Super-Pulp 16: Gegen das Ende - r. evolver (Hrsg.) - E-Book

Super-Pulp 16: Gegen das Ende E-Book

r. evolver (Hrsg.)

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Beschreibung

Wrumm! Unser kultiges Literaturmagazin kennt nach wie vor kein Bremspedal – und schon geht’s los mit 7 pulpigen Geschichten von … Irene Salzmann – Lalene und der dunkle Herr Ein Wiedersehen mit der Herrin des Waldes. Seit Äonen beschützt sie ihr Reich vor dem mysteriösen „dunklen Herrn“. Der hat in dieser Geschichte ein Auge auf unsere Heldin geworfen und bringt sie ganz schön in Bedrängnis … Thomas Williams – Audienz im Hexenkeller Nachdem sich Lars Backwoods Vater als der geheimnisvolle Auftraggeber von Monique entpuppt hat, versuchen sie nun gemeinsam, die Baba Yagas aufzuhalten. Jan Gardemann – der Speicherkristall Sie erinnern sich an Hauptkommissar Satorius und seinen Roboter-Assistenten Fred (Neun-von-neunundneunzig)? Zuletzt ermittelten die Beiden im vierten Band unseres phantastischen Magazins (Easy Money). In dieser spannenden Geschichte dürfen Sie den zwei außergewöhnlichen Detektiven bei ihrem allerersten Fall über die Schulter schauen … r.evolver/Ron Putzker – SATANA 4/Die Lady dreht am Spieß Unsere Liebeserklärung an die legendären Fotoromanzen der 70er-Jahre nähert sich mit raschen Schritten dem Show Down – wird SATANA ihrem größten Widersacher in die Falle gehen? Marco Rauch – Gegen das Ende In Marko Rauchs düsterer Endzeit-Dystopie kämpfen zwei junge Menschen in einer bedrohlichen Welt ums nackte Überleben … Oliver Müller – Helheim 6/Der Doppelgänger Michael ist dem Tod buchstäblich noch einmal von der Schippe gesprungen – doch zu welchem Preis? Stefan Hensch – Cullen 8/Reset Mit zerfledderten Nerven fiebern wir dem großen Finale von Stefan Henschs grandiosem Endzeit-Thriller entgegen – es ist immerhin noch eine Frage offen: Wer wird im tödlichen Spiel der Größenwahnsinnigen den Sieg davontragen? „Wer Pulpgeschichten mag, wird hier seine Freude haben.“ Andreas Giesbert Die Printausgabe des Buches umfasst 212 Seiten. Die Exklusive Sammler-Ausgabe als Taschenbuch ist nur auf der Verlagsseite des Blitz-Verlages erhältlich!!!

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SUPER PULP

Band 16 – Gegen das Ende

 

In dieser Reihe bereits erschienen

 

3601 – Suicide New!

3602 – Yellow Cab From Hell

3603 – Die heilige Hure

3604 – Easy Money

3605 – Notruf aus dem Scherbenviertel

3606 – Feed Me!

3607 – Der Komplex

3608 – Wolf und die Zombie-Insel

3609 – Nedylenes Todesschwadron

3610 – Girls! Girls! Girls!

3611 – Fleischwölfe

3612 – Überfall im Boudoir

3613 – Der heraufschauende Drecksköter

3614 – Hard Boiled

3615 – Transformation

3616 – Gegen das Ende

3617 – Fatality

GEGEN DAS ENDE

 

In diesem Band:

Irene Salzmann

Thomas Williams

Jan Gardemann

r.evolver & Ron Putzker

Marco Rauch

Oliver Müller

Marco Rauch

Stefan Hensch

 

 

 

 

 

 

 

 

IMPRESSUM

© 2023 Blitz Verlag,

Hurster Straße 2a, 51570 Windeck

Titelbild: Erik R. Andara

Chefredaktion: Julia Götzl

Produktion: Robert Draxler

Alle Rechte vorbehalten

www.blitz-verlag.de

www.super-pulp.com

ISBN 978-3-95719-989-8

 

EDITORIAL

 

 

 

Zugegeben, die Zeiten sind gerade ziemlich „interessant“. Genaugenommen müssten sie gar nicht so interessant sein.

 

Um den Alltag ein wenig zu pimpen, bräuchte es nämlich keine brutalen Imperatoren, keine Flächenbombardements, keine Klimakatastrophen und Pandemien, außer – und das ist der Punkt – in unserem feinen, frechen Pulp-Magazin!

 

Ja, wir dürfen das: für nervenzerfetzende Spannung, für die krasse Dosis Mord und Totschlag zwischendurch sorgen – genau das ist unser Job.

 

Und alle anderen? Die sollen es sich gefälligst an ihrem Lieblingsplatz gemütlich machen und alles weitere unseren Prota- und Antagonisten überlassen. So wäre die Welt endlich ein friedlicher Ort …

 

Ihr r.evolver

 

LALENE UND DER DUNKLE HERR

 

Noch einmal wagen wir uns in die Untiefen eines literarischen Archivs vor, um Ihnen eine Perle der „Sword & Sorcery“-Welt zu präsentieren: Folgen Sie uns in ein geheimnisumwobenes Reich voller fantastischer und zuweilen recht launischer Wesen, die von der Herrin des Waldes beschützt werden. In dieser Geschichte ist es jedoch sie selbst, die in Bedrängnis gerät, denn der dunkle Herr hat ein Auge auf sie geworfen ...  

 

Fast übergangslos wurde es Nacht. Gigantische schwarze Wolkentürme hatten den ganzen Tag die goldene Sonne verborgen gehalten, während sie ihre klaren Tränen ohne Unterlass auf die ausgetrocknete Erde herabweinten.

Zuerst hatten sich die Menschen gefreut, befürchteten sie schon, dass die gerade aufgegangene Saat verdursten und ihnen einen langen, hungrigen Winter bescheren würde, doch nun bekamen sie Angst, dass alles verfaulte, was nicht von den Bächen mitgerissen wurde, die über ihre Ufer zu treten begannen.

Die Dankgebete der Bauern zu den ehrwürdigen Göttern und dem mächtigen dunklen Herrn verwandelten sich in eindringliche Bitten, manchmal auch in lästerliche Flüche und Drohungen, denn offenbar hörte man ihnen eh nicht zu. Einige Frauen und junge Mädchen trugen bunte Blumen, feingewebte Stoffe, frischgepflückte Früchte und andere kleine Gaben in den alten Tempel, doch zweifellos erfreuten sich lediglich die hochnäsigen Priester daran, die immer fetter wurden, während es die erhabenen Götter nicht kümmerte, was mit ihren übrigen Schützlingen geschah.

„Der dunkle Herr – möge er verzeihen, dass ich seinen Namen nenne – ist zornig“, meinten die Priester nur, „nicht die ehrwürdigen Götter.“

Aber das oder Ähnliches sagten sie immer, wie es ihnen gerade passte. Grundsätzlich war es der dunkle Herr, der zürnte, während stets einer der barmherzigen Götter den ersehnten Regen, die anschließend trocknende Sonne oder was auch immer sandte.

Die Dorfältesten überlegten, ob man einige hübsche Jungfrauen zum mächtigen Zauberer in die düstere Burg schicken sollte, doch es gab nicht viel mehr als fünf Jungfrauen, von denen eine bereits über sechzig Sommer erlebt hatte, die nächste zwar behauptete, jungfräulich zu sein, wohingegen etliche Stimmen das Gegenteil wissen wollten, und die übrigen drei abgrundtief hässlich waren. Es war kaum anzunehmen, dass den zornigen Herrn ein solches Geschenk milde und freundlich stimmen würde; es wäre eher mit noch mehr Regen zu rechnen.

„Was sollen wir bloß tun?“, fragten sich die Alten verzweifelt und sprachen dem kräftigen Branntwein zu, den sie bei einer Sippe vorüberziehender Gitanos gegen Mehl und Zucker eingetauscht hatten. Angeblich sollte er den Kopf klären und Erleuchtung bringen.

Tatsächlich schien er, zumindest bei einem der Männer, die versprochene Wirkung zu entfalten. Der Name des Alten lautete Hogan, und er war Bauer, wie die meisten. Ein großer, ertragreicher Rübenacker gewährte ihm und seiner Familie einen warmen, satten Winter – sofern die zarten Rübenpflanzen gut gediehen.

„Ich entsinne mich“, begann er und machte eine längere Pause, um den vagen Gedanken erneut zu erhaschen und in Worte zu fassen. „Ich entsinne mich, dass meine Urgroßmutter einmal eine Geschichte erzählte, als meine Schwester und ich wegen eines Gewitters nicht einschlafen wollten.“

„Märchen“, wurde er von einem vierschrötigen Fischer verächtlich unterbrochen. „Was können uns Märchen schon helfen? Oder willst du künftig als Märchenerzähler umherziehen, statt Rüben zu ziehen?“

Die meisten lachten zustimmend, aber einige riefen energisch nach Ruhe.

„Lasst Hogan doch ausreden“, wünschten sie. „Ist doch egal. Vielleicht ist seine Geschichte gar nicht so dumm. Komm, erzähl sie uns und trink noch einen Schluck!“

Hogan kratzte sich unter seinem krausen Bart, leerte den Becher und strich sich über den Bauch, in dem sich eine angenehme Wärme ausbreitete.

„Ja“, nahm er einen neuen Anlauf, „meine Urgroßmutter wusste noch viel über die launischen Wesen, die hier im Wald hausen. Es heißt, sie sind früher manches Mal in die Dörfer gekommen, um den Menschen zu helfen oder sie zu necken, ganz wie es ihnen gerade beliebte. Trotz ihrer derben Späße hat man immer freundlich von ihnen gesprochen, man wollte sie schließlich nicht unnötig reizen. Oft erflehte man ihren Beistand, den sie dem Bittsteller niemals versagten. Doch dann kam Er – möge er einen armen, alten Bauern verschonen, der es wagt, von ihm zu sprechen – und baute seine düstere Feste. Vor ihm und seiner Finsternis erzitterten die lichten Geschöpfe und flohen tief, tief in den Wald hinein. Nur noch ganz selten wurden sie gesehen, und den Wald verließen sie gar nicht mehr. Darüber gerieten sie nach und nach in Vergessenheit.

Wisst Ihr, von wem ich rede? Nein, natürlich nicht! Ich sagte ja, die Waldwesen gerieten in Vergessenheit.

Einmal aber, so erzählte meine Urgroßmutter, gab es eine große Überschwemmung, genauso schlimm wie in diesem Jahr, vielleicht noch schlimmer. Damals war meine Urgroßmutter noch ein kleines Mädchen gewesen. Ihre Großmutter wiederum, meine Urururgroßmutter also, von der manche munkelten, sie sei eine Hexe, nahm sie bei der Hand und ging mit ihr in den Wald. Die alte, sehr rüstige Frau trug eine große Bütte auf dem Rücken. Darin lagen die Geschenke für die Herrin des Waldes. Die beiden gingen, so lange ihre Füße sie trugen, konnten die Herrin jedoch nicht finden. Bald waren sie so müde, dass sie sich einfach ins weiche Moos legten und trotz des Regens einschliefen.

Meine Urgroßmutter begann zu träumen.

Die scheuen Tiere des Waldes kamen aus ihren Verstecken und eine Menge anderer Geschöpfe, die sie noch nie zuvor erblickt hatte. Aber das ist jetzt nicht wichtig. Diese seltsamen Wesen umringten die beiden Schläferinnen, zupften vorsichtig an ihren Kleidern, pusteten ihnen in die Gesichter, schauten neugierig in die Bütte, wagten es jedoch nicht, ihnen etwas zu Leide zu tun oder etwas an sich zu nehmen.

Plötzlich erschien die Herrin, und alle machten ihr Platz. Meine Urgroßmutter beschrieb sie als hochgewachsene, schlanke Frau, deren langes Haar wie ein Schleier aus winzigen, zartgrünen Blättern um ihr schönes Gesicht wehte. Sie trug ein weites weißes Kleid, das so fein und leicht schien, als wäre es ein Stückchen Nebel oder Spinnwebe.

Die Herrin betrachtete meine Urgroßmutter und meine Urururgroßmutter, die immer noch fest schliefen, dann schaute sie in die Bütte. Sie nahm die Geschenke heraus, bestaunte vieles, was ihr fremd war, und verteilte alles unter ihrem Gefolge.

‚Geht nach Hause‘, sagte die Herrin zu den Schlafenden. ‚Die Sonne wird wieder scheinen.‘

Als die beiden erwachten, waren die Waldwesen fort, und die Bütte war leer. Sie hatten den gleichen Traum gehabt, und auf ihn vertrauend, kehrten sie ins Dorf zurück. Tatsächlich hörte es auf zu regnen, die Sonne kam hinter den Wolken hervor und trocknete die Felder. Die reißenden Flüsse schrumpften zu Bächen, und im Herbst war die Ernte gut.“

Hogans Erzählung war zu Ende. Durstig trank er einen weiteren Becher Branntwein, um seine ausgetrocknete Kehle zu befeuchten.

Unterdessen begann ein lebhaftes Streitgespräch zwischen seinen Zuhörern, von denen die einen die Geschichte als Unsinn abtaten, die anderen jedoch behaupteten, Ähnliches von ihren Müttern und Großmüttern gehört zu haben, und vorschlugen, die gnädige Herrin um Beistand zu bitten.

„Mehr als schmutzige Stiefel werdet ihr nicht gewinnen“, sagten die Gegner dieses Vorhabens und verließen die Versammlung, während die anderen beratschlagten, wer die Geschenke den Waldwesen bringen sollte und was wohl deren Gefallen finden mochte.

 

*

 

Unterdessen saß der dunkle Herr, dessen Namen niemand auszusprechen wagte, in seiner düsteren Burg und brütete vor sich hin, ungerührt von den heftigen Regenfällen der letzten Tage, dem heulenden Wind und den Sorgen der Menschen in den Dörfern ringsherum. Vielleicht war seine Gemütsverfassung wirklich verantwortlich für das anhaltend schlechte Wetter, und wenn dem so war, dann würde er die ganze Welt in seinem Regen ertrinken lassen.

Er hatte seine neue junge Gespielin und die ganze aufdringliche Dienerschaft verscheucht, um allein zu sein. Nun langweilte er sich, da ihn niemand während der langen Nächte zerstreute, wie er es gewohnt war, doch die junge Kaleko konnte seinen Ansprüchen nicht im Entferntesten genügen. Sie war eben keine Domino.

Domino – ihren Verlust betrauerte er, nach ihrer Gesellschaft sehnte er sich, wegen ihres Verrats hasste er sie, und wegen seiner Zuneigung zu ihr verachtete er sich selbst, was am schlimmsten war. Es wollte ihm einfach nicht gelingen, den Gedanken an seine einstige Gespielin zu verbannen. Er hätte sie schon von dieser Welt tilgen müssen; das wäre die rechte Medizin für sein blutendes Herz gewesen. Aber das durfte er nicht, denn ein Schwur hatte ihn gebunden. Zudem wusste er in seinem Innersten, dass selbst das Ende von Domino diese schwärende Wunde niemals würde heilen können, ganz im Gegenteil.

Immer wieder sah er Dominos fröhliches, sonnengebräuntes Gesicht vor sich, das von einem schimmernden Schleier dichten schwarzen Haars umweht wurde. Ihr graziler, biegsamer Körper tanzte geschmeidig über die weichen Teppiche, und bei jeder Bewegung klingelten die kleinen Goldplättchen und Glöckchen, die ihre Arme, Beine und Kleider zierten, ein leises Lied. Mit einem Klicken legten ihre schlanken, beringten Finger die kohlschwarzen Spielsteine mit den goldenen Augen auf den Marmortisch. Sie war die Einzige gewesen, die ihn im Spiel und im Leben hatte schlagen können.

Und Domino hatte ihn auch als Einzige furchtlos bei seinem Namen genannt: Aslim.

Sie war sein Licht. Seine Liebe. Sein Leben.

Gewesen.

Heftig schüttelte Aslim den Kopf, um das Gespenst der Erinnerung zu vertreiben, doch es war bereits zu spät. Dass er die Dominosteine mit einer heftigen Bewegung vom Spieltisch wischte – Schwarz und Gold, ihre Farben –, änderte nichts daran.

Der kristallklare Spiegel an der Wand gegenüber, mit dem er in diese und in andere Welten schauen konnte, nahm den vergeblich unterdrückten Wunsch auf. Statt des hochgewachsenen Mannes mit dem zeitlosen Gesicht, dessen bequeme schwarze Robe über den weichen Diwan wallte, zeigte der Spiegel, was sein Herr gleichermaßen zu sehen begehrte und fürchtete.

Ein kleiner Junghase rannte hakenschlagend über die feuchte Wiese, ängstlich bemüht, seiner Jägerin zu entkommen. Einen Moment hielt er im Schatten eines Baumes inne, doch weder war ein verdächtiges Geräusch zu hören noch trug der Wind die Witterung zu seiner empfindlichen Nase. Nur der Regen prasselte auf das dichte Laubdach und ließ einen frischen Duft aufsteigen. Vielleicht hatte er noch einmal Glück gehabt.

Waren es die Zweige, die sich in der milden Brise wiegten, oder ein dunkler Schatten?

Aslim konnte es nicht erkennen, zu flüchtig war der Eindruck.

Eine schlanke Raubkatze flog gleich einem silbernen Pfeil aus dem Blätterwerk und grub die langen, scharfen Krallen in das Fleisch des Hasen. Er war sofort tot, und die Katzenfrau erhob sich lautlos, Regentropfen aus ihrem glitzernden Fell schüttelnd.

Ihre Bewegungen waren noch genauso fließend und elegant wie damals, als sie für Aslim getanzt hatte. Es war, als tanzte sie noch immer, doch diesmal war es kein Tanz der Freude und Liebe, sondern der Jagd und Gewalt.

Schnell verschwand sie mit ihrer Beute im dunklen Wald.

Zweifellos war das Domino gewesen, aber nicht seine Gespielin, sondern das, was aus ihr geworden war, was er aus ihr gemacht hatte. Ohne es sich eingestehen zu wollen, war Aslim tief erschüttert. Von dem hübschen, unbeschwerten Mädchen war nicht mehr viel übrig; eine hungrige Jägerin hatte von ihrem Körper und ihrem Geist Besitz ergriffen. Ob sie ihre Beute roh verspeiste … mit ihren Krallen zerfetzte und gierig verschlang?

Ja, sie war ihm entkommen, hatte ihn besiegt und durch einen Schwur gebunden, aber sie musste für alle Zeiten jene Gestalt behalten, mit der sie in der grauen Welt, deren Wächter Aslim war, für ihn gekämpft hatte, damit sie, seine Feinde, die Fürsten der grauen Welt,das Tor nicht aufbrachen und alles auf dieser Seite verheerten. Zwar konnte er Domino nichts anhaben, durfte sie weder verbannen noch töten, um Ruhe zu finden, doch dieser kleinen, bittersüßen Rache hatte sie trotz ihrer Klugheit nicht entgehen können.

Sie war kein Mensch mehr, sondern ein katzenhaftes, gefährliches Monster, gemieden und gefürchtet von den Menschen – und das strafte sie gewiss mehr als alles andere.

Obwohl er es sich einzureden versuchte, befriedigte Aslim dieser Anblick jedoch überhaupt nicht, vielmehr traf er ihn schmerzhaft wie ein vergifteter Dolch.

Wütend auf sich und den Spiegel griff der Zauberer nach dem goldenen Pokal, der auf dem Beistelltisch an seiner Seite stand, und schleuderte ihn nach seinem kristallenen Auge, sodass dieses in tausend Stücke zersprang. Wie heißes Blut spritzte der purpurne Wein über die Splitter und tränkte die kostbaren Teppiche.

Während Aslim einen neuen Pokal, der sofort auf dem Tisch stand, mit Wein aus der niemals leeren Karaffe füllte, den er in einem Zug herunterstürzte, fügten sich die Spiegelscherben, die diese Behandlung gewohnt waren, zusammen und waren gleich darauf so glatt und fugenlos wie zuvor. Einer der Teppiche rülpste verhalten und raschelte eine beschämte Entschuldigung, dann waren alle Flecken verschwunden. Als hätte eine unsichtbare Hand ihn geworfen, flog der andere Pokal lautlos in ein Regal mit weiteren Trinkgefäßen.

Der Spiegel zeigte auf seiner heilen Fläche noch immer den Wald, ganz so, als wäre nichts geschehen, als wäre er nie zerschmettert worden, als wünschte der Meister nach wie vor, diese Szene zu betrachten. Sein boshaft kicherndes Klirren wurde von den Fellen, Teppichen und Gobelins rasch gedämpft, bevor es Aslims Ohren erreichen konnte. Doch Domino war fort und dem kristallenen Auge keine Genugtuung für seine vorherige Misshandlung vergönnt. Das Bild zitterte ängstlich, als Aslim die Stirn runzelte und verärgert die Hand mit dem Pokal hob.

„Dreister Spiegel“, knurrte der Zauberer mit wachsender Wut, „was fällt dir ein?“

Eine andere Gestalt erschien vor der schwarzen Silhouette des Waldes: eine junge, schöne Frau, die so durchscheinend wie milchiges Mondlicht wirkte.

Aslims Rechte verharrte und sank langsam herab.

Der Spiegel seufzte kaum hörbar und glättete sein kaum merklich bebendes Antlitz.

„Wer …?“

Der dunkle Herr konnte seinen Blick nicht von der Unbekannten abwenden.

Sie tanzte unbeschwert zu einer unhörbaren Melodie über die Wiese, ihre Arme und Beine bewegten sich mit der unvergleichlichen Anmut eines Zauberwesens. Ihre grüngolden schimmernden Haare schienen mit dem spinnenwebzarten Gewand verwoben zu sein, dessen Schwung ihre graziösen Bewegungen wie Nebel umschmeichelte. Selbst die unvergleichliche Domino hatte nicht so überirdisch tanzen können wie diese geheimnisvolle Fremde.

„Lalene“, flüsterte Aslim mit seiner sonoren Stimme ihren Namen.

Es gab nichts und niemanden, der sich lange vor ihm verbergen und seinen Namen geheim halten konnte. Die unvorsichtige Herrin des Waldes hatte noch nicht bemerkt, dass sie beobachtet wurde, so versunken war sie in sich selbst und ihren einsamen Tanz.

Natürlich wusste Aslim von seinen Nachbarn im Wald, aber sie hatten ihn nicht weiter interessiert. Bisher nicht.

Was würde Lalene für eine wundervolle Gefährtin abgeben, dachte er voller Faszination. Seine Nächte würden nicht länger trostlos sein mit ihr an der Seite. Sie hätte bestimmt Verständnis für ihn und seine Aufgabe, waren sie sich doch ähnlich in der Art. Mit Erzählungen, Tänzen und Spielen aus vergangenen Tagen würde sie ihn unterhalten und ihn mit ihrem uralten Wissen vieles lehren, was sich seinen Kenntnissen noch entzog.

Welch mächtige Wächterin, die länger als Domino, Kaleko und all ihre Vorgängerinnen das Tor zur grauen Welt hüten konnte, stünde ihm zur Verfügung! War ihre Zeit vorbei, ja, vielleicht würde er sie für immer bei sich behalten, so wie es für Domino vorgesehen gewesen war, die ihm seine Liebe jedoch mit Verrat gedankt hatte.

Schon wieder Domino!

Aber damit musste endlich Schluss sein.

Zu lange war Aslim bereits einsam, und die Erinnerung an seine einstige Gespielin sollte ihn nicht länger quälen.

Entschlossen erhob er sich und ließ seinen glitzernden Umhang kommen. Zärtlich schmiegte sich der weiche Stoff um seine Schultern, floss an seinem Körper hinab bis zum Boden. Der Zauberer schlug den Umhang vor der Brust zusammen und verschwand.

 

Wenig später öffnete Aslim seinen Umhang und trat in den Wald hinein. Der Mond und die Sterne versteckten sich vor ihm hinter den nachtschwarzen Wolken, die einen heftigen Regenguss auf ihn herabsandten, ohne ihn jedoch durchnässen zu können.

Nur wenige Schritte von dem finsteren Zauberer entfernt stand Lalene, die abrupt in ihrem Tanz innehielt, die Arme sinken ließ und seinen düsteren Blick stolz erwiderte. Eigentlich hatte er erwartet, dass sie vor Schreck aufschreien würde, war er doch unvermittelt in ihr Reich, in dem sie sich wohl sicher glaubte, eingedrungen – wenn auch nur einen Schritt –, aber zu seiner Überraschung blieb sie stumm und musterte ihn bloß neugierig mit ihren großen grünen Augen. Angst schien sie nicht zu haben oder zumindest nicht zeigen zu wollen.

„Du bist schon so lange hier und kommst mich erst jetzt besuchen“, brach sie das Schweigen. Es war keine Frage, sondern eine Feststellung.

Verwirrt wusste Aslim im ersten Moment nicht, was er antworten sollte. So hatte er sich die Begegnung gewiss nicht vorgestellt.

Er, der mächtige Zauberer, vor dem die dummen Dorfbewohner und natürlich auch die sich für klüger haltenden Städter zitterten, vor dem sich selbst die Berufskollegen und  unzählige besonders böse Monster eingeschüchtert wegduckten, wenn nur sein Schatten auf sie fiel, musste es sich gefallen lassen, dass er von einer niederen Waldfee empfangen wurde wie der Narr von seiner Königin.

Sie hätte zitternd fragen müssen, wer er sei und woher er so plötzlich gekommen war, hätte ängstlich weglaufen sollen. Dann wäre er ihr gefolgt, hätte sie gefangen genommen und triumphierend mit seinem Umhang in die finstere Feste entführt – bevor sie zu tief in ihr Reich hätte fliehen können. Warum verhielt sie sich nicht so, wie er es wünschte?

Verlegen räusperte er sich.

„Besser spät als nie“, entgegnete er schließlich überfreundlich, während er sich bemühte, sich seine Überraschung und Verärgerung nicht anmerken zu lassen, „doch hätte ich gewusst, wie schön du bist, hätte ich dich niemals warten lassen. Du hast dich geschickt vor mir verborgen. Bis heute. Aber nun wollen wir die versäumte Zeit nachholen. Komm!“

Einladend öffnete er seinen wallenden Umhang, dessen Zipfel ihr wie gierige Hände entgegeneilten, doch Lalene wich einen winzigen Schritt zurück, der sie um mehrere Armeslängen von ihm entfernte.

„Dies ist meine Heimat“, sagte sie schlicht mit ihrer klaren Stimme, die wie eine Traube zarter Glöckchen klang, „die ich nicht verlassen will. Geh zurück, Aslim, wir wollen dich hier nicht. Kehre zurück in deine Burg und bewache das Tor, aber lass uns unseren Frieden. Wir haben nichts mit dir und deinesgleichen zu schaffen.“

Aus der feuchten Wiese stiegen leuchtende Nebel, die Lalene einhüllen und mit sich forttragen wollten, aber Aslim war schneller. Er sprang zu ihr, schlang den Umhang um ihre elfenbeinfarbenen Schultern und nahm sie mit sich.

 

Lalene wehrte sich nicht und versuchte auch nicht zu fliehen, als Aslim sie aus seinem Umhang entließ. Es schien, als hätte ihre Macht sie in dem Moment verlassen, als ihr Fuß den fremden Boden berührte.

„Es wird dir bei mir gefallen“, tröstete er mit schmeichelnder Stimme und genoss die Genugtuung, dieses ältere Wesen so leicht besiegt zu haben. Noch immer spürte er die Wärme ihres Körpers, die weichen Rundungen ihrer Hüften und Brüste.

Erwartungsvoll blickte Aslim Lalene an. Sie wirkte traurig und matt.

Offensichtlich war sie nicht annähernd so mächtig, wie sie ihn im ersten Augenblick hatte glauben lassen. Und ja, natürlich war ihre Zauberkraft an den Wald, ihre Heimat, gebunden. Dennoch war sie immer noch mehr als ein Mensch. Und stolz.

Ihr schönes Gesicht erstarrte zu einer ausdruckslosen weißen Maske, die Furcht, vielleicht auch Hass und alle anderen Gefühle vollkommen vor ihm verbarg. Die feingeschwungenen Lippen pressten sich fest zusammen und wurden bleich. Auch die grünen Augen verloren ihren Glanz. So zeigte sie ihm wohl ihre Verachtung. Gleichzeitig war Lalene klug genug, Aslim als den Mächtigeren anzuerkennen, doch der Stolz verbot ihr, sich mit ihrem Schicksal abzufinden.

Der Zauberer führte sie zu seinem Spiegel und zeigte ihr die eindrucksvolle schwarze Burg. In jede Kammer ließ er sie blicken, weil sie die unermesslichen Schätze bestaunen sollte, die er aus allen Teilen der Welt zusammengetragen hatte. Dämonen und alterslose Diener eilten geschäftig umher, und die Wände öffneten sich flink vor ihnen, um die Helfer bei ihren Tätigkeiten nicht durch Umwege zu behindern. Alle hielten inne und verbeugten sich ehrfürchtig, wenn sie vom kristallenen Auge ihres Herrn und somit von ihm selbst angeschaut wurden, dann hasteten sie weiter, um die Befehle ihres Meisters auszuführen. Hübsche Zofen richteten ein luxuriöses Zimmer voll wunderbarer Dinge her, in dem sich die neue Gebieterin wohlfühlen sollte. Mit demütig gesenkten Köpfen knieten sie nieder und grüßten Lalene, auf weitere Anweisungen harrend.

Ganz unauffällig wurden Kalekos Gemächer anderswo platziert, und falls sie sich wunderte, dass Aslim kaum noch Zeit für sie hatte, kümmerte dies niemanden und den dunklen Herrn am wenigsten. Wichtig war nur, dass sie ihre Aufgabe weiterhin erledigte.

„Das alles ist mein und noch vieles mehr“, erklärte Aslim, um Lalene werbend, „und du sollst die Herrin darüber sein – und die Herrin meiner Liebe. Nenne mir deine Wünsche, ich will sie dir alle erfüllen.“

Sanft nahm er ihre kühle Hand und führte sie an seine Lippen, küsste sie ehrerbietig und verlangend.

Es wäre so leicht, Lalenes Willen zu brechen, und während er in ihr abweisendes Gesicht schaute, kam ihm flüchtig der Gedanke, es zu tun. Er wäre dann sicher vor jeglichem Verrat, sie würde seine ergebene Dienerin sein – aber infolgedessen würde die Herrin des Waldes ihren Reiz verlieren und ihn langweilen.

Hingegen würde es ungemein kurzweilig sein, sie zu erobern, sie im Laufe der Wochen, Monate, vielleicht Jahre oder gar Jahrhunderte an ihn zu binden und in ihr eine treue Gefährtin zu finden. Gleichgültig, wie lange es dauern mochte, ihnen beiden stand alle Zeit der Welt zur Verfügung, und Aslim war überzeugt, dass sie am Ende nachgeben und seine Gefühle erwidern würde.

---ENDE DER LESEPROBE---