Stürzen, drüber schlafen - Angelika Meier - E-Book

Stürzen, drüber schlafen E-Book

Angelika Meier

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Beschreibung

Diskrete Ausnahmezustände, heillose Ausweichmanöver, melancholischer Slapstick und verqueres Glück: Die kleinen Geschichten und Theaterstücke, die Angelika Meier in ihrem dritten Buch versammelt, eint eine höchst amüsante Traurigkeit. Gewissenhaft und mit gebotenem Sportsgeist, mitunter auch kindlich selbstvergessen spielen die Figuren hier ihre komischen Trauerspiele. Neben anderen treten auf: Jack Nicholson und ICH, die sich vom Fernsehsessel aus unversehens als neue Regenten Ägyptens wiederfinden; ein verhinderter »Waldbruder«, der sich von Jürgen Klinsmann geistige Führung erhofft; die Amazonenkönigin Penthesilea, die in Malibu Kleist liest und zaudernd noch einmal den Liebeskampf gegen Achill aufnimmt; oder ein Anwalt, der ein riesiges Loch im Bauch hat und sich daher mit einem »Kleidungsproblem« herumschlägt. Zu gewinnen gibt es freilich nichts, und nicht jeder kommt mit heiler Haut davon. Aber solange man spielt, kann einen niemand zwingen, man selbst zu sein.

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Seitenzahl: 208

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Angelika Meier

Stürzen, drüber schlafen

Kleine Geschichten und Stücke

diaphanes

broschur

Inhalt

Ach könnt ich ewig in meinen vier Wänden bleiben!Das hätte ich gernJürgen Klinsmann schlägt die StraßeLetzte ReiseDrei Heringe sitzen auf einem Baum und kämmen sichWe can work it outDas warme HändchenEiner geht nochSeite an SeiteJoachim Löw wohnt hier nicht mehrWo Sie mich finden, wohl unter Linden

Ägyptisches Abenteuer mit Ich und JackEin kleines Lesedrama

Denn da gab es nichts, was ich Dir hätte antworten können, als Du zu mir sagtest: »Steh auf, der du schläfst, und aufersteh von den Toten, und erleuchten wird dich Christus!« Und da Du mir von allerwärts vor Augen hieltest, dass Du Wahres sprichst, so gab es überhaupt nichts, was ich, von der Wahrheit überführt, hätte antworten sollen, als nur die Worte, die säumigen, träumigen: »Gleich«, »ach ja gleich«, »nur ein klein wenig lass mich noch.« Aber auf das »gleich, gleich« geschah doch nichts dergleichen, und das »lass mich nur ein wenig noch« zog sich in die Länge.

AUGUSTINUS,

Ach könnt ich ewig in meinen vier Wänden bleiben!

Nach langer Funkstille hatte ich ihm wieder einmal geschrieben und ihn aus einer spontanen Regung heraus zu einem kleinen Abendessen bei mir eingeladen, nur eine Handvoll Leute, nichts, was ihn ernsthaft überfordern könnte. Prompt schrieb er zurück, entschuldigte sich, dass er sich so lange nicht gemeldet habe, bedankte sich wie immer überschwänglich für die Einladung, freue mich wahnsinnig … was soll ich mitbringen?, und so weiter, um zwei Stunden später eine bedauernde Absage folgen zu lassen, die mit den Worten endete: »Ein Hauptbeschwernis finde ich bei allen gewöhnlichen Gesellschaften, dass man sich immer vergnügt und heiter stellen muss und seinen Launen nicht nachhängen darf.« Damit nicht genug, schickte er mitten in der Nacht noch den Satz hinterher: »Die menschliche Natur hält das immerfortwährende Vergnügen ebenso wenig aus als das Feld den ununterbrochenen Sonnenschein.«

Als ich das am Morgen las, war ich noch ziemlich verschlafen und antwortete ihm daher etwas unsouverän gereizt, dass ich in der Sonnenscheinsache keinerlei Aufklärungsbedarf habe, dass schließlich ich ihm ja damals den schönen Aphorismus »Alles in der Welt lässt sich ertragen, nur nicht eine Reihe von schönen Tagen« übersandt habe. Eine Sekunde nachdem ich diese kleinliche Gehässigkeit abgeschickt hatte, bereute ich es schon und schämte mich, schon allein deshalb, weil meine Reihe von schönen Tagen seinem ausgedörrten Sonnenscheinfeld freilich haushoch überlegen ist und er nur zu gut weiß, dass ich weiß, dass ihm diese Überlegenheit schmerzlich bewusst ist, und so blieb ihm nichts anderes, als auf diesen unwürdigen Sadismus mit der Grandezza seines notorischen »Ach, das ist ja sehr interessant!« zu reagieren, Ausdruck seiner russischen Verweigerungstaktik gegen meine hinterhältig impliziten Analysen seiner, meiner und aller Lage – was weiß ich.

Naheliegenderweise haben wir beide danach erst einmal wieder Abstand von weiteren Kontaktversuchen genommen, aber als ich zwei Monate später eine kleine, wirklich sehr kleine Geburtstagsparty für einen gemeinsamen Freund organisierte, versuchte ich es doch wieder, und ebenso versuchte er wieder, seine Züge zu machen, soll heißen, euphorische Zusage und kurz danach der Widerruf, diesmal mit der Begründung, dass er noch von meinem letzten Weihnachtsessen vor sechs Monaten vollkommen erschöpft sei vom »ewigen Klavierspielen auf unseren armen Nerven, ohne Zweck, ohne Ganzes, das uns in einem immerwährenden Traum erhält.« Da ist mir der Kragen geplatzt, beinahe habe ich die Tastatur kaputtgehauen, ich weiß nicht, wie mir geschah, und erst zwei Stunden später war ich in der Lage, mir anzusehen, was ich ihm da gewissermaßen blind geschrieben habe: »Wir, Deine wahren Freunde und Freundinnen und alle vernünftigen Leute – verzeih’s mir, was können wir anders tun – lachen darüber – ja lachen entweder Dich aus der Haut und der Welt hinaus – oder wieder in unsre Parties zurück.«

Umso perplexer war ich, als er am nächsten Wochenende bei der Geburtstagsfeier auftauchte, in strahlender Laune, charmant in alle Himmelsrichtungen, und mich, als wäre nichts gewesen, am Ellenbogen in die nächste Ecke zog und mir mit vertraulich gesenkter Stimme vorschlug, dass wir beide doch endlich mal wieder ein Projekt zusammen machen sollten, und natürlich habe ich ihm, wie immer, sofort zugesagt. Dann haben wir uns hysterisch lachend die Hände geschüttelt, er hat immer wieder gesagt, Alter, ich glaub’s nicht, ist das geil, und den Rest des Abends haben wir uns blendend amüsiert, bis zum Morgengrauen zusammen gesoffen, wie früher, und sind dann Arm in Arm torkelnd in das irre laute und wahnsinnig komische Vogelgezwitscher hineingelaufen, auf der Suche nach einem Café, das um diese Zeit schon aufhatte. In der Morgensonne haben wir draußen gesessen, der heiße, starke Kaffee zusammen mit dem Lindenduft war absolute Poesie, wir haben die Beine lang ausgestreckt, und er hat zufrieden gestöhnt:

»Ach, wie wohl ist mir bei dir, wo ich die Nase hängen lassen darf wie ich will und lachen wenn’s mich kitzelt.«

Unter schweren Lidern lächelnd nickte ich ihm zu, und er verschränkte die Hände hinter dem weit zurückgebogenen Kopf und sprach weiter, genüsslich erschöpft seine Worte dehnend:

»Ich sag’s dir, Mann, wie sind mir doch alle Gesellschaften und gesellschaftlichen Freuden hier so fatigant. Wenn ich zu Hause komme, ist mir, als ob ich Holz gehauen habe. Ich fühle die Ursache wohl, mein Geist zerarbeitet sich, etwas aus diesen Gesellschaften herauszusagen und findt nirgends, wo sein Fuß ruhen möchte.«

»Ja, das stimmt, geht mir auch oft so. Aber was willste machen. Ist halt so.«

»Ja, schon klar, aber lass uns mal was richtig Geiles machen, diesmal. Was richtig Saugeiles!«

»Okay …«

»Weil«, er zog die Stirn zusammen und sah mir flackernd von einem Auge ins andere, »sonst denke ich immer nur: Ach könnt ich ewig in meinen vier Wänden bleiben – wie viel besser würde ich mir gefallen. Einsamkeit, Einsamkeit, du allein machst mich bekannt mit meinem bessern Selbst und mein Dasein hört auf, Gericht zu sein.«

»Ja sicher, wem sagst du das«, ich kniff die brennenden Augen zusammen und drückte mir mit Daumen und Mittelfinger abwechselnd die Akupunkturpunkte an Nasenwurzel und Schläfen, »geht mir andauernd so. Grade in letzter Zeit, ich hab wirklich die Schnauze voll von den letzten Testphasen.«

»Ja eben, sag ich doch, lass uns was richtig Geiles machen!«

»Okay.«

»Weißt du«, er sprang auf, schwankte aber gefährlich und setzte sich daher vorsichtig wieder hin, »ich fühle, der einzige Rat, sein Los in der Welt zu tragen, ist, dass man sich ganz aus sich heraussetzt, sich für einen fremden und andern Menschen als sich ansieht. So kann ich mich bisweilen lieben, und das tröstet mich für all das, was ich erdulde. Ich denke, dieser Mensch verdiente doch, ein klein wenig glücklicher zu sein als er ist, und das ist so ein süßer Gedanke.«

»Hm ja, stimmt, das ist wirklich ein …«

»Ich denke, wenn ich ein rechtschaffener Mann wäre und mich so ansähe wie ich bin und unter den Umständen, ich würde doch eine gewisse Achtung und eine Art von Mitleiden mit meinem Schicksal fühlen, und das allein erhält mich noch im Gleichgewicht. Verstehst du, wie ich meine?«

»Ja, natürlich.«

»Wirklich?«

»Ja klar, Mann!«

»Naja, und deshalb dachte ich, wir könnten da zusammen was machen, etwas entwickeln. Dieses sich ganz aus sich Heraussetzen, das ist ein Riesending, glaub ich, da müsste man …«

»… ein Programm schreiben?«

»J-ja, zum Beispiel, vielleicht aber auch erst mal ein Angebot formulieren, oder noch besser erst mal schauen, wie weit man da potentiell gehen kann …«

»Hm, ich weiß nicht …«

»Klingt nicht gut?«

»Das weiß ich noch nicht, mal sehen, ich denk mal drüber nach.«

»Gut, schön. Ja, denk drüber nach. In jedem Fall ist es toll, dass wir mal wieder was zusammen machen.«

Er klopfte mir auf den Arm, wie immer, wenn er mich eigentlich umarmen will, sich aber nicht traut oder sich warum auch immer nicht dazu durchringen kann, wodurch er wie in einer Kettenreaktion immer verklemmter wird und mich schließlich gar nicht mehr anschauen, aber auch nicht aufhören kann, mir auf den Arm zu klopfen, und aus Spiegelverklemmung antwortete ich nur knapp:

»Ja, das ist es.«

Wie froh war ich, zuhause der Sonne die Vorhänge vor der Nase zuzuziehen und in mein weiches Bett zu sinken! Beim Einschlafen dachte ich noch, dass ich ihm heute noch, gleich nach dem Aufwachen, oder spätestens morgen schon mal kurz schreiben müsste, sodass er wenigstens Bescheid wüsste, gar nicht versuchen zu erklären, warum sein Projekt nichts taugt, sondern Zeitprobleme oder Ähnliches vorschützen. Aber dann schob ich es von Tag zu Tag raus, und auch er meldete sich nicht, und so ist jetzt schon wieder fast ein Jahr vergangen, und vielleicht könnte ich ihn einfach mal wieder zum Essen einladen.

Das hätte ich gern

Es hieß immer, der Anzug sollte sein wie eine zweite Haut, aber das wird er nie sein. Du bist in deinen Bewegungen, in deiner Wahrnehmung stark eingeschränkt. Natürlich ist das für jemanden wie mich, der bis dahin all seine Sprünge gänzlich ungeschützt, in völliger Bewegungsfreiheit gemacht hat, eine enorme Umstellung, aber ich hielt das für ein rein technisches Problem, das sich, wie alles andere, durch Übung meistern ließe. Nie hätte ich geahnt, dass ausgerechnet in diesem Anzug das dead end unserer gesamten Mission lauern könnte.

Dabei lernen wir ja zusammen mit dem Handschlaggeben als Allererstes den Satz: Der Anzug bedeutet Gefangenschaft. Aber das ist eben nur so ein Satz, an den du denken sollst, und so vergisst du ihn schon, während du ihn dir das zweite Mal hersagst. Er bedeutet dir nichts, weil du ja auch denkst, der Anzug bedeute nur Gefangenschaft und weiter nichts. Wenn du es irgendwann aus dem Tunnel wieder rausgeschafft hast, dann stimmt das auch wieder, dann bedeutet der Anzug nur Gefangenschaft und nichts weiter. Aber bis zu dieser zweiten Ordnung der Dinge ist es ein weiter Weg.

Meine Beklemmung hatte sich von Mal zu Mal gesteigert, schon nach ein paar Tests war klar, ich habe ein Kopfproblem, und schließlich konnte ich es kaum mehr länger als ein paar Minuten in dem Ding aushalten. Das Visier geht runter und dann ist alles aus. Die Einsamkeit, die Stille sind unbeschreiblich. Dir schwinden ja nicht die Sinne, der Raum verschwindet zwar und damit fällst auch du weg, aber du kannst dich schließlich nicht in Luft auflösen, dafür hast du schlichtweg keinen Platz. Und du kannst auch nicht mehr auf dich selbst herein-, in dich hineinfallen, du bist ja nicht mehr da. Zugleich aber bist du das Aufdringlichste, das aufs Dringlichste nach außen und innen und nirgendwohin drängende Vieh, das du dir vorstellen kannst. Ein Vieh, aber eben kein Tier, weit gefehlt. Nein, du kannst nicht einfach einen großen Bogen um dich selbst machen und so stillschweigend wieder zu dir kommen. Die Leere, in die du fällst, ist dafür einfach zu penetrant, ganz anders als das Vakuum, auf das ich mich nun seit über einem Jahr mental vorbereitet hatte und von dem Joe mir gesagt hatte: Du kannst ein Vakuum zwar nicht fühlen, aber es ist trotzdem da, unheimlich, feindlich. Die Leere in deinem Anzug dagegen, die ist da, und das fühlst du auch. Da hast du gar keinen Zweifel.

Bis dahin hatte ich alle Tests, jeden Aufstieg und Fall, alles mit Bravour gemeistert, nur die Druckkammer, in der wir Realbedingungen herstellen und mich dafür fünf Stunden lang in den Anzug stecken wollten, stand noch aus. Aber da fiel auf einmal die Klappe, noch bevor ich reingegangen bin, und in die schaurige Stille hinein hörte ich Joe sagen: Wenn du mit dem Druckanzug nicht in jeder Situation klarkommst, bist du tot. Kein Ärmelkanal, keine Jesusstatue, keine Höhle hatte geschafft, was der Anzug mit mir gemacht hat. Da war ich weg, und dann bin ich weg, stundenlang ziellos mit dem Auto rumgefahren. Der schlimmste Moment meines Lebens: Ich habe ins Telefon geweint. Und natürlich mein größter Sieg. Ich hatte endlich das Limit gefunden, nach dem ich seit fünfundzwanzig Jahren gesucht habe. Zum ersten Mal fand ich keinen Ausweg mehr, konnte mich nicht mehr in die Büsche schlagen. Mit dem Rücken zur Wand stand mir vielleicht auf einmal die Freiheit offen.

Jetzt erst hatte das wahre Abenteuer begonnen. Es fing damit an, dass Mike mich völlig gestrippt hat und mir dann eine Toolbox psychischer Werkzeuge mitgegeben hat. Keine mystischen Dinge, sondern einfach Werkzeug, das dir dein Leben lang dient. Er hat mich gezwungen, die Dinge zu Ende zu denken: Was passiert, wenn man dich in deinem Anzug fesselt und du durchdrehst? Ich würde um mich schlagen, Schreikrämpfe kriegen bis hin zum Herzinfarkt. Falsch: Wenn das Reservoir für Aufregung erschöpft ist, wird der Mensch ruhig und ist wieder zu logischen Gedanken fähig. Mit dieser Absicherung war der erste Schritt weg von der reinen Leere und hin zum wirklichen Vakuum getan. Der zweite war der, einzusehen, dass wir immer nur einen Gedanken auf einmal denken können. Stell dir eine Tür vor, durch die immer nur ein Gedanke auf einmal treten kann. Du bist der Türsteher. Du lässt den downer nicht rein. Du hast zwar nicht die Kraft, ihn ganz abzuweisen, aber du kannst ihm immerhin die Hand gegen die Brust stemmen und ihn auf diese Weise aufhalten, und dann lässt du ein paar brightener, zum Beispiel die Rückwärtsbuchstabierer, schön langsam, einen nach dem anderen, so lange an ihm vorbei durch die Tür gehen, bis der Laden voll ist und der downer sich von selbst verpisst.

Ich bin also bei jedem schlechten Gedanken geistig aus dem Helm geklettert und habe dadurch gelernt, ihn angstfrei zu tragen. Seit ich diese Kopfhürde genommen habe, bin ich – so abgedroschen das klingt – stärker denn je. Bin ich auch demütiger geworden? Bei der Antwort auf diese Frage muss ich jedes Mal zögern. Und dann sag ich: Nein, eigentlich nicht. Vielleicht einsichtiger, was die Schwäche anderer betrifft. Und das, obwohl wir uns schließlich keinen Fehler leisten können. Wir stehen im Fokus, die Welt schaut auf uns. Wenn du weißt, dass die Kamera zuschaut, putzt du dir sogar die Zähne anders. Wie unser Sprung-Ahnherr immer zu sagen pflegte: Man beaufsichtigt sich selbst mit der Peitsche.

Wenn ich jetzt an den Tag X denke, sehe ich ein Bild extremer Disziplin und Perfektion vor mir. Kein Kaffeetrinken, kein Handytippen mehr, alle an ihrem Platz, wir sind ein Körper, der jede seiner Bewegungen hundertmal, tausendmal geprobt hat, denn Sicherheit entsteht aus ewiger Wiederholung. Das Unvorhergesehene geschieht ohnehin immer. Darum musst du dich nicht kümmern. Du tust, was du tun kannst, um dir, wenn der Moment gekommen ist, sagen zu können: Du hast getan, was du tun konntest.

Schließlich gibt es auch kein Zurück mehr. Ein Karriereende ohne diesen Sprung wäre wie ein Haus, bei dem die Haustüre nie eingebaut worden ist. Ich wäre für immer in einer Kiste eingeschlossen, mag diese Kiste auch geräumiger und bequemer erscheinen als die stockfinstere 1 x 1 x 1-Meter-Kiste, in die sie Joe damals noch bei seinem Klaustrophobietest für vierundzwanzig Stunden gesperrt haben. Eigentlich war es wohl noch nicht einmal eine richtige Kiste, keine bewegliche, frei im Raum stehende Kiste, es waren nur ein paar Spanplatten, die sie auf den Holzbohlenboden genagelt hatten. Dir an die Seite genagelt folgte gleich die nächste Kiste, in der der linke, beziehungsweise rechte Nächste kauerte, du hörtest ihn neben dir atmen, manchmal sogar schwach wimmern, schwer zu sagen, ob das tröstlich war oder die Sache noch schlimmer machte. Nur das Kopfteil, das Fußteil und der Deckel gehörten dir allein, die Seitenwände teiltest du ja beide mit deinen Klaustrophobienachbarn links und rechts. An welche dieser Seiten du die schmerzende Schulter auch lehnen, wie du den eingezogenen Kopf auch drehen und wenden wolltest, diese jeweils vierte Wand gehörte schon zur Kiste deines Nächsten. So ähnlich wie bei unserem Ahnherrn, der zwar keinen Nächsten, aber, wie er in seinem Bericht schreibt, auch keinen eigenständigen Käfig hatte: Es waren nur drei Wände an einer Kiste festgemacht; die Kiste also bildete die vierte Wand. Es sind eigentlich diese vierten Wände, die dir den Atem nehmen, sie sind es, die dich richtig fertigmachen, um zu sehen, ob du dem Druck standhalten kannst. Und du musst den Druck ja nicht nur aushalten, du musst unter diesem Druck brillieren. Erst wenn du das kannst, bist du bereit für den Sprung aus höchster Höhe.

Ein Fun-Tag wird das nie werden, immerhin riskiere ich mein Leben. Soweit es möglich ist, werde ich versuchen, die Unwiederbringlichkeit des Moments zu begreifen: Ich komme nie wieder hier rauf, werde nie wieder den Anzug tragen, nie wieder in der Kapsel sitzen, das Team wird nie wieder so zusammenarbeiten.

Wenn das ganze Affentheater vorbei und, so Gott will, alles gut gegangen ist, werde ich hier sitzen, Joes Frau kocht Turkey, wir reichen uns um den Tisch die Hände und danken Gott, dass unsere gemeinsame Mission gut ausgegangen ist und alle noch am Leben sind. Das hätte ich gern.

Jürgen Klinsmann schlägt die Straße

An dem Morgen, an dem mich Jürgen Klinsmann anrief und fragte, ob ich nicht Lust hätte, mit ihm zum Bundesverdienstkreuzabholen mitzukommen, war ich zufälligerweise gerade erst aus Bad Berka bei Weimar zurückgekommen. Ich wollte dort eigentlich länger bleiben, aber die Dame in der Touristeninformation Berka teilte mir mit, dass es das Angebot , das ich in einem alten Katalog gefunden hatte und auf das ich dann in der Touristeninformation hilflos mit dem Zeigefinger pochte, schon seit zehn Jahren nicht mehr gäbe. Enttäuscht blieb ich nur eine Nacht im und fuhr am nächsten Morgen so früh wie möglich zurück nach Hause. Als Jürgen Klinsmann anrief, war ich also heilfroh, dass das mit Berka nicht geklappt hatte.

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