Sylt oder Süßes - Claudia Thesenfitz - E-Book
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Sylt oder Süßes E-Book

Claudia Thesenfitz

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Beschreibung

Sommer, Genuss und Lebensfreude – auf Sylt haben Diäten keine Chance Die gertenschlanke Hotelmanagerin Doreen Grüning soll einen abgerockten Zeltplatz auf Sylt zum Luxus-Glamping Resort umgestalten, ohne den Zorn der Sylter Heimatschutz-Aktivisten oder der Camper zu erregen. Undercover checkt sie auf dem Campingplatz mit einem Bulli ein und schmiedet einen skrupellosen Übernahmeplan. Doch dann freundet sie sich unerwartet mit der Rezeptionistin Stine an. Der Ur-Sylter Hinnerk bringt ihr Surfen bei und zeigt Doreen, wie schön hemmungsloser Genuss ist. So viel Spaß hatte sie schon lange nicht mehr. Tut sie mit ihren Umgestaltungsplänen wirklich das Richtige? Gerade als Doreen anfängt, ihr neues, freies Leben auf dem Campingplatz zu lieben, kommt ihr die Campingplatz-Crew auf die Schliche und ist tief enttäuscht von ihrem falschen Spiel. Karma oder Karriere – was soll sie jetzt nur machen? "Wer den Roman liest und Sylt gut kennt, bemerkt schnell: Die Autorin hat top recherchiert."  Martin Tschepe, Sylter Rundschau  "Ein Buch, das vergleichbar ist mit einer Tafel Schokolade. Hat man das erste Stück gegessen, dann möchte man auch mehr davon." Bärbel Sommer, Eider-Kurier

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Sylt oder Süßes

Die Autorin

CLAUDIA THESENFITZ kann auf eine lange journalistische Karriere zurückblicken, hat unter anderem festangestellt als Chefreporterin bei TEMPO und Petra gearbeitet, bevor sie sich 2001 als freie Autorin und Journalistin selbstständig machte. Sie schreibt für alle großen Frauenzeitschriften und Magazine (emotion, Brigitte, petra, Für Sie, Gala u.v.m.) und hat unter anderem die Autobiografien von und mit Nena (2005, Luebbe), Dieter Wedel (2008, Luebbe) und Uwe Ochsenknecht (2013, Luebbe) geschrieben.

Von Claudia Thesenfitz sind bei uns erschienen: Sylt oder SeltersMeer Liebe auf SyltSylt oder soloMit James auf SyltSylt oder SahneSylt auf unserer HautSchlaflos auf Sylt

Claudia Thesenfitz

Sylt oder Süßes

Ein Glücksroman

Ullstein

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Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch1. Auflage Mai 2023© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2023Umschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildung: Frau mit Camper  - GettyImages / © Peter Cade; Leuchtturm  - GettyImages / © Symbiont; Himmel, Möwe, Keks  - © FinePic®, München  Autorenfoto: © Hans Scherhaufer E-Book-Konvertierung powered by pepyrusAlle Rechte vorbehalten. ISBN 978-3-8437-2956-7

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

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Ich danke …

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Cover

Titelseite

Inhalt

1

Widmung

Für dich

 

Entweder man ist konsequent – oder man lebt!

1

Ob 0,23 Gramm mehr Honig sofort eine Fettexplosion auf ihren Hüften verursachen würden? Das Risiko war Doreen deutlich zu hoch. Sie ließ die bereits abgemessene Flüssigkeit zurück ins Glas laufen und beschloss, einfach ganz auf den Honig zu verzichten. Die kleine Low-Carb-Müsli-Portion, die sie mit ungesüßter Hafermilch übergoss, würde auch so schmecken.

Sie warf einen Blick auf die Küchenuhr, griff sich die Schale, schaufelte die geschmacklose Masse eilig in sich hinein und spülte sie mit einem schwarzen Espresso doppio hinunter. In exakt 39 Minuten hatte sie einen Termin mit ihrem Chef. Was er wohl von ihr wollte?

Doreen warf einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel, zupfte an ihrem Businesskostüm herum und platzierte den Fahrradhelm so sorgsam auf ihrem Kopf, dass er ihre Frisur möglichst wenig zerstörte. Da sie auf dem Weg zur Arbeit nicht aufs Radfahren verzichten wollte, hatte sie akribisch erforscht, welche Mixtur aus Haarspray, Festiger und Gel ihre Haare so in Form hielten, dass auch der Helm ihnen nichts anhaben konnte. Sie zurrte den Riemen unter dem Kinn fest, schnappte sich ihre Tasche und schloss die Wohnungstür zweimal ab. Es war mühsam, das ultraleichte und sehr teure Trekkingbike aus dem Keller, die Treppe hoch, durch den Hausflur und auf die Straße zu bugsieren, aber auch darin hatte sie mittlerweile perfekte Routine.

Endlich aus dem Haus und auf der Eppendorfer Landstraße, stieg sie auf den Sattel und radelte los. Wie immer genoss sie die frische Morgenluft, in der noch das Versprechen lag, das jeder neue Tag mit sich brachte: Alles neu – alles möglich!

Sie radelte am Isekai entlang Richtung Außenalster und wich dabei geschickt den ausparkenden Nobelkarossen aus. Sie liebte es, den knirschenden Sandweg an der Außenalster entlangzufahren, wo sie Schwäne beobachten konnte und den Horden morgendlicher Jogger solidarisch zulächelte. Sport war eines ihrer Lebenselixiere, und nach Feierabend zog auch sie die bei den Läufern so beliebte Runde um die Außenalster.

Doreen war 43 Jahre alt und stolz auf ihren fitten, durchtrainierten Körper, an dem – im Gegensatz zu so vielen anderen Frauen ihrer Altersklasse – kein Gramm Fett zu viel war. Aber dafür tat sie auch einiges: Ihr Sportprogramm unterlag strengsten Regeln: Jeden Morgen stand sie um sechs Uhr auf und schwamm entweder im Kellinghusenbad ihre 25 Bahnen, oder sie absolvierte im Fitnessstudio ein ausgeklügeltes Fitnessprogramm im steten Wechsel zwischen Cardio- und Krafttraining – alles kontrolliert und dokumentiert durch ihre Apple Watch. Danach duschte sie kalt. Musste das Morgentraining wegen eines Termins ausfallen, lief sie stattdessen abends ihre Feierabend-Joggingrunde exakt im low aeroben Bereich.

Danach setzte sie sich an ihren Laptop und machte Listen, was am nächsten Tag zu erledigen war, denn selbstverständlich waren auch ihre Arbeitstage perfekt durchstrukturiert. Oft umfassten die Agenden mehrere Seiten, und meist war es deshalb schon nach 22 Uhr, wenn sie ins Bett ging.

Kein Wunder, dass da keine Zeit mehr für die Liebe blieb. Ihre letzte Beziehung war acht Jahre her und eher von beruflichem Support als von Leidenschaft geprägt gewesen.

Selbstverständlich war auch ihre Ernährung pedantisch kalkuliert. Im Zuge ihres minutiös pünktlichen 14 : 10-Intervallfastens ernährte Doreen sich ausschließlich biologisch und möglichst kohlenhydrat-, zucker- und fettfrei, nahm pro Tag nie mehr als 1500 Kalorien zu sich und kannte die Kalorienwerte aller Nahrungsmittel auswendig. Ihr BMI hatte noch nie über 22 gelegen.

Die vierzehnstündige Essenspause des Intervallfastens hatte sie von achtzehn Uhr abends bis acht Uhr vormittags gesetzt. Das hieß: Ab acht Uhr nahm sie ihre erste Mahlzeit – und spätestens abends um achtzehn Uhr ihre letzte Mahlzeit des Tages ein. Ein Rhythmus, der perfekt in ihre Tagesplanung passte.

Mittags gab es Salat mit einem Dressing aus Zitrone plus einem winzigen Spritzer Olivenöl. Das aber auch nur, weil die Vitamine des Salates sonst nicht optimal verwertet werden konnten. Dazu aß sie eine Scheibe Vollkornbrot. Abends nahm sie gedünsteten Fisch oder Huhn mit etwas Gemüse zu sich.

Arbeitsfreie Sonntage, die sie überbrücken musste, verbrachte sie damit, ihre Mahlzeiten für die Woche vorzubereiten und – mit Post-its versehen – im Kühlschrank akkurat aneinanderzureihen.

Hungergefühle bekämpfte sie mit Unmengen Mineralwasser, ungesüßtem Kaugummi – und Karotten. Das Gefühl, ihren Körper zu beherrschen und ihren Willen über dessen Bedürfnisse zu stellen, gab ihr ein Gefühl von Stärke. Und Macht. Wenn sie ihren inneren Schweinehund bezwingen konnte, dann würde sie auch noch ganz andere – in Personen manifestierte – Schweinehunde bezwingen können.

Wie fast alle Führungskräfte war auch Doreen der Überzeugung, Übergewicht sei ein deutliches Zeichen mangelnder Willenskraft und Disziplin. Erst kürzlich hatte sie wieder ein Interview mit einem Headhunter für Londoner Banken gelesen: Die von uns ausgewählten Bewerber sind selten dick. Fit im Kopf gleich fit im Körper – das ist das allgemeine Mantra. Übergewicht haben geht im Banking nur, wenn man älter und sehr erfolgreich ist. Das entsprach exakt Doreens Meinung. Schon mehrfach hatte sie Mitarbeiter wegen Gewichtszunahme entlassen oder gar nicht erst eingestellt.

Wenn sie mal ausging (in der Regel fast ausschließlich beruflich), dann galten für sie die drei großen »S«: Sashimi, Salat ohne Dressing und stilles Wasser. Wenn es sich auf Empfängen oder Feiern nicht umgehen ließ, ein Glas Champagner oder Weißwein in der Hand zu halten, nippte sie homöopathische Dosen aus dem Glas. Doreen war seit ihrer Jugend nicht mehr beschwipst gewesen – oder gar betrunken.

Disziplin bedeutete ihr alles. Sie war quasi die Kontrolle in Person, die buchstäbliche Mrs Perfect. Doch genau wie Siegfried aus der Nibelungensage hatte sie eine beziehungsweise sogar zwei Schwachstellen, die sie maßlos ärgerten: War es bei Siegfried ein Lindenblatt, das die einzige Körperstelle markierte, an der er verletzlich war – so waren es bei Doreen zwei viel profanere, merkwürdigere Eigenarten: Beim Anblick der Hände alter Menschen geriet sie oft derart in Rührung über das gelebte Leben, die Höhen und Tiefen, Schmerzen und Freuden, von denen die faltigen, zerbrechlichen Finger und die zarte, pergamentene Haut der Handrücken erzählten, dass ihr unweigerlich die Tränen in die Augen schossen. Der andere Punkt waren weinende Babys jeder Art – egal ob Mensch oder Tier: Wenn sie einen winselnden Welpen oder ein greinendes Kleinkind hörte, schoss eine vulkanausbruchartige Welle von Mitgefühl wie Lava in ihr hoch, sodass sie schnell eine Toilette (oder einen anderen Fluchtort) aufsuchen musste, um sich wieder in den Griff zu bekommen. Wieso ausgerechnet diese beiden Dinge neuralgische Punkte waren, wusste sie auch nicht, und diese in ihren Augen inakzeptable Schwäche nervte sie wahnsinnig. Zu gerne wäre sie ein hundertprozentig kontrollierter Mensch gewesen, unverletzbar und emotional unangreifbar, und sie versuchte verzweifelt, diesem Anspruch an sich selbst zu genügen. Denn nur durch Selbstkontrolle, Selbstbeherrschung und klar kalkulierte Pläne – davon war sie überzeugt – war der Mensch in der Lage, außergewöhnliche Ziele zu erreichen. So wie dieser Mann, der letztes Jahr von Sankt Peter-Ording aus 50 Kilometer durch die Nordsee nach Helgoland geschwommen war. Eine Sport- und Willensleistung, die Doreen sehr beeindruckt hatte.

Einen Marathon zu laufen oder sogar den Ironman zu absolvieren, das würde sie auch reizen, doch die außergewöhnlichen Ziele, die Doreen erreichen wollte, waren aktuell eher beruflicher Natur. In den vergangenen Jahren hatte sie als Hoteldirektorin beziehungsweise Generalmanagerin steile Karriere gemacht. Nach ihrer Ausbildung im traditionsreichen Hamburger Hotel Jacob an der Elbe hatte sie fünfzehn Jahre lang für die Kempinski-Gruppe gearbeitet, die über siebzig Fünfsternehotels in 34 Ländern betrieb. In dieser Zeit war sie so viel in der Welt herumgekommen wie ein Profitraveller: Moskau, St. Petersburg, Kairo, Nairobi, Istanbul, Peking, Beirut – fast jedes Jahr wechselte sie in dieser Zeit in eine andere Destination, denn das Management wollte sie schleifen für die höhere Führungsebene. Mit 37 Jahren folgte endlich der Lohn der Mühe, und sie konnte ihren ersten Direktorenposten antreten – im Kempinski Khan Palace in Ulan-Bator, der Hauptstadt der Mongolei. Die Zeit dort war für Doreen bislang am prägendsten gewesen, denn sie musste extrem viel improvisieren und unter anderem Spitzenpolitiker wie die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg betreuen.

Aber ihr Einsatz, der notgedrungen mit einem totalen Verlust von Privatleben, Beziehungen oder Freundschaften einherging (dafür blieb einfach keine Zeit, und die vielen Ortswechsel waren auch nicht gerade förderlich), lohnte sich: Langsam, aber stetig, kletterte sie die Hotel-Hierarchie hinauf, die sich, dank ehrgeizigen Headhuntern, die sie abwarben und ihr bessere Angebote verschafften, in immer interessanteren Positionen und Destinationen manifestierte.

Aktuell leitete Doreen die Hamburger Dependance der internationalen Luxushotelkette Le Parisienne und war verantwortlich für 150 Mitarbeiter und 177 Zimmer.

Auch nach mittlerweile über zwanzig Berufsjahren liebte sie ihren Job, der ihr ermöglicht hatte, die Welt kennenzulernen, und in dem kein Tag wie der andere war und sie täglich Lösungen für diverse Probleme finden musste.

Es war ein langer, steiniger und sehr harter Weg an die Spitze gewesen, und nicht selten hatte sie sich dabei mit dreifacher Leistung gegen männliche Kollegen durchsetzen müssen. Wie so viele vor ihr hatte auch Doreen feststellen müssen, dass es tatsächlich ziemlich einsam an der Spitze war: Unter Konkurrenten war kein Platz für Liebe – und mit untergebenen Angestellten fing man grundsätzlich nichts an. Ihre Befriedigung zog Doreen einzig aus ihrem Erfolg – die Liebe würde schon noch irgendwann kommen.

Ihr nächstes Ziel war Paris – oder noch besser: New York oder Dubai. Und früher oder später wollte sie in den Vorstand berufen werden. Die dafür nötigen (durchtrainierten) Ellenbogen, um sich durchzusetzen und durchzuboxen, besaß sie jedenfalls.

Das bewies sie auch jetzt gerade wieder, indem sie sich energisch durch die an der Ampel wartende Menschenmenge schob, um die lärmende Kreuzung Kennedybrücke zu überqueren. Sie ignorierte die empörten Blicke und das Kopfschütteln der von ihr angerempelten Passanten und radelte zügig an der Binnenalster Richtung Jungfernstieg. Was Herr Marquardt bloß von ihr wollte? Bislang hatte sie den legendären CEO, der ständig von einer Destination zur nächsten reiste, nur virtuell kennengelernt.

2

»Frau Grüning wäre jetzt da!« Frau Kleiber, die resolute Sekretärin der Führungsetage mit Brille, Dutt und strengem Blick, legte den Hörer auf und nickte Doreen zu. »Wenn Sie bitte noch kurz Platz nehmen möchten? Herr Marquardt ist gleich für Sie bereit.« Sie setzte sich wieder und verschwand dadurch hinter dem eindrucksvollen Tropenholztresen.

Das Le Parisienne war ein ultramoderner Hochhausbau mit viel glänzendem Glas in der Hafencity, der bereits etliche Design- und Architekturpreise eingesammelt hatte. Doreen nahm auf einem der sündhaft teuren Ledersessel Platz. Den Fahrradhelm und die Tasche hatte sie kurz zuvor in ihrem Büro deponiert. Und war auf dem Weg dahin diversen Angestellten begegnet.

»Guten Morgen, Frau Direktorin«, hatte ihre Sekretärin sie begrüßt.

»Ach, guten Morgen, Frau Zemke!«, hatte sie entgegnet. »Denken Sie bitte daran, die weißen Rosen für die Hochzeitsfeier heute Nachmittag noch herzförmig arrangieren zu lassen?«

Sie genoss es immer noch, Frau Direktorin genannt zu werden. Die Ehrfurcht in den Blicken ihrer Untergebenen ließ ihr Selbstbewusstsein stets zuverlässig anschwellen. Auch der Concierge und der Hotelpage hatten pflichtschuldigst devot genickt, als sie den Fahrstuhl betrat.

Doreen zupfte ihr Kostüm zurecht und überprüfte Make-up und Frisur mit einem letzten schnellen Blick in ihren kleinen Handspiegel.

Warten lassen – auch einer dieser bewährten Manager-Einschüchterungstricks, die Doreen nur zu gut kannte. Wahrscheinlich schaute er nur aus dem Fenster und drehte Däumchen, um sie zehn Minuten zappeln und dadurch immer nervöser werden zu lassen. Doch Doreen würde bestimmt nicht darauf reinfallen. Stattdessen sagte sie im Geiste ihre bewährten positiven Affirmationen vor sich auf: »Du bist stark«, »Du kannst alles erreichen, was du willst!«, »Er sieht in Unterhosen bestimmt ganz lächerlich aus!«. Besonders Letztere half ihr eigentlich immer, einschüchternde Situationen zu relativieren.

Auf dem Fahrrad hatte sie ergebnislos gegrübelt, was wohl der Anlass des Gesprächs sein mochte. War es jetzt endlich so weit? Stand die Beförderung nach New York aus? Doreen meinte mitbekommen zu haben, dass es in der dortigen Direktion Schwierigkeiten geben sollte … Sie sah es schon vor sich: Sie, im Big Apple, in einem Triplex-Penthouse im 129. Stock des Central Park Towers, dessen exorbitante Miete sie sich mit ihrem sicherlich ebenso exorbitanten Gehalt locker würde leisten können. Was für ein Abenteuer. Was für ein Triumph!

»Frau Grüning, wenn Sie mir jetzt bitte folgen möchten?« Frau Kleiber war hinter ihrem Tresen aufgetaucht und blickte Doreen auffordernd an. Mit schnellem Schritt eilte sie trotz ihres engen, knielangen Kostümrocks über den langen Flur, öffnete eine schwere Holztür und wies Doreen an, einzutreten.

Vor ihr tat sich ein riesiges Loft mit einer deckenhohen Glasfront auf, die einen atemberaubenden Blick über die Hafencity bot. Ein paar sehr teure, sehr edle Designsitzmöbel standen fast verloren in dem großen Raum herum. Auf einem saß ein ihr unbekannter, grau melierter, extrem gut aussehender Mittfünfziger. Er erinnerte sie an Richard Gere.

»Ah, Frau Grünling. Wie schön!« Herr Marquardt lächelte ihr zu, erhob sich hinter einem gigantischen Schreibtisch und kam auf sie zu. »Darf ich Ihnen Herrn Winterbloom vorstellen, Vorstandsvorsitzender der Aquarius-Health-Resorts-Kette!« Er wies auf Richard Gere, der sich nun ebenfalls erhob, elegant sein Jackett zuknöpfte und Doreen formvollendet die Hand reichte. Sein vermutlich sündhaft teures und sehr angenehm duftendes Aftershave stieg ihr in die Nase.

»Grüning«, korrigierte Doreen die fehlerhafte Vorstellung durch Herrn Marquardt.

»Frau Grüning, freut mich sehr!« Herr Winterbloom zwinkerte ihr so charmant zu, dass sie tatsächlich errötete. Aber zum Glück war das unter ihrer dicken Make-up-Schicht nicht zu bemerken. Denn natürlich war auch ihr Make-up perfekt. Selbstverständlich war ihr die Aquarius-Health-Resorts-Kette bekannt, die unter anderem am Tegernsee einen Luxus-Wellness-Tempel führte, dessen Zimmer nicht unter 14.000 Euro pro Woche zu buchen waren. Sollte sie dort etwa die Direktion übernehmen? Zu ihrem Körperbewusstsein würde es jedenfalls gut passen …

»Darf ich Ihnen einen Kaffee, ein Wasser oder ein anderes Getränk bringen lassen, Frau Grünling?«, fragte Herr Marquardt.

»Grüning«, korrigierte Doreen erneut. »Gerne einen Kaffee – schwarz!«

»Ach ja, entschuldigen Sie bitte!« Ihr Chef gab die Bestellung telefonisch an Frau Kleiber durch und wies seine Gäste an, sich auf einer ledernen Sitzgruppe niederzulassen.

»Frau Grüning, Sie sind eine unserer erfolgreichsten und dadurch vielversprechendsten Mitarbeiterinnen …«, setzte Herr Marquardt an.

Doreen lächelte geschmeichelt.

»… deshalb haben wir Großes mit Ihnen vor.« Er zwinkerte ihr jovial zu.

Kam er jetzt? Der Big Apple? Oder der Tegernsee?

Herr Winterbloom öffnete seine Louis-Vuitton-Tasche und breitete mehrere Entwürfe auf dem gläsernen Lounge-Tisch aus.

»Kommen Sie doch bitte mal heran, liebe Frau Grüning«, forderte er Doreen auf. Er räusperte sich und strich stolz über die Grafiken, die vor ihm lagen. Es waren Sanddünen darauf zu sehen, das Meer – und Wohnwagen … Die Hamptons? Noch eine Klasse besser als New York?

»Was Sie hier sehen, ist der Campingplatz Silbermöwe, der auf Sylt zwischen Rantum und Hörnum liegt …«, erklärte Herr Marquardt.

»Aha«, sagte Doreen verwundert und schaute ihren Chef fragend an.

»Sicherlich haben Sie schon vom neuen Glamping-Trend gehört, liebe Frau Grüning …«

»Äh …«

»Glamour-Camping, also Camping im gehobenen Sterne-Segment.«

»Ja«, behauptete Doreen.

»Die Coronapandemie hat einen regelrechten Wohnmobil- und Camping-Boom ausgelöst, wie Ihnen bekannt sein dürfte«, dozierte Herr Marquardt. »Die Menschen durften nicht mehr in internationale Destinationen reisen und wollten sich zudem lieber cocoonen, als sich in großen Pauschal-Hotels eine Infektion einzufangen.«

Doreen nickte. Die Coronakrise war in den vergangenen zwei Jahren auch an der Le-Parisienne-Kette nicht spurlos vorübergegangen.

»Campen im sehr gehobenen Segment wird immer beliebter – gerade auf Sylt«, ergänzte Herr Winterbloom und zog eine neue Grafik hervor. Darauf war der Grundriss eines äußerst luxuriös ausgestatteten Geländes zu sehen, in dessen Mitte eine riesige Poollandschaft thronte, flankiert von den verschiedensten Wellnesseinrichtungen, einer Champagner-Bar und einer Outdoor-Hummer-Grillstation. Überall standen Palmen, knorrige Olivenbäumchen, Bananenstauden und Oleanderbüsche. Eindrucksvolle Buchsbäume und edle Bankirai-Terrassen säumten die großzügig bemessenen Stellplätze, die private Zugänge zum Meer, eigene Strandsaunen und Whirlpools boten … Ein Delikatessenshop, eine Bäckerei, ein Hundefriseur, -arzt, -Physiotherapeut und -Psychologe, ein Sternerestaurant, etliche Luxusboutiquen und exklusiv hinzubuchbare Butler beziehungsweise Assistenten ergänzten das unglaubliche Projekt. Abgerundet wurde der Entwurf durch einen Gyrocopter-Landeplatz, beheizbare Straßen und ein unterirdisches Kino.

»Darf ich vorstellen: die A&P-Outdoor-Resorts!« Herr Winterbloom schaute sie stolz und triumphierend an.

»Wir haben diesbezüglich mit der Aquarius-Group fusioniert und die neue Marke A&P konzipiert«, erklärte Herr Marquardt.

»A für Aquarius und P für Parisienne«, ergänzte Herr Winterbloom.

Frau Kleiber kam herein und überreichte Doreen ihren Kaffee, von dem sie sofort einen Schluck nahm, um ihre Verwirrung zu überspielen.

»Der Trend geht zurück zum Natur-Erleben, zu Clean Cuisine, zu Outdoor-Experiences – und wir werden ganz vorne mit dabei sein! Dank Ihrer Hilfe!«, strahlte Herr Marquardt sie an, nachdem Frau Kleiber die schalldicht gedämmte Tür wieder hinter sich geschlossen hatte.

»Wir werden Outdoor-Resorts an den wunderbarsten Plätzen der Welt eröffnen, und wir beginnen natürlich mit dem schönsten Fleckchen Erde Deutschlands – mit Sylt!«, ergänzte Herr Winterbloom geradezu euphorisch. Die beiden gestandenen Männer sahen so stolz aus wie zwei kleine Jungs, die gerade eine komplizierte Lego-Maschine zusammengebaut hatten. Vollkommen überzeugt von ihrer vermeintlich einmalig innovativen Idee.

Doreen nickte pseudobegeistert. »Großartig«, stammelte sie. Sylt. Was hatte das mit ihr zu tun?

»Mit Ihrem – verzeihen Sie – vorbildlich trainierten Körper«, Herr Marquardt musterte sie anerkennend von unten nach oben, »sind Sie genau die richtige Repräsentantin für unser neues Medical-Wellness-Outdoor-Konzept«, erklärte er, als hätte er ihre Gedanken erraten. »Um es kurz zu machen: Wir möchten, dass Sie das Resort managen!« Er strahlte sie an.

»Schön wäre allerdings, wenn Sie noch einen Wassersport erlernen würden. Können Sie surfen?«, fügte Herr Winterbloom hinzu.

»Äh?«

»Oder reiten? Einige Gäste möchten sicherlich ihre Pferde mit an den Strand nehmen.«

»Ja …«, stotterte Doreen nebulös. Sie hatte mit elf Jahren mal Ferien auf einem Ponyhof verbracht und war beim ewigen Im-Kreis-Reiten auf den altersschwachen, durchgesessenen Gäulen nicht runtergefallen – aber galt das als »reiten können«?

»Prima!«, strahlten die Herren begeistert. Eine Negativantwort wollten sie ganz offensichtlich nicht hören.

»Wir werden mit einem millionenschweren Werbe- und Marketing-Budget an die Öffentlichkeit gehen. TV- und Kinowerbung plus ganzseitige Anzeigen in den einschlägigen High-End-Zeitungen. Wir werden Flyer per Wurfsendung in den besseren Stadtteilen von München, Hamburg, Berlin bis Düsseldorf verteilen – und natürlich einen fulminanten Web-Auftritt initiieren. Unsere Agentur sitzt schon dran …« Herr Winterbloom rieb sich vorfreudig die Hände.

»Ab wann würde mein Einsatz dort denn beginnen?«, fragte Doreen zaghaft und stellte ihre geleerte Kaffeetasse auf einem Sideboard ab.

»Quasi ab sofort! Ich habe Ihnen ein Zimmer im Budersand-Hotel reserviert, bis wir ein passendes Appartement für Sie gefunden haben«, sagte Herr Marquardt.

»Aber Frau Grüning könnte doch in unserem Aquarius-Prototyp wohnen«, schlug Herr Winterbloom plötzlich vor. »Dann ist sie gleich vor Ort und kann sich in den Lifestyle hineinfühlen.«

»Das ist eine großartige Idee, Michael«, lobte Herr Marquardt.

»Moment!«, rief Herr Winterbloom, von sich selbst begeistert. »Hier, schauen Sie mal!« Er zog ein Laptop aus seiner Tasche, klappte es auf, klickte ein paarmal und startete eine Power-Point-Präsentation, die sich nun eröffnete. Sie zeigte ein gigantisches Wohnmobil mit ausfahrbaren Seiten. »Das ist der Prototyp unserer Aquarius-Collection, die wir für exklusive Kunden von Mercedes bauen lassen werden«, strahlte Herr Winterbloom und klickte die Videoführung an. Durch die offene Tür blickte man nun auf eine großzügige Leder-Lounge in gedimmtem, indirektem Licht. Es sah aus wie in einem Nobelklub. Die Kamera schwenkte weiter auf die Küchenzeile, die der Lounge gegenüberlag. »Die Küche ist aus schwarzem Kerrock – ein Material, das wie Marmor aussieht, dabei aber deutlich leichter ist«, erläuterte Herr Winterbloom. »Es bildet einen reizvollen Kontrast zu dem warmen Holz, dem weißen Stoff an den Wänden und dem weißen Fußboden in Marmoroptik.«

Doreen nickte, Herr Marquardt setzte begeistert seine Lesebrille auf und trat näher an den Bildschirm heran. »Das ist ja absolut großartig, Michael!«

»Die Küche besitzt nicht nur einen Induktionsherd, sondern auch einen Geschirrspüler und einen Weinkühlschrank«, erklärte Herr Winterbloom und klickte weiter.

Nun kam ein riesiges Bett ins Bild.