Jungsmusik - Micha-el Goehre - E-Book

Jungsmusik E-Book

Micha-El Goehre

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Beschreibung

Love, Sex und 'die beste Musik vonne Welt' Eine Clique Heavy Metal-Fans in den Mittzwanzigern, reichlich partylustig, trifft auf den Ernst des Lebens, der mit zunehmender Ungeduld an ihre Türen klopft. Ein Coming-of-Age-Roman der anderen Art: Härter. Metallischer. Und komischer. Torben 'arbeitet' als Metal-DJ und hat sich in seine beste Freundin Lucy verliebt. Das verwundert vor allem einen: Torben, denn bislang bestand sein Liebesleben aus viel Bier und One-Night-Stands. Also schafft er es nicht, Lucy seine Gefühle zu beichten und sucht Trost in noch mehr Bier. Unteressen lässt sich Torbens Clique auf das wahnwitzige Projekt ein, ein Konzert im "Loch" zu organisieren, Katharina wird durch freundschaftlichen Sex von Matze schwanger und Svens Bulldogge Lemmy lässt ein Vereinsheim von Nachwuchs-Nazis auffliegen. In der Welt der Clique gibt es nur eine ruhige Konstante: Heavy Metal. Na ja, vielleicht nicht wirklich 'ruhig'. - Doch wenn schon alles andere ins Wanken gerät: Auf die Jungsmusik ist Verlass.

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Micha-El Goehre

JUNGSMUSIK

© Satyr Verlag Volker Surmann, Berlin 2011

www.satyr-verlag.de

Satz und Cover: Endai Hüdl

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über: http://dnb.d-nb.de

Die Marke »Satyr Verlag« ist eingetragen auf den Verlagsgründer Peter Maassen.

Korrigierte E-Book-Ausgabe auf Basis der 2. Druckauflage (Mai 2013)

ISBN 978-3-9814475-4-5 (pdf)

ISBN 978-3-9814475-5-2 (epub)

Micha-El Goehre

JUNGSMUSIK

Dem »Tribe of Sandman« gewidmet

und

GUS CHAMBERS.

Danke für einen magischen Heavy-Metal-Moment.

R.I.P.

1.

KELLERKINDER

Hast du mein Exciter-Shirt irgendwo gesehen?«

Ich gebe ein Geräusch von mir, das hoffentlich wie eine verneinende Antwort klingt. Zu mehr fühle ich mich gerade nicht in der Lage.

»Shit, ich könnte schwören, dass ich es gestern anhatte.« Sie beäugt mit in die Hüften gestemmten Fäusten das Chaos in meiner Bude. Sie trägt nur einen knappen schwarzen Slip. Ihre langen, langen, schönen Haare reichen bis an den Saum des Höschens. Sie verdecken größtenteils das Rückentattoo, einen Drachen, der sich um ein ziemlich prolliges Schwert windet. Sieht eigentlich ziemlich billig aus.

Aber ihr steht es. Sie sieht wirklich von oben bis unten toll aus. Die letzte Nacht war klasse. Ich benutze diesen Begriff nicht sehr oft, aber wenn ich mich richtig erinnere, dann haben wir es getrieben, wie die Tiere es nie treiben würden, weil sie gar nicht auf die Idee kämen, es so zu treiben. Und schon gar nicht so oft hintereinander. Es war schlicht und ergreifend klasse. Weltklasse sogar, aber nicht von dieser Welt.

Ein tolles Mädchen.

Vielleicht sollte ich sie mal nach ihrem Namen fragen.

Stattdessen drehe ich mich wieder zur Wand und stelle mich schlafend.

Was zur Hölle mache ich hier eigentlich?

***

»Ey Torben! Mach Mucke, oder was!?«

Nicht viele Menschen kriegen es auf die Reihe, einen Befehl und eine Frage in ein und denselben Satz zu packen und beides hundert Prozent durchklingen zu lassen. Daumen schafft das problemlos. Ihm gelingt es sogar, dabei zu brüllen und gleichzeitig nonverbal »Bitte!« zu sagen.

Ich schaue mich in dem Partykeller um, den wir gerade besiedeln. Ich habe keine Ahnung, zu wessen Haus oder Wohnung er gehört und in welchem Ortsteil er sich befindet. Ein Partykeller, wie man ihn in längst vergangenen Zeiten, den Siebzigern oder Achtzigern, unter jedes Haus gedengelt hat, in dem Glauben, 1,90 Meter Deckenhöhe und der massive Einsatz dunkelstbrauner Wandvertäfelung würden in Verbindung mit schwachbrüstiger Zapfanlage und drei epileptisch vor sich hin flackernden farbigen Glühbirnen für Partylaune und Gemütlichkeit sorgen. Was natürlich eine völlig richtige Einschätzung ist, weil der anwesende Haufen vornehmlich Langhaariger sich nicht viel für Design und Fragen der Innen- und Eventarchitektur interessiert. Solange der Faktor »Zapfanlage« und ein Nebenraum für Notgroschenbierkästen vorhanden ist, sind die zufrieden, genauso wie ich gerade.

»Also?!«, hakt Daumen nach. Er sieht dabei aus wie ein potenziell gewaltbereiter Stier, der einen sofort zu einem Schmierfilm auf dem Boden verarbeiten kann. Aber in jedem Stier steckt auch das Wesen einer Kuh und dieses Rindvieh hat neben allem Fordernden auch einen Gesichtsausdruck, als würde man mit einem dicken Büschel saftigem, frisch geschnittenem Gras vor seiner nassen Nase wedeln.

Fakt ist, dass sich keine Sau besonders für die Musik interessiert. Gut, das würde sich schlagartig ändern, wenn jemand es wagen würde, Hiphop oder Techno in den Player zu schmeißen. Dann gäbe es Tote, Revolte und im schlimmsten Fall Bierverbot für den Täter. Aber solange irgendwas mit lauten Gitarren läuft, ist die Partymeute zufrieden. Die meisten sind mit Labern beschäftigt oder mit Saufen oder mit Labern oder mit Biertrinken oder damit, irgendeine Frau anzubaggern, die entweder schläft, Bier trinkt oder die eigene Ex-Freundin ist. Nur zwei Figuren stehen in der Mitte des Raumes und moshen zu irgendeinem Death-Metal-Song, den ich nicht kenne und meinem Verdacht nach die beiden Headbanger auch nicht. Einer hält sich an der wackeligen, selbstgezimmerten Theke fest, der andere an dem, der sich an der Theke festhält und einem Weizenglas, in dem eine trübe schaumund kohlensäurefreie Plörre freudlos hin- und herschwappt.

An einem Tisch in der Ecke unter dem Kunstharzgeweih mit der Plakette »Grüße aus dem schönen Harz« und einem C.-C.-Catch-Poster zockt ein Sechserpack eine Trinkspielvariante von Monopoly, deren Grundkonzept ich nicht vollständig kapiere, aber auf den Feldern, die normalerweise mit Ereignis- beziehungsweise Gesellschaftskarten belegt sind, stehen nun jeweils eine Pulle Wodka Gorbatschow und Jim Beam, beide bereits reichlich geplündert und einer der Spieler räumt mit siegesgewissem Grinsen vier Schnapsgläser von der Schlossallee und ersetzt sie durch ein Weizenglas. Dann trinkt er die vier Schnäpse auf ex und grinst wieder, jetzt aber nicht mehr ganz so glücklich.

Für die Musik interessiert sich keiner, zumal es auf drei Uhr morgens zugeht und die ersten Verluste zu beklagen sind. Unter ein, zwei Bänken haben sich bereits die Ersten in ihre Kutten oder den fleckigen Teppich gekuschelt und träumen vom Weiterfeiern. Einen DJ braucht hier keiner.

»Einen DJ braucht hier keiner«, teile ich Daumen meinen Gedankengang mit.

»Mach keinen Scheiß, Alter. Seit ’ner halben Stunde läuft nu’ schon dieser Death-Dreck, das kann ich nich’ ab. Das macht schlechte Laune!«

Ein paar Leute haben Daumens Ansage mitbekommen und versteifen sich merklich. Wenn Daumen schlechte Laune kriegt, bedeutet das Alarm. Daumen ist nicht nur hoch wie breit wie tief, er ist auch Präsi der lokalen Sektion des Motorradclubs »Black Angels«. Alles an Daumen vermittelt den Eindruck, dass Ärger mit ihm weniger mit einer Schlägerei als mit der Erstürmung des Hamburger Hill zu tun hat. Aber ich habe glücklicherweise eine gewisse Narrenfreiheit bei ihm, weil er mich als DJ respektiert, weswegen ich mir erlauben kann, nicht weiter auf seine Forderung einzugehen.

»Alter, schwing deinen Arsch hinter den Tresen und mach Mucke, oder was!?«

»Wozu? Das hier ist ’ne gemütliche Sitzen- und Saufenparty. Da brauch keiner einen Blödmann, der eine CD nach der anderen reinschmeißt. Außerdem hab ich einfach keinen Bock.«

»Ja, aber den Death-Dreck kann ich nicht am Kopp haben! Und du machst immer gute Sachen an. Na ja, nicht immer. Aber oft. Manchmal. Also oft genug.«

»Daumen, das ist dein Problem. Ich muss immer für Party sorgen, wenn ihr Spaß habt. Jetzt hab ich frei und will mir auch mal in Ruhe einen löten. Wenn dir die Mucke nicht passt, mach doch selber was an. Wird sich bestimmt keiner beschweren.«

Daumen wirft einen irritierten Blick in den Raum und wirkt dabei wie das Auge Saurons, nur mit Lederjacke. Ein paar Leute mit einem gesunden Sinn für Lebenserhaltung murmeln eifrige Bekundungen, dass ihnen eine andere CD nix ausmachen würde, ganz bestimmt nicht.

»Hm, na gut. Mach ich mal was an.« Er trollt sich hinter den Tresen, begutachtet die ungeordnete und größtenteils schon leicht verklebte CD-Ansammlung und entscheidet sich letzten Endes für einen Best-of-Sampler von Rose Tattoo, bevor er sich wieder in eine Sofaecke zu seinen Bikerkollegen verzieht.

»Also, wo waren wir?«, fragt Sven, der neben mir sitzt. Ich sehe ihn an und muss einen Moment ernsthaft überlegen. Mein Pegel ist inzwischen auch schon so hoch, dass er meine Aufmerksamkeitsspanne deutlich senkt.

»Ach ja, äh, Weiber«, fällt es mir dann doch wieder ein. »Kann ich langsam echt nicht mehr ab, das Thema.«

»Wieso, was war denn nu schon wieder?«

»Na ja, gestern bin ich neben einer Frau aufgewacht und hatte null Ahnung, wer die überhaupt war und wo ich die aufgegabelt habe.«

»Sah die gut aus?«

»Ja, das schon.«

»Dunkle Haare? Relativ groß, schlank? Exciter-Shirt?«

»Ja, genau, woher weißt du das denn?«

»Mit der hast du die ganze Zeit im Loch rumgemacht.«

»Ach du Scheiße!«

»Ja, das war streckenweise schon echt schwer zu ertragen, dieses besoffene Geturtel.«

»Kacke.«

»Ach komm, wenigstens hast du ’ne gute Nacht gehabt.«

»Na ja, ging so. Ich weiß ja nicht mal, ob wir wirklich gevögelt haben oder ob ich mir das nur eingebildet und mich mal wieder zum Vollhorst gemacht habe. Himmel, ich hoffe, ich bin nicht mittendrin eingeschlafen. Nicht schon wieder!«

»Das ist nicht unwahrscheinlich. Du warst voll wie zehn Russen. Du hast sogar versucht, ’ne Schlägerei mit dem Spielautomaten anzufangen. Du weißt, wie empfindlich 08/15 mit seinem Spielzeug ist. Der war drauf und dran, dir Hausverbot aufzubrummen.«

Das klingt ernst. Hausverbot im Loch wäre so etwas Ähnliches wie Verbannung, Exil und Ächtung, alles zusammen.

Sven setzt nach: »Was musste auch immer so viel saufen? Du musst echt mal langsamer machen. Irgendwann gerätst du an den Falschen und dann haste mal richtig einen sitzen.«

»Soll ich jetzt abstinent werden, oder was?«

»Ach Quatsch. Scheiße, nein, aber du wirst halt immer echt ’n Arsch, wenn du gesoffen hast. Du baust Scheiße und kannst dich am nächsten Tag nicht mal dran erinnern. Das ist doch Mist, Mann.«

»Ja, hast ja recht. Aber was soll ich denn sonst machen? Ich hab keinen Plan, was ich mit meinem Leben anfangen soll. Außer Auflegen hab ich nicht viel, um mich zu beschäftigen; da staut sich halt was und das muss ich irgendwie kompensieren. Glaube ich.«

»Großartig, Doktor Freud, das Problem haste schon mal erkannt. Was ist denn mit deiner Schreiberei? Du wolltest da doch mal was draus machen.«

Ich zucke mit den Schultern und schmolle mein Bier an. Ich kann’s nicht ab, wenn Sven recht hat. Ich sollte wirklich mal langsam den Arsch hochkriegen.

»Den ganzen Tag am Band stehen kann’s aber auch nicht sein.«

»Ich hab wenigstens Asche auf der Tasche und bin nicht jedes Monatsende wieder bei null. Und ich will das ja auch nicht ewig machen. Ich spare und irgendwann mache ich mein eigenes Business auf. Was kleines Eigenes. Und was hast du vorzuweisen?«

»Klappe!«

»Siehste, immer nur am Mosern, aber nix angehen. Ey Pelle!« Er winkt den massigen Typen zu sich, der gerade zur Tür hereingekommen ist. Pelle erinnert einen immer daran, dass manche Kinder in ihrem Wachstum irgendwann an eine unsichtbare Zimmerdecke stoßen, was sie aber nicht daran hindert, weiterzuwachsen. Nur eben in die Breite. Ich mag ihn ganz gerne, auch wenn wir nur sporadisch miteinander zu tun haben. Es ist zwar mit seinen achtundzwanzig Lenzen nur ein Jahr älter als Sven und ich, aber durch seine Statur und seine Art wirkt er deutlich älter. Er hat eine angenehm natürliche und gemütliche Respektsaura. Er grüßt uns und nimmt dann am Tisch Platz, was etwas dauert, weil er erst seinen massigen Hintern entsprechend sortieren muss. Wir stoßen alle an.

»Was gibt’s denn?«, fragt Pelle.

»Du machst doch noch dein Online-Magazin, oder?«, erkundigt sich mein bester Kumpel.

»Hammer’n’Steel? Klar mach ich das noch. Wir bereiten grad den Relaunch im neuen Outfit vor. Das Ding ist inzwischen echt fett, wir haben endlich feste Anzeigenkunden und demnächst kommt noch ’n Store dazu. Man muss was tun, wenn man gegen die ganzen Social Networks anstinken will.«

»Kannst du nicht noch jemanden brauchen, der schreibt?«

»Hast du jemand Speziellen im Sinn?«

Sven deutet mit dem Daumen auf mich. »Torben!«

»Echt? Du schreibst?«

Mir ist das irgendwie ein Stück weit unangenehm. »Na ja, ein bisschen. So hobbymäßig.«

»Er ist echt gut.« Sven klingt jetzt wie ein verdammter arabischer Kamelhändler. »Und er hat Ahnung von Mucke.«

Pelle taxiert mich kritisch, wobei er beunruhigend gerade guckt. Er ist eindeutig noch nicht so besoffen wie ich, was ich als unfairen Spielvorteil ansehe.

»Na ja, für Interviews und so hab ich eigentlich genug Leute.«

Und Zack, so ist mein Leben: Sechzig Sekunden sah es so aus, als könnte ich mal was Neues anfangen, schon ist meine Karriere wieder am Arsch.

»Du könntest ja erst mal Reviews schreiben. Oder worauf hast du generell Bock?«

Na so was, das klingt doch wieder deutlich besser. Selbstverständlich werde ich sofort wieder unverhältnismäßig übermütig. »Kolumnen. Ich würde gerne Kolumnen schreiben!«

Pelle sieht mich an. »Kolumnen?«, hakt er nach und es klingt wie: »Aber sonst bist du ganz bei Trost, ja?«

Aus irgendeinem Grund sieht man Kolumnen als gehobene Disziplin an, vermutlich weil man dafür weniger recherchieren als vielmehr eine eigene Meinung haben muss und weil sich die gesammelten Ergüsse häufig ganz hervorragend für eine lukrative Zweitverwertung in Buchform eignen. Für Kolumnen bewirbt man sich nicht, man kriegt sie angeboten. Quasi als Belohnung für erbrachte Leistungen oder zumindest erfolgreiche und beharrliche Schleimerei.

»Ach, vergiss es«, komme ich Pelle zuvor. Ich bin schließlich hier, um Spaß zu haben und nicht, um mich fertigmachen und daran erinnern zu lassen, dass meine Lebensplanung nicht viel mehr als die nächsten vierundzwanzig Stunden umfasst.

»Nee, ich find das gut.« Pelle krault sich nachdenklich am Kinn.

»Hä? Wie jetzt?«

»Na ja, wir haben noch keine Kolumne, das ist ’ne gute Idee, lass uns das machen.«

»Ist das dein Ernst?«

»Klar Mann, das gibt uns einen seriöseren Anstrich und man kann die Leser besser an sich binden. Ich hatte schon an ein Blog gedacht, aber den Scheiß macht ja wirklich jeder heutzutage, das braucht keiner mehr. Aber so eine Kolumne, das hat was, das finde ich klasse.«

»Cool.«

»Na, was hab ich gesagt?«, triumphiert Sven dazwischen und grinst breit. Wir beachten ihn nicht weiter.

»Kohle gibt’s dafür natürlich keine«, dämpft Pelle meine Vorfreude. »Das Mag trägt sich momentan mit Ach und Krach selbst.«

»Ich dachte, das Ding wäre inzwischen echt fett?«, mault Sven.

»Nö, das ist schon okay«, interveniere ich. »Mir macht so was ja auch Spaß. Und vielleicht wird ja auch mehr draus.«

Pelle wuchtet sich wieder in die Senkrechte und streckt mir seine Bierflasche zum Anstoßen entgegen.

»Dann ist ja alles klar. Wenn du was fertig hast, schick’s mir einfach per E-Mail und dann gucken wir mal. Und denk dir einen flotten Namen für die Kolumne aus. Der Name ist wichtig!« Er tippt sich verschwörerisch an den Nasenflügel. »So, ich muss jetzt auf den Pott!« Damit zieht er von dannen.

Ersetzt wird er übergangslos von Matze und Katharina, die augenblicklich damit beginnen, sich gegenseitig die Speiseröhren auszulutschen, zumindest sieht es so aus. Ich will ja nicht katholisch werden, aber warum zur Hölle machen zwei Leute andauernd miteinander rum wie notgeile Bonobos auf Dopamin und sind trotzdem nicht fest zusammen? Für mich ergibt das keinen Sinn. Allerdings bin ich auch nicht der größte Experte für funktionale soziale Beziehungen. Was das Zwischenmenschliche angeht, erweise ich mich in letzter Zeit mehr und mehr als Grobmotoriker.

Irgendwie passt es ganz gut, das Matze und Katharina immer auf Partys in wilder Rummacherei enden. Sie passen zueinander, sie sehen beide nach den Maßstäben von Otto-Normal-Verbraucher ganz manierlich aus. Im Gegensatz zu meiner schlaksigen Ansammlung von Gliedmaßen und einem Kopf, der für keine andere Frisur als lange Haare taugt, wenn ich nicht total bescheuert aussehen will, könnte Matze auch auf einer R’n’B-Party Mädels abschleppen und deren Müttern vorgestellt werden. Er hat auch nicht solche Aknenarben wie Sven, der in seiner Pubertät gewisse Ähnlichkeit mit einem Mettigel aufwies. Und Katharina mit ihren naturrabenschwarzen Haaren, die jeden Gothic neidrot werden lassen, könnte mit ihrer hübschen Figur und einem guten Auge für Klamotten durchaus bei einer Versicherung arbeiten. Macht sie ja auch.

Die beiden machen eindeutig mehr her als der durchschnittliche Metalhead.

»Ist da noch Platz für mich?« Ich erschrecke tatsächlich, als mich Lucy von der Seite anspricht. Sie sieht mit hochgezogenen Augenbrauen auf mich runter.

»Klaro.« Ich rücke ein bisschen und sie quetscht sich zwischen mich und Sven.

»Was ist denn jetzt eigentlich mit der Exciter-Trulla? Willst du ernsthaft was von der?« Sven greift völlig unerwartet und vor allem komplett unerwünscht den Faden unseres Gesprächs wieder auf.

Lucy guckt mich mit ihrem Nicht-schon-wieder-Blick an:

»Exciter-Trulla?«

»Na ja, so eine Frau halt. Gestern. Im Loch.« Wieso klinge ich wie ein Junge, den man mit der ungewaschenen Hand in der Keksdose erwischt hat?

»Und lass mich raten: Ihr habt gevögelt und du weißt nicht mal ihren Namen.«

»Hrmpf! Ich glaube, ja.«

»Du bist so eine Nutte, man glaubt es kaum.«

Einen Platz weiter fängt Sven an zu geiern. Als ob er diesen Dialog zwischen mir und Lucy nicht schon des Öfteren mit angehört hätte. Unberechenbarkeit gehört nicht zu meinen Stärken. Hinzu kommt, dass ich ziemlich miserabel darin bin, meine beste Freundin anzuflunkern.

»Ich hab halt noch nicht die Richtige gefunden«, brummele ich in mein Bierflaschenmikrofon. Ich kann mich gerade noch beherrschen hinzuzufügen: »Du willst ja anscheinend nicht.«

Es ist echt scheiße, wenn man eine Frau schon ewig kennt, so lange, dass man sie noch getrost als Mädchen bezeichnen konnte, als man sich das erste Mal über den Weg lief, und man erst ein paar Jahre später kapiert, dass man eigentlich ganz gerne mehr als nur Freundschaft will. Aber jetzt ist es eindeutig zu spät und ich muss mich damit abfinden. Ich hab sie zwar noch nie auf das Thema angesprochen, aber ich vermute, das Ergebnis würde auf einen hysterischen Lachanfall ihrerseits hinauslaufen. Ich kippe noch die halbe Flasche auf ex. Zeit, die Lampen auszuschießen, eine nach der anderen.

Leider werden Frauen durch Alkohol meist nur attraktiver und ich seufze innerlich, wenn ich Lucy ansehe, ihr rundes offenes Gesicht mit den nussbraunen Augen, ihre glatten brünetten Haare, ein Mund, den Schönheitschirurgen gerne als Schnittmuster hätten, und eine Figur, die jeden Body-Mass-Index ad absurdum führt, schlank und trotzdem unbeschreiblich weiblich. Ich wünschte, ich könnte mir Lucy hässlich saufen.

»Torben, mal im Ernst: Du säufst zu viel.« Jetzt stößt sie auch noch in dasselbe Horn wie Sven. Ich hasse es, wenn meine beiden Lieblingswichser recht haben. Trotzdem werde ich schutzreflexartig patzig.

»Jetzt fang du auch noch damit an. Wer hat mir denn letzten Monat aufs Sofa gekotzt?«

»Hey, entschuldige mal, dass ich mir an dem Abend eine Magen-Darm-Grippe eingefangen habe. Wahrscheinlich auf deinem versifften Scheißhaus. So besoffen war ich gar nicht!«

»Ach komm!«

»Lenk nicht ab. Du weißt, dass ich recht hab. Ich mein, du kriegst ja schon ’ne richtige Wampe.«

»Stimmt gar nicht.« Ich tatsche auf meinen Bauch, der sich zugegebenermaßen schon mal weniger deutlich unter meinem Shirt abgezeichnet hat. »Ich bin nur ein bisschen aufgebläht, das ist alles.«

»Du solltest mal drüber nachdenken, Sport zu machen.«

»Sport ist Mord.«

»Dummheit tötet.«

»Ach, halt den Rand.«

Sven kichert sich eins. Irgendjemand, den ich nicht kenne, brüllt »Attacke!« und läuft einfach mal volles Mett gegen die Wandvertäfelung, kippt um und bleibt breit grinsend, aber bewusstlos liegen. Rose Tattoo werden unterbrochen und durch Iron Maiden ersetzt, woraufhin sich dann doch ein paar Leute zum gemeinsamen Headbangen* einfinden.

Auch Lucy gesellt sich dazu, was mir ganz recht ist. Ich hasse es, mit besoffenem Kopf mit ihr zu diskutieren, da habe ich einfach keine Schnitte.

»Aber mal im Ernst, was willst du jetzt eigentlich machen? Als DJ kannste ja auch nicht reich werden«, erkundigt sich Sven.

»Sag mal, willst du mir ernsthaft schlechte Laune machen?«

»Nö, aber es interessiert mich halt.«

Ich lasse mich nach hinten fallen. »Ach Shit, ich hab echt keine konkrete Ahnung. Ich könnte ja mit dem Auflegen durchaus mehr Kohle verdienen, aber wenn die Leute mitkriegen, dass du Metalpartys machst, kriegst du keine lukrativen Jobs. Was meinst du, was du für so Scheißhochzeiten oder Abibälle kriegst? Das ist echt nicht mehr heilig. Das Dreifache von meinem Lohn bei halber Arbeitszeit.«

»Dafür musste aber auch ziemliche Scheißmusik spielen.« Ich zucke mit den Schultern. »Ach was, das ist ja gerade der Punkt. Wenn man den Leuten mal ein bisschen was zutraut, dann geht das auch. Natürlich braucht man denen nicht mit Iced Earth kommen, aber die meisten sind froh, wenn mal nicht nur der Standardquatsch gespielt wird. Aber ist sowieso müßig, sich darüber großartig Gedanken zu machen. Ich hab lange Haare und hör Metal, da traut man mir natürlich nicht zu, noch andere Musik zu kennen.«

»Tja, und Metaller nennt man stur und voreingenommen.«

»Ich sag’s dir. Verlogene Scheiße.«

Ich lass die Bierflasche zwischen meinen Händen rotieren und ertappe mich dabei, wie ich Lucy beim Moshen zuschaue. Ich versuche, ihr dabei nicht mehr als nötig auf den Hintern zu glotzen. Es bleibt beim Versuch. Es ist schließlich ein sehr schöner Hintern.

Matze und Katharina lösen ihre Saugnapfmünder voneinander und Matze klinkt sich ins Gespräch ein.

»Sag mal, Torben, du machst doch auch so Plakate und Webseiten, oder?«

Ich zucke mit den Schultern. »Ja, zwangsläufig. Macht ja sonst keiner.«

»Willst du nicht irgendwas in dem Bereich machen? Grafikdesign oder so was? Ist auch was Kreatives und wird gut bezahlt.«

Gar keine so üble Idee. Ich hab schon eindeutig hässlichere Flyer gesehen als die von mir fabrizierten.

»Gute Idee, Matze. Und jetzt weitermachen.«

Matze grinst und fährt damit fort, an und in Katharina rumzulutschen. Iron Maiden weicht Exodus und Lucy fordert wieder ihren Sitzplatz ein. Das Monopoly-Spiel ist inzwischen wohl auch beendet, zumindest stimmt Lara eine Reihe von Triumphrülpsern an. Die ist auch so eine Nummer für sich. Eigentlich unser Küken, aber ein Organ wie ein russischer Bauarbeiter. Wie ein sehr großer russischer Bauarbeiter. Einer von dem Typ, der zu viel raucht und sein Bier öffnet, indem er es anschreit.

Kai steckt seinen Kopf zur Tür herein. Ach ja, das hier ist sein Partykeller. Wenigstens kann ich jetzt wieder verorten, wo zum Teufel ich überhaupt gerade bin. Ich sollte nächstes Mal vor einer Party mal darauf achten, wo man mich hinkutschiert. Kai peilt die Lage, bis er Sven entdeckt hat, und brüllt ihn an: »Sven, kannste mal deinen verblödeten Köter zu dir holen? Der frisst gerade das ganze Scheißhauspapier!«

»Dann sag ihm, er soll das bleiben lassen.«

»Spinnst du? Du weißt, dass ich mich dem Monster nicht auf fünf Meter nähere.«

»Wenn mein Kleiner wegen deiner Feigheit Verstopfungen kriegt, dann zahlst du den Tierarzt.«

»Ich zahl gleich das Einschläfern, wenn du nicht deinen Arsch bewegst und Lemmy vom Klo wegholst!«

»Meine Fresse«, ächzt Sven und wuchtet sich hoch. »Immer so ein Stress. Hunde brauchen nun mal ihren Freiraum.«

Da hat er im Prinzip recht, nur ist das bei Lemmy so eine Sache. Eigentlich ist die hässlichste Töle diesseits des Rheins ein sehr umgängliches Tier, nur hat es die blöde Eigenart, alle möglichen Dinge zu fressen, wenn es nicht gerade versucht, Katzen und Feldhasen zu vergewaltigen.

Fünf Minuten später schiebt Sven Lemmy in den Partykeller. Der Bulldogge hängen Sabber und Fetzen von Klopapier von den Lefzen und sie sieht wie jemand aus, den man rüde beim Essen gestört hat. Sven kramt hinter der Bar eine Plastikschüssel hervor, stellt sie zu seinem beleidigten Hund und kippt eine Flasche Bier rein. Als Lemmy zu schlabbern beginnt, sieht er schon wesentlich glücklicher aus. Er hat die Hälfte der Schüssel geleert, als sich sein Blick verklärt und er mit der Schnauze in der Schüssel einschläft. Er schnarcht vernehmlich und sein Atem erzeugt Bierblubberblasen. Dieser Hund verträgt aber auch gar nix!

Sven betrachtet das schlafende Monster mit einem mütterlichen Blick.

»Hab gewonnen!«, verkündet eine schwerst lallende und schwankende Lara und lässt sich dann neben Lemmy auf dem Boden nieder. Dann leistet sie ihm in Morpheus’ Reich offenbar Gesellschaft.

»Sag mal, warum warste eigentlich letztes Wochenende nicht auf’m Rock’n?«, fragt Katharina über den Tisch. Ich lasse meinen Kopf nach hinten fallen und mache ein Geräusch, das meine Genervtheit zum Ausdruck bringen soll, aber nur dafür sorgt, dass mir unangenehmerweise Galle in den Mundraum schießt. Jetzt bloß nicht kotzen. Ich spüle meine Körpersäfte mit einem Schluck Bier runter, was den bitteren Geschmack in meinem Mund auch nicht aufbessert. Ich gucke Katharina an und zucke mit den Schultern: »Weil ich keinen Bock hatte.«

»Du hast nie Bock auf Festivals, du Langweiler. Dabei ist das doch so geil. Ganzes Wochenende Party, coole Bands, coole Leute.«

»Genau!« Lara grölt dazwischen. »Gehs’ nie auf Fessivals. Du ... Du bissne ...« Sie schielt, als sie ihr Sprachzentrum nach dem letzten Wort durchsucht. Wir warten gespannt und schließlich wird sie irgendwo fündig, ihren verdrehten Augen nach zu urteilen: »... Pussy!« Und schläft wieder ein.

»Ich mag das einfach nicht, und fertig!«, beende ich meinerseits die Diskussion. Mir wird gerade ernsthaft übel. Vielleicht hat Lara mit ihrer Pussy-Einschätzung sogar recht und Katharina liegt nicht ganz falsch, wenn sie mich langweilig nennt. Aber man wird ja auch nicht jünger und es hat wohl seinen Grund, warum so viele Rockstars die magische Siebenundzwanzig nicht überleben. Man ist längst nicht mehr so belastbar. Lara hat noch fünf Jahre Zeit, bis sie diese Lektion lernen muss, für mich wird es jetzt Zeit, die Segel zu streichen. Ich bin fertig mit der Welt. Ich klopfe auf den Tisch zum Zeichen meines Aufbruchs. Katharina zuckt mit den Schultern und fährt fort, mit Matze zu knutschen.

»Ach komm, bleib doch noch ein bisschen. Ist doch noch viel zu früh!«

»Nee, Sven, lass ma, ich hab die Schnauze voll.« Er gibt mir fünf. Ich kraul noch kurz Lemmy die Ohren, dann wanke ich zu Lucy rüber und drücke sie zum Abschied.

»Du wirst alt«, reicht sie mir noch rein und ich sag: »Ja, ja.«

Wenn man schon zu kaputt ist, um sich vernünftig zu streiten, wird es Zeit. Beim Spießrutenlauf durch den Hausflur wird noch viel kurzgequatscht, lass mal was machen, klar bestimmt, ich meld mich, ganz sicher.

Dann sehe ich Pelle.

»Pelle, Alter, ich hab ein Thema für die erste Kolumne!«

»Na prima, dann braucht das Kind nur noch einen Namen.«

Ich guck mich um, schwanke ein bisschen und überschlage die Demografie der Anwesenden. Jung, wenn nicht an Jahren, so doch dem Benehmen nach, und zumeist Jungs. Klare Sache.

»Jungsmusik!«, lalle ich.

Pelle runzelt die Stirn, dann lacht er. »Alles klar, so machen wir’s.«

Wir schlagen ein, dann schnappe ich mir meine Kutte* und mache mich vom Acker.

Vor der Tür stolpere ich fast über eine Flasche, die jemand auf der Treppe hat stehen lassen. Sie ist noch verschlossen, also nehme ich sie mit. Nur zur Sicherheit, damit sich nicht noch jemand verletzt oder falls ich in der nächsten Viertelstunde spontan ausnüchtern sollte, Wotan bewahre.

Ich gehe nach rechts, dann merke ich, dass rechts falsch ist, also gehe ich zurück, stelle fest, dass links falsch ist und gehe dann doch rechts, was schon irgendwie stimmen wird. Nach dieser anstrengenden Prozedur bin ich erst mal durstig und suche in meiner Kutte nach einem Flaschenöffner oder Feuerzeug und werde tatsächlich fündig. Dann bleibe ich stehen und verarbeite die Erkenntnis: Ich besitze überhaupt keine Kutte.

Das ist dumm. Aber jetzt noch mal zurückzulatschen und das Ding dem rechtmäßigen Besitzer zu apportieren, hab ich auch keinen Bock, dafür bin ich schon zu weit gekommen. Ich drehe mich um und starre zurück. Der Eingang von Kais Elternhaus liegt etwa hundert Meter hinter mir. Irgendjemand dort im Keller hat gerade Running Wild aufgedreht.

Hundert Meter ...

Man soll nie zurückblicken, heißt es doch. Und ich bin schon viel zu weit gekommen.

Morgen wird mich vermutlich irgendjemand töten, weil ich sein allerheiligstes Denim gemopst habe, aber wer will schon ewig leben?

Ich biege noch dreimal rechts ab, dann weiß ich wieder, wo ich bin, und schwanke nach Hause.

JUNGSMUSIK

FESTIVALS

Immer wieder muss ich mir an den Kopf werfen lassen, ich wäre ja voll nicht Metal.

Genaugenommen wäre ich voll gar nicht Metal.

Dabei geht es den Leuten weniger um meine musikalische Integrität oder eine unpassende Haarlänge. Allzu viel Nightwish hören kann’s auch nicht sein. Ein Großteil meiner persönlichen Textilbestände ist in der Pflichtfarbe (schwarz) gefärbt und mit den Pflichtmotiven bedruckt (mindestens ein Bandname, schlecht formatierte Coverkopie und/oder Tourdaten mit mindestens sechs Schreibfehlern). Auch auf Partys und Konzerten lasse ich mich oft genug sehen, wenn ich nicht gar selbst als Veranstalter fungiere. Sogar eine Axt habe ich, also eine Gitarre, die ich aufgrund mangelnden Talents aber nur als Tennisschläger benutze. Ich hab allerdings auch eine Axt, also eine Axt, die ich ab und zu als Gitarre benutze. Also als Luftgitarre, versteht sich. Soweit man da von »Luft« reden kann.

Was den Leuten diese Meinung aufdrängt, ist meine Weigerung, mich auf Festivals sehen zu lassen.

Mach ich einfach nicht und es gibt nun mal einige in meinem Umfeld, die der Meinung sind, dass so was zum Headbanger-Pflichtprogramm gehört.

Ich persönlich kann aber an Pissrinnenwettrutschen, Zelten bei Kackwetter und dem Verfolgen von Konzerten wahlweise aus dem Kung-Fu-Fighter-Pit oder der zweihundertvierundachtzigsten Reihe nichts Spaßiges finden. Da bin ich eher der gemütlich Veranlagte. Dazu kommt eine gesunde Abneigung gegen große Menschenansammlungen. Wo sich das Proletariat versammelt, kommen schnell mal komische Ideen auf: Dixi-Klos umschmeißen, mal gucken, wie lange eine Gasflasche im Lagerfeuer durchhält, die katholische Kirche oder die NSDAP gründen ...

Außerdem ist der Funfaktor bei Festivals stark vom Finanzfaktor abhängig. Das Fehlen relevanter Wertpapieranlagen, einer Erbtante im hohen Alter oder diverser Geldspeicher hält mich Jahr um Jahr mehr von der Planung eines Wochenendes an der frischen Dixi-Klo-Luft ab.

Haben sich die Leute beim Dynamo 1995 noch über den unverschämten Preis von dreißig Deutschmärkern für drei Tage inklusive Hammer-Line-up und frei Zelten und Parken aufgeregt, kann man heute froh sein, für gleiches Geld eine Pommesschranke rot-weiß zu ergattern.

Damit wäre ich schon beim nächsten Punkt: Ich weiß, das ist eine total crazy abgefahrene und dekadente Angewohnheit von mir, aber mindestens einmal am Tag finde ich es ziemlich klasse, feste Nahrungsmittel zu mir zu nehmen. Ja, man kann’s auch übertreiben, aber ich steh sogar voll drauf, wenn diese dann genießbar sind.

Auf Festivals ist das eher illusorisch. Wahlweise ernährt man sich von Bier, Keksen und Bier, kalten Dosenravioli und Bier; oder Bier und Budenfraß, der meistens aus undefinierbaren schwabbeligen oder knorpeligen Bröckchen besteht, die aussehen wie schon mehrfach erbrochen und von etwas zusammengehalten werden, das anderswo als Spachtelmasse verbaut, hier aber Tsatsiki genannt wird – ein Beweis für den seltsamen Humor des deutschen Gaststättengewerbes.

Es kommt bei mir persönlich hinzu, dass ich an ziemlich derbem Heuschnupfen leide. Open Air bedeutet für mich, im Napalm-Death-Songtakt Kopfexplosionen abzufeuern und mich dann zu fragen, ob das, was da durch Überdruck ins Taschentuch oder in die Botanik geschleudert wurde, noch Sekret ist oder vielleicht doch schon die Erinnerung an den ersten Schultag.

Obwohl, Letzteres wäre auch nicht weiter wild. Erstens hatte ich damals einen saublöden Haarschnitt und zweitens die erste richtige Prügelei meines Lebens. Mit meinem Kontrahenten Sven bin ich seither befreundet, aber unser beider Verhältnis zu den Lehrkörpern ab diesem ersten Tag könnte man durchaus als getrübt bezeichnen. Was uns nicht weiter tangierte. Ich meine: Lehrer! Primarstufenlehrer! Gibt es was Alberneres? Die haben sich durch dreizehn Jahre Schule und anschließendes Studium geackert, um dann bis zur Rente Sechs- bis Zehnjährigen Plus und Minus zu erklären und die ewig gleichen Fehler in ewig gleichen Aufsätzen über die schönsten Ferienerlebnisse zu korrigieren, anstatt der faulen Jugend mal wirklich wichtige Dinge beizubringen: zum Beispiel die günstigsten Handytarife, die naturwissenschaftliche Faszination einer eigenen Met-Kelterei in Papis Hobbykeller oder warum Slayer-Gitarrist Kerry King seinen Nachnamen vollkommen zu Recht trägt.

Hat man nun die nervigen Faktoren umschifft und tatsächlich das eine Festival der Saison gefunden, das nicht von Regenfällen geflutet wurde, dann bleibt noch die Konkursmasse Mensch.

Als Freund von kleinen und gemütlichen Konzerten, bei denen man von der Show etwas mitbekommt, werde ich bei Open Airs nicht glücklich. In jüngeren Jahren fand ich es auch ganz nett, mich ganz nach vorne zu kämpfen und dort meinen Platz von Anfang bis Ende gegen die Ellbogenmentalität der Restgesellschaft zu verteidigen, um am nächsten Tag meiner Mutter zu erklären, dass ich gerade gar kein Batikhemd trage, sondern mein Oberkörper so hübsch hämatomgemustert ist.

Aber im gesetzteren Alter jenseits der fünfundzwanzig möchte ich das Konzert einfach nur genießen. Auf einem Festival ist das meistens nicht möglich. Schwarzmetallbands werden in der Nachmittagssonne auf die weltbedeutenden Bretter gehetzt, wobei einige dünne Disconebelfähnchen Atmosphäre auf der fußballfeldgroßen Bühne erzeugen sollen; kommt Wind auf, gerät der Tontechniker ins Schwitzen, falls die Anlage überhaupt zur Arealbeschallung taugt, und bei miesem Wetter lohnt es sich, einen Klappspaten mitzuführen, um sich alle halbe Stunde selbst wieder aus dem Schlamm zu buddeln. Alternativ dazu brennt einem die Sonne das letzte Quantum Hirn aus dem Schädel. Es will mir nicht in den Kopf, warum seit einigen Jahren auf jeder zweiten Kuhwiese ein mehrtägiges Festival aufgezogen werden muss.

Ich werde weiterhin die Hallen und Clubs vorziehen. Aber damit die liebe Seele Ruhe findet, werde ich tatsächlich auf dem nächsten Rock’n aufschlagen. Es ist zwar noch ein gutes Jahr Zeit, aber ich bereite mich jetzt schon vor: Hepatitis-Impfung, Trainieren des einarmigen Reißens in der Ein-Liter-Dosen-Gewichtsklasse und nicht zuletzt besuche ich ein Anti-Aggressionsseminar.

Ich werd’s brauchen.

*Headbangen: Metaller tanzen nicht, sie bangen head. Im Großen und Ganzen geht es nur darum, einigermaßen im Takt der Musik die Rübe zu schütteln. Im Idealfall ist genug Platz für einen sicheren breitbeinigen Stand, was gegenüber ekstatischem Rumgehopse den Vorteil bietet, dass man sein Bierglas in der Hand halten kann, falls man mal mitten im Song durstig werden sollte.

Es gibt zwei Grundarten des Headbangens: den Nackenmuskel schonenden »Helikopter«, bei dem man den Kopf kreisen lässt, und das »Huhn«, bei dem man den Schädel einfach auf und ab bewegt, weil man für alles andere zu grobmotorisch oder betrunken ist. Für Kurzhaarige und Glatzköpfe empfiehlt sich dringend der Helikopter, weil das Huhn-Gepicke ohne Matte doppelt autistisch aussieht.

* Nicht zu verwechseln mit der Bekleidung von Mönchen. Die Kutte des Metalheads ist zwar auch heilig, aber nur für den jeweiligen Besitzer. Für jeden anderen ist die mit Bandaufnähern übersäte Jeansweste eine Ansage, welche Combos man in Anwesenheit des Trägers besser nicht beleidigen sollte. Man beachte: Eine Kutte wäscht man nicht! Es reicht, sich einmal pro Jahr auf einem Festival in den Regen zu stellen, aber nicht zu lange. Zu Hause stellt man sie einfach in die Ecke, die Kutte bleibt von selbst stehen und ernährt sich von Staub und Kleintieren.

2.

IM LOCH

Die Sonne kratzt noch ein bisschen am Horizont herum, als ich die Treppe zum Loch hinuntergehe. Ich mag diese Zeit des Jahres, zwischen Hochsommer und Herbst, wenn es abends spät, aber nicht zu spät dunkel wird, man noch mit T-Shirt herumlaufen kann, aber nicht mehr muss. Wo Freiluftkonzerte oder Gelage am Seeufer im angemessenen Dunkel stattfinden und man morgens um fünf nicht total besoffen nach Hause torkelt und sich parallel den ersten Sonnenstich des Tages einfängt.

Zum Feiern gehört meiner Meinung nach ein gerütteltes Maß an anonymisierender Finsternis, das macht einen Großteil der Mitmenschen eindeutig erträglicher.

Deshalb ist das Loch unsere Lieblingskneipe. Durch seine Lage im Tiefparterre vermittelt es das schöne alte Kaschemmenfeeling, was den meisten IKEA-Operationssälen, die sich heute Kneipen zu nennen wagen, abgeht. Außerdem läuft gute Mucke und wir wohnen alle in Spuckweite.

Ich trete durch den schweren roten Vorhang am Eingang und checke kurz die Lage. Lucy und Katharina sind, über eine Tischecke gebeugt, in ein eindeutig frauenthematisches Gespräch vertieft, während Sven, Lara und Matze recht gelangweilt Skat spielen.

Ich mache einen Schlenker zur Theke und sage 08/15 Hallo.

08/15 heißt, wie jeder anständige Kneipier, eigentlich Jochen, aber so nennt ihn kein Aas. Den Spitznamen verdankt er seiner Zeit als Roadie und Veranstalter. Sein Credo war damals stets: »Ach, das passt schon!« Er gab sich bei seinen Konstruktionen immer mit den einfachsten Lösungen zufrieden, »08/15« halt. Einmal passte es dann doch nicht, als er die Bühne für ein Konzert aus Paletten, halbvergammelten Bühnenelementen und geklauten Stützen vom Bau zusammengeschustert hatte. Die Bands weigerten sich schon zum Soundcheck, das merkwürdige Gebilde, einen absoluten Statikeralbtraum, zu betreten. Jochen war der Meinung, einen völlig akzeptablen Job geleistet zu haben, und versuchte die feigen Musiker von der Stabilität seiner Eigenbaubühne zu überzeugen. Also sprang er wie ein Gehirnamputierter darauf herum und argumentierte: »Ach, das passt sch...«

Weiter kam er nicht.

Es knackte unheilvoll und der Teil der Bühne, auf dem er rumgehopst war, brach zusammen. 08/15 landete auf dem Rücken, was ihm den Rollstuhl und das Ende einer mittelmäßigen Roadiekarriere einbrachte.

Das Loch ist sein Laden.

Seiner Lähmung vom Arsch abwärts ist es zu verdanken, dass es im Loch einige Besonderheiten im Interieur gibt. So ist ein Teil der Theke auf eine grundschülerfreundliche Höhe abgesenkt, weil 08/15 immer noch gerne selber zapft und mit den Gästen schwatzt, der Zigaretten- sowie einer der Spielautomaten hängen deutlich tiefer als üblich, ein Umstand, der dafür sorgt, dass nicht nur jede Menge Metaller, sondern auch eine beachtliche Zahl Kleinwüchsiger zum Stammpublikum im Loch gehören.

Ich nehme mein übliches Flaschenbier und schlendere zu unserem Tisch. Motörhead erklären der Welt, dass die Jagd mehr Laune macht als der eigentliche Fang, aber dabei werden sie immer wieder gestört und unterbrochen von einer kleinen Truppe Jungmänner, die sich auf der kleinen Kneipenbühne einrichten und ihre Instrumente stimmen. Zumindest tun sie so.

Ich begrüße die anderen. Shakehands (Sven), Küsschen hier, Küsschen da (Lucy, Herzschlag beschleunigt kurzzeitig), Shakehands, flotter Spruch (Matze), Küsschen hier, Küsschen da (Katharina), Shakehands (Lara), einmal Anstoßen mit allen.

Die anderen unterbrechen ihre Spielaktivitäten. Ich deute mit den Daumen auf die Musiktruppe hinter meinem Rücken.

»Was sind’n das für Vögel?«

Sven zuckt mit den Schultern.

»Keinen Schimmer. Machen wohl ’ne selbstorganisierte Tour. 08/15 meinte, er hätte sich was im Netz angehört und die wären wohl ganz in Ordnung.«

»Haben die auch einen Namen?«

»Bestimmt!«

»Na, dann ist ja gut.«

Sven grinst mich doof an und wir prosten uns zu. Die Frage nach dem Namen beantwortet die Band selbst.

»Hi, unherzlich willkommen bei unserem ersten secret gig. Wir sind Lost and Insane und wir ROCKEN EUCH JETZT DIE SCHEISSE AUS DEM LEIB, YEAH!«

Was folgt, ist ohrenbetäubendes Schweigen. Einige Gutgewillte sehen zur Bühne. Aufstehen und sich davor stellen mag aber augenscheinlich niemand.

Der Drummer zählt an, Bassintro, der Sänger wispert ins Mikro, erzählt in grammatikalisch wagemutigem Schulenglisch irgendetwas Originelles von einem Dämon, der ihn treibt, steigert sich, brachialer Einsatz der Gitarren, Timingprobleme, der Frontmann überspringt anscheinend ein oder zwei Textzeilen, was man aber mehr fühlt als inhaltlich versteht, und der Drummer flucht und wirbelt und versucht, seine Gurkentruppe wieder auf der Eins zusammenzubekommen. Es bleibt beim Versuch, aber langsam kommen sie rein, was aber auch nicht viel ändert. Die meisten Gutwollenden drehen sich wieder um, die Band spielt für ein Publikum, das zu neunzig Prozent aus Rücken besteht.

Nach einer halben Stunde ist der erste Song durch. Kurzer Uhrencheck, nein, es waren doch nur vier Minuten. Wir spenden brav Applaus, aber nicht zu viel. Während der Bassist sicherheitshalber für den zweiten Song noch mal durchstimmt, obwohl man von ihm sowieso nur monotones Gebrumme hört, nutzt der Sänger die Gelegenheit, den Fußboden anzustarren. Wir wenden uns wieder unseren Gesprächen zu. Kurz darauf brettert der zweite Song los, anscheinend hat jemand rausgefunden, dass man einen Gitarrenverstärker auch auf 10 stellen kann.

»UND, WIE ISSES?«, brüllt Sven über den Tisch.

»OCH, EIGENTLICH GANZ OKAY.«

Er schielt kurz rüber zu Lucy, aber die ist gerade mit Katharina beschäftigt und kriegt nichts von unserem Gespräch mit.

»BIST DU SCHON MIT ... IHR WEITERGEKOMMEN?«

»NÖ, NICHT WIRKLICH. ES HAT SICH NOCH KEINE GELEGENHEIT ERGEBEN, WEISST DU?!«

Er zieht eine Augenbraue hoch.

»NOCH KEINE GELEGENHEIT? SAG MAL, WIE OFT SOLLEN WIR EUCH ZWEI EIGENTLICH NOCH ALLEINE LASSEN, BIS DU MAL ZU POTTE KOMMST?«

»WAS SOLL DAS DENN HEISSEN?«

Er grinst mich blöd an. Ich gucke Lara und Matze an. Die beiden grinsen ebenfalls. Bei mir fällt der Groschen. Matze beugt sich zu mir rüber und »flüstert« mir in Spinal Tap-Lautstärke* ins Ohr: »WIR ERWARTEN, DASS DU UND LUCY NOCH VOR WEIHNACHTEN ZUSAMMEN SEID, NUR DAMIT DAS MAL KLAR IST.« Er stößt mit mir an und lacht sich scheckig über mein dummes Gesicht.

Sven zuckt mit den Schultern. »WIR WOLLEN NUR DEIN BESTES, ALTER.«

»MEIN GELD?«

»HA, HA, NICHT WITZIG.«

»ICH BIN VIELLEICHT NICHT WITZIG, ABER DU BIST ’N VERRÄTER.«

Er grinst und wir stoßen an.

Ich bin mir selbst gerade nicht sicher, ob ich beleidigt oder stolz darauf sein soll, Freunde zu haben, die sich dermaßen Gedanken um mein Liebesleben machen, oder ob es mir peinlich sein soll, dass so ziemlich jeder schon Bescheid wusste, bevor ich mir selber über meine Gefühle im Klaren war.

Lara fummelt ihre Angeberkamera aus dem Rucksack, wechselt das Objektiv und steckt ein Blitzlicht obendrauf. Dann wurschtelt sie an dem kleinen Display rum und ich ärgere mich ein bisschen, dass ich zu doof für Fotografie bin und deswegen nicht weiß, ob das, was die Kleine da macht, reine Poserei oder wirklich notwendig ist. Anschließend schlurft sie zur Bühne und nimmt die zukünftigen Plattenmillionäre von Lost and Insane ins Visier, die ihr Glück kaum fassen können. Sofort werfen sie sich in Pose, sofort kommt der Gitarrist aus dem Takt, sofort verliert der Drummer einen seiner Sticks und dem Bassisten kommt Bier aus der Nase. Mit Müh und Not finden sie wieder zusammen, was den Song, den sie gerade zum Schlechtesten geben, aber auch nicht besser macht. Bisher waren sie ja nur kacke, das ist verzeihlich. Aber jetzt sind sie kacke und grinsen dabei die ganze Zeit, immer in Laras Richtung, die hin und wieder Gewitter spielt, mal im Hoch-, mal im Querformat, mal im Stehen, mal im Knien fotografiert. Fehlt eigentlich nur noch, dass sie so was sagt wie »Ja, gib’s mir, Baby«, was vermutlich zum sofortigen Tod des Sängers durch eine Überdosis Glückshormone führen würde.

Nach ein paar Minuten dreht sie der Band den Rücken zu, fummelt wieder am Display rum und schlussendlich drückt sie mehrmals auf einen kleinen Knopf und jedem im Raum und vor allem auf der Bühne ist klar, dass sie gerade sämtliche Bilder wieder löscht. Während sie wieder zurück zu unserem Tisch kommt, lacht sich die versammelte Mannschaft im Loch krumm und dusselig, während eine untalentierte Band versucht, gleichzeitig zu spielen und sich hinter ihren Instrumenten zu verstecken.

Lara plumpst auf ihren Stuhl. Etwas irritiert schaut sie uns an. Anscheinend hat sie überhaupt nicht mitgekriegt, dass sie mit ein paar Mal Knopfdrücken die Meinung des Publikums treffend zusammengefasst und damit allgemeine Heiterkeit ausgelöst hat.

»DU BIST SOO GEMEIN«, brüllt Lucy, haut Lara auf die Schulter und wischt sich einige Lachtränen aus dem Gesicht.

Lara zuckt mit den Schultern und zieht eine Unschuldsmiene. »BRINGT HALT NIX. DIE GRINSEN DIE GANZE ZEIT.«

»JETZT NICHT MEHR«, sage ich und deute auf die Häufchen Elend auf der Bühne.

Sie winkt ab. »ACH, DIE SOLLEN SICH NICHT SO ANSTELLEN. METALBANDS GRINSEN HALT NICHT. SIEHT SCHEISSE AUS.«

Wo sie recht hat, hat sie recht.

»ABER MAL WAS ANDERES: TORBEN, STIMMT DAS EIGENTLICH, DASS BEI DIR ’NE WOHNUNG FREI WIRD?«

»JAU. BASTI ZIEHT AUS. VERKRÜMELT SICH NACH AUSTRALIEN, UM DA IM OUTBACK KÄFER AUSZUBUDDELN, UND KANN DIESE VERFLUCHTE KACKBAND ENDLICH MAL FEDDICH WERDEN??«

Natürlich sucht sich erwähnte »Kackband« genau diesen Moment für ein Break aus. Die Mucker starren mich an und vergessen vor lauter Starren, wieder in den Song einzusteigen. Die entstandene Stille wird durch Gelächter und diverse »Korrekt!«-Rufe unterbrochen. Auf die Thanks & Greetings-Liste eines Lost and Insane-Albums werde ich es in diesem Leben wohl nicht mehr schaffen, aber das ist verschmerzbar.

Dass meinem verbalen Einwurf nicht unbeträchtliche Zustimmung der Anwesenden zuteil wird, stört die Jungs allerdings nicht weiter. Nachdem sie mir ihrer Meinung nach ausreichend böse Blicke zugeworfen haben, rumpeln sie sich wieder in ihren Song rein.

»LASS UNS RAUSGEHEN!«, schlägt Lara vor und ich nicke. Wir holen uns zwei neue Bier und gehen nach draußen.

Inzwischen ist es dunkel, aber die Luft ist angenehm lau. Wir suchen uns eine Stelle, die möglichst wenig zugemüllt und vollgepinkelt ist und setzen uns auf den Bordstein. Die wenigen Autos fahren in gemütlichem Tempo durch die verkehrsberuhigte Straße und weichen uns ohne Zickereien aus. Ich mag diese entspannte Atmosphäre irgendwo zwischen Straßencafé und Punkerplatte.

Würde die musikalische Untermalung etwas besser ausfallen, wäre es perfekt. Na ja, und wenn statt Lara Lucy da sitzen würde, aber da kann Lara ja nichts für.

»Also, was ist jetzt?«, fragt sie.

»Womit? Mit Lucy?«

Sie verdreht die Augen. »Quatsch, Pommeskopp. Mit der Wohnung.«

»Ich dachte, du wohnst mit Eugen zusammen?«

»Tu ich auch, aber der Typ ist ’ne totale Pottsau, da hab ich keinen Nerv mehr drauf. Ich bin ja echt nicht pingelig, aber es gibt einen Unterschied, ob ich nach einer Party auf einem Acker einpenne oder mein Zuhause in eine Müllkippe verwandle. Ich such jetzt was Eigenes. Und wenn wir zusammenwohnen würden, wäre doch voll cool, oder?«

Ich zucke mit den Schultern. »Basti zieht Ende Dezember aus. Ich kann Frau Hoppe mal fragen. Die alte Dame und ich, wir verstehen uns. Die kann ich bestimmt bequatschen.«

»Das wird klasse«, freut sie sich und stößt mit mir an.

Ich lehne mich an einer Straßenlaterne an. Was habe ich mir da nur wieder eingebrockt, denke ich. Na gut, es gibt sicher schlimmere Nachbarn als Lara. Aber Basti ist schon relativ ideal als Halbmitbewohner. Ich wohne zwei Straßen bergauf vom Loch entfernt in etwas, das mal ein viel zu großes Zwei-Familien-Haus war. Ich wohne im zweiten Stock, den ich mir bisher mit Basti geteilt habe. Die beiden kleinen Wohnungen auf unserer Etage teilen sich ein Badezimmer. Man hat also seine Ruhe und sein eigenes Reich, muss aber schon durchaus mit seinem Nachbarn klarkommen.