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Beschreibung

Um das Jahr 1622 gerieten die Täler Montafon, Paznaun, Prättigau, Unterengadin sowie der Walgau und das heutige Liechtenstein, die seit jeher nachbarschaftlich über Rätikon und Silvretta hinweg miteinander verbunden waren, ins Fadenkreuz der beiden Großmächte Habsburg und Frankreich. Die Täler an den Herrschaftsgrenzen mit ihren wichtigen Gebirgspässen wurden zum Kriegsschauplatz. Auch an religiösen Bruchlinien zwischen katholischen und reformierten Gläubigen entzündeten sich immer wieder Konflikte. Die Publikation rückt in detaillierten Einzelbeiträgen die Ereignisse sowie deren schwerwiegende Folgen in den jeweiligen Talschaften in den Fokus. Ein Gesamtüberblick rundet den Band ab. Durch eine genaue Analyse von Quellen und bisheriger Literatur wird ein fundierter Blick auf die Geschehnisse möglich und wirkt der Weitergabe einiger Sagen und Legenden entgegen, die sich in den nachfolgenden Jahrhunderten bildeten und sich teils bis heute halten.

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TÄLER IN FLAMMEN

KRIEG, POLITIK UND RELIGIONUM RÄTIKON UND SILVRETTA ANNO 1622

Täler in Flammen

Krieg, Politik und Religionum Rätikon und Silvretta anno 1622

herausgegeben vonMichael Kasper, Sophie Maier, Johannes Flury

Universitätsverlag Wagner

Vorwort

Im Jahr 2022 wurde anlässlich des 400. Gedenkjahres an die politisch-religiösen Konflikte in den Grenzgebieten zwischen Graubünden, Tirol und Vorarlberg zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, die im Jahr 1622 in den beteiligten Regionen ihren Höhepunkt erreichten, eine Wanderausstellung mit vielfältigem Vermittlungsprogramm umgesetzt. Die Ausstellung „Täler in Flammen – Krieg, Politik und Religion um Rätikon und Silvretta anno 1622“ ging aus der Zusammenarbeit zahlreicher sehr engagierter Projektpartner im Montafon, Paznaun, Prättigau, Unterengadin und Walgau sowie in Liechtenstein hervor, die es sich zum Ziel gesetzt hatten, die Regionen um Rätikon und Silvretta bei der Aufarbeitung der gemeinsamen Geschichte enger miteinander in Kontakt zu bringen. Der Einfall der habsburgischen Truppen in die Gebiete der Drei Bünde 1621 und 1622 und der Überfall der Bündner in das heutige Liechtenstein, Montafon und Paznaun im Sommer 1622 sind bis heute in der jeweiligen kollektiven Erinnerung verankert, allerdings oft in alten Deutungsmustern und Schuldzuweisungen gefangen. Genau hier setzte das Projekt an, um eine neue Bewusstseinsbildung für die Problematik dieser Konflikte zu fördern, die nicht von den Nachbarn selbst ihren Ausgang nahmen, sondern als Interessen der Großmächte in die benachbarten Täler hineingetragen wurden.

Die Ausstellung war von Frühjahr 2022 bis Sommer 2023 an folgenden Orten zu sehen: Seewis, Schruns, Galtür, Saas, Feldkirch, Nenzing, Scuol, Landquart, Bludenz, Balzers, Bregenz. Jede Station der Ausstellung wurde durch mindestens eine Veranstaltung begleitet, bei der bestimmte Akteure (z. B. Fidelis von Sigmaringen) im Fokus standen oder wichtige Örtlichkeiten (z. B. Abschnitte der Via Valtellina im Montafon, der Fimberpass zwischen Ischgl und Sent oder die Fouras da Baldirun im Unterengadin) im Rahmen von Exkursionen begangen wurden.

Der vorliegende Band dient nun der Vertiefung und Dokumentation der zahlreichen Aspekte des gesamten Themas. Die Geschehnisse in den jeweiligen Talschaften werden in den einzelnen Beiträgen ausführlich beleuchtet, auch ein Gesamtüberblick wird geboten. Die Publikation bildet damit neben der Ausstellung und den Veranstaltungen den dritten Schwerpunkt dieses umfassenden, grenzübergreifenden Vermittlungsprojekts und soll nachhaltig als Nachschlagewerk zu diesem Themenkreis zur Verfügung stehen.

Das Projekt erfolgte in enger Abstimmung mit den Aktivitäten zum 400. Gedenkjahr an den Kapuzinerpater und katholischen Heiligen Fidelis, im Rahmen derer an den Hauptschauplätzen Feldkirch, Seewis und Sigmaringen erinnert wurde. Maßgeblich gebührt allen im Projektbeirat Engagierten – Thomas Gamon (Nenzing), Paul Eugen Grimm (Unterengadin), Hans Gruber (Feldkirch), Florian Hitz (Prättigau), Helmut Pöll (Galtür) und Manfred Tschaikner (Vorarlberg) – herzlicher Dank für ihr Mitwirken. Sie repräsentieren zugleich jene Institutionen, die das Projekt von Anfang an mitgetragen haben: Alpinarium Galtür, Archiv der Marktgemeinde Nenzing, Gemeinde Balzers, Gemeinde Seewis, Geschichtsverein Region Bludenz, Historische Gesellschaft Graubünden, Montafoner Museen, Stadt Feldkirch, Unterengadiner Museum.

An dieser Stelle möchten wir daher allen Projektpartnern und vor allem -mitarbeitenden bzw. -mitwirkenden für die äußerst gute und bereichernde Zusammenarbeit herzlich danken. Zuletzt sei auch allen Fördergebern und Sponsoren in allen Regionen, ohne deren finanzielle Beiträge ein solches Projekt nicht umsetzbar gewesen wäre, ausdrücklich gedankt.

JOHANNES FLURY, MICHAEL KASPER, SOPHIE MAIER

Inhaltsverzeichnis

SOPHIE MAIERKrieg, Politik und Religion um Rätikon und Silvretta in den Jahren 1621/22 – die benachbarten Täler als Schauplatz großmachtpolitischer Interessen

FLORIAN HITZDie Geschehnisse im Prättigau

MANFRED TSCHAIKNERDie kriegerischen Ereignisse im Montafon 1620–1622

MICHAEL KASPERDas Schicksal Galtürs und des Paznauns um 1622. Kriegerische Ereignisse und deren Auswirkungen im Grenzraum zwischen Tirol und Graubünden

PAUL EUGEN GRIMMErlittenheiten im Unterengadin

JOHANNES FLURYFidelis von Sigmaringen († 1622) und der Prättigauer Aufstand. „Grosse“ Geschichte auf „lokaler“ Bühne

Bildnachweis

Literaturverzeichnis

Krieg, Politik und Religion um Rätikon und Silvretta in den Jahren 1621/22 – die benachbarten Täler als Schauplatz großmachtpolitischer Interessen

SOPHIE MAIER

Die Ausgangslage

Im Dreißigjährigen Krieg kämpften vor allem zwei Großmächte um die Vorherrschaft in Europa. Ausgetragen wurde dieser Konflikt im mittleren Alpenraum insbesondere auf den Schultern der Grenzregionen, die aufgrund ihrer geographischen Lage mehr als andere unter dem Krieg zu leiden hatten. Dabei lebte man in den Regionen sonst in nachbarschaftlicher Verbundenheit. Zwar gab es immer wieder Spannungen und Streitigkeiten, aber diese legte man in der Regel lösungsorientiert bei.1 Der Handel spielte eine wichtige Rolle: Durch das südliche Vorarlberg und Tirol wurde Salz ins Engadin und Prättigau importiert. Umgekehrt gelangte z. B. Wein zu den Umschlagplätzen im Montafon, dem Walgau und dem Paznaun.

In diesem Beitrag sei einerseits ein Gesamtüberblick über die Ereignisse 1621/22 und die Auswirkungen in den Talschaften gegeben, andererseits die Situation im heutigen Liechtenstein näher beleuchtet, das mit seinen Grenzen zur alten Eidgenossenschaft, zum Freistaat der Drei Bünde und zu den habsburgischen Territorien vor dem Arlberg sowie durch die habsburgische Burg Gutenberg in Balzers besonders zwischen die Fronten geriet.

Für die Habsburger waren die Pässe in Graubünden strategisch sehr bedeutsam, vor allem als Verbindung zur spanischen Linie in Mailand. Außerdem besaßen die Habsburger die Landesherrschaft in einigen Gemeinden des Prättigaus sowie die Gerichtsbarkeit im Unterengadin und Münstertal.2 Das französische Königshaus, die Bourbonen, sah in der Verbündung mit der Republik Venedig und in der Unterstützung protestantischer Kräfte in Graubünden ein geeignetes Mittel, seine Machtstellung auszubauen und jene der Habsburger einzudämmen. So hatten sich in Europa geographisch zwei Achsen gebildet: Die Habsburger mit den deutschen Territorien, Tirol und „den Vorlanden“ (das Land vor dem Arlberg) sowie Mailand-Spanien einerseits, und das französische Königshaus mit der verbündeten Republik Venedig andererseits. Das heutige Graubünden mit seinen Pässen zu den benachbarten Regionen geriet nun ins Fadenkreuz dieser Achsenmächte. Die Großmächte trugen ihre Konflikte in die Täler und erschütterten die nachbarschaftlichen Verhältnisse.

Im August 1620 wurde ein Embargo über die protestantischen Gebiete des heutigen Graubünden verhängt und Militär im Montafon einquartiert, Spione und Wachen wurden an den Pässen stationiert.3 Argwohn und Misstrauen breiteten sich in der Bevölkerung der jeweiligen Talschaften aus. An das Embargo hielt man sich im Montafon indes nicht.

Die Montafoner und andere Vorarlberger Miliztruppen weigerten sich zudem, außerhalb der Landesgrenzen eingesetzt zu werden. Sie baten den Landesfürsten in Innsbruck, Frieden zu halten und legten ihre enormen wirtschaftlichen Probleme dar, die durch die Einquartierungen und Missernten entstanden waren. Sie seien daher außer Stande sich zu bewaffnen und wollten ihre Heimat nicht verlassen, um nicht die Bündner zu Überfällen bei ihrer Abwesenheit zu verleiten. Gerüchte gerieten von Bludenz aus in Umlauf, die Montafoner könnten sich im Kriegsfall auf die Seite der Bündner schlagen. Die Montafoner selbst aber, die sich zu dieser Zeit zum Unmut der Herrschaft Bludenz um eine eigene Gerichtsbarkeit bemühten, betonten immer ihre Treue gegenüber den Habsburgern.4

Auch in den Gebieten des heutigen Liechtenstein, damals die Herrschaft Schellenberg und die Grafschaft Vaduz, hielt der europäische Konflikt Einzug. Die beiden Herrschaften waren zwar selbst keine Kriegspartei und reichsunmittelbar, aber seit 1505 bestand der so genannte „Öffnungsvertrag“ (die Öffnung des Schlosses Vaduz für habsburgische Truppen), mit dem die Habsburger die Verteidigung der Grafschaften nach dem Schwabenkrieg übernommen hatten.5 Zwar wurden die Zahlungen 1616 eingestellt, aber Landesherr war seit 1613 Graf Kaspar von Hohenems, als österreichischer Vogt in Feldkirch mit auch weiterhin engen Verbindungen zu den Habsburgern. Strategisch bedeutsam war vor allem die St. Luziensteig zwischen Balzers und dem zum Freistaat der Drei Bünde gehörenden Maienfeld. Sie bildete die einzig sichere rechtsrheinische Verkehrsverbindung, da das Rheintal noch unreguliert, daher versumpft und oft überflutet war – bei Niedrigwasser aber auch problemlos durchwatet und somit zum Einfallstor werden konnte.6

Abb. 1 Karte des oberen Rheintals, ca. 1620. Hans Conrad Gyger (1599–1674) zugeschriebene, aquarellierte Federzeichnung

Auf der anderen Seite der Pässe gab es ebenfalls Konflikte, und zwar langwierige, schwere: Die Gebiete Graubündens waren innenpolitisch sehr zerrissen. Sie bildeten damals den „Freistaat der Drei Bünde“, der aus dem Grauen/Oberen Bund, dem Zehngerichtebund und dem Gotteshausbund mit jeweils zahlreichen autonomen Gerichtsgemeinden bestand. Mit der Eidgenossenschaft bestanden Bündnisse, die Drei Bünde waren ein so genannter „zugewandter Ort“ der Alten Eidgenossenschaft.7

Es war die Zeit der so genannten „Bündner Wirren“. Schärfste innenpolitische Gegensätze der Talschaften, verstärkt durch die habsburgische und französisch-venezianische Einflussnahme, Familienfehden der Bündner Führungsschicht und aggressive Konflikte zwischen den österreichisch-spanischen und französisch-venezianischen Sympathisanten bestimmten das Geschehen. Namentlich stand die Familie Planta auf der österreichisch-katholischen Seite, die Familie Salis auf der protestantischen Seite, die von Frankreich aus machtpolitischen Gründen unterstützt wurde. Auch die konfessionellen Gegensätze befeuerten die Konflikte: Die Trennung von Kirche und Staat lag noch in weiter Zukunft. Der Gotteshausbund und der Zehngerichtebund waren überwiegend reformiert, der Graue (Obere) Bund überwiegend katholisch. Selbst ernannte Strafgerichte erließen Todesurteile gegen ihre jeweiligen Gegner und vollstreckten diese auch. Willkür und auch wirtschaftliche Not waren an der Tagesordnung.8

Abb. 2 Der Freistaat der Drei Bünde

Es herrschten also jahrelange, vielschichtige außenpolitische Konflikte und bürgerkriegsähnliche Zustände in den Drei Bünden, als es 1620 im Veltlin zum Aufstand gegen die Bündner Herrschaft kam. Das Veltlin wurde im Zuge dessen wieder spanisch.9

Zürcher Truppen, die bei diesem Aufstand an der Seite der Bündner Truppen gekämpft hatten, um das Veltlin unter Bündner Herrschaft zu halten, besetzten auf ihrem Rückweg in die Eidgenossenschaft Ende 1620 Maienfeld. Dies führte in den Grafschaften Schellenberg und Vaduz zu erhöhter Alarmbereitschaft: Oberst Hans Werner von Raitenau, der Kommandant der Vorarlberger Truppen, schickte 200 Mann auf die Burg Gutenberg und die St. Luziensteig.10 Außerdem wurden Wachen am Rhein positioniert und Wehrschanzen errichtet. Das Schloss Vaduz und die Burg Gutenberg in Balzers, die schon 1314 in den Besitz der Habsburger übergegangen war, wurden stärker befestigt und mit mehreren hundert habsburgischen Soldaten versehen. In Triesen und Schaan wurden Milizsoldaten stationiert.11

Ein Brief des Landvogts Johann Emmerich Rignold von Prosswalden an den Grafen Karl von Hohenems, den Landesherren der Grafschaften Vaduz und Schellenberg, vom 9. Oktober 1620 verdeutlicht, welche Konflikte durch diese Einquartierungen aufkamen. Der Landvogt berichtet von Klagen der Bevölkerung wegen der Verpflegung der auf der Burg Gutenberg stationierten verheirateten Soldaten bzw. deren Frauen und Kinder, die mit ihren Männern und Vätern nach Balzers gekommen waren. Die Bevölkerung nahm die Frauen und Kinder bei sich auf und verpflegte auch sie – man ging davon aus, dass die Einquartierung nur kurze Zeit währen würde, so der Landvogt. Nach einiger Zeit aber hätten eben die Frauen der Soldaten immer noch mehr Salz, Essig, Butter, Holz u. ä. verlangt, was die Schellenberger Bevölkerung, die nicht mehr imstande war, noch mehr Verpflegung bereit zu stellen, angesichts ihrer Gutmütigkeit als vermessen empfand. Ohnehin würden die Soldaten ebensoviel Fleisch, Brot und Schmalz erhalten wie jeder Einheimische. Hierfür verlangte der Landesherr Graf Kaspar von Hohenems auch entsprechende Entschädigung seiner Untertanen. Es ging dem Landvogt in seinem Schreiben auch nicht um einen Abzug der Truppen, sondern er bat darum, die verheirateten Soldaten durch ledige Soldaten zu ersetzen.12 In der Tat wurde die Besatzung infolgedessen vorübergehend wohl etwas reduziert, wenn auch nur geringfügig.13

Der erste Einfall der Habsburger im Oktober 1621

In den Wirren, die dem Aufstand im Veltlin und seiner Rückkehr unter spanische Herrschaft folgten, wurde Pompeius Planta ermordet. Dieser Anlass führte schließlich im Herbst 1621 zum Einmarsch habsburgischer Truppen in den Freistaat der Drei Bünde.14

Oberst Erhard von Brion zog mit seinen Truppen schon im Mai 1621 nach Balzers und stellte Schildwachen auf. Es kam zur Konfrontation mit einigen Bündnern und den noch auf der Luziensteig lagernden Zürcher Truppen. Oberst Brion kehrte aber mit seinen Soldaten wieder zurück nach Balzers.15 Es kam zu weiteren „Zwischenfällen“ auf der Luziensteig: Eine österreichische Wache wird erschossen, bündnerischen Säumern wird Korn abgenommen.16 Auf Burg Gutenberg werden wohl auch Gefangene festgesetzt.17

Abb. 3 Bündner Wirren, Phase 1

Etwas später, im Oktober 1621, war Oberst Brion als habsburgischer Befehlshaber mit einem 142 Mann starken Trupp samt Tross im Montafon stationiert. Sobald einige hundert salzburgische Soldaten hinzugestoßen waren, zog er auf das Schlappiner Joch und fiel Ende Oktober 1621 im Prättigau ein. Sein Vorstoß nach Klosters endete aber mit einem verlustreichen Rückzug. Die Montafoner waren hierbei vorwiegend logistisch und aufgrund ihrer Ortskenntnis beteiligt. Inwieweit sich einzelne von ihnen dabei auch durch Plünderungen bereicherten, ist unklar. Dies behaupten die bündnerischen Quellen, die damit allerdings ihren späteren Überfall ins Montafon rechtfertigen.18 In der Wahrnehmung der Prättigauer Bevölkerung allerdings wurden auch „die Montafoner“ zu „Tätern“ und Feinden, was aber auch auf Fehler bei der Auslegung bestimmter Ausdrücke in den Quellen (bzw. einen Bedeutungswechsel) durch die Geschichtsschreibung der nachfolgenden Jahrhunderte zurückzuführen ist.19

Den Hauptschlag gegen die Bünde unternahm Oberst Baldiron mit seinen Truppen vom Vinschgau her gegen das Unterengadin. Über den Cruschettapass gelangte er nach Scuol. Dort schlug ihm zunächst heftiger Widerstand entgegen. Der protestantische Pfarrer Jacob Antonius Vulpius und Notar Anton Wieland richteten zahlreiche Briefe in kurzen Abständen mit eindringlichen Hilferufen an den Grauen und den Gotteshausbund, die aber unbeantwortet blieben.20

Baldiron eroberte in blutigen Kämpfen Scuol und in der Folge mühelos alle Dörfer bis Ftan sowie das Tasnatal. Große Viehbestände wurde abgetrieben, die Dörfer geplündert und die Bevölkerung misshandelt, auch zahlreiche Häuser in Brand gesetzt. Die Menschen flohen in die Wälder, Höhlen und auf die Alpen. Zahlreiche Familien, reformatorische Prädikanten und venezianische Parteigänger flohen nach Zürich in die Eidgenossenschaft.21

Schließlich zog Baldiron vom Unterengadin über den Flüelapass weiter nach Davos und zwang dort die Prättigauer zur Ablieferung ihrer Waffen und Huldigung an Österreich. Ende November zog er in Chur ein, dann über den Albulapass ins Oberengadin und weiter ins Puschlav.22

In den Mailänder Verträgen vom Januar 1622 wurden schließlich das Münstertal, das Unterengadin, Davos, Schanfigg, Belfort und das Prättigau wieder zu Untertanen der Habsburger. Damit untrennbar verbunden war auch die Forderung, sich zum katholischen Glauben zu bekennen. Baldiron setzte eine strenge Rekatholisierung in Gang. Alle reformierten Prädikanten wurden ausgewiesen und die katholische Mission durch die Kapuziner veranlasst.23

Die Besatzungszeit

In den folgenden Monaten litt die Bevölkerung des Engadins und Prättigaus an den Folgen des habsburgischen Einfalls und der Besatzung: Der Winter brachte große wirtschaftliche Not und Hunger, hinzu kam die emotionale Belastung durch die Mission der Kapuziner. Die Hauptkirchen in Scuol, Ramosch und Zernez wurden für die katholische Lehre neu geweiht und mit den nötigen Altären und Heiligenbildern versehen. Im März 1622 wurden die noch verbliebenen reformatorischen Prädikanten verhaftet oder ausgewiesen. Katholische Priester wurden eingesetzt, die Bevölkerung zum Besuch der katholischen Gottesdienste verpflichtet, evangelische Gottesdienste gänzlich verboten. Der Churer Bischof Johann Flugi von Aspermont unterstützte die harten gegenreformatorischen Maßnahmen, auch in Davos und im Prättigau.24 Dies brachte den Habsburgern Unterstützung aus Rom.

Mit den Kapuzinern kam auch Pater Fidelis (von Sigmaringen, der spätere katholische Heilige Fidelis) ins Land, mit bürgerlichem Namen Markus Rey oder Roy. Er hatte in Freiburg im Breisgau Philosophie und Rechtswissenschaften studiert, 1612 trat er in den Kapuzinerorden ein. 1621 wurde er Guardian des Kapuzinerklosters Feldkirch und kam im Zuge dessen 1622 zur Mission ins Prättigau.25

Der Winter 1621/22 bedeutete aber auch für die Grafschaften Schellenberg und Vaduz erneute Belastungen durch den Durchzug zahlreicher Truppen, die für das Elsass und die dortigen Auseinandersetzungen bestimmt waren.26

Auch im Montafon und Paznaun hatten die Auswirkungen der Einquartierungen und des Durchzugs ihre Spuren hinterlassen und waren in Form von wirtschaftlicher Not weiterhin zu spüren.

Der Prättigauer Aufstand und die Offensive der Bündner

Trotz allem fanden sich im April die Prättigauer noch bereit, die politische Oberhoheit Österreichs anzuerkennen, baten aber in Religionssachen um Freiheit. Diese aber wurde ihnen weiterhin verwehrt. Kurz darauf erhoben sich dann im Prättigau die Bauern gegen die österreichische Herrschaft.27

Seinen Beginn nahm der Aufstand in Seewis. Während der Kapuzinerpater Fidelis am 24. April 1622 in der Kirche in Seewis predigte (auch habsburgische Soldaten waren anwesend), kam es zu einem handgreiflichen Tumult. Der Kapuziner verließ die Kirche und wurde von einigen aufgebrachten Prättigauern ermordet.28

Rudolf von Salis übernahm den Oberbefehl, finanzielle Unterstützung kam von Venedig, Zürich und Glarus. Der Gotteshausbund und der Obere Bund erbrachten zuerst keine Hilfeleistungen. Von Salis konnte aber mit seinen Truppen und mit eidgenössischem Zuzug die im Land verbliebenen österreichischen Truppen in Gefechten an der Molinära zwischen Trimmis und Chur und bei Fläsch am fünften Mai 1622 schlagen, bei denen die Vorarlberger Landesverteidiger ca. 300 Mann verloren, unter ihnen auch etliche Montafoner,29 so dass die Besatzungen von Maienfeld und Chur kapitulieren und abziehen mussten.30

Nach einer gewaltsamen Intervention von Rudolf von Salis wurden schließlich auch die anderen beiden Bünde dazu bewegt, den Mailänder Vertrag aufzukündigen und im Juni in Chur den gemeinsamen Bund zu erneuern.31

Die Bündner gingen nun in die Offensive: Nach der Schlacht bei Fläsch plünderten die Prättigauer im Juli und August in drei Vorstößen Gebiete der Grafschaft Schellenberg, nämlich Balzers, Mäls und Schaan sowie die dazugehörigen Alpen Valüna, Gapfahl und Gritsch. Der Schaden betrug insgesamt 11.115 Gulden. Ein Verzeichnis des bei diesen Plünderungen geraubten Viehs mit Angabe des Wertes und der Besitzer befindet sich im Liechtensteinischen Landesarchiv. Auch was man auf den Alpen an Schmalz und Käse entwendet hatte, wird aufgelistet.32 Die Burg Gutenberg wurde zwei Tage belagert, aber nicht eingenommen.

Graf Kaspar von Hohenems bemüht sich bei den Bündnern um Rückerstattung und verweist auf die eigentlich gute Nachbarschaft, mehrmals hatte er schon in vorigen Schreiben anklingen lassen, den Einfall der habsburgischen Truppen zwar nicht verhindern zu können, aber auch nicht gutzuheißen.33

Aus einem anderen Schreiben des Landesherrn an den Landesfürsten in Innsbruck aus dem Jahr 1629 ist überliefert, dass nicht nur die Verpflegung der habsburgischen Soldaten und Plünderungen der Bündner die beiden Herrschaften wirtschaftlich gänzlich ruiniert haben, sondern auch die Befestigung der Burg Gutenberg den umliegenden Äckern und Wiesen sehr geschadet hat. Außerdem hatten zahlreiche Männer aus der heimischen Bevölkerung auf Schloss Vaduz ihren Dienst versehen müssen und waren damit nicht imstande gewesen, die Feldarbeit zu besorgen. Beides hatte die so wichtigen neuen landwirtschaftlichen Erträge extrem geschmälert.34

Eine vielfach tödliche Seuche konnte sich durch die Truppenbewegungen in allen Regionen leicht verbreiten.

Im Juli und August 1622 fielen die Truppen der Bündner auch im Montafon und im Paznaun ein. Sie raubten Vieh und Lebensmittel, erpressten Brandschatzungen in den Dörfern, die ohnehin zuvor schon durch die Einquartierung und den Durchzug der habsburgischen Regimenter wirtschaftlich stark belastet worden waren.

Die Bündner kamen am 7. Juli vom Prättigau her über das Schlappiner Joch und den Gafiapass bzw. das St. Antönier Joch durch Gargellen nach St. Gallenkirch.35 Gaschurn sollte aber ausdrücklich verschont werden (insbesondere der Speicher des Salzhändlers Hans Brunold), wozu sogar bündnerische Wachen aufgestellt wurden.36 Dies offenbart die Wichtigkeit des (nicht immer legalen) Handels und die eigentlichen bestehenden Beziehungen der Nachbarn. Vielleicht hat man trotz allem auch an die Zukunft gedacht.

Abb. 4 a–d „Verzaichnuß des Viehs, so meines gnädigen Graven und Herrn Underthanen zu Balzers und Mäls auch in dem Kilspel Schan von den Püntnerischen Soldaten abgenommen worden, und angeschlagen wie volgt, 1622“

Zwar formierte sich bei St. Gallenkirch Montafoner Gegenwehr gegen die Bündner (die Montafoner Mannschaft der Landesverteidiger war inzwischen zurückgekehrt), allerdings befanden sich zahlreiche Montafoner auf Saisonarbeit im Ausland oder auf den Maisäßen. Die Bündner drangen also leicht weiter talauswärts vor, Ställe und Häuser wurden geplündert, Vieh von den Alpen getrieben. Weitere Bündner drangen über das Gampadels-, das Gauer- und das Rellstal ins Montafon ein. Hilferufe des Montafons an die Herrschaft in Bludenz sowie die Vorarlberger Stände blieben unbeantwortet. Bei Vandans erpressten die Bündner von den Montafonern eine Brandschatzung in Höhe von 13.000 Gulden und verlangten von ihnen Neutralität. Die Montafoner suchten daraufhin mehrmals erfolglos beim Landesherrn um Entschädigung an, der ihnen nur empfahl, sich ihre Verluste doch einfach selbst im Prättigau wieder zu beschaffen.37

Unterdessen entwickelten sich „Nebenschauplätze“ der Hauptereignisse. So zogen Anfang August einige St. Gallenkircher auf eine Kübliser Alpe, trieben von dort Vieh ab, erschlugen einen Hirten oder Senn und nahmen die übrigen vier Hirten bzw. Sennen gefangen.38

Vier Bündner Kompanien begaben sich derweil im Juli auf den Weg über das Zeinisjoch und den Futschölpass nach Ardez, um dort weitere Bündner Truppen bei der Rückeroberung des Engadins zu unterstützen.

Nach Galtür gelangt, hielten sie sich im Dorf zwei Tage lang auf und erpressten eine beträchtliche Brandschatzung. Sie nahmen zwei Geiseln und erpressten auf dem weiteren Weg nach Ardez auch von den Gemeinden Mathon, Ischgl und Kappl Brandschatzungen.39

Die Galtürer Dorfchronik berichtet, dass im August noch „die Steinsberger“ (Ardezer) eingefallen sind und dabei alle 34 Häuser und Ställe samt dem eingebrachten Heu niederbrannten, die Kirche zerstört und das Vieh geraubt wurde.40 Um die 400 Bündner waren jedenfalls in Galtür erschienen. Die Bewohner waren mitsamt den zwei habsburgischen Kompanien in die Berge geflohen.41 Bei der Wahrnehmung der Bündner Truppen als „Ardezer“ könnten vielleicht die Spannungen und bisweilen sogar offen ausgetragenen Konflikte zwischen den Bewohnern von Ardez und Galtür um die Alpe Vermunt eine Rolle gespielt haben.

Die Zins- und Abgabenverzeichnisse aus den Jahren 1622 und 1623 sind unauffällig und stehen damit im Gegensatz zu der dramatischen Schilderung der Dorfchronik. Eine Bittschrift für eine Getreidelieferung, die die beiden Orte Galtür und Ischgl 1622 an den Geheimen Rat in Innsbruck richteten, verdeutlicht aber die wirtschaftliche Not.42

Der zweite habsburgische Einfall und die Lindauer Verträge

Österreich holte indessen zum zweiten Schlag gegen die Drei Bünde aus. Unter der Führung des Grafen Alwig von Sulz wurde erneut für vier Wochen Militär im Montafon einquartiert – dieses Mal auch auf Wunsch der Montafoner, die nach ihren Überfällen auf die Kübliser Alpe nun einen Rachezug der Bündner fürchteten.43 Tatsächlich trieben einige Bündner Vieh einer St. Gallenkirchner Alpe ab.44 Daraufhin wurde Vieh durch etwa 100 Salzburgische Soldaten und unter der Beteiligung 160 Montafoner von einer Schierser Alpe über das Drusentor abgetrieben und die Molke geraubt.45

Die Montafoner mussten die einquartierten Truppen dann bei ihrem Zug über das Zeinisjoch nach Galtür und Ischgl unterstützen, Pferde zur Verfügung stellen und 200 zurückgebliebene, kranke Soldaten pflegen. 20.000 Gulden Schaden soll den Talbewohnern dadurch entstanden sein. Schruns wurde durch die einquartierten Soldaten schwer heimgesucht, die Bewohner von St. Gallenkirch durch Erpressung zu einer Zahlung von 600 Gulden genötigt, um ihr noch verbliebenes Vieh vor den Soldaten zu retten.46

Der Durchzug der Soldaten lastete auch auf dem schwer geschädigten Galtür.

Nach der Vereinigung mit Baldirons Truppen fielen die habsburgischen Truppen von Samnaun durch die Val Sampuoir erneut im Unterengadin ein.

Den Bündnerischen Quellen zufolge sollen sämtliche Dörfer von Tschlin über Ramosch, Sent und Scuol bis S-chanf im Oberengadin zerstört und große Teile der Bevölkerung ermordet oder als Geiseln nach Nauders verschleppt worden sein. In Sent, wo im Sommer das Hauptlager der Bündner Truppen gewesen war und sich österreichische Gefangene befanden, wurden alle 250 Häuser niedergebrannt, sämtliche Vorräte vernichtet oder geraubt. Lediglich die Pfarrkirche blieb verschont. Der Flurname „Battaglia“ nordöstlich des Dorfes erinnert vielleicht an die Kämpfe. Ftan brannte vollständig ab, sogar die Kirche wurde eingeäschert.47

Der General der Bündner Truppen Rudolf von Salis versuchte im Tasnatal die habsburgischen Truppen noch aufzuhalten. Aus den Bünden kam indes keine Hilfe, so zog er sich mit den wenigen Truppenteilen, die nicht fahnenflüchtig geworden waren, auf den Flüelapass zurück. Baldiron und von Sulz zogen anschließend über den Scalettapass ins Prättigau und umgingen so die Stellungen der Bündner auf dem Flüela. Salis versuchte am 5. September zwischen Raschnals und Aquasana bei Saas noch einmal (oder erneut), die österreichischen Truppen aufzuhalten. Die Stellungen konnte er jedoch nur so lange halten, dass der Bevölkerung etwas Zeit zu fliehen blieb. Auch im Prättigau sollen in Folge sämtliche Dörfer in Flammen aufgegangen sein, vornehmlich durch Baldirons Truppen.48