Sylt auf unserer Haut - Claudia Thesenfitz - E-Book
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Sylt auf unserer Haut E-Book

Claudia Thesenfitz

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Beschreibung

Stürmische Gefühle auf Sylt Maja ist gelangweilt – von ihrer Ehe, ihrem Mann Robert und ihrem Leben. Eigentlich ist alles gut – aber ist gut, gut genug? Der gemeinsame Urlaub auf Sylt mit einem befreundeten Paar verspricht ein bisschen Abwechslung. Die vier Mittfünfziger liegen tagsüber am Strand und führen abends rotweinlastige Gespräche über Träume und die in die Jahre gekommene Liebe. Und plötzlich beginnt es zwischen Maja und Bernd zu funken. Doch Maja wehrt ab, sie gehört zu ihrem Mann. Oder etwa nicht? Eine berührende Geschichte über Beziehungen, Träume und die harte Realität - und über einen magischen Sommer auf Deutschlands schönster Insel.

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Sylt auf unserer Haut

Die Autorin

CLAUDIA THESENFITZ kann auf eine lange journalistische Karriere zurückblicken, hat unter anderem festangestellt als Chefreporterin bei TEMPO und petra gearbeitet, bevor sie sich 2001 als freie Autorin und Journalistin selbstständig machte. Sie schreibt für alle großen Frauenzeitschriften und Magazine (emotion, Brigitte, petra, Für Sie, Gala u.v.m.) und hat unter anderem die Autobiografien von und mit Nena (2005, Luebbe), Dieter Wedel (2008, Luebbe) und Uwe Ochsenknecht (2013, Luebbe) geschrieben.Von Claudia Thesenfitz sind in unserem Hause bereits erschienen: Sylt oder Selters · Meer Liebe auf Sylt · Sylt oder solo · Mit James auf Sylt · Sylt oder Sahne

Claudia Thesenfitz

Sylt auf unserer Haut

Ein Glücksroman

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein.de

1. Auflage April 2021© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2021Umschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildung: Landschaft: © FinePic®, München Paar im Vordergrund: © DEEPOL by plainpicture;Strandkörbe: plainpicture/© Silke Heyer;Autorenfoto: © Hans ScherhauferE-Book-Konvertierung powered by pepyrus.comAlle Rechte vorbehalten. ISBN 978-3-8437-2521-7

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Robert

Maja

Robert

Maja

Robert

Maja

Robert

Maja

Robert

Maja

Robert

Maja

Robert

Maja

Robert

Maja

Robert

Maja

Robert

Maja

Robert

Maja

Robert

Maja

Robert

Maja

Robert

Maja

Robert

Maja

Bernd

Maja

Robert

Maja

Robert

Maja

Bernd

Robert

Maja

Robert

Maja

Robert

Maja

Robert

Maja

Robert

Maja

Bernd

Maja

Bernd

Maja

Maja

Maja

Maja

Maja

Epilog

Danksagung

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Widmung

Für alle Liebenden

Robert

Robert hatte schlechte Laune. Maja hatte mal wieder ein Paar seiner teuren Merino-Wollsocken in die Buntwäsche getan, sodass sie auf Größe 36 geschrumpft waren. Schnaubend warf er sie in die Ecke und nahm ein neues Paar aus seiner pedantisch nach Farben und Materialien geordneten Socken-Schublade. Das fing ja wunderbar an! Wie hatte es bloß so weit kommen können, dass sein nerviger neuer Kollege ihn tatsächlich in seinen ersehnten Urlaub begleitete?

Bernd Simon war ein angeblich hervorragender Statiker, den Roberts Chef im Bauamt aus Berlin abgeworben hatte. Er hatte einen exzellenten Ruf. Gemeinsam mit Robert betreute er seit drei Monaten den Umbau des Bahnhofs Landungsbrücken – ein Prestigeobjekt der Stadt.

Bei einem ihrer zahlreichen gemeinsamen Mittagessen in der Kantine hatte Robert ihm von seiner Sylt-Liebe und dem geplanten Urlaub erzählt. »Sylt? Da war ich noch nie!«, hatte Bernd begeistert ausgerufen, und Robert hatte sich angesichts dieses phonstarken Gefühlsausbruchs (für Roberts Verhältnisse) fast an seiner zuckerfreien Apfelschorle verschluckt. »Wohin fahrt ihr denn da immer?«, hatte Bernd sich erkundigt. »Hast du einen Geheimtipp?«

Robert, der nicht lügen konnte und außerdem nicht davon ausgegangen war, dass Bernd zeitgleich buchen würde, verriet die Adresse der Ferienwohnung, in die er nun schon seit ein paar Jahren mit Maja fuhr.

Drei Tage später verkündete Bernd stolz, dass er in ihrem Urlaubs-Doppelhaus die Wohnung neben ihnen gebucht hatte. Sie mussten sowieso gleichzeitig Urlaub nehmen, da das Projekt aufgrund einer fehlenden Genehmigung gerade stagnierte.

Nun standen ihm also Ferien mit Bernd und dessen Frau bevor. Na prima! Robert entfernte die hölzernen Schuhspanner aus seinen maßgefertigten Budapestern, die er sich vor zehn Jahren von einem berühmten Londoner Meisterbetrieb hatte schustern lassen, und schlüpfte hinein.

Er hatte im Sylturlaub eingespielte Rituale, die er sich von Bernd auf keinen Fall durcheinanderbringen lassen wollte: Er stand um sieben Uhr auf, ging dann eine Runde am Strand joggen und brachte auf dem Rückweg Brötchen und die »Sylter Rundschau« von der Bäckerei Raffelhüschen mit.

Während seiner Abwesenheit deckte Maja auf der Terrasse den Tisch und setzte Kaffee auf; dann frühstückten sie gemeinsam (für Robert ein Sylter Ei und nie mehr als einen Teelöffel Morsumer Honig pro »Sylter Knacker«-Hälfte, seinem Lieblingsbrötchen), während er dabei die Zeitung las.

Danach machten sie sich zu Fuß auf den Weg zu ihrem schon im Vorjahr online gebuchten Strandkorb. Lesen, baden, dösen. Weil es Robert über Mittag am Strand zu heiß wurde und er es zudem unvernünftig fand, sich der in diesen Stunden erhöhten UV-Strahlung auszusetzen, gingen sie gegen 13 Uhr zurück in die Wohnung, kauften sich als Mittagssnack an der Crêperie beim Minigolfplatz einen Crêpe mit Käse, Schinken und Tomaten oder aßen im Iismeer-Bistro einen Chili-Chicken-Salat.

Zurück in der Wohnung, legten sie sich zum Mittagsschlaf auf der Terrasse in den Schatten oder auf die Lounge-Landschaft im Wohnzimmer.

Nachmittags begaben sie sich wieder an den Strand. Abends gingen sie essen, oder Maja kochte etwas. Einzige Abwechslung dieses Programms waren ein paar Runden auf dem Golfplatz (nur Robert spielte, Maja fand es langweilig und elitär, begleitete ihn aber dennoch) und die eine oder andere Fahrradtour.

»Robbi! Kommst du?«, rief Maja, die offenbar gerade vom Mika-Wegbringen zurückgekehrt war, von unten. »Robbi« – Robert mochte diesen Spitznamen nicht besonders, fand ihn aber besser als »Bob«, wie ihn einige seiner Freunde nannten. Er erhob sich, drückte den schmerzenden Rücken durch und besah sich ein letztes Mal im Spiegel: Gut sah er aus für seine 55 Jahre, fand er. Mit seinen 1,90 Metern Körpergröße und seiner schlanken Figur gab er ein stattliches Bild ab. Und die grauen Haare nebst der schwarzen Intellektuellen-Hornbrille verliehen ihm zusätzliche Seriosität. Am liebsten trug er dunkelgraue Wollpullis mit hellblauen Hemden drunter, so wie auch heute. Dazu ein Paar seiner geliebten 501-Jeans – natürlich gebügelt.

Mit seiner Figur, für die er glücklicherweise nicht viel tun musste, war er genauso zufrieden wie mit seiner Frisur: Stolz fuhr er sich durch die immer noch vollen Haare, schaute sich im Ankleidezimmer um, ob er auch nichts vergessen hatte, und machte sich auf den Weg nach unten.

Er würde sich von Bernd und dessen Frau nicht aus der Ruhe bringen lassen, beschloss er. Schließlich freute er sich schon das ganze Jahr auf diese zwei Wochen Nordseeluft und Entspannung.

Maja

Mit sorgenvollem Gesicht fädelte Robert den Mercedes SUV auf dem Shuttle ein. Wie Maja dieser Gesichtsausdruck nervte. Stets hatte er panische Angst, dass sein geliebtes Auto einen Kratzer kriegen könnte. Maja verdrehte innerlich die Augen und fuhr die Sitzlehne in eine bequemere Position. Wie gerne hätte sie zur Einstimmung auf den Urlaub ein Glas Champagner getrunken, so wie es viele Sylturlauber taten und die Beweisfotos dann im Facebook-Sylt-Forum posteten. Doch daran war nicht zu denken, denn Robert war strikt gegen Alkohol vor 18 Uhr.

Bizarr, dachte Maja, während sich der Zug langsam in Bewegung setzte. Robert bot ihr Luxus und einen gehobenen Lebensstandard, konnte ihn jedoch selbst nur nach strengen Regeln genießen. Einfach mal fünfe gerade sein lassen – undenkbar für ihren überkorrekten Gatten. Aber das war ja auch ganz schön, er war eben durch und durch prinzipientreu und verlässlich.

Er war immer ein zuverlässiger Familien-Versorger gewesen – und ein guter Vater. Er hatte mit Milo auf dem Fußballplatz gebolzt, in der Werkstatt mit ihm gebastelt und war ihm männliches Vorbild und Orientierungsfigur gewesen. Und Nala hatte er das Gefühl gegeben, ein hübsches Mädchen und später eine begehrenswerte Frau zu sein.

Während draußen die Wiesen und Äcker vorbeiflogen, gingen Maja Bilder von den vielen Familienspiele-Abenden mit Canasta und Mensch-ärgere-Dich-nicht durch den Kopf. Robert hatte den Kindern Schwimmen beigebracht und sie nachts von ihren ersten Partys abgeholt. Er hatte zwar immer erst abends, nach der Arbeit, oder am Wochenende Zeit für seinen Nachwuchs gehabt, dann aber konzentriert, wenn auch mitunter sehr streng in Bezug auf ihre Schulnoten.

Und das Geld, das er nach Hause brachte, hatte den Kindern Markenklamotten, Mofas und Skiurlaube ermöglicht.

Ein Bilderbuchvater, dachte Maja zärtlich und schaute ihn liebevoll an.

Sie war immer stolz darauf gewesen, »mein Mann« sagen zu können. Das klang so gesellschaftlich integriert und angekommen. Sie, ihre Kinder, ihr Mann – eine Festung der Rechtschaffenheit. Ob diese Trutzburg sie wirklich glücklich machte, hatte sie sich nie gefragt.

Der Shuttle ratterte Richtung Hindenburgdamm. Robert las eine Zeitung, Maja guckte aus dem Fenster. Es war Mitte Juli, ein milder Sommertag mit klarem blauen Himmel. Äsende Schafsherden, Solarfelder und die letzten einsamen Höfe zogen vorbei, bevor sich hinter dem Deich die Nordsee erstreckte.

Sylt … Schon seit über 20 Jahren verbrachten sie jeden Sommer zwei bis drei Wochen auf der den Deutschen liebsten Insel. Hier hatte Nala Reiten gelernt – und Milo Kitesurfen. Robert hatte wichtige berufliche Kontakte geknüpft, und sie selbst hatte sich immer wieder neu in den über ein Dutzend verschiedenen Ferienwohnungsküchen arrangiert, in denen sie ihre Familie ununterbrochen mit Mahlzeiten versorgt hatte. Majas Urlaubstage hatten im Wesentlichen aus Einkaufen und Kochen bestanden, aber das hatte ihr nichts ausgemacht. Im Gegenteil: Sie fühlte sich dadurch unentbehrlich und gebraucht.

Doch nun waren die Kinder groß und aus dem Haus, und das »Empty-Nest-Syndrom« wurde nur durch Mika gemildert, die aber in die Wenningstedter Ferienwohnung, in die sie seit drei Jahren fuhren, ja leider nicht mitkommen durfte. Haustiere waren dort nicht erlaubt, was Robert natürlich sehr recht war …

Der Zug ratterte durch die offene Nordsee. Links und rechts der Gleise leckte das Meer am Damm. Maja ließ sich durch die Scheibe die Sonne aufs Gesicht scheinen und schloss die Augen.

Sie war jetzt 52. Ihre einstigen Träume hatte sie schon lange aufgegeben. Ihr Lebensinhalt und -sinn waren ihre Kinder gewesen. Nun ging es nur noch ums Durchhalten. Sie trank zu viel Wein. Damit war jeder Abend schön, denn jedes Glas garantierte ein leichtes, beschwingtes Glücksgefühl. Doch sollte das die kommenden 30 Jahre, die sie statistisch noch erwarten konnte, so weitergehen?

Sie hatte als Illustratorin gearbeitet und ihren Job wegen der Kinder an den Nagel gehängt. Mit über 50 war es so gut wie unmöglich, wieder einzusteigen. Und wenn sie ganz ehrlich war, war sie auch viel zu faul dazu …

Ein lautes Quietschen riss sie aus ihren Gedanken. Der Zug bremste ab, verlangsamte die Fahrt und blieb schließlich ganz stehen. Genervt ließ Robert die Zeitung sinken und schaute über seine Lesebrille.

»Das darf doch nicht wahr sein!«, motzte er. »Wann kriegen die das mit dieser elenden Strecke endlich mal in den Griff?« Er ließ sein Fenster runtersurren und streckte den Kopf heraus, um die Lage zu checken.

»Wollen wir eigentlich gleich einkaufen – oder laden wir erst aus?«, versuchte Maja ihn abzulenken. Denn Robert hatte eine starke Aversion gegen ungeplante Ereignisse. Sie hatten zwar nicht die geringste Zeitnot, aber er duldete einfach keine Unprofessionalität. Und er hasste es, sich zu verspäten.

»Wir machen es wie immer, Maja!«, zischte Robert. »Wie sollen wir die Einkäufe denn sonst im Auto unterbringen?« Ungeduldig hielt er wieder den Kopf aus dem Fenster.

»Kannst du dich nicht mal entspannen?«, schlug Maja vor. »Der Zug bleibt jedes Jahr an dieser Stelle stehen – und du regst dich jedes Mal wieder darüber auf!«

»Ja, weil die Bahn überhaupt keine Fortschritte macht!«, schnaubte Robert. »Wie kann denn so etwas sein?« Er trommelte mit den Fingern auf dem Lenkrad herum. »Und ich BIN entspannt!«, ließ er Maja wissen und verschwand wieder hinter seiner Zeitung.

»Ist klar«, murmelte Maja und schloss wieder die Augen. Wie schön wäre es jetzt, klassische Musik zu hören, sich einen leichten Schwips anzutrinken – und sich zu küssen … Huch?? Die Vorstellung war Maja einfach so ins Bild gerutscht. Was war denn mit ihr los? An Sex hatte sie schon ewig nicht mehr gedacht – und ans Küssen oder Zärtlichkeiten schon gar nicht … Vermutlich lag ihr Tagtraum an den aufgeregten Erzählungen ihrer besten Freundin Beate, die dank eines Online-Portals gerade eine heiße Affäre mit einem jüngeren Mann begonnen hatte. Seit Tagen schwärmte sie Maja am Telefon atemlos von dessen erotischen Qualitäten vor. Maja hörte sich die detailgenauen Beschreibungen erst belustigt, dann zunehmend neidischer an.

Sie schaute zu Robert herüber und studierte sein markantes Profil, das nach gängigen Maßstäben als ziemlich attraktiv galt. Würde sie für ihn jemals wieder solche Gefühle entwickeln, wie Beate sie beschrieb? Hatte sie die überhaupt jemals für ihn empfunden?

Früher, in ihrer Anfangszeit, waren sie in seinem schmalen Bett oft in Löffelchenstellung aneinandergekuschelt eingeschlafen. Er an ihrem Rücken, sie in seinen Armen. Maja erinnerte sich, dass sie die Wärme und den Schutz seines Körpers damals immer sehr genossen und sich behütet und geborgen gefühlt hatte.

Heute schliefen sie in einem Kingsize-Bett auf megateuren Einzelmatratzen, und die Besucherritze verhinderte zuverlässig jede Annäherung. Der Spalt zwischen den beiden Matratzen war zwar nur sehr schmal, aber gefühlt dennoch so tief, dass ihre Körper sich beim Liegen oder Einnicken seit Jahren nicht mehr berührt hatten.

Robert schlief zudem in einem seiner zahlreichen, penibel gebügelten und bis oben zugeknöpften Pyjamas – und Maja in Slip und überlangem Schlaf-T-Shirt. Ihre Körper waren genauso verhüllt wie ihre Libido.

Maja schaute ihren Zeitung lesenden Ehemann an. Sie vermisste ihn, obwohl er neben ihr saß. Ihr fehlte das »Wir«. Sie lebten nur noch nebeneinanderher, waren keine Einheit mehr. Das »Wir« war irgendwo auf der Strecke geblieben.

Vielleicht sollten sie mal eine Paartherapie machen, um ihre Libido wieder anzukurbeln? Eine Sexkursion bei einer Sexualberaterin? Aber wollte sie das überhaupt? Sie hatte den Sex mit Robert – nach einem erschöpfenden Tag mit Haushalt und Kindern – zunehmend als anstrengend empfunden und war im Grunde froh, dass ihr Liebesleben komplett eingeschlafen war.

Der Zug setzte sich wieder in Bewegung. Um auf andere Gedanken zu kommen, griff Maja in ihre Handtasche, kramte einen Block plus Kuli hervor und begann, eine Einkaufsliste zu schreiben. Zu ihren jährlichen Urlaubsritualen gehörte stets ein komplett spaßbefreiter Großeinkauf im Supermarkt am ersten Urlaubstag, damit sie sich in den nächsten zwei Wochen nicht weiter mit Einkäufen beschäftigen mussten.

Als sie in Westerland angekommen waren, fuhren sie vom Zug, sausten Richtung Wenningstedt, bogen in die kleine Sackgasse namens Dünenstraße ein, an deren Ende, direkt vor dem beeindruckenden Westküsten-Dünenkamm, ihr Ferienhaus lag – und trauten ihren Augen kaum: Auf den beiden zum Haus gehörenden Parkplätzen standen eine fette schwarze Harley – und ein ziemlich schrottreifer, mit Blumen bemalter VW-Bus! Für Roberts SUV war kein Platz mehr.

Fassungslos parkte er den Wagen am Straßenrand und stellte den Motor ab. Sie sah, wie die Zornesfalten sich auf Roberts Stirn zusammenzogen, und wusste, was gleich passieren würde. Doch zu ihrer großen Verblüffung passierte etwas ganz anderes: Kaum dass Robert ausgestiegen war, schob sich die Tür des VW-Busses auf, und ein freudestrahlender dickbäuchiger, kleiner Mann mit Glatze, neonfarbenem T-Shirt und bunten Shorts trat heraus. Er trug das vermutlich geschmackloseste Outfit der Insel, stellte Maja amüsiert fest.

Doch statt den dicken Zwerg mit einem Wutanfall zu überschütten, glättete sich Roberts Stirn, er schritt freudig auf ihn zu und schüttelte ihm die Hand.

»Bernd!«, rief er aus. »Ihr seid schon da? Wie schön!«

Maja glaubte, sich verhört zu haben. Das war der sagenumwobene Bernd Simon?? Roberts viel gelobter Kollege? Er sah aus wie ein farbenblinder Imbissbudenbetreiber, der deutlich zu viele seiner fettigen Pommes selbst gegessen hatte!

»Maja-Schatz! Steig doch mal aus, und begrüße meinen Kollegen!«, rief Robert launig in Richtung SUV.

»Maja-Schatz!« Ging es noch? Maja hasste es, wenn er so jovial tat, obwohl er nicht die geringste Lust auf den gemeinsamen Urlaub mit seinem Kollegen hatte. Aber er war halt ein superdisziplinierter Profi – und in jeder Situation souverän.

Maja stieg aus und ging zu den beiden Männern. »Hallo, Maja, freut mich sehr, dich kennenzulernen«, sagte Bernd und gab ihr seine überraschend weiche Hand. Er war stämmig und muskulös und erinnerte körperlich an Axel Prahl, den Kommissar aus dem Münsteraner Tatort, der immer an der Seite von Jan Josef Liefers spielte. Seine braunen Augen schmunzelten sie an. Sein Lächeln war unleugbar sympathisch, deshalb beschloss Maja, seine Statur und sein Outfit höflich zu ignorieren.

»Freut mich auch sehr«, presste sie hervor und schaute sich irritiert um. »Ist deine Frau gar nicht mitgekommen?«

»Meine Freundin, meinst du«, korrigierte Bernd sie. »Ich bin nicht verheiratet.«

»Oh, sorry, ich dachte …«, stammelte Maja.

»Kein Problem, kannste ja nicht wissen!« Er schaute ihr sehr direkt in die Augen. Maja wich seinem Blick aus.

»Karin??«, rief er laut und drehte seinen Kopf Richtung Haus. »Kommst du mal?«

Die Haustür öffnete sich, und eine schlanke, durchtrainierte Frau Ende 20 trat heraus. Sie trocknete sich die Hände an einem Geschirrhandtuch ab und fuhr sich schnell durch ihren braunen strubbeligen Kurzhaarschnitt, während sie auf sie zukam.

»Entschuldigt, ich hab euch gar nicht kommen sehen«, lachte sie und reichte Maja die Hand. »Ich bin Karin!«

Sie trug abgewetzte Jeans, Flipflops und ein blaues T-Shirt ohne BH. Robert bekam Stielaugen, die er kaum verbergen konnte, als sie auch ihm die Hand schüttelte.

»Wir sind schon seit zwei Tagen hier«, erklärte Bernd. »Wir wollten das Wochenende noch mitnehmen.«

Robert hatte die Ferienwohnung, wie immer, erst ab Montag gebucht, um den regelmäßigen Wochenendstau an der Niebüller Shuttle-Verladestation zu vermeiden. An schlechten Tagen standen die Urlauber dort nämlich bis zu sechs Stunden.

»Standet ihr gar nicht im Stau?«, fragte Robert dementsprechend verblüfft.

»Nein, wir sind mit der Fähre gekommen«, strahlte Bernd. »Die Fahrt nach Rømø war einfach herrlich! Ich bin auf der Harley durch Wiesen und Felder geknattert, und Karin ist mit dem Bully hinterhergebraust.«

»Auch die Überfahrt war wunderschön«, ergänzte Karin schwärmend. »Das weite Meer, der blaue Himmel – und die immer näher kommende Insel …«

»Und die Matjesbrötchen waren auch nicht schlecht«, schwelgte Bernd und strich sich dabei genüsslich über seinen Bauch, wodurch sich sein T-Shirt hochschob und den Blick auf üppige Behaarung freigab.

Robert drehte pikiert den Kopf zur Seite. Maja konnte sich nicht erinnern, dass ihrem Gatten jemals ein Kleidungsstück verrutscht wäre und nackte Haut freigegeben hätte. Die optische Entgleisung seines Kollegen musste unerträglich für ihn sein. Sie grinste. Innerlich.

»Mensch, jetzt stehen wir hier rum und quatschen euch zu, obwohl ihr bestimmt von der Fahrt total erschöpft seid«, rief Karin plötzlich, legte überraschend den Arm um Majas Schultern und schickte sich an, sie ins Haus zu bugsieren. »Kommt doch mit rein, ich habe gerade frischen Eistee gemacht!«

»Oder willste lieber ein Bier?«, stupste Bernd Robert kumpelhaft in die Seite. »Bist ja jetzt schließlich im Urlaub!«

»Nein danke!«, presste Robert schmallippig hervor. »Sehr freundlich! Wir laden nur kurz die Koffer aus und fahren dann einkaufen.«

»Echt jetzt? Wollt ihr nicht erst mal ankommen?« Bernd schien ehrlich verblüfft. »Na, wie ihr wollt, ihr seid ja erwachsen«, grinste er dann und legte seinen Arm um Karin, die Maja inzwischen wieder freigegeben hatte.

»Aber dann lasst uns doch heute Abend wenigstens zusammen grillen«, schlug Karin vor und tätschelte Bernds Hintern.

»Genau«, strahlte der begeistert. »So jung kommen wir schließlich nicht mehr zusammen!«

Der Uralt-Kneipenspruch musste ihrem kultivierten, hochintellektuellen Mann fast körperliche Schmerzen bereiten, fürchtete Maja.

»19 Uhr?«, schlug Karin vor.

»Gerne!«, rief Maja, bevor Robert die Absage aussprechen konnte, die ihm sichtlich auf der Zunge lag. Sie hatte nicht die geringste Lust, schon am ersten Urlaubstag zu kochen, und auf ein schweigsames Restaurantmahl mit ihrem übellaunigen Gatten war sie auch nicht besonders scharf.

»Prima!«, freuten sich Karin und Bernd.

»Soll ich euch ausladen helfen?«, bot Bernd an.

»Nein danke, das schaffe ich schon«, knurrte Robert.

»Wie du meinst.« Bernd hob erstaunt die Hände und zuckte mit den Schultern.

»Bis nachher dann!«, rief er, winkte und schlenderte hinter Karin zurück ins Haus, aus dem kurz darauf ein spitzer, lachender Kieks-Schrei ertönte. Es klang sehr vergnügt, fand Maja. In ihrer Fantasie hatte Bernd sich seine Freundin gerade über die Schulter geworfen und war mit ihr die Treppe hoch ins Schlafzimmer gestürmt, um über sie herzufallen.

»Maja!!«, rief Robert ungeduldig mit scharfer Stimme. »Wo bleibst du denn!! Träumst du? Ich habe dich jetzt schon zum zweiten Mal gebeten, die Haustür aufzuschließen!« Empört stand er mit ihren Koffern vor der Eingangstür.

»Ich komm ja schon«, murmelte Maja und setzte sich in Bewegung.

Robert

Wie hatte Maja nur fürs Grillen zusagen können? Er hätte sie dafür würgen können! Nichts lag ihm ferner, als mit diesem Vollproll und seiner BH-verweigernden Freundin den Abend bei verkohltem Grillgut zu verbringen. Er ernährte sich schließlich ausgesprochen bewusst, nahm nach 18 Uhr keine Kohlenhydrate mehr zu sich, aß wenig Fleisch, dafür viel Fisch und Gemüse. Und: Er achtete penibel darauf, möglichst wenig und möglichst salzarm zu essen, um seine Figur zu halten und seine Gesundheit nicht zu gefährden.

Sich figürlich so gehen zu lassen, wie Bernd es offensichtlich tat, war ihm vollkommen zuwider. Disziplinlosigkeit war eines der Laster, die Robert am meisten verachtete, denn sie war für ihn der Anfang des persönlichen Niedergangs. Karl Lagerfeld hatte vollkommen recht mit seiner Behauptung, wer Jogginghosen trüge, hätte die Kontrolle über sein Leben verloren. Bernd hatte zwar keine Jogginghosen an, aber ein fürchterliches T-Shirt und geblümte (!) Shorts. Auch für Herrn Lagerfeld wäre diese Art optischer Folter sicher kaum zu ertragen gewesen!

Aufgebracht schmiss Robert im Dachgeschoss-Schlafzimmer die Koffer aufs Bett.

Dass Maja in den letzten Jahren immer mehr Hüftgold angesetzt hatte, ohne etwas dagegen zu unternehmen, machte ihm schon genug zu schaffen. Doch darüber konnte er gerade noch gnädig hinwegsehen, denn vermutlich lag es ja an ihren Hormonen, den Wechseljahren – das hatte er zumindest gelesen. Sie aß jedenfalls nicht sehr viel mehr als er.

Sexuell stimulieren konnte ihn ihre Figur allerdings schon lange nicht mehr. Das erschlaffende Bindegewebe, das Cellulite an ihren Oberschenkeln, etwas weniger pralle Brüste und sogar ein kleines Bäuchlein zur Folge hatte, törnten ihn eher ab als an. Außerdem lag sie sowieso meist steif wie ein Brett im Bett, wenn er sich auf ihr abarbeitete. Vermutlich war sie mit den Jahren frigide geworden oder so etwas – wer verstand schon die Frauen?

Die knabenhafte Figur dieser Karin dagegen! Robert wischte sich den Schweiß von der Stirn, den das Kofferschleppen verursacht hatte. Ihr praller, apfelförmiger Busen hatte ihm schon gefallen …

So ein Quatsch, schimpfte er mit sich selbst. Er war ein glücklich verheirateter Mann und hatte seine Frau noch nie betrogen. Na gut, außer diesen ein, zwei Malen mit betrunkenen Kolleginnen auf Geschäftsreisen – aber das war ja nichts Ernstes gewesen.

Robert schritt die Treppe hinab.

Oder waren es vier- oder fünfmal gewesen? Egal jetzt, er war sich sowieso nicht mehr sicher, ob seine Standfestigkeit noch so verlässlich war wie früher. In letzter Zeit war seine Erektion, wenn er auf der Toilette heimlich Hand an sich gelegt hatte, ein paarmal wieder in sich zusammengefallen. Er hatte es als Stresssymptom verbucht und wollte nicht weiter darüber nachdenken. Mit dem Einschlafen des ehelichen Verkehrs war er also ganz einverstanden.

Maja wartete schon im Auto, als er aus der Tür trat. Schweigend fuhren sie Richtung Feinkost Meyer, dem einzigen Supermarkt auf Sylt, der Roberts kulinarischen Spezialwünschen genügte. Er freute sich schon auf die erstklassige Rotwein- und Käseauswahl. Er würde sich ein paar schöne Tropfen leisten – und sich dazu durch die französische Rohmilchkäsewelt probieren.

Maja trank zum Glück nur Weißwein und gab sich auch mit schlichten Tropfen zufrieden, sodass der Einkauf kein allzu tiefes Loch ins Portemonnaie reißen würde. Zumindest nicht für Majas Versorgung. Für sich selbst war ihm im Grunde nichts zu teuer, und das fand er auch vollkommen okay, denn er verdiente ja schließlich auch das Geld, oder nicht?

Selbstzufrieden manövrierte er den Wagen auf einen Parkplatz, dessen Parkbuchten links und rechts leer waren. So war die Chance am größten, dass kein Auto neben ihm parkte und dessen Besitzer beim Öffnen der Tür eventuell den Lack seines SUV beschädigte.

»Was ist das eigentlich für ein seltsamer Typ, dein Kollege?«, fragte Maja, als er den Motor ausgeschaltet hatte und gerade aussteigen wollte.

»Wieso seltsam?« Robert hatte jetzt wirklich keine Lust auf Diskussionen. Er wollte lieber mit dem erfreulich gut ausgebildeten Weinberater fachsimpeln und sich nach ein paar Fachkenntnisgefechten auf eine solide Anzahl rarer Gewächse einigen.

»Na, diese komischen Klamotten! Und dieser Bus!«, rief Maja.

»Auf der Arbeit sah er immer ganz korrekt aus«, versuchte Robert das Gespräch abzubrechen. »Ist wahrscheinlich nur sein Freizeitlook. Die Ossis haben ja oft einen schrecklichen Geschmack …«

»Der kommt aus der DDR?«, fragte Maja erstaunt.

»Ja«, sagte Robert trocken. »Er ist gebürtiger Stralsunder. Seine Eltern haben einen Bauernhof an der Ostseeküste …«

»Und woher weißt du das?«

»Er quatscht extrem viel beim Mittagessen! Können wir jetzt?« Ungeduldig öffnete Robert die Tür.

»Und die Frau ist doch mindestens 20 Jahre jünger als er! Was will die nur von diesem Zwerg?«, fragte Maja beim Aussteigen.

»Die hat er im Swingerklub kennengelernt«, knurrte Robert.

»Echt?« Maja riss die Augen auf.

»Nein, das war ein Scherz!« Robert verdrehte innerlich die Augen. Manchmal hatte seine Gattin echt ein Brett vorm Kopf.

»Wahrscheinlich hat er Geld«, überlegte er laut, während er den Einkaufswagen mit schnellen Schritten durch den Eingang schob. »An seinem guten Aussehen kann’s ja nicht liegen …«

»Da hast du recht«, gab Maja lachend zu, doch da war Robert mit dem Einkaufswagen schon längst Richtung Weinabteilung verschwunden.

Maja

Gerne hätte sie etwas vom äußerst lecker aussehenden Sushi-Buffet mitgenommen, aber Robert war dagegen. »Heute müssen wir ja auf deinen Wunsch hin verkohlte Würstchen essen – und morgen ist das nicht mehr gut«, befand er knapp.

Während er sich in der Weinabteilung und an der Käsetheke endlos lange beraten ließ, kümmerte Maja sich um die Grundnahrungsmittel für die nächsten zwei Wochen. Zum Glück hatten sie ein Tiefkühlfach, sodass Roberts geliebte »Dry Aged Angus Rind«-Steaks in ausreichender Stückzahl eingefroren werden konnten. Fisch und Muscheln würde Maja bei Bedarf fangfrisch am Hörnumer Hafen kaufen. Sie stapelte Pasta, getrocknete Hülsenfrüchte wie Linsen und Kichererbsen, drei Basilikumtöpfe und jede Menge Obst und Gemüse im Einkaufswagen. Dass Robert so auf gesunde Ernährung achtete, fand sie gut und war gerne bereit, das zu unterstützen. Wenn irgend möglich kaufte sie Bioprodukte oder deckte sich auf dem Wochenmarkt ein. Schade nur, dass sie trotzdem stetig zunahm! Das mussten die Hormone sein, denn sie aß wirklich nicht viel …

Nachdem die Einkäufe im Haus verstaut und die Koffer ausgepackt waren, zog Robert sich zu einer Telefonkonferenz mit einem solventen Auftraggeber ins Wohnzimmer zurück und durfte nicht gestört werden. Neben seiner staatlichen Anstellung entwarf er auch immer wieder mal Baupläne für private Kunden, was ihnen einen angenehmen Zuverdienst bescherte. Und dieser Kunde hier war sehr vermögend und wollte sein Sylter Feriendomizil umgestalten.

Da sie im Haus nur störte und dringend frische Luft brauchte, beschloss Maja, einen ersten Blick auf das brandende Meer der Westküste zu werfen und ein bisschen über den berühmten Wenningstedter Holzstegweg zu schlendern, der auf dem Dünenkliff bis nach Kampen führte.

Sie erklomm die Treppe zur Aussichtsplattform, sog tief die herrliche Luft ein, ließ ihren Blick über die Küste einmal von Süd nach Nord schweifen und die nackten Arme von der warmen Sommerbrise streicheln. Es war schon später Nachmittag, aber die Luft für Sylter Verhältnisse noch erstaunlich lau und warm. Die Insel zeigte sich von ihrer lieblichsten Seite und präsentierte alles im Weichzeichner. Da waren sie, die wilden grünen Wellen und die schäumende Gischt, die sie so liebte.

Verlockend und harmlos schien die Nordsee jetzt, doch im Herbst und Winter konnte sie auch ganz anders brüllen, wie Maja wusste. Thomas Mann hatte die Sylter Wellen mal als Raubtiere beschrieben – das schien Maja zu jeder Jahreszeit sehr passend.

Sie hatte großen Respekt vor der tosenden Brandung und ging deshalb selten ins Wasser. Doch von hier oben konnte sie das Meer gefahrlos genießen. Sie breitete die Arme aus, schloss die Augen und lauschte der Brandung und dem Kreischen der Möwen. Sie stellte sich dann immer vor, sie würde schwerelos fliegen …

»Na? Auch so eine Meeresanbeterin?«, hörte sie plötzlich jemanden hinter sich fragen, öffnete widerwillig die Augen und schaute sich um. Es war Bernd, mit einem Handtuch über dem Arm. »Ich springe noch mal kurz in die Wellen«, gab er bekannt und sprintete erstaunlich behände die Treppe zum Strand hinunter.

Ohne zu stoppen, rannte er über den Sand, schmiss im Laufen das Handtuch zur Seite, kämpfte sich durch die Gischt und hechtete mit einem Kopfsprung in die Brandung. Kaum aufgetaucht, ließ er sich rückwärts und mit ausgebreiteten Armen in die nächste Welle fallen. Maja konnte sein Juchzen bis oben hören.

Sie beobachtete ihn fasziniert beim Wellenbaden, doch plötzlich hielt er inne, schaute zu ihr hoch und winkte ihr zu. Maja drehte schnell den Kopf weg. Es war ihr seltsam unangenehm, dass er ihre Blicke bemerkt hatte. Schnell stieg sie die Aussichtsplattform hinab und eilte über den Holzweg außer Sichtweite.

Wie es wohl war, sich so in die Wellen zu werfen? Maja bewunderte Bernds Mut und seinen offensichtlichen Spaß daran. Ihre Kinder hatten sich auch immer begeistert in die Brandung gestürzt, doch Robert und sie hatten sich stets zurückgehalten. Robert wegen seiner Bandscheibe – und sie wegen ihrer Angst vor tiefem oder zu wildem Wasser.

Robert

Der Proll-Zwerg bot ihm doch tatsächlich Dosenbier an – und das auch noch von Aldi! Ja, war denn das zu fassen? »Nein danke!«, lehnte Robert pikiert ab und strafte die Dose, die Bernd ihm hinhielt, mit größtmöglicher Verachtung. »Ich trinke kein Bier!«

Das war gelogen, denn gegen ein gut gemachtes Bio-Craft-Bier hatte er ab und an nichts einzuwenden – aber was sollte er denn sonst sagen?

»Verstehe!« Bernd zwinkerte ihm zu. »Willste lieber Cola-Whisky?«

Bernd griff zu einer halb vollen Plastik-Cola-Flasche, die neben dem Grill stand, und schickte sich an, sie aufzuschrauben.

Robert schüttelte sich innerlich. Dieses Getränk war ihm zuletzt in den Siebzigern angeboten worden, erinnerte er sich. Was sollte die Frage? Hielt Bernd ihn für einen Alkoholiker, dem Bier zu niedrigprozentig war? Robert fühlte die nur zu gut bekannten Wutwallungen in sich aufsteigen. Ihm wurde heiß.

»Tief durchatmen!«, beschwor er sich. »Das ist dein Kollege, mit dem du noch mindestens sechs Monate an diesem unsäglichen Projekt zusammenarbeiten musst, und deshalb bleibst du jetzt diplomatisch!«

»Ich habe eine Flasche Rotwein mitgebracht, wenn du nichts dagegen hast, würde ich davon ein Glas trinken«, schlug er vor.

»Klar«, lachte Bernd, nahm einen Schluck Cola direkt aus der Flasche und drehte die Würstchen auf dem Grill um, die neben Nackensteaks und Schaschlikspießen vor sich hin bruzzelten.

Karin stellte derweil eine große Schüssel Kartoffelsalat auf den Tisch. »Selbst gemacht!«, strahlte sie.

Skeptisch beäugte Robert ihre Kreation. Er konnte Eier erkennen, Gewürzgurken, rohe Zwiebeln – und jede Menge Mayonnaise! Fett, Kohlenhydrate, Cholesterin! Keinen einzigen Löffel würde er davon verzehren. Er hoffte nur inständig, dass er sich von irgendeinem der Grillstücke einen mageren Streifen abschneiden konnte. Den Rest würde er dann heimlich Maja zuschieben.

Dazu wollte er den Salat essen, den Maja zum Glück noch schnell zubereitet hatte, nachdem sie viel zu spät von ihrem Spaziergang zurückgekehrt war.

So müsste es gehen.

Robert entkorkte den nicht ganz so teuren Bordeaux (er ahnte, dass Bernd und Karin Weinbanausen waren und einen edleren Tropfen vermutlich nicht zu würdigen gewusst hätten) und schenkte sich ein Glas davon ein. Ans Dekantieren war in diesem kulinarischen Niemandsland ja leider nicht zu denken …

»Na, denn mal Prost, mein Alter!« Bernd klackte seine Dose gegen Roberts Weinglas und wischte sich mit der anderen Hand über die schweißnasse Stirn.

Seine Haare, Wangen und seine Nase schimmerten weißlich, als hätte er sein Gesicht in Babypuder getaucht.

»Du hast da …«, fing Robert an und deutete auf Bernds Nase.

»Salzkruste, ick weeß! Zwickt ̕n bisschen.« Er lachte. »Ich war noch kurz schwimmen und hatte keine Zeit mehr zu duschen.«

Auch das noch! Dieser Neandertaler ließ ja wohl auch nichts aus. Ungeduscht zum Dinner – das würde ihm selbst nie passieren.

»So, und nun lasst uns mal die Bäuche vollschlagen«, rief Bernd nach einem Blick auf den Grill. »Das Fleisch ist fertig!«

Er lud das Grillgut auf eine Platte und stellte sie auf den Tisch. Sie setzten sich. Zu Roberts großem Erstaunen trank Maja Bier. Aber wenigstens aus einem Glas – und nicht direkt aus der Dose.

»Das Tsatsiki müsst ihr unbedingt probieren!«, pries Bernd, der bereits mehrere Fleischstücke auf seinen Teller geschaufelt hatte und nun noch einen großen Berg Kartoffelsalat dazulud, eine Schüssel mit quarkähnlicher Substanz an.

»Niemand kriegt das so gut hin wie Karin. Selbst mein Hamburger Lieblingsgrieche nicht«, lobte er und gab Karin, die gerade neben ihm stand, um sich einen Schaschlikspieß von der Platte zu angeln, einen Klaps auf den Hintern.

»Du Charmeur«, wisperte sie ihm ins Ohr, beugte sich herunter und gab ihm einen Kuss.

Peinlich berührt schaute Robert zu Maja, die die Augenbrauen hochzog und ihm zuzwinkerte.

»Na dann, guten Appetit!« Bernd rieb sich beim Anblick seines überladenen Tellers erfreut die Hände und begann, Senf und Curryketchup über dem Kartoffelsalat zu verteilen.

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