Suttler - Im Schatten der Halde - Marco Rievel - E-Book

Suttler - Im Schatten der Halde E-Book

Marco Rievel

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Beschreibung

Als Jule von der Ermordung ihres Schul- und Ex-Freundes erfährt, steigen unangenehme Erinnerungen an ihre Schulzeit in ihr auf. Ihr Freund und Mentor drängt sie dazu, sich ihrer Vergangenheit zu stellen. Sie überwindet ihr Trauma und beginnt in ihrem ehemaligen Freundeskreis zu ermitteln. Dadurch erregt sie die Aufmerksamkeit des Mörders, der versucht, ihre Ermittlungen zu verhindern. Dazu ist er zu allem bereit.. Einem Hinterhalt entkommt sie knapp, doch der Mörder gibt nicht auf.

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Marco Rievel

Suttler Im Schatten der Halde

© 2018 Marco Rievel

Lektorat, Korrektorat: Thorsten Breuer

Verlag und Druck: tredition GmbH, Hamburg

ISBN

Paperback:

978-3-7469-4947-5

Hardcover:

978-3-7469-4948-2

e-Book:

978-3-7469-4949-9

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Prolog

Martin Lammers harrte mittlerweile über eine Stunde zwischen den Büschen aus. Schwarze, tief hängende Wolkenfetzen drängten von Norden her bedrohlich auf ihn zu, schienen zu versuchen, den Hang, auf dem er hockte, in Finsternis zu hüllen. Die feuchte Luft ließ ihn frösteln. Obwohl es Anfang März war, sank die Temperatur in den Nächten immer noch weit in den einstelligen Bereich ab.

Er griff in die Jackentasche der Belstaff Speedmaster und holte das Mobiltelefon heraus. Dreiundzwanzig Uhr sechzehn. Der Mann, auf den er wartete, verspätete sich. Verärgert steckte er das Handy weg. Es fiel ihm schwer, sich zu gedulden.

Die Lichter im Gartencenter am Rande der Halde erloschen. Vereinzelt drang warmer Lichtschein aus den Gebäuden der Everslohstraße und verlor sich im düsteren Nachthimmel, wo der zunehmende Halbmond mattes Zwielicht verbreitete. Die kahlen Äste der Bäume in der Umgebung ragten mahnend in den Himmel.

Die kalte Luft und die Verspätung mehrten den Groll, den er verspürte. Die Auseinandersetzung mit Jan Gernot drängte erneut in seine Gedanken.

Mittlerweile hasste er seinen ehemaligen Freund. Er stellte eine Gefahr dar, die er nicht zu kontrollieren vermochte. Zu viele Reibereien hatten sie entzweit, zu wichtig, um die Differenzen durch eine sachliche Aussprache beizulegen.

Er unterdrückte den aufkeimenden Zorn, versuchte stattdessen, sich auf die bevorstehende Unterredung zu konzentrieren. Um Jan konnte er sich zu gegebener Zeit kümmern.

Er trat auf der Stelle, hauchte in die hohlen Hände und rieb sie aneinander. Doch die Kälte, die sich trotz der dicken gefütterten Jacke schleichend in ihm ausbreitete, vertrieb er damit nicht.

»Wo bleibt der Alte?«, murmelte er fluchend. Er hasste es, untätig abzuwarten.

Für einen kurzen Augenblick flammte in ihm die Befürchtung auf, sein Opfer habe es sich anders überlegt. Obwohl Martin sich das nicht vorstellen konnte. Die Summe, die er gefordert hatte, war für den Mann eine Kleinigkeit. Er würde sie vermutlich aus der Portokasse bezahlen. Warum sollte er also das Risiko eingehen, öffentlich gedemütigt zu werden?

Für den ehemaligen Unternehmer stand sein Lebenswerk auf dem Spiel.

Martin war fest entschlossen, ihn gesellschaftlich zu vernichten, tauchte er nicht innerhalb der nächsten viertel Stunde hier auf.

Nahm er die Drohung nicht ernst? Glaubte er, die Vorwürfe durch überhebliche Ignoranz aus der Welt zu schaffen? Er sollte sich wundern.

Dennoch wuchs Martins Nervosität mit jeder Sekunde, die verstrich, ohne dass er jemanden auf dem Haldenweg entdeckte. Immer wieder verschwand die Mondsichel für kurze Zeit hinter den Wolkenfetzen. In der vorherrschenden Dunkelheit konnte er kaum den Weg wahrnehmen, der unter ihm serpentinenartig zu ihm hinaufführte.

Plötzlich bemerkte er eine Bewegung auf dem unebenen, von den Regenfällen der letzten Wochen zerfurchten Schotterweg. Genau in diesem Augenblick schob sich eine Wolke vor die Sichel des Mondes. Die Halde versank in Finsternis. Er kniff die Augen zusammen. Hatte er sich getäuscht?

»Verdammt«, entfuhr es ihm wütend. Seine Blicke versuchten, die Schwärze zu durchdringen. Es dauerte eine Weile, ehe die Mondsichel erneut hervortrat und die Umgebung in spärliches Halbdunkel tauchte. Nein, er hatte sich nicht getäuscht. Zum Glück.

Die Gestalt erklomm schwerfällig, beinahe bedächtig, den steilen, gewundenen Weg zur Haldenspitze hinauf. Zu langsam fand er, doch er zügelte seine Ungeduld. Angespannt beobachtete er jeden Schritt des Alten auf dem unebenen Pfad.

Dieser hatte den Hut tief in die Stirn gezogen, als wolle er das Gesicht verbergen, das Lammers in dem Dämmerlicht ohnehin nicht hätte erkennen können. Mehrmals pausierte er auf den Gehstock gestützt und verschnaufte offenbar einen Augenblick, bevor er sich erneut in Bewegung setzte.

Aufseufzend übte Martin sich in Geduld, hielt es in dem unbequemen Unterschlupf allerdings nicht lange aus. Zum wiederholten Male überprüfte er den Pfad, der zur Halde heraufführte, ohne eine zweite Person auszumachen. Der Mann hatte sich anscheinend an die Anweisung gehalten und war alleine gekommen.

Trotzdem ließ er das Opfer nicht aus den Augen. Die Gestalt tauchte hinter einigen höheren Büschen unter, verschwand für einen Moment aus seinem Blickfeld.

Martin verließ sein Versteck und stellte sich an den Rand des Weges, neben den Stamm einer Weide. Dort wartete er, bis der Greis die nächste Biegung erreichte. Noch einmal versicherte Martin sich, dass er von niemandem begleitet wurde, dann verhüllte er das Gesicht mit einem Schal und betrat den Pfad.

Der Alte verharrte, als er ihn entdeckte. Schwer atmend blieb er auf den Stock gestützt stehen. Die Finger, die den Gehstock umklammerten, steckten in einem dicken Handschuh, die andere Hand verbarg er in der Manteltasche.

Martin spannte die Muskeln an. Was hielt er vor ihm versteckt? Sein Gegenüber schien das kurze Zögern bemerkt zu haben. Der Alte zog langsam die Hand aus der Tasche. Ein Bündel Geldscheine kam zum Vorschein.

Martin schlenderte lässig auf den Alten zu. Er hatte alles im Griff, und in wenigen Minuten wäre er um einige tausend Euro reicher. Verflogen war die Wut, die er während des Ausharrens verspürt hatte.

»Haben Sie die Summe beisammen?«, fragte er und holte ein Kuvert unter der Jacke hervor, um zu zeigen, dass er die Dokumente bei sich führte.

Der Mann nickte.

Martin atmete innerlich auf. Jetzt wollte er die Übergabe so schnell wie möglich abschließen.

Er trat einen Schritt auf den Alten zu. Hielt ihm den Umschlag ein Stück weit entgegen. Gebannt starrte er auf die Hand des Fremden, die das Geldbündel fest umklammerte.

Der Alte riss den Stock in die Höhe, peilte Martins Kopf an.

Martin ahnte die Gefahr mehr, als dass er sie sah. Er drehte den Oberkörper und hechtete zur Seite. Dennoch erwischte ihn der Spazierstock mit voller Wucht an der Schulter.

Er schrie schmerzerfüllt auf.

Martin wandte sich um und wollte losrennen, doch dabei rutschte ein Bein auf dem lockeren Schotter unter ihm weg. Er strauchelte und stürzte zu Boden.

Sofort attackierte sein Gegner ihn. Er warf den Stock zur Seite und stürzte sich auf ihn. Martin schaffe es nicht, sich unter dem Mann herauszuwinden. Es handelte sich keineswegs um einen betagten Greis, wie er vermutet hatte. Der Hut fiel dem Mann vom Kopf, und Martin blickte überrascht in ein ihm nur zu bekanntes Gesicht. Das war nicht die Person, die er erwartet hatte.

Ungläubig schaute er in die hasserfüllte Fratze über ihm. Es war unmöglich. Woher wusste er davon?

Ein Messer blitzte in der Hand des Widersachers auf. Entsetzen breitete sich in Martin aus. Mit einem Mal verspürte er Todesangst. Sein Herz raste, er spannte seine Muskeln an, versuchte, den Angreifer abzuschütteln. Doch der stemmte sich mit aller Kraft dagegen. Und gewann.

Ein stechender Schmerz in der Seite ließ Martin aufschreien. Er schleuderte dem Mann einige Steine und Dreck ins Gesicht, versuchte, dessen kurzzeitige Verwirrung auszunutzen, um sich aus der misslichen Lage zu befreien.

Kapitel 1

Jule Suttler strich eine widerspenstige Haarsträhne aus der Stirn. Skeptisch betrachtete sie ihr Arrangement. Etwas störte die harmonische Einheit des Bildes. Das bunte Farbspiel der Sommerblumen vor den dunkelgrünen, glänzenden Blättern der Kirschlorbeerhecke, die den Garten vom angrenzenden Waldstück trennte, stach durch die Sonnenstrahlen deutlich hervor.

Sie veränderte ihre Position und ließ ihren Blick erneut über die Szenerie gleiten. Schließlich entdeckte sie den Fauxpas.

Im Hintergrund, inmitten der kräftigen, roten Blütendolden der Geranie, reckte eine Primel majestätisch ihre Blütenblätter in den Frühjahrshimmel. Die strahlende, gelbe Blüte zog die Aufmerksamkeit eines jeden Betrachters auf sich und zerstörte die Illusion des Hochsommers, den Jule mit ihrer Kamera einfangen wollte.

Sie trat einige Schritte vor, begann zum wiederholten Male, die Pflanzen und Gartenaccessoires neu zu platzieren.

Den verblichenen Strohhut ihrer Oma befestigte sie an der Lehne der gusseisernen Gartenbank und stellte die ausladende Petunienampel, von der sie die Aufhänger beseitigt hatte, daneben. Eine der Ranken drapierte sie am Hutrand entlang. Sie liebte den Farbkontrast zwischen dem hellen blassgelb des Hutes und den dunkelvioletten Blüten.

Erneut überprüfte sie die Anordnung. Jetzt war das Bild perfekt. Die Kopfbedeckung und die Petunie verbargen die Primel im hinteren Teil des Beetes. Sie lächelte zufrieden.

Jule schritt zur Terrasse, holte ihre Kamera, eine Nikon D750, vom Tisch. Behutsam entfernte sie den Gehäusedeckel. Ihr ganzer Stolz. Obwohl die Spiegelreflexkamera ihr seit zwei Jahren gehörte und Jule sie regelmäßig benutzte, sah sie neuwertig aus. Jule pflegte sie penibel, handelte es sich doch um das letzte Geschenk, das sie von ihrer Oma bekommen hatte.

Sie betrat den Garten und fotografierte ihre sommerliche Impression aus verschiedenen Blickwinkeln. Das beste Foto könnte sie später am Computer heraussuchen.

Nachdem sich etliche Fotos auf ihrer Speicherkarte befanden, ließ sie sich auf der Gartenbank nieder und genoss die Sonnenstrahlen, wozu es in diesem Frühjahr viel zu selten Gelegenheit gab.

Für einen Moment schloss sie die Augen, sog genussvoll die Luft durch die Nase. Hoffte, einen Hauch von Frühling wahrzunehmen. Doch wie im Vorjahr wollte die Natur nicht aus ihrem Winterschlaf erwachen. Allerorts erblickte man lediglich einige zaghafte Versuche winterharter Stauden, sich zu entfalten.

Erinnerungen an ihre Großmutter drängten in ihre Gedanken. Mit ihr hatte sie im letzten Jahr noch gemeinsam auf der Bank gesessen. Die warmherzige, hilfsbereite Frau hatte sich nach dem Tod der Eltern um sie gekümmert. War jederzeit für sie da gewesen. Vor etwas über einem halben Jahr war sie friedlich eingeschlafen. Sie hinterließ Jule das Grundstück mit dem Haus. Aber das Erbe linderte den Schmerz kaum. Zu sehr vermisste sie die alte Dame, mit der sie oft stundenlang philosophierend im Garten geredet hatte.

Etwas berührte sie am Bein. Kater Socke rieb seinen Kopf an ihrer Wade, setzte sich auf die Hinterpfoten und starrte sie an. Er miaute. Automatisch glitt Jules Hand zu ihm hinunter und kraulte ihn am Hinterkopf. Wohlwissend, dass das nicht alles war, was er wollte. Vorerst genügte es ihm jedoch.

Er schritt majestätisch weiter, sprang mit einem Satz auf den Sitzplatz neben ihr und rollte sich in der Sonne gemütlich zusammen. Schnurrend schloss er die Augen. Schien, ebenso wie sie, den bisher wärmsten Tag des Jahres zu genießen.

Nach einer Weile seufzte sie auf, ergriff die Kamera. Zufrieden betrachtete sie die Fotos im Display. Bestimmt gefielen sie Claudia ebenfalls. Sie hatte ihr den Auftrag verschafft, um die Bilder in einer Gartenzeitschrift zu veröffentlichen. Es war nicht der erste Job, den Jule ihrer Freundin verdankte. Sie beschloss, sie auf einen Kaffee einzuladen, wenn sie sich das nächste Mal trafen. Das Geld für die Aufnahmen kam gerade rechtzeitig, um die Steuerforderung des Finanzamts zu bezahlen.

Es klingelte. Jule runzelte die Stirn und erhob sich. Sie erwartete keinen Besuch an diesem Wochenende. Hatte Chris eine neue Aufgabe für sie? Obwohl er sich in der Regel telefonisch meldete, um einen Termin zu vereinbaren.

Sie ging zur Terrasse, legte die Nikon auf den Gartentisch und betrat durch den Fliegengittervorhang das Haus.

Kater Socke verschwand, den buschigen Schwanz hoch aufgerichtet, zwischen den Sträuchern. Er hasste Fremde.

Hoffentlich handelt es sich nicht um einen jener Zeitungsverkäufer, die momentan in Königshardt unterwegs sind, überlegte sie, während sie die Diele durchquerte. Sie hielt einen Moment inne, holte tief Luft, dann griff sie nach der Türklinke.

Die Besucherin mit dem blonden Pferdeschwanz begutachtete den Vorgarten und drehte sich lächelnd zu Jule um, als diese die Tür öffnete.

Zumindest sieht sie nicht wie eine Zeitschriftenverkäuferin aus, dachte Jule beruhigt.

»Guten Tag. Hauptkommissarin Vollmer«, stellte sie sich vor und zeigte ihr einen Dienstausweis. »Ich würde gerne Juliane Suttler sprechen?«

So hatte sie schon lange niemand mehr angesprochen.

»Das bin ich. Ist was passiert?«, fragte sie neugierig. Beunruhigt ließ sie ihren Blick über die Umgebung schweifen. Auf der Kirchhellener Straße war nichts Ungewöhnliches zu entdecken.

Ging es etwa um eine ihrer Überwachungen? Hatte einer der überführten Ehemänner sie angezeigt? Wegen Verletzung der Privatsphäre? Bei dem Gedanken verzog sich ihr Mund zu einem feinen Grinsen. Der letzte Ehepartner, den sie ertappt hatte, war ihr hinterhergerannt, hatte mit herunterrutschender Hose jedoch keine Chance gehabt. Aber deshalb suchte sie an einem Samstagnachmittag wohl kaum eine Kommissarin auf.

»Können wir uns im Haus unterhalten? Es geht um ihren Bekannten, Herrn Lammer«, kam Vollmer ohne Umschweife auf den Grund des Besuches zu sprechen. Sie deutete mit der Hand Richtung Tür.

Jule verdrehte die Augen. Martin, der Idiot. Was hatte er nun wieder angestellt? Hätte sie sich doch nie auf ihn eingelassen! Erst vorgestern hatten sie zum wiederholten Male heftig gestritten. Hatte er sie denunziert? Oder sie gar in eines seiner merkwürdigen Geschäfte verwickelt? Die Wut, die sie bereits bei dem Telefonat verspürt hatte, stieg wieder in ihr auf.

Benötigte er etwa ein Alibi und ging allen Ernstes davon aus, sie würde für ihn lügen? Für so dumm hielt sie ihn wirklich nicht.

Verstimmt trat sie beiseite und bat die Frau herein.

Sie führte die Besucherin auf die Terrasse, wo sie ihr einen Platz anbot.

»Möchten Sie etwas trinken?«, fragte sie und legte die Kamera auf einen Stuhl.

»Ein Wasser gerne, danke«, antwortete Vollmer, lehnte sich zurück. Ihr Blick wanderte durch den Garten.

Jule verschwand in der Küche. Sie dachte darüber nach, was Martin wohl angestellt haben könnte. Sie vermutete schon immer, dass er sein Geld nicht auf legale Art und Weise verdiente. Soweit sie sich erinnerte, war er nie einer geregelten Tätigkeit nachgegangen.

Ebenso wie ich, schoss es Jule durch den Kopf. Doch er besaß, im Gegensatz zu ihr, jederzeit über ausreichend Kapital. Sie stellte zwei Gläser sowie eine Flasche Mineralwasser auf das Tablett neben der Spüle und ging damit zu ihrem Gast.

Sie schenkte der Kommissarin ein, dann setzte sie sich an den Tisch.

»Schön haben Sie es hier.«

»Es ist viel Arbeit«, erwiderte Jule knapp.

»Die sich offenbar lohnt. Auf meiner Terrasse hat der Sommer noch keinen Einzug gehalten.« Sie betrachtete lächelnd die Sommerblumen auf der Gartenbank.

»Bei mir auch nicht«, antwortete Jule, »ist alles nur für einen Auftrag vorgetäuscht, den ich erhalten habe.«

Sie wandte sich der Kommissarin zu, um den Small Talk zu beenden.

»Also, was hat Martin ausgefressen? Falls er ein Alibi benötigt, stehe ich nicht zur Verfügung.«

»Sind sie gut befreundet?« Die Gegenfrage irritierte Jule einen Augenblick, schließlich zuckte sie mit den Schultern. »Wir haben gemeinsam die Schulbank gedrückt.« Sie zögerte einen Moment. Spielte die kurze Liaison der beiden im letzten Jahr eine Rolle? Jule beschloss, dass es die Polizei nichts anging, mit wem sie sich mehr oder weniger vergnügte. Das war allein ihre Entscheidung, zumal sie nicht einmal wusste, was man Martin vorwarf.

»Seitdem sehen wir uns eher selten«, fuhr sie fort, »meistens zufällig. Als Freundschaft bezeichne ich das nicht. Bekanntschaft ist treffender.«

»Sie haben vorgestern mit ihm telefoniert?«

Jule stutzte. Das stimmte. Doch warum interessierte sich die Kommissarin dafür? Die eigene Unwissenheit verunsicherte Jule. Sollte Martin sie in irgendetwas hineingezogen haben, würde er sein blaues Wunder erleben.

»Ja«, antwortete sie. »Es ging um das Klassentreffen am kommenden Samstag«, fügte sie erklärend hinzu. Vollmer machte sich eine Notiz.

»Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?«

Jule schnaufte. War das ein Verhör?

»Ist schon etliche Wochen her. Ich weiß es nicht mehr so genau.« Das Blut schoss ihr ins Gesicht. Nur zu gut erinnerte sie sich an ihre letzte Begegnung mit Martin. Ein Treffen, das sie am liebsten aus ihrem Gedächtnis gelöscht hätte und das vorgestern erneut zu einer sinnlosen Diskussion geführt hatte. Die Kommissarin betrachtete sie nachdenklich, ging jedoch nicht weiter darauf ein.

»Also wissen Sie nicht, womit er sich in den vergangenen Monaten beschäftigt hat?«

Jetzt reichte es Jule.

»Um was geht es eigentlich?«, fuhr sie den ungebetenen Gast an, »hat er eine Straftat begangen?«

Einige Sekunden verstrichen wortlos. Jule ergriff ihr Glas. Entschlossen zu schweigen, bis sie den Grund dieser Befragung erfuhr.

»Herr Lammer wurde in der Nacht von Donnerstag auf Freitag getötet.«

Mit offenem Mund starrte Jule die Hauptkommissarin an.

»Ermordet?«, fragte sie unsinnigerweise.

Die Kommissarin nickte.

»Ein Spaziergänger fand seinen Leichnam gestern auf der Halde Haniel. Können Sie sich vorstellen, was er dort wollte? Hat er irgendetwas bei dem Telefonat verlauten lassen?«

»Nein«, erwiderte sie sofort, »wir haben über das Klassentreffen gesprochen.«

»Eine Stunde lang?«, hakte Simone Vollmer nach. Ihre Augen beobachteten sie aufmerksam.

»Sie wissen doch, wie das ist. Man schweift schnell ab, schwelgt in Erinnerungen. Da kann es schon passieren, dass man die Zeit vergisst.« Sie blickte die Kommissarin an und erkannte, dass diese ihr die Erklärung so nicht abnahm.

Jule brachte ein schwaches Lächeln zustande.

»Unseren Erkenntnissen zufolge besaß Herr Lammer weder eine feste Arbeitsstelle noch sonstige regelmäßige Einnahmequellen.«

Jule zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht, womit er seinen Lebensunterhalt verdient hat.«

»Er trug sehr hochwertige, teure Kleidung. Haben Sie eine Vermutung, woher er das nötige Kleingeld hatte?«

»Nicht die geringste«, antwortete sie. »Wie bereits von mir erwähnt, habe ich ihn zuletzt vor einigen Monaten gesehen.«

Simone Vollmer beugte sich vor. »Kann es sein, dass er Hehlerware verkauft hat?« Ihr Augenmerk richtete sich unmissverständlich auf die Nikon, die auf dem Stuhl lag.

Jule sog hörbar die Luft ein. Sie legte eine Hand auf die Kamera. »Das ist ein Geschenk meiner Oma und garantiert keinerlei Diebesgut.«

»Ist ihre Großmutter zu sprechen? Kannte sie Herrn Lammer?«

»Sie ist im vergangenen Jahr gestorben. Sie hat mir das Haus hinterlassen«, antwortete Jule verstimmt. Mit ihrer Andeutung, sie wäre möglicherweise an Martins dubiosen Geschäften beteiligt, war die Kommissarin eindeutig zu weit gegangen.

»Da ich scheinbar keine allzu große Hilfe bin, würde ich jetzt gerne weiterarbeiten«, beendete Jule die Unterredung.

»Sie arbeiten von Zuhause aus?«, fragte Vollmer unbeeindruckt. Sie blickte sich um. »Was haben Sie für einen Job?«

»Ich bin freie Journalistin, Fotografin, und hin und wieder helfe ich einem Freund bei seinen Nachforschungen.«

»Nachforschungen welcher Art?«, erkundigte sich die Kommissarin neugierig.

Jule schüttelte den Kopf. Sie wollte nicht auch noch Chris in die Ermittlungen der Polizei verwickeln. »Das ist unerheblich.« Sie erhob sich. »Ich muss Sie bitten zu gehen. In einer halben Stunde ist das Licht zu schwach, um brillante Fotos zu schießen.«

Ihr Gast stand auf und reichte ihr eine Karte.

»Falls Ihnen noch etwas einfällt, melden Sie sich bei mir.«

Jule nickte und begleitete sie nach draußen.

Sie atmete erleichtert auf, als sie die Tür hinter ihr ins Schloss drückte.

Gedankenversunken trottete sie in die Küche, holte eine Flasche Bitter Lemon aus dem Kühlschrank und kehrte in den Garten zurück.

Sie setzte sich auf die Bank und ließ ihre Gedanken schweifen.

Doch genießen konnte sie die schwächer werdenden Strahlen der untergehenden Sonne nicht mehr. Nicht nach diesem Gespräch.

Martin Lammer beherrschte ihr Denken. Sein gewaltsamer Tod schockierte sie. Er war bestimmt kein Unschuldslamm, dass wusste sie bereits, seit sie mit ihm zusammen gewesen war. Schon immer versuchte er, sich mit Geschäften, die hart an der Grenze der Legalität lagen, über Wasser zu halten. Angelegenheiten, von denen sie nichts wissen wollte und über die sie auch nie gesprochen hatten.

Offenbar war er an die Falschen geraten. Was hatte er angestellt, dass er getötet wurde?

Sie rief sich das Telefonat mit ihm noch einmal ins Gedächtnis. Mit keinem Wort hatte er angedeutet, dass er in Schwierigkeiten steckte. Das Gegenteil war der Fall. Er wirkte zufrieden, keinesfalls besorgt. Eher euphorisch. Wie jemand, der alles im Griff hatte und eine goldene Zukunft vor sich sah. Wahrscheinlich ahnte er vor zwei Tagen nicht, in welcher Gefahr er sich befand.

Sie trank einen Schluck und lehnte sich gegen das Polster der Rückenlehne. Erinnerungen stiegen in ihr auf. Sie grübelte über die gemeinsame Zeit mit Martin nach.

Schon damals hatte er stets über ausreichend Geld verfügt. Wenn sie zusammen etwas unternahmen, brauchte sie an die Rechnung keinen Gedanken verschwenden. Er lud sie immer ein, ungeachtet der Preise. Im Gegenteil. Er protzte dermaßen mit seinem Reichtum, dass es ihr peinlich war. Deshalb unterdrückte sie stets die Frage, woher das Geld stammte. Sie wollte sich nicht stundenlang aufgeblasene Geschichten anhören.

Anfangs dachte sie, er besäße einen gut bezahlten Job im Außendienst, weil er ständig unterwegs war und sie sich nur sporadisch trafen. Bis sie erfuhr, dass er die meiste Zeit bei Ole verbrachte.

Ole Leitner. Obwohl sie ihn seit der Schulzeit nicht mehr gesehen hatte, verspürte Jule Hass auf ihn. Er war für ihre schlimmsten Erlebnisse verantwortlich und hatte ihre letzten Jahre auf dem Gymnasium zu einem Spießrutenlauf werden lassen.

An einem heißen Sommertag überschüttete er sie mit eiskaltem Wasser. Mitten auf dem Schulhof. Bei dem Gedanken an das Ereignis rann noch immer ein fröstelnder Schauer ihren Rücken herab. Sie sah die Szene wieder vor sich, jede Einzelheit.

Das nasse T-Shirt klebte an ihrem Körper, spannte sich über ihre kleinen Brüste, den von der Kälte erigierten Brustwarzen. Sie wäre am liebsten im Erdboden versunken, doch diese Gnade wurde ihr verwehrt.

Alle starrten sie an, dann erscholl lautes Gelächter und Gejohle über den Pausenhof. Jule bedeckte ihren Brustkorb mit den Händen und rannte los. Nicht zurück ins Gebäude, sondern hinunter vom Schulgelände. Lief mit verschränkten Armen durch die Straßen und verlangsamte ihre Schritte erst, als sie das Haus ihrer Oma erreichte.

Eine Woche blieb sie der Schule fern. Sieben Tage, in denen ihre Oma ihr Mut zusprach und ihr Selbstvertrauen aufbaute. Sie half Jule neuen Mut zu schöpfen.

Doch die aufmunternden Worte der alten Frau verblassten, als sie wieder die Klasse betrat. Alle starrten sie an und witzelten hinter ihrem Rücken. Sie ignorierte die anzüglichen Kommentare. Gerade so laut, dass sie es hörte.

Erst zum Ende des Schuljahres ließen die Bemerkungen nach. Doch die Bloßstellung und Häme, die man ihr in der Zeit entgegenbrachte, begleiteten sie noch den Rest der Schulzeit und stiegen mit jeder gescheiterten Beziehung wieder in ihr auf.

Sie schottete sich von den Klassenkameraden ab, konzentrierte sich auf den Lehrstoff und gehörte zu den ersten, die nach Schulschluss den Schulhof verließen. Sie entwickelte sich zu einer Außenseiterin.

Als es die Abschlusszeugnisse gab, fühlte sie sich erleichtert und froh.

Jetzt konnte sie ihr neues Leben beginnen. Der Abschlussfeier blieb sie fern.

Sie bereitete sich auf ihr Studium vor, doch als ihre Großmutter verstarb, stürzte sie in ein tiefes Loch.

Unfähig ihr Studium zu beenden, kapselte sie sich weiter von der Außenwelt ab.

Ohne Christian Bast, der sich väterlich um sie kümmerte, wäre sie wohl in ihrer Trauer versunken.

Eines Tages war Martin aufgetaucht. Sie saß am Westhang der Halde und ließ ihren vom Alkohol getrübten Blick über Königshardt gleiten. Er lief an ihr vorbei, hielt an und drehte sich zu ihr um.

»Jule?« Langsam kam er auf sie zu. Er setzte sich neben sie, und sie konnte bis heute nicht sagen, warum sie ihm vom Tod ihrer Oma erzählte.

Martin hörte still zu, sagte nur selten etwas. Es half ihr, sich die Trauer von der Seele zu reden. Und doch war es rückblickend ein Fehler gewesen, sich mit ihm einzulassen. Das wusste sie mittlerweile.

Er wurde auf der Halde ermordet, ging es Jule durch den Kopf.

Warum war er dort? Was hatte er damals dort gemacht? Sie hatte ihn nie gefragt, war davon ausgegangen, dass er nur spazieren ging. Sie schüttelte den Kopf. Nein, das stimmte nicht. Sie hatte gar nicht darüber nachgedacht. Es interessierte sie zu der Zeit nicht.

Er hörte ihr zu, und sie bedankte sich mit Sex bei ihm, obwohl sie den Sex ebenfalls genoss. Aber nach ein paar Wochen zerbrach die Liaison, weil ihr Lebenswille zurückkehrte.

Hätte sie es der Kommissarin sagen sollen? Vollmer hatte sie aufmerksam angeschaut. Wahrscheinlich glaubte sie ihr nicht, doch Jule fand, dass es die Frau nichts anging, da es sich lediglich um eine Affäre gehandelt hatte, die mittlerweile vorbei war.

Dennoch missfiel es Jule, dass die Polizei sie offenbar verdächtigte. Als ob sie, oder gar ihre Oma, Hehlerware kaufen würden.

Vielleicht sollte sie eigene Ermittlungen anstellen, um den Verdacht zu entkräften. Einige Erfahrungen konnte sie schon bei den Aufträgen von Chris sammeln. Auch wenn es sich dabei nur um das Überwachen untreuer Ehemänner und Ehefrauen handelte.

Je länger Jule darüber nachdachte, desto besser gefiel ihr die Idee. Ja mehr noch. Sie brannte darauf, den Fall aufzuklären. Vor der Polizei, um Frau Vollmer zu zeigen, wie dumm ihre Unterstellungen waren.

Kapitel 2

»Sehe ich gut aus?« Isabell Schlosser strich eine Falte an ihrem neuen Kleid glatt. Sie setzte ihr offizielles Lächeln auf und schaute ihren Mann erwartungsvoll an.

»Du gefällst mir immer«, kam die Standardantwort aus seinem Mund, ohne dass er sie überhaupt eines Blickes würdigte.

»Du hast mich noch nicht mal angeschaut.«

»Ich weiß, wie du aussiehst.«

»Aber nicht in diesem Kleid.«

Sichtlich genervt warf er ihr einen kurzen Blick zu. »Wie bereits gesagt, gefällst du mir«, sagte er dann und wandte sich wieder ab.

»Interessiere ich dich überhaupt noch?«

»Fang doch nicht schon wieder damit an.« Seine Stimme klang verärgert. »Ich führe ein erfolgreiches Unternehmen und wir sind seit etlichen Jahren verheiratet. Es ist doch logisch, dass wir nicht mehr so verliebt sind, wie wir es zu Beginn waren. Bei uns ist der Alltag eingekehrt.«

Enttäuscht wandte sie sich ab.

Stände sie nackt vor ihm, würde es ihn wohl ebenso wenig interessieren.

Sie schob die Augenbrauen nach oben und verdrehte die Augen. Ihre hochhackigen Gianvito Rossi klackerten auf den Marmorfliesen der Diele, bis sie den gewebten Teppichboden des Schlafzimmers betrat.

Auch ihre neue, einhundertachtzig Euro teure Frisur erwähnte er, wie stets, mit keiner Silbe.

Isa trat vor ihren Schminktisch und legte widerwillig die Halskette um. Der Familienschmuck. Ein uraltes hässliches Ding. Dicke, überproportionale goldene Glieder hielten ein verschnörkeltes Amulett, in dem ein matter roter Stein eingefasst war. Isa hasste die Kette. Doch für den Patron, wie sie Carstens Vater gerne titulierte, war das Familienerbstück bei den Familienfesten von großer Bedeutung.

Isabell seufzte. Ihr Gatte unternahm alles, um die Aufmerksamkeit und Zuneigung des Alten zu erlangen. Ein Verhalten, das ihr ebenso unsinnig wie wenig erstrebenswert erschien. Insbesondere, da ihr Mann durchaus in der Lage war, sein eigenes Leben zu gestalten, ohne auf die Familienbande Rücksicht nehmen zu müssen.

Ein kindliches Verlangen nach Anerkennung des Vaters kettete ihn wohl für den Rest seiner Lebenszeit an das Familienoberhaupt. Der Patron würdigte diese hündische Ergebenheit allerdings mit beispielloser Ignoranz.

Isabell verfluchte jegliche Art von Familienzusammenkünften.

Wie bei jedem Aufeinandertreffen sprach Wolfram sie auf den von ihm sehnlichst erwarteten Nachwuchs an, und wie seit Jahren schon würde sie ihm die Unfruchtbarkeit des Sohnes verschweigen.

Sie hatte ihrem Ehemann schwören müssen, niemals ein Wort darüber zu verlieren, und fühlte sich trotz aller Differenzen mit ihm an ihren Schwur gebunden.

War es doch auch ein Druckmittel gegen ihn, sollte er mal wieder in Versuchung geraten, sein Geltungsbedürfnis an ihr auszuleben.

Ihr Gatte, der nicht Manns genug war, dem Senior die Wahrheit zu gestehen. Andererseits genoss er es jedoch, Mitmenschen mit seiner Macht zu manipulieren und zu unterdrücken.

Obwohl Wolfram es offenbar ahnte. Den Eindruck hatte sie jedenfalls beim letzten Treffen bekommen.

Scheinbar gab er sich nun der Hoffnung hin, dass Sebastian den Familiennamen weitergab. Bei dem Gedanken grinste Isabell.

In ihren Augen war Bastian keineswegs an Frauen interessiert, und keiner der übrigen Familienmitglieder schien es bisher bemerkt zu haben. Nicht einmal Carsten, der sich viel auf seine gute Menschenkenntnis einbildete und von ihnen die meiste Zeit mit dem Bruder verbrachte.

Insgeheim konnte sie es kaum erwarten, dass Sebastian sich outen würde. Insbesondere auf die Reaktion des Alten freute sie sich. Malte sich in ihren Tagträumen das Entsetzen und die Fassungslosigkeit in dem runzeligen Gesicht aus.

Doch sie würde die Familie nicht über die Vorlieben des jüngeren Sohnes aufklären.

Sie selbst fühlte sich dem Schlosser-Clan nicht zugehörig. Für den Rest der Sippe, mit Ausnahme von Basti, war sie nur die Eingeheiratete, die keinerlei Ansprüche stellen durfte. Zu Beginn der Ehe wurde sie von allen herzlich aufgenommen. Bestand ihre Aufgabe doch darin, einen Stammhalter zu gebären. Schnell hatte sie herausgefunden, dass sie ansonsten die Entscheidungen der Familie zu respektieren und ihren Mann nach besten Kräften zu unterstützen hatte. Ein blondes Aushängeschild für Repräsentationen der Firma. Bei diesen Überlegungen verzog sich Isabells Mund zu einem süffisanten Grinsen.

Sie hatte ihnen ein Schnippchen geschlagen. Der gesamten buckligen Verwandtschaft. Keiner wusste oder ahnte etwas von ihrem Verhältnis zu Martin. Der junge Mann gab ihr all das, was sie in ihrer Ehe schmerzhaft vermisste. Aufmerksamkeit, Respekt und das Gefühl, begehrenswert zu sein. Auch wenn die Affäre zu dem jugendlichen Galan im Moment keinesfalls einfach war.

Bei ihrem letzten Treffen waren sie im Streit auseinander gegangen. Noch immer verspürte Isa deswegen ein schlechtes Gewissen. Das ganze Wochenende hatte sie vergebens auf ein Lebenszeichen von ihm gewartet. Sein beharrliches Schweigen irritierte und verärgerte sie gleichermaßen. Sie war es nicht gewohnt, ignoriert zu werden. Zumindest nicht von ihm.

Er hatte ihr allen Ernstes vorgeschlagen, mit ihm durchzubrennen. Die Aufforderung überraschte sie dermaßen, dass sie laut aufgelacht hatte.

Doch als sie sein Gesicht sah, die Enttäuschung in seinen Augen, bemitleidete sie ihn.

Auf dem Nachhauseweg dachte sie über den unsinnigen Vorschlag nach. Sie musste sich eingestehen, dass sie sich geschmeichelt gefühlt hatte. Auch wenn eine Trennung von ihrem Mann für sie nicht zur Diskussion stand. Wie war Martin nur auf diese Idee gekommen?

Natürlich genoss sie die Zärtlichkeiten, gaben die liebevollen, fordernden Berührungen ihr doch das Gefühl, eine begehrenswerte Frau zu sein. Er war so jung und ungestüm, hatte einen durchtrainierten Körper, dessen Muskeln sie unter der glatten Haut ertasten konnte. Die Geschmeidigkeit seiner Haut erinnerte sie schmerzlich an ihre wilden Jahre, die sie ihrer Meinung nach schon lange hinter sich gelassen hatte. Und der kritische Anblick ihres Spiegelbildes bestärkte sie in dieser Ansicht.