Tagebuch von der verunglückten Expedition Schröder-Stranz - Christopher Rave - E-Book

Tagebuch von der verunglückten Expedition Schröder-Stranz E-Book

Christopher Rave

0,0
9,49 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die hier veröffentlichten Tagebuchaufzeichnungen des Marinemalers Christopher Rave sind während der unglücklichen Schröder-Stranz-Expedition nach Spitzbergen niedergeschrieben worden. Die Deutsche Arktische Expedition des Leutnants Schröder-Stranz zielte auf die Erforschung der Nordostpassage, der Durchfahrt im Nor­den von Europa und Asien vom Atlantischen zum Stillen Ozean, hin. Die im Sommer 1912 nach Spitzbergen unternommene Expedition sollte nur eine Vorexpedition, eine Vorbereitung für diesen Hauptzweck, sein. Sie diente der Erprobung der Ausrüstung und des Proviants und dem Einarbeiten der wissenschaftlichen und nau­tischen Teilnehmer. Mit den Untersuchungen in den einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen sollte eine Schlittenreise durch das Nordostland, den unbekanntesten Teil Spitz­bergens, verbunden werden. Am 12. August traf man in der Magdalena-Bai den Dampfer »Viktoria Luise« der Hamburg-Amerika-Linie; das war die letzte Berührung mit der Kultur. Am 15. August verließen Schröder-Stranz, Sandleben, Dr. Mayr und Schmidt zwischen Nordkap und Kap Platen ihr Schiff, um die Schlittenreise durch das Nordostland anzutreten. Ihr Schiff »Herzog Ernst« lief am 21. August in die Treurenberg- oder Sorge-Bai ein, um hier im Hause der früheren schwedischen Gradmessungsstation ein Depot für die Schlittenexpedition niederzulegen. Das Schiff wurde an Land gesetzt, und die verbliebenen Expeditionsmitglieder bereiteten sich auf die Überwinterung bzw. einen Gewaltmarsch zur 300 km entfernten Advent-Bai vor.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 137

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Vorwort

Erster Teil: »Herzog Ernst« in der Mausefalle

Zweiter Teil: Die Flucht vor der Überwinterung

Dritter Teil: Vergebliches Warten auf Hilfe

Vierter Teil: Zurück in der Winternacht

Fünfter Teil: In der Sorge-Bai

Sechster Teil: Die Erlösung

Vorwort

Die hier veröffentlichten Tagebuchaufzeichnungen des Marinemalers Christopher Rave sind während der unglücklichen Schröder-Stranz-Expedition nach Spitzbergen niedergeschrieben worden. Abgesehen von einigen textlichen Änderungen erscheinen sie so im Druck, wie sie draußen unter dem unmittelbaren Eindruck des Erlebten geschrieben wurden. Nur alles das, was rein polemischen Charakter trug, wurde hier weggelassen.

Da das Tagebuch uns gleich mitten in die Ereignisse der Expedition hineinversetzt, seien hier folgende allgemein orientierende Bemerkungen vorausgeschickt:

Die Deutsche Arktische Expedition des Leutnants Schröder-Stranz zielte auf die Erforschung der Nordostpassage, der Durchfahrt im Norden von Europa und Asien vom Atlantischen zum Stillen Ozean, hin. Die im Sommer 1912 nach Spitzbergen unternommene Expedition sollte nur eine Vorexpedition, eine Vorbereitung für diesen Hauptzweck, sein. Sie diente der Erprobung der Ausrüstung und des Proviants und dem Einarbeiten der wissenschaftlichen und nautischen Teilnehmer. Mit den Untersuchungen in den einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen sollte eine Schlittenreise durch das Nordostland, den unbekanntesten Teil Spitzbergens, verbunden werden. Es handelte sich also um eine wissenschaftliche Polarexpedition und nicht um ein sportliches Unternehmen, nicht um eine »Nordpol«-Expedition!

Teilnehmer der Vorexpedition waren (die Namen der Verstorbenen und Verschollenen sind mit † bezeichnet):

Schröder-Stranz, Leutnant, Leiter (†)

Dr. Mayr, Geograph und Geologe (†)

Dr. Rüdiger, Ozeanograph

Dr. Detmers, Zoologe (†)

Dr. Moeser, Botaniker (†)

Rave, Marinemaler

Ritscher, Kapitän, Führer des Schiffes

Sandleben, Kapitänleutnant a. D., Erster Offizier (†)

Schmidt, Sekretär und Präparator (†)

Eberhard, Techniker und Maschinist (†)

[Sämtliche Teilnehmer waren Deutsche.]

Die Besatzung des Schiffes bestand aus fünf Norwegern:

Stenersen, Eislotse

Rotvold, Matrose

Julius Jensen, Matrose

Stave, Koch (†)

Das Schiff der Vorexpedition war ein altes Tromsöer Fangschiff, ein Zweimaster mit Hilfsmotor, das nach dem hohen Protektor der Expedition den Namen »Herzog Ernst« erhielt.

In der zweiten Hälfte des Juli 1912 reisten die Expeditionsteilnehmer auf dem Land- oder Seewege nach Tromsö. Von hier wurde am 5. August auf dem »Herzog Ernst« die Ausreise nach Spitzbergen angetreten. Am 12. August traf man in der Magdalena-Bai an der Westküste Spitzbergens den Vergnügungsdampfer »Viktoria Luise« der Hamburg-Amerika-Linie; das war die letzte Berührung mit der Kultur. Am 15. August verließen Schröder-Stranz, Sandleben, Dr. Mayr und Schmidt zwischen Nordkap und Kap Platen den »Herzog Ernst«, um die Schlittenreise durch das Nordostland anzutreten. »Herzog Ernst« lief am 21. August in die Treurenberg- oder Sorge-Bai ein, um hier im Hause der früheren schwedischen Gradmessungsstation ein Depot für die Schlittenexpedition niederzulegen.

Erster Teil: »Herzog Ernst« in der Mausefalle

27. August 1912, Treurenberg-Bai

Wie in einer Mausefalle sitzen wir hier; in der Bucht ein Spielraum freien Wassers, die Ausfahrt aber durch Eis blokkiert. Jeden Tag wird die Maschine klar gemacht, um dann wieder nach vergeblichem Warten abgestellt zu werden.

Draußen auf Deck liegt alles voll Schnee. Obgleich die Temperatur – 1° ist, erscheint die Witterung doch sehr milde.

Gut drei Wochen sind wir erst von Tromsö fort; doch die Zeit erscheint viel länger, da es an mannigfaltiger Abwechslung nicht gefehlt hat.

Nach dem vielen Hin und Her der letzten Vorbereitungen in Berlin, Hamburg und Tromsö wirkte die Taufe unseres Schiffes »Herzog Ernst« am Sonntagmorgen bei Regenwetter in Tromsö wie erlösend. War es doch der letzte entscheidende Schritt vor unserer Abfahrt. Am nächsten Montagmorgen ging es dann endlich mit Dampf und Segel zwischen den letzten norwegischen Inseln hindurch in das freie Meer hinaus. Abends traten bereits die Vorboten der Seekrankheit ein. Am Dienstag schon hatten wir sehr stürmisches Wetter und das ganze graue Elend.

Unser Fahrzeug, mit dem wir die Vorexpedition unternehmen, ist etwa 26 m lang. Jedenfalls das weitaus kleinste Schiff, mit dem ich je in den Ozean hinausfuhr. Dementsprechend sind auch alle Einrichtungen primitiv. Für sieben Mann ist nur ein Raum von wenigen Quadratmetern. Unmöglich ist es zum Beispiel, daß alle gleichzeitig morgens aufstehen und sich anziehen können.

Als am Dienstag, den 6. August, die See resp. unser Schiff so tobte, machte sich dieser Übelstand besonders bemerkbar. Aschgraue, bleiche Gesichter in fast allen Kojen, dazu eine unangenehme schlechte Luft und die ganze Unordnung der fast überstürzten Abreise. Gegen alle äußeren Vorgänge total abgestumpft, lag auch ich, nach langer Zeit wieder einmal von dem alten Seeübel gepackt, in meiner Koje, ohne innerhalb 24 Stunden etwas zu mir zu nehmen. Am Dienstag abend spät kam der Leutnant Schröder-Stranz, unser Leiter, mit Schnitten gerösteten Brotes und Kaviar. Auf sein Zureden nahm ich ein Brötchen, das unerwartet wohltuend wirkte. Am anderen Tage konnten die meisten schon wieder aufrecht beim Essen sitzen.

Die Mahlzeit bot Überraschungen, die nicht gerade angenehmer Art waren. Eine dünne Reiskohlsuppe und gekochter Stockfisch. Wir waren trotzdem froh, etwas Heißes zu haben, da das Wetter inzwischen empfindlich abgekühlt war.

Der nächste Tag brachte zu meinem Erstaunen fast das gleiche Gericht. Weshalb, fragte ich mich, haben wir so viele Vorräte mit, wenn wir doch mit solch ärmlichem Zeug gefüttert werden? Bald erfuhr ich den Zusammenhang; erstens war niemand an Bord, der sich ernstlich um das Essen bekümmerte, zweitens war unser Koch trotz seiner hohen Heuer eher alles andere als ein Kochkünstler. Kunstgerecht kann er wohl nur Schwarzen kauen und den braunen Saft an den Töpfen vorbei neben die Stiefelspitzen eines Vorübergehenden schleudern.

Mit unseren Vorräten an Konserven u. dgl. weiß er einfach nichts anzufangen. Da er Norweger, ist außerdem eine Verständigung mit ihm schwer. Seine Kenntnis der englischen Sprache ist sehr gering und besteht hauptsächlich in den Worten: give me, a little, plenty, finished und yes.

Unter diesen Umständen hielt ich es für ratsam, mich selbst um die Küche zu bekümmern, was von allen Seiten mit Beifall aufgenommen wurde. Bald darauf fragte mich Leutnant Schröder-Stranz, ob ich nicht die Verwaltung des ganzen Proviants übernehmen möchte. So übernahm ich den Posten eines Proviantmeisters und sorgte vor allen Dingen erst mal für eine anständige Kost, die ich selbst zubereitete. Belohnt wurde ich für diese Arbeit durch vergnügte Gesichter und allgemeines Lob und Erstaunen über meine Kochkenntnisse.

Mittags sitzen alle Mann um den Petroleumofen, jeder mit einem Aluminiumgeschirr, einer Löffel-Gabel und einem Dolch bewaffnet, während ich als Stubenältester das Mahl verteile.

29. August 1912

Heute morgen bat mich Dr. Detmers wieder, ob ich ihm nicht einige Sturmvögel fangen möchte, damit er sie mit Fußringen versehen könnte. Den Gefallen habe ich ihm getan; übrigens jetzt bei – 5° gerade kein sehr großes Vergnügen, da die Hände bald kaum noch zu rühren sind. Das Angeln selbst ist ganz amüsant. Von einem Angelhaken wird der Widerhaken abgekniffen, ein Stück Seehund aufgesteckt und dann an einer langen dünnen Schnur ausgeworfen. Kleine lose Stücke Speck dienen als Lockmittel. Bald entsteht unter den Vögeln eine regelrechte Balgerei. Einer hat auf den Haken gebissen und wird an Deck geholt, wo dann der Haken häufig schon von selbst aus dem Schnabel fällt, jedenfalls meistens ohne oder mit ganz geringen Verletzungen entfernt wird. Dann wird dem Vogel ein Aluminiumring um das eine Bein befestigt, und er erhält seine Freiheit, um sich jedoch bald wieder zwischen seine Kameraden zu mischen und aufs neue auf die Speckstücke zu stürzen. So ist es vorgekommen, daß wir einen Vogel dreimal an Deck hatten. Die Ringe haben eine Nummer und die Aufschrift: »Vogelwarte Rositten Germania«.

Die Treurenberg-Bai haben wir gestern abend endlich verlassen, nachdem wir volle acht Tage dort eingeschlossen waren. Viel besser ist es heute morgen auch noch nicht; denn wir liegen an einer großen Eisscholle festgemacht und sind rings vom Eise umgeben. 80° 10’ nördl. Breite, 16° 20’ östl. Länge.

Wo mögen augenblicklich wohl unser Leutnant Schröder-Stranz und seine drei Begleiter: Kapitänleutnant Sandleben, Dr. Mayr und Sekretär Schmidt stecken? Am 15. August haben sie sich von uns verabschiedet, um eine Schlittenexpedition zu unternehmen und um später wieder mit uns zusammenzutreffen. Wann und wo wird das sein und in welchem Zustand? Eine Tour durch Nordostland ist keine Kleinigkeit, dazu kommt die vorgeschrittene Jahreszeit. In Croß-Bai wollen wir uns wieder vereinigen, d. h. wir sollen dort bis Mitte Dezember warten, dann wird uns der Rückzug aber wohl abgeschnitten sein, und wir können hier auf dem kleinen Fahrzeug einen traurigen Winter verleben. Für den Leutnant und seine Begleiter haben wir an der Treurenberg-Bai ein Proviantdepot gelassen. Es steht dort ein sehr gutes großes Holzhaus mit vielen Zimmern und noch einige kleine Gebäude, die früher von einer Expedition als Wohnhaus, Maschinenhaus und Beobachtungsstation benutzt wurden. Seit ungefähr zwölf Jahren steht es verlassen und wird nur ab und zu einmal von Fangschiffen oder einer Expedition besucht. Leider haben einige Besucher dort wie die Vandalen gehaust und maßlos alles verwüstet, was in vorzüglichem Zustand verlassen wurde.

In unserer kleinen Kammer und dem Nebenraum ist es jetzt etwas gemütlicher geworden, nachdem drei Teilnehmer fort sind. So gut es eben ging, hat jeder seine Apparate und Utensilien verstaut, und wir haben alles möglichst praktisch umgestellt. Einen ordentlichen kleinen Waschtisch haben wir aus der Kammer des Leutnants geholt, und da das Frischwasser nicht mehr so knapp ist wie auf der Ausreise, wird er eifrig benutzt. Eine Kammer, die eigentlich für den Arzt bestimmt war, habe ich für meine Sachen bekommen. Da ich die Photographie- und Kinoaufnahmen übernommen habe, ist sie sehr wichtig als Dunkelkammer; auch meine Malutensilien haben damit eine anständige Unterkunft und sind vor dem Verderben geschützt. So fühlen wir uns augenblicklich alle ganz wohl und zufrieden. Wie trostlos dagegen war die Ausfahrt! Jeder war dem anderen im Wege. Auf Deck standen alle möglichen Sachen und dazwischen die vielen Hunde, die alles beschmutzten und sich fortwährend blutig bissen. Augenblicklich haben wir noch acht Hunde, die sich wenigstens nicht mehr so unangenehm bemerkbar machen und ziemlich friedlich sind. Nur ein tückischer schwarzer Köter ist dabei, der mit allen Händel und blutige Beißerei anfängt und mir auch schon einen Finger durchgebissen hat. Bei nächster Gelegenheit werde ich für ihn einen Gnadenschuß haben. – Mit dem Waschen haperte es früher auch gewaltig. Ein Wasserglas voll mußte meistens zur Reinigung genügen. Daß wir unter solchen Umständen nicht gerade verlockend aussahen, ist naheliegend. So kamen wir auch am 12. August in die Magdalenenbai, um Frischwasser zu holen. In der Ferne sahen wir da ganz unerwartet einen Dampfer, den ich bald als die frühere »Deutschland«, jetzige »Viktoria Luise«, erkannte.

Hier im hohen Norden war das für uns eine freudige Überraschung. Der Leutnant rief, wer noch Briefe schreiben wollte, sollte sich beeilen. Alles, was irgend frei kommen konnte, eilte, um schnell noch einige Zeilen an seine Lieben daheim zu senden. Im Stehen schreibe auch ich einen kurzen Brief an meine Verlobte. Wie wird sie sich freuen, aus dem hohen Norden noch eine unerwartete Nachricht zu erhalten! Doch ehe noch der Brief geschlossen, ist draußen schon ein Boot klar gemacht, der Leutnant, Dr. Mayr, Schmidt, Kapitänleutnant Sandleben, Dr. Rüdiger, Dr. Detmers warten bereits im Boot, da wir inzwischen Anker geworfen hatten. Schnell springe ich noch hinein, und hinüber geht es nach dem Ozeanriesen. Bald kommen wir, von unseren kräftigen norwegischen Matrosen gerudert, näher. Viel Tücher- und Hutschwenken begrüßt uns. Noch eine kleine Weile, und wir stehen an Bord des schönen Schiffes, umringt von vielen Damen und Herren, die uns freudig willkommen heißen und mit Fragen überschütten. Wie ich einem Herrn meine Visitenkarte gebe, strecken sich viele bittende zarte Händchen mir entgegen, um ein solches Andenken zu erwischen. Natürlich konnte ich da nicht widerstehen und teilte fast den ganzen Rest meiner Karten aus, wofür ich manch freundliches Lächeln und dankenden Blick erntete. – Vom ersten Offizier geführt, landen wir endlich im Raucherzimmer, um dem Kapitän vorgestellt zu werden. In liebenswürdigster Weise stellte dieser uns das nötige Frischwasser für unser Schiff zur Verfügung, uns dadurch viel Arbeit und Zeit ersparend. Dann bat ich um Waschgelegenheit, und zu unserer Freude waren wir bald im eleganten Waschraum. Von Wasser, Seife und Handtuch tüchtig Gebrauch machend, entdeckte Dr. Mayr zu seiner Überraschung, daß das, was er für Backenbart gehalten hatte, nur Schmutz war. Der drollige Vorfall versetzte uns alle in die fröhlichste Stimmung. Bedeutend menschähnlicher konnten wir wieder im Rauchsalon erscheinen. Selten hat dieser wohl einen so starken Zuspruch von den Passagieren gehabt. Zum Lunch eingeladen, versammelten wir uns dann im großen Salon am Kapitänstisch, und es war reizend zu beobachten, wie alle sich bemühten, durch jede mögliche Aufmerksamkeit uns den kurzen Aufenthalt an Bord so angenehm wie möglich zu machen.

Ein Herr bat, unser Schiff, das inzwischen längsseits gekommen war, besichtigen zu dürfen. Zu dieser Besichtigung schlossen sich noch viele Herren und auch einige Damen an. Na ja! interessant war es ja auf unseren Motorkutter, für schön würde ich aber unter allen Umständen etwas anderes halten als ein kleines, voll mit Schlitten, Kajaks, Tonnen und Kisten gestapeltes Schiff und dazwischen die vielen Hunde, die jede Sauberkeit an Deck illusorisch machen. Aber unverdrossen drängten und zwängten sich Damen und Herren in alle Kajütsräume und Winkel.

Treurenberg-Bai, den 30. August

Also wieder zu dem alten Fleck in der Mausefalle, und doch können wir heilfroh sein, diesen geschützten Ort wieder erwischt zu haben. Gestern vormittag waren wir sehr nahe daran, von zwei mächtigen Eisfeldern erdrückt zu werden. Nur mit genauer Not und mit einem ganz gehörigen Stoß konnten wir entwischen. Hätte unser Motor versagt, wäre es uns sehr übel ergangen.

Dr. Detmers ruft mich zum Spiel, mit dem wir uns gewöhnlich vor dem Schlafengehen bei dämmernder Beleuchtung unterhalten.

Treurenberg-Bai, den 31. August 1912

Gestern abend haben wir noch bis 1 Uhr Karten gespielt. Als wir dann in die Koje gingen, dachten wir an die Vier von uns, die jetzt wer weiß wo bei dem Schneesturm sein mögen. Das Resultat unserer Betrachtung war kein freudiges, und im Geiste sah ich sie wieder auf dem Eise stehen und zum Abschied winken. Wir selbst mußten sie ja in allergrößter Eile am 15. August auf 80° 25’ nördl. Breite und 21° 15’ östl. Länge zwischen Nordkap und Kap Platen verlassen, nachdem wir bereits rings umher und, so weit das Auge reichte, vom Eise eingeschlossen waren. Nur schmale Wasserstreifen waren sichtbar, in denen wir in vielen Windungen entlangfuhren. Alle Mann an Deck! Wir schoben mit langen Bambusstangen die großen Eisblöcke beiseite, damit unsere Schraube nicht verletzt wurde. Auf der mächtigen Eisscholle, weitab vom Lande, standen unsere Kameraden, umgeben von Hunden, Schlitten, Kajaks, Boot und Zelten, allmählich kleiner und kleiner werdend, aber unermüdlich winkend. Ein letztes, schwaches dreifaches Hurra tönt noch herüber. Oben in der Ausgucktonne hänge ich mit meinem Kinoapparat, um dieses Bild für immer festzuhalten. Als letzten Gruß löse ich drei Schuß aus meinem Revolver, und zurück als Gegengruß tönt schwach aus der Ferne die dreimalige Antwort. Werden wir uns alle gesund wiedersehen? – Bange Zweifel lassen eine feste Zuversicht nicht aufkommen. Obgleich unsere Lage zu dieser Jahreszeit hier in der Mausefalle absolut nicht rosig ist, so macht dies uns doch weniger Sorgen als das Schicksal unserer Gefährten draußen. –

Die Treurenberg-Bai, zu deutsch Trauerbergbucht, verdankt ihren Namen einem Berge, der jetzt vor uns liegt. Auf diesem erheben sich, weithin sichtbar, ein großes Holzkreuz und mehrere Grabmäler. Es sind Denkmäler von hier gestorbenen Holländern aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Wie ein Warnungszeichen erhebt sich aus seiner weißen Umgebung das dunkle Erinnerungszeichen, abratend zur Fahrt nach dem Nordostland, in dem der Tod auf hartem Schnee und Eis die Sense schärft zur sicheren Ernte.

Vom 3. zum 4. September, zwischen 12 und 1 Uhr nachts in der Treurenberg-Bai

Gestern nachmittag haben wir einen Ausflug nach dem Magdalenenberg auf Skiern gemacht. Während Dr. Rüdiger und Dr. Moeser den Gipfel erstiegen, gingen Dr. Detmers und ich in das nächste Tal, wo ich eine schöne Stelle zum Malen fand. Leider war es zu kalt und blies ein zu scharfer Wind, um die interessante Partie mit der genügenden Gründlichkeit zu malen. Währenddes war unser Schiff weit hinaus gefahren, um von einer großen Eisscholle Frischwasser zu holen. Gegen 8 Uhr abends kam es zurück, und wir wurden, nachdem wir ungefähr noch zwei Stunden gewartet hatten, vom Lande abgeholt. Die Tageszeiten sind fast ohne Bedeutung, da es auch nachts noch absolut hell ist, obgleich die Sonne dann nicht mehr scheint. Heute mittag wurde die Maschine klar gemacht, um weiter zu dampfen. Unsere Bucht war eisfrei, und das Meer, soweit man sehen konnte, hatte offene Stellen. Nachdem wir eine ganze Zeit gedampft waren, mußten wir aber doch umkehren, da der Weg vom Eise versperrt war. So liegen wir nun zum drittenmal am alten Platz gefangen.