schon vor Jahren gemeinsam zu Tode gesoffen und geraucht hätten. Heimlich nachts von ihrer Brut im Garten verscharrt, konnten sie den Werdegang ihrer Kinder nicht mehr miterleben. Jetzt sind die Brüder auf sich allein gestellt. Alle drei mehrfach vorbestraft. Vorbild und Leader Aron aktuell per Haftbefehl gesucht, nachdem er ein Seniorenpaar während einer Abendpromenade brutal überfallen und ausgeraubt hat. Dabei fiel die ältere Dame auf ihre morschen Knochen und brach sich beide Unterarme. Ihr noch betagterer Ehemann erlitt dabei einen Herzinfarkt und liegt seither im Koma. Es war eine Affekthandlung, die neben ihren üblich geplanten Raubzügen hin und wieder mal vorkommen – völlig unberechenbar. Alle drei saßen bereits für mehrere Jahre zusammen im Gefängnis ein, wo ihre Initialen etliche Wände verschiedener JVA-Einrichtungen zieren. Dort haben sie sich zum späteren Broterwerb nach ihrer Haftzeit spezielle Fähigkeiten und Fertigkeiten angeeignet, was sie zu dem gemacht hat, was sie sind: Kriminelle für ihr Lebensende. Spezialisiert auf Raub und Einbruch. Sie haben inzwischen so manche Villa geleert und verwüstet. Nun hat es ihnen Storms Villa angetan. Wenn sie bloß wüssten, dass Storm der polizeilich mit Hochdruck gesuchte, berühmt-berüchtigte Serienkiller ist – ja, dann würden die Hohlköpfe wohl erst recht dort einbrechen wollen.
„Glaubt ihr, er hat uns gesehen?“, fragt Casper, der sich vom Rücksitz aus nach vorne zwischen die Sitze beugt.
„Ich hoffe es“, antwortet Aron.
„Ich wär lieber direkt eingestiegen“, kommentiert Brock und findet Zustimmung von hinten.
Doch „Hey, zuerst mal die Lage sondieren“, sagt Anführer Aron. „Wir jagen ihm ein bisschen Angst ein. Zeigen, dass wir da sind.“