SURVIVAL INSTINCT - Kristal Stittle - E-Book

SURVIVAL INSTINCT E-Book

Kristal Stittle

4,5

Beschreibung

Auf den ersten Blick wirkt Leighton wie jede andere Stadt auch. Auf ihren belebten Straßen tummeln sich eine bunte Vielfalt geschäftiger Einwohner. Und wie in jeder anderen Stadt auch, leben im Untergrund von Leighton die Ratten. Doch diese Ratten unterscheiden sich von anderen Schädlingen dahingehend, dass sie eine bedrohliche Krankheit in sich tragen. Freunde und Verwandte gehen plötzlich aufeinander los, ein tiefer Schock lähmt die Bevölkerung, als immer mehr Menschen durchdrehen und unglaubliche Gräueltaten begehen. Nun steht sich jeder selbst am nächsten - zu überleben, ist alles was zählt! ★★★★★ "Großartiger Zombiethriller" [Lesermeinung] ★★★★★ "Die Stärke des Buches kommt aus den beschriebenen Personen. Glaubwürdig, sympathisch und recht unterschiedlich. Spannung besteht die ganze Zeit." [Lesermeinung] ★★★★★ "Mir hat das Buch außergewöhnlich gut gefallen" [Lesermeinung] ** überarbeitete Ausgabe von "SURVIVAL INSTINCT" (Kristal Stittle) 2017

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Survival Instinct

Kristal Stittle

This Translation is published by arrangement with SEVERED PRESS, www.severedpress.com Title: SURVIVAL INSTINCT. All rights reserved. First Published by Severed Press, 2014. Severed Press Logo are trademarks or registered trademarks of Severed Press. All rights reserved.

 

 

Für meine Mom. Du hast alles und mehr getan.

 

Impressum

überarbeitete Ausgabe Originaltitel: SURVIVAL INSTINCT Copyright Gesamtausgabe © 2022 LUZIFER Verlag Cyprus Ltd. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert Übersetzung: Andreas Schiffmann

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2022) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-025-0

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

Inhaltsverzeichnis

Survival Instinct
Impressum
Sektion 1
Tobias
Cillian
Jessica
Abby
Riley
Danny
Alec
Alice
Misha
Kara
Mathias
Infektionsweg
Sektion 2
Der Kameramann
Das Scriptgirl
Der kleine Junge
Das kleine Mädchen
Der Soldat
Infektionsherd
Sektion 3
Die Geschäftsfrau
Der Feuerwehrmann
Der Soldat
Die alte Frau
Die Ärztin
Der Collegestudent
Die anderen Toten
Sektion 4
Toby
Dr. Bishop
Lady Taggart
Weißer Retter
Kleine Prinzessin
Abigail
Matti
Sergeant
Jessi
Daniel
Der Russe
Die auf der Strecke blieben
Sektion 5
Carter
Mackenzie
Cole
McGregor
Walker
Kleiner Bruder
Jovovich
Überlebensinstinkt
Sektion 6
Riley Bishop
Über die Autorin

Sektion 1

Ausbruch

Tobias

Tobias lief Lucas Jonas durch den überfüllten Park hinterher. Es war heiß und laut, stank nach Haargel sowie Körperausdünstungen. Die Kameratasche, die er trug, fing schon wieder an zu rutschen, also zog er das schwere Ding weiter auf der Schulter zum Hals hin und zwängte sich durch eine besonders dicht zusammenstehende Traube von Menschen.

Das Gedränge der Leiber ging ihm allmählich auf die Nerven. Er hasste große Menschenmengen. Obwohl er größer als die meisten war – durchschnittlich große reichten ihm gerade bis zur Nase – beunruhigte ihn die schiere Masse, die sich um ihn scharte. Tobias war kein Einzelgänger; er erfreute sich eines ansehnlichen Freundeskreises, doch überall, wo er es mit mehr als zehn Personen zu tun bekam, wurde ihm beklommen zumute. Hier waren es Hunderte, wenn nicht gar an die Tausend.

Allmählich kamen ihm Zweifel daran, ob es wirklich ein so toller Lebensentwurf war, in der Stadt zu wohnen. Andererseits dachte er das auch nicht zum ersten Mal.

»Wie weit noch?«, rief er nach vorn zu Lucas.

Dieser antwortete nur mit einer Drehung seiner Hand auf Schulterhöhe. Tobias grummelte in sich hinein; mit großen Namen wie Lucas Jonas zu arbeiten, war stets am schlimmsten. Sie beantworteten niemals Fragen und bestanden andauernd darauf, die schwerste Ausrüstung mitzuschleppen. Tobias hatte ursprünglich eine viel kleinere und leichtere Tasche gewählt, doch als Mr. Großkotz diese sah, bestand er auf die schweren Geschütze. Größer bedeutete zwar nicht besser, sah aber beeindruckender aus, und der schöne Schein war alles, worum es diesen Typen ging. Aber Lucas Jonas … was für ein Name war das überhaupt?

Endlich brachen sie durch den Auflauf und erreichten den Sicherheitszaun. Tobias blieb stehen, um frische Luft zu schnappen – soweit das überhaupt möglich war, im Stadtpark in der heißen Augustsonne neben einem Wust schwitzender Leiber. Während dieser Pause verlor er Mr. Jonas vorübergehend aus den Augen, und als er ihn wiederentdeckte, schlug dieser sich zum Kontrollpunkt durch. Tobias seufzte und machte sich auf den Weg hinüber. Lucas diskutierte bereits mit einem Sicherheitsmann, einem kräftigen Schwarzen, mit Armen so dick wie Tobias' Beine.

»Wissen Sie, wer ich bin?« Lucas stand auf Zehenspitzen und konnte dem Riesen trotzdem nicht auf Augenhöhe begegnen. »Ich bin Lucas Jonas, verdammt! Können Sie diesen Ausweis lesen?« Er fuchtelte so hektisch mit dem laminierten Papier vor dem Gesicht des Wächters, dass sich Tobias ziemlich sicher war, dieser erkenne nicht einmal die Farbe. »Er berechtigt mich dazu, überall hinzugehen, wo ich in diesem elenden Durcheinander hingehen will!«

Als Lucas schließlich bemerkte, dass Tobias neben ihm stand, zog er ihn grob zu sich. Er entriss ihm die Tasche und öffnete einen Reißverschluss, wobei die teuren Geräte fast auf den Boden gefallen wären.

»Sehen Sie? Eine Filmausrüstung!« Mit hochrotem Kopf drehte er sich zu Tobias um. »Steh nicht rum wie ein Ölgötze, Toby, sondern zeige dem Mann deinen verfluchten Ausweis!«

Er ließ Tobias' Arm mit einem Schubser los. Tobias hätte aus der Haut fahren können, weil er Toby genannt worden war, was wie ein Hundename klang, zog aber trotzdem den Pass an dem Band um seinen Hals hervor. Er gab ihn dem Wachmann, der ihn gründlich prüfte.

»Anstrengender Tag heute, Mackenzie?«, fragte er mit tiefer Stimme, während er Tobias' Pass las.

»Ist das so offensichtlich?« Tobias grinste Lucas selbstgefällig von der Seite an. Es brachte gelegentlich Vorteile mit sich, dass er bei seiner Arbeit für Leighton Network schon viele Sicherheitsbeamte kennengelernt hatte.

»Du kennst den Mann?« Lucas schaute zwischen den beiden hin und her. »Warum zum Henker hast du das nicht gleich gesagt? Mein Gott, diese Anfänger …« Er sprach das letzte Wort entnervt langgezogen in Silben.

Der Wachmann trat zur Seite, woraufhin Lucas mit einem arroganten Grinsen vorbeilief, das strahlend weiße Zähne offenbarte.

»Wie bist du denn an den geraten?«, fragte der Mann Tobias, während er Lucas hinterherschaute.

»Mit Pech, schätze ich.« Einmal mehr zog Tobias seine Tasche hoch. »Sag mal, Bruce, ich gehe nächsten Freitag mit ein paar Kumpels ins The Foxers; kommst du mit?« Er mochte den Laden, weil es dort nie übermäßig voll war. Dort hatte er Luft zum Atmen im Gegensatz zu anderen Läden – oder der Meute, durch die sie gerade gekommen waren.

»Klar, Mackenzie, aber der zieht nicht mit, oder?« Sicherheitsmann Bruce zeigte mit dem Daumen über seine Schulter Richtung Lucas.

»Falls doch, ist mein Leben vorbei. Ich gehe jetzt besser, bevor er meinem Boss Bescheid gibt und einen anderen Lastesel verlangt.« Mit einem Seufzen machte sich Tobias Mackenzie auf den Weg hinter Lucas her.

Bruce rief ihm noch mit seiner Brummstimme nach: »Dein Boss wäre nie so gemein zu jemand anderem, nur zu dir!«

Tobias streckte den Mittelfinger über einer Schulter nach hinten aus. Bruce' Gelächter hallte ihm nach, während er sich nach Mr. Lucas Jonas umschaute. Bis er wieder ein so aufrichtiges und völlig argloses Lachen hörte, sollte einige Zeit vergehen.

Als er sich seinen Weg um die Aufbauten und üblichen Gerätschaften bahnte, die es immer hinter einer Bühne gab, entdeckte er Jonas endlich. Als dieser wiederum ihn sah, stürmte er auf ihn zu, und Tobias wusste, dass dies nichts Gutes verhieß. Lucas packte ihn am Arm und zog ihn noch schneller neben sich her.

Tobias ließ sich die unfreiwillige Führung gefallen, indem er tief durchatmete und schwieg. Beschissene Fernsehtypen – ständig in Eile, dachte er.

Lucas blieb zwischen dem Bühnenrand und der Reihe von Bussen stehen, in denen sich die Rockstars aufhielten.

»Hier.« Er zeigte vor seine Füße.

»Was hier?«, nölte Tobias. Der Fleck festgetretener Erde kam ihm nicht sonderlich anders oder interessanter vor als der Rest der Umgebung.

»Ich will, dass du von hier aus filmst.« Mr. Jonas verdrehte die Augen, als sei es selbstverständlich. »Alle Musiker müssen auf dem Weg zur Bühne hier vorbei. Das ist die perfekte Gelegenheit, um jeden von ihnen zu interviewen und Eindrücke ihrer Shows mitzuschneiden.«

»Sie wollen, dass ich alles von einer Stelle aus filme?«

»Hast du meine Sendung überhaupt schon einmal gesehen? Natürlich nicht. Du bist so ein unersprießlicher Wicht. Mein Schaffen übersteigt deinen Verstand bei Weitem.« Lucas strafte Tobias mit einem ruckartigen Wink ab und fing an, sich umzuschauen.

Tobias hegte wenig Zweifel daran, dass Lucas nicht wusste, was »unersprießlich« bedeutete, sondern das Wort nur gebrauchte, um ihn zu beleidigen. Zur Entspannung holte er noch einmal tief Luft und schloss die Augen. »Ihnen ist klar, dass wir, wenn wir hier drehen, a) im Weg und b) so dicht neben den Boxen stehen, dass die Musik alles übertönen wird, was Sie sagen.«

»Was?« Erst jetzt schien Lucas die Anlage zu bemerken, obwohl sie nur wenige Schritte entfernt stand.

Aus diesem Grund filmte Tobias ungern bei Konzerten, speziell solchen zu Wohltätigkeitszwecken: Die Musik verhagelte ihm den Ton, und wenn das Publikum Kameras sah, rastete es umso mehr aus. Unheimlich gern wäre er einer der Kollegen gewesen, die nur dasaßen und feststehende Kameras bedienten. Sie mussten keinen Volltrottel verfolgen, sondern brauchten nur draufzuhalten und einzufangen, was interessant aussah. Hierbei stimmte wenigstens die Kohle.

»Also gut, dann filmen wir flexibel«, meinte Lucas und klang dabei, als ringe er sich ein großes Opfer ab. »Nimm deine Kamera raus.«

Tobias wuchtete das schwere Gerät aus seiner Tasche. Er stellte es neben seinen Füßen ab und begann mit der Verkabelung. Um den klobigen Akku und diverse weitere Zusätze halten zu können, hatte er sich sogar einen Hüft- und Beingurt besorgt, wie ihn Felskletterer verwendeten. Während er diesen anzog, beobachtete er Mr. Jonas aus dem Augenwinkel. Der Kerl bestaunte sein eigenes Gesicht in einem Taschenspiegel und kratzte an seinen bestimmt teuer gebleichten Zähnen.

»Hier, können Sie sich das anstecken?« Tobias hielt ihm ein Mikrofon mit Stromversorgung hin, die er sich im Kreuz an den Gürtel klemmen musste. Lucas verdrehte erneut die Augen, als er es entgegennahm.

Tobias brachte seine Vorbereitungen zu Ende, wobei er sich bemühte, nicht mit den Zähnen zu knirschen, und hob sich die Kamera dann auf die Schulter. Seine jetzt nahezu gänzlich leere Tasche hängte er sich an den Rücken. Beim letzten Mal, als er seine Kameratasche im Rahmen einer solchen Veranstaltung unbeaufsichtigt gelassen hatte, war sie für immer verschwunden.

Sobald er in den Startlöchern stand, führten sie den Soundcheck durch. Durch seine rauschunterdrückenden Kopfhörer verstand Tobias nichts von dem, was Mr. Jonas sagte. Wie es aussah, hatte der Mann das Mikro korrekt angebracht, aber nicht eingeschaltet. Irgendwie drehte er es aber so, dass er Tobias die Schuld dafür zuschieben konnte.

»Also gut, ich will, dass du von hier an alles filmst, verstanden? Im Schnitt basteln die das hinterher schon stimmig zusammen.« Lucas schaute erneut an sich hinunter und strich seinen Anzug glatt. Er versuchte, gleichzeitig wie ein Reporter und wie ein Rocker zu wirken, während Tobias fand, er sah aus wie ein Volltrottel, aber was das anging, war er wohl leicht voreingenommen.

Er selbst zählte zu den Typen, die sich mit Jeans und T-Shirt zufriedengaben. Heute allerdings trug er eine beigefarbene Cargo-Hose. Dass deren große Taschen in seinem Job praktisch waren, hatte er schon früh begriffen. Tobias war nie großartig auf sein Äußeres bedacht gewesen und ließ sein sandig hellbraunes Haar zu einem Pilzkopf auswachsen. Mancher sagte ihm nach, er erinnere durch sein entspanntes Auftreten an einen kumpelhaften Surfer-Typen, insbesondere wenn er im Laufe des Sommers braun wurde. Persönlich fand er, sein Aussehen entspreche einem übergroßen Teenager mit sanfteren Gesichtszügen als der Rest seiner Altersgenossen. Bei den Girls kam er deshalb aber umso besser an; sie fühlten sich in seiner Gegenwart geborgen, weil er so harmlos anmutete.

Nachdem er mit den Fingern von fünf an rückwärts gezählt hatte, betätigte Tobias die Aufnahmetaste, woraufhin Lucas Jonas sofort seine Fernsehpersönlichkeit hervorkehrte. Tobias wusste nicht, wie er es beschreiben sollte, hatte es aber schon unzählige Male in Aktion erlebt: Die Menschen beim TV nahmen eine andere Fassade an, sobald sich eine laufende Kamera auf sie richtete. Der Wandel war so drastisch, dass Mr. Jonas wie eine völlig andere Person erschien. Jetzt konnte Tobias nachvollziehen, wie der Kerl es geschafft hatte, so bekannt zu werden. Wenn er sich so verwandelte, wirkte er viel nahbarer.

Bald schlüpfte auch Tobias in sein Alter Ego – seine Kollegen nannten es den Film-Modus. Er folgte Mr. Jonas, egal, wohin er ging, und hielt dabei den Mund. Falls jemand, den der Moderator interviewte, Tobias eine Frage stellte, antwortete Lucas für ihn, oder er selbst bejahte oder verneinte, indem er die Kamera ein wenig schüttelte beziehungsweise vor- und zurückbewegte. Sein Boss meinte, Mr. Jonas' Zuschauer stünden darauf.

Ansonsten blieb Tobias aber völlig geistesabwesend. In seinem Kopf war er ganz woanders, gegenwärtig beim kommenden Freitag: Dann würde er mit den Jungs, zu denen jetzt wohl auch Bruce zählte, ins The Foxers gehen. Es war ihre Lieblingskneipe, also schlugen sie häufig dort auf, aber Tobias freute sich auf diesen Besuch mehr als sonst, weil Katie vermutlich auch kam. Einer seiner Freunde ging seit kurzen mit einem Mädchen aus, dessen beste Freundin – Katie – wiederum bei fast allen Treffen der Gruppe aufkreuzte. Momentan entsprach sie Tobias' Traum von der perfekten Frau … der sich gleichwohl ständig änderte. Katie erwies sich als außergewöhnlich klug, und Tobias war es nicht gewohnt, dass Girls mehr auf dem Kasten hatten als er. Dieser Unterschied gefiel ihm, auch und gerade weil die Braut, mit der er zuletzt ausgegangen war, rein gar nichts in der Birne hatte.

***

Tobias Mackenzie fing gerade die Reaktionen der Menge auf die Bühnenperformance ein, als Lucas anfing, vor dem Objektiv mit den Fingern zu schnippen. Tobias drehte sich zur Seite, um ihn anzusehen, und runzelte die Stirn ein wenig wegen der Störung. Lucas hatte gerade niemanden, den er interviewen konnte.

»Was?« Obwohl er selbst über ein Mikro verfügte, das direkt an den Knopf in Lucas' Ohr sendete, musste Tobias gegen die Musik anbrüllen, die trotz der dicken Kopfhörer, die er trug, wahnsinnig laut war.

»Was glaubst du, geht da vorn vor sich?«, fragte Lukas in sein eigenes Mikrofon und zeigte auf das Meer von Fans.

Tobias schaute in die Richtung, die Lucas mit dem Arm vorgab. Auf der gegenüberliegenden Seite der Menge bewegte sich ein Teil des Publikums anders als der Rest: Während der Großteil der Besucher zur Bühne drängte, um ihren Idolen nahe zu sein, schienen die Menschen dort drüben vom Zentrum aus in alle Richtungen zu schwärmen.

»Keine Ahnung.« Tobias zoomte den Bereich mit der Kamera heran, um besser zu sehen. Die Entfernung war immer noch zu weit, um alle Einzelheiten zu erkennen, aber was er ausmachen konnte, genügte: verschreckte Gesichter auf der Flucht vor etwas mitten im Publikum.

»Was ist es?« Lucas zupfte ihn am Ärmel.

»Kann ich nicht genau sagen, aber sie fliehen vor irgendetwas.« Er nahm die Kamera herunter. »Vermutlich nur eine Stinkbombe oder so.«

»Oder so, was? Lass mal sehen; klapp den Bildschirm auf.« Lucas langte mit seinen penibel gepflegten Händen nach dem Gerät.

Tobias zog es jedoch von ihm fort. Er wollte jegliches teures Equipment von Lucas' Griffeln fernhalten. Deshalb öffnete er den LCD-Sucher und drehte ihn, sodass Lucas hineinschauen konnte. Die Menge geriet ins kleinformatige Bild, als Tobias die Kamera wieder auf sie richtete. Einige der Fans versuchten nun tatsächlich, über andere zu klettern, um vor was auch immer zu entkommen.

»Na, wenn das nichts ist!« Lucas grinste voller Begeisterung, zeigte sein ganzes Gebiss wie ein Krokodil.

Tobias verbarg sein Missfallen nicht, als er ihn anschaute. Menschen in Panik sollten niemandem Freude bereiten.

»Komm, Toby, wir gehen dort hinüber.« Lucas schlug ihm auf den Arm, ohne auf seinen Blick einzugehen.

»Warum möchten Sie das?«

»Bist du wirklich so blöde? Um darüber zu berichten, wozu sonst?« Lucas machte sich flugs auf den Weg hinter der Bühne entlang, indem er Kabel und Teile des Gerüsts umging oder übersprang.

Während sich Tobias an sein Revers heftete, redete er auf ihn ein, zurückzubleiben. »Das sind wahrscheinlich schon andere, die mitfilmen. Sie können doch später aus dem Off kommentieren oder so.«

»Lucas Jonas kommentiert nicht aus dem Off: Entweder bin ich hautnah dabei, oder nichts läuft.« Er wand sich gerade an einem besonders großen Haufen Kabel und Gerätschaften vorbei.

Mit der Kamera auf dem Arm konnte sich Tobias nur schwerlich bewegen, weshalb es nicht lange dauerte, bis er zurückfiel.

»Scheiße«, fluchte er bei sich, als er sich in einem Kabel verhedderte. Ärsche wie Lucas mit seinem überzogenen Ehrgeiz steckten ihre Nasen ständig in Sachen, die sie nichts angingen.

Endlich gelangte Tobias an die Sicherheitsabsperrung und wandte sich an Bruce, der nicht schwer zu finden war. Er zählte nicht nur zu den wenigen Männern in Tobias' Bekanntenkreis, die ihn überragten, sondern war auch zwei- bis dreimal so breit wie er. Heute fiel er besonders stark auf, weil er ein weißes T-Shirt trug, das sich deutlich von seiner dunklen Haut abhob.

»Hey, hast du die Nervensäge gesehen, mit der ich vorhin hergekommen bin?« Tobias zog seinen Kopfhörer aus. Zum Glück dröhnte die Livemusik hier nicht so laut, sodass sie einander verstanden, auch wenn der unvermittelte Lärm auf Tobias hereinbrach wie ein Erdbeben. Er hasste Konzerte zutiefst.

»Ja, der Typ ist in diese Richtung gelaufen.« Bruce zeigte in die Menge.

»Ich glaube, im Publikum geht etwas vor sich – etwas Ungutes.« Tobias wollte sich nicht wieder hinaus in die Meute schlagen.

»Unter den Zuschauern?« Der stämmige Sicherheitsbeamte wartete nicht auf eine Antwort: Er kletterte auf eine Zementbarriere und hielt sich am Rahmen eines Zaunelements fest, um sein Gleichgewicht zu halten. Nach einem kurzen Blick wandte er sich an einen Kollegen: »Hey, Jake, gib mir das Fernglas.«

Der andere Wachmann, der genauso kräftig, aber kleiner war, nahm einen Feldstecher von einem Tisch und reichte ihn Bruce nach oben.

»Was siehst du?« Tobias stand auf Zehenspitzen da, konnte aber nicht weit über die Köpfe der Menge schauen.

»Gib mir einen Augenblick Zeit.« Bruce drehte an den Einstellrädern, um einen klaren Blick fassen zu können. »Scheiße, Blut. Das sieht übel aus.« Er zog sein Funkgerät vom Gürtel und sprach rasch hinein.

Wegen der Musik bekam Tobias nicht mit, was er sagte.

»Ich nehme an, dein Freund läuft dorthin, weil er sich eine Story erhofft, richtig?« Nachdem Bruce das Gerät wieder an seinen Gürtel geklemmt hatte, hüpfte er neben Tobias hinunter.

Der nickte, obwohl er Mr. Jonas niemals als Freund bezeichnet hätte, nicht einmal ironisch gemeint.

»Komm mit, du wirst mir dabei helfen, diesen Idioten einzufangen.« Bruce zwängte sich durch die Lücke zwischen den Zaunelementen.

»Aber …« Tobias wollte sich auf gar keinen Fall unter die Masse mischen. Jetzt sträubte er sich sogar noch vehementer davor als sonst, denn sein Bauchgefühl vermittelte ihm ganz deutlich, dass dies eine schlechte Idee war.

»Bleib dicht bei mir.« Bruce streckte einen Arm nach hinten aus und zog Tobias mit.

Als sie den Rand der Menge erreichten, ließ Bruce Tobias los, der ihm alsdann widerwillig folgte. Hinter dem großen Sicherheitsmann herzulaufen, war deutlich einfacher, als er es bei Lucas empfunden hatte; Bruce' imposante Gestalt und autoritäre Stimme sorgten dafür, dass die Menschen schnell Platz machten, und seine wuchtigen Schultern bahnten einen Weg für Tobias, der breit genug war, um die Kamera zu tragen. Dennoch wurde Tobias immer unwohler, je weiter sie in den Mob vordrangen.

Als er noch sehr jung gewesen war, hatte er einmal in einem Vergnügungspark seine Eltern verloren. Stundenlang war er völlig allein im Menschenauflauf herumgeirrt. Alles, was er hatte sehen können, war ein merkwürdiger Wald von Beinen, egal, wohin er ging. Schlussendlich war er jemandem aufgefallen, der ihn dann zum Fundbüro gebracht hatte, damit er von seinen in Tränen aufgelösten Eltern abgeholt werden konnte. Er vermutete mittlerweile, dass sein Widerstreben, was Menschenmassen anging, in diesem Erlebnis seinen Ursprung hatte. In solchen Situationen verspürte er stets Unruhe, obwohl er gelernt hatte, damit umzugehen.

Im Augenblick jedoch und in dieser Menge pochte sein Herz heftiger als das Riff des Bassisten der Band auf der Bühne. Er blickte fortwährend zum klaren, blauen Himmel auf, was ihn normalerweise unter Garantie beschwichtigt hätte – leider aber nicht in dieser Meute. Irgendetwas stimmte einfach nicht … etwas, das er nicht benennen konnte.

Er nahm wahr, dass Bruce nunmehr lauter brüllte, während sie deutlich langsamer vorankamen. Die Menschen ringsum strebten ausnahmslos in die entgegengesetzte Richtung. Zu Anfang, als sie sich unters Publikum gemischt hatten, waren die Besucher weitgehend ruhig gewesen, wenn auch leicht genervt, doch die Gesichtsausdrücke änderten sich, je weiter Bruce und Tobias vorstießen.

Dann blieb der Wachmann endgültig stehen, sodass er den Ansturm vor sich teilte. Die Zuschauer strömten an ihm vorbei wie ein Fluss um einen Felsen. Die Mienen wandelten sich rasch von leicht beunruhigt zu ängstlich und letztlich geradezu entsetzt. Als Tobias die ersten Blutenden sah, wurde ihm bewusst, dass er auf Bruce ununterbrochen einredete.

»Bitte, Bruce, wir müssen gehen, wir müssen von hier fort. Komm schon, Bruce, verschwinden wir, lass uns zur Bühne zurückkehren.« Er packte das Hemd des Wachmannes fester und zerrte daran wie ein Kleinkind, das an der Hand oder dem Hosenbein seines Vaters zog.

Plötzlich brach die Musik ab, sodass man Schreie vernahm. Anscheinend hatte jemand unter den Verantwortlichen realisiert, dass etwas nicht in Ordnung war.

Der Andrang der Menschenmenge ließ ein wenig nach.

»Um Gottes willen«, murmelte Bruce gerade so laut, dass Tobias es mitbekam.

Er trat vorsichtig hinter Bruce zur Seite, nun da Platz war. Vor ihm hatte sich ein freies Rund gebildet, und mittendrin zwischen fallengelassenem Müll lagen Menschen: verwundet, blutend und vor Schmerz zuckend. Ein paar sahen aus, als seien sie entweder bewusstlos oder gar tot. Einer war auf jeden Fall nicht mehr am Leben; ein Regenschirm steckte zwischen seinen Rippen. Tobias musste unweigerlich daran denken, wie seltsam es war, auf diese Art den Löffel abzugeben: Tod durch Schirm.

Auf der anderen Seite des Platzes rangen mehrere Sicherheitsbeamte und eine Handvoll Polizisten mit einem Mann, der überhaupt nicht auf ihr Geschrei und die gelegentlichen Schläge einging, die sie ihm versetzten. Tobias und Bruce sahen mit Grauen dabei zu, wie der Widerspenstige einen beträchtlichen Fetzen Fleisch aus dem nackten Arm eines Wächters biss.

Langsam führte Tobias die Kamera an sein Auge. Durch den Sucher zu blicken, enthob ihn der Szene, als spiele sie sich bereits im Fernsehen ab. Ein Polizeibeamter zückte eine Elektroschockwaffe und schoss damit auf den rasenden Kerl. Dieser zuckte etwas, gab aber nicht nach. Der Stromschlag bewirkte praktisch nichts. Der Mann schnappte sich den Polizisten mit der Waffe, biss ihm aber nicht in den Arm, sondern hatte es auf sein Gesicht abgesehen. Verdammt, er hat ihm die Kehle rausgerissen!

Am unteren Rand von Tobias' Sichtfeld regte sich etwas. Er richtete die Kamera auf den Toten … der aber wohl doch noch lebte, sonst hätte er sich nicht bewegt. Tobias konnte es sich nicht erklären: Der Schirm trat an der Stelle hervor, wo eigentlich ein Lungenflügel hätte sein sollen, aber trotzdem setzte sich der Mann gerade hin.

Tobias' Entsetzen nahm weiter zu, als ihm klar wurde, dass er den Mann kannte: Es war Lucas Jonas.

Der Moderator hatte es irgendwie geschafft, sich am Boden aufzurichten und schließlich hinzustellen, wobei der Schirm aus seiner Brust ragte wie ein aberwitzig großes, grelles Ansteckröschen. Während er in einem engen Kreis schlurfte, gab er ein Röcheln von sich und wirkte dabei desorientiert. Als er Bruce und seinen Kameramann bemerkte, humpelte er in ihre Richtung.

»Bruce …«, flüsterte Tobias, dem es beinahe die Sprache verschlug. »Bruce …« Er konnte nichts anderes sagen.

Lucas wankte weiter auf sie zu und schleifte dabei sein Mikro, das noch an seiner Taille befestigt war, hinter sich her. Tobias hörte durch den Kopfhörer an seinem Hals, wie es über den Boden kratzte. Als Lucas die Hände nach Bruce ausstreckte, machte dieser einen Schritt vorwärts, um ihm zu helfen.

»Alles wird gut«, versicherte er ihm. »Wir rufen einen Arzt für Sie. Bald geht es Ihnen wieder besser; das kriegen wir hin.«

Bruce hielt die Arme des Moderators fest und stützte ihn. Lucas sackte jedoch zusammen, sodass der starke Mann sein Gewicht stemmen musste.

Dann biss er auch in seinen Arm.

Bruce brüllte und stieß Lucas instinktiv zurück. Dadurch, dass er hinfiel, rammte er sich den Schirm noch etwas tiefer in den Leib, schickte sich aber sofort an, wieder auf die Beine zu kommen.

»Gibt es denn so was? Der Wichser hat mich gerade gebissen!« Bruce drehte sich zu Tobias um. »Nimm die verdammte Kamera runter, Mann!« Er legte eine Pranke aufs Objektiv und drückte es nach unten.

Tobias kam sich auf einmal vor, wie in die Realität zurückversetzt. In Lucas' Brust steckte tatsächlich ein Regenschirm, und der Kerl hatte Bruce wirklich gerade gebissen. Apropos Bisse …

Er schaute hinüber auf die andere Seite des freien Platzes, wo die Wachleute und Polizisten immer noch mit dem ersten Angreifer haderten. Der Officer mit dem zerfetzten Hals lag mit glasigen Augen auf der Erde. Aus der Wunde sprudelte kein Blut mehr, doch dann verkrampfte sein Körper, und er fing wie Lucas an, sich zu erheben.

»Bruce, hauen wir ab.« Tobias trat den Rückzug an und machte so große Augen, als fielen sie ihm gleich aus dem Kopf. »Am besten sofort!«

Lucas Jonas ließ den Blick über die Menge ringsum schweifen. Viele hatten auf ihrer Flucht innegehalten, sobald sie in sichere Entfernung gelangt waren, und schauten jetzt zu. Die meisten machten Fotos oder Videos mit ihren Handys, wohingegen andere hektisch SMS eintippten; mancher verwendete sein Telefon auch tatsächlich zum Telefonieren. Wie bei einem Autounfall, den man bezeugte, war es schwierig, nicht hinzusehen. Dann setzte sich Lucas in Bewegung und rannte auf sie zu – richtig schnell. Als die Menschen herumfuhren und die Flucht ergriffen, kamen sie nicht weit, bevor sie anderen im Pulk in den Rücken fielen. Lucas packte die erste Person, die er zu fassen bekam, und fiel über ihn her – rabiat, brutal. Er riss den Mann in Stücke.

Tobias wich zurück, bis er gegen die Wand der Personen hinter sich stieß. Nicht lange, und Bruce stand neben ihm.

»Du hast recht; machen wir, dass wir wegkommen.« Der große Kerl drängelte sich rigoroser als zuvor durch die Menschenmasse. Einen Mann riss er geradezu von den Beinen.

Tobias drehte sich ein letztes Mal nach dem Blutbad um, ehe er Bruce folgte. Dummerweise war er nicht der einzige, der sich dazu entschlossen hatte: Mehrere Menschen versuchten, sich hinter Bruce' massive Figur zu schieben und ihn praktisch als menschlichen Pflug zu benutzen. Tobias wurde herumgeschubst, während er sich anstrengte, Schritt zu halten. Er streckte sich wieder nach Bruce' Shirt aus, griff aber zu kurz und streifte den Baumwollstoff nur leicht mit den Fingerspitzen. Immer mehr Flüchtende sammelten sich hinter ihm und seinem Bekannten. Als sich Bruce zusehends weiter von Tobias entfernte, geriet dieser in Panik.

»Bruce!« Er drückte fester, doch die Masse der Fliehenden war einfach zu dicht, und er selbst nicht so stark wie sein Freund. »Bruce!« Leider war der Wachmann schon zu weit weg.

Tobias holte tief Luft, um sich zu beruhigen. Die Menge strömte durch die Tore des Parks; er würde hinauskommen, indem er sich treiben ließ. Kein Grund zur Eile, einfach mitziehen …

Als er und ein Punkrock-Girl Schulter an Schulter eingezwängt wurden, warf er einen Blick zur Seite und fand, dass es krank aussah. Dies war ein weiterer Grund für seinen Argwohn gegenüber Menschenmengen, speziell, wenn sie so groß waren: Irgendwelche Kranken tummelten sich immer darin, steckten alle anderen an … und natürlich fand sich Tobias direkt neben ihnen wieder.

Einen Augenblick später ließ er sich dazu hinreißen, die junge Frau länger anzusehen. Sie war ausgesprochen blass und schwitzte. Das tat Tobias auch bei all dem Stress sowie aufgrund der Hitze, die von so vielen dichtgedrängten Leibern ausging – von der Sonne ganz zu schweigen – doch dieses Mädchen sonderte Sturzbäche ab. Ihre Augen waren weit in die Höhlen zurückgewichen, und sie lehnte sich schwer gegen die Menschen vor ihr.

Endlich rang er sich dazu durch, sie anzusprechen: »Hey, alles klar mit dir?«

Die junge Frau drehte ihm den Kopf zu. »Mir geht es gut.« Ihre Stimme ließ auf das Gegenteil schließen. Wäre Tobias nicht unmittelbar neben ihr eingeklemmt gewesen, hätte er sie wahrscheinlich gar nicht gehört. »Bin vor ein paar Tagen von so 'nem Irren gebissen worden. Schätze, die im Krankenhaus haben die Wunde nicht richtig desinfiziert. Elende Stümper.«

Sie wandte sich von ihm ab und hielt sich die Armbeuge vor den Mund, um zu husten. Tobias war froh darum, auch wenn es bedeutete, dass sie ihre Bazillen auf jemand anderen schleuderte. Hatte sie wirklich gerade behauptet, gebissen worden zu sein?

Ihm fiel der Mann ein, dessen Kehle herausgerissen worden war. So schlecht schien ihm das nicht bekommen zu sein, denn immerhin hatte er sich wieder erhoben. Gleicher Fall bei Lucas, aber wieso musste er andere angreifen? Schock. Jawohl, er stand wohl unter Schock und meinte, sich verteidigen zu müssen oder so. Das erklärte es vermutlich; genau, das war es.

Während sich Tobias einredete, nichts sei so arg, wie es erschien, brach das Mädchen neben ihm zusammen. Zum Glück bemerkten die hinter ihr es und blieben früh genug stehen, um nicht über sie zu trampeln.

»Hey!« Tobias wagte nicht, sich zu bücken, da er nicht sicher war, ob er sich wieder aufrichten konnte, obwohl er die Kamera nicht mehr auf der Schulter trug. »Los, komm schon, du musst wieder aufstehen!«

Die Personen hinter ihr stießen sie mit den Füßen an, um sie zu irgendeiner Reaktion zu bewegen. Plötzlich zuckte ihr Körper, wie jene von Lucas und dem Polizisten.

Irgendwoher bezog Tobias' Kreislauf noch Adrenalin und schüttete es kübelweise aus. Er riss die Augen abermals auf und versuchte erbittert, sich durch die Masse zu schlagen, kam aber nicht durch. Er stand im wahrsten Sinn des Wortes vor einem Wall aus Fleisch und Klamotten.

Als er einen Blick über die Schulter nach unten warf, hob das Mädchen den Kopf an. Es schlug aus, klammerte sich ans erste Bein, das es zu fassen bekam, und biss kräftig in dessen nackte Wade. Das Opfer brüllte vor Schmerz, während diejenigen, die es bezeugten, vor Schreck und Panik aufschrien – am lautesten Tobias selbst.

Ehe er sich versah, hatte er seine Tasche vom Rücken genommen und die Kamera gemeinsam mit jeglichen herabhängenden Kabeln hineingestopft. Kurz spielte er mit dem Gedanken, sie gänzlich fallenzulassen, doch der Verkabelung des Batteriesystems mit der Kamera, die um seine Taille führte, hätte er sich nicht schnell genug entledigen können. Deshalb hängte er sich die Tasche wieder um den Arm, nahm ihr Gewicht im Gegensatz zu vorhin aber gar nicht mehr wahr. Er packte die nächste Person an den Schultern und zog. Als er sich auf den Mann stützte, brach dieser fast unter ihm sowie der schweren Kamera zusammen. Dann begann Tobias, über die Köpfe und Rücken der Menschen zu kriechen, wobei er nicht darauf achtete – geschweige denn es überhaupt hörte – wie sie sich beschwerten und im Schmerz aufheulten.

Obwohl er nie aufhörte, sich über der Menschenmasse vorwärtszubewegen, nahm er sich Zeit zum Umschauen. Hinter ihm, wo das kranke Punkrock-Girl gestürzt war, weitete sich allmählich eine offene Kreisfläche, und noch weiter zurück, wo er auf Lucas gestoßen war, hatte sich ein noch größerer Platz gebildet. Tobias fühlte sich an Kiesel erinnert, die man in einen Teich warf, woraufhin sich konzentrische Wellen nach außen kräuselten. Allem Anschein nach fielen jetzt noch mehr Menschen übereinander her, einige genauso absonderlich mit den Zähnen schnappend wie die ersten Aggressoren. Andere gerieten auf der Flucht aneinander, und mancherorts in der Menge bildeten sich weitere dieser freien Stellen, von denen alle wegstrebten. Die Geräuschkulisse belief sich jetzt weitgehend auf Gebrüll; es erbrach sich nahezu ohne Unterlass. Was mit freudigem Gejohle begonnen hatte, war in endlose Entsetzensschreie ausgeartet.

Tobias musste mitansehen, wie ein Mann unter der Flut der Leiber niedergetreten wurde. Er war geschubst worden und umgefallen. Niemand bemühte sich um ihn wie zuvor um das Mädchen, und sein Kopf tauchte nicht mehr auf. Tobias war nicht der einzige, der über Schädel und Haare krabbelte. Etliche Eingeschlossene hatten die gleiche Idee gehabt und demselben Drang nachgegeben: Einfach weg von hier.

An den Ausgängen war die Meute in die Enge getrieben worden, aber viele versuchten gar nicht mehr, dort durchzukommen, sondern kletterten die Steinmauern hoch, um auf der anderen Seite hinunterzuspringen. Tobias beschloss, auch diesen Weg zu nehmen, schon weil er den Mauern näher war als irgendeinem Ausgang. Da er sich über den Köpfen der anderen bereits in erhöhter Position befand, hatte er die Barriere schon so gut wie erklommen, bevor er sie überhaupt erreichte.

Als er tatsächlich dort ankam, wuchtete er sich auf den breiten, flachen Scheitel der Mauer. Sobald er sein Gleichgewicht gefunden hatte, blieb er einen Moment lang sitzen und versuchte, zu Atem zu kommen. Wie viel Zeit war eigentlich verstrichen, seitdem Lucas Jonas den Trubel bemerkt hatte? Lucas …

Tobias zog die Kamera wieder aus der Tasche. Dass sie keinen einzigen Kratzer abbekommen hatte, erstaunte ihn. Außerdem funktionierte sie noch und nahm sogar weiter auf, denn er hatte im allgemeinen Gewirr vergessen, sie auszuschalten. Nun fing er an, die Menge mit ihr abzusuchen, um Mr. Jonas oder Bruce zu entdecken.

Ersterer ließ sich leichter finden: Er befand sich immer noch am Rand des weiteren Kreises, schlug und biss andere Menschen. Umso unheimlicher war der Umstand, dass Tobias die Angriffe nach wie vor über Kopfhörer mitverfolgen konnte. Er zog ihn rasch aus der Anschlussbuchse. Der Regenschirm war anscheinend verschwunden, sodass nun ein Loch in Lucas' Torso klaffte, das sich glatt durchschauen ließ. Es war absurd, völlig surreal. Mit einem Mal wurde Tobias richtig übel. Er beugte sich vornüber und übergab sich auf den Gehsteig, der außen an der Mauer vorbeiführte. Dass er die Menge auf dem Konzertgelände vor seinem Erbrochenen verschonte, lag einzig an dem starken Ekelgefühl, das ihn gezwungen hatte, sich von der Szene abzuwenden.

Was ging da vor sich? Tobias konnte sich keinen Reim auf die Geschehnisse machen. Alles drehte sich, weshalb er sich an der Mauer festhalten musste, um nicht hinunterzufallen. Er holte mehrmals tief Luft und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen.

Erst als er aufschaute, bekam er mit, was außerhalb des Geländes passierte: Die Konzertbesucher zerstreuten sich in alle Winde. Viele waren zu ihren Autos gelaufen und wollten jetzt aufbrechen, verursachten aber in ihrer Hast Unfälle und Staus. Die Konzertbesucher rannten voller Panik kreuz und quer herum. Polizei, Feuerwehr und Ambulanzen versuchten, Hilfe zu leisten und die Ordnung wiederherzustellen, aber bisher gelang ihnen das nicht.

Nicht nur im Park, auch davor herrschte der totale Ausnahmezustand.

***

Tobias nahm sich vor, die Flucht zu ergreifen und sich in Sicherheit zu bringen; vielleicht schaffte er es ja nach Hause. Obwohl er nicht wusste, wie sicher sein winziges, leeres Apartment sein würde, erschien es ihm immer noch besser, als zu bleiben, wo er war.

Er verschaffte sich von seinem hohen Platz auf der Mauer einen Überblick und machte die zahlreichen Kleinbusse der Medien aus. In einem von ihnen war auch er hergekommen, doch dieser parkte leider mehrere Blocks weit entfernt auf der anderen Seite des Geländes. Tobias suchte mithilfe der Kamera nach irgendjemandem, den er kannte. Auf den Dächern der Busse standen mehrere Reporter mit ihren Kameraleuten und filmten das Chaos in der Umgebung. Diesen oder jenen glaubte Tobias zu kennen, hätte es aber nicht genau sagen können; Kameras neigten dazu, die Gesichter derer zu verdecken, die sie hielten.

Nun beobachtete er, wie sich ein Arm nach oben ausstreckte und nach einem der Berichterstatter langte. Der Mann wurde hinuntergezogen, woraufhin Tobias ihn von seiner Warte aus nicht mehr sehen konnte. Alles Weitere jedoch vermittelte ihm seine Fantasie relativ eindrücklich. Alle Kameraleute dort drehten sich um und schnitten mit, wie der Reporter attackiert wurde. Niemand kam auf den Gedanken, ihm zu helfen.

»Hey! Hören Sie, können Sie mir helfen? Bitte!«

Tobias nahm die Kamera herunter und schaute zu Boden. Dort stand ein junges Mädchen und schaute zu ihm auf. Sie konnte kaum älter als 16 sein und hatte Tränen in den von zerlaufener Wimperntusche verschmierten Augen. Sie streckte sich nach ihm aus, und er sah, dass ihre Finger blutig zerschnitten waren, die abwechselnd grell pinkfarben und schwarz lackierten Fingernägel abgebrochen. Er vermutete, sie hatte erfolglos versucht, die Mauer zu erklimmen, hatte sich aber lediglich die Hände blutig gekratzt.

»Ich komm nicht allein hoch!«, rief sie ihm zu.

Nun erst wurde Tobias bewusst, dass sich noch mehr Menschen über die Mauern wälzten. Ein Blick auf den nahen Ausgang sagte ihm, warum: Mittendrin wütete ein weiterer Angreifer, vor dem sie das Feld räumten. Links wie rechts neben ihm kletterten immer mehr Menschen über die Mauer, und unten drängelte sich eine Unzahl, die das Mädchen wiederholt dagegen schubste.

Tobias dachte an die Kameraleute und sein eigenes, egoistisches Verhalten zuvor. Er verstaute sein Gerät wieder in der Tasche, legte sich auf die Mauer und streckte dem Mädchen einen Arm entgegen.

»Weiter komme ich nicht, den Rest musst du selbst schaffen!«, rief er der Kleinen zu. Hätte er sich noch weiter nach hinausgelehnt, das wusste er, wäre er in dem Moment von der Mauer gezogen worden, da er ihre Hand nahm.

Das Mädchen wagte einen neuerlichen Anstieg. Mehrmals verfehlte es ihn nur knapp, streifte seine Fingerspitzen und rutschte wieder hinunter.

»Mach schon!« Tobias war die Lage unangenehm, in der er sich befand, doch nun, da er sich zur Hilfe verpflichtet hatte, gab es kein Zurück mehr. »Du schaffst das. Streng dich an!«

»Das tue ich doch!« Sie griff wieder ins Leere, doch als sie diesmal abrutschte, stieß die Menge jemanden genau unter sie; von den Schultern des Mannes stieß sie sich ab und bekam Tobias' Hand endlich zu fassen. Er zog so fest, wie er konnte, und spannte die Armmuskeln an, wobei er ihr Gewicht zu übereifrig ausgleichen wollte und beinahe auf der anderen Seite nach unten gestürzt wäre.

»Danke«, keuchte das Mädchen, als es neben ihm auf der Mauer saß. »Ich heiße Tammy.«

»Tobias. Sehen wir zu, dass wir von hier verschwinden, sonst stößt uns noch jemand herunter.«

»Gute Idee.« Das Mädchen ließ sich unbeschwert auf den Gehsteig hinunter, landete auf den Füßen und trat auch nicht in die Lache von Tobias' Erbrochenem.

Er schlang seine Arme um die Kameratasche und tat es ihr gleich, weniger elegant, doch zumindest ebenfalls ohne seine eigene Kotze zu treffen. Er kam unglücklich auf und kippte seitwärts aufs Pflaster. Dabei schürfte er sich den Arm auf, was zwar brannte, aber keine ernste Verletzung darstellte. Tammy half ihm auf die Beine.

Tobias nahm ihre Hand, um sie über die verstopfte Straße zu ziehen. Er wollte sich nicht in der Nähe der Mauer aufhalten und Gefahr laufen, dass ihnen jemand auf die Köpfe sprang. Schließlich blieben sie am Angestellteneingang eines Restaurants stehen, um sich nach all dem Durcheinander zu beruhigen und zu orientieren. Dort waren sie relativ sicher, da die Masse weiter über die Straße strömte.

»Bist du allein hier?«, fragte Tobias Tammy, während er den Kopf aus der Gasse streckte, um ein Straßenschild auszumachen.

»Ich kam mit Bekannten her. Ashley, meine beste Freundin – ihre Eltern haben bei irgendeinem Radiosender Karten gewonnen und uns vorgeschlagen, mit ihnen zu kommen. Als das Geschrei und Gerenne losging, wurden wir voneinander getrennt. Was ist da los?«

»Ich habe keinen blassen Schimmer.« Tobias zog den Kopf wieder ein und versuchte, sich einen Stadtplan vor Augen zu rufen. Sein Orientierungssinn ließ leider zu wünschen übrig, und er kannte nur den Weg zwischen seiner Arbeit und seinem Apartment, beides Orte am anderen Ende der Stadt. »Wüsstest du, wohin du dich hier wenden könntest?«

»Ashleys Mom sollte uns nach Hause bringen.« Tammy begann, an einer der drei Ketten zu nesteln, die sie um den Hals trug. Ihre Finger sahen fürchterlich aus.

»Habt ihr einen Treffpunkt ausgemacht für den Fall, dass ihr euch aus den Augen verlieren würdet?«

»Ja.« Tammy zeigte mit ihren blutigen Fingern zurück zum Park. »An einem der Verkaufsstände.«

»Nun ja, diese Möglichkeit scheidet schon einmal aus.« Tobias schaute noch einmal kurz in beide Richtungen. »Pass auf, ich rufe einen Polizeibeamten her, der uns helfen wird, okay?«

»Was? Nein.« Tammy hielt ihn am Arm fest.

Er schüttelte sie ab. »Hör mal, die wissen viel besseren Rat als ich.«

»Aber die haben doch schon mit all den anderen Menschen zu tun.« Tammy hielt seinen Arm so fest, dass er sich in einer Bärenfalle wähnte.

Langsam bereute er seine Entscheidung, ihr zu helfen. »Ich weiß nicht, was ich mit dir anfangen soll; ich würde gern nach Hause zurückkehren und glaube nicht, dass du mir folgen solltest.«

»Nimm mich nur mit bis zum nächsten U-Bahnhof«, bat das Mädchen, dem nun wieder Tränen kamen. »Von dort aus weiß ich, wie ich nach Hause gelange.«

Tobias dachte darüber nach. Die U-Bahn erschien ihm als prima Möglichkeit, um schleunigst von hier fortzukommen … aber nur, bis er sich vorstellte, mit all den anderen in einem Abteil zu stecken, die von dem Konzert flüchteten. Fürs Erste hatte er genug davon, sich Schulter an Schulter einzwängen zu lassen.

»Ich bringe dich zu einem Bahnhof, aber erwarte nicht, dass ich mitfahre. Ich gehe zu Fuß weiter.«

»Ist mir egal, begleite mich einfach bis dorthin.« Tammy lächelte, als sie von Tobias' Arm abließ und stattdessen seine Hand nahm.

Er seufzte. Ganz wunderbar; das Gör bekam auf diese Weise garantiert immer, was es wollte. »Du weißt aber nicht zufällig, wo der nächste U-Bahnhof ist, oder?«

»Oh, warte mal.« Tammy schob ihre freie Hand in eine Hosentasche und zog ein Smartphone heraus. Es steckte in einer rot glitzernden Schutzhülle. »Ich habe eine Karten-App.«

Tobias rief sich ins Gedächtnis, wie viele Mitmenschen ihm schon vorgebetet hatten, er möge sich ein solches Teil zulegen, wogegen er sich stets gewehrt hatte, weil er es für Geldverschwendung hielt. Er glaubte nicht, dass er irgendeine dieser schicken Anwendungen brauchte, sondern einfach ein Gerät, mit dem er SMS senden und empfangen oder eben hin und wieder jemanden anrufen konnte. Gut möglich, dass er seine Meinung zu Hause nach ein bis zehn Bier änderte.

»Hab's.« Tammy hielt Tobias das Smartphone hin, damit er die kleine Karte sah. »Die nächste befindet sich gleich auf der anderen Seite des Parks.«

»Nicht gut.« Tobias schüttelte den Kopf. »Wo ist die nächste auf dieser Seite?«

»Äh …« Tammy scrollte die Karte geübt mit dem Daumen. Generation Touchscreen, dachte Tobias. »Hier. Wir müssen dort drüben an der Ampel rüber und dann fünf Blocks weiterlaufen.«

»Alles klar, dann mal los.« Gerade als Tobias wieder auf den Bürgersteig treten wollte, hielt er inne. »Kannst du vielleicht meine Hand loslassen? Ich will die Kamera herausnehmen.«

»Wozu brauchst du sie denn?« Das Mädchen wurde argwöhnisch und drückte entsprechend fester zu.

»Weiß nicht«, antwortete er wahrheitsgemäß. »Wenn ich etwas einfange und an die Behörden weiterleite, hilft es ihnen eventuell, um herauszufinden, was hier passiert ist.«

»Ah, okay.« Tammy ließ los, behielt ihn aber aufmerksam im Auge.

Tobias hob das Gerät aus der Tasche. Er wollte es zuerst wieder auf seine Schulter wuchten, stemmte es aber dann einfach nur in die Armbeuge, damit es ihm nicht die Sicht versperrte. Sie lief immer noch; am Ende musste er wohl minutenlange Eindrücke vom Inneren der Tasche herausschneiden, aber wenigstens steckte die neue Speicherkarte darin, mit der er viele Stunden Material filmen konnte. Kaum dass er die Kamera so ausgerichtet hatte, dass sie einfing, was auch immer sich vor ihm abspielte, griff Tammy wieder nach seiner freien Hand.

Die beiden gingen die Straße hinauf. Tobias ließ Tammy neben den Mauern und Schaufenstern laufen und fing die meisten Stöße entgegenkommender Passanten ab. Seine Sorge galt dabei allerdings weniger dem Mädchen als seiner Kamera. So gut wie jeder, dem sie begegneten, hastete in diese oder jene Richtung. Ein paar standen aber auch einfach nur da und schienen nicht zu wissen, wohin sie sich wenden oder was sie unternehmen sollten. Einige wenige brachen sogar heulend auf der Straße zusammen. Tobias beobachtete, wie ein Mann am Mittelstreifen entlanglief, verfolgt von einer Frau, deren Brust über und über mit Blut besudelt war. Sie fletschte ihre Zähne und fuchtelte herum im Versuch, den verschreckten Kerl zu schnappen. Ehe Tobias überlegen konnte, was zu tun sei, waren die zwei verschwunden. Er hoffte nur, dass der Mann nicht stolperte.

Als Tobias und Tammy die Ecke erreichten, bogen sie in eine andere Straße ein, doch das Chaos pflanzte sich Block um Block fort, wenngleich sie bislang keine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatten. Das Gedränge lichtete sich, je weiter sie sich vom Park entfernten, bis sie endlich in eine Gegend kamen, wo sie genügend Raum zwischen sich und der nächsten Traube Menschen bringen konnten.

Als sie an einer Gasse vorbeiliefen, ertönte aus dieser ein markerschütternder Schrei. Die beiden drehten sich um und sahen mindestens fünf Personen, die eine sechste niederrangen und bissen. Eine der Angreifenden hatte den Schrei ausgestoßen. Sie erhob sich und bewegte sich auf sie zu.

»Schnell weg!« Tobias zog Tammys Hand und schleifte sie halb hinter sich her, als er losrannte. Zum Glück hielt das Mädchen Schritt, denn nun schossen auch die übrigen vier aus der Gasse und nahmen die Verfolgung auf.

»Lass die Kamera fallen!«, rief Tammy, als sie einen raschen Blick zurück wagte.

»Kann ich nicht einfach so, sie ist an meinem Bauch gesichert!« Tobias verfluchte den Hüftgurt, der ihm beim Tragen seiner Ausrüstung helfen sollte. »Lauf weiter!«

»Was?« Tammy schaute zu Tobias auf.

»Lauf voraus, spring in die U-Bahn! Ich lenke sie ab!«

»Aber …«

Tobias ließ Tammys Hand los und schob sie vor sich her. »Mach einfach, bevor ich es mir anders überlege!«

Nach einem letzten Blick auf Tobias setzte Tammy zu einem Sprint an, dem er selbst ohne Kamera nicht hätte folgen können. Er stürzte sich ins Verkehrschaos und hoffte dabei, dass ihre Jäger nicht so flink waren. Dies stellte sich als gute Idee heraus: Eine Frau aus der Gruppe hätte ihn beinahe erwischt, knallte aber mit dem Becken gegen eine Stoßstange und vollzog eine volle Drehung, bevor sie sofort nachsetzte. Tobias lief im Slalom um die Wagen, wusste aber, dass das nicht ewig so weitergehen konnte. Er kam sich vor wie damals auf der Highschool in der Footballmannschaft, nur dass jetzt nirgendwo die End Zone für den Touchdown zu sehen war und seine Kamera deutlich mehr wog als das Leder – nicht zu vergessen, dass ein Tackling bedeutete, sein Leben zu verlieren.

Ihm fiel eine Pizzeria ins Auge, deren Eingangstür offenstand. Er lief geradewegs darauf zu, während er das Gepolter seiner Verfolger hinter sich hörte. Nachdem er einen letzten, scharfen Haken geschlagen hatte, stürzte er in das Lokal.

Die Tür war nicht geöffnet; sie war gar nicht vorhanden, weil jemand sie herausgerissen hatte. Scheiße auch, damit hatte sich diese Möglichkeit zum Schutz erübrigt.

Hinter der Theke gab es jedoch eine weitere Tür, also sprang er blitzschnell hinüber. Ihm blieb nicht viel Zeit, sich über seine zurückgewonnene Geschicklichkeit zu freuen, denn seine Verfolger krachten bereits gegen die hüfthohe Theke und blieben flach mit den Oberkörpern darauf liegen. Jeder normale Mensch hätte sich dabei übel verletzt und keine Luft mehr bekommen, doch diese nun fingen einfach an, über die Arbeitsfläche zu kriechen, als sei nichts passiert.

Tobias lief ins Hinterzimmer und schlug die Tür zu. Großartig, sie hatte kein Schloss. Das Erste, was er dann sah, war eine Treppe, also blieb ihm nichts anderes übrig, als nach oben zu hasten. Dass es eine Hintertür in der Küche gab, war ihm in seiner panischen Eile gar nicht aufgefallen.

Tobias nahm einen Treppenlauf nach dem anderen, während er auf die Schritte hinter sich achtete. Die mussten doch langsam müde werden, oder? Tobias war platt, also sollte es denen nicht anders ergehen, richtig? Die Stufen hörten einfach nicht auf.

Endlich erreichte er den oberen Absatz und platzte durch eine weitere Tür. Dann stand er in der Sonne auf dem Dach. An der Seite entdeckte er mehrere Holzbalken, und ohne zu überlegen, begann Tobias, die Tür mit ihnen zu versperren. Schon schlug jemand von der anderen Seite dagegen, gerade, als er den letzten Balken verkeilt hatte. Das Holz bohrte sich in den Schotterboden auf dem Dach und hielt vorerst, wahrscheinlich aber nicht ewig.

Tobias rannte zur Dachkante und schaute nach unten. Kacke, fluchte er lautlos. Das waren mindestens vier Stockwerke … keine Chance, einfach hinunterzuspringen. Er suchte die Straße ab, konnte Tammy jedoch nirgendwo entdecken. Vermutlich war sie davongekommen – hoffte er jedenfalls. Sie hatte sich bestimmt in Sicherheit gebracht, versuchte er, sich einzureden.

Dann sah er sich auf dem Dach selbst um, fand aber nichts Nützliches. Das Gebäude stand einzeln an der Straße und war um mehrere Stockwerke niedriger als die benachbarten.

Seufzend setzte sich Tobias mit dem Gesicht zur Tür an den Dachrand. So wie sich seine Verfolger von der anderen Seite dagegen warfen, würden die Balken nicht mehr lange halten. Er setzte die Kamera auf seine Schulter und schaute durch den Sucher, holte tief Luft und drückte die Aufnahmetaste. Zumindest sein letzter Kurzfilm sollte ein echter Killer werden – im wahrsten Sinn des Wortes.

Die Tür flog auf, und die Balken polterten übers Dach. Der Minimob verlor keine Zeit damit, sich umzusehen, sondern stürzte schnurstracks auf seine Beute zu. Gerade als sie ihn aber erreichten, riss irgendetwas Tobias' Bewusstsein aus dem Film-Modus: Etwas umschlang seine Taille, und er wurde unerklärlicherweise über die Dachkante gezogen … in den leeren Raum.

Cillian

Cillian packte seinen gestiefelten Fuß aufs Armaturenbrett. Eine Zigarette, die nicht brannte, hing zwischen seinen Lippen.

»Wenn du sie nicht rauchst, warum hast du sie dann?« Jim saß zu seiner Linken auf dem Fahrersitz und schaute durch die Windschutzscheibe.

»Ich kann sie nicht im Wagen rauchen und werde auch nicht aussteigen, außer, ich muss unbedingt.« Cillian rutschte tiefer in den Sitz und schloss die Augen. »Ich hasse es, Aufpasser zu spielen.«

»Aha, auf der Wache hättest du also was Besseres zu tun?« Jim schlug ihm auf den Arm. »Mann, wir kriegen ein Konzert gratis mit, also mach dich mal locker.«

»Bis jetzt haben nur Bands gespielt, die ich nicht mag.« Nachdem er die Augen wieder geöffnet hatte, schlug er Jim zurück. »Die haben ihre eigenen Sicherheitsleute, und ein Haufen Polizisten läuft ebenfalls herum. Es gibt keinen Grund für uns, auch hier zu sein.«

»Und wenn ein Feuer ausbricht?« Ein sarkastisches Grinsen umspielte Jims Mundwinkel. Er schlug einen einfältigen Ton an, wie jeder, der den Bürgermeister imitierte: »Die Feuerwehr muss einsatzbereit für den Notfall vor Ort sein. Vielleicht sollte man dazu übergehen, uns an Straßenkreuzungen zu postieren, dann könnten wir stets sofort reagieren.«

Cillian lachte daraufhin laut los, wobei er seine Zigarette verlor. Er arbeitete gern mit Jim zusammen; der Kerl war echt in Ordnung.

Die Hintertür ging auf, und Doyle stieg ein. »Mann, ist das heiß draußen, besonders mit dem ganzen Zeug am Leib.«

»Ohne Scheiß, Sherlock, was glaubst du, weshalb wir im Wagen geblieben sind?« Cillian richtete sich ein wenig auf und drehte sich im Sitz um. »Was zu trinken gefunden?«

Doyle reichte Cillian eine Dose Pepsi.

»Pepsi? Sagte ich nicht Coke?«

»Die hatten nur Pepsi.« Doyle gab auch Jim eine Dose.

»Echt lahm.« Cillian öffnete die Cola und nahm einen kräftigen Zug. »Bäh, ich begreife nicht, wie manche Idioten behaupten können, sie schmeckten keinen Unterschied.«

»Ich zähle zu diesen Idioten.« Jim ließ seine Dose zischen.

»Schon klar, aber dass du keinen Geschmack hast, wissen wir bereits. Das trifft übrigens auch auf deine Kleidung zu.« Cillian grinste ihn an. Dass sie sich gegenseitig ordentlich neckten, war auf ihrer Feuerwache normal. Jeder von ihnen war auf seine Weise angreifbar, doch neuerdings konzentrierte sich die Häme weniger auf Cillian. Es war wie ein ungeschriebenes Gesetz, das besagte, dass niemand wegen seiner gescheiterten Langzeitbeziehung geärgert werden durfte.

»Dir ist klar, dass wir momentan die gleichen Klamotten anhaben, Knight, nicht wahr?«, bemerkte Jim.

»Uniformen gelten nicht.« Cillian klopfte Jim leicht mit einem Helm gegen den Kopf, den er gerade zur Hand hatte. Nach kurzem Überlegen setzte er diesen auf und zog ihn sich über die Augen. So konnte er die Sonne recht gut ausblenden. »Jetzt halt die Klappe, ich will ein bisschen schlafen.«

Die Uniform war mit Sicherheit Cillians meist getragenes Kleidungsstück, und damit hatte er kein Problem. Wenn er nicht arbeitete, zog er an, was gerade gewaschen war. An einem Tag wie diesem wäre es wahrscheinlich eine Schwimmhose gewesen. Er gefiel sich in seiner Uniform. Er fand gut, wie sie seine breiten Schultern und kantigen, dunklen Gesichtszüge betonte. Auf dem College hatte einmal eine Kunststudentin gemeint, er bestehe aus Vierecken. Damals war ihm schleierhaft gewesen, was das bedeuten sollte, doch im Laufe der Jahre hatte er es allmählich begriffen. Wenn es um abstrakte Dinge ging, brauchte er immer ein wenig länger, um zu schalten. Er mochte es simpel.

Außerdem liebte Cillian Knight seinen Job … meistens zumindest. Er mochte es nur nicht, wenn Leerlauf herrschte; er löschte gern Feuer, selbst wenn es nur kleine waren, und freute sich, wenn sie mit dem Rettungsdienst rausmussten, ob sie nun irgendwen nach einem Auffahrunfall mit mehreren Fahrzeugen aus seiner Karre schneiden oder jemandem beistehen mussten, der einen Herzschlag erlitten hatte. Cillian genoss es sogar, mit seinen Kollegen auf der Feuerwache abzuhängen und darauf zu warten, dass sie gerufen wurden. Über kurz oder lang rief immer jemand an, doch dies hier war langweilig. Wahrscheinlich würde rein gar nichts passieren. Alles, was Cillian hier zu tun brauchte, war zu warten und ein Nickerchen zu halten, und ob ihm das noch gelang, nachdem er gerade einen großen Schluck koffeinhaltiger Limonade getrunken hatte, glaubte er nicht.

Während sich Cillian in seinem Sitz fläzte und vergeblich versuchte, den Krach des Konzerts auszublenden, dachte er an Jessica und alles, was falsch gelaufen war. Eigentlich hätten Jessica Clay und er in der kommenden Woche heiraten sollen. Stattdessen schlief er nun auf Doyles Couch, während sie nach Australien übersiedelte. Sie waren bis vor ungefähr einem Monat glücklich miteinander gewesen, bis Jessi eine gewaltige Beförderung angeboten wurde: Sie sollte die persönliche Assistentin des Vorsitzenden der australischen Zweigstelle der Marble Keystone Corporation werden. Bis dato war sie nur die Assistentin der Gehilfin eines Vizepräsidenten gewesen. Sie hatte das Angebot angenommen, ohne sich mit Cillian abzusprechen, der gar nicht nach Australien wollte. Er liebte sein Leben nämlich genau hier, wo sie jetzt waren. Eine Auseinandersetzung hatte zur nächsten geführt, diese zu einer weiteren und selbige zu großem Gepolter, bei dem Geschirr zu Bruch gegangen war, ehe Jessica Cillian zuletzt mit einem Koffer voller Kleider vor die Tür gesetzt hatte. Jessica verkaufte das Haus, in dem sie gemeinsam gewohnt hatten, und nahm ihre gesamte Habe mit in irgendein australisches Kaff. Sie hatte Cillian nicht einmal gesagt, an welchem Tag sie das Land verlassen würde. Vielleicht hatte sie es sogar schon getan.

Er hatte im Lauf des vergangenen Monats eine Menge Zeit gehabt, um darüber nachzudenken und mit seinen Bekannten zu besprechen, nicht nur denjenigen auf der Wache. Cillian beschloss schließlich, sich einzureden, dass es am Besten gewesen sei. Lieber hatte er sich jetzt mit ihr überworfen als nach der Eheschließung – oder noch schlimmer, wenn ein gemeinsames Kind ins Spiel gekommen wäre. Diesbezüglich waren sich die beiden einig gewesen: Sie hatten Nachwuchs gewollt und hätten diesen Wunsch gleich nach der Heirat in Angriff genommen.

Er war jetzt 36 und hatte keine Ahnung, wo er noch einmal ein Mädchen wie Jessica finden würde, das er so innig liebte, dass er mit ihr sesshaft werden, eine Familie gründen wollte. Er wusste nicht einmal, ob er überhaupt jemals wieder Liebe empfinden konnte. Insgeheim war er immer noch zutiefst verletzt. Da Jessi sechs Jahre jünger als er war, fand sie mit Sicherheit ohne weiteres einen anderen Typen in ihrem Alter. Cillian hatte Glück gehabt, an sie zu geraten. Vielleicht sollte er sie anrufen und sich die Auswanderung noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Down Under wurden auch Feuerwehrleute gesucht, oder?

Cillian brütete lange darüber, bis ihn doch noch der Schlaf ereilte. Während er träumte, dröhnte Musik, die er nicht ausschalten konnte, sosehr er es auch versuchte. Andere Menschen – selbst solche, die bereits tot waren – wollten ihm helfen, schafften es aber ebenso wenig. Dabei erschienen ihm auch die Gesichter jener, die er in der Vergangenheit nicht hatte retten können. Jeder auf der Wache gab zu, solche Träume zu haben, aber dieser Traum kam Cillian anders vor. Normalerweise hätte er Angst bekommen oder sich aufgeregt, doch jetzt waren ihm die Opfer egal. Im Gegenteil empfand er sie gar als tröstlich im Vergleich zu den Schattenrissen in der Ferne. Die Musik allerdings war ein echtes Ärgernis! Woher kam sie eigentlich?

Cillian zuckte zusammen, als er wach wurde. Ihm war, als sei etwas gegen das Heck des Wagens gestoßen, aber dabei handelte es sich bestimmt nur um die Nachwehen seines Traumes. Allerdings stellte er fest, dass die Musik endlich aufgehört hatte. Vermutlich hatte ihn genau das geweckt.

»Jim?« Cillian schob den Helm an seiner Stirn hoch und schaute zur Fahrerseite. Der Sitz war leer. »Doyle? Jungs?«

Er richtete sich auf und schaute sich im Wagen um. Die anderen waren verschwunden, wahrscheinlich holten sie Nachschub zum Trinken. Gutes Stichwort …

Cillian griff in den Fußraum, um die leere Dose aufzuheben, die er beim Einschlafen fallengelassen hatte. Auch seine Zigarette lag noch dort, dreckig nunmehr. Er überlegte, ob er sie nicht trotzdem noch rauchen sollte, als es laut an der Beifahrertür klopfte. Gleichzeitig, da er zusammenzuckte, fuhr er im Sitz herum. Die Tür wurde aufgeworfen, und ein Cop schickte sich an, einzusteigen.

»Hey, Mann!« Cillian rutschte auf den Fahrersitz, da sich der Polizist nicht aufhalten ließ. Ihm schien es gleich zu sein, ob Cillian im Weg saß oder nicht.

Nachdem der Mann eingestiegen war, zog er die Tür zu und verriegelte sie, streckte sich nach hinten aus und tat dort das Gleiche. Als er sich Cillian zukehrte, erkannte dieser einen Anflug von Panik in seinen Augen. »Verriegeln Sie die Türen auf Ihrer Seite!«

»Was? Wieso? Was ist los?« Cillian fragte sich, ob er immer noch träumte.

»Verriegeln, Mann!« Der Cop kletterte zurück und drückte den Knopf an der Tür hinter dem Feuerwehrmann hinunter.

Cillian selbst verriegelte die Fahrertür. »Okay, erledigt! Was dagegen, mich jetzt ins Bild zu setzen, Officer?«

Der Polizist blickte auf die Fahrertür, um sich mit eigenen Augen zu vergewissern, dass Cillian getan hatte, was er vorgab. Dann lehnte er sich seufzend im Sitz zurück. »Was meinen Sie mit, was da los sei?«, fragte er. »Haben Sie etwa noch nicht gesehen, was da draußen abgeht?«

»Ich habe geschlafen.« Cillian legte die Stirn in Falten. Er drehte sich um und schaute durch die Windschutzscheibe. Draußen herrschte totales Chaos: Menschen schlugen sich und rannten ziellos in alle Richtungen. Abermals beschlich ihn das Gefühl, er schlafe noch, doch sein Verlangen nach Nikotin überzeugte ihn vom Gegenteil.

»Was zur Hölle ist passiert?« Cillian sah zu, wie ein Mann seine Zähne in der Brust eines anderen vergrub.

»Ich weiß es nicht.« Der Cop kehrte auf den Beifahrersitz zurück. »Wir wurden gerufen, als irgendein Kerl ausflippte und anfing, andere um sich herum anzufallen. Ehe wir wussten, wie uns geschah, schlugen sich eine Menge anderer die Köpfe ein.«

»Vielleicht irgendeine Terrororganisation oder Sekte, die Ärger machen will?« Dies war der erste Gedanke, der Cillian kam.

»Vielleicht …« Der Beamte holte tief Luft.

Cillian spürte, dass er ihm etwas vorenthielt. »Raus mit der Sprache.«

»Was denn?« Der Mann sah ihn an; seine blauen Augen waren weit aufgerissen.

»Sie haben etwas gesehen. Was ist vorgefallen?«

Der Cop schaute durch die Scheibe und dann zu Cillian hinüber. »Sie werden mir nicht glauben.«

»Abwarten.«

»Also …« Der Polizist musste erneut durchatmen, um sich zu beruhigen. »Da war dieser Sicherheitsbeamte, ja? Er und ein paar andere versuchten, den Angreifer unschädlich zu machen. Er hatte gerade mehrere Personen verletzt und sogar einen Mann mit einem Schirm aufgespießt. Nun versetzte ihm einer der Officers einen Stromschlag, wurde aber von ihm in den Hals gebissen. Ich meine, er hat ihm den Kehlkopf herausgerissen, und der Beamte verblutete noch am Ort.«

»Um Gottes willen.« Cillian nahm den Helm ab und fuhr sich durch sein dunkles, stoppeliges Haar. »Sie haben ihn nicht gekannt, oder?«

»Nein, anderer Bezirk, aber das war noch nicht das Schlimmste.« Der Mann wurde ein wenig grün um die Nase. »Es dauerte nicht lange, da stand er wieder auf.«

»Wer stand wieder auf?«

»Der Officer.«

»Sie meinen den Toten?«

»Genau, der tote Officer.«

»Sind Sie sicher, dass er tot war?«