Syrische Märchen - Eugen Prym - E-Book

Syrische Märchen E-Book

Eugen Prym

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Beschreibung

Erleben Sie die Märchen und Sagen aus aller Welt in dieser Serie "Märchen der Welt". Von den Ländern Europas über die Kontinente bis zu vergangenen Kulturen und noch heute existierenden Völkern: "Märchen der Welt" bietet Ihnen stundenlange Abwechslung.

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Seitenzahl: 921

Veröffentlichungsjahr: 2012

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Ähnliche


Syrische Sagen und Märchen

Eugen Prym und Albert Socin

Inhalt:

Geschichte des Märchens

Syrische Sagen und Märchen

Vorwort.

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

XI.

XII.

XIII.

XIV.

XV.

XVI.

XVII.

XVIII.

XIX.

XX.

XXI.

XXII.

XXIII.

XXIV.

XXV.

XXVI.

XXVII.

XXVIII.

XXIX.

XXX.

XXXI.

XXXII.

XXXIII.

XXXIV.

XXXV.

XXXVI.

XXXVII.

XXXVIII.

XXXIX.

XL.

XLI.

XLII.

XLIII.

XLIV.

XLV.

XLVI.

XLVII.

XLVIII.

XLIX.

L.

LI.

LII.

LIII.

LIV.

LV.

LVI.

LVII.

LVIII.

LIX.

LX.

LXI.

LXII.

LXIII.

LXIV.

LXV.

LXVI.

LXVII.

LXVIII.

LXIX.

LXX.

LXXI.

LXXII.

LXXIII.

LXXIV.

LXXV.

LXXVI.

LXXVII.

LXXVIII.

LXXIX.

LXXX.

LXXXI.

LXXXII.

LXXXIII.

LXXXIV.

LXXXV.

LXXXVI.

LXXXVII.

Anmerkungen.

Sachregister.

Verzeichniss der Personennamen.

Verzeichniss der Orts- und Stämmenamen.

Verzeichniss der gebrauchten Abkürzungen.

Syrische Märchen

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849603335

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Frontcover: © Sweet Angel - Fotolia.com

Geschichte des Märchens

Ein Märchenist diejenige Art der erzählenden Dichtung, in der sich die Überlebnisse des mythologischen Denkens in einer der Bewußtseinsstufe des Kindes angepaßten Form erhalten haben. Wenn die primitiven Vorstellungen des Dämonenglaubens und des Naturmythus einer gereiftern Anschauung haben weichen müssen, kann sich doch das menschliche Gemüt noch nicht ganz von ihnen trennen; der alte Glaube ist erloschen, aber er übt doch noch eine starke ästhetische Gefühlswirkung aus. Sie wird ausgekostet von dem erwachsenen Erzähler, der sich mit Bewußtsein in das Dunkel phantastischer Vorstellungen zurückversetzt und sich, vielfach anknüpfend an altüberlieferte Mythen, an launenhafter Übertreibung des Wunderbaren ergötzt. So ist das Volksmärchen (und dieses ist das echte und eigentliche M.) das Produkt einer bestimmten Bewußtseinsstufe, das sich anlehnt an den Mythus und von Erwachsenen für das Kindergemüt mit übertreibender Betonung des Wunderbaren gepflegt und fortgebildet wird. Es ist dabei, wie in seinem Ursprung, so in seiner Weiterbildung durchaus ein Erzeugnis des Gesamtbewußtseins und ist nicht auf einzelne Schöpfer zurückzuführen: das M. gehört dem großen Kreis einer Volksgemeinschaft an, pflanzt sich von Mund zu Munde fort, wandert auch von Volk zu Volk und erfährt dabei mannigfache Veränderungen; aber es entspringt niemals der individuellen Erfindungskraft eines Einzelnen. Dies ist dagegen der Fall bei dem Kunstmärchen, das sich aber auch zumeist eben wegen dieses Ursprungs sowohl in den konkreten Zügen der Darstellung als auch durch allerlei abstrakte Nebengedanken nicht vorteilhaft von dem Volksmärchen unterscheidet. Das Wort M. stammt von dem altdeutschen maere, das zuerst die gewöhnlichste Benennung für erzählende Poesien überhaupt war, während der Begriff unsers Märchens im Mittelalter gewöhnlich mit dem Ausdruck spel bezeichnet wurde. Als die Heimat der M. kann man den Orient ansehen; Volkscharakter und Lebensweise der Völker im Osten bringen es mit sich, daß das M. bei ihnen noch heute besonders gepflegt wird. Irrtümlich hat man lange gemeint, ins Abendland sei das M. erst durch die Kreuzzüge gelangt; vielmehr treffen wir Spuren von ihm im Okzident in weit früherer Zeit. Das klassische Altertum besaß, was sich bei dem mythologischen Ursprung des Märchens von selbst versteht, Anklänge an das M. in Hülle und Fülle, aber noch nicht das M. selbst als Kunstgattung. Dagegen taucht in der Zeit des Neuplatonismus, der als ein Übergang des antiken Bewußtseins zur Romantik bezeichnet werden kann, eine Dichtung des Altertums auf, die technisch ein M. genannt werden kann, die reizvolle Episode von »Amor und Psyche« in Apulejus' »Goldenem Esel«. Gleicherweise hat sich auch an die deutsche Heldensage frühzeitig das M. angeschlossen. Gesammelt begegnen uns M. am frühesten in den »Tredeci piacevoli notti« des Straparola (Vened. 1550), im »Pentamerone« des Giambattista Basile (gest. um 1637 in Neapel), in den »Gesta Romanorum« (Mitte des 14. Jahrh.) etc. In Frankreich beginnen die eigentlichen Märchensammlungen erst zu Ende des 17. Jahrh.; Perrault eröffnete sie mit den als echte Volksmärchen zu betrachtenden »Contes de ma mère l'Oye«; 1704 folgte Gallands gute Übersetzung von »Tausendundeiner Nacht« (s. d.), jener berühmten, in der Mitte des 16. Jahrh. im Orient zusammengestellten Sammlung arabischer M. Besondern Märchenreichtum haben England, Schottland und Irland aufzuweisen, vorzüglich die dortigen Nachkommen der keltischen Urbewohner. Die M. der skandinavischen Reiche zeigen nahe Verwandtschaft mit den deutschen. Reiche Fülle von M. findet sich bei den Slawen. In Deutschland treten Sammlungen von M. seit der Mitte des 18. Jahrh. auf. Die »Volksmärchen« von Musäus (1782) und Benedikte Naubert sind allerdings nur novellistisch und romantisch verarbeitete Volkssagen. Die erste wahrhaft bedeutende, in Darstellung und Fassung vollkommen echte Sammlung deutscher M. sind die »Kinder- und Hausmärchen« der Brüder Grimm (zuerst 1812–13, 2 Bde.; ein 3. Band, 1822, enthält literarische Nachweise bezüglich der M.). Unter den sonstigen deutschen Sammlungen steht der Grimmschen am nächsten die von L. Bechstein (zuerst 1845); außerdem sind als die bessern zu nennen: die von E. M. Arndt (1818), Löhr (1818), J. W. Wolf (1845 u. 1851), Zingerle (1852–54), E. Meier (1852), H. Pröhle (1853) u. a. Mit M. des Auslandes machten uns durch Übertragungen bekannt: die Brüder Grimm (Irland, 1826), Graf Mailath (Ungarn, 1825), Vogl (Slawonien, 1837), Schott (Walachei, 1845), Asbjörnson (Norwegen), Bade (Bretagne, 1847), Iken (Persien, 1847), Gaal (Ungarn, 1858), Schleicher (Litauen, 1857), Waldau (Böhmen, 1860), Hahn (Griechenland u. Albanien, 1863), Schneller (Welschtirol, 1867), Kreutzwald (Esthland, 1869), Wenzig (Westslawen, 1869), Knortz (Indianermärchen, 1870, 1879, 1887), Gonzenbach (Sizilien, 1870), Österley (Orient, 1873), Carmen Sylva (Rumänien, 1882), Leskien und Brugman (Litauen, 1882), Goldschmidt (Rußland, 1882), Veckenstedt (Litauen, 1883), Krauß (Südslawen, 1883–84), Brauns (Japan, 1884), Poestion (Island, 1884; Lappland, 1885), Schreck (Finnland, 1887), Chalatanz (Armenien, 1887), Jannsen (Esthen, 1888), Mitsotakis (Griechenland, 1889), Kallas (Esthen, 1900) u. a. Unter den Kunstpoeten haben sich im M. mit dem meisten Glück versucht: Goethe, L. Tieck, Chamisso, E. T. A. Hoffmann, Fouqué, Kl. Brentano, der Däne Andersen, R. Leander (Volkmann) u. a. Vgl. Maaß, Das deutsche M. (Hamb. 1887); Pauls »Grundriß der germanischen Philologie«, 2. Bd., 1. Abt. (2. Aufl., Straßb. 1901); Benfey, Kleinere Schriften zu Märchen-forschung (Berl. 1890); Reinh. Köhler, Aufsätze über M. und Volkslieder (das. 1894) und Kleine Schriften, Bd. 1: Zur Märchenforschung (hrsg. von Bolte, das. 1898); R. Petsch, Formelhafte Schlüsse im Volksmärchen (das. 1900).

Syrische Sagen und Märchen

Vorwort.

Zur Einführung dieses zweiten Bandes bedarf es nur weniger Worte. Bei der Abfassung der Uebersetzung haben wir vor Allem zwei Arten von Lesern in's Auge gefasst. Zunächst wollten wir dem Orientalisten, welcher sich in unsre neusyrischen Texte hineinarbeiten will, ein Mittel zum Verständniss derselben an die Hand geben; in zweiter Linie war uns das Bedürfniss des Sagenforschers, dem oft ein geringfügiger und überflüssig erscheinender Zug als wichtige Parallele dienen kann, massgebend. Da das Buch somit ausschliesslich für wissenschaftliche Leser bestimmt war, so kam es uns, schon der Neuheit der Sprache des Originals zu Liebe, auf möglichst treue Wiedergabe des Ueberlieferten an. Dabei haben wir uns nicht gescheut, auch solche Stellen, welche einem andern Publikum gegenüber hätten unterdrückt werden müssen, wörtlich in's Deutsche zu übertragen; lateinisch anzuwenden, schien uns aus mehr als einem Grunde zwecklos.

Trotz dieses Strebens nach Genauigkeit durften wir nicht in den Ton einer Interlinearversion verfallen; wir mussten die lose an einander gereihten Sätze des Originals durch unsre syntaktischen Mittel in logische Verbindung mit einander bringen. Hierin haben wir uns bei den später übersetzten Geschichten sogar etwas mehr Freiheit gestattet. Einzelne Sätze, die sich jener Verbindung nicht fügten, mussten geradezu als Parenthesen angesehen und als solche durch Klammern kenntlich gemacht werden. Von ihnen wird man leicht die meist in eckige1 Klammern eingeschlossenen Ergänzungen unterscheiden, welche wir statt besonderer Anmerkungen hin und wieder eingeschaltet haben. Etwaige sonstige Ungleichheiten sind darauf zurückzuführen, dass die Arbeit nicht bloss von Einem ausgeführt wurde.

Da wir bei den oben an zweiter Stelle genannten Lesern eine Bekanntschaft mit den Lautverhältnissen der semitischen Sprachen nicht voraussetzen durften, so sind wir bei der Schreibung der Eigennamen von der in den Texten angewandten Transcription verschiedentlich abgewichen. Wo die Laute sich mit denen des Deutschen irgendwie deckten, haben wir Buchstabenzusammensetzungen (wie tsch) der Anwendung diakritischer Zeichen vorgezogen; die letzteren führen, wie jeder weiss, in den Händen von Laien allzuleicht zu Verwirrungen und Missverständnissen. Der Nichtorientalist spreche einfach h wie h, t wie t, q wie k, th und dh wie das englische harte und weiche th, ç wie im Französischen, gh in allen Fällen wie das g der Ostpreussen z.B. in "Tage", das ' in der Wortmitte als Hiatus, am Wortanfange mag er es ganz ignoriren; s ist stets scharf, f2 weich zu sprechen; als Majuskel des weichen Lautes dient S, als solche des scharfen Ss.

Als Zeichen der betonten Länge haben wir in den meisten Fällen den Circumflex angewandt, zuweilen falscher Betonung durch ein vorgebeugt. Von den Anmerkungen enthalten einige Nachträge und gelegentliche Mitteilungen des Erzälers, andere sollen das Verständniss schwierigerer Stellen fördern helfen. Zu diesem Zwecke haben wir öfters die neuere Literatur über Land und Leute herangezogen; wegen der durchgängigen Gleichheit orientalischen Lebens durfte hierbei auch über Kurdistan hinaus gegriffen werden. Die Anmerkungen wurden von uns gemeinschaftlich ausgearbeitet; einzelne mit Socin's späterer Reise in Zusammenhang stehende Zusätze sind, mit S. unterzeichnet, in Klammern gesetzt. Für einige zoologische Notizen sind wir unsern Collegen Bertkau und Eimer zu Dank verpflichtet. Was wir über die vorkommenden Orts – und Stämmenamen beizubringen wussten, wurde in einen besondern Index verwiesen. Ausserdem haben wir das Buch mit einem ausführlichen Sachregister ausgestattet und in demselben das für Märchenforschung und Volkskunde wichtige Material zusammengestellt.

16. April 1880.

Die Herausgeber.

Fußnoten

1 Statt der runden Klammern setze eckige 20, 29; 24, 30; 25, 28; 30, 3. 5; 33, 21; 39, 9 v.u.; 55, 15. 7 v.u.; 63, 3.

2 und haben wir hier nicht unterschieden.

I.

Es war einmal ein Ortsschulze Jûsif-Agha, der lebte in der Nähe von Indien; er hatte einen Vetter und war in die Schwester desselben verliebt: er ging heimlich zu ihr, als sie noch ein Mädchen war; darauf wurde sie zu Hause schwanger. "Von wem bist du schwanger geworden?" fragte sie ihr Bruder. "Ich bin von Jûsif-Agha schwanger", antwortete sie. Die Einwohner der Stadt aber ergriffen die Partei des Bruders des Mädchens und wollten Jûsif-Agha nötigen das Mädchen zu heiraten; er antwortete: "Nachdem ihr sie mir mit Zwang habt aufdrängen wollen, mag ich sie nicht heiraten". Darüber entstand Streit unter den Einwohnern des Fleckens; aber gegen Jûsif-Agha konnte man nichts ausrichten. Unterdessen gebar das Mädchen einen Sohn und eine Tochter, und man gab dem Sohn den Namen Mammo, und der Tochter den Namen Amîna. Als Mammo gross wurde, erkundigte er sich darnach, wer sein Vater wäre. Da wies man auf seinen Oheim und sagte ihm: "Das ist dein Vater". "Der ist nicht mein Vater", erwiderte er. – Darauf verliebte sich Mammo in ein Mädchen, und diese seine Geliebte fragte ihn: "Weisst du, wer dein Vater ist?" "Wer denn?" "Jûsif-Agha ist es; er hatte ein Verhältniss mit deiner Mutter, als sie noch ein Mädchen war; darauf haben die Angehörigen deines Oheims mit Jûsif-Agha Streit geführt, aber nichts gegen denselben ausrichten können; so bist du ausserehelich geboren worden". "Ist es so?" "Ja". – Als er nach Hause kam, ging er hin und schnitt die Goldstücke vom Kopfputz seiner Mutter ab: damit kaufte er sich ein Schwert und ein Paar Pistolen; das Schwert hing er sich um die Schulter, und die Pistolen steckte er vor sich in den Gürtel. So trat er in's Zimmer Jûsif-Agha's, der nichts davon ahnte und rief: "Mammo, komm und setze dich her". Mammo setzte sich zu Jûsif-Agha hin und sie redeten mit einander. Darauf bekamen sie Streit, Mammo zog seine Pistole heraus und richtete sie auf Jûsif-Agha; der Schuss traf in's Herz, und Jûsif-Agha schrie nur noch: "Mammo hat mich getödtet!" Da rückten die Verwandten Jûsif-Agha's, die Brüder und Söhne dem Mammo zu Leibe; aber ein Gerücht, dass man Mammo getödtet habe, drang auch zu seinem Oheim; dieser eilte in's Zimmer Jûsif-Agha's und nun gingen sie mit den Säbeln auf einander los; im Kampfe erschlug Mammo sechs von den Verwandten Jûsif-Agha's. Darauf ging er nach Hause. Alle Einwohner des Fleckens aber kamen zu Mammo mit dem Anerbieten; "Sei du unser Oberhaupt!" "Gut", antwortete er, und wurde Schulze; aber es dauerte zwei Jahre, bis er die Amtsführung erlernt hatte. –

Unterdessen ging einer der Dorfleute in's Holz; auf den stiess ein wütender Löwe und frass den Mann sammt dem Maultiere auf. Da hiess es: "Der Mann hat sich verlaufen", und zwei Leute gingen ihn suchen; sie erblickten Blut auf dem Boden und verfolgten die Blutspur, bis zur Höle des Löwen; an der Oeffnung derselben sahen sie die Sattelhölzer, das Beil, den Strick und den Packsattel liegen. Der Löwe aber sprang heraus, packte einen und frass ihn, der andere entfloh; er kam in das Dorf zurück und rief: "Warlich, es ist ein wütender Löwe da, der die beiden Männer getödtet hat". "Was erzält ihr da?" fragte Mammo. "So und so ist die Sache", erwiderten sie. Da machte sich Mammo auf, griff zu Säbel und Schild und zog gegen den Löwen, indem er eine Kuh mitnahm. Wieder kam der Löwe hervor und wurde wütend, als er sah, dass Mammo einen Säbel bei sich hatte. Vor den Augen aller Einwohner des Dorfes hielt Mammo dem Löwen, als dieser ihn packen wollte, seinen Schild entgegen, so dass der Löwe ihm nichts anhaben konnte, und versetzte ihm einen Hieb mit dem Schwerte; bis zum Mittag kämpften sie mit einander, wie zwei Männer kämpfen; endlich erlegte er den Löwen und ging nach Hause. Durch diese Tat erlangte Mammo Ruhm, und sein Name wurde weltbekannt. –

Hierauf zog ein Kaufmann von Môçul nach Indien und kehrte bei Mammo ein. "Bist du Mammo?" fragte er ihn. "Ja". "Wir haben deinen Namen in unserer Heimat Môçul nennen hören; bist du noch unverheiratet?" "Ja". "So passt für dich Sîne von Dschesîre, die Tochter des Mîre-Sirâf; sie hat drei Brüder: Mîr-Ssêfdîn, Hasso und Tschakko; sie wohnt im Schlosse von Dschesîre, und die Ketten ihres Hoftores sind von Gold". Da fragte Mammo: "Wer wird dorthin reisen?" "Ich", antwortete jener. "Wenn du dorthin gehst, so bring ihr diesen Ring", bat Mammo. "Gerne", antwortete er. "Aber bringe mir Nachricht von ihr zurück", trug er dem Kaufmann auf. Da ging der Kaufmann nach Indien, betrieb seinen Handel und kehrte wieder um, kam zu Mammo, nahm den Ring Mammo's mit und reiste nach seiner Heimat Môçul; dann zog er nach Dschesîre hinauf zu Sîne. Dort erblickte er Sîne am Fenster und rief sie an, Aber sie war nicht Willens, sich mit dem Kaufmann zu unterhalten. "Sîne", rief er noch einmal. "Was gibt's?" fragte sie. "Ich habe dir von irgendwo etwas mitgebracht". "Was hast du mir denn mitgebracht?" "Sieh es an", sagte er. Da löste sie den Gürtel von ihrer Hüfte und liess ihn durch das Fenster, worunter der Kaufmann stand und woran sie oben sass, hinab mit den Worten: "Knüpfe es, was es auch sei, an das Ende dieses Gürtels". Der Kaufmann band es fest, und Sîne zog den Gürtel hinauf, dann löste sie das Ding vom Gürtel ab, beschaute es und sah, dass es ein Ring war, von dem der eine Stein ein Diamant, der andere eine Perle war, und auf dessen drittem Steine der Name Mammo's stand. "Wo befindet sich der Besitzer des Ringes?" fragte sie. "In seiner Heimat", antwortete jener. "Ich habe seinen Namen auch schon nennen hören; aber nun will ich mich nach ihm erkundigen; ist er schön? oder nicht?" "Ein wunderschöner Jüngling", antwortete jener; "ich bin nach Indien gegangen und nach Môçul zurückgekehrt, habe aber nirgends einen schöneren und männlicheren als ihn gefunden". "Wirst du denn dorthin zurückkehren?" fragte sie. "Ja". Da setzte sie sich hin und zeichnete ihr Bild, wie sie aussah, aufs Papier und schrieb zum Bilde: "Komm in unser Land; es soll fern von mir sein, dass ich einen andern Mann heirate, ausser dir selber; dass Männer Weiber suchen, ist aber keine Schande; hingegen dass Weiber Männer suchen, ist eine Schande". Darauf gab sie dem Kaufmann den Brief, und den Ring behielt sie. Der Kaufmann reiste nach Môçul, packte seine Warenballen und zog nach Indien. Als er zu Mammo gelangte, trat er vor denselben hin. Jener rief ihm zu: "Willkommen! Rede!" "Was soll ich reden? Mammo", antwortete dieser, zog den Brief aus seiner Busentasche und übergab ihn Mammo. Wie dieser den Brief schaute und das Bild der Sîne ansah nebst den Worten, welche sie geschrieben hatte, küsste er das Bild und fragte: "Wo ist mein Fingerring?" "Sîne hat ihn angenommen", antwortete jener.

Zwei Jahre hindurch schickten sie sich nun Briefe; dann aber ereiferte sieh Sîne über Mammo. Sie verschaffte sich für tausend Piaster einen Boten und schickte durch denselben einen Brief an ihn nach Indien, des Inhalts: wenn er kommen wolle, so möge er nun kommen; "wenn er aber nicht kommt, so heirate ich den Mîr-Akâbir, den Fürsten von Wân". Der Mann reiste, sich nach Mammo's Wohnsitz erkundigend, bis zu demselben und übergab ihm den Brief. Nachdem Mammo ihn gelesen hatte, rüstete er sich zur Reise, stieg zu Pferde und brach mit zweiundvierzig Leuten der Stadt (es waren aber das nicht seine Brüder, wie man sonst in der Geschichte erzält) auf; diese zogen mit ihm des Weges, ohne dass er ihnen gesagt hatte, wohin er reise. Nun aber riefen sie: "Mammo!" "Ja". "Wohin geht deine Reise?" "Ich will nach Môçul reisen", antwortete dieser; "wer mitkommt, sei willkommen; und wer nicht mitkommen will, handle nach Belieben; ich will in die Fremde ziehen". Da kehrten sie auf halbem Wege um und verliessen Mammo. Unterwegs kam er zu einer Quelle und legte sich bei derselben schlafen, denn es gab keine Dörfer um die Quelle. Desshalb blieb auch seine Stute ohne Futter und hungrig; Mammo aber hatte vier Brote bei sich; er zerrieb dieselben in den Futtersack der Stute; diese frass jedoch das Brot nicht; da sagte Mammo zu sich selber – denn es war Niemand bei ihm –: "Ich weiss nicht, warum sie nicht frisst". Plötzlich bekam die Stute durch Gottes wunderbare Fügung Sprache und rief: "Mammo!" "Ja, meine treue!" "Kehre von hier nach Hause zurück!" "Das geht nicht"; antwortete er, "ohne dass ich Sîne mitbringe, geht das nicht an". "Gut, wie du willst", sagte die Stute und sprach nicht mehr, so viel Mammo auch versuchte die Unterhaltung fortzusetzen. – Dann sang er an der Quelle und weinte über Sîne, früh Morgens aber brach er auf und reiste eine Station weiter. Diesmal stieg er auf einer Wiese ab und legte sich schlafen, wärend die Stute weidete. Da kam eine Schlange auf ihn los und wand sich um sein Bein. "Geh herunter, Bestie", rief er; sie aber sprach: "Habe keine Angst, ich werde dich nicht beissen; denn deine Stunde ist noch nicht gekommen". Da ging die Schlange herunter. "Wenn deine Stunde da wäre", fuhr sie fort, "so hatte ich dich gebissen, was du auch gesagt hättest".

Darauf stand Mammo auf, stieg zu Pferde und machte sich auf den Weg, bis er zu den Tennen vor der Stadt Dschesîre gelangte; da stieg er ab, um sich die Stadt von aussen anzusehen. Es wohnte daselbst ein gewisser Bakko der Schlimme, der im Rat der Angesehenen ein solches Ansehen genoss, dass, wenn er einmal etwas sagte, er es nicht zum zweiten male zu sagen brauchte. Dieser Bakko hatte eine Tochter, welche ebenfalls Sîne hiess. Eben ging sie an den Fluss hinunter, um Kleider zu waschen, als sie den Mammo erblickte; da verliebte sie sich in ihn. Die Verwandten der schönen Sîne indessen hatten davon gehört, dass sie und Mammo einander Briefe zugeschickt hätten, und wenn man ihr riet: "Nimm einen Mann!" so antwortete sie: "Ich will keinen heiraten, ausser Mammo"; davon hatten alle Einwohner der Stadt, alte und junge, Kunde. – Da redete die Tochter Bakko's ihn an und fragte: "Wer bist du?" "Ich bin Mammo", antwortete er. "Was suchst du denn?" fragte sie. "Sîne suche ich!" "Wenn du sie siehst, wirst du sie erkennen?" fragte jene. "Ja". "Ich bin Sîne", sagte sie. Er schaute sie an und sagte: "Nein, du bist nicht Sîne; nach der Beschreibung, welche man von Sîne gibt, ist nichts süsseres als sie in der Welt; wärend du nicht schön bist; du lügst!" "Mammo", rief sie, "Gott weiss, ich bin Sîne". "So ist vielleicht dein Name Sîne; aber du bist nicht die Sîne, die ich zu haben wünsche". "Mammo!" antwortete sie; "mein Name ist Sîne und ich bin die Tochter Bakko's des Schlimmen, Sîne vom Hause des Fürsten ist meine Freundin". "So geh und rufe sie hierher!" bat er. Darauf ging die Tochter Bakko's des Schlimmen und rief: "Sîne!" "Ja". "Komm, wir wollen an den Fluss gehen einen Vogel zu beschauen; es ist ein fremder Vogel da, wie es keinen schöneren gibt; ich habe die Kleider liegen lassen und bin gekommen, dich zu suchen, damit du diesen Vogel dir ansiehst". Da kam Sîne, nachdem sie ihre Schuhe angezogen hatte, in die Stadt hinunter; die Leute der Stadt und der Kaufläden aber sagten, Sîne betrachtend: "Noch nie ist Sîne aus dem Hause herausgegangen, ausser jetzt". So gingen sie zur Stadt hinaus und kamen an's Ufer des Flusses. Wie Mammo Sîne erblickte, fiel er um vor Herzweh; sie aber setzte sich zu ihm und rieb ihm die Herzgegend, wärend die Tochter Bakko's des Schlimmen zuschaute. Dadurch, dass sie Mammo's Herzgegend rieb, kam er wieder zu sich. Nun sah sie aber Mammo an und nun bekam sie Herzweh, so dass Mammo ihr die Herzgegend reiben musste; ihre Brust aber war weiss und weich wie Seide. Da kam Sîne wieder zu sich, und nun küssten sie einander. – "Ich will nach Hause gehen", sagte sie, "steige du zu Pferde und komm zu uns." "Ja", erwiderte er. Hierauf ging Sîne nach Hause, stieg auf die Zinne des Schlosses und schaute mit brennendem Herzen um sich. Mammo kam in's Haus des Fürsten, zu Mîr-Ssêfdîn, und setzte sich in's Empfangszimmer. "Woher bist du?" fragte man ihn. "Ich bin ein Fremder", antwortete er. Da sahen sie, dass er schöner war als sie selber, und hatten an ihm ihre Augenweide. Sîne aber sagte zu ihren Brüdern Tschakko und Hasso: "Das ist Mammo; erweist ihm Ehre und bewirtet ihn freigebig". Daher waren Mammo und die Brüder bald unzertrennlich. – Aber zu Bakko dem Schlimmen sprach seine Tochter: "Dieser da hat mich verschmäht und an Sîne Gefallen gefunden". "Ich will machen, dass man ihn tödte", antwortete ihr Vater.

Eines Tages befal der Fürst Ssêfdîn: "Lasst uns auf die Gasellenjagd gehen!" auch Mammo forderte er auf, und dieser sagte zu. Sîne aber sagte zu Hasso: "Nehmt Mammo nicht mit auf die Jagd; er ist ein Gast; es wäre eine Schande! Bakko könnte ihn tödten lassen!" "Fürchte nichts, Schwester", antwortete jener, "wir sind ja bei ihm". – Darauf sattelten die Diener die Pferde; Sîne aber stieg ebenfalls von ihrem Zimmer herunter und machte Mammo's Stute zurecht. Tschakko und Hasso sahen sie wol, aber sagten nichts; das blieb in ihrem Herzen verschlossen; der Fürst Ssêfdîn aber merkte nichts davon. Sie gingen auf die Gasellenjagd. Da sprang eine Gaselle auf, und man rannte ihr nach, bis Mammo sie einholte; als er sie dem Fürsten Ssêfdîn geben wollte, sagte dieser: "Nein, sie sei ein Geschenk für dich". "Ich nehme es dankbar von dir an," erwiderte Mammo. Dann aber wandte er sich zu Hasso: "Ich bin durstig geworden und will darum nach Hause gehen und warten, bis ihr zurückkehrt". "Gehe nur", sagte dieser. Hierauf ging Mammo und verliess sie. Sîne stand indessen auf dem Schlosse, indem sie auf die Strasse blickte und dachte: "Wann wird Mammo zurückkehren?" Da kam Mammo heran, stieg in das Zimmer hinauf, und nun küssten und umarmten sich Sîne und er einander. Darauf aber kamen auch die Brüder zurück und stiegen zum Zimmer hinauf, so dass sie ihr keinen Weg offen liessen zum Hinausgehen; desshalb schlüpfte sie hinter Mammo's Rücken, und er deckte sie mit seinem Pelz zu. Aber nun kam auch der Fürst Ssêfdîn, wärend Mammo da sass. Er begrüsste ihn, Mammo erhob sich nicht vor ihm; wäre er aufgestanden, so wäre Sîne zum Vorschein gekommen. Ssêfdîn und Bakko setzten sich ebenfalls, Letzterer sagte zu Mammo: "Der Fürst Ssêfdîn hat dich begrüsst, und du bist nicht vor ihm aufgestanden". Mammo antwortete: "Er ist ja wie mein älterer Bruder!" Hasso und Tschakko aber wussten, dass Sîne unter Mammo's Pelz versteckt war; daher winkten sie einander mit den Augen. Sie sagten zu Mîr-Ssêfdîn: "Steh auf, wir wollen in deinen Garten gehen". "Ich mag nicht mitgehen", antwortete der Fürst und wurde zornig. Da ging Hasso hin, schlug seine Frau und legte Feuer an sein Haus, um Mîr-Ssêfdin aus dem Zimmer aufstehen zu machen, damit Sîne hinter Mammo hervorkommen könnte; Mammo's wegen handelte er so. In Folge dessen kam man dem Fürsten Ssêfdîn berichten, dass Hasso seine Frau geschlagen und an sein Haus Feuer gelegt habe. Jetzt ging Mîr-Ssêfdîn aus dem Zimmer, nach dem Hause Hasso's hin, in Begleitung von Bakko dem Schlimmen, und da nun ausser Mammo und Sîne Niemand mehr im Zimmer blieb, kam sie unter dem Pelz hervor und stieg in ihr Oberzimmer hinauf. Bakko aber erzälte dem Mîr-Ssêfdîn: "Mammo ist desswegen nicht vor dir aufgestanden, weil Sîne unter seinem Pelz versteckt war". Da geriet Mîr-Ssêfdîn mit Hasso in Streit. Hasso aber und Tschakko stiegen grollend zu Pferde und reisten hierher nach Damaskus. –

Unterdessen warf Mîr-Ssêfdîn den Mammo in's Gefängniss; Sîne aber pflegte an die Thüre des Gefängnisses zu kommen, indem sie über Mammo weinte; dann sagte Mammo: "Sîne, weine nicht! es zehrt wie Feuer an meinem Herzen". Jedoch sie weinte, und Mammo weinte, bis letzterer aus Gram und Grimm dem Tode nahe kam. Einmal kam ein Derwisch und fragte sie: "Warum weinst du?" Da erzälte sie es dem Derwisch und fragte ihn: "Wohin gehst du, Derwisch?" "Ich gehe auf die Wallfahrt". "Gehst du nicht nach Damaskus?" "Freilich," antwortete er. "So geh und sage meinen Brüdern: Bakko hat Mammo festnehmen lassen, und jetzt wird er bald sterben; desshalb kommt und verweilt euch nicht". "Gib mir einen Kuss", bat der Derwisch. "Komm, küsse mich um Mammo's willen", antwortete sie. Da küsste er sie und zog davon. – Sie aber pflegte Mammo mit Essen zu versorgen; er jedoch genoss nichts; endlich starb er; auch Sîne brach vor Gram und Grimm todt zusammen. Da legte man Sîne und Mammo in ein und dasselbe Grab, indem man ihre Rücken einander zukehrte; durch ein Wunder von Gott aber wurden ihre Gesichter einander zugekehrt. – Der Derwisch ging unterdessen hin, fand Tschakko und Hasso und richtete ihnen die Botschaft aus. Jene stiegen zu Pferde und kehrten in ihre Heimat zurück. Daselbst fragten sie: "Wo ist Mammo?" "Er ist gestorben". "Wo ist Sîne?" "Sie ist gestorben". Da gingen sie hin, öffneten das Grab und weinten um sie. Mîr-Ssêfdîn und Bakko begleiteten sie dorthin, und letzterer sprach: "In diesem Leben liebten sie einander und in jenem lieben sie einander". "Wie so?" fragten jene. "Wir haben ihre Rücken gegen einander gelegt; nun haben sie einander die Gesichter zugekehrt". Da sagte Tschakko: "So lange sie am Leben waren, hat er nicht von ihnen gelassen und auch nun, da sie todt sind, lässt er nicht ab von ihnen". Nach diesen Worten führte er einen Schwerthieb auf Bakko und tödtete ihn. Ein Tropfen seines Blutes aber fiel in das Grab zwischen Mammo und Sîne hinein; dieser wurde zum Dornstrauch zwischen den beiden; darauf schloss man das Grab wieder.

II.

Es war einmal ein Häuptling der Kôtschär Namens Mirs-Agha, dessen Wohnplatz war auf den Weiden. Ein Bruder, den er gehabt hatte, war gestorben und hatte einen Sohn und eine Tochter hinterlassen; der Name des ersteren war Ose, der Name des Mädchens 'Amsche. Da sandte Ibrahîm-Agha, der Herr von Bitlis, einen Diener zu Mirs-Agha mit dem Auftrage: "Geh, sage ihm, er möge mir 'Amsche zur Frau geben". Der Diener kam zu Mirs-Agha und sagte: "Mirs-Agha!" "Ja!" Ibrahîm-Agha hat mich geschickt mit dem Auftrag: "Geh, sage dem Mirs-Agha, er möge mir das Mädchen zur Frau geben". "Das werden wir nicht tun", antwortete dieser. Da kehrte der Diener zurück und berichtete dem Ibrahîm-Agha, dass jene sie nicht geben wollten. Darauf beklagte sich Ibrahîm-Agha über sie bei der Regierung, und man vertrieb die Kurden aus dem Lande. Sie zogen in's Hochland, bis eines Tages Ose, der Neffe des Mirs-Agha, zu diesem sagte: "Wir sind nun ein Jahr im Hochland geblieben, lass uns an unsern früheren Wohnplatz zurückziehen". Da schlugen die Kurden ihre Zelte wieder ab und kamen an ihren früheren Wohnplatz zurück. Als Ibrahîm-Agha davon hörte, schickte er einen Diener an sie mit dem Befehl: "Geh, vertreibe sie von dort". Der Diener kam dorthin, zog das Schreiben aus seiner Brusttasche und übergab es dem Mirs-Agha. Dieser sah in das Schreiben und Ose fragte ihn: "Oheim, was steht in dem Brief?" "Mein Sohn", antwortete er, "die Leute des Ibrahîm-Agha wollen uns von hier wieder vertreiben". "Warum das?" fragte Ose. "Wegen 'Amsche, weil wir sie ihm nicht zur Frau gegeben haben". Da erhob sich Ose und gab dem Diener eine Ohrfeige, dass er zu Boden fiel und ihm drei Zähne zerbrachen. Dann sagte er: "Packe dich, wir wollen sehen, was ihr nun tun werdet". Der Diener stand auf, stieg zu Pferde und machte sich aus dem Staube. Als er in die Stadt kam, traf er das Empfangszimmer angefüllt; da trat er vor Ibrahîm-Agha hin, und dieser fragte ihn: "Nun, wie ist es gegangen?" "Du siehst es, Herr!" antwortete jener, "einer Namens Ose, Bruder der 'Amsche, ist auf mich losgekommen und hat mir einen Schlag versetzt, so dass meine Zähne zerbrachen". Hierauf befal Ibrahîm-Agha: "Werft den Diener in's Gefängniss, du hast von ihnen Bestechung angenommen". "Nein, mein Herr", entgegnete jener. Dann schickte er einen andern Diener mit dem Auftrag: "Geh, sage dem Mirs-Agha: komm, wir wollen Freundschaft schliessen, Ibrahîm-Agha hat für seinen Sohn ein Hochzeitsgelage veranstaltet und wünscht, du mögest kommen". Da ging der Diener zu Mirs-Agha und sprach zu ihm: "Komm, wir wollen zu meinem Herrn gehen, er lässt dir sagen, er wolle Freundschaft mit dir schliessen". "Schön", antwortete jener. "Er hat seinem Sohne ein Hochzeitsgelage veranstaltet und wünscht, du mögest auch daran teilnehmen". Ose aber sagte: "Mein Oheim kommt nicht". Mirs-Agha hingegen sprach: "Ja, ich will kommen, höre nicht auf jenen". Hierauf reiste Mirs-Agha mit dem Diener nach Bitlis in die Stadt zu dessen Herrn. Er ging in das Ratszimmer welches voll Vornehmer war, da hiess es: "Mirs-Agha ist gekommen, bereitet ihm einen Sitz, seit langer Zeit sind sie Feinde gewesen". Mirs-Agha setzte sich in die Ecke, dem Fürsten gegenüber. – Unterdessen aber stieg auch Ose zu Pferde, steckte die Pistolen zu sich und hing den Säbel um die Schulter; dann band er sein Kopftuch mit dem Kamelhaarstrick fest, zog einen baghdadischen Ueberwurf und rote Stiefel an und steckte seinen Dolch zu sich. So ritt er in die Stadt hinter seinem Oheim drein. Daselbst stellte er seine Stute in die Herberge und ging in's Schloss zu Ibrahîm-Agha; da das Zimmer gedrängt voll war, setzte er sich bei den Schuhen und Stiefeln nieder und stopfte sich seinen Pfeifenkopf, wie ein Beduine. Sein Oheim aber sass mit Ibrahîm-Agha drinnen im Zimmer, welches voller Vornehmer war. Man bereitete Kaffe und reichte die Schale zuerst dem Mirs-Agha; aber als dieser sie in die Hand genommen hatte und am Trinken war, nickte Ibrahîm Agha seinen Dienern mit den Augen zu: "Tödtet ihn". Da fielen die Diener über Mirs-Agha mit ihren Dolchen her. Dieser rief: "brr", zückte seinen Dolch und hieb damit auf die Diener ein; aber er konnte nichts ausrichten; man tödtete ihn im Ratszimmer. Da stand Ose auf, verrammelte die Thüre, griff Dach seinem Säbel und stürzte sieh auf die Versammlung. Er tödtete den Ibrahîm-Agha, dessen Sohn und die Vornehmen, und nachdem er volle siebzig erschlagen hatte, nahm er seinen Säbel und ging hinaus. Er begab sich in das Weibergemach Ibrahîm-Agha's; derselbe hatte zwei Töchter und eine Frau. Ose nahm die beiden Töchter mit, setzte sie eine jede auf ein Pferd und bestieg seine Stute; seinen ermordeten Oheim band er auf ein Maultier und brach nach Hause auf. Da stiess er auf einige seiner Kurden, die fragten ihn: "Was hast du ausgerichtet?" "Sie haben meinen Oheim ermordet, darauf habe ich siebzig von ihnen getödtet und die beiden Töchter des Ibrahîm-Agha mitgenommen, und da liegt auch mein ermordeter Oheim auf dem Maultiere". Hierauf kamen sie nach Hause und stiegen ab; dann begruben sie den Oheim. Ose aber heiratete eines der Mädchen, und das andere gab er dem Dschelâl, dem Sohne Mirs-Agha's, seinem Vetter, zur Frau.

Eines Tages log die Tochter des Ibrahîm-Agha, welche die Frau des Ose geworden war, ihrem Manne vor: "Ich habe Jemand zu deiner Schwester 'Amsche gehen sehen". Da rief Ose seiner Schwester: "'Amsche!" "Was gibt's? mein Bruder". "Ist es wahr, dass Jemand dich verführt hat?" "Nein, mein Bruder, sieh, ich bin so unverdorben wie süsse Milch; ich weiss, die Tochter des verfluchten Ibrahîm hat mir das angetan". Da nahm er sie mit sich und sagte: "Schwester!" "Ja!" "Komm, wir wollen zusammen spaziren gehen". Im Geheimen fürchtete sie sich und sprach zu sich selber: "Er will mich tödten". Er nahm sie mit, und sie gingen in's Gebirge. Im Vorbeigehen erblickten sie eine Höle und liessen sich darin nieder, Ose mit seiner Schwester 'Amsche, die so schön war, wie keine in der ganzen Welt. Sie sprach zu sich selber: "Ich will mich schlafen legen, dann mag er mich tödten; aber mit offenen Augen fürchte ich mich vor dem Tode". Darauf sagte sie weinend: "Bruder, ich will mich schlafen legen". "Lege dich hin, Schwester". Das tat sie, Ose aber begann die Oeffnung der Höle mit grossen Steinen zu verrammeln und ging dann fort nach Hause zurück.

Eines Tages aber ging Schêr-Bek, der Häuptling der Scher, auf die Jagd; da sprang eine Gaselle auf, und die Jagdhunde rannten ihr nach; bei der Oeffnung der Höle aber hielten sie an. Schêr-Bek ritt auf einer Stute, deren Sattel, Zügel und Bügel von Silber und Gold waren. Als nun die Jagdhunde an der Oeffnung der Höle heulten, spornte er seine Stute an und gelangte zu den Hunden; darauf befal er den ihn begleitenden Fussgängern vorzurücken. Da kamen die Fussgänger, etwa tausend an der Zal (aber Dälli, sein Bruder, war mit ihm zu Pferde) und fragten: "Was gibt's, Herr?" Er befal ihnen: "Oeffnet den Eingang zu dieser Höle". Das taten sie und erblickten, o Wunder, ein Weib, wie es nichts schöneres gab. Sie führten sie hinaus und fragten sie: "Woher kommst du?" Sie sagte aber nichts, sondern weinte bloss. Hierauf liess Schêr-Bek den Dälli von seinem Pferde absteigen und liess sie sich darauf setzen. Dann gab er ihr Wasser zu trinken und, da sie die Geberde des Essens machte, Brot zu essen. Da redete das Mädchen und fragte ihn: "Woher seid ihr?" "Ich bin Schêr-Bek, der Fürst der Schêrwa". "Und du, woher bist du?" fragte man. "Ich bin die Schwester des Ose, des Kurdenhäuptlings; so und so hat die Frau meines Bruders an mir gehandelt; die Frau meines Bruders aber ist die Tochter des Ibrahîm-Agha, des Herrn von Bitlis". Darauf fragte man sie: "Hast du keinen Mann?" "Nein", antwortete sie. "Oder einen Verlobten?" "Nein". "Bist du noch Jungfrau?" "Ja". Da nahmen sie sie mit und kamen zum Schlosse Schêr-Bek's. Dälli behauptete: "Sie gehört mir". Schêr-Bek aber antwortete: "Geh nur, wie werde ich sie dir zur Frau geben? sie gehört jedenfalls mir!" Schêr-Bek heiratete sie, und bei der Hochzeit ergab es sich, dass sie noch Jungfrau war. –

Einige Zeit nachher machte sich Ose auf und ging zu der Höle; als er aber Niemand fand, erkundigte er sich bei den Hirten; diese sagten, sie hätten sie nicht gesehen. Da stiess er auf einen Fuchs, dieser floh und rief von der Spitze eines Hügels: "Hollah!" Ose blieb stehen. "Deine Schwester, welche du suchst, hat Schêr-Bek weggeholt". Ose ging in Folge dessen zu Schêr-Bek und trat in dessen Empfangszimmer; dort setzte er sich hin. Darauf zog man das Tischleder heran und setzte den Gästen die Abendmalzeit vor. Ose sagte aber zu Schêr-Bek: "Schêr-Bek!" "Ja!" "Hast du eine Frau in der Höle gefunden?" "Ja", antwortete er. "Wo ist sie denn?" "Sie ist bei mir, ich habe sie geheiratet". "Es möge dir zum Segen gereichen, aber bei deiner Liebe zu Gott, sage mir, war sie eine Jungfrau oder nicht?" "Sie war noch Jungfrau". Da weinte Ose; Schêr-Bek aber fragte; "Warum weinst du?" "Sie ist meine Schwester", antwortete er. Hierauf stand Schêr-Bek auf, nahm ihn am Arme und führte ihn in's Zimmer der 'Amsche: die beiden sahen einander an und weinten; darauf küssten sie einander, und Ose sagte: "Es macht nichts; du bist wie in dein eigen Haus gekommen, da du in das Haus des Bek aufgenommen worden bist". Schêr-Bek schenkte dem Ose die mit Silber und Gold bekleidete Stute und ein Ehrenkleid. Ose aber stieg zu Pferde, kam nach Hause, tödtete seine Frau und lud all sein Hausgerät auf; damit zog er zum Schlosse Schêr-Bek's und wohnte daselbst bei seiner Schwester.

III.

Es war einmal in Diârbekr ein Regierungsbeamter Namens Ahmed-Kahja. Die Regierung von Diârbekr aber war damals schlaff. Auch lebte dort ein Mann Namens Imâm-Agha; der hatte sieben Söhne und eine Tochter. Da sandte Ahmed-Kahja seinen Diener in's Haus des Imâm-Agha und liess ihm sagen: "Lass mich deine Tochter Halîme zur Frau nehmen". Der Diener ging in's Haus des Imâm-Agha und wies demselben das Schreiben vor. Man rief Halîme in das Empfangszimmer, und ihr Vater nebst ihren Brüdern sagten zu ihr: "Ahmed-Kahja will dich heiraten". Sie aber schmähte ihn und seinen Diener. Als letzterer zu seinem Herrn zurückkam, fragte dieser: "Nun, was hat man dir geantwortet?" "Herr", sagte der Knecht, "sie haben dich und mich geschmäht". – Unterdessen war die Regierung von Diârbekr streng geworden. Ahmed-Kahja aber stieg zu Pferde und nahm zwanzig Gensdarmen mit sich; mit diesen zog er zu der Wohnung des Imâm-Agha und liess die sieben Söhne desselben ergreifen. Dann liess er dieselben unter die Soldaten stecken. Imâm-Agha, seine Frau und Halîme blieben allein zu Hause und weinten. Da ging Halîme hin, zog ihre Feierkleider an, nahm den grossen weissen Ueberwurf um sich und kam nach Diârbekr; dort trat sie weinend in's Haus des Richters. "Warum weinst du?" fragte der Richter. Sie antwortete: "Ahmed-Kahja hat um meinetwillen zu meinem Vater geschickt; und weil ich ihn nicht zum Manne genommen habe, hat er meine sieben Brüder unter die Soldaten gesteckt". "Was soll ich tun?" sagte jener, "ich habe nichts zu sagen". Da stand Halîme auf und ging zu Hassan-Agha, dem Herrn von Serekîje; sie trat in dessen Empfangszimmer, wärend dasselbe voller Leute war, und weinte daselbst. "Warum weinst du?" fragte er. "Ahmed-Kahja hat, weil ich ihn nicht zum Manne genommen habe, meine sieben Brüder unter die Soldaten gesteckt". "Was soll ich tun?" erwiderte jener, "ich habe in dieser Sache nichts zu sagen". Da ging sie herum bei allen angesehenen Herren; aber keiner war im Stande, ihre Brüder zu befreien. Endlich riet man ihr: "Gehe zu Färcho vom Hause des 'Aesêr-Agha; jener ist ein tapferer Mann und nimmt es mit der Regierung auf". Sie reiste zu Färcho in die Stadt Dêreke, fragte nach dessen Hause und ging in sein Schloss. Als sie in das Zimmer Färcho's eintrat, wo er allein sass, trat sie zum Grusse an ihn heran; dann zog sie sich wieder zurück. "Was willst du? Frau", fragte er sie. "Herr", antwortete sie, "möge es dir wol gehen; ich bin zu dir gekommen", (sie weinte, indem sie dies sagte) "weil Ahmed-Kahja darum, dass ich ihn nicht zum Manne genommen habe, meine sieben Brüder hat greifen und unter die Soldaten stecken lassen". "Wessen Tochter bist du?" fragte er. "Des Imâm-Agha". Da wurde Färcho zornig, seine Augen röteten sich vor Wut; er ergriff seine Pfeife und zerschmetterte sie. Darauf rief er seinem Leibdiener 'Amer: "Komm"! "Was gibt's? Herr". "Auf", befal dieser, "sammle Soldaten aus unsrem Flecken; wir wollen nach Diârbekr ziehen, um die Brüder der Halîme zu befreien; wenn aber Ahmed-Kahja dieselben nicht freilässt, so wollen wir gegen die Stadt Diârbekr Krieg führen". Darauf sammelten sie Soldaten und zogen nach Diârbekr; daselbst angekommen liess Färcho seine Soldaten ausserhalb des Tores und ging mit zwei Dienern hinein. Wie sie zum Schlosse kamen, fragten sie nach Ahmed-Kahja: "Wo ist er?" "Dort", antwortete man. Da ging Färcho zu ihm hinein; Ahmed-Kahja aber stieg von seinem Sitze hinab und liess Färcho auf denselben hinaufsteigen. Färcho setzte sich; man brachte Kaffe und sie tranken; darauf holte man das Essen herbei; aber Färcho wollte nichts davon gemessen. Da fragte Ahmed-Kahja: "Warum issest du nicht?" "Ich mag nicht essen", antwortete jener. "Warum denn nicht?" "Wenn du die sieben Brüder der Halîme freilässest, so will ich essen; wo nicht, so mag ich nicht essen". "Ich kann sie nicht freilassen". "Willst du sie nicht freilassen?" "Nein". Da zog Färcho den Säbel und schlug den Ahmed- dieser aber floh, und er traf nur seine Schulter; schreiend machte er sich davon: Hierauf schickte Färcho einen seiner Diener ab, um die Soldaten herbeizuholen und sie einmarschiren zu lassen. Färcho selbst aber stieg, den Säbel in der Hand, die Treppe hinunter in den Hof des Regierungsgebäudes, trat an den Eingang des Gefängnisses und erschlug mit dem Säbel den Gefängnisswärter. Darauf liess er alle Eingekerkerten, so viele ihrer im Gefängniss waren, heraus und setzte sie in Freiheit. Da kamen seine Soldaten und fragten Färcho: "Was verlangst du von uns?" "Ich verlange nichts mehr", antwortete er, "aber nehmt diese sieben, die Brüder der Halîme, mit euch"; Dann zog Färcho mit seinen Soldaten nach Hause. Unterwegs aber traf er seinen jüngsten Sohn an; der hatte eine Schar Knaben gesammelt und war hinter seinem Vater drein ausgerückt. "Mein Lieber", fragte ihn der Vater, "wohin willst du gehen?" "Ich bin dir nachgezogen", antwortete jener. "Kehre um", sagte er zu seinem Sohne, "ich habe die sieben Brüder der Halîme schon mitgebracht". Als sie nach Hause gekommen und abgestiegen waren, ging der älteste Bruder der Halîme die Hand Färcho's küssen und sprach: "Herr, ich schenke dir die Halîme, mache sie zu deiner Sclavin". "Das geht nicht", antwortete Färcho; "da ich nach Recht und Billigkeit gehandelt habe, will ich nicht, dass die Leute sagen, Färcho habe wegen eines Weibes so getan; ihr aber geht nach Hause zurück und wohnt dort in Frieden; jedoch eine jede Bedrückung von Seiten der Türken sei meine Sache". Da wurde der Name Färcho's weltberühmt.

IV.

Es waren einmal zwei, die liebten einander. Da sagten die Verwandten zu dem Mädchen: "Wir wollen dich in die Familie des Hadschi-Bek verheiraten". Sie antwortete: "Ich mag keinen andern als den, welchen ich liebe". Aber man weigerte sich, sie dem jungen Manne, dem Ssêfdîn-Agha, zur Frau zu geben. Jedoch die beiden liessen nicht von einander. Da kam ein Statthalter in ihre Gegend und zwar in das Haus des Hadschi-Bek. Dessen Leute sagten zum Statthalter: "Jener Ssêfdîn-Agha ist militärpflichtig, stecke ihn unter die Soldaten". Der Statthalter tat dies und steckte ihn unter die Consignirten in ein Haus, an dessen Thüre Schildwachen waren. Ssêfdîn-Agha aber hatte einen Dolch bei sich; einmal ging er heraus, um ein Bedürfniss zu befriedigen, und entfloh; als die Soldaten ihn verfolgten, tödtete er sechs derselben mit seinem Dolche; aber man packte ihn und tat ihn wieder unter die Consignirten. Da ging Särîfe (so hiess seine Geliebte) zum Statthalter und sprach: "Statthalter!" "Was gibt's?" "Ich verlange von dir und flehe dich an, dass du Ssêfdîn-Agha freilässest". "Das geht nicht an", erwiderte dieser, "denn er hat sechs Männer getödtet". Sie sagte: "Ich will dir dafür einen halben Scheffel voll Goldstücke zum Geschenk geben". "Es geht nicht an", antwortete er. – Darnach machte sich der Statthalter mit seinen Soldaten auf und liess auch die Consignirten mit sich ziehen; so reisten sie von Stadt zu Stadt. Särîfe aber zog mit ihnen, und in jeder Stadt, wohin sie kam, flehte sie den jeweiligen Statthalter an, aber sie drang mit ihren Bitten nicht durch, bis sie nach Kars gelangten an der Grenze der Russen. Da gingen sie zum Oberstatthalter, der direct unter dem Befehl des Sultans steht. Särîfe aber schlich sich unter die Consignirten und sagte zu Ssêfdîn-Agha: "Gib mir deine Kleider und nimm die meinigen". Ssêfdîn-Agha tauschte mit ihr seine Kleider; er zog Weiberkleider an, und sie zog Soldatenkleider an. Sie gab ihm die Weisung: "Geh in die Stadt, miete dir ein Haus und wohne darin, bis wir sehen, wie die Sache sich gestaltet". Hierauf ging er hin und mietete ein Haus in der Nähe des Regierungspalastes. Weli-Pascha (der Oberstatthalter) aber sprach zu Kerîm-Pascha, den Obersten und Hauptleuten: "Holt die neuen Soldaten herbei und exercirt sie ein". Da brachten sie dieselben heran, und unter ihnen befand sich Särîfe in Soldatenuniform; jeder Unterofficier nahm sich zehn und exercirte dieselben ein, wärend Weli-Pascha die Soldaten und das Exerciren der Rekruten inspicirte. Der Unterofficier aber, der die Särîfe unter sich hatte, gab ihr viel Schläge; denn er wusste nicht, dass sie ein Weib war; wenn die Soldaten den rechten Fuss vorsetzten, so setzte Särîfe den linken vor und brachte Fehler in's Exerciren. Da, sagte der Wachtmeister zu den Hauptleuten: "Kommt und seht; dieser Mann da will gar nichts lernen". Die Hauptleute sagten es den Obersten, auch diese kamen und sahen zu, und wärend Weli-Pascha inspicirte, gingen die Obersten auf das Mädchen los und schlugen es heftig mit der flachen Klinge; da griff sie an ihre Brust und entblösste dieselbe; so ging sie an den Sitz des Oberstatthalters heran und rief: "Verzeihung, Herr, ich bin ein Weib", indem sie auf ihre Brust wies. Da wurde Weli-Pascha zornig und wollte fünf Statthaltern den Kopf abschlagen lassen, indem er sagte: "Steckt ihr denn nun auch noch die Weiber unter die Soldaten!" Sie aber sagte: "Nein, mein Herr, ich will es dir erzälen, gib mir die Erlaubniss dazu". "Rede", befal er. Sie erzälte: "Ich hatte einen Verlobten, der nicht militärpflichtig war, den aber die Leute des Dorfes unter die Soldaten brachten. Da habe ich die Statthalter angefleht; aber sie haben ihn nicht losgelassen; ich jedoch liess nicht von ihm ab, bin bis hierher mit ihm gekommen und habe mich an seinen Platz gestellt". "Wo ist er?" fragte der Pascha. "Er wohnt hier", antwortete sie. "Rufe ihn", befal er; "wenn er schön ist, wie du, so will ich ihn freilassen; wenn er aber hässlich ist, so stecke ich ihn unter die Soldaten". "So möge es geschehen", entgegnete sie und rief ihn. Da legte jener seine Kleider an und trat vor den Statthalter; dieser betrachtete ihn und sagte: "Warlich, es ist ein schöner Jüngling; der passt zum Soldaten, aber ich habe ihn dir zum Geschenk gemacht". Darauf küsste sie die Hand des Statthalters und sagte: "O Herr, ich habe noch die Bitte an dich, dass du mir einen Schein ausstellst und darauf das Siegel der Regierung drückst, damit Niemand ihn wieder ergreifen lasse". Da schrieb er ihr den Schein und gab ihn ihr; sie aber kehrte nach Hause zurück, und sie heirateten einander.

V.

Es war einmal ein Statthalter zu Diârbekr, der hatte eine Tochter, und um diese freite der Sohn des Statthalters von Baghdad. Eines Tages sagte die Tochter des Statthalters, sie wolle in den Garten gehen. Sie ging dorthin, sich zu vergnügen; denn sie hatte es verabredet mit dem Sohne des Richters; auch dieser kam in den Garten, und als er die Tochter des Statthalters getroffen hatte, setzten sie sich zu einander; er aber scherzte mit ihr und wohnte ihr bei. Darauf kam sie nach Hause zurück. Als ein Jahr verflossen war, holten die Leute des Statthalters von Baghdad sie ab für dessen Sohn; sie brachten Soldaten und eine Sänfte mit, und in die Sänfte setzte man sie nebst einer ihrer Sclavinnen. Unterwegs bekam die Prinzessin Wehen. "Ich habe Schmerzen", sagte sie zu ihrer Sclavin. "Wo?" fragte jene. "Am Bauch und an den Hüften", antwortete sie. Die Dienerin sprach zu ihr: "Du wirst doch nicht etwa schwanger sein?" "Ich weiss nicht". "Sage es nur, es ist ja niemand hier". "Komm, befüle mich", bat die Braut. "Ja, du bist schwanger", sagte die Dienerin, "du wirst gleich gebären und uns bei den Leuten in Schande bringen". "Was sollen wir beginnen?" fragte die Tochter des Statthalters. Da rief die Sclavin den Dienern, welche die Sänfte führten. "Was gibt's?" fragten diese. "Haltet an", befal sie, "damit die Prinzessin etwas absteigt, um ein Bedürfniss zu verrichten". Man liess halten, und die Prinzessin stieg nebst ihrer Sclavin aus; sie gingen in's Gras hinein, welches eine Elle hoch war. Die Dienerin rieb ihre Herrin am Rücken; da gebar diese ein Töchterchen. Sie aber kehrten unverzüglich zurück, stiegen in die Sänfte und reisten weiter; das Mädchen liessen sie im Grase liegen. "Weiter", befal die Sclavin den Dienern; die Prinzessin aber sprach zu derselben: "Nun gib mir guten Rat". "Verlass dich auf Gott und auf mich", antwortete die Dienerin. So gelangten sie in ein Dorf und stiegen ab; die Diener fragten die Sclavin: "Mädchen". "Ja". "Was wollt ihr essen?" "Bringt uns ein schwarzes Huhn und holt uns Brot, wir wollen das Huhn schon selbst schlachten". Da holten sie ihr das Verlangte; die Sclavin schlachtete das Huhn und tat dessen Blut in ein kleines Fläschchen. So reisten sie weiter und gelangten nach Baghdad; und die ganze Stadt, Männer, Weiber und Kinder machten sich zusammen auf, ihren Einzug anzusehen; man löste Kanonenschüsse bei der Ankunft der Braut des Sohnes ihres Statthalters. Als sie ihren Einzug gehalten hatte, brachte man sie nebst ihrer Sclavin in ein Zimmer; diese aber sprach zu ihrer Herrin: "Wenn nun der Prinz kommt, in sein eheliches Recht zu treten, so lege dein Tuch unter dich und sprenge auf dasselbe einen Blutstropfen nach dem andern; so wird dein Mann nichts sagen und dich nicht in Schande bringen". Als es Nacht wurde, kam der Prinz zu seiner Braut; sie tranken und belustigten sich; sie aber machte den Prinzen mit Brantwein betrunken. Wie er nun sich anschickte, in sein eheliches Recht zu treten, legte sie das Tuch unter sich; und nach der Heirat war dasselbe ganz voll Blutstropfen. Der Prinz betrachtete das Tuch und sah, dass Blut darauf war; da küsste er seine Frau; diese aber bat ihren Mann: "Gib der Sclavin ein grosses Geschenk; denn sie hat sich sehr für mich abgemüht". Das tat er, ging dann zum Zimmer hinaus zu seinem Vater und verkündete ihm: "Vater, ich bin nun wirklich verheiratet". "Gott sei Dank, mein Sohn", antwortete dieser; da feuerten sie Kanonen ab und freuten sich. Die Sclavin aber zeigte das Tuch den Weibern des Statthalters, und diese gaben ihr ebenfalls ein Geschenk.

Auf dem Gebirge aber liess ein Kuhhirte sein Vieh weiden; da fand er ein kleines Mädchen, welches schrie; er tat es in seinen Ranzen und gab ihm Kuhmilch zu trinken bis zum Abend; dann kam er nach Hause und sagte zu seinem Weibe: "Frau". "Was gibt's?" "Ich habe für uns ein Töchterchen gefunden". "Wo denn?" fragte sie. "Auf dem Gebirge", antwortete er. "Sie wird vielleicht Angehörige besitzen", meinte jene. "Fürchte nicht", sagte er und zog das Mädchen aus dem Ranzen hervor. Da freute sie sich sehr darüber: denn sie hatten keine Kinder; aber als sie es im Backtrog wusch, bedeckte sich die ganze Oberfläche des Wassers in demselben mit Silber und Gold. Da freute sich der Hirt und seine Frau, lasen das Silber und das Gold zusammen, und der Hirt verkaufte es für zehntausend Piaster; jede Woche einmal badete sie das Kind, und jede Woche verkaufte der Hirt Gold und Silber für zehntausend Piaster, so dass er bald ein grösseres Haus machte, als der Statthalter, und man sagte: "Gott hat dem Hirten Reichtum geschenkt". Der Hirt aber wurde ein Kaufmann, und seine Tochter wuchs heran; ihre Locken waren abwechselnd die eine von Silber und die andre von Gold, wie es nichts Schöneres in der Welt gibt. Daher sagte der Sohn des Ministers: "Nur die Tochter des Hirten will ich zur Frau, keine andere". "Schön", sagte man; denn der Hirt war ja Kaufmann geworden. Man freite dem Sohn des Ministers die Tochter des Hirten und holte sie ihm heim.

Sie pflegte aber ihren Vater, den Hirten, zu besuchen. Da fragten sie die Leute: "Wer ist dein Vater?" Sie antwortete: "Der Kuhhirt". "Nein", sagte man, "der ist nicht dein Vater". "Aber wer denn?" fragte sie. Man antwortete ihr: "Auf dem Gebirge hat er dich gefunden". Als das Mädchen das hörte, brach sie vor Wut todt zusammen. In Folge dessen tödtete der Sohn des Ministers manche Einwohner der Stadt mit dem Schwert. "Warum tust du so"? fragte man ihn. Er antwortete: "Ihr habt meiner Frau gesagt, der Hirte sei nicht ihr Vater". "Wir wollen dir eine andere freien", boten sie ihm an; aber er entgegnete: "Es sei fern von mir, dass ich nach dem Tode jener Frau je eine andere heirate". Hierauf wurde er Derwisch und ging in die weite Welt. Auf der Reise gelangte er nach Baghdad und kam vor das Fenster der Schwiegertochter des Statthalters; dort schlug er die Handtrommel und weinte. Die Schwiegertochter des Statthalters hörte zu und fragte ihn: "Derwisch, warum weinst du?" Er antwortete: "Mein Kummer ist gross". Darauf weinte er und gang ein Gedicht über die Geschichte des Mädchens, welches der Hirte gefunden und auferzogen hatte; wie es dann schön geworden sei, und wie der Sohn des Ministers um dasselbe gefreit habe, und wie man so und so zu ihr gesprochen habe und sie gestorben sei; "ich aber", sagte er, "bin dieser Sohn des Ministers". Dazu weinte er immer fort, indem er diese Geschichte der Schwiegertochter des Statthalters von Baghdad, der Mutter des Mädchens, vorsang. Da fing auch diese an zu weinen, rief dem Derwisch und nahm ihn als ihren Diener zu sich. "O Herrin", sagte er einmal. "Was gibt's? Derwisch", fragte sie. Er entgegnete: "Dein Gesicht und deine Gestalt sind ganz wie die meiner Frau"; dann weinte er und sprach: "O Frau, so lange ich am Leben bleibe, will ich nicht von dir weggehen, sondern mich trösten mit deinem Anblick". "Derwisch", sagte die Frau. "Was gibt's?" fragte er. "Aber sag es Niemand". "Nein". "Jene war meine Tochter". Da erzälte sie dem Derwisch alles, und er blieb für immer ihr Diener.

VI.

Es war einmal ein Minister, der hatte weder Frau, noch Vater, noch Mutter. Es lebte dort auch eine Witwe, die war schön. Sie hatte Angehörige, und der Minister pflegte sie zu besuchen und ihr beizuwohnen; da wurde sie schwanger. Als ihre Zeit heranrückte, ging sie aus Scham vor den Leuten nicht mehr zum Hause hinaus. Sie gebar einen Sohn, den legte sie in eine Schachtel und tat ihm ein Stück Zucker in den Mund; darauf verschloss sie die Schachtel. Ihr Dorf war dem Meere nahe, daher nahm sie die Schachtel und warf sie in's Meer; die Schachtel schwamm davon und verschwand aus ihren Augen. Da kam ein Kaufmann auf dem Meer herangefahren; er sass auf dem Dampfschiff und rauchte gerade eine Cigarette. Plötzlich sagte er zu einem der Schiffer: "Schiffer!" "Ja!" "Geh in's Wasser und schwimme; da ist eine Schachtel, hole sie mir!" Der Schiffer mit zwei andern stieg in's Meer hinab; sie schwammen und trieben die Schachtel mit den Meereswogen vor sich her; als sie dieselbe zum Dampfschiff gebracht hatten, ergriffen sie sie und stiegen hinauf Da sagte der Schiffer: "Ich will sie öffnen". "Warum willst du sie öffnen?" fragte der Kaufmann; "ich kaufe sie dir ungeöffnet ab". Also erstand sie der Kaufmann auf gutes Glück um zehn Beutel: aber auch er öffnete sie nicht, sondern legte sie zwischen seine Warenballen. Darauf kam er nach Hause, und wie er nun im Verlauf einer Woche seine dringendsten Geschäfte zu Ende gebracht hatte, sagte seine Frau zu ihm: "Mann!" "Ja!" "Was hast du uns in dieser Schachtel mitgebracht?" "Bei Gott", antwortete er, "ich weiss nicht, was es ist; ich habe sie dem Schiffer für zehn Beutel abgekauft; bringe sie, wir wollen sie öffnen". Sie holte sie, um sie zu öffnen; aber wie sie es auch anfingen, die Schachtel liess sich nicht öffnen. Da sagte er: "Lass die Schachtel dort stehen bis morgen; dann will ich einen Schlüssel für sie machen lassen". Sie setzten sie hin und liessen sie stehen; aber wärend sie noch redeten, fing das Knäbchen an zu weinen. Der Kaufmann und seine Frau hatten aber keinen Sohn, sondern fünf Töchter. Wie nun das Knäbchen weinte, freuten sie sich und sagten: "O Gott, vielleicht ist es ein Knäbchen". Jede ihrer Töchter gelobte der Mutter Gottes ein Gelübde, jede ein Goldstück. Jene Nacht schliefen sie nicht bis an den Morgen. Als der Morgen anbrach, sagten sie zum Kaufmann: "Auf, lass einen Schlüssel machen für die Schachtel". Da ging der Kaufmann auf den Markt und liess einen Schlüssel machen. Er brachte ihn, steckte ihn in die Schachtel und öffnete sie; da ergab sich, dass ein Knabe darin war, der ein Stückchen Zucker in der Hand hatte. Sie freuten sich sehr, und die ganze Stadt hörte davon, dass der Kaufmann ein Knäbchen gefunden habe. Darauf erzogen sie den Knaben Jahr um Jahr, bis er zwanzig Jahre alt wurde. Da starb der Fürst der Stadt, und die Einwohner derselben fragten einander, wen sie zum Fürsten machen sollten; sie sagten: "Wir wollen Niemand aus unsrer Stadt dazu machen, sondern den Knaben, welchen der Kaufmann gefunden hat". So machten sie ihn zum Fürsten über die Stadt, und er regierte als solcher vortrefflich; er befreite die Stadt von den Abgaben, und wenn Soldaten kamen, quartierte er sie in die Herbergen ein, (und nicht bei den Bürgern), und benahm sich trefflich. Hierauf freite man dem Fürsten eine Frau, und zwar die Tochter des Richters.

Vier Jahre vergingen, da wurde dieselbe schwanger und gebar eine Tochter. Die Leute der Stadt aber riefen: "O weh darüber, wäre doch nur unserm Fürsten ein Sohn geboren worden!" Das Mädchen wuchs indessen heran und wurde sehr schön. Sie verliebte sich in den Sohn des Kuhhirten, und jeden Tag, wenn sie vom Schlafe aufstand, nahm sie Speise mit sich und ging in's Haus des Kuhhirten. Da fragten sie die Leute und ihre Mutter und ihr Vater: "Wozu gehst du in's Haus des Kuhhirten?" Sie antwortete: "Ich gehe um zuzuhören, denn der Kuhhirt spielt uns auf der Flöte etwas vor". Zu ihrem Vater aber sprach sie: "Ich will nie einen andern heiraten, als den Sohn des Kuhhirten". Da schmähte sie ihr Vater und schlug sie, indem er sagte: "Wer bin ich und wer ist der Kuhhirt"? "Wie du willst", sagte sie. Eines Tages rief sie dem Sohn des Kuhhirten: "Komm, entführe mich zu Abu Sêd, dem Häuptling der Hilâl; der ist ein tapferer Mann". Der Sohn des Kuhhirten machte sich auf und entführte die Tochter des Fürsten; dann reiste er mit ihr zu Abu Sêd, dem Häuptling der Hilâl; er und das Mädchen begaben sich unter das Zelt vor Abu Sêd; dann küssten sie dessen Hand und traten wieder zurück. Abu Sêd sah sie an und fragte: "Wer und was seid ihr?" Sie antworteten: "Wir sind Gäste". "Zu Diensten; setzt euch!" Da setzten sie sich hin, und man zog das Tischleder vor sie: der Jüngling ass; das Mädchen aber sagte: "Ich mag nicht essen". "Warum willst du nicht essen?" fragte Abu Sêd. "Darum". "Das geht nicht an", sagte Abu Sêd. "Ich will es dir sagen", entgegnete sie, "wenn du es tust, so will ich essen; wo nicht, so will ich nicht essen". "Rede, deine Sache steht bei Gott und bei mir". Da erzälte sie: "Ich habe mich in den Sohn des Kuhhirten verliebt, aber mein Vater hat mich ihm nicht zur Frau geben wollen; da hat er mich entführt, und so bin ich mit ihm zu dir gekommen". Da knirschte Abu Sêd mit den Zähnen und sprach: "Iss und habe keine Furcht, die Einwilligung deines Vaters ist meine Sache". Hierauf speiste sie mit den Andern zu Abend und sie legten sich schlafen. Darnach rief Abu Sêd den Geistlichen und liess das Mädchen mit dem Sohn des Kuhhirten trauen; dann gab er ihm ein Zelt, sammelte ihm von jeder Familie ein Rind, ein Schaf und ein Kamel und schenkte sie ihm; da wohnte der Sohn des Kuhhirten bei ihnen. –