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Preisgekröntes Kindertheaterstück über eine starke Protagonistin Wenn die 10-jährige Ida nach Hause kommt, weiß sie nicht, was sie erwartet: Ihre Mutter ist Alkoholikerin und psychisch krank. An Südpol-Tagen ist sie aufgekratzt und unternehmungslustig; an Nordpol-Tagen depressiv und antriebslos. Doch mit Robert Falcon Scott hat Ida glücklicherweise einen imaginären Freund, der sich bestens mit Polarforschung auskennt. Mit Erfindergeist, Empathie und Intelligenz lernt Ida, ihre schwierige Situation zu meistern. Das 2022 mit dem Mira-Lobe-Stipendium des Bundeskanzleramts ausgezeichnete Stück wurde 2023 uraufgeführt und mit dem KinderStückePreis 2024 der Mülheimer Theatertage geehrt. Die Erstveröffentlichung erfolgt im Reclam Verlag. Mit Nachwort und Unterrichtsanregungen von Björn Hayer. »Armela Madreiters präziser und kraftvoller Theatertext ist durchdrungen von dem zutiefst menschlichen Bedürfnis, die Welt verstehbar und damit veränderbar zu machen. Humorvoll und sensibel zeigt sich darin, wie Erfindergeist und Empathievermögen dem Schrecken einer Suchterkrankung entgegentreten.« Dora Schneider, Mitglied des Auswahlgremiums des KinderStückePreis südpol.windstill wird von der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur als Kinderbuch des Monats Mai 2025 empfohlen!
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Seitenzahl: 53
Veröffentlichungsjahr: 2025
Armela Madreiter
Theater der Gegenwart
Reclam
Gefördert durch:
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RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 962363
2025 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
© Armela Madreiter
Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2025
RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN978-3-15-962363-4
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014465-7
reclam.de | [email protected]
südpol.windstill
Unterrichtsanregungen
Nachwort
Zu den Autor:innen
Für A. und ihre Mutter und alle anderen Idas da draußen.
IDA
ROBERT FALCON SCOTT
AMRE (In der Spielfassung für das Theater weibliche Besetzung: AMREI)
Das Bühnenbild muss keine Wohnung sein. Kann es aber. Das Bühnenbild kann etwas mit dem Südpol zu tun haben. Muss es aber nicht.
IDA.
Ich wohne in einem großen, pfirsichfarbenen Wohnblock am Stadtrand. Genauer gesagt in einem von dreizehn pfirsichfarbenen Wohnblockhäusern in einer großen Siedlung am Stadtrand. Die Häuser kann man leicht verwechseln, alles sieht ein bisschen zu gleich und rechteckig und pfirsichfarben aus hier.
Ich habe einen Plan von unserer Wohnung gezeichnet. Wie sie aussehen würde, wenn man einmal durch unser Haus hindurch schneiden würde. Also. Von oben gesehen. Ein bisschen wie eine Landkarte. Ich bin nämlich Forscherin. Zukünftige Polarforscherin.
So kann man auch gut sehen, was es nicht gibt: Unsere Wohnung hat kein Elternschlafzimmer. Weil Eltern, also zwei, so wie bei ein paar anderen Kindern, die gibt es nicht in meiner Wohnung. Aber ich habe eine Mutter – ohne eigenes Schlafzimmer. Mutter schläft im Wohnzimmer. Auf einer samtigen, beigen Couch, die man zu einem Bett ausziehen kann.
Der Plan, den ich von unserer Wohnung gezeichnet habe, gilt auch für alle anderen Wohnungen in unserem Haus. Das heißt, Badezimmer, Wohnzimmer und Küchen sind bei allen Wohnungen an denselben Stellen, also übereinander gestapelt – erster Stock, zweiter Stock, dritter Stock, vierter Stock und so weiter – bis zum zehnten.
Wenn ich an die Zimmerdecke oder auf den Teppichboden schaue, beruhigt es mich zu denken, über mir und unter mir, da sieht es fast genauso aus wie hier bei uns. Nur die Menschen darin – also in den Wohnungen – sind immer anders.
Und so kommt es, dass man, wenn man in einem Wohnblock lebt, eigentlich nie alleine zu Hause ist. Da sind immer noch andere.
Morgens bin ich in unserer Wohnung die Einzige, die aufstehen muss. Weil ich zur Schule gehe.
Mutter muss nicht zur Arbeit, und sie schläft lange.
(Pause.)
Mutter hat keine Arbeit, und sie schläft lange.
IDA.
Es ist 06:30 Uhr. Auch Scott ist um diese Zeit schon wach. Wenn ich in die Küche komme, sitzt er meistens auf dem Kühlschrank und löst Kreuzworträtsel.
SCOTT
(sitzt auf dem Kühlschrank und löst Kreuzworträtsel).Wärmeanlage im Haus, 11 Buchstaben?
IDA.
Heizkörper – mit Umlaut? Heizkoerper.
Scott ist – also Scott – Scott und ich, wir forschen zusammen. Scott ist Polarforscher.
SCOTT.
Südpolarforscher!
IDA.
Südpolarforscher.
SCOTT.
Und ja. So könnte man sagen. Wir sind … ein Forschungsteam.
IDA.
Früher hat Scott richtige Polarexpeditionen unternommen.
SCOTT.
Südpolarexpeditionen! Ja! Insgesamt zwei. Aber das ist schon lange her. Sehr lang. Ungefähr so hundert Jahre.
IDA.
Scott bringt mir bei, wie man eine gute Forscherin wird. Denn – später möchte ich das selbst werden – eine gute Polarforscherin!
SCOTT.
Regel Nummer eins in der Polarforschung:
IDA.
Immer alles genau dokumentieren, aufkommende Forschungsfragen aufschreiben und immer einen funktionierenden Bleistift mit Radiergummi dabeihaben.
SCOTT.
Korrekt! Uhrzeit?
IDA.
Sechs Uhr und dreiunddreißig Minuten.
SCOTT.
Wochentag?
IDA.
Montag!
SCOTT.
Das heißt, Tag 452 seit Beginn unserer Aufzeichnungen.
IDA.
Korrekt. Aktuelle Außentemperatur?
SCOTT.
Laut Wetterbericht vier Grad Celsius.
IDA.
So kalt! Aber immer noch kein –
SCOTT.
Nein. Schneelage: weiterhin negativ.
IDA.
Schade. Alles notiert.
SCOTT.
Mutterlage?
IDA.
Mutter: Noch schlafend auf der Couch. Gemütszustand noch nicht festzustellen.
(Pause.)
Meine Mutter und Scott kennen sich nicht. Sie können sich gar nicht kennen. Weil – für Mutter ist Scott unsichtbar. Generell können Scott nicht alle Menschen sehen.
(Pause.)
Mutter spielt in unseren Forschungen eine große Rolle. Mit meiner Mutter ist das nämlich so … also … vieles ist ein bisschen komplizierter und anders als mit den Müttern von Aida, Samira und Jonas aus meiner Klasse. Ich mache deshalb viele Dinge schon selber. Und ich bin sehr gut darin, Dinge selber zu machen. Alleine.
Zum Beispiel morgens, 06:33 Uhr, nach dem Aufstehen: Ich stehe auf, schleiche ins Badezimmer, putze mir leise die Zähne, wasche mir das Gesicht, ziehe mich an, schütte vorsichtig Cornflakes in eine Frühstücksschüssel, leise, ein bisschen Milch darüber. Beim Essen achte ich darauf, den Löffel nicht gegen den Schüsselrand zu schlagen. Um halb acht packe ich meine Hefte ein, ziehe mir die Jacke an und leise die Wohnungstür hinter mir zu. Drehe den Schlüssel an meinem Schlüsselband einmal um und mache mich auf den Weg in die Schule. Mutter soll nicht aufwachen, das macht sie für den restlichen Tag mürrischer.
SCOTT.
Was ist eigentlich der Unterschied zwischen leise und still?
IDA.
Hm. Leise bedeutet, man hört noch etwas. Etwas Lebendiges bewegt sich und bemüht sich, keine Geräusche zu machen. Aber wenn man ganz genau hinhört, hört man doch noch etwas. Das ist leise.
Und still sein ist – einfach kein Geräusch. Nichts Lebendiges. Kein Tier. Kein Mensch. Kalter Wind. Schnee. Sonne. Sonst nichts.
Südpol. Windstill.
SCOTT.
Südpol.windstill.
(Pause.)
IDA.
Ich habe beobachtet, dass durch den Körper meiner Mutter eine Linie geht. Sie beginnt hier, glaube ich, und endet ungefähr hier. Natürlich ist die Linie unsichtbar.
(Zeigt die Linie mithilfe von Scott.) Diese Linie teilt meine Mutter auf, in zwei Mütter, zwei Mutterkörper, die sich abwechseln, tageweise, wochenweise, ganz plötzlich. Diese beiden Teile, diese beiden Körperhälften meiner Mutter heißen –
SCOTT.
Nordpol.
IDA.
Und Südpol.
SCOTT.
Manchmal ist Idas Mutter eine Nordpolmutter.
IDA.
Manchmal eine Südpolmutter. Zwei Mütter also.
Den einen Mutterkörper kenne ich mittlerweile ein bisschen besser – den Nordpolmutterkörper. Diese Tage heißen für mich: Nordpoltage. Zu diesen haben Scott und ich bereits einiges herausgefunden.
SCOTT.
Forschungsfrage eins: Was macht den Nordpol aus?
IDA.
Forschungsfrage zwei: Was macht einen Nordpolmutterkörper aus?
Ida und Scott erzählen parallel, überschneidend, ergänzend.
SCOTT.
Der Nordpol hat keine Landmasse, sondern besteht großteils aus gefrorenem Meer. Das Festland liegt weit entfernt und es gibt keinen festen Boden.
IDA.