Sweeter than Fame - Kylie Scott - E-Book

Sweeter than Fame E-Book

Kylie Scott

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Beschreibung

Ein Rockstar in der Kleinstadt

In der kalifornischen Kleinstadt Wildwood ticken die Uhren langsamer, und genau so will Ani Bennett es auch haben. Doch mit ihrer Ruhe ist es vorbei, als der berühmte Rockstar Garrett Hayes nebenan einzieht. Ani gibt sich alle Mühe, das Fangirl in sich zu unterdrücken, denn sie weiß, dass er noch immer um seine verstorbene Frau trauert. Aber als Garretts bester Freund zu Besuch kommt und Ani bittet, den Rockstar ab und an zu einem "Nicht-Date" aus seiner Abgeschiedenheit zu holen, kann sie nicht Nein sagen. Eigentlich hat sie den Männern abgeschworen, aber mit jedem Treffen schleicht sich der wortkarge Musiker mehr in ihr Herz. Doch welche Chancen hat ein Mädchen aus der Kleinstadt bei einem weltberühmten Rockstar?

"Was für ein Lesevergnügen. Emotional, humorvoll, heiß und romantisch - ich liebe es!" ESCAPIST BOOK BLOG

Der neue Roman von SPIEGEL-Bestseller-Autorin Kylie Scott

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Seitenzahl: 324

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Playlist

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

Die Autorin

Die Romane von Kylie Scott bei LYX

Impressum

KYLIE SCOTT

Sweeter than Fame

Roman

Ins Deutsche übertragen von Anika Klüver

Zu diesem Buch

Nach einem schlimmen Ereignis ist Ani Bennett vor ein paar Jahren in ihre kleine Heimatstadt in Kalifornien zurückgekehrt. Umgeben von malerischer Natur, Alt-Hippies und anderen kauzigen Charakteren konnte sie endlich zur Ruhe kommen. Doch dann zieht kein anderer als der berühmte Rockstar Garrett Hayes in das Haus nebenan ein. Ani gibt sich alle Mühe, das Fangirl in sich zu unterdrücken, denn sie weiß, dass er noch immer um seine verstorbene Frau trauert. Aber als Garretts bester Freund zu Besuch kommt, bittet er Ani, den Rockstar ab und an zu einem »Nicht-Date« aus seiner Abgeschiedenheit zu holen und unter Menschen zu bringen. Allerdings will Garrett auf keinen Fall, dass die Öffentlichkeit erfährt, wo er sich befindet. Zum Glück halten die sonst so klatschfreudigen Bewohner von Wildwood zusammen wie Pech und Schwefel, wenn es darauf ankommt – schließlich ist Garrett jetzt einer von ihnen. Ani hat bald ein ganz anderes Problem, denn je öfter es ihr gelingt, Garrett aus der Reserve zu locken, desto mehr gerät ihr Vorsatz, die Finger von Beziehungen zu lassen, ins Wanken. Aber selbst wenn sie der Versuchung nachgeben würde – welche Chancen hat ein Mädchen aus der Kleinstadt bei einem weltberühmten Rockstar?

Playlist

Lovely – Billie Eilish und Khalid

Shake It Out – Florence + The Machine

A Case of You – Joni Mitchell

I Can’t Feel My Face – The Weeknd

Hallelujah – Jeff Buckley

Stars – Grace Potter and the Nocturnals

Meet Me at Our Spot – Willow, THE ANXIETY und Taylor Cole

Permission to Dance – BTS

You Right – Doja Cat und The Weeknd

You Send Me – Aretha Franklin

1. Kapitel

Mein neuer Nachbar traf an einem Donnerstag um Mitternacht ein. Zuerst kam der Umzugswagen, gefolgt von einem schwarzen SUV. Mrs Cooper, die ehemalige Besitzerin des Hauses, war vor einer Weile verstorben. Eine verdammte Schande. Die Frau war nicht nur nett gewesen, sondern hatte auch unglaubliche Kekse gemacht. Jahrelang hatte das prachtvolle alte Haus im viktorianischen Stil am Ende der Sackgasse leer gestanden. Für eine Kleinstadt war das nicht ungewöhnlich. Nur wenige Menschen wollten an einen Ort mitten im Nirgendwo in Nordkalifornien ziehen, egal wie idyllisch er sein mochte. Das Haus war zwar schon, kurz nachdem es auf den Markt gekommen war, verkauft worden, doch bis jetzt hatte sich der neue Besitzer nicht blicken lassen.

Wer zum Teufel zog mitten in der Nacht um? Das wirkte verstohlen und verdächtig. Wie etwas, das ein Verbrecher oder ein Agent der Regierung tun würde. Vielleicht war das einfach die Uhrzeit, zu der derjenige eingetroffen war. Aber die meisten Leute würden in einem Hotel übernachten und mit dem eigentlichen Umzug bis zum nächsten Tag warten. Zweifellos.

Die einzigen Dinge, die in Wildwood je um Mitternacht passierten waren: 1. Harry, der stadtbekannte Trinker, gab mitten auf der Hauptstraße Klassiker von Bob Dylan zum Besten. 2. Ich, eine an Schlaflosigkeit Leidende, wanderte ziellos durch mein Haus. Das war alles. Alle anderen auf der großen weiten Welt – oder zumindest in unserer Ecke davon – schliefen tief und fest.

Halb hinter einem Vorhang verborgen beobachtete ich, wie die Leute den Laster ausluden. Der Vollmond schien durch die Kiefern, während die Mitarbeiter des Umzugsunternehmens jede Menge Zeug ins Haus schleppten. Der Kerl, der das SUV fuhr, ging direkt ins Haus. Er war weiß und groß und trug eine Baseballmütze. Das war so ziemlich alles, was ich sehen konnte. Vielleicht wollte er das Haus für seine Ehefrau und seine Familie vorbereiten. Vielleicht hatte er einen Freund. Er konnte auf keinen Fall Single, heterosexuell, unter sechzig und emotional reif sein. So viel Glück hatte ich einfach nicht. Nicht dass ich vorhatte, mich in diesem Leben noch einmal auf eine Beziehung einzulassen.

Wer auch immer er war und was auch immer er machte, ich würde es zu gegebener Zeit erfahren. Das war die Freude des Kleinstadtlebens.

Sobald sich die Möbel im Haus befanden, wurde es ein wenig langweilig. Umzugskartons geben einem nicht gerade viel Auskunft über andere Menschen.

Ich nutzte die Gelegenheit, um noch einmal die Schlösser an all meinen Fenstern und Türen zu überprüfen. Dann machte ich mir eine Tasse Kamillentee. Nichts davon half mir beim Einschlafen, aber die Rituale waren beruhigend. Mom sagte immer, dass ich einen regen Verstand hätte. Ich dachte nicht notwendigerweise über irgendetwas Nützliches nach, ich dachte einfach nur viel nach. Nachts neigte ich dazu, über Bücher, schlechte Erinnerungen und Ex-Freunde nachzudenken. Die letzten beiden Punkte waren oft identisch. Dazu kam eine Mischung aus willkürlichen peinlichen Momenten aus meinem Leben, einfach nur so zum Spaß.

Als Kind war ich eine Tagträumerin gewesen, die Ärger bekommen hatte, weil sie im Unterricht summte, wenn sich alle anderen konzentriert hatten. (Als würde irgendjemand ernsthaft Algebra brauchen. Wenn man den Rabatt bei einem Schlussverkauf im Schuhgeschäft ausrechnen kann, reicht das völlig. Andererseits könnte diese Einstellung erklären, warum ich im Leben so gut wie nichts erreicht hatte.)

Ich kehrte gerade rechtzeitig ans Fenster zurück, um zu sehen, wie mein geheimnisvoller Mann wieder auftauchte. Der neue Nachbar stapfte nach draußen zu dem Range Rover und öffnete den Kofferraum. Als er einmal mehr zum Haus ging, war die Baseballmütze verschwunden und sein schulterlanges Haar deutlich zu sehen. In jeder Hand trug er einen Gitarrenkoffer.

Das erregte meine Aufmerksamkeit. Ein Musiker war cool. Es sei denn, er besaß elektrische Gitarren und glaubte daran, die Lautstärke voll aufzudrehen. Das könnte schnell anstrengend werden.

Als er sich dem Haus näherte, fiel das Verandalicht auf ihn und … Moment mal. Etwas an seinem Profil zupfte an meiner Erinnerung.

Vermutlich spürte er meinen Blick auf sich, denn er drehte sich zu meinem Haus herum. Und wow. Seine Lippen waren zu einer dünnen Linie zusammengepresst, und sein Kiefer war auf mürrische Weise angespannt, aber das alles spielte keine Rolle – der Mann war schön. Seine hohe Stirn und seine stark hervorstehenden Wangenknochen waren absolut umwerfend. Aber er kam mir auf seltsame Weise bekannt vor.

Ich hingegen konnte in diesem Augenblick, in dem lediglich eine Lampe hinter mir brannte, kaum mehr als ein Umriss für ihn sein. Eine schattige Person, die in der Dunkelheit herumlungerte. Toll. Es ging doch nichts darüber, ausspioniert zu werden, um sich in der neuen Nachbarschaft willkommen zu fühlen. Das war so viel besser als ein Auflauf oder Kekse.

Moment mal. Ich wusste, woher ich ihn kannte. Aber das konnte nicht sein, denn das wäre lächerlich. Absolut und total verrückt. Und doch stand er da.

»Heilige Scheiße«, flüsterte ich.

Mein neuer Nachbar war ein gottverdammter Rockstar.

Der Gemischtwarenladen in Wildwood öffnete um sieben. Ich war kein Morgenmensch, aber die Kaffeemaschine zu installieren war meine geniale Idee gewesen. Und die Ortsansässigen, die früh aufstanden, um zur Arbeit zu gehen, brauchten ihren Koffeinschub. Also zog ich meine Uniform an: ein langärmliges gestreiftes Henley-Shirt, Bluejeans und schwarze Chucks. Denn ein bequemes Outfit zu haben ist wichtig. Ich band mein braunes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen und setzte meinen Hintern in Bewegung. In einem Gemischtwarenladen in einer Kleinstadt zu arbeiten war nie mein Traum gewesen. Womit ich nicht sagen will, dass mir meine Arbeit keinen Spaß machte, aber es war schon komisch, wohin einen das Leben führte. Mich führte es zum Beispiel den ganzen Weg nach Los Angeles und wieder zurück. Und ich lernte meine Lektion: Das hier war der Ort, an dem ich bleiben würde.

Als ich an meinem Arbeitsplatz ankam, entfernte ich als Erstes die Ausgabe des Rolling Stone vom Zeitschriftenständer. Mein Nachbar mochte nicht auf der Titelseite sein, aber er wurde vermutlich im Innenteil erwähnt. In den letzten zwei Jahren hatte es eine Menge Artikel über ihn gegeben. Oft hatten sie davon gehandelt, dass sich seine Band aufgelöst hatte und sein Privatleben den Bach runtergegangen war. Was für eine Vorstellung, dass Fremde überall auf der Welt jemandes Leben auseinandernahmen und besprachen, als wäre es nichts. Und ich wohnte nun neben jemandem, über den regelmäßig etwas in den Klatschzeitschriften stand. Seltsam.

Wie üblich dachte ich viel zu viel über die Situation mit meinem neuen Nachbarn nach. Und ich kam zu folgendem Schluss … Wenn ich ein weltberühmter Rockstar wäre, der ein Haus in einer Kleinstadt mitten im Nirgendwo gekauft hatte und um Mitternacht dort eingezogen war, dann konnte es dafür nur einen Grund geben: Ich wollte verdammt noch mal in Ruhe gelassen werden.

Allerdings bezweifelte ich stark, dass das passieren würde. War ich nicht bereits dabei erwischt worden, wie ich den armen Mann ausspioniert hatte? Und ich würde sicher nicht die Letzte sein. Jede neue Person in der Stadt wurde zum Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, ganz besonders wenn es sich dabei um eine Berühmtheit handelte.

Linda, die Besitzerin des kleinen Gemischtwarenladens, traf normalerweise so gegen neun ein. Ihre Familie lebte schon hier, seit man das Land, auf dem die Stadt stand, den ortsansässigen Ureinwohnern abgenommen hatte. Tatsächlich hatte ihr Ururgroßvater die ursprüngliche Holzhütte gebaut, in der sich bereits damals der Laden befunden hatte. Als sie vor etwa einem Jahrhundert bei einem Waldbrand zerstört worden war (zusammen mit dem Bordell und dem Laden eines Barbiers), hatte man sie durch dieses zweistöckige Steingebäude ersetzt. Die meisten der hölzernen Schaukästen und Regale stammten noch aus jenen Tagen. Für die Reihe aus silbernen Kühlschränken und -truhen, die an der hinteren Wand entlang verlief, galt das natürlich nicht.

Wir hatten ein bisschen von allem auf Lager, von fertigen Käsemakkaronimischungen zum Aufkochen bis hin zu Trüffelöl (was beides zufälligerweise toll miteinander harmonierte). Die Einrichtung des Ladens zielte auf eine Mischung aus Neu und Alt ab und wurde durch einen Hauch Boho-Stil abgerundet. Denn wir mochten zwar zweckmäßig orientiert sein, aber wir befanden uns dennoch in Konkurrenz mit dem großen Supermarkt und dem wöchentlichen Bauernmarkt in der benachbarten Stadt. Und die Touristen, die uns besuchten, erwarteten ein gewisses Ambiente.

Linda saß gern mit ihren Tarotkarten und einer Kanne Tee am Ecktisch. Sie hatte es in den Sechzigern ordentlich krachen lassen. Heute wollte sie einfach nur noch in ihrem Familienunternehmen herumhängen und alles entspannt und unaufgeregt angehen. Das waren ihre Worte, nicht meine. Was bedeutete, dass ich mich im Grunde genommen allein um den Laden kümmerte. Wenn man bedachte, dass ich durchaus zur Kontrollsucht neigte, auch wenn ich mir Mühe gab, es zu verbergen, war das so vermutlich am besten. Ich war immer noch nicht über das Chaos hinweg, das sie einmal in der Warenauslage angerichtet hatte. Flaschenkürbisse verdienten mehr Respekt. Und ihre Bemühungen, den Bereich für die Büchertauschbörse, die ich eingerichtet hatte, aufzuräumen, waren regelrecht erschreckend. Frauenliteratur war nicht mit Liebesromanen gleichzusetzen. Das wusste doch jeder.

Vor Linda kam Claude. Er lieferte mehrmals die Woche frische Backwaren. Er hatte mal als Konditor in einem großen Hotel in Chicago gearbeitet. An seinem ersten Tag als Rentner war ihm klar geworden, dass er Angeln hasste und auch kein Interesse an Jagen oder Wandern hatte, daher hatte er keine Ahnung gehabt, was er mit seiner Zeit anfangen sollte. Im Gegensatz zu meiner Chefin hielt Claude nicht viel von Entspannung. Als er angeboten hatte, dafür zu sorgen, dass das Backwarenregal in der kleinen Caféecke des Ladens immer gefüllt blieb, hatte ich Ja gesagt. Das war die beste Entscheidung gewesen, die ich je getroffen hatte, auch wenn meine Hüften das womöglich anders sahen.

»Ani, probier das hier mal«, sagte er und reichte mir seine neueste Kreation.

»Oh mein Gott«, stöhnte ich, als ich wieder sprechen konnte. Blätterteig, süßes Obst und allgemeine Köstlichkeit. »Frittierter Apfelkuchen?«

Der ältere dunkelhäutige Mann nickte.

»Fantastisch«, sagte ich mit einem weiteren Bissen im Mund.

Was natürlich genau der Moment war, in dem die Walkerinnen hereinplatzten – drei Frauen aus dem Ort, die in Sporthosen tatsächlich gut aussahen. Ihre Ehemänner und Kinder konnten sie behalten. Aber um ihre Hintern beneidete ich sie. An so gut wie jedem Morgen waren sie dort draußen und marschierten die Hauptstraße auf und ab, während ich hier drinnen war und mir wie eine Weltmeisterin Essen in den Mund stopfte.

»Du hast einen neuen Nachbarn«, klagte mich die erste Walkerin an.

»Warum hast du uns das nicht erzählt?«, wollte die zweite wissen.

Die dritte Walkerin schaute mich einfach nur mit einem vorwurfsvollen Blick und umwerfenden Augenbrauen an. Ich fragte mich, wo sie sie machen ließ.

»Jemand ist endlich ins Haus der alten Mrs Cooper gezogen?« Claude lehnte sich an die hölzerne Theke und trank einen Schluck von seinem Milchkaffee. Er mochte erst später nach Wildwood gezogen sein, aber er hatte nicht lange gebraucht, um den örtlichen Tratsch mitzubekommen. »Ich wusste nicht einmal, dass es verkauft wurde.«

»Schon vor ein paar Jahren«, sagte ich. »Aber ich weiß nichts darüber.«

Die erste Walkerin seufzte, als wäre sie von meiner Lebensführung schwer enttäuscht. Das gilt für uns beide, Liebes.

Währenddessen sagte die zweite: »Ich sollte besser nach Hause gehen und einen meiner Boysenbeerenkuchen machen, um ihn dort vorbeizubringen.«

»Aber ich wollte einen Kuchen hinbringen!«

»Man kann nie zu viel Kuchen haben.« Claude lächelte und winkte auf dem Weg zur Tür zum Abschied.

»So ist es«, stimmte ich schnell zu. Denn das Letzte, was wir brauchten, war eine Streiterei wegen Kuchen.

Offenbar hatten die Walkerinnen stumm beschlossen, nach Hause zu eilen und mit dem Backen anzufangen, denn die ganze Truppe machte ohne ein weiteres Wort kehrt und verließ den Laden.

Natürlich kannte ich ihre Namen. Aber zwei von ihnen waren damals auf der Highschool so gemein zu mir gewesen, dass ich mich weigerte, sie anzuerkennen, und die dritte war mit einer Kontaktschuld belegt. Es ging doch nichts über Kleinlichkeit.

Hänseleien in der Kindheit und durch die Medien geschürte Erwartungen waren der Grund, warum ich nun danach trachtete, meine Mittelmäßigkeit zu akzeptieren. Meine Größe, mein Gewicht und mein Haar waren recht durchschnittlich, und das war in Ordnung. Es gab Wichtigeres. Zum Beispiel sollte man nicht sein ganzes Leben damit verbringen, Krieg gegen sich selbst zu führen. Ich hatte treue Freunde, einen Job, den ich mochte, einen Nachttisch mit einem Stapel ausgezeichneter Bücher, die darauf warteten, gelesen zu werden, Packungen mit Käsemakkaroni im Vorratsschrank und eine Flasche Wodka in der Tiefkühltruhe. Das Leben war gut. Sobald es mir gelingen würde, eine Nacht mal ordentlich durchzuschlafen, würde es perfekt sein.

Das war der Moment, in dem er in den Laden gestapft kam. Der Rockstar.

Der Mann trug Bluejeans, Stiefel, ein ausgeblichenes graues T-Shirt und eine Baseballmütze. Er wollte eindeutig keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Was meiner Meinung nach vollkommen unmöglich war. Er hielt den Kopf gesenkt, schnappte sich einen Einkaufskorb und machte sich ans Werk. Trotz seiner schleichenden Haltung bewegte er sich zielstrebig. Er war selbstsicher und kannte seinen Platz in der Welt. Was für eine Vorstellung, so viel Selbstvertrauen zu haben. Ich versuchte mit dreißig immer noch, mein Leben auf die Reihe zu bekommen. Und er war mit siebenunddreißig bereits der Frontmann einer weltberühmten Band und glücklich mit einer talentierten Musikerin verheiratet gewesen. Nur um dann beides zu verlieren. Wie entsetzlich.

Ich beobachtete ihn heimlich, während ich mir einen weiteren Kaffee machte. Es gab eine Menge zu sehen und zu bewundern. Wie zum Beispiel die Art, auf die seine Ärmel an seinen Oberarmmuskeln spannten. Oder die Breite seiner Schultern und seiner Brust. Er war ein wandelnder, leibhaftiger Teenagertraum.

Zum Glück wusste ich, dass es nichts bringen würde, für jemanden zu schwärmen, der mehrere Nummern zu groß für mich war. Aber es war kein Wunder, dass ihn die Medien liebten und Fans Schlange standen, um ihn spielen zu hören. Denn er war nicht nur ein talentierter Musiker, sondern auch ein optischer Leckerbissen.

Die Wahrheit war, dass große muskulöse Männer mein Echsenhirn ansprachen. Es war schrecklich.

Er blieb vor der örtlichen Kunsthandwerksabteilung stehen, betrachtete die getöpferten Becher, die hölzernen Schalen und den Schmuck aus verschnörkelten alten Silberlöffeln und -gabeln. Ein Makrameegitarrengurt schien ihn besonders zu interessieren. Mein persönliches Lieblingsstück war ein Gemälde von Mammutbäumen nach einem Regenschauer. Eines Tages würde es mir gehören. Bis dahin begnügte ich mich mit meiner Sucht nach den handgemachten Seifen, den in kleinen Mengen hergestellten Tees und den besonderen Schokoladen. Denn in Nordkalifornien gab es keinen Mangel an coolen Erzeugern.

Ich hatte so viele Fragen an den Rockstar. Zum Beispiel: Warum war er ausgerechnet hierher gezogen? Wenn man bedachte, was er alles durchgemacht hatte, konnte ich sein Bedürfnis zu verschwinden verstehen. Immerhin war seine Frau gestorben, und seine Band hatte sich aufgelöst. Aber warum versteckte er sich nicht auf einer tropischen Insel? Ich war blass und wurde in der Sonne nicht braun. Außerdem war ich ein kleines bisschen allergisch auf Mücken. Ihre Stiche schwollen bei mir immer schrecklich an. Allerdings würde ich sofort in das erste Flugzeug steigen, das mich von hier wegbringen könnte. Mit einer Margarita in der Hand würde ich liebend gern den Rest meiner Tage in einer Grashütte verbringen. Solange es dort ein funktionstüchtiges Bad gäbe. Jede Frau hatte ihre Grenzen.

Er stellte seinen Einkaufskorb auf die große alte Holztheke. Stoppeln bedeckten seinen Kiefer, und der Schirm seiner Mütze verbarg die obere Hälfte seines Gesichts. An seinem Ringfinger befand sich eine weiße Stelle, an der die Sonne die Haut nicht gebräunt hatte. Als hätte er seinen Ehering gerade erst abgenommen. Eine weitere Erinnerung daran, dass er durch die Hölle gegangen war. Er brauchte dringend jemanden, der ihm Rücksicht entgegenbrachte. Der freundlich zu ihm war. Und das konnte ich sein.

Ich stellte den Kaffee in seinem recycelbaren Styroporbecher auf die Theke. Zum Glück zitterte meine Hand nur wenig. »Für Sie.«

Er erwiderte nichts.

»Ich bin Ihre neue Nachbarin.«

»Sie waren diejenige, die mich gestern Nacht beobachtet hat.« Seine Stimme klang tief, ein wenig rau und irgendwie anklagend. »In dieser kleinen Hütte nebenan.«

»Ja.«

»Machen Sie das oft … Leute ausspionieren?«

Autsch. Mein vorheriges Ich war eine schreckliche Schnüfflerin, und ich war angesichts ihres Verhaltens gleichermaßen beschämt und entsetzt. Aber ich hatte mich in den letzten acht Stunden oder so weiterentwickelt. Irgendwie hatte ich gehofft, dass eine stumme Entschuldigung ausreichen würde, aber das war eindeutig nicht der Fall. »Das wird nicht wieder vorkommen. Tut mir leid.«

Nach einem Augenblick griff er nach dem Kaffee und trank einen Schluck. Dabei schaute er mir die ganze Zeit über nicht in die Augen. Offenbar stand Blickkontakt nicht zur Debatte.

»Wollen Sie Milch oder Zucker?«, fragte ich.

»Nein. Das ist gut so. Danke.« Kein Wunder, dass er Sänger war. Selbst mit diesen knappen und mürrischen Worten hätte er Vögel von den Bäumen herunterlocken können. Seine Stimme war tief und sanft und einfach wundervoll.

Er packte seinen Laib Brot, einige Gläser Erdnussbutter und Erdbeermarmelade, Kaffee, ein Sechserpack Bier und ein paar Packungen Ramen-Nudeln in einen Pappkarton. Der Hunger musste ihn nach draußen in die Öffentlichkeit getrieben haben. Vermutlich hatte er sonst jemanden, der für ihn kochte. Personal, das mit im Haus wohnte, war für eine Villa in den Hollywood Hills wahrscheinlich Standard. Der Mann würde sich ordentlich umgewöhnen müssen.

»Wir haben alle grundlegenden Lebensmittel auf Lager«, sagte ich. »Aber falls Sie je ein größeres Geschäft benötigen, gibt es eine halbe Stunde die Straße runter in der nächsten Stadt einen stattlichen Supermarkt. Vermutlich sind Sie auf dem Weg hierher daran vorbeigefahren.«

Er brummte.

Ich gab seine Einkäufe in die Kasse ein, und er bezahlte mit einer schwarzen Amex-Kreditkarte. Davon hatte ich zwar schon mal gehört, aber ich hatte noch nie eine gesehen.

Während er seine Sachen zusammenpackte, kam Linda in einer Wolke aus Hagebuttenöl hereingeschwebt. Das war ihr Schönheitsgeheimnis. Angeblich war es ein tolles Mittel, um die Haut vor dem Austrocknen zu bewahren. Das medizinische Marihuana, das sie sich genehmigte, half ihr dabei, ruhig zu bleiben, wodurch sie Falten vermied. Und es funktionierte. Für ihr Alter sah sie wirklich gut aus. Ihre rote Wildledertasche mit den Fransen stieß bei jedem Schritt an ihre Seite, und ihre abgetragenen Cowboystiefel klapperten auf dem Holzfußboden. Ich könnte niemals hoffen, so cool und witzig wie Linda zu sein. Das war eine Tatsache.

»Merkur ist schon wieder rückläufig, Ani«, verkündete sie und zückte ihr Handy. »Und nun herrscht das totale Chaos.«

»Okay«, sagte ich. »Ich habe gerade einen Kunden, aber …«

»Ich habe versehentlich eine sehr wichtige E-Mail gelöscht.«

»Hast du im Papierkorb nachgesehen?«

Sie zog die Augenbrauen hoch.

»Erinnerst du dich an diese anderen Ordner auf deinem Handy, in denen sich E-Mails manchmal verstecken?«

Linda musste endlich erkannt haben, dass ein Kunde anwesend war. Denn sie erstarrte und setzte ein Lächeln auf. »Oh, hallo. Willkommen im Wildwood-Gemischtwarenladen.«

Er nickte ihr zu. »Ma’am.«

»Sind Sie neu in der Stadt oder nur auf der Durchreise?«

Der Mann öffnete seinen Mund, stockte dann aber. Nichts kam heraus.

»Du meine Güte«, sagte sie. Offenbar hatte sie ihn erkannt, denn ihre Augen leuchteten auf. »Sie sehen genau wie der Sänger dieser Rockband aus. Sie wissen schon, welchen ich meine. Wie war sein Name noch gleich?«

Sein Kiefer mahlte nervös, während er auf den Boden starrte. Ich schätze, ich hatte recht damit, dass er sich verstecken wollte. Aber wenn man bedachte, dass seine Band in den letzten zehn Jahren die Charts angeführt hatte, sollte er wirklich besser mit Situationen umgehen können, in denen ihn Leute erkannten.

»Oh, du meinst Garrett von The Dead Heart.« Ich täuschte ein Lächeln vor. »Ja. Er sieht ihm ein bisschen ähnlich, nicht wahr?«

Linda schnippte mit den Fingern. »Ja. Den meine ich. Ich sollte mich daran erinnern – immerhin lief das letzte Album der Band eine Weile lang Tag und Nacht bei dir.«

»Daran erinnere ich mich nicht«, log meine Zunge.

»Oh, gute Güte. Ich hörte diese Lieder im Schlaf.«

Ich rümpfte die Nase. »Vermutlich spielten sie sie drüben in der Bar, und du hörtest sie dort. Ich war nicht … Ich meine, es war ein gutes Album, aber …«

»Hattest du nicht sogar ein Foto von ihm auf deinem Handy?«

Hitze kroch an meinem Hals hoch. »Nein.«

Kein Wunder, dass Garrett nicht Schauspieler geworden war. Jeder Gedanke, den er hatte, schien über sein Gesicht zu huschen. Und Belustigung überlagerte alles. Das war wirklich nicht hilfreich. Könnte er nicht versuchen, mich zu unterstützen? Begriff er nicht, dass ich versuchte, ihm zu helfen?

Linda war die größte Tratschtante in ganz Wildwood. Sie hatte es sich zur Aufgabe gemacht, alles über jeden zu wissen. Sie saß an ihrem Ecktisch und erzählte jedem, der zur Tür hereinkam, die neuesten Neuigkeiten. Und wenn Linda glaubte, dass der neue Mann in der Stadt ein Niemand war, der nur wie ein berühmter Jemand aussah, dann könnte seine Tarnung noch tage- oder wochenlang halten, bevor sie aufflog.

»Aber sie hat recht«, sagte ich. »Sie könnten fast ein Doppelgänger sein. Ich wette, dass Sie Wettbewerbe gewinnen würden und all das.«

Garrett blinzelte einfach nur.

»Das ist erstaunlich.« Linda schüttelte den Kopf. »Er sieht ihm wirklich ähnlich.«

»Es heißt doch, dass jeder einen Doppelgänger hat, oder?«, fragte ich. »Dass es da draußen jemanden gibt, der genau wie man selbst aussieht.«

»Das stimmt.« Linda runzelte die Stirn. »Sie können von Glück reden, dass Sie nicht er sind. Die Probleme, die er in den letzten paar Jahren hatte … Da will man ihn doch einfach nur mal so richtig fest in den Arm nehmen. Vielleicht sollte ich Sie stattdessen umarmen!«

Garrett riss die Augen weit auf.

»Oh, ich denke nicht, dass Berührungen notwendig sind«, sagte ich. »Jemals.«

»Deine Generation weiß das beruhigende Gefühl von Haut an Haut nicht zu schätzen. Die einfache Verbindung mit einer anderen Person.« Linda lächelte und verzog sich an ihren Ecktisch. »Wärst du so nett, mir einen Kanne Tee zu machen, Ani?«

»Natürlich.« Ich wandte mich wieder an den verwirrten Rockstar. »Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag, Sir.«

»Ähm, danke«, sagte er nach einem Augenblick.

Dann fügte ich lautlos hinzu: »Laufen Sie.«

Linda würde nicht lange brauchen, um sich neu zu formieren. Dann würde sie seine Lebensgeschichte hören wollen. Tatsächlich würde sie danach verlangen. Und diese Frau konnte tagelang reden.

Der Rockstar griff nach seinen Einkäufen und packte den Karton mit starken Händen. Dann warf er mir einen letzten verwirrten Blick zu. Es war fast so, als wollte er mir etwas sagen. Doch stattdessen ging er einfach.

Was sagte man dazu? Ich hatte einen meiner Helden und gleichzeitig eines meiner Lustobjekte getroffen. Das war irgendwie demütigend, aber auch ein wenig aufregend. Vielleicht würde er nun, da ihm klar geworden war, dass es doch nicht so leicht sein würde, sich hier draußen zu verstecken, zurück nach Los Angeles fliehen. Wenigstens hatte ich ihn kurz kennenlernen können. Das war der Beweis dafür, dass schmutzige Träume in Erfüllung gehen konnten. Ich war wohl gesegnet.

2. Kapitel

Der Rest des Tages verlief größtenteils so wie immer. Abgesehen von den zahllosen Fragen über meinen neuen Nachbarn. Auf die ich allesamt mit Unwissenheit reagierte. Was mich so entschlossen machte, den Mann zu beschützen, war meine Erinnerung an die Fotos, die man direkt nach der Beerdigung seiner Frau von ihm geschossen hatte. Er hatte so gebrochen und verloren ausgesehen. Das hatte aus diversen Gründen in mir nachgehallt.

Nach der Beerdigung war er aus dem öffentlichen Leben so gut wie verschwunden. Und auch wenn man argumentieren konnte, dass ich die Bevölkerung von Wildwood nach Strich und Faden belog, schützte ich ebenfalls seine Privatsphäre. Sobald sein Superstarstatus bekannt werden würde, würde ich einfach so tun, als wäre ich genauso schockiert wie der Rest der Stadt. Was für ein Schwindel. Aber ich tat es für einen guten Zweck.

Das Klopfen an meiner Tür kam um kurz nach einundzwanzig Uhr. Und da stand mein Nachbar mit einer finsteren Miene auf dem attraktiven Gesicht. Ich war es nicht gewohnt, mich in der Gesellschaft schöner Menschen zu befinden. Er sorgte dafür, dass mir vor lauter Nervosität der Schweiß ausbrach. Ich war mir sicher, dass ich jeden Moment etwas atemberaubend Dummes von mir geben würde. Wie konnte irgendjemand zusammenhängende Sätze von sich geben, wenn man derartiger Perfektion gegenüberstand?

Außerdem war sein Timing einfach großartig. Wenn mich doch nur jedes Rockidol mit einem unordentlichen Haarknoten und in einer Kombination aus Tanktop und Schlafanzugshorts sehen könnte. Deswegen war eine Haustür mit einer Glasscheibe eine schlechte Idee. Aber sie war ein ursprünglicher Bestandteil des Hauses und bestand aus Buntglas, das ein hübsches Muster bildete. Trotz des Sicherheitsrisikos konnte ich mich nicht dazu durchringen, sie auszutauschen.

Nachdem ich mir das Haargummi aus dem Knoten gezogen hatte, schob ich den Riegel und die Sicherheitskette zurück und schloss schließlich mit einem angespannten Lächeln die Tür auf. Ich hielt mein Haar so, dass es die alte Narbe an meinem Hals verdeckte, und versuchte, es so subtil wie möglich wirken zu lassen. »Garrett. Hi.«

»Was wollen Sie?«, fragte er neugierig.

»Was?«

»Sie haben mich schon verstanden.«

Ich legte den Kopf schief. »Sie haben an meine Tür geklopft. Was nahelegen würde, dass Sie etwas von mir wollen.«

»Ich meinte dafür, dass sie mich heute im Laden gedeckt haben.« Er schob die Hände in die Taschen seiner Jeans. »Was wollen Sie?«

»Was?«, fragte ich erneut. »Meinen Sie so was wie eine Bezahlung?«

»Wollen Sie, dass ich irgendwas für Sie signiere oder ein Selfie mit Ihnen mache oder was?«

»Wow. Funktioniert das in Ihrer Welt normalerweise so?«

Er funkelte mich finster an und ragte bedrohlich über mir auf. Doch selbst das war auf widerliche Weise attraktiv. Der Mann musste fast eins neunzig groß sein. Ich war durchschnittlich groß und schwer und kam mir neben ihm trotzdem beinahe zierlich vor. Er war eindeutig nicht in der Stimmung zu lächeln, was dafür sorgte, dass ich mich fragte, wie fröhlich er vor dem Tod seiner Frau gewesen war. Nicht dass mich das etwas anginge. Ich hatte bislang nicht mal ansatzweise so etwas wie einen Lebenspartner gefunden, ganz zu schweigen davon, dass ich je den Schmerz erfahren hätte, einen zu verlieren. Doch ich achtete darauf, keine mitleidige Miene aufzusetzen. Irgendetwas sagte mir, dass er derartige Rührseligkeit nicht zu schätzen wusste.

»Ich will nicht behaupten, dass wir hier in der Gegend bessere Menschen sind oder so was«, sagte ich. »Aber wenigstens erwarten wir keine Gegenleistung, wenn wir jemandem helfen.«

Er brummte. Und wartete offensichtlich einfach weiter auf meine Liste mit Forderungen.

»Also gut. Danke für das Angebot, aber meine Sendung läuft, und ich will nichts von Ihnen. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend.«

Bevor ich ihm die Tür vor der Nase zuschlagen konnte, hob er eine seiner großen Hände, um sie aufzuhalten. »Warten Sie einen Augenblick. Gestern Nacht hingen Sie förmlich aus dem Fenster und beobachteten mich …«

»Ich hing nirgendwo«, schnaubte ich. »Und ich entschuldige mich dafür. Bei Ihnen klingt das so, als wäre ich eine gestörte Stalkerin. Aber wer wäre nicht neugierig, wenn ein neuer Nachbar einzieht? Ich verstehe, dass Sie vermutlich ein Problem damit haben, weil die Leute Ihre Grenzen nicht respektieren und so weiter. Aber ist Ihnen je in den Sinn gekommen, dass Sie vielleicht ein bisschen überempfindlich sind?«

»Und heute wirkte es dann so, als würden Sie irgendwie versuchen, mir Rückendeckung zu geben, indem Sie nicht verraten haben, wer ich bin«, sagte er und redete einfach weiter, als hätte ich nichts gesagt.

»Das ›irgendwie‹ können Sie streichen, denn ich habe Ihnen definitiv Rückendeckung gegeben. Gern geschehen«, erwiderte ich. »Allerdings sollten Sie es genießen, solange Sie können. Irgendwann wird sich herumsprechen, wer Sie wirklich sind.«

Die Falten auf seiner schönen Stirn waren zahllos.

»Mit einem so berühmten Gesicht wie Ihrem wäre es vermutlich besser gewesen, wenn Sie sich in einer großen Stadt versteckt hätten …«

Er leckte sich über die Lippen, als wollte er etwas sagen, doch aus seinem Mund kam nichts heraus. Ein verwirrter Ausdruck huschte über sein Gesicht. Schließlich gestand er: »Die Leute haben den ganzen Tag über Essen vor meiner Tür abgelegt.«

»Haben Sie etwa nicht aufgemacht, als sie geklopft haben?«, fragte ich amüsiert.

Er zuckte mit den Schultern.

»Haben Sie sich tatsächlich hinter einer Couch versteckt oder …?«

»Nein. Natürlich nicht. Ich bin einfach nur nicht an die Tür gegangen.«

»Sie können sich entspannen. Das ist kein koordinierter Angriff. Sie heißen Sie nur in der Stadt willkommen. Und ja, vielleicht sind sie auch ein wenig neugierig auf Sie. Aber sie haben nichts Übles im Sinn.« Ich lächelte. »Wenn Sie allerdings die Tür geöffnet hätten, hätte einer von ihnen Sie erkannt. Berühmte Leute sind hier nicht die Norm. Wahrscheinlich werden Sie nicht lange anonym bleiben. Es sei denn, Sie sind bereit, sich für den Rest Ihres Lebens in Ihrem Haus zu verkriechen wie Miss Havisham.«

»Wer?«

»Sie ist eine Figur aus einem Buch«, erklärte ich. »Sehen Sie es positiv: Jetzt haben Sie so viel Essen, dass Sie sich nicht von Erdnussbutter-Marmelade-Sandwiches und Ramen-Nudeln ernähren müssen. Das ist doch was, oder?«

Er war nicht überzeugt.

»Heißt man neue Nachbarn in Beverly Hills nicht willkommen?«

»Keine Ahnung«, erwiderte er. »Dort habe ich nie gewohnt.«

Dann ließ er den Blick an meinem Körper entlang nach unten wandern und hielt kurz an meiner Brust inne, bevor er sich hektisch abwandte. Ich trug keinen BH. Das war eine regelrechte Falle. Aber er war derjenige, der an meine Tür geklopft hatte. Ich würde mich nicht schämen. Ich weigerte mich. Allerdings verschränkte ich sofort die Arme vor der Brust – aus Gründen, die mit meinen Brustwarzen zu tun hatten.

Er räusperte sich. »Ich kam her, um ein wenig Frieden zu finden.«

»Wenn Sie das Essen verputzt haben, können Sie mir das Geschirr geben, dann werde ich es zu den Besitzern zurückbringen. Das sollte Ihnen ein wenig mehr Zeit verschaffen.«

»Danke.« Er hielt inne. »Ich habe Ihren Namen gar nicht mitbekommen.«

»Müssen Sie meinen Namen denn kennen?«

»Ist mit Ihnen immer alles so schwierig?«

Ich dachte über die Frage nach. »Nein. Nicht alles. Aber Sie haben mich in die Defensive gedrängt. Ich denke, dass das an dieser Falte zwischen Ihren Augenbrauen liegt, die auftaucht, wenn Sie mich anschauen. Sie ist so vorwurfsvoll.«

Er schnaubte. »Aber Sie mögen meine Band.«

»Ich mag eine Menge Bands.«

Er lächelte beinahe. Er war nah dran.

Mir lagen schätzungsweise eine Million Fragen auf der Zunge. Aber ich stellte nicht mal eine einzige. »Mein Name ist Ani.«

»Ani.« Er nickte. »Freut mich, Sie kennenzulernen.«

»Willkommen in Wildwood, Garrett.«

Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und kehrte zu seinem Haus zurück. In der Art, wie er seine Schultern hielt, lag etwas Misstrauisches, während er in der Dunkelheit verschwand. Das sorgte dafür, dass ich mich fragte, ob er wirklich gern allein in diesem großen alten Haus war. Aber die Wahrheit lautete, dass man sich mit Leuten umgeben und trotzdem allein sein konnte.

Am nächsten Tag begannen die Arbeiten an einem Zaun rund um sein Grundstück. Eigentlich war es eine hohe Steinmauer mit einem dekorativen Eisentor und Einsätzen. Sie war oben sogar mit Eisenspitzen ausgestattet. Sie wurde schneller errichtet, als ich es für möglich gehalten hätte. Als Nächstes kam der Lieferwagen mit dem Logo einer Sicherheitsfirma auf der Seite. Der Rockstar baute sich eine regelrechte Festung am Rande unserer Kleinstadt.

»Oh, das ist so ein Schwachsinn.«

»Setz dich hin, Maria, sonst werde ich deinem Team einen Punkt abziehen.« Heather schlug mit ihrem Hammer auf den Tisch. »Hier auf dem Papier steht Stevie Nicks.«

»Jeder weiß, dass die erste Frau, die je in die Hall of Fame aufgenommen wurde, Aretha Franklin war.« Maria trank einen Schluck von ihrem Bier. »Das ist lächerlich. Stevie war die erste Frau, die zweimal aufgenommen wurde. Überprüf deine Fakten.«

»Sie hat recht, Heather«, sagte Harry, der an der Theke saß. Wenn er nicht betrunken war und um Mitternacht auf der Hauptstraße sang, war sein Musikwissen legendär. »Aretha Franklin war die erste.«

Heather rieb sich einfach nur die Schläfe.

Quizabende in der Bar wurden oft hitzig. In der Woche zuvor war eine leidenschaftliche Debatte darüber ausgebrochen, in welchem Jahr der Bau des Empire State Buildings begonnen hatte. Es war viel gestikuliert und mit Fingern aufeinander gezeigt worden. Es war übrigens 1930.

Die örtliche Bevölkerung bildete eine interessante Mischung. Sie bestand aus freiheitsliebenden Hippies, Typen mit ernsten Mienen, die gern Flanellhemden trugen, und allerlei anderen Gestalten. Und auch wenn manche Bewohner regelmäßig für den Weltfrieden protestierten, war der Wettbewerbsgeist in der Stadt sehr ausgeprägt. Deswegen hatte der Bezirkssheriff jegliche Wetten auf Billardspiele verboten. Sie hatten zu viele Faustkämpfe zur Folge gehabt. Bingo war ebenfalls nicht erlaubt. Als es das letzte Mal gespielt worden war, hatte es ein regelrechtes Blutbad gegeben.

Ich teilte mir einen Tisch mit meinen guten Freundinnen, die zufällig auch mein Team für die Quizabende waren. Wir nannten uns die Matriarchatmonster und gewannen am Quizabend oft.

Die Bar war genau das, was man erwarten würde. Jede Menge Holz und hier und da ein ausgestopfter Tierkopf. Aber das Essen war gut und die Getränke hatten vernünftige Preise. Sie war gemütlich. Sie gehörte uns.

»Wie geht es deinem Nachbarn?« Cézanne war eine schwarze Frau, der die örtliche Weinkellerei gehörte. Sie hatte natürliches Haar, ein umwerfendes Lächeln und einen ausgezeichneten Käsegeschmack. Denn Käse war Leben.

»Ich habe keine Ahnung«, erwiderte ich und umfasste mein Ciderglas. »Er versteckt sich immer noch hinter seinen Mauern. Mehrere Dienstleister sind gekommen und gegangen, aber er hält sich bedeckt.«

»In unsere Stadt zu kommen und sich dann zu weigern, an unseren Albernheiten teilzunehmen, sollte illegal sein.« Maria war Lehrerin und das Gehirn unserer Operation. Ihr Allgemeinwissen war immens. Und ihre olivfarbene Haut war dank eines Urlaubs, den sie kürzlich mit ihrer Freundin auf Hawaii verlebte, perfekt gebräunt. »Wir sollten die Festung stürmen.«

So nannten die Ortsansässigen den Wohnsitz des Rockstars mittlerweile. Die Festung. Das war durchaus verständlich wenn man die Mauer und die übrigen Sicherheitsmaßnahmen bedachte, die er eingerichtet hatte. Aber seine Identität war nach wie vor unbekannt.

Seit seinem ersten und einzigen Besuch im Gemischtwarenladen war fast eine Woche vergangen. Oft kamen Fahrzeuge zu seinem Haus und verschwanden dann wieder, aber den Besitzer sah man nie. Nicht dass ich ihn ausspionierte oder so was. Gott bewahre. Und auch wenn ich mich schuldig fühlte, weil ich meinen Freundinnen Informationen vorenthielt, konnte ich mich doch nicht dazu durchringen, es ihnen zu erzählen. Das wäre irgendwie so, als würde ich ihn verraten.

Ich lächelte. »Wollt ihr ihn etwa dazu zwingen, sich unter die Leute zu mischen?«

»Wir werden ihn dazu bringen, eine Einweihungsfeier in seinem Haus zu veranstalten, zu der jeder etwas zu essen mitbringt«, sagte Cézanne.

»Das würde jedem Mann Angst einjagen.« Ich schob mir eine weitere Knoblauchfritte in den Mund. Denn Gemüse zu essen, war wichtig.

»Das ist eine tolle Idee«, rief Claude vom Nebentisch aus begeistert. »Ich könnte mein Chili machen.«

Maria runzelte die Stirn. »Claude. Nein. Dein Sauerteigbrot ist das beste, das ich je gegessen habe. Chili liegt dir einfach nicht.«

»Ich habe daran gearbeitet. Deine Mutter hilft mir dabei. Sie lehrt mich das Familienrezept.«

»Um Himmels willen, Mama«, murmelte Maria und schüttelte den Kopf.

Cézanne grinste. »Ich finde es toll, dass Claude und deine Mom zusammen sind.«

»Was immer sie glücklich macht«, entgegnete Maria mit einem gequälten Seufzen.

Ihr Vater war vor acht Jahren an einem Herzinfarkt gestorben. Claude hatte ihre Mutter in den letzten paar Jahren immer wieder um eine Verabredung zum Abendessen gebeten. Aber bis vor Kurzem hatte ihre Antwort immer gelautet: »Noch nicht. Frag mich nächsten Monat noch mal.« Nach dreißig Jahren Ehe mit dem Leben weiterzumachen musste schwer sein. Veränderungen waren im Allgemeinen nicht immer leicht zu akzeptieren.

Da musste man sich nur mal den Rockstar anschauen. Seine Frau Grace war bereits seit zwei Jahren tot, und er hatte jetzt erst seinen Ehering abgenommen. Und dann hatte er sich in unserer Stadt versteckt. Das Verhalten dieses Mannes ergab keinen Sinn. Nicht dass ich über ihn nachdenken würde, denn das war Zeitverschwendung. Ich konnte nicht einmal mehr ganz privat für mich Nacktgedanken von ihm haben. Das war einfach zu seltsam. Es hieß immer, dass man seine Helden nie im echten Leben treffen sollte. Und das stimmte.

Die Tatsache, dass die Jukebox genau in diesem Augenblick ein Lied von seiner verstorbenen Frau spielte, war regelrecht unheimlich. Sie schnurrte und knurrte darüber, was für ein Miststück die Liebe sein konnte. Ich hatte Mitleid mit der Person, die versuchte, sie in seinem Herzen zu ersetzen.

»Ich werde niemals vergessen, wie ich sie live bei einem Konzert gesehen habe«, sagte Maria.

Cézanne schmollte. »Du kannst dich verdammt glücklich schätzen. Ich wollte Grace immer auftreten sehen, aber ich habe es ständig vor mir hergeschoben, und jetzt ist es zu spät.«

»Sie war krass. Es war auf einem Festival, auf dem auch The Dead Heart spielten«, fuhr Maria fort. »Sie spielten ein Lied gemeinsam, und Mann … die zwei hatten einfache eine unglaubliche Chemie.«

Heather schlug mit ihrem Hammer auf den Tisch. »Die Matriarchatmonster haben gewonnen. Schon wieder.«

Wir sprangen auf, um zu feiern, während unsere Gegner Buhrufe ausstießen. Sie waren größtenteils freundlich gemeint. Größtenteils.

»Was für ein Glück, dass du das mit dem Whipple Tickle wusstest.« Maria tippte mit ihrer Bierflasche an mein Ciderglas und wandte sich dann mit einem Lächeln an Cézanne. »Und ich bin auch froh über dich und dein unerwartetes und doch erfreuliches Wissen über Pottwale. Ausgezeichnete Arbeit.«

»Es war wie immer Teamarbeit«, sagte Cézanne.