Suttler und die alte Dame - Marco Rievel - E-Book

Suttler und die alte Dame E-Book

Marco Rievel

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Beschreibung

Suttler und die alte Dame‹ ist die zweite Mordermittlung für die Privatermittlerin Jule Suttler. Der Regionalkrimi spielt wieder in Oberhausen, wo Jule am Fuß der Halde Haniel lebt. Was zunächst nach der einfachen Observation eines untreuen Schwiegersohns aussieht, änderte sich, als Jules Auftraggeberin ermordet wird. Der Schwiegersohn gehört sofort zu den Hauptverdächtigen, doch auch die anderen Familienangehörigen profitieren vom Tod der alten Dame. Schon bald sieht sich Jule einer unüberschaubaren Informationsflut gegenüber. Die Familienmitglieder beschuldigen sich gegenseitig, und versuchen ihre eigenen Geheimnisse zu wahren. Auch die langjährige Gesellschafterin der alten Dame gerät in den Fokus der Ermittlungen. Als der Schwiegersohn verschwindet, beginnt Jule mit der Suche nach ihm. Dabei bemerkt sie nicht, dass der Täter bereits auf sie aufmerksam geworden ist. Eine weitere Leiche bringt die bisherigen Ermittlungen der Oberhausener Privatdetektivin völlig durcheinander. Jule muss von vorn beginnen, doch für den Mörder weiß sie bereits zu viel.

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Marco Rievel

Suttler und die alte Dame

Suttlers zweiter Fall

© 2019 Marco Rievel

Lektorat, Korrektorat: Thorsten Breuer

Coverbild von pixabay

Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

 

Paperback:

978-3-7497-8244-4

Hardcover:

978-3-7497-8245-1

e-Book:

978-3-7497-8246-8

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Kapitel 1

»Das wird in einem Desaster enden«, murmelte Angelika Trebitz. Unruhig glitt ihr Blick über den gedeckten Tisch, verharrte einige Sekunden auf dem silbernen Kerzenhalter. Die Teller, die Gläser, das Blumengesteck, das die Mitte der Tafel schmückte. Hatte sie alles bedacht?

Erneut strich sie mit der Handfläche die faltenfreie, weiße Leinentischdecke glatt, trat zwei Schritte zurück und betrachtete den Raum.

Wenn die Feier doch schon vorbei wäre! Unbewusst rieb sie mit der Hand über ihren Bauch, verdrängte den leicht ziehenden Schmerz, der sie seit dem gestrigen Abend vor lauter Nervosität quälte.

Aus der Diele hörte sie das Knarren einer Zimmertür. Jetzt würde es nicht mehr lange dauern, bis die Hausherrin erschien.

Angelika trat rasch an den Tisch, wischte zum wiederholten Male mit dem Trockentuch über einen silbernen Löffel und richtete das Besteck neu aus. Das Tuch ließ sie in ihrer Schürze verschwinden. In Gedanken rief sie die Gästeliste auf und ordnete den Personen die Stühle zu, obwohl es sich bei jeder Familienfeier um die gleiche Anzahl Gäste handelte.

Sie hörte die Schritte der Alten auf den Holzdielen. Angelika trat beiseite und drehte sich zur Tür um.

Brunhilde van Heuvel erschien im Türrahmen, den ihr voluminöser Körper ausfüllte. Sie hatte ihre Festtagsgarderobe angezogen und den Schmuck, der sich seit vier Generation im Familienbesitz befand, angelegt. Die großen Glieder der goldenen Kette, die über ihrer Seidenbluse hingen, glänzten ebenso wie die Augen der alten Dame. Die grauen lockigen Haare lagen dicht am Kopf an. Nicht eine Strähne stand ab. Sie sah aus, als wäre sie soeben aus einem Friseursalon gekommen. Wahrscheinlich hatte sie die Nacht im Sitzen verbracht, um dieses Kunstwerk nicht zu zerstören, dachte Angelika.

Alles an Brunhilde erinnerte an eine adelige Lady. Eine Gestalt, wie man sie nur noch aus alten englischen Filmen kannte. Sie wirkte unnahbar. Unzählige Altersflecken waren auf dem von Falten übersäten Gesicht unregelmäßig verteilt, und die schmalen Lippen waren von feinen Runzeln umsäumt. Doch ihren wachsamen Augen entging nichts, und der scharfe Verstand konnte jeder Unterhaltung problemlos folgen.

Angelika hoffte, dass sie mit zweiundachtzig Jahren noch ebenso fit wäre, wenn sich ihr Traum vom eigenen Café endlich erfüllt hätte.

Die Alte schaute sie einen Moment nachdenklich an, schien ihre Nervosität zu spüren.

»Bereit für die Schlacht?«, fragte Brunhilde lächelnd. Ihr war die Vorfreude auf die bevorstehende Familienzusammenkunft anzusehen. »Mach dir mal keine Sorgen. In einigen Stunden ist alles vorbei. Und wenn meine Sippschaft frech wird, werfen wir sie alle miteinander raus. Ich habe so viele Familienfeiern erlebt, dass es auf eine weitere nicht mehr ankommt.« Sie schwieg einen Augenblick. »Selbst wenn es mein letztes Osterfest sein sollte, lasse ich mir den Tag nicht von der Verwandtschaft vermiesen.«

Angelika runzelte die Stirn. »Über den Tod scherzt man nicht«, sagte sie entrüstet, doch ihre Arbeitgeberin lächelte sanft.

»Das war kein Spaß. Ich bin mir nur meines Alters bewusst und weiß, dass auch mein Leben endlich ist. Selbst wenn es mir im Augenblick gut geht.« Sie zögerte einen Moment, dann straffte sich ihr Körper. »Deshalb werden wir dieses Fest feiern, als wäre es das letzte.«

Kapitel 2

Der schrille Türgong kündigte die ersten Gäste an. Angelika zuckte zusammen. Sie wischte ihre Hände an der Schürze ab und atmete tief ein. Jetzt ging es los. Sie streckte ihren Oberkörper und schritt zur Tür. Die Gastgeberin, Brunhilde, postierte sich neben ihren Sitzplatz. Eine Hand ruhte auf der Rückenlehne. Mit angespannter Miene erwartete Brunhilde die Gäste.

Angelika öffnete die Tür.

Thomas van Heuvel, der Stammhalter der Familie, und seine Frau Melissa lächelten sie an. Doch Angelika bemerkte die feinen Sorgenfalten, die sich in ihren Gesichtern abzeichneten. Ebenso fiel ihr die Kleidung auf, die sie bereits bei ihrem letzten Besuch getragen hatten. Gewiss, die Sachen waren sauber und ordentlich, allerdings war es in der Familie nicht üblich, mit demselben Ensemble auf verschiedenen Feiern zu erscheinen. Beide mussten sich doch darüber im Klaren sein, dass Uwe, ihr Schwager, sich diesen Fauxpas nicht entgehen lassen und mit bissigen Bemerkungen vor der versammelten Familie darauf reagieren würde. Angelika sah eine friedliche Familienfeier in weite Ferne rücken.

»Frohe Ostern, Frau Trebitz«, begrüßte Thomas sie und reichte ihr die Hand. Melissa nahm Angelika kurz in den Arm und drückte sie, als gehöre sie zur Familie. Eine kleine Geste, die Angelika viel bedeutete. Sie führte die beiden ins Esszimmer.

Thomas, der Sohn der Alten, war ein eingebildeter Snob, doch seine Frau konnte sie gut leiden.

»Hallo Mutter«, begrüßte Thomas Brunhilde, umarmte sie und küsste sie auf die Wangen. »Ich wünsche dir ein schönes Osterfest.« Dann schaute er sich im Zimmer um. »Sind wir die Ersten?«

»Wie stets bei unseren Familienfeiern«, erwiderte die Alte freundlich, als habe es die Auseinandersetzungen und Streitereien bei den letzten Besuchen nicht gegeben.

Brunhilde wandte sich der Schwiegertochter zu.

»Schön, dass ihr es geschafft habt.« Sie reichte Melissa die Hand und nahm das Geschenk entgegen.

»Frohe Ostern, Mutter.«

»Das war doch nicht nötig«, echauffierte sich die Gastgeberin, während sie das Geschenkpapier vorsichtig öffnete, damit es noch benutzt werden konnte.

Angelika konnte ihre Neugierde nicht unterdrücken und trat einen Schritt zur Seite, um das Geschenk zu begutachten. Es handelte sich um das Lieblingsparfüm der Alten. Ein Duft, der seit Jahren der Wohnung eine feine Note verlieh.

»Melissa hat es für dich ausgesucht«, erklärte Thomas und zwinkerte seiner Frau aufmunternd zu. Ein feines Lächeln zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab.

Brunhilde betrachtete das Geschenk gleichgültig und reichte es, gemeinsam mit dem Papier, Angelika.

»Ich habe mittlerweile soviel davon, dass ich einhundertfünfzig Jahre alt werden muss, um alles aufzubrauchen. Trotzdem danke.« Das Lächeln auf Melissas Gesicht verschwand. Sie blickte ihren Mann an und zog die Augenbrauen hoch.

Angelikas Wangen röteten sich. Sie vermied den Blickkontakt zu Melissa und Thomas und wandte sich stattdessen ab.

Das Geschenk stellte sie auf die Anrichte und verstaute das Papier, nachdem sie es sorgsam gefaltet hatte, in der Schublade.

Brunhilde hatte gelogen. Den letzten Flakon hatte Brunhilde vor einigen Wochen angebrochen. Doch dass würde sie niemals zugeben, bedeutete es doch, dass sie Dankbarkeit zeigen müsste. Eine Eigenschaft, die Brunhilde nicht besaß, wie jeder im Raum wusste. Doch niemand stellte Brunhilde zur Rede.

Angelika vermied es, wie stets, ihre Arbeitgeberin bloßzustellen. In ein paar Tagen würde sie mit ihr darüber sprechen, ohne Zuhörer. Auch wenn ihr Brunhildes Verhalten nicht gefiel. Die beiden Frauen hatten ein gutes Verhältnis zueinander, aber das gab ihr das nicht das Recht, ihre Arbeitgeberin vor anderen zu maßregeln.

Thomas und Melissa schwiegen ebenfalls. In ihnen schlummerte die Zuversicht, Brunhilde würde dank ihres Vermögens Thomas' Firma vor dem finanziellen Ruin retten.

Nur deshalb ließ Melissa die Sticheleien der Alten über sich ergehen. Auch Thomas schwieg, warf seiner Ehefrau lediglich einen dankbaren Blick zu. Seine Hoffnung, seine Mutter würde ihm helfen, hinderte ihn daran, gegen seine Mutter aufzubegehren. Nur zu genau erinnerte sich Angelika an die ungezählten Gespräche bei den bisherigen Familienfesten.

Brunhilde hatte es jedoch stets vermieden, dem Sohn ihre Hilfe anzubieten, obwohl sie die finanziellen Mittel besaß. Offenbar bereitete es ihr ein teuflisches Vergnügen, ihn hinzuhalten. Befürchtete sie, dass, Thomas und seine Ehefrau sich von ihr abwenden würden, wenn die Firma wieder florierte? Sie ihre Macht über die beiden verlieren würde? Oder lag es an Melissa? Die beiden Frauen hatten sich noch nie verstanden.

Thomas, Melissa und die Gastgeberin setzten sich auf ihre angestammten Plätze an der Tafel, als es erneut klingelte.

Jetzt kommt der Rest der Familie, dachte Angelika und ging zur Tür. Zu ihrem Erstaunen standen jedoch nur Tamara und Uwe Schwedt im Hausflur.

»Wo ist Nick?«, sagte Angelika.

»Der hat etwas im Wagen vergessen. Er kommt gleich nach«, erklärte Tamara ihr schmunzelnd. Uwe schritt mit einem kurzen Nicken an ihr vorbei. Tamara reichte Angelika die Hand, um sie zu begrüßen. »Wir wünschen Ihnen frohe Ostern. Lehnen Sie die Tür nur an, dann müssen Sie gleich nicht wieder extra los.« Mit einem weiteren Lächeln entschuldigte sie sich für die Missachtung ihres Ehegatten, ehe sie ihm folgte.

Angelika lehnte die Tür an. Beruhigt, dass der Enkel der Alten ebenfalls erscheinen würde. Sie wusste, wie sehr Brunhilde an ihm hing. Wäre er der Feier ferngeblieben, hätte das Brunhilde den gesamten Abend und wohl auch die kommenden Tage gründlich verdorben. Schon jetzt plante Brunhilde die Geburtstagsfeier im nächsten Jahr. Der achtzehnte Geburtstag sollte für ihren Enkel unvergesslich werden. Schon seit Wochen unterbreitete sie Angelika neue Ideen für das große Fest, wie sie es nannte.

Jedes Mal, wenn Brunhilde davon erzählte, freute Angelika sich mit ihr. Die Augen der Alten funkelten dann unternehmungslustig und sie wirkte um Jahre jünger. Angelika hoffte nur, dass Nick seine Oma auch weiterhin so regelmäßig besuchen würde wie bisher. Immerhin erhielt er zu seiner Volljährigkeit eine Menge Geld von seiner Oma.

Aber wahrscheinlich ist er clever genug, sich die regelmäßigen Zuwendungen seiner Oma nicht entgehen zu lassen, die stets darauf bedacht war, ihrem Enkel eine Freude zu bereiten.

Was der kleine Schmarotzer genau weiß, ging es Angelika durch den Kopf. Sie grinste bei dem Gedanken, konnte sie ihn nur zu gut verstehen. Sie selbst war auch mal in dem Alter gewesen und hatte jede Mark gebraucht.

Sie betrat das Esszimmer, in dem alle versammelt waren.

»Nick kommt gleich. Er hat nur etwas im Wagen vergessen«, erklärte Uwe seiner Schwiegermutter und ließ sich auf einen Stuhl fallen.

Brunhilde lächelte beruhigt.

»Dann können Sie ruhig schon den Aperitif bringen, Frau Trebitz. Mit der Vorspeise warten wir allerdings, bis mein Enkel da ist.«

Angelika nickte ihr zu und verschwand in der Küche. Wenig später trug sie das Tablett mit den fünf Gläsern ins Esszimmer. Den Apricot Bellini hatte sie bereits am Morgen vorbereitet und nur noch mit gekühltem Champagner aufgefüllt. Natürlich hatte sie ihn probiert, zumindest einen kleinen Schluck, ehe sie ihn servierte. Er war ihr gelungen.

Die Gesellschaft saß wie bei jeder Familienfeier auf ihren angestammten Plätzen. Brunhilde van Heuvel thronte an der Kopfseite des Tisches. Zu ihrer Rechten saßen ihr Sohn Thomas und seine Frau Melissa. Auf der anderen Seite, ihnen gegenüber, Tamara und Uwe. Daneben stand der leere Stuhl von Nick.

Ein weiterer unbesetzter Platz, an dem jedoch eingedeckt war, befand sich an der anderen Kopfseite. Dort saß früher immer Josef van Heuvel, der Hausherr. Seit seinem Tod hatte niemand mehr auf dem Stuhl gesessen.

Die Anwesenden stießen miteinander an.

Während sie auf Nick warteten, entwickelte sich eine unverbindliche Unterhaltung. Angelika sammelte die Gläser ein und brachte sie zurück in die Küche. Als sie zurückkehrte, unterhielt sich die Familie über das Wetter. Ein künstlich am Leben gehaltenes Gespräch. Es diente lediglich dazu, jedwede private Gesprächsthemen zu vermeiden oder zumindest so lange wie möglich hinauszuzögern.

Angelika bemerkte die lauernden Blicke, die sie sich zuwarfen. Sie spürte die Anspannung der Anwesenden, kannte sie doch die unterdrückten Konflikte der einzelnen Familienmitglieder, die unter den aufgesetzten freundlichen Mienen brodelten.

Es schien, als warte jeder auf einen Fehler der anderen. Insbesondere die beiden Männer belauerten sich. Wie zwei Kater, die in ihrem Versteck auf eine günstige Gelegenheit warteten, zuzuschlagen.

»Ich hoffe, ihr habt genug Heizöl im Haus, Melissa. Wie es scheint, wird der Sommer noch eine Weile auf sich warten lassen. Wenn man den Meteorologen trauen kann«, sagte Uwe zu seiner Schwägerin.

Die verdrehte die Augen. Ehe sie etwas erwidern konnte, ergriff Thomas das Wort. »Wir benötigen jedenfalls keine Wolldecken, um abends im Wohnzimmer zu sitzen. Im Gegensatz zu euch.«

Uwe grinste ihn süffisant an. »Zumindest können wir uns Wolldecken leisten. Bei euch reicht es ja offensichtlich nicht mal mehr für neue Kleidung.«

Tamara stieß ihm mit dem Ellenbogen in die Seite. »Lass es!«. Sie wandte sich ihrem Bruder zu.

»Wir beheizen nur die wichtigsten Räume. Die, in denen wir uns längere Zeit aufhalten. Diese Kälte kostet sonst ja ein Vermögen.«

»Unser Haus ist allerdings auch doppelt so groß wie eures, Thomas«, warf Uwe süffisant grinsend ein.

Brunhildes Blicke wanderten zwischen den Männern hin und her. Aufmerksam betrachtete sie die beiden Streithähne. Wie würde Thomas reagieren? Angelika befürchtete, dass es keine Familienfeier im herkömmlichen Sinne geben würde.

»Hallo zusammen und frohe Ostern«, erstickte Nick den entstehenden Streit im Keim. Er ging auf Brunhilde zu und umarmte sie. »Ich wünsche dir schöne Feiertage, Oma.« Onkel und Tante begrüßte er mit einem Handschlag über den Tisch hinweg, dann setzte er sich zu seinen Eltern.

Die Alte nickte Angelika zu, die die Gesellschaft durch die Durchreiche aus der Küche heraus beobachtete.

Als Angelika mit der Suppenterrine das Esszimmer betrat, verstummten die ohnehin schleppenden Gespräche. Sie begann die Suppenteller zu füllen.

Melissa hielt ihren Kopf tief über den Teller und sog den Duft der Suppe durch die Nase ein. »Die Suppe duftet so köstlich, wie sie aussieht, Frau Trebitz.«

Angelika lächelte sie dankbar an.

»Haben Sie die selbst gemacht?«, fragte Uwe.

Für einen Augenblick hielt Angelika inne. »Natürlich. Im gesamten Haushalt gibt es keine Tütensuppen. Die Zubereitung hat mehrere Stunden gedauert. So etwas kann man nicht in Tüten kaufen. Vor allem verwende ich nur wirklich frische Zutaten.«

»Wo bekommen Sie die denn her?«, fragte Tamara.

»Aus Kösters Hofladen in der Gabelstraße.«

»Das schmeckt man«, sagte Melissa, die bereits einen Löffel probiert hatte.

»Ich wünsche allen einen guten Appetit«, sagte Brunhilde, warf Melissa einen missbilligenden Blick zu und griff nach ihrem Löffel.

Angelika zog sich in die Küche zurück.

Von dort beobachtete sie die zufriedenen Gesichter der Gäste. Geschirr klimperte, während sie aßen. Selbst Nick nahm sich einen Nachschlag. Ihm schien die Suppe zu schmecken.

Und während sie all das beobachtete, driftete Angelika in ihren Tagtraum ab. Nach dem Ableben von Brunhilde gab es garantiert keine weitere Stelle als Gesellschafterin, die sie interessieren würde.

Ihr Wunsch war es, ein eigenes Café zu eröffnen.

Des Öfteren hatte Brunhilde ihr versichert, sie in ihrem Testament großzügig für ihre Dienste zu entlohnen.

Warum sollte die alte Frau sie belügen?

Beinahe hätte Angelika das Ende der Vorspeise verpasst. Sie eilte ins Speisezimmer, räumte die leeren Suppenteller ab und servierte den Hauptgang: Lammbraten, Kartoffeln, Spargel und Sauce Hollandaise. Anschließend kehrte sie wieder in die Küche zurück.

An die Arbeitsplatte gelehnt atmete sie tief durch. Bisher war alles glatt verlaufen. Das Gespräch über die hohen Heizkosten schien vergessen zu sein.

Sollte es dieses Osterfest keinen Streit geben?

Angelika räumte den Geschirrspüler ein. Doch ihre Neugierde ließ sie immer wieder einen kurzen Blick durch die halb geöffnete Durchreiche werfen. War ihr der Braten gelungen? Es schien allen zu schmecken.

Als sich der Hauptgang dem Ende zuneigte, stieg Angelikas Nervosität. Sie hatte zwei Torten vorbereitet, Eigenkreationen, die sie auf die Menükarte ihres Cafés setzen wollte. Wie reagierten die Gäste darauf? Das war die wichtigste Frage für sie bei dieser Mahlzeit.

In einigen Jahren würde sie mit ihren Torten und Kuchen ihren Unterhalt verdienen.

Nachdem sie den Hauptgang abgeräumt und die Torten serviert hatte, brachte sie es nicht fertig, das Esszimmer zu verlassen und sich in die Küche zurückzuziehen. Zu gespannt war sie auf die Reaktion der Gäste. Die beiden Torten waren der Abschluss ihrer Versuche, die Speisekarte mit einzigartigen, persönlichen Kuchenkreationen zu vollenden. An den Gesichtern der Anwesenden konnte sie erkennen, dass es ihr gelungen war.

»Das Rezept müssen Sie mir unbedingt aufschreiben«, sagte Melissa voller Begeisterung, noch bevor sie einen weiteren Happen von ihrem Tortenstück abtrennte.

Brunhilde lachte auf und lehnte sich zufrieden zurück. Sie ließ ihren Blick über die Anwesenden schweifen. Ein feines Lächeln umspielte ihre Lippen. »Das Rezept wird niemand bekommen. Die Torten dürft ihr nämlich irgendwann im Café Trebitz genießen, wenn Angelika sich mit meiner Hilfe endlich ihren Traum vom eigenen Café erfüllt.«

Schlagartig wurde es ruhig am Tisch. Alle Blicke ruhten einen Augenblick auf Brunhilde, richteten sich dann aber auf Angelika.

»Du willst ein Café eröffnen?«, fragte Thomas fassungslos. Er schaute seine Frau verständnislos an. Auch die anderen warfen sich verwirrte Blicke zu.

»Wenn du in ein Restaurant investieren willst, kann ich dich beraten, Brunhilde«, bot Uwe sich geschäftsmäßig an.

Die Alte winkte vergnügt ab. »Ich investiere nicht. Ich werde doch nicht auf meine Gesellschafterin verzichten. Der einzigen Person, die immer für mich da ist.« Sie ließ einen vorwurfsvollen Blick über die Anwesenden gleiten. »Nein, ich werde sie großzügig im Testament bedenken. Nach meinem Ableben wird sie über genug Kapital verfügen, um sich ihren Traum zu verwirklichen.« Sie machte eine kurze Pause und beugte sich ihrem Sohn lächelnd zu. »Was sollte ich sonst mit dem Geld anfangen?«

Thomas schnappte nach Luft. Sein Gesicht verfärbte sich dunkelrot. Sprachlos, mit offenem Mund, starrte er die Mutter an, überlegte wohl, ob die Frage ernst gemeint war.

»Du könntest deinen Sohn unterstützen«, fuhr Melissa Brunhilde erbost an. »Du weißt ganz genau, dass es unserem Unternehmen im Moment nicht sonderlich gut geht. Tu doch nicht so …«

»Eurer Firma ging es nie gut«, unterbrach Uwe Melissa. Seine Frau und sein Schwager blickten ihn finster an.

»Aber wir haben es immer geschafft, das Unternehmen zu retten«, erwiderte Thomas wütend.

»Bisher jedenfalls. Trotzdem geriet die Firma immer wieder in Schieflage. Wie wird es weitergehen, wenn Schwiegermama dieses Mal kein Geld für euch locker macht? Vielleicht ist ihr das Café ihrer Angestellten wichtiger und in ihren Augen auch erfolgversprechender als deine Firma«, stichelte Uwe höhnisch lächelnd.

»Meinem Unternehmen wird es bald besser gehen. Es sind im Moment halt schwierige Zeiten.«

Uwe lehnte sich zurück. »Davon merke ich nichts. Die Geschäfte florieren.«

»Du verkaufst den Menschen Hoffnung und ein Gefühl der Sicherheit, ohne ihnen in irgendeiner Weise einen Gegenwert zu liefern. Wer weiß schon, ob die Versprechungen deiner Gesellschaft jemals eingehalten werden.«

Uwe ignorierte den Vorwurf.

»Zumindest verkaufe ich etwas und bringe Geld nach Hause, um meine Familie zu ernähren.« Er blickte Tamara grinsend an, wohl wissend, dass er ins Schwarze getroffen hatte, doch die wandte den Kopf ab und verzog abfällig den Mund.

Angelika verdrehte die Augen. Sie hatte sich zu früh gefreut. Es würde wieder mit einem Streit enden. Offenbar konnten sich die Familienmitglieder nicht gemeinsam an einen Tisch setzen und ihre Differenzen mal für ein paar Stunden vergessen.

»Thomas bringt auch Geld nach Hause. Nur weil er nicht so eine fette Wampe wie du vor sich herträgt, heißt es nicht, dass wir am Hungertuch nagen. Immerhin besitzen wir die Firma«, mischte sich Melissa wütend in das Gespräch ein.

»Zum Teil«, erwiderte Uwe lächelnd. Den Vorwurf über seine Leibesfülle überhörte er. Er beugte sich zu Thomas vor. »Vielleicht gibt deine Frau einfach zu viel Geld aus.«

Melissa schnaubte: »Ich gebe weniger Geld aus als du für deine Nutten.«

Brunhildes Gesicht verfärbte sich rot. Sie hieb mit der geballten Faust auf den Tisch. »Ruhe! Es sitzen Kinder am Tisch, und ich dulde solche Ausdrucksweise nicht in meinem Haus.« Nick schaute sich mit erstaunt hochgezogenen Augenbrauen um, obwohl er natürlich wusste, dass er selbst mit dem Begriff Kinder gemeint war.

Thomas holte unter den wütenden Blicken seiner Mutter tief Luft, um etwas zu erwidern, doch in diesem Moment ließ der schrille Türgong sie alle zusammenfahren.

Auch Angelika eilte zur Tür.

Die Mieterin der Anliegerwohnung, Verena Berger, stand mit zwei leeren Wassereimern vor ihr. Die kurzen, weißen Shorts, betonten die langen, braungebrannten Beine und zogen jeden Blick auf sich. Was wohl durchaus beabsichtigt war. Ebenso wie bei dem engen bauchfreien Top, das sie trug, unter dem sich der straffe, durchtrainierte Bauch abzeichnete und das ihre Brüste gerade soweit bedeckte, um nicht als anstößig zu gelten.

Ihre Kleidung passte zu einem Hochsommertag auf einer Mittelmeerinsel und keinesfalls ins kühle Deutschland. Die Haare waren unfrisiert und hingen am Kopf hinunter, als wäre sie gerade aus dem Bett gestiegen. Angelikas Meinung nach zeigte sie eindeutig zu viel Haut.

»Was kann ich für Sie tun?«, fragte Angelika, doch Verena antwortete ihr nicht. Sie drückte die Tür auf, drängte sich an der Haushaltshilfe vorbei und ging, ohne ein Wort zu sagen, ins Esszimmer.

Angelika folgte ihr verärgert und hob beschwichtigend die Arme. »Entschuldigung, Frau van Heuvel. Sie ist einfach an mir vorbeigelaufen.«

Verena baute sich vor der Alten auf.

»Ich habe schon wieder kein Wasser in meiner Wohnung«, fuhr sie Brunhilde wütend an.

»Daran kann ich heute natürlich nichts mehr ändern«, antwortete diese gleichgültig, »aber direkt nach den Feiertagen werde ich gerne den Installateur anrufen.«

»Aber ich besitze über die Feiertage kein Wasser!«

»Sie haben doch zwei Eimer dabei.« Brunhilde deutete mit der Hand in Richtung Badezimmer. »Bedienen Sie sich. Und sollten sie einen größeren Bedarf haben, kommen Sie halt wieder. In Notfällen wie diesen müssen Nachbarn zusammenhalten.«

»Und wie soll ich mit den Eimern duschen?«

Die Alte blickte sie entrüstet an, ließ ihren Blick abfällig über den knapp bekleideten Körper gleiten. »Wir feiern gerade ein Familienfest. Sie werden ja wohl kaum annehmen, dass sie hier jetzt duschen können.«

»Ich könnte es mir schon vorstellen«, ließ Uwe verlauten, während er jeden Zentimeter des Körpers erkundete. In seinen Gedanken steht sie wahrscheinlich nackt im Zimmer, ging es Angelika durch den Kopf. Sie betrachtete die Anwesenden. Tamara schaute angewidert weg. Nick starrte die Mieterin ebenfalls an, als könne er sie allein mit Blicken ausziehen. Ganz der Vater, dachte Angelika.

Verena Berger warf Uwe einen vernichtenden Blick zu und verschwand im Badezimmer. Das Wasser rauschte, dann kam sie mit den gefüllten Eimern zurück. Keuchend stellte sie sie in der Diele ab. »Es gibt auch einen Sanitärnotdienst. Dann hätte ich wahrscheinlich heute Abend wieder Wasser. Den können Sie doch anrufen!«

»Wissen Sie, was ein Notdienst kostet?«, sagte Brunhilde.

»Nehmen Sie das Geld von den Mieteinnahmen, die Sie jeden Monat pünktlich von mir bekommen.« Auffordernd blickte sie in die Runde. Tamara stieß ihren Sohn an. »Hilfst du Frau Berger und trägst ihr die Eimer in ihre Wohnung?«

»Ja. Natürlich.« Nick stand auf, schnappte sich die beiden Eimer und folgte der Mieterin, die wutschnaubend die Wohnung verließ.

Die Alte blickte ihnen nach, drehte sich schwerfällig wieder zurück zum Tisch. »Ein unmöglicher Auftritt«, brüskierte sie sich, »es sind Kinder anwesend, und sie läuft halbnackt in der Wohnung herum. Ohne jede Scham.«

Thomas stand auf und verschwand auf der Toilette. Tamara schaute ihre Mutter an. »Nick ist kein Kind mehr. Er wird bald achtzehn.«

Das habe ich an seiner Reaktion gesehen, ging es Angelika durch den Kopf. »Er wird jeden Tag mit Nacktheit konfrontiert, egal wo er sich gerade aufhält«, fuhr Tamara fort. »Im Internet, in der Schule und auch im Fernsehen.«

»Deshalb muss ich es nicht in meiner Wohnung gutheißen und unterstützen. Er wird erst im nächsten Jahr achtzehn«, widersprach die Gastgeberin, »ich bin in dreiundachtzig Jahren noch nie so bekleidet zu einer Nachbarin gegangen.«

Uwe erhob sich. »Das wäre ja noch schöner«, sagte er grinsend zu seiner Schwiegermutter und verschwand ebenfalls im Bad. Als er zurückkehrte, holte er sich den Whiskey, den die Alte nur für Feiern im Schrank bevorratete.

Thomas kam zurück, trat an die Anrichte, in der sich die Hausbar befand, und nahm einige Gläser und Flaschen heraus. Er verteilte die Getränke auf dem Tisch, wobei er die Vorlieben der anderen berücksichtigte.

Uwe schenkte sein Glas voll und trank genüsslich mehrere kleine Schlucke. »Wie lange wird es eurer Firma denn noch gut gehen, solltet ihr keine Unterstützung aus unser aller Erbmasse bekommen?«, fragte er Thomas unvermittelt.

Er kann es einfach nicht lassen, dachte Angelika verärgert.

Thomas schnappte nach Luft. »Was soll die blöde Anspielung?«

»Tu nicht so. Jeder hier weiß, dass die Firma nur deshalb existiert, weil Brunhilde euch seit Jahren unterstützt.«

»Wir haben nicht einen Cent von ihr bekommen«, fuhr Thomas ihn aufgebracht an. Melissa legte ihre Hand auf seinen Arm. Thomas schnaubte.

»Und das wird auch so bleiben«, mischte sich die Alte ein. »Obwohl es dich einen Kehricht zu interessieren hat, was ich mit meinem Geld mache. Du wirst es jedenfalls nicht bekommen«. Sie warf Thomas einen gehässigen Blick zu. Auf seinem Gesicht zeichnete sich Enttäuschung ab. »Weil Thomas es nicht nötig hat«, fuhr Brunhilde fort.

Angelika stand mit angehaltenem Atem in der Küchentür und beobachtete die Szene.

Uwe lachte auf. »Erzähl doch keinen Blödsinn. Sie brauchen jeden Cent, wenn sie die Firma retten wollen.« Tamara gab ihrem Mann unter dem Tisch einen Fußtritt. »Sei still!«, fauchte sie ihn an. Doch Uwe ignorierte ihre Warnung.

»Vielleicht gibt deine Frau wirklich zu viel Geld aus. Bei jeder Familienfeier trägt sie neue Kleidung. Das kann ich mir nicht erlauben«, hieb Brunhilde ebenfalls in die Kerbe.

Überrascht schaute Angelika ihre Arbeitgeberin an. Hatte sie wirklich nicht bemerkt, dass es sich um dasselbe Kostüm handelte wie im letzten Jahr?

»Es reicht, Mutter«, unterbrach Thomas sie wütend und stand auf. »Komm Melissa, wir gehen. Wir werden uns diesen Blödsinn nicht weiter anhören.«

Melissa gehorchte. »Einen Moment noch.« Sie verschwand kurz auf der Toilette.

»Ich habe doch nur eine Frage gestellt«, sagte die Alte verwundert.

Thomas drehte sich zu ihr um und deutete mit dem Finger auf sie. »Ich habe dir mehrmals gesagt, dass du meine Frau zu respektieren hast. Ich erwarte nicht, dass ihr beste Freundinnen werdet, aber den nötigen Anstand für einen kultivierten Umgang kann ich durchaus auch von einer dreiundachtzigjährigen erwarten. Du konntest Melissa noch nie leiden.«

»Ich habe meine Gründe. Immerhin …«

»Deine Gründe interessieren hier niemanden«, schnitt er seiner Mutter das Wort ab. »Ich warne dich, Mutter. Irgendwann wird dir jemand dein loses Mundwerk stopfen. Und das gilt ebenso für dich, Uwe.«

Melissa kam zurück. Thomas ergriff ihre Hand und zog sie mit sich zur Tür, wo Nick ihnen entgegenkam.

»Ist die Feier zu Ende?«, fragte er verwirrt.

»Für uns schon«, antwortete Thomas und drängte an seinem Neffen vorbei.

Nick schlenderte zu seinem Stuhl. Niemand sprach, sie saßen nur auf ihren Plätzen und schaute in die Leere. »Was war denn los? So wütend habe ich Onkel Thomas noch nie gesehen.«

»Nichts«, antwortete Tamara ausweichend. »Wo warst du so lange?«

Nick lächelte verlegen. »Ich habe geschaut, ob ich die Wasserversorgung bei Frau Berger wieder hinbekomme. Da musst du wohl wirklich einen Installateur anrufen, Oma.«

Tamara drehte gedankenversunken das Glas zwischen ihren Fingern und seufzte leise auf.

Angelika betrachtete sie bekümmert. Sie wusste, wie sehr Tamara ihren Bruder mochte. Thomas und Brunhilde gehörten neben Nick zu den wichtigsten Menschen in ihrem Leben. Deshalb betrübte sie der Streit zwischen Thomas und Brunhilde. Selbst Melissa konnte Tamara gut leiden, weil diese die beste Frau für ihren Bruder war. Entsprach die Ehe der beiden doch Tamaras Vorstellung einer idealen Beziehung. Dennoch war Tamara ihnen nicht beigesprungen, obwohl ihre Mutter sich manchmal von ihr umstimmen ließ.

Angelika kannte den Grund für ihr Schweigen.

Die Abhängigkeit von Brunhilde, deren Unterstützung sie benötigt, sobald Nick die Volljährigkeit erreicht hätte.

Noch ein Jahr musst du den Mann an deiner Seite ertragen, dachte Angelika.

»Thomas wird sich schon wieder beruhigen«, versuchte Uwe, Brunhilde zu besänftigen und das Thema wieder aufzunehmen.

Brunhilde lachte auf. »Er ist alt genug. Er sollte wissen, was gut für ihn ist.« Sie richtete sich in ihrem Stuhl auf und schaute Uwe an. »Jeder Mensch hat dunkle Geheimnisse«, sagte sie stattdessen. Für einen Moment zeichnete sich auf Tamaras Gesicht Entsetzen ab.

»Ich nicht«, erwiderte Uwe und lehnte sich entspannt zurück. Er brachte sogar ein gewinnbringendes Lächeln zustande, von dem er glaubte, damit alle überzeugen zu können. Sein Siegerlächeln, wie er es selbst einmal bezeichnet hatte.

Du Träumer, dachte Angelika, die – gemeinsam mit der Tochter - in das Vorhaben der Alten eingeweiht war. Doch Uwe schien von den Vorwürfen, die in der Stimme Brunhildes mitschwangen nichts zu spüren, oder bezog sie in seiner wohl angeborenen Überheblichkeit nicht auf die eigene Person.

»Seit ich ihn kenne, kann er nicht mit Geld umgehen«, sagte Uwe.

»Thomas hatte einfach nur Pech«, ergriff Tamara für ihren Bruder Partei.

Uwe winkte ab. »Pech. Man sagt, Glück ist mit den Fleißigen. In unserem Leben lief auch nicht immer alles glatt.«

»Das weiß ich wohl am besten«, erwiderte Tamara.

»Du hast doch keinen Grund, dich zu beklagen«, beteuerte Uwe und schüttete sich noch einen Whiskey ein. »Wir können uns alles erlauben, was wir benötigen.«

»Trink nicht soviel, wir wollen gleich fahren«, maßregelte Tamara ihn.

»Warum? Die Feier ist nicht vorbei, nur weil dein Bruder gegangen ist.«

Die Alte quälte sich aus ihrem Stuhl, ging zu ihrem Schwiegersohn und nahm ihm das Glas aus der Hand. »Die Feier ist vorüber, weil ich der Streitereien müde bin. Und wir müssen auch noch aufräumen.«

»Ich kann dir helfen, Mutter«, bot sich Tamara an, doch Brunhilde schüttelte den Kopf.