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Emily Bronte

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Beschreibung

Heathcliff: einer der faszinierendsten Unholde der Weltliteratur Liebe, Haß und Tod - ein Drama spielt sich ab auf dem Gutshof Wuthering Heights in Yorkshires düsterer Nebellandschaft. Vom Dämon der Rache und Eifersucht besessen, richtet der Findling Heathcliff ein Werk der Zerstörung an, dem auch die Angebetete Cathy zum Opfer fällt. Mehrere Generationen werden in einen Strudel rasender Leidenschaften gezogen. Emily Brontës ergreifende Geschichte voll psychologischer Raffinesse löste 1847 einen Sturm der Empörung aus.

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Emily Brontë

Sturmhöhe

Roman

Aus dem Englischen von Michaela Meßner

Deutscher Taschenbuch Verlag

Daten zu Leben und Werk im Anhang

Originalausgabe:

›Wuthering Heights‹

London 1847

Erstes Buch

Kapitel I

1801 – Soeben bin ich von einem Besuch bei meinem Gutsherrn zurückgekehrt – diesem einsiedlerischen Nachbarn, der mir noch zu schaffen machen wird. Was für eine schöne Gegend! Ich denke, in ganz England hätte ich keinen zweiten Ort finden können, an dem sich so abgeschieden vom gesellschaftlichen Trubel leben ließe. Ein wahres Paradies für Menschenfeinde – und Mr. Heathcliff und ich sind genau die rechten zwei, um diese Einöde miteinander zu teilen. Ein prächtiger Bursche! Er ahnte wohl kaum, wie er mein Herz gewann, als ich sah, wie sich seine schwarzen Augen bei meinem Näherreiten argwöhnisch unter die Brauen zurückzogen und er seine Hände mit unwirscher Geste tiefer in die Westentaschen vergrub, als ich meinen Namen nannte.

»Mr. Heathcliff?« fragte ich.

Ein Nicken war die Antwort.

»Mr. Lockwood, Ihr neuer Pächter, Sir. Ich habe mir erlaubt, sogleich nach meiner Ankunft bei Ihnen vorzusprechen und hoffe sehr, die Hartnäckigkeit, mit der ich mich um die Pacht von Thrushcross Grange bemühte, hat Sie nicht belästigt. Gestern erfuhr ich, Sie hätten die Absicht ...«

»Thrushcross Grange gehört mir, Sir«, fuhr er mir pikiert ins Wort, »ich würde es nicht zulassen, daß man mich belästigt, wenn ich es verhindern könnte – Treten Sie ein!«

Das »Treten Sie ein« stieß er zwischen den Zähnen hervor, und es hieß soviel wie: »Scher dich zum Teufel!« Nicht einmal das Gattertor, über das er sich lehnte, begleitete seine Worte mit einer einladenden Geste. Ich glaube, nur eines bewog mich, die Einladung anzunehmen: ich war begierig, einen Mann kennenzulernen, der noch zurückhaltender schien, als ich es war.

Als er sah, wie mein Pferd mit der Brust heftig gegen das Gatter drängte, streckte er die Hand aus, um die Kette zu lösen, ging mir dann mürrisch auf dem Dammweg voraus und rief, als wir den Hof betraten:

»Joseph, kümmre dich um Mr. Lockwoods Pferd – und hol Wein herauf.«

›Hier haben wir wohl die gesamte Dienerschaft vor uns‹, schloß ich aus dieser zweifachen Aufforderung. ›Kein Wunder, wenn zwischen den Wegplatten Gras wächst und nur das Vieh die Hecken stutzt.‹

Joseph war ein älterer, nein, ein alter Mann – sehr alt vielleicht, aber noch rüstig und stark.

»Der Herr steh uns bei!« brummte er mißmutig vor sich hin, als er mir mein Pferd abnahm und mir dann mit einer so sauren Miene ins Gesicht sah, daß ich wohlmeinend folgerte, er bedürfe wohl göttlichen Beistands, um sein Mittagsmahl zu verdauen, und sein frommer Stoßseufzer habe mit meinem unerwarteten Auftauchen nichts zu tun.

»Wuthering Heights« nennt man Mr. Heathcliffs Anwesen. »Wuthering« ist ein typischer Ausdruck aus der Mundart dieser Gegend und beschreibt klangvoll das Toben der Winde, dem der Ort bei stürmischem Wetter ausgesetzt ist. Tatsächlich scheint hier stets ein frischer und belebender Wind zu gehen – mit welcher Kraft der Nordwind über den Hügelkamm fegt, kann man sich vorstellen, wenn man die spärlichen windschiefen Föhren auf der anderen Seite des Hauses sieht und die Reihe dürrer Dornbüsche, die ihr Geäst allesamt in eine Richtung strecken, als wollten sie die Sonne um ein Almosen anflehen. Zum Glück hatte der Baumeister das Haus in weiser Voraussicht robust gebaut: die schmalen Fenster sind tief in die Mauer eingelassen und die Ecken durch große vorspringende Steine bewehrt.

Bevor ich über die Schwelle trat, blieb ich kurz stehen, um eine ganze Reihe bizarrer Verzierungen zu bewundern, die an der Hausfront und insbesondere über der Eingangstür eingemeißelt waren. Dort fiel mir inmitten eines wüsten Durcheinanders zerbröckelnder Greifvögel und nackter Knaben die Jahreszahl »1500« und der Name »Hareton Earnshaw« ins Auge. Ich hätte wohl ein paar Bemerkungen gemacht und den mürrischen Besitzer um eine kurze Geschichte des Hofes gebeten, doch seine Haltung an der Tür schien zu fordern, ich möge unverzüglich eintreten oder mich endgültig verabschieden, und ich wünschte seine Ungeduld nicht zu reizen, bevor ich nicht auch das Innere des Hauses in Augenschein nehmen konnte.

Eine einzige Stufe führte uns ohne Umweg über Flur oder Gang direkt in den Wohnraum der Familie, der hierzulande gerne »das Haus« genannt wird. Gewöhnlich ist es Küche und Wohnzimmer in einem, doch in Wuthering Heights hatte man die Küche offenbar in einen anderen Teil des Gebäudes verbannt – jedenfalls vernahm ich, tief aus dem Inneren, das Geplapper von Stimmen und das Geklapper von Küchengeräten. Auch sah ich bei der mächtigen Feuerstelle kein Anzeichen, daß hier gebraten, gekocht oder gebacken wurde, und an den Wänden glänzten weder kupferne Pfannen noch zinnerne Siebe. An einer Wand nur spiegelten sich mit prachtvollem Schimmer Licht und Glut, denn dort türmten sich in einer gewaltigen Eichenanrichte Reihe um Reihe riesige Zinnschüsseln, dazwischen silberne Krüge und Kannen, bis hoch hinauf zum Dach. Letzteres war nie unterzimmert worden, und so war das nackte Gerippe des Gebälks den forschenden Blicken des Betrachters preisgegeben, mit Ausnahme jener Stelle, wo es von einem hölzernen Lattengestell verdeckt wurde, das mit Haferkeksen und mit Bergen von Hammel- und Rinderkeulen und Schinken beladen war. Über dem Kamin hingen verschiedene furchterregende alte Schußwaffen und ein paar Reiterpistolen, und auf dem Sims standen, offenbar zur Zierde, drei in grellen Farben bemalte Blechbüchsen. Der Fußboden war aus glattem, weißem Stein; die hochlehnigen Stühle, einfach in der Form, waren grün gestrichen; dahinter verbargen sich im Schatten ein oder zwei schwere schwarze Stühle. In einem Winkel unter der Anrichte lag eine gewaltige rotbraune Vorstehhündin, rings um sie ein Wurf quiekender Welpen, und in den anderen Winkeln lungerten noch weitere Hunde.

Raum und Einrichtung wären nichts Besonderes gewesen bei einem einfachen nordenglischen Bauern, dessen starrsinnige Miene und störrische Glieder in Kniebundhosen und Gamaschen erst so recht zur Geltung kommen. Männer dieser Art, im Lehnstuhl sitzend, den Krug mit dem schäumenden Ale vor sich auf dem runden Tisch, kann man hier in den Bergen im Umkreis von fünf oder sechs Meilen überall antreffen, sofern man sie zur rechten Zeit aufsucht, nämlich gleich nach Mittag. Mr. Heathcliff aber bildet einen merkwürdigen Gegensatz zu seiner Behausung und seinem Lebensstil.

Mit seiner dunklen Haut sieht er aus wie ein Zigeuner, doch Kleidung und Gebaren sind die eines Gentleman – das heißt, wie ein Gutsherr eben Gentleman sein kann –, etwas schlampig nämlich, was ihm aber trotz seiner Nachlässigkeit nicht übel steht, denn er ist gut gewachsen und wohlgestalt – und eher mürrisch. Vermutlich wird so mancher ihn eines ungebührlichen Maßes an Hochmut verdächtigen – doch ich fühle eine verwandte Saite in mir erklingen, die mir instinktiv bedeutet, daß dem nicht so ist; und daß diese Zurückhaltung von einer Abneigung rührt, Gefühle zu äußern, gegenseitig Freundlichkeiten auszutauschen. Er wird wohl gleichermaßen im verborgenen lieben und hassen und es als eine Art Anmaßung empfinden, wollte man seine Liebe oder seinen Haß erwidern. Doch halt, hier gehe ich zu weit: ich dichte ihm nur allzu bereitwillig meine Eigenschaften an. Wenn Mr. Heathcliff einem, der seine Bekanntschaft sucht, die Hand verweigert, so mögen ihn Gründe bewegen, die ganz andere sind als die meinen. Ich will hoffen, daß nur wenige meine besondere Veranlagung teilen: Meine liebe Mutter pflegte zu sagen, ich würde nie ein behagliches Zuhause besitzen, und erst letzten Sommer lieferte ich den Beweis, daß ich auch wahrhaftig keines verdiente.

Während ich bei herrlichem Wetter einen Monat am Meer verbrachte, geriet ich in Gesellschaft eines überaus zauberhaften Geschöpfes, einer wahren Göttin in meinen Augen – solange sie mich nicht beachtete. Ich habe ihr nie »meine Liebe erklärt«, nicht mit Worten; doch wenn Blicke sprechen könnten, hätte noch der größte Dummkopf erraten, daß ich mich bis über beide Ohren verliebt hatte. Sie verstand mich schließlich und antwortete mir mit einem Blick – dem süßesten Blick, den man sich nur denken kann –, und was tat ich? Zu meiner Schande muß ich es gestehen – kalt wie eine Schnecke zog ich mich in mich selbst zurück, bei jedem ihrer Blicke wurde ich frostiger und verschlossener, bis die arme Unschuld am Ende anfing, ihren eigenen Sinnen zu mißtrauen und völlig verwirrt über ihren vermeintlichen Irrtum ihre Mama zur Abreise überredete.

Dieses seltsame Betragen trug mir den Ruf berechnender Herzlosigkeit ein, wie unverdient, kann nur ich allein ermessen. Ich nahm an der Seite des Kamins Platz, die derjenigen gegenüberlag, auf die mein Vermieter zuging, und füllte die Gesprächspause mit dem Versuch, die Hundemutter zu streicheln, die ihren Wurf verlassen hatte und sich wölfisch von hinten an meine Beine heranschlich, mit hochgezogenen Lefzen und bleckenden weißen Zähnen, begierig, zuzuschnappen.

Mein Streicheln rief ein langes, kehliges Knurren hervor.

»Lassen Sie den Hund lieber in Ruh«, knurrte Mr. Heathcliff im selben Ton wie sein Hund, während er schärferen Ausbrüchen mit einem Fußtritt zuvorkam.

»Sie ist es nicht gewohnt, daß man sie hätschelt wie einen Schoßhund.«

Dann, zu einer Seitentür gewandt, rief er abermals: »Joseph!«

Joseph murmelte Unverständliches aus der Tiefe des Kellers, machte aber keine Anstalten heraufzukommen; darum stieg sein Herr zu ihm hinunter und ließ mich vis-à-vis mit der tückischen Hündin und zwei grimmig dreinblickenden, zottigen Schäferhunden, die genau wie sie jede meiner Bewegungen argwöhnisch belauerten.

Ich war nicht darauf erpicht, mit ihren Fangzähnen Bekanntschaft zu machen, und so saß ich still; doch da ich mir einbildete, stumme Beleidigungen dürften sie wohl kaum verstehen, erlaubte ich mir unglücklicherweise, mit den Augen zu zwinkern und dem Trio Fratzen zu schneiden, und eine meiner Grimassen brachte die Hundedame derart in Harnisch, daß sie auf meine Knie lossprang. Ich schleuderte sie zurück und beeilte mich, den Tisch zwischen uns zu bringen. Damit brachte ich die ganze Meute auf. Ein halbes Dutzend vierbeiniger Bestien , verschieden in Wuchs und Alter, sprangen aus verborgenen Winkeln hervor. Ich spürte, daß sie es besonders auf meine Absätze und Rockschöße abgesehen hatten, und während ich die größeren Angreifer so gut es ging mit dem Schürhaken abwehrte, sah ich mich gezwungen, laut ins Haus hinein nach jemandem zu rufen, der wieder Frieden herstellen könnte.

Mit aufreizender Seelenruhe stiegen Mr. Heathcliff und sein Diener die Kellertreppe herauf. Ich glaube nicht, daß sie sich auch nur um eine Sekunde rascher als gewöhnlich bewegten, obwohl am Herdplatz ein wahrer Sturm entfesselt war und ein einziges Toben und Jaulen herrschte.

Zum Glück zeigte jemand aus der Küche größere Eile; eine kernige Frauensperson mit aufgeschürztem Kleid, bloßen Armen und feuergeröteten Wangen stürzte sich, eine Bratpfanne schwingend, mitten ins Getümmel; und sie machte von dieser Waffe und ihrer Zunge so erfolgreich Gebrauch, daß der Sturm sich wie durch Zauber legte und am Ende nur noch sie dastand, wogend wie die See nach einem Wirbelwind, als ihr Herr den Schauplatz betrat.

»Was zum Teufel geht hier vor?« fragte er und starrte mich auf eine Weise an, die ich nach dieser ungastlichen Behandlung nur schlecht ertrug.

»Was zum Teufel, allerdings!« murrte ich. »In die Herde der besessenen Säue1 waren gewiß keine böseren Geister gefahren als in Ihre Tiere hier, Sir. Sie könnten einen Fremden ebensogut mit einer Tigerbrut allein lassen.«

»Wer nichts anfaßt, dem tun sie auch nichts«, bemerkte er, stellte die Flasche vor mich hin und rückte den Tisch wieder an seinen Platz. »Die Hunde haben recht, wenn sie wachsam sind. Ein Glas Wein?«

»Nein, danke!«

»Doch nicht etwa gebissen worden?«

»In diesem Fall hätte ich dem Beißer gewiß einen Denkzettel hinterlassen.«

Heathcliffs Miene hellte sich zu einem Grinsen auf.

»Aber, aber«, sagte er, »Sie sind aufgebracht, Mr. Lockwood. Hier, trinken Sie ein Gläschen. Gäste sind in diesem Haus so überaus selten, daß ich und meine Hunde, ich gebe es gerne zu, nicht recht wissen, wie man sie empfängt. Ihr Wohl, Sir!«

Ich gab nach und trank ihm ebenfalls zu; ich sah allmählich ein, daß es albern wäre, beleidigt dazusitzen, nur weil das Hundepack sich schlecht benommen hatte. Außerdem war ich nicht gewillt, dem Burschen weitere Gelegenheit zu geben, sich auf meine Kosten zu amüsieren, wozu er in der rechten Stimmung schien.

Doch dann – wahrscheinlich bewogen durch die umsichtige Überlegung, wie töricht es wäre, einen guten Pächter vor den Kopf zu stoßen – mäßigte er ein wenig seinen lakonischen Stil, Pronomen und Hilfsverben einfach auszulassen, und wandte sich einem Thema zu, von dem er annahm, es könnte mich interessieren: die Vor- und Nachteile meines derzeitigen Wohnsitzes.

Ich fand ihn in den verschiedenen Gegenständen, die wir streiften, recht bewandert, und bevor ich nach Hause ging, fühlte ich mich wieder soweit ermutigt, ihm einen weiteren Besuch anzubieten, und zwar für den folgenden Tag.

Er selbst wünschte offensichtlich keine Wiederholung. Trotzdem werde ich hingehen. Es ist erstaunlich, wie gesellig ich mir im Vergleich zu ihm vorkomme.

Kapitel II

Gestern nachmittag wurde es plötzlich neblig und kalt. Ich war fast entschlossen, die Zeit lieber vor dem Kaminfeuer meines Arbeitszimmers zu verbringen, statt durch Moor und Morast nach Wuthering Heights zu waten.

Doch als ich vom Mittagessen kam (nebenbei bemerkt, ich esse zwischen zwölf und eins zu Mittag2; die Haushälterin, eine matronenhafte Dame, die ich gleichsam als feste Einrichtung zusammen mit dem Haus übernommen habe, konnte oder wollte auf meinen Wunsch, mir das Essen erst um fünf aufzutragen, nicht eingehen) –, als ich die Stufen hinaufstieg mit der Absicht, es mir bequem zu machen, fand ich beim Betreten des Zimmers ein Dienstmädchen auf den Knien, umgeben von Bürsten und Kohleneimern. Sie wirbelte einen höllischen Staub auf, als sie mit Aschehaufen das Feuer erstickte. Dieser Anblick ließ mich sogleich kehrtmachen; ich nahm meinen Hut, und nach einem Marsch von vier Meilen erreichte ich Heathcliffs Gattertor gerade noch zur rechten Zeit, um den ersten federleichten Flocken eines Schneeschauers zu entrinnen.

Auf dieser öden Bergkuppe war die Erde beinhart gefroren, und die eisige Luft ließ mich bis ins Mark erzittern. Da ich die Kette nicht loshaken konnte, sprang ich über den Zaun, rannte an Stachelbeersträuchern vorbei den gepflasterten Dammweg hinauf, klopfte vergebens um Einlaß, bis meine Knöchel brannten und die Hunde heulten.

»Elendes Gesindel!« fluchte ich im Geiste, »für eure grobe Ungastlichkeit müßtet ihr bis in alle Ewigkeit gemieden werden. Wenigstens tagsüber würde ich meine Tür nicht verriegeln. Aber mir ist es gleich, ich werde schon hineinkommen!«

Fest entschlossen packte ich den Türknauf und rüttelte heftig daran. Joseph steckte sein sauertöpfisches Gesicht durch ein rundes Scheunenfenster.

»Was wolln Sie denn? Der Herr is unten beim Vieh. Gehn Sie hinter der Scheune rum, wenn Sie’n sprechen wolln.«

»Ist denn niemand im Haus, der mir die Tür öffnen könnte?« schrie ich zurück.

»Nur die Missis; un die macht nich auf, da könn Se lärmen bis in die Nacht.«

»Warum denn nicht? Können Sie ihr nicht sagen, wer ich bin – na, Joseph?«

»Nee! Ich doch nich! Da will ich nix mit zu tun ham«, brummte der Kopf und verschwand.

Nun fiel der Schnee in dichten Flocken. Ich packte den Türknauf, um noch einen Versuch zu wagen, als ein junger Mann, ohne Rock und mit geschulterter Mistgabel, hinten im Hof auftauchte. Er rief mir zu, ihm zu folgen, und nachdem wir eine Waschküche und einen gepflasterten Hof mit einem Kohleschuppen, einer Pumpe und einem Taubenschlag überquert hatten, gelangten wir schließlich in das große, warme und anheimelnde Zimmer, in dem man mich tags zuvor empfangen hatte.

Es erstrahlte herrlich im Widerschein eines riesigen Feuers, das von Kohle, Torf und Holz genährt wurde. Und in der Nähe des Tisches, der für ein ausgiebiges Abendessen gedeckt war, bemerkte ich zu meiner Freude die »Missis«, von deren Existenz ich bislang nichts geahnt hatte.

Ich verbeugte mich und wartete, in der Annahme, sie werde mir einen Platz anbieten. Sie blickte mich an, lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, und verharrte reglos und stumm.

»Unfreundliches Wetter!« bemerkte ich. »Ich fürchte, Mrs. Heathcliff, als Folge der mangelnden Aufmerksamkeit Ihrer Diener wurde die Tür etwas in Mitleidenschaft gezogen: Ich hatte alle Mühe, mich bemerkbar zu machen!«

Sie tat den Mund nicht auf. Ich starrte sie an – und sie starrte zurück. Sie hielt die ganze Zeit ihren Blick auf mich gerichtet, auf eine kalte, unbarmherzige Art, die außerordentlich verwirrend und unangenehm war.

»Setzen Sie sich«, sagte der junge Mann schroff. »Er wird gleich hier sein.«

Ich gehorchte, räusperte mich und lockte die heimtückische Juno, die sich bei dieser zweiten Begegnung zum Zeichen, daß sie sich meiner erinnerte, dazu herabließ, die äußerste Spitze ihres Schwanzes zu bewegen.

»Ein schönes Tier!« fing ich wieder an. »Haben Sie die Absicht, die Jungen abzugeben, Madam?«

»Gehören mir nicht«, sagte die liebenswürdige Gastgeberin noch abweisender, als Heathcliff selbst hätte antworten können.

»Ah, dann sind wohl das dort Ihre Lieblinge!« fuhr ich fort und deutete auf ein Kissen im Dunkeln, auf dem etwas lag, das ich für Katzen hielt.

»Da hätte ich mir aber sonderbare Lieblinge ausgesucht«, bemerkte sie verächtlich.

Unglücklicherweise war es ein Haufen toter Kaninchen. Ich räusperte mich abermals, rückte näher an den Kamin und wiederholte meine Bemerkung über das rauhe Wetter.

»Sie hätten nicht herkommen sollen«, sagte sie, stand auf und griff nach zwei der bemalten Blechbüchsen auf dem Kaminsims.

Als sie noch saß, hatte sie das Licht im Rücken gehabt. Jetzt konnte ich ihre Gestalt und ihr Gesicht klar erkennen. Sie war schlank und offenbar kaum dem Mädchenalter entwachsen; sie hatte eine wundervolle Figur und das reizendste kleine Gesicht, das mir je vor Augen gekommen ist: feine, sehr ebenmäßige Züge; flachsblonde, fast schon goldene Locken, die lose über den zarten Nacken fielen, und Augen, die unwiderstehlich gewesen wären, hätten sie angenehmer geblickt. Zum Glück für mein empfängliches Herz zeigten sie nur ein einziges Gefühl, das zwischen Verachtung und einer Art Verzweiflung schwankte, die dort anzutreffen seltsam unnatürlich anmutete.

Die Blechbüchsen standen fast außer Reichweite. Ich wollte ihr schon behilflich sein, da fuhr sie herum wie ein Geizhals, dem jemand beim Geldzählen helfen wollte.

»Ich brauche Ihre Hilfe nicht«, herrschte sie mich an, »ich kann das schon allein.«

»Ich bitte um Verzeihung«, beeilte ich mich zu erwidern. »Hat man Sie zum Tee eingeladen?« fragte sie, während sie sich eine Schürze über ihr hübsches schwarzes Kleid band und einen Löffel voll Teeblätter über die Kanne hielt.

»Ich würde gern eine Tasse trinken«, antwortete ich.

»Hat man Sie eingeladen?« wiederholte sie.

»Nein«, sagte ich mit einem halben Lächeln, »aber Sie könnten es doch tun.«

Sie schleuderte den Tee, den Löffel und alles übrige zurück, setzte sich beleidigt wieder in ihren Stuhl, runzelte die Stirn und schob die rote Unterlippe vor wie ein Kind, das gleich weinen wird.

Unterdessen hatte sich der junge Mann einen ausgesprochen schäbigen Rock übergeworfen, und als er sich vor der Feuersglut aufrichtete, sah er aus den Augenwinkeln auf mich herab, bei Gott gerade so, als lägen wir in einer bislang ungerächten tödlichen Fehde. Mir kamen Zweifel, ob er tatsächlich zur Dienerschaft zählte; Kleidung und Sprache waren zwar gleichermaßen rüde, und es fehlte ihm gänzlich die Überlegenheit, die Mr. und Mrs. Heathcliff zu erkennen gaben; seine dichten braunen Locken waren zottelig und ungepflegt, sein Backenbart überwucherte die Wangen gleich einem Bärenpelz, und seine Hände waren braungebrannt wie die eines einfachen Landarbeiters; doch wirkte sein Verhalten ungezwungen, fast hochmütig, und die Dame des Hauses behandelte er keineswegs mit der Unterwürfigkeit eines Dieners.

Da ich seine Stellung nicht genau einschätzen konnte, hielt ich es für das beste, sein merkwürdiges Gebaren nicht weiter zu beachten, und fünf Minuten später wurde ich durch den Eintritt Mr. Heathcliffs in gewisser Hinsicht aus meiner mißlichen Lage befreit.

»Wie Sie sehen, Sir, habe ich Wort gehalten und bin vorbeigekommen«, rief ich mit gespielter Heiterkeit; »und ich fürchte, das Wetter wird mich eine halbe Stunde festhalten, falls Sie mir solange Obdach gewähren können.«

»Eine halbe Stunde?« sagte er und schüttelte die weißen Flocken von seinen Kleidern. »Ich wüßte gern, warum Sie sich ausgerechnet mitten im dicksten Schneesturm herumtreiben müssen. Wissen Sie, daß Sie Gefahr laufen, sich in den Sümpfen zu verirren? Selbst Leute, die mit diesen Mooren vertraut sind, kommen an Abenden wie diesem oft vom Wege ab, und ich kann Ihnen sagen, im Augenblick besteht keine Aussicht auf Besserung.«

»Ich könnte ja vielleicht einen Ihrer Burschen als Führer bekommen, er kann dann bis morgen früh auf dem Gut bleiben – könnten Sie jemanden entbehren?«

»Nein, kann ich nicht.«

»Ach, tatsächlich! Nun, dann werde ich mich wohl auf meinen eigenen Spürsinn verlassen müssen.«

»Hm!«

»Werden Sie jetzt ’n Tee machen?« fragte der im schäbigen Rock und ließ seinen wilden Blick von mir zu der jungen Dame gleiten.

»Soll er auch welchen bekommen?« fragte sie, an Heathcliff gewandt.

»Na los, mach schon!« war die Antwort, die so harsch hervorgestoßen wurde, daß ich zusammenzuckte. Der Ton, in dem die Worte gesprochen wurden, verriet eine von Grund auf boshafte Natur, und ich war nicht mehr so geneigt, Heathcliff einen prächtigen Burschen zu nennen.

Als der Tee fertig war, lud er mich ein mit den Worten: »Dann rücken Sie mal Ihren Stuhl ran, Sir.« Wir alle, auch der bäurische junge Kerl, setzten uns um den Tisch und wahrten die ganze Mahlzeit über peinliches Stillschweigen.

Ich sagte mir, wenn ich die Wolke verursacht hatte, so mußte ich auch versuchen, sie wieder zu vertreiben. Sie konnten doch nicht jeden Tag so grimmig und schweigsam beisammensitzen, und wie schlecht gelaunt auch immer sie sein mochten, das finstere Gesicht, das sie allesamt aufsetzten, konnte unmöglich ihr Alltagsgesicht sein.

»Es ist seltsam«, setzte ich an, nachdem ich eine Tasse getrunken hatte und eine zweite entgegennahm, »es ist seltsam, wie stark die Gewohnheit unsere Neigungen und unser Denken prägt. So mancher könnte sich in einem Leben in völliger Abgeschiedenheit von der Welt, wie Sie es führen, Mr. Heathcliff, kein Glück vorstellen. Nun wage ich aber zu behaupten, daß Sie, inmitten Ihrer Familie und mit Ihrer liebenswerten Hausherrin, die über Ihr Heim und Ihr Herz gebietet –«

»Meine liebenswürdige Hausherrin?« unterbrach er mich mit einem geradezu teuflischen Grinsen. »Wer soll denn das sein – meine liebenswürdige Hausherrin?«

»Ich spreche von Mrs. Heathcliff, Ihrer Frau.«

»Ach ja, oh! Sie wollen andeuten, ihr Geist habe das Amt eines Schutzengels angenommen und wache über das Geschick von Wuthering Heights, auch wenn ihr Leib dahingegangen ist. Das wollten Sie doch?«

Ich erkannte meinen Irrtum und versuchte, ihn zu berichtigen. Mir hätte auffallen müssen, daß der Altersunterschied zwischen beiden Parteien zu groß war, als daß sie Mann und Frau hätten sein können. Er war um die vierzig, also in einem Alter geistiger Kraft, in dem Männer sich nur selten der Täuschung hingeben, daß sie von den Mädchen aus Liebe geheiratet werden: Dieser Traum bleibt uns als Trost für unseren Lebensabend vorbehalten. Sie sah aus, als wäre sie kaum siebzehn.

Dann wurde mir blitzartig klar: Der Tölpel neben mir, der seinen Tee aus einer Schale trank und sein Brot mit ungewaschenen Händen aß, war womöglich ihr Ehemann: Heathcliff junior, natürlich. Da sehen wir die Folgen, wenn man sich bei lebendigem Leibe begraben läßt: Sie hat sich an diesen Flegel fortgeworfen, aus lauter Unkenntnis darüber, daß es noch bessere Männer gab! Wie unendlich schade! Ich muß mich in acht nehmen, daß ich sie nicht dazu bringe, ihre Wahl zu bereuen.

Die letzte Überlegung mag anmaßend klingen, war es aber nicht. Mein Nachbar erschien mir nachgerade widerwärtig. Ich wußte aus Erfahrung, daß ich selbst einigermaßen anziehend wirkte.

»Mrs. Heathcliff ist meine Schwiegertochter«, sagte Heathcliff und bestätigte damit meine Mutmaßung. Während er sprach, warf er ihr einen eigentümlichen Blick zu, einen haßerfüllten Blick – es sei denn, seine Gesichtsmuskeln wären höchst unnatürlich und brächten nicht wie die anderer Leute die Sprache seiner Seele zum Ausdruck.

»Aber natürlich, jetzt verstehe ich – Sie sind der vom Glück auserwählte Besitzer dieser wohltätigen Fee«, bemerkte ich und wandte mich meinem Nachbarn zu.

Dies war schlimmer als alles zuvor: der junge Bursche wurde puterrot und ballte seine Faust mit eindeutiger Angriffslust. Doch er wußte sich wieder zu fassen und unterdrückte den Sturm mit einem groben, auf mich gemünzten Fluch, dem ich jedoch wohlweislich keine Beachtung schenkte.

»Sie haben Pech mit Ihren Vermutungen, Sir«, bemerkte mein Gastgeber, »keinem von uns gebührt die Ehre, Ihre gute Fee zu besitzen. Ihr Gatte ist tot. Ich sagte, sie sei meine Schwiegertochter, also muß sie wohl meinen Sohn geheiratet haben.«

»Und dieser junge Mann ist ...?«

»Gewiß nicht mein Sohn!«

Heathcliff lächelte wieder, als sei es ein allzu kühner Scherz, ihm die Vaterschaft an diesem Bären zu unterstellen.

»Mein Name ist Hareton Earnshaw«, knurrte der andere, »und ich würde Ihnen raten, ihn zu respektieren.«

»An Respekt habe ich es nicht fehlen lassen«, entgegnete ich und lachte innerlich über die Würde, mit der er sich vorgestellt hatte.

Er fixierte mich mit seinem Blick länger, als ich zurückstarren wollte, aus Angst, ich könnte versucht sein, ihn zu ohrfeigen oder meine Heiterkeit verlauten zu lassen. Ich fühlte mich allmählich in diesem netten Familienkreis ganz entschieden fehl am Platz. Die düstere Stimmung wurde immer lastender und machte das körperliche Wohlbehagen, das die Wärme des Raumes hervorrief, nach und nach zunichte, so daß ich mir schwor, es mir gut zu überlegen, bevor ich mich ein drittes Mal unter dieses Dach begab.

Da die Mahlzeit beendet war und niemand ein Wort zur geselligen Unterhaltung beitrug, trat ich an eines der Fenster heran, um nach dem Wetter zu sehen. Der Anblick war betrüblich; die finstre Nacht brach vorzeitig herein, Himmel und Hügel verschwammen im Brausen des Windes und dem alles unter sich begrabenden Schnee.

»Ich glaube, jetzt ist es mir nicht mehr möglich, ohne einen Führer nach Hause zu finden«, entfuhr es mir unwillkürlich. »Die Straßen sind gewiß schon verschneit, und selbst wenn sie frei wären, könnte ich kaum einen Schritt weit sehen.«

»Hareton, treib das Dutzend Schafe in die Scheune. Sie schneien sonst ein, wenn sie die ganze Nacht über im Pferch bleiben. Und leg auch einen Balken vor«, sagte Heathcliff.

»Was soll ich tun?« fragte ich erneut mit wachsendem Ärger.

Meine Frage blieb ohne Antwort, und als ich mich umwandte, sah ich bloß, wie Joseph einen Eimer Porridge für die Hunde hereintrug und wie Mrs. Heathcliff sich übers Feuer beugte und sich die Zeit damit vertrieb, ein Bündel Zündhölzer zu verbrennen, das vom Kaminsims gefallen war, als sie die Teedose wieder an ihren Platz stellte.

Als ersterer seine Last losgeworden war, sah er sich prüfend im Raum um und krächzte dann los:

»Ich frag mich schon, wie Sie’s wagen können, ärger noch wie’n Ölgötze hier rumzustehen, wo alle andern schon raus sind. Aber Sie sind halt zu nix nutze, was soll ich da noch groß reden. Sie bessern sich ja doch nich mehr, da fahrn Sie doch lieber gleich zum Teufel, grad wie Ihre Mutter!«

Einen Augenblick lang dachte ich, dieser kleine Erguß sei an mich gerichtet und ging, einigermaßen erbost, auf den alten Halunken zu, in der Absicht, ihn zur Tür hinauszuwerfen.

Doch Mrs. Heathcliffs Antwort ließ mich stocken.

»Du garstiger alter Heuchler!« erwiderte sie. »Hast du keine Angst, daß der Teufel dich bei lebendigem Leibe holt, sobald du seinen Namen aussprichst? Ich warne dich, reiz mich nicht noch mehr, sonst werde ich mir als besondere Gunst erbitten, daß er dich holen kommt. Warte, Joseph, schau her«, fuhr sie fort und nahm ein großes, dunkles Buch von einem Brett herunter. »Ich will dir zeigen, wie weit ich in der Schwarzen Kunst fortgeschritten bin – bald bin ich soweit, daß ich das Haus säubern kann. Die rote Kuh ist nicht zufällig gestorben, und deinen Rheumatismus hat wohl kaum der Himmel geschickt!«

»Oh, Miststück, Miststück ...!« keuchte der Alte. »Gott erlöse uns von dem Übel!«

»Nein, Verruchter! Du bist ein Verworfener, scher dich fort oder ich tue dir etwas Schlimmes an. Ich werde euch alle in Wachs und Ton nachbilden; und der erste, der die Grenzen überschreitet, die ich setze, wird ... ich werde nicht sagen, was mit ihm geschehen wird, ihr werdet schon sehen. Geh, ich hab ein Auge auf dich!«

Die kleine Hexe legte gespielte Bosheit in den Blick ihrer schönen Augen, und Joseph, der in unverhohlener Furcht erzitterte, eilte betend und mit den Worten »Miststück, Miststück« davon.

Ich dachte, sie habe sich wohl einen groben Scherz erlaubt, und als wir nun alleine waren, wagte ich, sie auf meine Not aufmerksam zu machen.

»Mrs. Heathcliff«, sagte ich ernst, »Sie müssen entschuldigen, daß ich Sie belästige – doch ich denke, mit einem Gesicht wie dem Ihren kann man gar nicht anders als gutherzig sein. Nennen Sie mir ein paar Anhaltspunkte, die mir meinen Weg nach Hause weisen – ich habe ebensoviel Ahnung, wie ich dorthin gelangen soll, wie Sie Mühe hätten, den Weg nach London zu finden!«

»Gehen Sie den Weg zurück, den Sie gekommen sind«, antwortete sie und machte es sich in einem Stuhl bequem, vor sich eine Kerze und das große, aufgeschlagene Buch. »Ein kurzer Rat, aber einen besseren kann ich Ihnen nicht geben.«

»Nun ja, wenn Sie dann hören, daß man mich im Sumpf oder in einer Schneewehe tot aufgefunden hat, wird Ihnen Ihr Gewissen dann nicht zuflüstern, daß es zum Teil Ihre Schuld war?«

»Wie sollte es das? Ich kann Sie nicht begleiten. Man würde mich nicht bis zum Ende der Gartenmauer gehen lassen.«

»Sie! Ich würde es nicht wagen, Sie zu bitten, in einer solchen Nacht meinethalben auch nur einen Fuß über die Schwelle zu setzen«, rief ich aus. »Ich bitte Sie, mir zu sagen, welchen Weg ich nehmen muß, nicht jedoch, ihn mir zu zeigen; oder aber Mr. Heathcliff zu veranlassen, mir einen Führer mitzugeben.«

»Wen? Hier gibt es, außer ihm selbst, nur Earnshaw, Zillah, Joseph und mich. Wen hätten Sie denn gern?«

»Gibt es keine Knechte auf dem Hof?«

»Nein, das sind alle.«

»Dann heißt das, ich bin gezwungen hierzubleiben.«

»Das müssen Sie mit Ihrem Gastgeber aushandeln. Damit habe ich nichts zu schaffen.«

»Ich hoffe, das wird Ihnen eine Lehre sein, keine übereilten Ausflüge auf diese Höhen zu unternehmen«, ertönte Mr. Heathcliffs strenge Stimme vom Kücheneingang herüber. »Was das Hierbleiben betrifft, so bin ich für Besucher nicht eingerichtet. Sie müssen sich das Bett mit Hareton oder Joseph teilen, falls Sie bleiben wollen.«

»Ich kann ja hier in diesem Raum auf einem Stuhl schlafen«, entgegnete ich.

»Nein, nein! Ein Fremder ist ein Fremder, ganz gleich, ob arm oder reich – ich bin nicht geneigt, irgend jemandem zu gestatten, sich hier aufzuhalten, solange ich ihn nicht überwachen kann«, sagte der ungehobelte Klotz.

Nach dieser Beleidigung war ich mit meiner Geduld am Ende. Ich stieß einen Laut der Empörung aus und hastete an ihm vorbei in den Hof, wobei ich in meiner Eile mit Earnshaw zusammenstieß. Es war so dunkel, daß ich den Ausgang nicht erkennen konnte, und wie ich so herumirrte, vernahm ich eine weitere Kostprobe ihres höflichen Umgangs miteinander. Zunächst schien sich der junge Mann meiner annehmen zu wollen.

»Ich gehe mit ihm bis zum Ende des Parks«, sagte er.

»Zur Hölle wirst du mit ihm gehen!« rief sein Herr (oder wie auch sonst er zu ihm in Beziehung stand). »Und wer soll nach den Pferden sehen, sag?«

»Ein Menschenleben ist wichtiger, als daß einmal die Pferde einen Abend nicht versorgt werden; einer muß doch mitgehen«, murmelte Mrs. Heathcliff freundlicher, als ich erwartet hätte.

»Nicht, wenn du es befiehlst!« erwiderte Hareton. »Falls du Wert auf ihn legst, hältst du besser den Mund.«

»Dann hoffe ich, daß sein Geist dich heimsuchen wird; und daß Mr. Heathcliff nie wieder einen Pächter findet, bis die Grange eine Ruine ist«, gab sie scharf zurück.

»Hört, hört, wie sie’n verflucht«, murmelte Joseph, auf den ich zusteuerte.

Er saß in Hörweite und molk die Kühe im Schein einer Laterne; kurzerhand griff ich sie mir, rief ihm zu, ich wolle sie morgen zurückschicken, und rannte zur nächsten Seitenpforte.

»Herr, Herr, der stiehlt die Latern!« schrie der Alte und rannte hinter mir her. »He, Gnasher, he, Hunde, he, Wolf, faßt ihn, faßt!«

Als ich die kleine Tür öffnete, sprangen mir zwei zottige Ungeheuer an die Kehle und warfen mich zu Boden, wobei das Licht erlosch und das schallende Gelächter von Heathcliff und Hareton meiner Wut und meiner Demütigung die Krone aufsetzte.

Zum Glück schien es den Biestern lieber zu sein, ihre Pfoten zu strecken, zu gähnen und mit dem Schwanz zu wedeln als mich bei lebendigem Leibe aufzufressen; an Aufstehen allerdings war nicht zu denken und so mußte ich liegenbleiben, bis es ihren böswilligen Herren gefiel, mich zu erlösen. Dann, ohne Hut und vor Zorn bebend, befahl ich diesen Schurken, mich gehen zu lassen – hielten sie mich noch eine Minute länger zurück, so hätten sie das zu bereuen – und stieß ein paar unzusammenhängende Vergeltungsdrohungen aus, die sich in ihrer ungeheuren Heftigkeit nach King Lear anhörten.

Durch die starke Erregung bekam ich heftiges Nasenbluten, und immer noch lachte Heathcliff, und immer noch schimpfte ich. Ich weiß nicht, wie der Auftritt geendet hätte, wäre da nicht jemand gewesen, vernünftiger als ich und etwas wohlmeinender als mein Gastgeber. Es war Zillah, die dicke Haushälterin, die schließlich herbeieilte , um herauszufinden, was die Ursache dieses Aufruhrs war. Sie dachte, jemand habe mir Gewalt angetan, und da sie ihren Herrn nicht anzugreifen wagte, feuerte sie ihre Wortgeschütze auf den jüngeren Missetäter ab.

»Sieh an, Mr. Earnshaw! Ich frag mich, was Sie wohl als nächstes vorhaben? Bringen wir jetzt die Leute schon direkt vor unserer Haustür um die Ecke? Ich sehe schon, dieses Haus wird nie für mich taugen – schaun Sie sich den armen Kerl doch an, der ist ja schon fast am Ersticken! Na, na, nu is aber gut – kommen Sie herein, das bekomme ich schon wieder hin. Und jetzt halten Sie still.«

Mit diesen Worten ließ sie plötzlich einen Krug eiskaltes Wasser auf meinen Nacken niederplatschen und zog mich in die Küche. Mr. Heathcliff kam hinterher, und seine unwillkürliche Heiterkeit machte schnell wieder der gewohnten Übellaunigkeit Platz.

Ich fühlte mich entsetzlich schwach, schwindlig und matt; und wohl oder übel war ich genötigt, mich unter seinem Dach beherbergen zu lassen. Er befahl Zillah, mir ein Glas Brandy zu bringen, und ging dann weiter ins hintere Zimmer. Sie tröstete mich über meine betrübliche Zwangslage hinweg, und nachdem sie seinem Befehl nachgekommen war und der Brandy mich wieder etwas belebt hatte, brachte sie mich in mein Schlafgemach.

Kapitel III

Als sie mich die Treppe hinaufführte, riet sie mir, die Kerze zu verbergen und keinen Lärm zu machen, denn ihr Herr habe eine seltsame Beziehung zu dem Zimmer, in das sie mich bringe, und lasse aus freien Stücken nie jemanden dort übernachten.

Ich fragte nach dem Grund.

Den kenne sie nicht, war die Antwort, sie sei erst ein oder zwei Jahre in diesem Haus, und hier gingen so sonderbare Dinge vor sich, daß sie gar nicht erst anfangen wolle, allzu neugierig zu sein.

Da ich meinerseits zu benommen war, um neugierig zu sein, schloß ich die Tür und sah mich nach einem Bett um. Die ganze Einrichtung bestand aus einem Stuhl, einem Kleiderschrank und einem großen Verschlag aus Eichenholz, aus dem im oberen Teil viereckige Öffnungen herausgeschnitten waren, die wie Kutschenfenster aussahen.

Ich ging auf das Ungetüm zu, sah hinein und stellte fest, daß es eine besondere Art altertümlicher Lagerstatt war, die sehr praktisch gestaltet war, um die Notwendigkeit zu umgehen, jedem Familienmitglied einen eigenen Raum zu geben. Es war eine richtige kleine Kammer für sich, und der Sims, der sich unter einem der Fenster entlangzog, diente als Tisch.

Ich schob die getäfelten Schiebetüren auf, ging mit meiner Kerze hinein, zog sie wieder zu und fühlte mich in Sicherheit vor Heathcliffs oder sonst jemandes wachsamem Blick.

In einer Ecke des Simses, auf dem ich die Kerze abstellte, stapelten sich ein paar stockfleckige Bücher, und in den Anstrich waren Kritzeleien eingeritzt. Doch bei diesen Kritzeleien handelte es sich um einen Namen, der sich in allen Arten von Schriftzeichen wiederholte, großen und kleinen – Catherine Earnshaw, hier und da abgewandelt zu Catherine Heathcliff, und dann wieder zu Catherine Linton.

In meiner stumpfen Benommenheit lehnte ich den Kopf an das Fenster und buchstabierte immer wieder die Namen Catherine Earnshaw – Heathcliff – Linton, bis mir die Augen zufielen. Aber ich hatte mich keine fünf Minuten ausgeruht, als grelle weiße Buchstaben mich aus dem Dunkel lebendig wie Gespenster ansprangen – die Luft war erfüllt von einem Gewimmel von Catherines. Und als ich hochschnellte, um den zudringlichen Namen zu verscheuchen, bemerkte ich, daß der Docht meiner Kerze auf einen der alten Bände herabgesunken war und die Kammer sich mit dem Geruch nach angekokeltem Kalbsleder füllte.

Ich schneuzte den Docht, und da ich mich wegen der Kälte und der in mir hochsteigenden Übelkeit sehr elend fühlte, nahm ich den beschädigten Band auf meine Knie und schlug ihn auf. Es war eine Bibel von schlechter Druckqualität, die entsetzlich modrig roch. Ein Vorsatzblatt trug die Aufschrift: »Catherine Earnshaw, ihr Buch«, sowie ein Datum, das in etwa ein Vierteljahrhundert zurücklag.

Ich klappte es zu und nahm ein anderes und wieder ein anderes, bis ich sie alle durchgesehen hatte. Catherines Bibliothek war sorgfältig ausgewählt, und ihr verfledderter Zustand ließ erkennen, daß sie viel benutzt worden war, obgleich nicht immer zum rechten Zweck. Kaum ein Kapitel war von Randbemerkungen – oder was immer das war – verschont geblieben, die, mit Feder und Tinte geschrieben, jeden Raum füllten, den der Drucker freigelassen hatte.

Teils waren es einzelne Sätze, ein andermal richtige Tagebucheinträge, hingekritzelt in einer ungelenken Kinderschrift. Oben auf einer freien Seite, die beim ersten Aufschlagen wohl als ein rechter Schatz empfunden worden war, entdeckte ich zu meinem großen Vergnügen eine äußerst gelungene Karikatur meines Freundes Joseph, in groben, aber kraftvollen Strichen gezeichnet.

In mir flammte ein plötzliches Interesse für die unbekannte Catherine auf, und ich machte mich unverzüglich daran, die verblaßten Hieroglyphen zu entziffern.

»Ein fürchterlicher Sonntag!« begann der Absatz darunter. »Ich wünschte, mein Vater wäre wieder zurück. Hindley ist ein unwürdiger Ersatz – sein Verhalten gegenüber Heathcliff ist widerwärtig – H. und ich werden uns wehren – und heute abend taten wir den ersten Schritt dazu.

Den ganzen Tag hat es in Strömen geregnet. Wir konnten nicht in die Kirche gehen, also mußte Joseph auf dem Dachboden eine Gemeinde um sich versammeln. Und während Hindley und seine Frau unten vor einem behaglichen Feuer in ihren Korbstühlen saßen und – das kann ich beschwören – gewiß alles andere taten, als in der Bibel zu lesen, befahl man Heathcliff, mir und dem unglücklichen Ackerknecht, unsere Gebetbücher zu nehmen und hinaufzusteigen – wir saßen in einer Reihe auf einem Getreidesack, klagend und frierend, und hofften, Joseph friere es auch, damit er in seinem eigenen Interesse die Predigt kurz geraten lasse. Eine vergebliche Hoffnung! Der Gottesdienst dauerte ganze drei Stunden; und mein Bruder hatte, als er uns herunterkommen sah, noch die Stirn auszurufen: ›Was, schon fertig?‹

An den Sonntagabenden durften wir sonst immer spielen, wenn wir nicht zuviel Lärm machten. Jetzt müssen wir uns schon beim kleinsten Kichern in die Ecke stellen.

›Ihr vergeßt, daß ihr hier einen Herrn habt‹, sagt der Tyrann. ›Den ersten, der mich in Harnisch bringt, werde ich zerschmettern! Ich verlange vollkommenen Ernst und absolute Ruhe. Junge, warst du das? Frances, meine Liebe, zieh ihn an den Haaren, wenn du vorbeigehst, ich habe gehört, wie er mit den Fingern schnippte.‹

Frances zog ihn kräftig an den Haaren, ging dann und setzte sich ihrem Mann auf den Schoß; und so blieben sie wie zwei kleine Kinder, küßten sich und redeten stundenlang Unsinn – einen völlig verrückten Blödsinn, für den wir uns geschämt hätten.

Wir machten es uns in der engen Nische unter der Anrichte so bequem wie möglich. Ich hatte gerade unsere Schürzen zusammengebunden und sie als Vorhang aufgehängt, als Joseph wegen irgendeinem Botengang aus dem Stall kam. Er riß mein Machwerk herunter, ohrfeigte mich und krächzte:

›Den Herrn ham sie grad erst begraben, und der Sonntag is noch nich vorüber, und die Worte des Evangeliums habt ihr noch in den Ohrn, und da wagt ihrs zu spielen! Pfui, schämt euch! Hockt euch her, ihr bösen Kinder! Da sin genug gute Bücher, die ihr lesen könnt, hockt euch her und denkt an eure Seelen!‹

Mit diesen Worten zwang er uns, uns so hinzusetzen, daß von dem entfernten Feuer ein schwacher Schein auf die alten Schwarten fiel, die er uns aufdrängen wollte.

Es war mir zuwider, dieses Zeug zu lesen. Ich packte den speckigen Band beim Rücken, schleuderte ihn in die Hundeecke und verkündete feierlich, gute Bücher wären mir ein Greuel.

Heathcliff schickte das seine mit einem Fußtritt hinterdrein.

Das gab vielleicht einen Aufruhr!

›Herr Hindley!‹ schrie unser Kaplan. ›Schnell, kommen Sie her! Miss Cathy hatn Rücken vom Helm des Heils abgerissen, und Heathcliff hatm ersten Teil von Die breite Straße zur Verdammnis ’n Fußtritt versetzt! Ne wahre Schande is das, daß Sie so was zulassn! Ha! Der alte Herr hätt se tüchtig verprügelt – aber der is ja nich mehr unter uns!‹

Hindley eilte aus seinem Paradies am Kamin herbei, packte den einen von uns beim Kragen und den andern beim Arm und warf uns in die Küche im hinteren Teil des Hauses, wo uns, beteuerte Joseph, ›der Deibel‹ holen käme, so wahr wir am Leben wärn. Und mit dieser trostreichen Aussicht kauerte sich jeder von uns in einen Winkel, um sein Kommen abzuwarten.

Ich angelte mir dieses Buch und ein Tintenfaß vom Wandbrett, öffnete die Haustür einen Spalt weit, um Licht zu haben, und konnte mir etwa zwanzig Minuten mit Schreiben vertreiben; aber mein Kamerad wird ungeduldig und schlägt vor, wir sollten uns den Umhang der Milchmagd schnappen und darunter versteckt übers Moor streifen. Ein guter Einfall – wenn der alte Sauertopf dann hereinkäme, würde er seine Prophezeiung erfüllt sehen – feuchter oder kälter als hier wird es im Regen auch nicht sein.«

* * * * *

Ich vermute, Catherines Plan wurde ausgeführt, denn im nächsten Abschnitt ging es um andere Dinge; sie klang zunehmend weinerlicher.

»Ich hätte mir kaum träumen lassen, daß Hindley mich jemals so zum Weinen bringen würde!« schrieb sie. »Mein Kopf schmerzt so sehr, daß ich ihn auf dem Kissen nicht stillhalten kann. Aber ich werde nicht nachgeben. Armer Heathcliff? Hindley nennt ihn einen Landstreicher und läßt ihn nicht länger bei uns sitzen oder mit uns essen. Und er sagt, wir beide dürften nicht mehr miteinander spielen, und droht, ihn aus dem Haus zu werfen, wenn wir uns seinen Befehlen widersetzen.

Er hat unserem Vater vorgeworfen (wie konnte er das wagen?), er sei zu gütig gegen H. gewesen, und schwört, er wolle ihn schon auf den Platz verweisen, der ihm gebührt –

* * * * *

Ich döste allmählich über der verblichenen Seite ein; mein Blick wanderte von der Handschrift zum Gedruckten. Ich sah eine rotverzierte Überschrift ... ›Siebzigmal siebenmal3 und die Erste der Einundsiebzigsten. Eine erbauliche Predigt, gehalten von Hochwürden Jabes Branderham, in der Kapelle von Gimmerden Sough.‹ Und während ich mir, schon recht benommen, den Schädel zerbrach, wie Jabes Branderham sein Thema wohl ausführen würde, sank ich aufs Bett zurück und fiel in Schlaf.

Aber ach! Der schlechte Tee oder meine üble Laune zeigten ihre Wirkung, denn was sonst hätte mir eine so grauenvolle Nacht bescheren können? Ich kann mich nicht erinnern, seit ich zu leiden fähig bin, je eine Nacht wie diese verbracht zu haben.

Ich fing an zu träumen, fast noch bevor ich das Bewußtsein für meine Umgebung verlor. Ich dachte, es sei am Morgen, und ich befände mich mit Joseph als Führer auf dem Nachhauseweg. Der Schnee lag meterhoch auf unserer Straße, und während wir vorwärtsstapften, ermüdete mich mein Begleiter mit ständigen Vorwürfen, daß ich keinen Pilgerstab mitgenommen hatte: er erzählte mir, ohne einen solchen könne ich nie ins Haus gelangen und schwang prahlerisch einen Knüppel mit dickem Knauf, den er, wenn ich ihn recht verstand, so bezeichnete.

Einen Augenblick erschien es mir absurd, einer solchen Waffe zu bedürfen, um mir Zutritt zu meinem eigenen Haus zu verschaffen. Dann schoß mir plötzlich ein neuer Gedanke durch den Kopf. Ich ging gar nicht nach Hause, wir hatten uns vielmehr auf den Weg gemacht, um die berühmte Predigt von Jabes Branderham über den Text »Siebzigmal siebenmal« zu hören, und entweder Joseph, der Prediger oder ich hatten »Die Erste der Einundsiebzigsten« begangen und sollten öffentlich angeklagt und exkommuniziert werden.

Wir gelangten zu der Kapelle – tatsächlich bin ich auf meinen Spaziergängen zwei- oder dreimal dort vorbeigegangen, sie liegt in einer Senke zwischen zwei Hügeln – in der Nähe eines Sumpfes, dessen torfiger Schlamm, so erzählt man sich, so beschaffen ist, daß er die wenigen Leichen, die dort begraben sind, einbalsamiert. Das Dach ist bislang stets instand gehalten worden, doch da ein Pfarrer nur mit zwölf Pfund per annum entlohnt wird und ein Haus mit zwei Zimmern schon nach kurzer Zeit zu einem einzigen Raum zusammenzufallen droht, will kein Geistlicher die Pflichten eines Pfarrers auf sich nehmen, zumal die Rede geht, seine Schäfchen ließen ihn eher den Hungertod sterben als sein Einkommen auch nur um einen Penny aus ihrer eigenen Tasche aufzubessern. Wie dem auch sei – in meinem Traum hatte Jabes eine zahlreiche und aufmerksame Gemeinde. Und wie er predigte – großer Gott! Was für eine Predigt! Sie war aufgegliedert in vierhundertneunzig Teile – jeder einzelne so lang wie eine normale Kanzelrede – und jeder behandelte eine andere Sünde! Wo er sie hernahm, vermag ich nicht zu sagen. Er hatte seine ganz eigene Art, den heiligen Text zu deuten, und schien vorauszusetzen, sein Nächster sündige bei jeder Gelegenheit mit einer neuen Sünde.

Sünden überaus merkwürdiger Art – absonderliche Verfehlungen, die ich mir nie hätte ausmalen können.

Ach, wie wurde ich müde! Wie ich mich wand und gähnte, wie ich einnickte und wieder aufschrak! Wie ich mich selbst kniff und zwickte, mir die Augen rieb, aufstand und mich wieder hinsetzte und Joseph anstieß, er solle mir Bescheid sagen, wenn das jemals ein Ende haben sollte!

Ich war dazu verdammt, alles mitanzuhören – schließlich kam er zur »Ersten der Einundsiebzigsten«. In diesem kritischen Augenblick durchfuhr mich eine plötzliche Eingebung. Jäh stand ich auf und klagte Jabes Branderham als den Sünder der Sünde an, die kein Christenmensch zu vergeben braucht.

»Sir«, rief ich, »wie ich hier zwischen diesen vier Mauern saß, habe ich ohne Unterbrechung die vierhundertneunzig Hauptartikel Ihrer Predigt über mich ergehen lassen und verziehen. Siebzigmal siebenmal habe ich nach meinem Hut gegriffen und wollte schon gehen – siebzigmal siebenmal haben Sie mich unsinnigerweise genötigt, wieder Platz zu nehmen. Das vierhunderteinundneunzigste Mal ist einmal zuviel. Los, meine Leidensgenossen, schnappt ihn euch! Holt ihn herunter, reißt ihn in Stücke, und seine Stätte kennt ihn nicht mehr!«4

»Du bist der Mann!«5 schrie Jabes nach einer feierlichen Pause und lehnte sich über das Polster der Brüstung. »Siebzigmal siebenmal habt Ihr Euer Gesicht zu einem Gähnen verzogen, siebzigmal siebenmal bin ich mit meiner Seele zu Rate gegangen. Sieh, das ist menschliche Schwäche, auch das möge verziehen werden! Nun ist die Erste der Einundsiebzigsten gekommen. Brüder, vollzieht das Gericht, wie geschrieben ist. Solche Ehre werden alle Heiligen haben!6«

Bei diesem Schlußwort stürzten sich alle Mitglieder der Gemeinde wie ein Leib auf mich, umringten mich und schwangen ihre Pilgerstäbe, und ich, der ich keine Waffe zu meiner Selbstverteidigung erheben konnte, begann mit Joseph zu ringen, meinem nächsten und wildesten Angreifer, um ihm die seine zu entreißen. Im Gewühl der Menge wurden etliche Knüppel gekreuzt; Hiebe, die mir galten, sausten auf fremde Schädel nieder. Die ganze Kapelle dröhnte von Schlag und Gegenschlag. Ein Bruder kämpfte wider den andern7, und Branderham, der nicht tatenlos zusehen wollte, machte seinem glühenden Eifer Luft, indem er Hiebe auf die Kanzelbrüstung niederhageln ließ, die so laut dröhnten, daß ich zu meiner unsäglichen Erleichterung davon erwachte.

Und was hatte mir diesen gewaltigen Tumult vorgegaukelt, und wer hatte bei dem Krawall die Rolle des Jabes gespielt? Nur der Zweig einer Föhre, der im Sturmwind an mein Fenstergitter schlug und mit seinen dürren Zapfen gegen die Scheiben trommelte!

Argwöhnisch lauschte ich einen Augenblick; dann entdeckte ich den Störenfried, drehte mich um, nickte ein und träumte wieder – womöglich noch unangenehmer als zuvor.

Diesmal war ich mir bewußt, daß ich in dem Eichenverschlag lag, und hörte deutlich den stürmischen Wind und das Schneetreiben; auch vernahm ich das ständige quälende Geräusch des Föhrenzweigs und kannte nun seine wahre Ursache, doch störte es mich so, daß ich beschloß, es, falls irgend möglich, zum Schweigen zu bringen; mir schien, daß ich aufstand und versuchte, den Fensterflügel aufzuhaken. Der Haken war aber in der Krampe festgelötet, ein Umstand, den ich im wachen Zustand bemerkt, im Traum aber vergessen hatte.

»Trotzdem, das muß ein Ende haben!« murmelte ich, stieß meine Faust durch die Glasscheibe und streckte einen Arm aus, um den lästigen Zweig zu packen: statt dessen schlossen sich meine Finger um eine kleine, eiskalte Hand!

Das entsetzliche Grauen eines Alptraums überkam mich; ich versuchte meinen Arm zurückzuziehen, aber die Hand klammerte sich daran fest, und eine todtraurige Stimme schluchzte:

»Laß mich ein – laß mich ein!«

»Wer bist du?« fragte ich, während ich mich dem Griff zu entwinden suchte.

»Catherine Linton«, antwortete eine fröstelnde Stimme (warum dachte ich ausgerechnet an Linton? Ich hatte Earnshaw zwanzigmal öfter gelesen als Linton). »Ich bin nach Hause gekommen. Ich hatte mich im Moor verirrt!«

Während es sprach, sah ich schattenhaft das Gesicht eines Kindes durchs Fenster blicken – der Schrecken machte mich grausam; und da ich erkannte, wie nutzlos es war, das Geschöpf abschütteln zu wollen, zog ich sein Handgelenk auf die zerbrochene Scheibe und rieb es hin und her, bis das Blut niederrann und die Bettlaken tränkte. Immer noch jammerte es: »Laß mich ein!« und hielt mich weiter mit zähem Griff, so daß ich vor Angst schier verrückt wurde.

»Wie kann ich das?« sagte ich schließlich. »Laß du mich los, wenn du willst, daß ich dich einlasse!«

Die Finger lockerten sich, schnell zog ich meine Hand durch das Loch zurück, türmte hastig die Bücher zu einer Pyramide davor auf und hielt mir die Ohren zu, um das erbärmliche Flehen nicht länger hören zu müssen.

Ich hatte sie mir wohl eine Viertelstunde lang zugehalten, doch als ich wieder hinhörte, klagte das Jammergeschrei noch immer fort!

»Geh weg«, schrie ich, »ich werde dich niemals einlassen, und wenn du zwanzig Jahre lang bettelst!«

»Es sind zwanzig Jahre«, klagte die Stimme. »Zwanzig Jahre! Seit zwanzig Jahren bin ich ein heimatloses Kind!«

Jetzt vernahm ich von draußen ein schwaches Kratzen, und der Bücherstapel bewegte sich, als würde er gestoßen.

Ich wollte aufspringen, konnte aber kein Glied regen; und so schrie ich gellend, von kaltem Grausen gepackt.

Zu meiner Bestürzung entdeckte ich, daß mein Schrei keine Einbildung war. Eilige Schritte näherten sich meiner Zimmertür: Jemand stieß sie mit energischer Hand auf, und ein Licht schimmerte durch die quadratischen Öffnungen oben am Bett. Zitternd saß ich da und wischte mir den Schweiß von der Stirn: Der Eindringling schien zu zögern und murmelte etwas vor sich hin.

Schließlich sagte er fast flüsternd und offenbar ohne eine Antwort zu erwarten:

»Ist jemand hier?«

Ich hielt es für das beste, meine Anwesenheit zu bekennen, denn ich erkannte Heathcliffs Tonfall und fürchtete, er werde weitersuchen, falls ich mich still verhielt.

Deshalb drehte ich mich um und schob die Täfelung beiseite – ich werde so schnell nicht vergessen, welche Wirkung ich damit erzielte.

Heathcliff stand in Hemd und Unterhose bei der Türe, in der Hand eine Kerze, deren Wachs ihm über die Finger tropfte, und das Gesicht so weiß wie die Wand hinter ihm. Beim ersten Knarren des Eichenholzes durchfuhr es ihn wie ein elektrischer Schlag: Das Licht flog ein paar Fuß weit aus seiner Hand, und seine Erregung war so stark, daß er kaum imstande war, es wieder aufzuheben.

»Es ist nur Ihr Gast, Sir«, rief ich aus, denn ich wollte ihm die Demütigung ersparen, weitere Beweise seiner Feigheit zu liefern. »Ich hatte das Mißgeschick, im Schlaf zu schreien, denn ich hatte einen schrecklichen Alptraum. Es tut mir leid, daß ich Sie gestört habe.«

»Oh, Gott verdamme Sie, Mr. Lockwood! Ich wollte, Sie wären beim ...«, hub mein Gastgeber an und stellte die Kerze auf einen Stuhl, da er merkte, daß er sie nicht ruhig halten konnte.

»Und wer hat Sie in dieses Zimmer gebracht?« fuhr er fort, grub seine Nägel in die Handflächen und knirschte mit den Zähnen, um das krampfhafte Zucken seiner Kinnbacken zu unterdrücken. »Wer war das? Ich hätte größte Lust, die betreffende Person sofort aus dem Haus zu jagen!«

»Es war Ihre Dienstmagd, Zillah«, erwiderte ich, schwang mich auf den Boden und schlüpfte schnell wieder in meine Kleider. »Ich hätte nichts dagegen, wenn Sie’s täten, Mr. Heathcliff; sie hat es reichlich verdient. Ich nehme an, sie wollte sich auf meine Kosten einen weiteren Beweis verschaffen, daß es in diesem Zimmer spukt. Und tatsächlich, hier wimmelt es von Gespenstern und Kobolden! Sie tun recht daran, es abzuschließen, glauben Sie mir. Niemand wird Ihnen ein Schläfchen in solch einer Höhle danken!«

»Wovon reden Sie?« fragte Heathcliff, »und was tun Sie da? Legen Sie sich wieder hin und bringen Sie die Nacht hinter sich, da Sie nun mal hier sind. Aber um Himmels willen, machen Sie nicht noch einmal dieses schreckliche Geräusch – dafür gäbe es keine Entschuldigung, es sei denn, man wollte Ihnen die Kehle durchschneiden!«

»Wenn die kleine Teufelin durch das Fenster hereingekommen wäre, hätte sie mich wahrscheinlich erwürgt«, gab ich zurück. »Ich werde die Nachstellungen Ihrer gastfreundlichen Ahnen nicht länger erdulden! War nicht Hochwürden Jabes Branderham mütterlicherseits mit Ihnen verwandt? Und dieses Biest, Catherine Linton oder Earnshaw oder wie immer sie hieß – sie muß ein Wechselbalg gewesen sein –, was für eine gottlose kleine Seele! Sie erzählte mir, sie irre seit zwanzig Jahren auf der Erde umher: zweifellos eine gerechte Strafe für ihre Todsünden!«

Kaum hatte ich diese Worte gesprochen, erinnerte ich mich daran, daß Heathcliffs und Catherines Namen in dem Buch zusammen erwähnt wurden, was mir seit meinem Erwachen völlig entfallen war. Ich errötete über meine Unbedachtsamkeit; doch um mir nicht anmerken zu lassen, daß ich mir meiner Beleidigung wohl bewußt war, fügte ich schnell hinzu:

»Die Wahrheit ist, Sir, daß ich den ersten Teil der Nacht damit zugebracht habe –«, hier hielt ich abermals inne, denn ich wollte schon sagen »die alten Bände durchzulesen«, doch damit hätte ich zu erkennen gegeben , daß ich sowohl den handschriftlichen als auch den gedruckten Inhalt kannte, und so korrigierte ich mich und fuhr fort: »den Namen zu buchstabieren, der im Fenstersims eingeritzt ist. Eine eintönige Beschäftigung, die mich schläfrig machen sollte, wie Zählen oder –«

»Was fällt Ihnen ein, in diesem Tonfall mit mir zu sprechen?« donnerte Heathcliff in wilder Leidenschaft. »Wie – wie können Sie es wagen, unter meinem Dach! Gott im Himmel! Er ist wahnsinnig, so zu reden!« Und rasend vor Wut schlug er sich vor die Stirn.

Ich wußte nicht, ob ich mich über diese Worte aufregen oder in meiner Erklärung fortfahren sollte; doch er schien so entsetzlich aufgebracht, daß ich Mitleid bekam und weiter bei meinen Träumen blieb, indem ich beteuerte, ich hätte den Namen »Catherine Linton« nie zuvor gehört, ihn jedoch so oft gelesen, daß er unter diesem Eindruck, als ich meine Einbildungskraft nicht mehr in der Gewalt hatte, schließlich Gestalt angenommen habe.

Während ich sprach, zog sich Heathcliff allmählich immer weiter in die Tiefe der Bettstatt zurück und saß schließlich auf dem Bett, so daß er meinen Blicken verborgen war. Doch aus seinen unregelmäßigen und stoßweisen Atemzügen entnahm ich, daß er gegen einen heftigen Gefühlsausbruch ankämpfte.

Ich wollte ihn nicht merken lassen, daß ich hörte, wie er mit sich rang, und so fuhr ich eher geräuschvoll mit meiner Toilette fort, sah auf meine Uhr und hielt ein Selbstgespräch über die Länge der Nacht:

»Noch keine drei Uhr! Ich hätte schwören können, es sei schon sechs – die Zeit steht hier still – wir haben uns bestimmt schon um acht Uhr zur Ruhe begeben!«

»Im Winter immer um neun, und Aufstehen um vier«, sagte mein Gastgeber und unterdrückte ein Stöhnen, und aus der Bewegung seines Schattenarmes schloß ich, daß er sich eine Träne aus den Augen wischte.

»Mr. Lockwood«, setzte er hinzu, »Sie können in mein Zimmer gehen, Sie würden nur im Wege sein, wenn Sie jetzt schon hinuntergingen. Außerdem hat Ihr kindisches Geschrei meinen Schlaf zum Teufel gejagt.«

»Den meinen ebenso«, erwiderte ich. »Ich werde bis Tagesanbruch im Hof spazierengehen, und dann bin ich fort. Und eine Wiederholung meines Besuches brauchen Sie nicht zu fürchten. Ich bin jetzt gänzlich davon geheilt, in der Geselligkeit Zerstreuung zu suchen, ganz gleich, ob auf dem Land oder in der Stadt. Ein vernünftiger Mensch sollte sich selbst Gesellschaft genug sein.«

»Reizende Gesellschaft«, murmelte Heathcliff. »Nehmen Sie die Kerze und gehen Sie, wohin Sie wollen. Ich komme gleich nach. Aber nicht in den Hof, die Hunde sind nicht angekettet; und was das Haus anbelangt – Juno hält dort Wache – und – nein, Sie können bloß auf der Treppe und auf den Gängen herumlaufen – aber jetzt fort mit Ihnen! Ich komme in zwei Minuten.«

Ich gehorchte insofern, als ich das Zimmer verließ; doch da ich nicht wußte, wohin die schmalen Korridore führten, blieb ich stehen und wurde zum unfreiwilligen Zeugen einer abergläubischen Anwandlung meines Wirtes, die seinen sonst so klaren Menschenverstand auf sonderbare Weise Lügen strafte.

Er stieg auf das Bett, riß das Fenstergitter auf, wobei er, während er daran zerrte, in einem Anfall unbezwingbarer Leidenschaft in Tränen ausbrach.

»Komm herein! Komm herein!« schluchzte er. »Cathy, so komm doch. Bitte – nur einmal noch! Oh! Mein Herzallerliebstes, hör mich doch dieses Mal – Catherine, wenigstens dies eine Mal!«

Das Gespenst zeigte sich so launisch, wie Gespenster nun mal sind: Es gab kein Zeichen seiner Anwesenheit; doch Schnee und Wind wirbelten wild ins Zimmer, sogar bis dorthin, wo ich stand, und bliesen das Licht aus.

In dem Klageschrei, der diesen Anfall von Raserei begleitete, lag so viel Seelenpein, daß mein Mitgefühl mich völlig vergessen ließ, wie närrisch er sich aufführte, und so stahl ich mich davon, etwas verärgert darüber, daß ich mir das alles angehört und meinen lächerlichen Alptraum erzählt hatte, war er doch der Auslöser dieser unsäglichen Qual; doch das Warum war mir völlig schleierhaft.

Vorsichtig stieg ich zu den unteren Gefilden hinunter und gelangte in die nach hinten gelegene Küche, wo eine Feuersglut, zu einem kompakten Haufen zusammengescharrt, mir erlaubte, meine Kerze wieder anzuzünden.

Nichts regte sich dort außer einer graugetigerten Katze, die aus der Asche kroch und mich mit einem mißmutigen Miauen begrüßte.

Zwei halbkreisförmige Bänke umschlossen den Herd fast vollständig; auf einer von ihnen streckte ich mich aus, während Grimalkin auf die andere sprang. Wir dösten beide vor uns hin, bis wir in unserem Schlupfwinkel aufgestört wurden. Diesmal war es Joseph, der eine Holzleiter heruntergepoltert kam, die durch eine Falltür oben auf dem Dach verschwand – wahrscheinlich der Aufstieg zu seiner Kammer.

Er warf einen finsteren Blick auf die kleine Flamme, die ich entfacht hatte und zwischen den Gitterstäben des Rosts hochzüngeln ließ, fegte die Katze von ihrem Hochsitz, ließ sich auf dem nun frei gewordenen Platz nieder und begann, umständlich eine drei Zoll lange Pfeife mit Tabak zu stopfen. Meine Anwesenheit in seinem Heiligtum wurde offensichtlich als eine derart schamlose Frechheit empfunden, daß jede Bemerkung überflüssig war. Schweigend nahm er das Mundstück zwischen die Lippen, verschränkte die Arme und paffte vor sich hin.

Ich überließ ihn ungestört seinem Genuß; und nachdem er den letzten Rauchring in die Luft geblasen und einen tiefen Seufzer getan hatte, stand er auf und ging hinaus, so feierlich, wie er gekommen war.

Der nächste betrat den Raum mit etwas schwungvollerem Schritt, und jetzt öffnete ich den Mund zu einem »Guten Morgen«, machte ihn aber gleich wieder zu, noch bevor ich den Gruß zu Ende gesprochen hatte, denn Hareton Earnshaw sprach sein Morgengebet sotto voce – indem er gegen jeden Gegenstand, den er berührte, eine Reihe von Flüchen ausstieß, während er einen Winkel nach einem Spaten oder einer Schaufel durchwühlte, um die Schneemassen zu räumen. Er warf einen Blick über die Lehne der Bank, blähte die Nasenflügel und dachte so wenig daran, Höflichkeiten mit mir auszutauschen wie mit meiner Gefährtin, der Katze.

Ich entnahm seinen Vorbereitungen, daß es jetzt erlaubt war hinauszugehen, erhob mich von der harten Sitzbank und schickte mich an, ihm zu folgen. Er bemerkte dies und stieß mit dem Spatenstiel gegen eine Tür, die ins Innere führte; und mit einem unartikulierten Laut deutete er an, daß ich dort hinein müßte, falls ich meinen Platz wechseln wolle.

Sie führte in das ›Haus‹, wo die Frauen sich schon zu schaffen machten: Zillah ließ mit einem riesigen Blasebalg glühende Funken den Kamin hinaufstieben, und Mrs. Heathcliff kniete am Herd und las ein Buch beim Schein der lodernden Glut.

Sie schützte ihre Augen mit der Hand vor der Hitze und schien ganz versunken in ihre Tätigkeit, von der sie nur abließ, um die Magd zu schelten, wenn diese sie mit Funken übersprühte, oder um hin und wieder einen Hund wegzustoßen, der allzu vorwitzig ihr Gesicht beschnüffelte.