2,99 €
Der dritte Band der Krimi-Reihe Mordkommission Leipzig von Stefan B. Meyer. Wenn dein einziger Freund kaltblütig ermordet wird, treibt dich der Wunsch nach Rache zurück auf die Straße. Der 16-jährige Marvin und sein Freund Omar sind Schulabbrecher und bestreiten ihren Lebensunterhalt mit Einbrüchen und Raubüberfällen. Obwohl ihre Taten aktenkundig sind, schaffen sie es immer wieder, der Polizei durch die Lappen zu gehen. Doch als Omar erschossen und ein gemeinsamer Bekannter brutal erschlagen in seiner Wohnung gefunden wird, gerät Marvin ins Visier der Mordkommission und muss untertauchen. Während die Kollegen unter Hochdruck Daten und Befragungen auswerten, schnappt sich Moko-Chef Frank Starke seinen alten Kumpel Henner Baumann und gemeinsam tun sie das, was sie in früheren Zeiten ausgezeichnet hat: durch die Straßen fahren und ihrem Instinkt folgen. Und tatsächlich – als Marvin aus seiner Deckung auftaucht, nehmen sie seine Spur auf. Was sie allerdings nicht wissen: Marvin hat einen schmutzigen Plan. Band 3 der Moko Leipzig: Straßenköter Jedes Buch der vierteiligen Reihe behandelt einen eigenständigen Kriminalfall. Die Jagd nach dem Kindesentführer zieht sich über alle Bände, die im Wochenrhythmus erscheinen. Vier Leipziger Autoren geben vier Kommissaren der Leipziger Polizei eine Stimme. Band 1: Rampensau von Marcus Hünnebeck Band 2: Hurenball von David Gray Band 4: Mitgift von Kirsten Wendt
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 141
Veröffentlichungsjahr: 2019
Titelseite
Inhaltsverzeichnis
Über den Autor
Über das Buch
Impressum
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
Moko Leipzig
Kriminalroman
TitelseiteÜber den AutorÜber das BuchImpressum
12 34 567 8
910111213141516
Moko Leipzig
Stefan B. Meyer, 1963 in Erfurt geboren, lebt heute in Leipzig. Neben verschiedenen beruflichen Tätigkeiten hat er gegen Ende des letzten Jahrhunderts mit dem Schreiben begonnen. Bisher sind von ihm drei Kriminalromane und mehrere Kurzgeschichten erschienen. Nebenbei spielt er gerne mal Tennis in einem seinem Alter gemäßen moderaten Tempo, wobei durchaus schon mal der ein oder andere Schlag so gut gelingt, dass er vor dreißig Jahren als Weltklasse durchgegangen wäre. Seine in unseren Breiten natürliche Begeisterung für Fußball gilt allein dem schönen Spiel. Er schaut sich gerne an, wenn Madrid gegen Gelsenkirchen spielt, findet es aber schade, dass dabei nur wenige Spieler aus den jeweiligen Regionen gegeneinander antreten. Den Zeiten, in denen Armin Romstedt, Kimme Heun und Konsorten im Erfurter Dress (so nannte man damals die Trikots) die zusammengekauften Jungens von Carl-Zeiss-Jena im sportlichen Wettkampf besiegten, trauert er nicht nach. Aber er erinnert sich gern daran.
Wenn dein einziger Freund kaltblütig ermordet wird, treibt dich der Wunsch nach Rache zurück auf die Straße.
Der 16-jährige Marvin und sein Freund Omar sind Schulabbrecher und bestreiten ihren Lebensunterhalt mit Einbrüchen und Raubüberfällen. Obwohl ihre Taten aktenkundig sind, schaffen sie es immer wieder, der Polizei durch die Lappen zu gehen. Doch als Omar erschossen und ein gemeinsamer Bekannter brutal erschlagen in seiner Wohnung gefunden wird, gerät Marvin ins Visier der Mordkommission und muss untertauchen.
Während die Kollegen unter Hochdruck Daten und Befragungen auswerten, schnappt sich Moko-Chef Frank Starke seinen alten Kumpel Henner Baumann und gemeinsam tun sie das, was sie in früheren Zeiten ausgezeichnet hat: durch die Straßen fahren und ihrem Instinkt folgen. Und tatsächlich – als Marvin aus seiner Deckung auftaucht, nehmen sie seine Spur auf. Was sie allerdings nicht wissen: Marvin hat einen schmutzigen Plan.
Band 3 der Moko Leipzig: ›Straßenköter‹
Jedes Buch der vierteiligen Reihe behandelt einen eigenständigen Kriminalfall. Die Jagd nach dem Kindesentführer zieht sich über alle Bände, die im Wochenrhythmus erscheinen. Vier Leipziger Autoren geben vier Kommissaren der Leipziger Polizei eine Stimme.
Band 1: ›Rampensau‹ von Marcus Hünnebeck
Band 2: ›Hurenball‹ von David Gray
Band 4: ›Mitgift‹ von Kirsten Wendt
Straßenköter - Mordkommission Leipzig Band 3
© 2018 Stefan B. Meyer
Alle Rechte vorbehalten
1. Auflage, April 2018
Covergestaltung: Daniel Morawek und David Gray
unter Verwendung von einem Bild von Agentur Dreamstime
Lektorat: Elia van Scirouvsky
Korrektorat: Kirsten Wendt
Herausgeber:
Stefan Langenhan
Am Lindenhof 13
04227 Leipzig
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Vervielfältigung und Verwertung ist nur mit schriftlicher Zustimmung der Autoren zulässig.
Alle in diesem Roman geschilderten Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
»Machst du heute noch was?«, fragte der neunjährige Quentin.
»Weiß noch nicht, meine Mama kommt gleich nach Hause«, antwortete die gleichaltrige Natalie.
Es war Montag, kurz nach eins, und die beiden befanden sich auf ihrem alltäglichen gemeinsamen Heimweg. Quentin wusste, dass Natalie immer erst Hausaufgaben machen musste, wenn ihre Mutter da war.
»Kannst ja ne WhatsApp schicken, wenn du fertig bist«, schlug er vor, kurz bevor sie sich trennten.
»Ja, mal seh’n. Bis morgen.«
»Bis morgen.«
Während Quentin weiter die Reichpietschstraße entlanglief, durchquerte Natalie den schmalen Lene-Voigt-Park. Sie sah dort die alte Frau mit dem winzigen plüschigen Hund, die hier jeden Tag mehrmals ihre Runde machte, und den lesenden Mann auf der Bank, der in der einen Hand sein Buch hielt und mit der anderen seinen Kinderwagen sanft wippte. Und sie sah, als sie kurz danach in der Eilenburger Straße ankam, einen fremden Mann, der neben der offenen hinteren Tür seines Wagens kniete und etwas zu suchen schien.
Der Fremde lächelte ihr zu und sah sich auf der Straße um.
»Kannst du mir vielleicht helfen?«, sagte er.
Natalie blieb abwartend stehen.
»Mir ist mein Handy unter den Sitz gerutscht«, fuhr der Fremde fort. »Und meine Hände sind zu groß, ich komme nicht ganz ran.«
»Dann müssen Sie aber zur Seite gehen«, sagte Natalie, woraufhin der Fremde sich erleichtert erhob und für das Mädchen Platz machte.
»Das ist sehr nett von dir. Soll ich deine Schultasche solange nehmen?«, bot er angesichts ihres ziemlich großen Rucksacks an.
Natalie schüttelte den Kopf, beugte sich über den Türschweller und wollte gerade eine Hand unter den Sitz schieben, als sie von dem Fremden unsanft in den Wagen gestoßen wurde. Die Tür fiel hinter ihr zu, und Natalies sofortige Versuche, diese von innen zu öffnen, schlugen fehl. Sie begann, mit ihren zierlichen Fäusten gegen die Scheiben zu hämmern, und sie rief um Hilfe, aber draußen kamen nur ein paar dumpfe Laute an.
Der Mann vergewisserte sich, dass ihn niemand beobachtet hatte, dann stieg er ein und drehte sich zu dem jetzt erschrocken schweigenden Mädchen um.
»Wenn du brav bist, bringe ich dich bald nach Hause«, sagte er.
Natalie nickte stumm.
Der Mann startete den Motor und fuhr los.
Natalies Mutter, die alleinerziehende Zahnarzthelferin Shenia Repina, kam Punkt 14 Uhr in ihrer Wohnung in der Oststraße an. Zunächst wunderte sie sich nur, dass Natalie noch nicht hier war, aber mit stetig wachsender Beunruhigung erkundigte sie sich bei den Nachbarn, rief sowohl in der Schule, als auch bei allen Freunden und Bekannten an, und erfuhr von Quentins Mutter, dass ihr Sohn schon vor einer guten Stunde angekommen war. Sie lief auf die Straße und in den Park, und traf sogar die Frau mit dem winzigen Hund, von der sie erfuhr, dass Natalie sie, wie immer, fröhlich im Vorbeigehen angelächelt hatte. Aber sie fand ihre Tochter nicht. Schließlich wendete sich Shenia Repina in ihrer Verzweiflung an die Polizei.
Die letzten Tage und Wochen in der Polizeidirektion waren unruhig verlaufen. Die gute Presse über den aufgeklärten Mord an einer Escort-Frau und die Aushebung des Kriegswaffendepots einer Motorradgang war vergessen. Längst dominierte wieder die Suche nach Cindy Busch die Schlagzeilen; Marleen Busch, Cindys Mutter, hatte sich in Sven Albrechts Fernsehsendung mit einem herzzerreißenden Appell an die Öffentlichkeit gewandt, und es mehrten sich die Stimmen, die an Ulf Böhmes Täterschaft zweifelten. Während jene dessen Suizidversuch als verzweifelten Hilferuf interpretierten, forderten andere, den Mann endlich härter anzufassen, damit er den Aufenthalt des Mädchens preisgab. Letzteres dürfte sich jedoch als nicht durchführbar erweisen, denn obwohl Böhme auf dem Weg der Genesung war, hielt er sich an das Redeverbot seiner neuen Anwältin Jeannette Hart. Und dass die nicht für ihre Zurückhaltung bekannte Anwältin sich ansonsten merkwürdig ruhig verhielt, nachdem sie Akteneinsicht bekommen hatte, war bestimmt kein gutes Zeichen.
Frank Starke, Leiter des Mordkommissariats, genoss einen jener seltenen Momente, in denen er allein im Büro war. Maik Keller und Hubertus Knabe feierten heute Überstunden ab, und Nadja Mückenberg hatte sich gerade auf den Weg ins Uniklinikum gemacht, um ein Opfer häuslicher Gewalt zu befragen.
Starke lehnte sich im Stuhl zurück, verschränkte die Hände hinter dem Kopf, legte die bequemen Boots auf seiner Schreibtischplatte ab und ließ den Blick durch die offen stehende Verbindungstür über die leeren Schreibtische seiner Mitarbeiter hinweg schweifen. Durch die großen Fenster schien warmes Sonnenlicht. Er freute sich auf einen Abend mit seiner Frau und befreundeten Nachbarn am Grill auf der Terrasse seines bescheidenen Eigenheims, und er träumte, wie so oft in letzter Zeit, mit offenen Augen von einem Leben als Ordnungshüter ohne bürokratische Zwänge, in einem Land, dass so frei und friedlich war, dass ein gutmütiger, leicht übergewichtiger Sheriff wie er nichts weiter tun würde müssen, als ein paar Nachbarschaftsstreitigkeiten oder pubertätsbedingte Kneipenauseinandersetzungen zu schlichten.
Nur widerwillig nahm er die Füße vom Tisch und hob den Hörer ab, nachdem das Telefon nicht aufhören wollte zu klingeln.
»Was gibt’s?«, blaffte er, da er an der Nummer erkannte, dass es sich um einen internen Anschluss handelte.
»Klingt, als hättest du mal wieder einen deiner Tagträume gehabt?«
Frank Starke beugte sich überrascht nach vorn und presste den Hörer dicht ans Ohr.
»Henner? Was verschafft mir die Ehre?« Henner Baumann war einer seiner ältesten Freunde bei der Polizei, sie hatten eine Weile beim Kriminaldauerdienst zusammengearbeitet, bevor Starke bei der Moko angefangen hatte und sie sich dienstlich nur noch sporadisch begegneten.
»Eine eher zweifelhafte Ehre«, begann Baumann. »Wie du weißt, bin ich immer noch auf der Straße. Und es wird wohl nicht mehr lange dauern, dann erfährst du es offiziell, denn nach meinem Gefühl wird das hier was Größeres.«
»Wovon redest du, Henner? Was ist passiert?«
»Die Kollegen und ich suchen hier seit Stunden nach einem Kind, einem neunjährigen Mädchen, dass seit etwa 13, 14 Uhr verschwunden ist. Auf dem Heimweg von der Schule. Wohnt in der Oststraße. Passt meiner Meinung nach in dasselbe Schema wie die kleine Cindy. Aber Schlüter, der den Einsatz hier leitet, will davon nichts wissen. Er denkt – wenn man das, was in seiner hohlen Birne vorgeht, mal so nennen will –, dass er das Mädchen demnächst irgendwo beim Eisessen findet und sich als großer Superbulle präsentieren kann ...«
»Schlüter ist so beknackt wie ein Durchfall!«, unterbrach Frank Starke aufgebracht.
»Sicher, aber er hat hier nun mal zurzeit das Sagen. Deshalb wollte ich, dass du es von mir zuerst erfährst. Mein Bauch sagt mir, dass wir es hier mit demselben Täter zu tun haben, und ich glaube nicht, dass ihr mit Böhme den Richtigen festgenommen habt.«
»Dein Bauch?«
»Hat mich selten im Stich gelassen. Außerdem sieht die Kleine fast wie ne Zwillingsschwester der anderen aus. Sie heißt Natalie Repina.«
Starke kritzelte den Namen auf seine Schreibunterlage. Dann stand er auf und schaute aus dem Fenster. Sein ruhiger Grillabend schien sich gerade zu verflüchtigen, aber er scherte sich nicht weiter darum. Claudia, seine Frau, würde das verstehen, so wie er in all den gemeinsamen Jahren verstanden hatte, dass eine Immobilien-Anwältin nicht immer zur selben Zeit wie er zu Hause war.
»Unter uns«, sagte er, »und ich weiß, dass du es nicht breittratschst – seit dem Suizidversuch von Ulf Böhme habe auch ich meine Zweifel.«
»Okay, letztlich ist das euer Bier. Ich wollte nur der Erste sein, von dem du’s erfährst.«
»Danke, Henner. Hast was gut bei mir.«
»Geschenkt. Wie geht’s deinen Leuten?«
»Warum fragst du?«
»Na ja …«, Baumann machte eine Pause. »Bin ihnen eben letztens begegnet ...«
»Aha? Und?«
»Ach, vergiss es! Reden wir ein anderes Mal drüber!«
Baumann beendete das Gespräch.
Frank Starke fragte sich noch einen Moment, was Baumann für einen Grund haben könnte, sich über das Befinden der Moko-Mitarbeiter zu erkundigen, aber plötzlich klopfte es an der Tür und nahezu gleichzeitig platzte Haller von der Fahndung herein.
»Schöne Scheiße, Frank«, japste er aufgeregt. Dann schaute er auf einen Zettel, den er in der Hand hatte. »Seit heute Mittag wird die neunjährige Natalie ...«
»Repina, ich hab’s gerade eben erfahren«, sagte Starke.
Haller war nur kurz überrascht, dann fuhr er fort: »Präsi PPK war gerade auf einer öffentlichen Veranstaltung, als ihn ein Schmierfink mit der Frage nach dem zweiten vermissten Mädchen auf dem falschen Fuß erwischt hat. Du kannst dir vorstellen, dass hier gleich die Kacke am Dampfen ist!«
»Ja, Mann. Danke für die Vorwarnung.«
Haller nickte und verschwand wieder. Frank Starke rief die Nummer seiner Mitarbeiterin Nadja Mückenberg im Kurzwahlspeicher auf.
Der Tag ging schon zur Neige, als das frühsommerliche Gewitter in Richtung Stadt weiterzog, und im Südwesten die ersten blau-rosa marmorierten Streifen am Himmel auftauchten und ein malerisches Abendrot ankündigten. Von den umliegenden Feldern und Wiesen wehte der Geruch schwerer nasser Erde und frisch gemähten Grases über die kleine Parkbucht neben der Landstraße, in der ein vor einer Stunde gestohlener, aber noch nicht als gestohlen gemeldeter Kleinwagen stand.
»Hier riecht’s wie im Kuhstall«, sagte einer der Insassen des Wagens, der sechzehnjährige Omar Bin Omar. Er hatte sich nach dem Regen eine Zigarette angezündet und das Fenster heruntergekurbelt.
»Red kein Scheiß«, widersprach der ebenfalls sechzehn Jahre alte Marvin Linke, dessen Daumen auf dem Lenkrad einen nervösen Takt zu klopfen begannen. »Du hast doch noch nie ne Kuh in echt gesehen!«
»Na und?« Omar, ein schlaksiger Typ mit einer für sein Alter schon recht ausgeprägten Abgeklärtheit in seinen jungenhaften Gesichtszügen, schien zu überlegen. »Mach doch dein Fenster auf«, sagte er, »und halt die Nase raus, dann weißt du, was ich meine.«
»Ich weiß auch so, was du meinst«, antwortete Marvin. »Aber wir sind ja nicht wegen der Landluft hier!«
»Weiß ich selber, Mann!« Omar schnippte die Kippe nach draußen. »Aber es riecht halt komisch.« Er sah sich demonstrativ in der menschenleeren Landschaft um. »Aber das hier ist nicht mein Ding. Ein kleiner Laden in der Stadt wäre mir lieber.«
»Sicher«, Marvin nickte und hörte auf, mit den Daumen zu trommeln. »Aber chill mal, Mann, das hier ist eine leichte Sache!«
»Ich chill ja, Mann!«
»Dann lass uns nochmal checken.«
»Wir haben das doch schon hundertmal gecheckt!«
»Höchstens dreimal.«
»Dann eben dreimal.«
»Höchstens, hab ich gesagt!«
»Ich hab’s kapiert!« Omar begann, unruhig auf seinem Sitz herumzurutschen.
Marvin, knapp zehn Zentimeter kleiner als sein Mitstreiter, dafür wesentlich kräftiger gebaut, schaltete die Zündung ein. Sofort nahmen die Scheibenwischer ihre Tätigkeit auf und boten einen klaren Blick durch die Frontscheibe auf die abgelegene Tankstelle, die in etwa fünfzig Metern Entfernung vor ihnen lag, und an der schon seit gut zehn Minuten kein Auto mehr gehalten hatte.
»Okay«, sagte Marvin, startete den Motor und sah Omar an. »Alles klar?«
»Kann los geh’n.«
***
Marion Lorenz hatte das große Los gezogen. Jedenfalls redete sie sich das ein, denn obwohl die Tankstelle vor zwei Wochen einen neuen Pächter bekommen hatte, konnte sie ihren Job behalten, denn der neue Chef hatte sie übernommen – was für eine Frau von Anfang fünfzig, die mal den ehrbaren Beruf einer Bäckerin gelernt hatte, keine Selbstverständlichkeit darstellte.
Marko, ihr neuer junger Kollege, zog sich gerade hinten um. In ein paar Minuten würde sie ihn rauslassen, den Haupteingang verschließen und den Laden bis morgen Früh alleine schmeißen. Anfang der Woche war hier eh nicht viel los.
»Brauchst du noch lange?«, rief sie nach hinten.
»Eine Minute«, kam es von dort zurück.
Marion klappte die Zeitschrift zu, in der sie gerade geblättert hatte, nahm den Schlüsselbund vom Tresen und ging zur Tür. Die Flügel öffneten sich automatisch. Sie blieb stehen, betrachtete die abziehenden, orangerot verfärbten Wolken, und atmete ein paar tiefe Züge der frisch duftenden Außenluft ein.
Marko erschien – schwarze Jeans, schwarzes Shirt, weiße Schuhe, das Haar frisch gegelt.
»Noch n Date?«, sagte Marion, und trat zur Seite.
Marko ging durch die Tür, drehte sich nochmal zu ihr um und zuckte mit den Schultern. »Kann man nie wissen«, antwortete er.
Aber noch bevor die beiden sich voneinander verabschieden konnten, tauchten von der Seite zwei Gestalten auf, Marko wurde brutal zurück in den Innenraum gestoßen, wobei er sich nur mühsam auf den Beinen halten konnte, und ein ausgestreckter Arm mit einer Pistole zeigte direkt auf Marions Gesicht. Sie hob instinktiv die Hände.
»Was soll der Scheiß ...«, entfuhr es Marko.
»Schnauze, du Asi!«, sagte der, der ihn gestoßen hatte.
»Hinlegen!«, befahl der mit der Pistole. »Na los! Runter!«
Erleichtert registrierte Marion, dass Marko der Aufforderung nachkam. Das hier war ihr dritter Überfall, und sie wusste, dass die Jungs mit den Kapuzenpullis vor allem zwei Dinge wollten: leichte Beute und schnell wieder weg. Außerdem glaubte sie, dass der mit der Pistole schon mal hier gewesen war.
»Hey, du Penner«, sagte dieser, »das hier läuft so: Ich geh mit der Lady hier einsacken, und mein Partner passt auf, dass du kein Scheiß machst!«
»Du machst doch kein Scheiß, oder?«, sagte der andere, und stieß Marko mit dem Schuh unsanft in die Seite. Marko ächzte und schüttelte heftig mit dem Kopf.
Der mit der Pistole ließ sich von dem anderen eine große Tasche reichen, dann wandte er sich an Marion. »Also los jetzt!«
In der Kasse lagen knapp zweihundert Euro, der Rest der Tageseinnahmen war schon abgeholt worden. Der Pistolenjunge beklagte sich nicht darüber, Marion musste ein paar Stangen Zigaretten in die Tasche werfen, dann noch mehrere Bierdosen aus dem Kühlregal und schließlich mit Schnapsflaschen auffüllen, wobei der Räuber nicht wählerisch war – nur hochprozentig musste es sein. An der Tür schulterte sein Kumpan die Tasche, und Marion musste sich neben Marko legen, bevor die beiden ebenso schnell verschwanden, wie sie aufgetaucht waren.
Marion erhob sich sofort, nachdem die Tür hinter den Räubern zugegangen war.