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Die junge Svana findet heraus, dass ihre sterblichen Eltern ihre Adoptiveltern sind. Für sie beginnt eine Reise durch die nordische Mythologie auf der Suche nach ihren leiblichen Eltern. Dabei muss sie Prüfungen bestehen, denn auch sie ist eine Walküre und somit ein Kind Odins.
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Veröffentlichungsjahr: 2019
Das Rabengeschrei hallt über das Schlachtfeld. Wo vorher Stahl auf Stahl knallte, liegen die toten Körper der Krieger, deren Blut die dürstende Erde tränkt. Hatten sie sich vorher noch ihre Kehlen heiser geschrien, waren sie verstummt, die Augen weit aufgerissen.
Aus ihren schwarzen Augen überblicken die zwei Raben das Geschehen, das sich ihnen bietet. Sie würden bald siegreich sein und von den Körpern kosten können.
Am Himmel verdichten sich dunkle Wolken. Plötzlich treten aus ihnen helle Lichtstrahlen hervor. Je näher diese der Erde kommen, umso mehr verwandeln sie sich in Gestalten. Eine von ihnen breitet als erste ihre Schwingen aus und blickt sich auf dem Schlachtfeld um. Binnen weniger Momente findet sie einen toten Körper, fliegt zu ihm hin und betrachtet sein Gesicht. «Tapfer hast du gekämpft, nun sollst du deine Belohnung erhalten» Ihre Stimme ist wie ein Flüstern, das der kalte Wind mit sich trägt. Sie schlingt ihre Arme um ihn und bewegt ihre Flügel von außen nach innen. In zärtlicher Umarmung entschwindet sie mit ihm in den Wolken, aus denen sie gekommen war.
Andere folgen ihrem Beispiel und blicken sich ebenso als erstes die Einherier an, sprechen Worte des Abschieds und tragen die Körper mit sich weg.
Neidisch blicken die Raben diese geflügelten Frauen an, welche nicht mehr wie ein Hauch sind.
In ihren schwarzen Augen gewahren sie eine dunkle Gestalt, welche mit ihnen im Neid verbunden ist. Sehnsüchtig blickt diese den Raben und den Walküren nach.
Die ältere Frau rührte gedankenverloren in dem Topf, der über dem Feuer hing. Immer, wenn sie sich über den Topf beugte, stießen die Perlen ihrer Kette gegen ihn. Eine Hand hatte sich die Frau auf den Rücken gelegt. Die Beschwerden dieser Schwangerschaft waren schlimmer als je zuvor.
«Svana, bringst du mir ein bisschen Lauch?» Die Frau schaute kurz von dem Topf auf und wandte ihren Kopf zum Tisch hin. Auf ihm standen fünf hölzerne Teller und ein junges Mädchen legte gerade das dazugehörige Besteck daneben.
«Geht es deinem Rücken wieder schlechter?» Mit einem besorgten Blick bedachte sie ihre Mutter.
«Es wird schon gehen», brachte diese gepresst hervor. Sie verstärkte den Druck auf ihren Rücken und fuhr sich mit kreisenden Bewegungen über die schmerzende Stelle.
«Mutter, lass mich die Suppe kochen» Svana legte ihr eine Hand auf den Arm. «Ruh dich ein wenig aus» Sie nahm ihrer Mutter den Kochlöffel aus der Hand. «Ich werde dir später einen Teller bringen» Die tiefen Falten zogen ihr sanftes Lächeln nach.
«Du willst also die Rasselbande versorgen?» Sie legte ihrer Tochter beide Hände auf die Schultern und blickte ihr tief in die Augen.
«Aber natürlich! Ich werde das schon schaffen. Ich habe dir ja schon mehrmals dabei zugesehen» Svana legte den Kopf schräg und erwiderte das Lächeln ihrer Mutter.
«Vergiss die Trinkbecher nicht. Du weißt wie unsere Männer werden, wenn wir ihnen nicht den gewünschten Met servieren», sagte ihre Mutter mit einem Augenzwinkern und ging zu den Schlafgemächern.
Svana blickte ihr für den Bruchteil einer Sekunde nach, wandte sich dann aber der Suppe zu. In gleichmäßigen Bewegungen rührte sie in dieser herum.
«Zeit für den Lauch, doch zuerst», sagte sie mit Blick auf einen weiteren Topf. «Zuerst brauche ich dich» In diesen füllte Svana ein wenig Wasser, gerade so viel, dass der Boden bedeckt war. Sie streute ein paar Hände voll Kräuter hinein und nahm aus einer Schublade Leinenstreifen. Diese gab sie ebenfalls hinzu.
Über dem Feuer kochte die Suppe und Svana legte behutsam den Lauch hinein.
* * *
«Das riecht ja schon von draußen lecker», hörte Svana ihren jüngsten Bruder sagen. Wenig später öffnete sich die große Holztür mit einem lauten Poltern.
«Svana, wo ist Mutter?», fragte Eirink sie sofort.
«Sie ist im Bett, ihr geht es nicht gut» Svana tauschte einen Blick mit ihrem Vater.
«Setzt euch schon einmal, heute habe ich gekocht und ich wette, es wird euch mindestens genauso gut schmecken wie bei Mutter» Svana schlug die Arme unter und hob stolz ihren Kopf.
«Hast du das ganz alleine gekocht, Svana?», wollte ihr älterer Bruder Modolf wissen. Er hatte sich bereits zu Tisch gesetzt und sich einen Becher voll Met eingegossen.
«Nicht komplett»
«Dann haben wir ja Glück gehabt!», rief Eirink aus.
«Na, na, na, Eirink. So geht man aber nicht mit seiner lieben Schwester um», mahnte der Vater seinen jüngsten Sohn.
Svana tat, als hätte sie es nicht gehört. Sie war inzwischen gewohnt an die kleinen Kämpfe, die sie und ihr Bruder immer wieder ausfochten, doch jetzt hatte sie dazu keine Nerven.
«Warum nehmt ihr euch nicht schon einmal von der Suppe?» Svana stellte ein großes Brett mit in Scheiben geschnittenem Brot auf den Tisch. «Bedient euch», sagte sie und lächelte jeden am Tisch an.
«Ich werde Mutter etwas Suppe bringen»
«Da siehst du, was für eine gute Frau aus deiner kleinen Schwester bald wird, Modolf. Du solltest nach einer Braut wie ihr Ausschau halten. Sie wird dir starke Söhne gebären und dir stets die Treue halten» Der Vater nahm einen tiefen Schluck aus seinem Becher.
«Odin, wir danken dir für solch Weib, solch Tochter und solch üppiges Mahl» Er gab jedem seiner Söhne ein Stück Brot und begann von der Suppe zu essen.
«Wie fühlst du dich, Mutter?» Svana legte ihr die kühle Hand auf die Stirn. Die Haut darunter war nicht warm. Ein gutes Zeichen. «Ich habe hier einen Teller Suppe für dich und heiße Tücher gegen deine Schmerzen» Svana stellte Teller und Topf neben dem Bett ab.
«Kannst du dich aufsetzen?» Sie reichte ihr eine Hand. Die Mutter ergriff sie und stemmte sich nach oben.
«Beug dich nach vorne, damit ich dir die warmen Tücher auf deine Haut legen kann. Die Kräuterfrau sagte, sie seien das beste Heilmittel gegen sie»
Die Mutter beugte sich nach vorn und Svana legte ihr die warmen Tücher oberhalb des Steißbeins. «Da, das sollte dir Linderung verschaffen»
Ihre Mutter streckte eine Hand nach ihrer Tochter aus und strich ihr sanft über die Wange. «Was für eine gütige und hilfsbereite Tochter wir großgezogen haben. Der Mann, den du heiraten wirst, wird stolz auf dich sein können»
Svana legte ihre Hand auf die der Mutter.
«Du musst etwas essen. Das hat die Kräuterfrau auch gesagt. Es ist wichtig zu essen, wenn man sich nicht gut fühlt. Das stärkt dich wieder» Svana hob den Teller hoch und gab ihn ihrer Mutter.
«Ruf nach mir, wenn du noch etwas brauchst»
«Ah!», rief ihre Mutter aus und rieb sich den schmerzenden Rücken. Svanas Augen weiteten sich.
«Was ist? Was hast du?»
«Nichts weiter. Das Baby, es hat sich bewegt.» Freudig strahlte die Mutter ihre einzige Tochter an. «Hier! Fühl mal!» Sie nahm die zarte Hand und legte sie sich auf den Bauch. Svana spürte, wie etwas ihre Hand zu streicheln schien. Es war mehr wie eine Ahnung. Svana strich ihrer Mutter sanft über den runden Bauch.
«Freyja ist mir letzte Nacht im Traum erschienen. Es wird ein Sohn werden»
Svana strich noch einmal über den Bauch. «Ich freue mich schon jetzt auf dich, kleiner Mann» Die Tochter küsste sie auf die Wange.
«Ein weiterer Sohn! Vater wird sich sehr freuen»
Ihre Mutter schlug die Augen nieder und nickte langsam. «Ja, das wird er»
«Hättest du lieber noch eine Tochter gehabt?», fragte Svana und hob die Augenbrauen.
«Ja, eine weitere Tochter, jetzt wo du fast aus dem Haus bist»
«Aber noch bin ich hier», ermunterte Svana sie.
«Ich weiß, mein Schatz, ich weiß. Dennoch wird es langsam Zeit, einen passenden Ehemann für dich zu finden»
Svana schüttelte den Kopf.
«Und womit soll ich ihn bekochen? Ich glaube kaum, dass mein zukünftiger Ehemann jeden Tag Suppe mit Lauch essen möchte»
Ihre Mutter lächelte und schüttelte den Kopf.
«Aber du kannst doch schon mehr kochen als nur Lauchsuppe»
«Meine Handarbeiten sind aber auch noch nicht so perfekt wie deine, Mutter. Du musst mir doch jedes Mal wieder den Faden auftrennen, wenn ich falsch gewebt habe»
«Weben ist nicht alles, mein Kind»
«Aber wie kann ich einem Mann denn glücklich machen, wenn ich nur Lauchsuppe kochen und nur minderwertig weben kann?», fragte Svana besorgt. Sie schüttelte erneut ihren Kopf und ihre geflochtenen Zöpfe flogen von links nach rechts. «Keiner, den ich kenne, wird an einer solchen Frau Freude haben»
Svanas Mutter nickte. «Das glaube ich auch!»
«Du hast selbst noch gar nichts gegessen und ich glaube, dein Vater und deine Brüder sind schon fertig mit dem Mahl»
Svana nickte. Sie stand auf und nahm den Teller vom Nachtschrank.
«Mutter?», sagte Svana so leise, dass ihre Mutter sie fast nicht hörte.
«Mutter?», fragte sie noch einmal und dieses Mal blickte sie ihrer Mutter fest in die Augen. «Kann ich dir eine Frage stellen?»
«Du kannst mich alles fragen, mein Schatz», die Mutter legte ihre rechte Hand auf den linken Arm ihrer Tochter.
«Habe ich dir auch solche Schmerzen bereitet, als du mit mir schwanger warst?»
Die Augen der Mutter öffneten sich und sie presste beide Lippen fest aufeinander.
«Svana?», hörten die beiden Frauen Eirink aus der Küche rufen. «Svana?», rief er noch einmal und die hölzerne Tür öffnete sich einen Spalt breit. «Willst du denn gar nichts essen?» Eirink steckte seinen Kopf durch die Tür und blickte seiner Schwester ins Gesicht.
«Doch, natürlich, kleiner Quälgeist» Svana ging ein paar Schritte auf Eirink zu und strich zweimal über seine dunkelblonden Haare. «Wenn du noch etwas brauchst, Mutter, ruf mich bitte» Diese nickte und lächelte dabei.
Beide Kinder gingen aus dem Zimmer und Svana zog die Holztür hinter sich zu.
* * *
«Ah, da ist ja unsere Meisterköchin!» Ihr Vater wischte sich mit seiner Linken den nass glänzenden Bart ab. «Wir haben dir gerade so noch etwas übriggelassen. Eirink und Modolf sind sehr hungrig gewesen heute»
«Dann wart ihr sicher fleißig auf dem Feld » Svana rückte sich einen Stuhl zurecht und nahm sich Suppe aus dem Topf.
«Worauf du dich verlassen kannst», sprudelte es aus Eirink hervor. Er setzte sich neben seine Schwester. «Ich durfte heute sogar auch die Sense in die Hand nehmen» Stolz schlug er die Arme unter und nickte.
«Ich habe nie bezweifelt, dass du, kleiner Quälgeist, eine große Hilfe auf dem Feld bist»
«Svana, denk bitte daran, deine Großmutter zu besuchen. Sie erwartet dich schon sehnsüchtig, da bin ich mir sicher» Die Stimme ihres Vaters hatte einen Befehlston angenommen. Svana nickte und machte sich auf den Weg.
* * *
Svanas Weg führte sie vorbei an den Häusern des Dorfes. Sie grüßte jeden, dem sie begegnete, mit einem kurzen Kopfnicken. Ihr Blick fiel auf Fischer, die mit vollen Netzen vom Meer zurückkehrten.
«Heute hatten wir wieder Glück. Schau dir unsere reiche Beute an» Zufrieden hob einer von ihnen ein prall gefülltes Netz empor und zeigte es seinem Kameraden.
«Ach, Álfur, mit dir ist es immer das gleiche» Der Angesprochene schüttelte lächelnd den Kopf. Auch Svana huschte ein Lächeln über die Lippen. Ihre Blicke trafen sich und Svana konnte in dem anderen Augenpaar Verwunderung erkennen, doch sie schlug die Augen nieder. Sie setzte ihren Weg fort. Es war nicht mehr weit bis zu dem Haus ihrer Großmutter. Álfur blickte ihr so lange nach, bis er sie nicht mehr erkennen konnte. Den ganzen Weg über hatte Svana sich das Lächeln nicht von den Lippen wischen können.
Sie klopfte an die Holztür, welche reich mit floralen Ornamenten geschmückt war. Links und rechts unterhalb der Tür fanden sich die gleichen Wölfe, die auch die zwei Balken des Hauses schmückten. Svana zog die kunstvoll geschnitzten Figuren und den Knoten mit ihren Fingern nach, welchen sie von der Holztür in ihrem Zuhause kannte.
Mit einem Ruck öffnete sich die Tür und Svana sah das Gesicht ihrer Großmutter.
«Ah, da bist du ja, mein liebes Kind» Sie lächelte und ihre Falten wurden dabei tiefer und deutlicher. «Ich habe dich schon erwartet. Ich kann unmöglich die ganze Arbeit alleine machen»
«Es tut mir leid, dass ich erst jetzt zu dir kommen kann. Mutter hatte Schmerzen und ich habe das Essen zubereitet» Svana schaute ihrer Großmutter ins Gesicht.
«Ach, deine Mutter wird diese Schwangerschaft schon überstehen. Sie ist eine starke Frau, aber komme erst einmal herein» Svanas Großmutter machte eine einladende Geste.
Svana betrat das Haus und sofort sah sie, dass ihre Großmutter Vieles nicht mehr alleine konnte.
«Wir müssen noch Sude machen. Einen nimmst du deiner Mutter mit, der wird gut für ihre Schmerzen sein» Svana nickte nur und nahm den Besen in die Hand.
«Na, na, na, Svana. Was ist denn los mit dir? Wir müssen erst einmal das Geschirr abspülen und die Regale abwischen»
«Oh, ja, tut mir leid» Das junge Mädchen schüttelte den Kopf.
«Was hast du denn?» Die Großmutter ging ein paar Schritte auf Svana zu. «Hast du dich verliebt?» Sie blickte ihrer Enkelin tief in die Augen. Diese schüttelte energisch den Kopf. Nach links und rechts drehte die Großmutter den Kopf ihrer Enkelin, doch konnte sie auch mit dieser veränderten Perspektive nicht ausmachen, was ihr fehlte.
«Oma?»
«Sprich, mein Schatz, was fehlt dir?» Svana blickte ihrer Großmutter erneut ins Gesicht, die Augen mit Tränen gefüllt.
«Da gibt es etwas, das mich beunruhigt»