Straßenköter - Micha-el Goehre - E-Book

Straßenköter E-Book

Micha-El Goehre

5,0

Beschreibung

Club abgebrannt, Stammkneipe zu, Frau weggelaufen. Was macht man da? Klar, auf Europatournee gehen mit einer Heavy-Metal-Band. Eine Clique Metal-Fans in den Mittzwanzigern schlägt sich durch den Ernst des Lebens. Das Finale der "Jungsmusik"-Trilogie zieht noch einmal alle hart rockenden Register. Torben hat es verbockt. Nach einem Techtelmechtel mit einer Partybekanntschaft packt seine Freundin ihre Sachen. Kurze Zeit später findet er sich im Tourbus einer Metalband wieder. Damit beginnt ein Reigen aus schrottreifen Bandbussen, miesen Backstageräumen, betrügerischen Veranstaltern, Nervenzusammenbrüchen und diesem einen Koffer zu viel im Gepäck, der dann so richtig Ärger bedeutet ...

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Micha-El Goehre

STRASSENKÖTER

Ein »Jungmusik«-Roman

Micha-El Goehre

(Jahrgang 1975) stammt aus Ostwestfalen und lebt mittlerweile in Essen. Er liest vor (auf Lesebühnen, bei Poetry Slams), schreibt und moderiert. Er hat diverse Bücher veröffentlicht, bei Saytr erschien zuletzt seine Geschichtensammlung »Wenn das Leben kein Ponyhof ist, warum liegt dann Stroh in der Ecke?«.

E-Book-Ausgabe, Dezember 2016

© Satyr Verlag Volker Surmann, Berlin 2016www.satyr-verlag.de

Die Covercollage basiert auf Illustrationen von Endai Hüdl und Markus Freise. Gestaltungskonzept der »Jungsmusik«-Trilogie: Endai Hüdl

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über: http://dnb.d-nb.de

Die Marke »Satyr Verlag« ist eingetragen auf den Verlagsgründer Peter Maassen.

E-Book-ISBN: 978-3-944035-67-3

INHALT

Prolog

1. Symphony of Destruction

2. Overkill

3. Hearts on Fire

4. We Are the Roadcrew

5. Master of Puppets

6. Shit Happens

7. The Show Must Go On

8. Girls, Girls, Girls

9. Hunting Season

10. Jailhouse Rock

11. Lost in the Supermarket

12. And the Story Ends

Bonustracks:

100 Zeichen, dass du zu viel Metal hörst

Roy Blackmetal

Fight For Your Right to Partei

Metal is Dad

Solitude

Danke

Für Euch.

Und in Gedenken an Ian Fraser Kilmister.

PROLOG

»Guten Morgen, Süßer«, haucht ihre Stimme in mein Ohr.

»Bnarf«, antworte ich und öffne meine verklebten Lider. Sonnenlicht sticht in meine Augen und torpediert mein verkatertes Hirn mit Schmerz.

»Au, Scheiße …«

Sie kichert. Es macht ihr anscheinend Spaß, dass ich leide. Ich reibe mir die Augen, was meine verschleierte Sicht aufklart, den Kopfschmerzen aber keinen Abbruch tut.

Ich sehe sie an. Sie liegt neben mir, ekelhaft wach und gut gelaunt. Sie liegt auf dem Bauch und sieht mich an. Ihr Lächeln ist eine Wucht. Sie ist wirklich unheimlich hübsch.

Und nackt.

Und hübsch.

Und nackt.

Die Sache hat nur einen gewaltigen Haken: Sie ist nicht Lucy.

»Oh, VERFLUCHTE KACKE!«

Vergesst Kaffee, vergesst Energydrinks, vergesst Kokain. Neben der falschen Frau im Ehebett aufzuwachen, ist reines Ritalin, direkt ins Gehirn injiziert. Erwähnte ich schon, dass sie nackt ist? Und ich ebenfalls?

Ich würde gerne behaupten, dass der Schock auch den Kater und die Kopfschmerzen vertrieben hat, aber Pustekuchen. Ich bin zwar hellwach, aber das verstärkt nur die Gewissheit, dass ich mich fühle wie ausgekotzte Pudelkacke.

Was zum Teufel habe ich gemacht? Egal, was es war, auf der Scheiße-bauen-Skala zwischen 1 und Torben ist diese Nummer ein klarer Torben hoch 10.

»Na, du bist ja nett«, sagt die sehr Nackte und sehr Hübsche neben mir, und dann »Ups!«, als sie zur Tür sieht. Ich folge ihrem Blick, und in mir lässt jemand ein zehn Tonnen schweres Gewicht ins Bodenlose fallen.

Es ist nicht das Schlimmste, dass ich mal wieder epochale Scheiße gebaut habe.

Es ist auch nicht das Schlimmste, dass ich nicht mehr so genau zusammenkriege, was gestern abgegangen ist oder wieso.

Oder dass ich neben einer Frau aufwache, die ich nicht kenne. Und die nackt ist.

Das Schlimmste ist der Blick von Lucy, wie sie in der Tür steht und mich ansieht. Da ist keine Wut, keine Frage, kein Vorwurf im Blick. Da ist nur maßlose Enttäuschung.

Ich habe meine Frau enttäuscht auf die beschissenste Art, die man sich denken kann.

Sie sagt nichts. Ich auch nicht, einfach weil ich nichts sagen könnte. Kein Wort will mir einfallen, wie ich das hier erklären kann.

»Öhm, ich geh dann mal lieber«, sagt die nackte Unbekannte, zieht sich rasch an und huscht aus dem Zimmer und der Wohnung.

»Lucy …«, sage ich, um irgendwas zu sagen und diese Stille zu brechen, aber es bleibt beim Versuch.

Ohne ein Wort wendet sie sich ab und geht.

Und so fängt es an: Es ist vorbei.

1.

SYMPHONY OF DESTRUCTION

Den Rest lasse ich abholen«, sagt Lucy und schultert ihre Sporttasche, in die sie ihre nötigsten Klamotten gestopft hat. Ich sitze auf dem Fußboden im Wohnungsflur, nur mit einer Unterhose bekleidet, und weiß nicht, was ich sagen soll. Lucy will erst einmal zu ihren Eltern ziehen. Ihr Blick spricht Bände aus dem Arschlochlexikon, und ich kann ihr kaum in die Augen sehen. Stattdessen knete ich meine Hände und starre auf den Boden. Meine Frau geht zur Tür.

»Lucy, warte, können wir nicht drüber reden?«, jammere ich.

Sie sieht mich nicht an, sondern hebt nur ihre Hand und hält Zeigefinger und Daumen einen Mikrometer voneinander entfernt. Aha, so dünn ist also das Eis, auf dem ich mich gerade bewege. Ist nur fair.

Sie geht und knallt die Wohnungstür mit Schmackes hinter sich zu, dann ist sie weg. Ich sitze im Flur. Ich bin dreißig Jahre alt und habe es geschafft, dass mich meine Frau verlässt. Grandios. Andere brauchen dafür viel länger. Scheiße.

Lemmy kommt traurig angewackelt und legt sich zu mir. Ich kraule die Bulldogge im Nacken, und sie jault leise.

»Mann, das war ja mal so richtig für’n Arsch«, sagt Sven. Er setzt sich neben mich auf den Boden.

»Das kannst du wohl laut sagen«, antworte ich.

»MANN, DAS WAR JA MAL SO RICHTIG FÜR’N ARSCH!«, brüllt er.

»Nicht! Witzig!«

»’tschuldi.«

Dafür, dass er tot ist, kann Sven ganz schön nerven.

»Und? Was mache ich jetzt?«, frage ich ihn, und mir ist es etwas peinlich, dass meine Stimme klingt, als würde ich gleich losheulen. Mir ist zwar gerade sehr danach, aber man muss sich auch beherrschen können.

»Kaffee«, sagt er, steht auf und geht in die Küche. Ich will erst motzen, dass er sich seine Späße sparen kann, aber irgendwie hat er auch recht. Ich wuchte mich hoch, ziehe mir ein Megadeth-Shirt über und folge Sven. Er sitzt am Küchentisch und schlürft seinen Geisterkaffee, von dem er schwört, dass er besser schmeckt als alles, was man im Diesseits so aufbrühen kann.

Ich lasse es drauf ankommen und schmeiß die Kaffeemaschine an, die sich röchelnd an die Zubereitung macht. Zu essen mache ich mir nichts, ich habe keinen Hunger. Ich hab das Gefühl, ich habe gar nichts mehr.

Als ich mich mit meiner Tasse zu Sven setze, sieht er mich erwartungsvoll an.

»Und?«, fragt er. »Was hast du diesmal angestellt?«

Ich gucke auf die Tischplatte. Ganz schön zerkratzt. Ist mir noch nie aufgefallen. »Hab mit ’ner anderen gevögelt«, nuschele ich.

Sven guckt mich an. Er kann ganz schön böse gucken, wenn er will. »Wer war es?«

»Keine Ahnung, hab ich gestern kennengelernt.«

»Nein, ich meine, wer hat dir so absolut kolossal ins Gehirn geschissen? Sag mal, bist du noch ganz dicht? Nach all dem Zirkus, bis Lucy und du endlich zusammen wart, gehst du fremd?«

»Jaaa …«

»Mann, ich wusste ja, dass du bescheuert bist, aber damit hast du ein ganz neues Level erreicht. Leck mich fett!«

»Ich wollte das ja auch gar nicht …«

Er runzelt die Stirn. »Jetzt sag mir bitte nicht, du hast die Alte mit nach Hause gebracht, in euer Ehebett gelegt, und da hat sie dich dann umgehauen und vergewaltigt.«

»Nein, natürlich nicht.«

»Hätte ich dir auch nicht abgekauft.«

Ich atme tief durch und sortiere meine Gedanken. »Keine Ahnung, wie das passiert ist. Lucy und ich haben uns gestern gezofft. Sie ist abgedampft, ich bin abgedampft, und bin dann in den Lokschuppen und habe mich übel abgeschossen. Und das Nächste, was ich weiß, ist, wie ich neben einer nackten Trulla aufwache und Lucy in der Tür steht.«

»Sehr mysteriös«, sagt Sven mit seiner Sherlock-Holmes-Stimme.

»Ach, fick dich.«

Er seufzt. Ein guter Freund, ob tot oder lebendig, weiß, wann man aufhört, Wunden zu salzen. »Und? Was machst du jetzt?«

»Ich hab keine scheiß Ahnung.«

Ich sehe mich um: Die Wohnung wirkt auf einmal sehr groß und einschüchternd.

Diesmal habe ich richtig üblen Bockmist fabriziert. Früher war das Schlimmste in solchen Fällen, dass ich eine geknallt bekam, Teller flogen oder, in einem besonders krassen Fall, eine E-Gitarre, die mich beinahe enthauptet hätte. Gewisse Partys und Konzerte galt es dann für eine Weile zu meiden, bis sich die Wogen geglättet hatten, hier und da tauchten plötzlich Gerüchte über sexuelle Perversionen, Geschlechtskrankheiten oder einen unfassbar kurzen Lümmel auf. Was ein interessantes Licht auf betrogene Frauen wirft: Noch keine hat das Gerücht in Umlauf gebracht, ich wäre ein ganz furchtbarer Einparker, hätte einen besonders kleinen Zeh oder wäre eine Niete im Kochen. Nö, es muss immer um etwas gehen, das einen für eventuelle zukünftige Sexualkontakte untragbar macht. Aber all das war Kinderkacke, und irgendwann war wieder Ruhe. Aber wenn es jetzt vorbei ist, dann ist es das auf eine … erwachsene Art. Ich werde ausziehen müssen. Einen Anwalt nehmen. Meine komplette Lebensplanung überdenken. Das ist was Großes. Was Böses. Was echt Großes, richtig Böses. Ich rappele mich auf.

»Schätze, erst mal Death Metal hören und Kaffee trinken«, sage ich.

»Super Plan«, ätzt Sven. Ich zucke ratlos mit den Schultern. Mir fällt wirklich nichts anderes ein. In puncto Ehefrau betrügen fehlen mir eindeutig Erfahrungswerte. Hätte ich auch komplett drauf verzichten können. Ich mache meine Anlage an. Unsere Anlage. Eine ordentliche Ladung Bolt Thrower hilft hoffentlich beim Abschalten. Oder Pantera. Oder Immortal.

Alles, nur keine Liebeslieder.

Abschalten ist nicht. Nicht zu Hause, nicht auf der Arbeit. Alle zehn Minuten checke ich meine Mails, ob Lucy sich gemeldet hat. Alle fünf Minuten glotze ich auf mein Handy. Nichts. Totale Funkstille seitens der Nochehefrau. Auf dem Weg nach Hause dudelt mein Taschentelefon endlich los. Als ich rangehen will, lasse ich das Ding vor Nervosität fast fallen. Ich gehe ran.

»Lucy?«

»SAG MAL, WER HAT DIR DENN INS GEHIRN GEKACKT?«

Doch nicht Lucy.

»Hallo, Katharina«, sage ich und kann meine Enttäuschung nur schwer verbergen.

»HALLO AM ARSCH!« Sie will weiterbrüllen, allerdings überschlägt sich ihre Stimme wie der Wagen eines unvorsichtigen Nascar-Fahrers, was Matze im Hintergrund die Möglichkeit gibt, mäßigend auf seine tobende Mitbewohnerin einzuwirken, mit der er zwar ein Kind hat, die er aber nicht, nie, never, auf keinen Fall heiraten wird. Er ist schlauer als ich.

»Lass ihn doch mal seinen Standpunkt erzählen«, höre ich ihn beschwichtigen. So, wie es klingt, ist er parallel damit beschäftigt, hinter seiner Brut herzuhetzen. Der Kleine kann schon 1A laufen und hat inzwischen ein Verhältnis zu anderer Leute Eigentum entwickelt, das mit den Worten »Gehört mir nicht, kann ich kaputt machen« treffend umschrieben wäre. Ich höre, wie irgendetwas mit einem lauten Knacken zu Bruch geht.

»Also?«, schnaubt Katharina durch den Hörer. Ich stöhne eine Spur zu genervt.

»IchhabfremdgebumstesistmeineSchuldichbineinArsch«, sage ich.

Schweigen am anderen Ende.

Dass ich zugeben kann, an der Misere schuld zu sein, scheint Katharina zu verblüffen. Im Hintergrund hört man Schreien und Weinen. Leider ist es Matze, der weint, während sein Sohnemann schreit, vermutlich weil er nicht noch etwas kaputt machen darf.

»Und was willst du jetzt machen?«, fragt sie.

»Ich! hab! keine! Ahnung!«, zische ich.

»Ganz ehrlich, Torben. Wir haben wegen eurem Beziehungsscheiß schon Einiges mitgemacht. Sieh verflucht noch mal zu, dass du das in Ordnung bringst.«

»Ich versuch’s ja.«

»Nicht versuchen. Machen!«

»Ja, is’ klar.«

Sie legt auf. Scheiße, der Aspekt ist mir noch gar nicht in den Sinn gekommen. Ich werde nicht nur Lucy verlieren. Ich verliere so ziemlich alles: die Wohnung, meine Freunde, weil die natürlich zu Lucy halten, was ja auch völlig richtig ist, schließlich habe ich es in den Sand gesetzt, meine Party- und Konzertlocations …

Ich sehe runter zu Lemmy, der mich erwartungsvoll anschaut. »Du solltest dir lieber ganz schnell ’n neues Herrchen suchen«, sage ich, und er legt den Kopf schief und fiept fragend. Na ja, solange er von mir zu fressen kriegt, ist ihm egal, ob ich noch ein soziales Umfeld habe. Genau genommen wäre es ihm egal, ob ich noch alle Gliedmaßen, mein Augenlicht, Gehör oder die Fähigkeit zu sprechen besitze, solange ich ihn noch füttern könnte. Er stupst mich an und jault traurig. Na ja, vielleicht wäre es ihm doch nicht gleich. Ich kraule ihn hinter den Ohren.

Das Telefon klingelt erneut. Ich gehe ran.

»BIST DU JETZT TOTAL BESCHEUERT?«, tönt es.

»Hallo, Lara«, sage ich.

Das könnte ein sehr langer Tag werden.

Wenigstens Matze zeigt sich einigermaßen solidarisch und kommt später am Abend vorbei, damit ich eine Schulter zum Ausweinen habe. Wir machen das natürlich auf Männerart. Wir gucken Wrestling, trinken Bier und halten ansonsten die Schnauze. Nur ab und zu schielt er zu mir rüber, was mir irgendwann auf den Sack geht.

»Was ist?«, frage ich genervt.

Er zuckt mit den Schultern. »Nix. Ich will nur wissen, wie es dir damit geht.«

»Womit?«

»Na, dass es zwischen dir und Lucy aus ist.«

»Aus ist hier noch gar nichts. Sie ist stinksauer, aber das renkt sich wieder ein«, sage ich, glaube mir aber selbst kein Wort und nehme wütend einen Schluck Bier, wovon ich einen erklecklichen Teil postwendend auf mein T-Shirt sabbere. Nicht mal mehr trinken kann ich.

»Ich mein ja nur«, murmelt Matze kleinlaut. »Kannst dich ruhig bei mir aussprechen.«

Ich sehe ihn entgeistert an, dann reiße ich die Arme hoch. »Scheiße, bin ich jetzt neuerdings nur noch mit Frauen befreundet, oder was geht hier ab?«

»Mach mal halblang …«

Mir reicht’s. Den ganzen Tag schon habe ich das Gefühl, dass die Zimmerdecke abgesackt ist. Ich nehme meine Jacke.

»Komm!«, sage ich.

»Wohin?«

»Ins Loch. Ich muss raus hier, sonst krieg ich akut Amok.«

»Na gut.« Matze zuckt mit den Schultern und wirkt nicht unbedingt, als müsste ich ihn weiter überreden.

Vor der Haustür empfängt uns milder Frühsommer, genau das richtige Wetter, um sich in eine dunkle Kellerkneipe zu verziehen, laute Mucke zu hören und sich aufs Übelste zu besaufen. Ich will in spätestens zwei Stunden komatös sein und hoffe auf einen epochalen Filmriss am nächsten Tag, der mich die ganze Scheiße vergessen lässt. Es ist nicht weit bis zum Loch, unser Wegbier kriegen wir trotzdem mühelos geleert, ich aus Frust, Matze, weil er endlich mal kindfrei hat und die rare Zeit möglichst effektiv nutzen möchte.

Als wir über die Straße zum Eingang der Kneipe gehen, sehen wir 08/15, den Chef des Hauses, traurig in seinem Rollstuhl hocken und auf die Tür vom Loch starren.

»08/15, was ist los?«, trällert Matze fröhlich los. »Ist Rollstuhlbereifung schon wieder teurer geworden?« Er gackert laut los über seinen Mario-Barth-Literaturpreis-verdächtigen Spitzenwitz, aber 08/15 starrt ihn nur finster an.

»Arsch lecken«, grummelt er. »Die haben mir die Bude dichtgemacht.«

Schlagartig hört Matze auf zu lachen. »Was bitte?«

08/15 lacht bitter. »Ja, da vergeht dir das Lachen, was? Nix mehr mit Loch, Leute. Das Ordnungsamt hat mir die Lizenz entzogen und die Hütte versiegelt.«

»Was? Wie konnte das denn passieren?«

08/15 windet sich in seinem Stuhl. »Na ja, wir hatten doch neulich dieses kleine Hochwasser …«

Das »kleine Hochwasser« war eine satte und sehr unangenehme Komplettüberflutung, nachdem der Wirt rotzbesoffen den Laden zugemacht hatte, ohne vorher noch mal seine Runde zu machen. So hatte er leider übersehen, dass irgendein Asi, sämtliche sanitäre Etikette missachtend, eins der Pissoirs bis zum Rand vollgeschissen und den Spülknopf festgeklemmt hatte.

Seither hingen in der ganzen Kneipe Duftbäume, und es roch, als hätte jemand Vanilleschoten gekackt.

»Leider hat das Ordnungsamt davon Wind gekriegt und mir einen Prüfer auf den Hals gehetzt. Bisher hatte ich da immer Schwein, aber diesmal wollten sie es ganz genau wissen. Und Einiges habe ich, sagen wir mal, über die Jahre etwas … improvisiert …« Er bricht ab und zeigt auf einen Zettel, der an die Eingangstür geklebt ist. Was ich erst für einen schlecht gemachten Flyer gehalten hatte, ist die amtliche Mitteilung, dass man den »Gastronomiebetrieb Loch« geschlossen habe wegen diverser Verstöße, die anschließend aufgelistet werden. Man hat einen zweiten Zettel daruntergeklebt, weil die Liste nicht auf ein DIN-A4-Blatt passte.

»Scheiße«, sage ich, zu einem Drittel bewundernd ob der Masse an Verfehlungen, zu einem Drittel angeekelt wegen diverser Inhalte und zu einem Drittel besorgt, wo ich von nun an meine Abende verbringen soll. Zu Hause kommt nicht mehr infrage.

»Und was machst du jetzt?«

08/15 seufzt. »Was soll ich schon machen? Wenn ich die Mängel alle behebe, bin ich bis Ragnarök verschuldet. Oder ich nehm ’nen Zwanni pro Bier.« Er lacht trocken. »Nee, das war’s. Der Laden lief eh immer beschissener. Die Leute haben kaum noch Kohle, dazu kommen das Rauchverbot, immer höhere GEMA-Gebühren und Hastdunichtgesehen. Es wird immer schwieriger als Kneipier. Ich werd wohl stempeln gehen müssen, wenn kein anderer Wirt akuten Bedarf an einem Tresenmann im Rollstuhl hat. Oder ich geh in Rente. Als Invalide darf ich das.«

»Du siehst auch immer das Positive«, sagt Matze sarkastisch.

»Alter«, sage ich. »Du kannst die Hütte nicht dichtmachen. Denk doch auch mal an uns: deine Familie. Wo sollen wir denn hin? Wir haben doch nur dich.«

Das stimmt sogar. Es gibt kaum noch gute Läden in der Stadt. Seit die Rose versucht, das studentische Publikum mit 1-Euro- und Trash-Abenden zu ködern, gibt es außer dem Loch nur die Rockbar und die ist eher auf alternde Möchtegernbiker, Fußballhools und Onkelz-Fans ausgerichtet. Wenn da mal Deep Purple läuft, ist das schon das Höchste der Gefühle. Warum darf so ein Laden überhaupt »Rock« im Namen führen, ohne sofort von der Bundeswehr beschossen zu werden? Eindeutig eine Gesetzeslücke.

»Kann man nix machen«, sagt 08/15 traurig.

»Kann man wohl nicht«, sage ich und klopfe ihm auf die Schulter.

Er atmet tief ein und aus. »Ich mach mich dann mal auf den Weg nach Hause.«

»Aber nicht mit’m Föhn baden«, sagt Matze.

»Nee, ich versuch lieber, mich totzusaufen.«

»Hm, kenn ich.« 08/15 tippt sich an die Stirn und rollt davon. Matze und ich gucken uns ratlos an.

»Und was machen wir jetzt?«, frage ich.

»Erst zur Tanke, Treibstoff holen, und dann wieder zu dir?«

»Ja, so viel zu meinem Plan, mal ’n bisschen rauszukommen.«

»Wir können uns ja aufs Dach setzen und auf die Stadt runterpinkeln.«

Ich überlege. Ja, das klingt nach etwas, das mir gerade gefallen könnte.

Ich schaue auf mein Handy. Keine Anrufe. Kacke. Wenn ich mal will, dass da was steht, dann tut sich nichts. Will ich meine Ruhe haben, dann ist Telefonterror angesagt. Scheiß moderne Kommunikation. Na ja, vielleicht wartet Lucy schon zu Hause. Ja klar, und der Weihnachtsmann existiert und schenkt mir zum Namenstag ein Privatkonzert von Iron Maiden.

»Lass gehen«, sage ich, und wir machen uns auf den Weg zur Tanke.

»Scheiße, das mit dem Loch«, sagt Matze nach einer Weile angenehmen gemeinsamen Fresse-Haltens.

»Ja, ’s gibt halt keine Kultur mehr in Deutschland.«

»Aber echt. Ein Laden nach dem anderen wird dichtgemacht, nur wegen ein bisschen Lärm, ein paar Salmonellen oder weil der Wirt sich ein bisschen was mit einer eigenen Schlafmohnplantage dazuverdient.«

»Oder die Läden verpoppen völlig und spielen dieselbe gleichgeschaltete Scheiße wie im Radio.«

»Was soll nur aus der Jugend werden? Es fehlen doch völlig die Vorbilder. Ozzy, Sid Vicious, Alice Cooper, Dee Snider, das waren noch richtige Idole, richtige Vaterfiguren, die einem zeigten, dass man nicht unbedingt Steuerberater, Supermarktleiter oder Vorstand bei der Autopartei werden muss, sondern ein echtes Leben führen kann!«

Ich muss kichern. Matze guckt ein bisschen stolz, dass er mich aufgemuntert hat. Soll er ruhig, ich bin froh, dass er mich ablenkt von den ganzen Sorgen – SCHEIDUNG! OBDACHLOSIGKEIT! GESELLSCHAFTLICHE ÄCHTUNG! NIE WIEDER SEX! –, die mir gerade durch den Kopf schwirren.

Wir biegen auf den Hof der Tanke ein. Benzingeruch brennt in der Nase, ein paar Asis stehen bei ihren motorisierten, völlig übertunten Schwanzvergrößerungen und lassen gehirnamputierten Ballermanntechno über den Hof dröhnen, während sie versuchen, sich mit einem Wortschatz, der eher ein Wortsparschwein ist, zu unterhalten und dabei das Gebunze ihrer Anlagen zu übertönen. Als sie uns sehen, kommen einige blöde Sprüche, und ein paar singen »Du hast die Haare schön«. Satan, wie originell! Ich wäre manchmal gern ein Superheld. CANCER-MAN: Nur mit seinem Blick verpasst er Deppen Hodenkrebs und einen Tumor im Gesicht. Aber ich bin kein Superheld, also beschränke ich mich auf intensives Ignorieren, das ich aus dem Effeff beherrsche. Nur dumm, dass sich die Bordsteinaffen davon nicht weiter beeindrucken lassen.

»Ey, wissen eure Mütter, dass sich ihre Töchter nachts an Tankstellen rumtreiben?«, brüllt einer.

Alles klar, ganz ruhig bleiben. Weitergehen. Weiter ignorieren. Gar kein Problem.

»Ich weiß nicht, wer hässlicher ist: ihr oder der Köter.«

Lemmy jault leise, ich reibe mir die Schläfe. Einfach bis zehn zählen. Den inneren Mittelpunkt finden. Gleich sind wir hier weg.

»Boah, Alter, ihr Gothics seid solche Schwuchteln!«, setzt einer nach.

Das reicht! Ich drehe auf dem Absatz um: Niemand nennt mich einen Gothic!

»Jetzt gibt’s auf die Fresse«, sage ich zu Matze.

»Ach, Scheiße«, stöhnt er und folgt mir.

Wir sitzen auf meinem Sofa und gucken eine Motörhead-DVD.

»Erinnere mich daran, dass ich nächstes Mal einfach nach Hause gehe, wenn es was auf die Fresse gibt«, meckert Matze und legt sich den Eisbeutel aufs Auge. »Zumindest wenn es was auf unsere Fressen gibt. Scheiße noch eins.«

»Ja, sorry«, nuschele ich. Klare Aussprache und eine stark geschwollene Unterlippe vertragen sich nicht so gut. »Ich hätte die Arschlöcher einfach ignorieren sollen. Aber die haben uns als Gothics bezeichnet. Es gibt Grenzen.«

»Und deswegen musst du dich mit einer fünffachen Übermacht anlegen? Wie blöd kann man eigentlich sein?«

Ich sehe ihn mit meinem nicht zugeschwollenen Auge an. »Wer ist der Vollidiot? Der Vollidiot oder der Vollidiot, der ihm folgt?« Ich lache, was sofortigen Schmerz in meinem verbeulten Brustkorb auslöst.

Matze funkelt mich zornig an. »Mach mal keinen auf Obi Wan. Was wäre ich denn für ein Freund, wenn ich dich die Schläge allein hätte kassieren lassen? Trotzdem: Was hat dich da geritten?«

Ich seufze. »War halt ’n scheiß Tag. Und wenn ich dann noch Wrestling geguckt habe, neige ich dazu zu glauben, dass ich es Undertaker-mäßig drauf hab.«

»Na, super. Du leidest an Realitätsverlust, und ich krieg deswegen den Arsch voll! Vielen Dank auch.«

»Ich hab doch gesagt, dass es mir leid tut. Ich weiß es auf jeden Fall zu schätzen, dass du mir geholfen hast. Im Gegensatz zu gewissen anderen Anwesenden.«

Lemmy liegt vorm Fernseher und tut so, als sei er nicht gemeint. Während sein Herrchen Sandsack für Minderbemittelte spielte, war der beste Freund des Menschen damit beschäftigt, an der Tanke den Eimer mit dem Fensterwischwasser leer zu saufen.

»Der ist vielleicht einfach nur schlauer als wir«, sagt Matze.

»Yeah, das ist mir auch schon durch den Kopf gegangen«, nuschele ich und klopfe Matze auf den Oberschenkel. Er jault auf. »Doch ein Gutes hat die Sache immerhin: Mir ist die Frau weggelaufen, unsere Kneipe hat dichtgemacht, und wir wurden übel zugerichtet. Schlimmer kann’s jetzt echt nicht mehr kommen.«

2.

OVERKILL

»Soll das heißen, ich bin gefeuert?«

Mein Chef Gerald am anderen Ende der Leitung druckst herum.

»Ist nichts gegen dich oder deine Arbeit«, sagt er. »Aber du kriegst ja selber mit, dass die Musikindustrie am Arsch ist. Wir müssen den Gürtel enger schnallen, und es hat sich gezeigt, dass wir eine Menge Kohle sparen können, wenn wir unsere Webpräsenz verkleinern, outsourcen und sich eine Agentur drum kümmert. Sorry, Alter.«

»Aha«, sage ich, weil mir grad nichts Besseres einfällt. Eine Sekunde überlege ich, ob Lucy dahintersteckt, aber das ist Schwachsinn, und wenn ich genau drüber nachdenke, habe ich diesen Anruf schon viel früher erwartet. Ich betreue freiberuflich die Homepage der Plattenfirma Atomic Blast, ein Träumchen von Job für unsereins: Kontakt zu allen möglichen coolen (und uncoolen) Bands, Gästelistenplätze auf nahezu jedem Konzert und Festival, Gratisplatten und nicht zuletzt eine etwas zu gute Bezahlung, um wahr zu sein.

Der kleine Haken an der Sache ist, dass ich dafür meinen Job in meiner alten Agentur extra gekündigt habe. Da es nicht so gut ankommt, wenn man kündigt, sich selbstständig macht und den größten Kunden mitnimmt, kann ich es vergessen, bei meiner alten Firma wieder anzuklopfen. Das heißt: Jetzt bin ich am Arsch, aber so richtig.

»Ich weiß, das kommt ein bisschen plötzlich«, sagt Gerald.

»Ja«, sage ich, »aber 9/11 kam auch ein bisschen plötzlich.«

Überrumpeltes Husten am anderen Ende der Leitung. Gerald schweigt kurz, dann fragt er: »Hast du irgendwas anderes in petto? Jobmäßig meine ich.«

Ich fühle mich, als hätte ich so langsam überhaupt nichts mehr in petto. »Nicht wirklich.«

»Hm«, macht Gerald. »Pass auf, Torben, ich kann dir nichts versprechen, aber ich habe vielleicht etwas. Lass den Kopf nicht hängen, okay? Ich muss da noch was gegenchecken, aber vielleicht kann ich dir einen Job anbieten. Ich meld mich morgen noch mal, okay?«

»Okay«, sage ich und klinge wie jemand, bei dem man gerade eine unheilbare Krankheit diagnostiziert hat. Oh Mann, so was wäre jetzt noch die Krönung. Bitte, nicht auch noch eine tödliche Krankheit! Das würde ich nicht überleben.

»Dann bis morgen. Ciao«, flötet Gerald und legt auf.

Ich starre auf mein Handy. Gefeuert. Und morgen bietet er mir wahrscheinlich an, auf dem Rock’n-Festival Dixi-Klos zu putzen.

Ich hab das Taschentelefon noch in der Hand, da klingelt es erneut. Ich gehe ran. »Hallo?«

Es klingelt noch mal. Es könnte auch die Türschelle sein, denke ich und mache auf.

Lucy.

Lucy ist wieder da! Es ist alles vergeben und vergessen! Sie liebt mich einfach viel zu sehr! Sie kann ohne mich nicht leben! Ich will sie in meine Arme schließen und amtlich zerknuddeln … – aber ihr Gesichtsausdruck lässt mich mutmaßen, dass ich in diesem Fall größtmögliche körperliche Schmerzen zu erwarten hätte. Also lasse ich es lieber. Nichts ist vergeben. Und schon gar nichts vergessen.

Sie starrt mich böse an. »Ich wäre ja so reingekommen, aber ich wusste ja nicht, ob du irgendeine Schlampe in der Kiste hast.«

Treffer in die Magengrube.

»Habichnicht«, murmele ich kleinlaut. »Bin allein.«

Sie drückt sich an mir vorbei, wobei sie auffällig betont, keinerlei körperlichen Kontakt mit mir zu wünschen. »Bin gleich wieder weg, ich will nur ein paar Sachen holen, die ich brauche.«

»Ah. Okay.« Ich habe keine Ahnung, was ich dazu sagen soll. Unschlüssig knete ich auf meinen Handflächen herum. »Soll ich dir helfen?«

Sie sieht mich nicht an, sondern macht sich daran, einzelne Bücher aus unserem Wohnzimmerregal zu ziehen. »Nee, lass mal«, sagt sie.

»Soll ich dir einen Kaffee machen?«

»Das kann ich schon alleine«, giftet sie und richtet sich auf. Wütend streicht sie sich Haare aus dem Gesicht. »Hör zu, Torben, das dauert ein Weilchen. Warum verziehst du dich nicht für ’ne Stunde und lässt mich hier in Ruhe machen, okay? Ich möchte dich grad einfach nicht um mich haben.«

Treffer in die Nieren. Ich gehe k. o.

Jetzt werde ich schon aus meiner eigenen Wohnung geworfen. Normalerweise würde ich spätestens hier meine Gorillagene anwerfen, mir mental auf die Brust trommeln und eine patzige Antwort geben. Aber es gibt ein sehr großes Problem dabei: Lucy hat recht. Sie hat jedes Recht, mich wie den letzten Dreck zu behandeln, weil ich mich nun mal auch exakt so verhalten habe.

Ich ziehe meine Jacke über und verlasse wortlos unsere Wohnung. Meine Wohnung. Meine Wohnung, die ich mir ab nächsten Monat nicht mehr leisten kann. Vielleicht sollte ich den Zwangsspaziergang nutzen, um abzuchecken, unter welchen Brücken ich demnächst schlafen werde. Stattdessen beschließe ich, Lara zu besuchen. Von Köln hatte sie glücklicherweise schnell die Nase voll und ist wieder in heimische Gefilde zurückgekehrt und wohnt nur eine Viertelstunde von unserer (von meiner) Wohnung entfernt.

»Ach was«, begrüßt sie mich leicht überrascht, als sie mir öffnet. »Hallo, Arschnase.«

Ich knurre beleidigt. »Darf ich reinkommen?«, frage ich, und sie lässt mich rein.

»Kaffee, Arschnase?«

»Kannst du mal aufhören, mich ›Arschnase‹ zu nennen? Und ja, gern.«

»Du musst nur aufhören, dich wie eine Arschnase zu benehmen, dann ziehe ich es vielleicht in Erwägung, dich nicht bei deinem Sklavennamen zu rufen, Arschnase.«

»Hey!«

»Schon gut.«

Wir hocken uns an den Küchentisch. Eine Weile halten wir die Klappe und genießen Kaffee und Grand Magus, die aus Laras iPhone-Dockingstation dringen. Ich hasse diesen Apple-Scheiß. Voll nicht true. Aber ich muss leider gestehen, dass die kleine Röhre meine Anlage zu Hause fast in die Tasche steckt. Aber auch nur fast.

»Also, willst du mir deine Version der Geschichte erzählen?«, unterbricht Lara das Schweigen.

Ich seufze. Lucy wird wohl schon allerorten herumerzählt haben, was passiert ist. Kann ich ihr nicht mal verdenken. Ich dürfte jetzt wohl schon stadtweit als notgeiler Hurenbock bekannt sein. Also bleibe ich lieber in der Defensive.

»Was soll ich sagen? Ich hab Scheiße gebaut, aber so richtig.«

Sie schüttelt den Kopf. »Ganz ehrlich, nach all dem Heckmeck, bis ihr zusammen wart, hätte ich eigentlich gedacht, dass ihr die Grimms-Märchen-Nummer durchzieht und happy seid bis ans Ende eurer Tage. Und dann leistest du dir so einen Klopper!«

»Ich sollte vielleicht mit dem Saufen aufhören.«

»Wäre ’ne Maßnahme. Du scheinst es ja einfach nicht zu vertragen.«

»Na, mal gucken. Wenn ich erst mal auf der Straße sitze, komme ich um Fusel wohl kaum rum.«

Sie zieht eine Augenbraue hoch. »Jetzt mach mal kein Drama. Suchst du dir halt eine kleinere Bude.«

»Das sagt sich so leicht. Meinen Job bin ich nämlich auch los.«

»Ups.«

»Ja, genau. Ups. Momentan ist bei mir alles ziemlich ups. Ach ja, das Loch hat übrigens auch dichtgemacht.«

Sie seufzt. »Hab ich schon gehört. Schöne Scheiße.«

»Vielleicht sollte ich mich einfach vor ’nen Zug schmeißen«, brumme ich in meine Kaffeetasse.

»Ja, nee, is’ klar, Torben. Das macht es natürlich viel besser, wenn du deine Gedärme in der Landschaft verteilst und einen Zugführer traumatisierst.«

»Ich mach es ja nicht. Aber momentan kackt mir das Leben echt mit Schmackes in die Lunge.«

Lara überlegt kurz. »Du kennst doch das alte Sprichwort: Hinfallen darf jeder mal. Es kommt darauf an, wieder aufzustehen – und dem Typen auf die Fresse zu hauen, der dir ein Bein gestellt hat.«

»Dann müsste ich mir wohl selbst eine pfeffern.«

»Tja.«

Sie steht auf und spült ihre Tasse aus. »Weißt du, vielleicht solltest du dir eine kleine Auszeit nehmen und wegfahren. Einfach mal den Kopf frei kriegen.«

»Ich sollte lieber versuchen, meine Ehe zu retten.«

Sie sieht mich an und schüttelt den Kopf, in etwa so wie Erwachsene auf ein Kind herabgucken, das gerade etwas Saublödes gesagt hat, weil es es einfach nicht besser weiß. »Auf keinen Fall solltest du Lucy jetzt nerven. Lass ihr lieber Zeit, damit sich ihre Wut abkühlen kann.«

Ich runzle die Stirn. »Meinst du, es gibt überhaupt noch eine Chance?«

»Keine Ahnung. Aber warum auch immer, Lucy liebt dich Vollidiot, sonst wäre sie nicht so wütend auf dich. Es kommt jetzt darauf an, ob sie dir verzeihen kann. Auch wenn du es nicht verdient hättest.«

»Ich weiß, ich weiß.«

Sie wuschelt mir über den Kopf, was irgendwie komisch wirkt von jemandem, der zwei Köpfe kleiner ist.

»So oder so«, sagt sie. »Das wird schon wieder.«

Ich seufze und trinke meinen Kaffee aus. »Ich hoffe, du hast recht.«

»Vielleicht solltest du mal deine Eltern besuchen, einen Tag aus der Stadt rauskommen.«

Ich überlege. Gar keine schlechte Idee. Sich mal wieder von Muttern bekochen lassen, ein bisschen im Wald spazieren gehen und meinen Paps um Rat fragen, wie ich das mit Lucy wieder einrenken kann, ist ein guter Plan. Wir haben zwar noch nie so richtig über solche Themen gesprochen, aber soviel ich weiß, hat er auch mindestens einmal richtig Scheiße gebaut, und meine Eltern sind trotzdem noch verheiratet. Irgendeine Medizin muss es also geben, um solche Brüche zu heilen. Eine Art Ehe-Penicillin.

»Ich glaub, das mache ich«, sage ich.

Lara nickt. Keine Ahnung, warum mir ausgerechnet die Jüngste in unserer Clique meist die besten Ratschläge erteilt. Vielleicht hat sie einfach eine sehr alte, weise Seele.

Zu Hause stelle ich fest, dass ich plötzlich viel mehr Schubladen und Fächer im Kleiderschrank für meine Klamotten zur Verfügung habe. So ein Mist. Das war nicht das eilige Zusammenraffen von ein paar Klamotten, um einige Tage woanders sauer zu sein, das ist ein halber Auszug. Ich schaue im Wohnzimmer nach. Einige ihrer Lieblingsbücher und -CDs fehlen. Immerhin hat sie mir nicht ihren Schlüssel auf den Tisch gelegt, und es ist immer noch genug Kleidung und Zeug von ihr da, dass zumindest die Möglichkeit besteht, dass sie zurückkommt. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt, allein schon um den letzten Deppen auf Erden beim Sterben herzhaft auszulachen.

Ich klatsche in die Hände, und ein Miniecho ertönt, eins von der Sorte, die man nur in leeren Zimmern bekommt oder in Räumen, die halb ein- oder ausgeräumt sind. Jetzt fällt mir auf, dass ein paar Fotos fehlen und einige ihrer Lieblingsposter.

»Das ist voll nicht gut«, sage ich in dem Tonfall, der Kinohelden zu eigen ist, kurz bevor ein Panzer oder ein Weltraummonster durch die nächste Wand bricht. Lemmy jault leise.

Ich gehe in die Küche und mache mir einen Beruhigungskaffee. Normalerweise würde ich jetzt zu einem Bier greifen, aber die Sauferei hat mich genau in diesen Schlamassel reingeritten. Die Sauferei und mein Penis. Ich sollte mir beides abgewöhnen. Bringt nur Ärger.

Ich trinke Kaffee, denke nach und kraule Lemmy hinter den Ohren, der glücklich schmatzt und furzt. Wenigstens einer ist hier einfach zufriedenzustellen.

Ich nehme mein Handy und rufe bei meinen Eltern an.

»Lange?«, meldet sich Mutter.

»Ja, hier auch«, sage ich. »Sag jetzt nicht, dass du meine Nummer nicht eingespeichert hast.«

»Öhm, doch, natürlich«, lügt meine Mutter. Ich höre das Geräusch ihrer wachsenden Nase.

»Hm, dann solltest du eigentlich auf dem Display sehen, dass ich es bin. Da sollte so etwas stehen wie ›Torben‹ oder ›Sohn‹ oder ›Das Beste, was mir je passiert ist‹.«

Sie schnauft. »Ja gut, du hast mich erwischt. Ich hab ein neues Handy, und ich hab noch nicht alle Nummern im neuen eingespeichert.«

»Meine ist ja auch nicht so wichtig, gelle?«, ätze ich.

»Ach, red doch keinen Quatsch. Sag mir lieber, was du willst. Brauchst du Geld?«, wechselt meine Mutter abrupt das Thema.

Ich will erst »Ja« sagen, aber das spar ich mir lieber auf, bis ich richtig abgebrannt bin. Noch werde ich ja bezahlt.

»Nee«, sage ich. »Ich würde gerne für ein, zwei Tage zu euch kommen. Geht das?«

»Ach was«, sagt meine Mutter erstaunt. »Wie kommen wir denn zu der Ehre?«

»Ich muss einfach mal ein bisschen raus aus der Tretmühle.«

»Hast du Streit mit Lucy?«

Verdammt, ertappt. »Ich will einfach mal raus aus der Stadt«, weiche ich aus. »Wieso, spielt keine Rolle.«

»Hmm«, macht sie und schafft es, in diesem Ton gleichzeitig Misstrauen, Unglauben und Neugier auszudrücken. »Wir sind die nächsten Tage zu Hause, du kannst kommen, wann du willst. Und du kannst bleiben, so lange du willst.«

»Höchstens zwei Tage«, sage ich. »Ich hab ja schließlich ’ne Menge zu tun.« Zum Beispiel meine Ehe retten, einen neuen Job finden, vielleicht eine neue Wohnung suchen. Kleinigkeiten halt.

»Alles klar«, sagt Mutter. »Ich freu mich auf dich.«

»Okay. Bis dann.«

Ich lege auf. Sofort drängt sich mir die Stille in der Wohnung wieder auf wie dicke, feuchte Luft. Es ist erstaunlich, wie sehr sich Räume verändern können, wenn jemand nicht mehr da ist. Es hilft nichts.

»Ich will sie wieder zurück«, sage ich zu Lemmy, und er legt den Kopf schief. »Ich will meine Frau wiederhaben.«

Er bellt zustimmend. Vielleicht will er auch nur gefüttert werden. So wie immer, wenn er nicht gerade schläft oder irgendetwas begattet.

Ich werde morgen zu Lucy gehen und versuchen, sie dazu zu bringen, mir zu vergeben. Bis dahin muss ich mich ablenken, mir aber auch gleichzeitig einen Schlachtplan zurechtlegen: keine Blumen, kein doofes Verzeih-mir-Geschenk, so was findet sie höchstens lächerlich. Eine einfache, aber aufrichtige Entschuldigung ist viel wichtiger. Und sie vor allem davon überzeugen zu können, dass so etwas nie mehr vorkommt. Und das meine ich tatsächlich so, stelle ich, von mir selbst überrascht, fest. Hauptsache, ich verliere Lucy nicht.

Ich füttere Lemmy und stöbere im Stadtmagazin: Im JZ spielen ein paar lokale Metalbands. Nichts Berauschendes, aber immer noch besser, als wenn mir die Decke auf den Kopf fällt.

Die Bands sind wirklich nicht so prall. Stocksteife Oberstufenbubis, denen Mutti zu Weihnachten neue Instrumente geschenkt hat. Ich sitze hinten auf einem Barhocker, schlürfe an meinem Bier herum und beobachte das Treiben vor der Bühne. Wie bei Konzerten mit lokalen Bands üblich, ist es einigermaßen voll, allerdings wechseln sich nicht nur die Bands ab, sondern auch die Zuschauer. Zugeguckt wird nur bei der Band, mit der man bekumpelt ist, alle anderen werden hart ignoriert. Auf diese Art kann ein Laden beinahe ausverkauft sein, und trotzdem ist die Stimmung für den Arsch. Verwöhntes Pack. Anstatt mal einer Band eine Chance zu geben, die man vielleicht gut finden könnte, friert man sich lieber draußen den Hintern ab und geht den Anwohnern mit seinem Gegröle auf den Sack und säuft mitgebrachtes Dosenbier, weil das Bier im Laden ja viel zu teuer ist. Ungefähr dreißig Cent teurer. Und wenn dann die Veranstalter keinen Bock mehr haben, ist das Gejaule wieder groß. Manchmal könnte ich kotzen.

Momentan müht sich eine True-Metal-Band auf der kleinen Bühne recht ordentlich ab. Den Namen habe ich schon wieder vergessen, irgendwas mit »Dragon«. Ihre mitgebrachte Fanbase (aka Jahrgangsstufe) hat sehr angestrengt Spaß und kriegt mit Ach und Krach und einigen Lücken zwei bis drei Reihen vor der Bühne gefüllt. Währenddessen stehen draußen vor der Tür gut und gerne hundert Leutchen, die sich beschweren, dass es dort keine Mucke gibt, und die auf »ihre« Band warten wie Kariespatienten beim Zahnarzt.

Es macht mich nicht zu einem besseren Menschen, aber selbst nach über fünfzehn Jahren als Konzertgänger und DJ mag ich es immer noch, mir neue Bands anzugucken und mich einfach mal drauf einzulassen, was da so kommt. Das ist mein Verständnis von »Support the underground«. Klar, es ist eine Menge Schrott dabei. Wenn man ehrlich ist, sollten sich achtzig bis neunzig Prozent der Bands überlegen, ob Modelleisenbahnen oder Entenjagen im Stadtpark nicht ein sinnvolleres Hobby wären, aber manchmal sind auch richtige Perlen dabei. Und ich fände es schade, die zu verpassen. Gut, die Drachenband gehört nicht unbedingt dazu, aber sie bemüht sich, und das honoriere ich gerne. Headbangen gehe ich trotzdem nicht. Ich würde den Altersdurchschnitt im Auditorium signifikant in die Höhe treiben, und das würde mich wieder deprimieren. Die erwachsene und alte Garde des Metal-Stammes ist natürlich nicht anwesend, morgen ist schließlich ein Werktag. Da kann man abends nicht mehr rausgehen, da muss man doch auch Verständnis für haben. (Das sind übrigens genau die Exemplare, die dann samstagabends auf der Tanzfläche hackendicht und lauthals zu W.A.S.P. »I’m a wild child« mitbrüllen.)

Lemmy stöbert zwischen den Beinen der Zuhörer umher, um eventuell heruntergefallenes Essen oder Bier zweitzuverwerten oder das eine oder andere Bein durchzurammeln, was deren Besitzer immer nachhaltig irritiert, mich aber stets ungemein aufheitert.

»Gar nicht mal so schlecht«, sagt Sven und zeigt zur Bühne.

Ich zucke mit den Schultern. »Ja, ganz cool. Die müssten nur mal lernen, wie man eigene Songs schreibt. Jedes Lied hört sich an wie eine Coverversion von Manowar oder Hammerfall.«

»Die sind noch jung.«

»Gerade dann sollte man nicht so tun, als wäre man seit dreißig Jahren dabei. Dieses Alten-Zeiten-Hinterherrennen finde ich echt gruselig. Als ob die Kids keine eigenen Sorgen oder Geschichten hätten.«

»Vielleicht haben sie die tatsächlich nicht«, sagt Sven. »Die müssen sich damit rumschlagen, wie sie das allerneueste Smartphone kriegen oder genug Likes für ihr neues Profilbild. Das ist nicht gerade Stoff für einen Metalsong.«

»Nää«, sage ich. »Guck dir doch mal den ganzen Shit an, der abgeht! Terroranschläge, die Ressourcen gehen zu Ende und die Klimaerwärmung, das wären doch gute Themen für so richtig angepissten Metal. Ich meine, Holland säuft irgendwann ab, und die singen immer noch von bösen Drachen und toughen Kriegern in Ledershorts!«

»Holland in Not, Holland in Not«, singt Sven auf die Melodie von »Breaking the law«, und ich muss lachen.

»Na ja, so ungefähr«, sage ich.

Sven kratzt sich am Kinn. »Wusste gar nicht, dass du so ein politisch interessierter Typ bist«, sagt er.

»Bin ich eigentlich auch nicht. Aber wenn bei mir die Kacke tief fliegt …«

»Und das tut sie gerade gewaltig!«

»… dann versuche ich, mir immer vor Augen zu halten, dass es anderen noch viel dreckiger geht. Und dass meine Probleme ein Witz dagegen sind, first world problems halt.«

»Du bist eben ein First-world-Langweiler«, sagt Sven und grinst.

»Jep«, sage ich. »Und das finde ich gar nicht mal so schlecht. Ich brauche kein großes Abenteuer. Meine Biografie könnte ruhig heißen: ›Alles in Butter, weitermachen‹.«

»Die würde bestimmt ein Renner. Nicht.«

»Das macht mir nix. Stell dir mal vor, jemand würde echt meine Geschichte aufschreiben, das würde doch kein Schwein lesen wollen. Ich mag es lieber unaufregend, aber dafür mit meinem Arsch im sicheren Heim, das ist meine Devise.«

»Hm. Aber von anderen die Revolution erwarten, das haben wir gerne.«

Ich zucke mit den Schultern. »Ach, Quatsch. Revolution. Die will eh keiner. Aber ein bisschen mehr Bewusstsein für die Dinge, die momentan schieflaufen, fände ich ganz schön. Und ganz ehrlich: Eine Band mit dem Sound von Maiden und dem Spirit der Sex Pistols, die hätte was. Aber nö, alle gehen immer auf Nummer sicher.«

»Nicht labern, selber besser machen«, sagt Sven.

Ich lache sarkastisch. »Nee, aus mir wird in diesem Leben kein brauchbarer Musiker mehr. Ich kann ›House of the Rising Sun‹ auf der Akustischen spielen, dann ist aber auch Feierabend. Eigentlich scheiße. Ich liebe Mucke, hatte aber nie die Disziplin, mal ein Instrument zu lernen.«

»Es ist nie zu spät anzufangen.«

»Ach, lass mal gut sein. Würde ich mich tatsächlich auf den Arsch setzen, könnte ich mit Mitte dreißig meine erste Band gründen, das will keiner. Oder ich geh gleich in die Blueskneipen und zocke mit Rentnern und Familienvätern. Nein, ich bleib hinter den Kulissen als DJ und Internethansel. Wobei, Letzteres hat sich ja wohl auch erledigt. Und als DJ brauch ich mich eigentlich auch nicht mehr bezeichnen. Einmal im Monat im Ruby auflegen, kann man nicht gerade als Lebensgrundlage bezeichnen.«

Sven zuckt mit den Schultern. »Dann mach halt öfter.«

»Das sagst du so. Die Läden, in denen man was damit verdienen könnte, machen alle zu. Und in irgendwelchen Kneipen gegen Freibier den Winamp spielen, muss ich auch nicht haben. Ich werd wohl wieder Homepages für Autohändler und Blumenläden zusammentackern für den Rest meines Lebens.«

Ich trinke einen langen Schluck. Manchmal denkt man Gedanken, die man vorher noch gar nicht hatte und sich als erschreckend richtig erweisen können. Das ist deprimierend.

Sven klopft mir mit seiner ätherischen Hand auf die Schulter. »Könnte schlimmer kommen«, sagt er.

Ich ziehe eine Augenbraue so hoch, dass Mister Spock vor Neid grün würde. »Ach, und wie soll’s schlimmer kommen? Ich muss mir einen neuen Job suchen, den ich vermutlich hassen werde, meine Frau habe ich vergrault, und ich muss mir eine neue Wohnung suchen, die wahrscheinlich voll scheiße sein wird. Wie soll’s noch schlimmer kommen?«

Sven deutet auf den Hund, den er mir vererbt hat. »Du hast immer noch Lemmy«, sagt er und grinst. Ich sehe Lemmy, dem Trost meiner dunklen Tage, dabei zu, wie er gerade die Kotze eines Teenagers aufleckt.

»Na super«, sage ich.

»Hör mal«, sagt Sven und wird ernster. »Ich kenne dich, und ich kenne Lucy. So leicht gibt die nicht auf. Natürlich ist sie stinksauer, und mit was?«

»Mit Recht.«

»Genau. Aber gib sie noch nicht auf. Ihr seid nicht erst seit zwei Wochen zusammen. Ihr seid verheiratet, und Lucy bedeutet das was. Du solltest auf jeden Fall nicht kampflos aufgeben, okay?«

Ich nicke. »Du hast recht. Ich gehe morgen mal zu ihr.«

»Mach das.«

Ein Jungmetaller mit frisch gewaschener Kutte und zartem Kinnflaum bleibt vor mir stehen. Er sieht aus, als müsste er noch ein paar Jahre in seine Klamotten hineinwachsen. Er hält eine Maß Bier, die ihm jeden Moment aus den Mädchenhänden zu rutschen droht, und wirklich aufrechtes Stehen scheint bei ihm auch nicht mehr so gut zu klappen. Er schielt mich an.

»Sag ma’«, lallt er. »Bissu nich’ der Typ mit der Kommumm… Kooolumme? Damals, beim Hammer’n’Steel?«

Die Kolumne gibt es jetzt schon lange nicht mehr, aber auf Konzerten und Partys werde ich immer noch drauf angesprochen, und ich kann nicht leugnen, dass ich mich dabei stets etwas gebauchpinselt fühle. Mein kleines bisschen Ruhm.

»Du meinst ›Jungsmusik‹«, antworte ich ihm und muss mir ein stolzes Lächeln verkneifen. »Ja, das war ich.«

Er sieht mich an. »Die wa’ immer voll scheiße«, sagt er. Immerhin muss ich mir kein Lächeln mehr verkneifen.

Er schwankt und guckt in sein Glas. »Total scheiße«, unterstreicht er nachdenklich und trinkt.

»Verpiss dich, Fickfresse«, fauche ich. Ich gehöre nicht unbedingt zur kritikfähigen Sorte Mensch. Sven kichert.

Irgendwie scheint der Typ die Beleidigung gar nicht zu registrieren. Er versucht, mich anzusehen, starrt aber etwa zehn Zentimeter an meinem Kopf vorbei. »Noch’n schön’ Abend«, sagt er und schwankt davon.

Zehn Minuten später liegt er unter einer Bierbank, schläft selig, und ich versuche Lemmy einen neuen Trick beizubringen, aber er kapiert nicht, was »Fick seine Frisur!« bedeuten soll. Es ist auf niemanden Verlass.