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Frank hat sich im Alltag verfangen und wird durch eine Bemerkung aus seiner Routine gerissen. Ein globaler Mulitkonzern, ein Durchschnittstyp, menschliche Gier und eine Droge, die alles irgendwie zusammenhält. Bin ich wirklich einzigartig? Ist mein Wille stark genug oder wird alles bestimmt?
Gehen Sie mit Frank auf die Suche...nach Antworten.
Denken Sie an Blade Runner? Das war noch harmlos.
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Veröffentlichungsjahr: 2019
TALMI
Einer von ihnen
Nur wenige Leute waren im strömenden Regen unterwegs und suchten verzweifelt Schutz. Frank wartete auf einen freien Flazó und hatte sich in einen schützenden Hauseingang gestellt. Der Regen prasselte unablässig auf die Straße und perlte an seinen Schuhspitzen ab. Viele Menschen trauten sich bei Regen nicht aus ihren Wohnungen. Frank kümmerte sich wenig um das Wetter. Sein PA war am Handgelenk sicher und würde auch bis nach Hause trocken bleiben. Nachdenklich berührte er diesen winzigen technischen Diener, der von einer japanischen Firma erst vor wenigen Jahren eher durch Zufall erfunden worden war.
Niemand würde den Code knacken können. Ein zufriedenes Lächeln glitt über sein Gesicht. Der Abend würde vielleicht recht gut werden, wenn nur der Regen endlich nachließ. Er hatte ein paar Tropfen abbekommen und in seinem Gesicht juckte es, er musste sich immer wieder kratzen.
Er war tief in Gedanken versunken und registrierte lediglich seine unmittelbare Umgebung. Ein Müllskarei sammelte vor ihm ein achtlos weggeworfenes Papier auf, das sich bereits mit Regenwasser vollgesogen hatte. Der Skarei eierte leicht und hatte Schwierigkeiten um ein Visofon zu fahren. Er krachte zweimal dagegen und entschuldigte automatisch, obwohl sonst kein Mensch in der Nähe war, seine Sensoren mussten defekt sein. Frank konnte nur den Kopf schütteln. Warum setzten sie nur die ausgedienten Modelle für diese Arbeit ein? Endlich hatte der Skarei seinen Fehler bemerkt und umfuhr das Hindernis. Zivilflazós sausten über die Dächer hinweg und kein Taxiflazó setzte zur Landung an! Frank fragte leise nach der Uhrzeit und der Picoassénaba antwortete ihm genauso leise. Doria würde schon begierig auf ihn warten. Sie hatte von einer aufregenden Neuigkeit gesprochen. Hoffentlich war die Neuigkeit zu verkraften.
„Suche freien Flazó!“, befahl er genervt.
Er wäre beinahe in den Regen gestolpert, um dem Menschen auszuweichen, der sich ihm langsam näherte. Es musste, nein es war ein Junkie. Er hatte sich eine Decke um Schultern und Kopf gewickelt, um sich gegen den Regen zu schützen. Wie ein alter Mann schlurfte er Frank entgegen, der sich erschrocken in einen Hauseingang drückte. Er überlegte, ob er die Jäger rufen sollte oder lieber die Visemen. Kein weiteres Mal wollte er durch einen Überfall seinen Picoassénaba verlieren, nur weil ein Junkie seine nächste Dosis brauchte. Die Danos, die er bei sich hatte, reichten nur für den Flug nach Hause.
„Ist ein freier Flazó in der Nähe?“, fragte er seinen Picoassénaba, diesmal etwas lauter.
„Negativ.“
„Wann ist der nächste frei?“
„In drei Minuten.“
„Welche Richtung?“
„Östlich.“
„Biete doppelten Preis, wenn er sich beeilt.“
„Akzeptiert. Eine Minute und dreißig Sekunden.“
Frank konnte das Gesicht des Junkies nicht erkennen, der nur zwei Schritte entfernt war. Wie sollte er reagieren? Insgesamt sieben Angriffe hatte er erlebt. Beim ersten Mal hatte er seinen PA samt Ersatz verloren, der Junkie wurde jedoch aufgespürt und wahrscheinlich gerecht bestraft. Sonst hatte er sie alle in die Flucht geschlagen. Einem hatte er das Nasenbein gebrochen und musste sich deswegen einer zeitraubenden Untersuchung unterziehen. Frank hatte zum Glück keinen direkten Kontakt mit dem Blut gehabt und weitere Tests erübrigten sich. Der Junkie, der sich nun neben ihm in den Hauseingang drückte, sah kräftiger aus als er erwartet hatte. Die meisten sahen ausgemergelt aus und waren dem Tode näher als dem Leben.
„Hau ab!“, zischte er dem Junkie in angemessenem Abstand zu.
„Sie sind auch einer von ihnen.“, gab dieser leise zurück.
„Wie?“
Dieser Junkie war so stark abhängig, dass sein Gehirn in jedem Menschen einen Feind zu erkennen glaubte. Frank entschloss sich, die Jäger zu verständigen, damit sie ihn eliminieren konnten. Dieses Objekt war für die Öffentlichkeit eine direkte Gefahr und musste schleunigst entsorgt werden.
„Mach’ nur weiter und die Jäger werden sich um dich kümmern.“
Der Junkie sah ihn an und Frank erkannte neugierige und klare Augen. Dann war das Gesicht wieder verdeckt.
„Sie sind noch jung. Auch ich habe für Futurfood gearbeitet, eine Abteilung unter Ihnen. Ich überprüfte die Zusammensetzung der Ersatzpillen.“
Was faselte der Junkie? Frank drängte sich in die äußerste Ecke des Eingangs, trotzdem war er dem Kerl viel zu nah.
„Sie kümmern sich natürlich nicht um die Zusammensetzung. Sollten Sie aber. Diese Pillen werden bei uns Syns genannt. Nur die Reichen bekommen die ungefährlichen Ersatzpillen. Wir bekommen natürlich das gefährliche Zeug, das sofort abhängig macht. Gehen Sie ins Labor, Frank.“
„Jetzt reicht es! Noch ein Wort und ich verständige wirklich die JÄGER!“
Der Junkie entblößte seine Stirn und Frank erkannte mit Entsetzen, dass dort das Brandmal zu sehen war: Eine Nummer und ein Buchstabe. Je mehr Buchstaben, desto mehr Drogen waren im Spiel. Hastig verdeckte er seine Stirn wieder.
„Keine Angst. Es sind nur die SYNTHETIC. Ich habe keinen Sender in meinem Schädel. Die Nummer konnten sie mir einbrennen, aber keinen Sender implantieren. Gehen Sie einfach ins Labor.“
Er sah sich nach allen Seiten um und rannte in den Regen. Frank konnte ihn bis zu einer Straßenecke verfolgen, aber dahinter fand er nur eine leere Straße. Inzwischen hatte der Regen sintflutartige Ausmaße angenommen und erschwerte das Sehen, selbst der PA hatte Schwierigkeiten mit der Verfolgung. Der Junkie hatte sich in nichts aufgelöst. Frank ballte die Fäuste, bis die Knöchel weißer hervortraten, er verlor nur ungern. Verärgert stellte er sich unter eine Markise. Die Kapuze seiner Jacke war so gut wie durchweicht und er merkte wie es auf seiner Gesichtshaut langsam kribbelte.
„Taxiflazó im Landeanflug.“, hörte er den Picoassénaba und wurde aus seinen Gedanken gerissen. Ein dunkelblauer Flazó setzte tatsächlich zur Landung an. Er musste sich beeilen, damit niemand vor ihm da war. In seinem Gesicht juckte es zunehmend stärker, wie hatte er nur den Regen vergessen können? Er rannte zum Heck, als sich die Tür einen Spalt öffnete. Frank wartete auf keine Einladung, sondern warf sich ins Innere. Die Tür schloss sich im gleichen Augenblick, als er sich festschnallte.
„Scheußliches Wetter, nicht wahr?“, fing der Pilot das Gespräch an.
Er war noch jung und naiv genug, zu glauben, dass jeder seiner Gäste mit ihm reden wollte. Es wäre besser gewesen, wenn die Flazó völlig automatisch fliegen würden, aber das war leider illegal.
Frank schob seine Karte in den Flazóassénaba und lehnte sich zurück. Der Pilot hob zu schnell ab und Frank wurde in seinen Sitz gedrückt.
„Etwas langsamer!“, befahl er wütend. Sein Befehl wurde ausgeführt und er konnte sich entspannen. Auf dem kleinen Screen flimmerten die neusten Nachrichten. Frank wollte nicht wissen, welches Volk sich gerade mal wieder um die unwichtigsten Kleinigkeiten stritt. Er wollte wissen, was es neues aus der Gentechnik gab, die ihn immer wieder erheiterte. Frank vertrat die Meinung, dass alles einen Sinn hatte, womöglich einen tieferen Sinn und man wenig ändern konnte; kurz er glaubte an ein vorgeschriebenes Schicksal, das niemand manipulieren konnte. Vielleicht war es sogar ganz gut, dass diese oder jene Spezies ausgestorben war? Es waren neue Spezies entstanden, zwar nicht natürlich, aber jede davon hatte einen eigenen Platz in der Nahrungskette gefunden. Also warum diese Kette unnötig und willkürlich erneut aus dem Gleichgewicht bringen? Auf der Erde lebten genug Arten, um den natürlichen Kreislauf am Leben zu erhalten. Vielleicht gab es wieder einen durchgedrehten Wissenschaftler, der ein wenig Gott spielen wollte?
„Gentechnik!“, forderte er von dem Assénaba.
Die Nachrichten verschwanden und das Mainmenü erschien. Gentechnik enthielt nur wenig Info heute. Ein mutiertes Tier war mal wieder in Australien ausgebrochen. Frank überflog diese Info kurz. Der Regen hatte das Problem gelöst, wie immer. In Australien hatte es also auch den ganzen Vormittag geregnet. Nichts neues aus diesem Kontinent, der sich mehr und mehr zu einem Urwald entwickelte. Jetzt stritt sich die Regierung mit den Ureinwohnern, wie man den Urwald pflegen und gleichzeitig nutzbar machen konnte. Es geschieht nichts ungewöhnliches mehr auf diesem Planeten, dachte er und suchte nach richtigen Neuigkeiten. Die zweite Info war schon interessanter. Es gab wieder einen Querdenker! Ein Wissenschaftler, der gerade in Afrika arbeitete, sprach von einer Revolution in der Gentechnik. Was konnte das nur sein? Die Endsumme für den Flug leuchtete vor seinen Augen auf.
Schon jetzt wollte der Pilot seine Danos.
Frank gab den Betrag ein und ließ die Überprüfung gelangweilt über sich ergehen. Der Laser tastete die Hornhaut seiner Augen ab und verglich die Fingerabdrücke. Zusätzlich wurde sein gesamter Körper gescannt, wie lästig. Die Identifikation war schließlich einwandfrei und seine Danos wurden akzeptiert.
„Alles in Ordnung. Wenn Sie mich heute noch brauchen sollten, ich habe als letzte Kennzeichnung das X. Angenehmen Nachmittag.“
Prompt verschlechterte sich der Flugstil, aber Frank konnte jetzt nichts mehr bemängeln. Er hatte bezahlt und war somit bedeutungslos geworden, immer wieder ließ er sich zu einer verfrühten Bezahlung überreden. Die Landung ähnelte einem Sturzflug und Frank rutschte bis zum Assénaba nach vorne. Das Jucken in seinem Gesicht wurde schlimmer und er hoffte, dass noch genug Salbe im Badezimmerschrank war.
Kaum hatte sich die Tür geöffnet, sprang er ‘raus. Der Regen hatte endlich nachgelassen und es nieselte lediglich. Zwischen den grauen Wolken blinzelte die Sonne hindurch. In dieser Gegend der Stadt ging das alltägliche Leben lebendiger von statten. Vor den Geschäften patrouillierten Wachskareis und verscheuchten allzu neugierige Personen, die keine gültige Aufenthaltsgenehmigung für diesen Sektor vorweisen konnten. Somit gab es keine beunruhigenden Vorfälle, die nicht augenblicklich beseitigt werden konnten. Deshalb ließen sich hier nur wenige die Einkäufe direkt ins Haus bringen, die meisten frönten dem altmodischen Einkaufen und dem späteren Schleppen. Einige Kinder sausten in ihren kleinen Flazós über die Dächer und flogen haarscharf an den Menschen vorbei; selten gab es Unfälle, da sich die Assénabas automatisch einschalteten, wenn ein Miniflazó abstürzen sollte oder gar jemanden behinderte.
Er schlenderte an den Hochhäusern vorbei und warf im Gehen einen Blick durch die wenigen Schaufenster. In der kleinen Buchhandlung hortete der Besitzer uralte Magazine und Bücher mit vergilbten Seiten. Jedes Mal musste Frank vor dem schmalen Schaufenster stehen bleiben. Liebend gerne hätte er sich ein Buch mit gelben Seiten gekauft, aber die Preise waren viel zu hoch.
Stets bekam Frank ein mulmiges Gefühl, wenn er in einen der Turbolifts einstieg. In den ersten zwei Minuten wurde gescannt. Wenn sich herausstellen sollte, dass man ein gesuchter Verbrecher war, denn leider konnten manche dem fein gewebten Netz der Überwacher und Jäger entkommen, konnte es passieren, dass vielleicht ein schnell wirkendes Gift eingeleitet wurde oder Betäubungsgas. Was auch immer eingeleitet wurde, verursachte Probleme. Die Visemen wurden verständigt und die Jäger erschienen sowieso. Denen die eventuelle Verwechslung zu erklären, war so gut wie aussichtslos. Man wurde, wenn nötig, erneut betäubt, und anschließend in einer Zelle befragt. Selbst eine Gasmaske wäre nutzlos, da es während der Überprüfung sofort erkannt wurde. Sollte etwas anderes ungewöhnlich erscheinen, setzt sich der Lift gar nicht in Bewegung und verriegelte sich selbstständig. Aus diesem winzigen Gefängnis gab es kein Entkommen, nur die Jäger konnte einen verriegelten Lift wieder öffnen. Trotzdem hatten es Terroristen geschafft, eine recht wirksame Bombe einzuschmuggeln, die ein extrem starkes Erdbeben provozierte. Eine ganze Stadt wurde durch dieses Erdbeben ausradiert.
Nervös hüpfte Frank von einem Bein auf das andere und wartete darauf, dass der Lift sich endlich in Bewegung setzte. Natürlich kam die altbekannte Angst, dass sich trotz der ständigen Systemprüfungen ein Defekt eingeschlichen haben könnte. Jede Sekunde bestand die Möglichkeit. In seinem Kopf spielte sich wie gewohnt das Szenario ab: Das Gas würde sich langsam verteilen und in seine Lungen kriechen. Nach dem zweiten Mal Luftholen, wäre es das letzte Mal gewesen und Doria müsste sich mit den Visemen auseinander setzen, vielleicht wurde sie selber sogar verdächtigt eine Terroristin zu sein? Er stellte sich ihr durch Tränen verschmiertes Gesicht vor und wie sich ihr Körper unkontrolliert durch den Weinkrampf schüttelte. Setzte sich der Lift dann mit einem kleinen Ruck in Bewegung und er hörte den Piepton, dass alles in Ordnung mit ihm war, holte er erleichtert Luft und stieß sie pfeifend aus. Diesmal dauerte es eine Weile, bis das Okaysignal erklang.
„Ihr Herzschlag ist ungewöhnlich. Bitte diesbezüglich eine Untersuchung durchführen!“, ertönte es schließlich.
Großartig! Er machte sich vor Angst fast in die Hose und die Überwachung ergab einen zu hohen Herzschlag. Wie wichtig diese Info war! Es war öfter vorgekommen, dass sein Herz zu schnell schlug, aber das war noch lange nicht ausreichend für eine schmerzhafte Untersuchung.
„Ja, ja.“, sagte er leise und hoffte, dass er nicht gehört wurde.
Der Lift hielt an und gab die Sicht auf den Flur frei. Frank wurde ein angenehmer Nachmittag gewünscht.
In Gedanken verloren dachte er nicht an den Türassénaba und rannte gegen die geschlossene Tür.
„Identifikation!“, ertönte die künstliche Stimme.
Daran hatte er nicht gedacht.
„Na ja...“
„Sag’ nicht na ja. Ich kann das nicht hören. Wie war dein Tag nun: gut oder schlecht?“, raunte sie ihm verärgert zu, während sie aus dem Kühlschrank eine Infusion holte.
Frank konnte sich bei dem Anblick einer Infusion nur schütteln. Er würde sich nie, aber auch niemals, daran gewöhnen. Menschen hatten Flüssigkeit seit ewigen Zeiten getrunken, wenn ihr Körper danach durstete. Warum sollte er, nur weil es der neusten Mode entsprach, Flüssigkeit durch eine winzige Nadel in eine künstliche Körperöffnung einleiten, um sein System auszugleichen? Nichts konnte ihn dazu bringen. Für ihn war es ein Genuss kaltes Wasser oder künstliches Bier zu trinken. Doria fand es tré chic sich eine Nadel in ihren Unterarm zu stechen und die nötige Menge an Flüssigkeit so ihrem Körper zuzuführen. Die Nadel verursachte zwar noch etwas Schmerzen, aber was tat man nicht alles, um mit anderen Benutzern darüber reden zu können.
„Musst du mit der Nadel vor meiner Nase herumfuchteln?“
Sie sah ihn verdutzt an und drehte versonnen die Nadel zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her.
„Das war nicht die Antwort, die ich eigentlich von dir hören wollte, mein Schatz!“
Manchmal konnte sie wirklich nerven.
„Beides.“
„Wie beides?"
„Mein Tag, mein Arbeitstag war gut und schlecht. Bist du jetzt zufrieden?“
„Sei nicht gleich beleidigt. Bist du gar nicht neugierig, was ich dir zu erzählen habe?“
„Nun, lass mich nicht unwissend sterben.“
Sie zeigte ihr betörendes Lächeln, das ihn besänftige und für den miesen Tag entschädigte.
„Ich ...habe...Kontakt...mit, na, rate mal!“
Er hasste es zu raten.
„Keinen blassen Schimmer. Sag’ es mir einfach. Was ist es?“
„Du gehst Morgen mit mir zu der Untersuchung. Ich will ein Kind.“
Eine Ohrfeige oder ein Tritt in die Gegend, in der es einem Mann am meisten schmerzte, hätte es seiner Meinung auch getan. Sie konnte das gleiche auch mit ein paar Worten erreichen. Frank war zuerst sprachlos, der Schock saß zu tief. Er sah sich in dem sterilen Raum und eine riesige Nadel auf sich zukommen, die ihm einige Samen entnehmen wollte. NEIN!
„NEIN!“, schrie er endlich.
„Was soll das heißen? Wir können uns ein Kind leisten, wenn es das sein sollte. Eine Erlaubnis zu bekommen... “
„Nein, nein und nochmals nein. Entschuldige, dass ich dir ins Wort falle, aber ich will kein Kind. Es hätte eine sehr niedrige Überlebenschance.“
„Unsinn! Es könnte die ersten drei Monate nach der Geburt in der Klinik bleiben. Dort würden wir es jeden Tag besuchen.“
„Ich gebe jedenfalls meinen Samen nicht freiwillig her!“
Sie stemmte äußerst verärgert ihre Hände in die Hüften. Ein Zeichen dafür, dass es an der Zeit war zu flüchten.
„Soweit ich mich erinnern kann, haben wir uns beide vor und unmittelbar nach der Heirat gegen ein Kind entschieden. Ich habe eben nicht gesagt, dass wir es uns nicht leisten könnten. Warum hast du dich jetzt doch dafür entschieden?“
Doria stieg heiße Luft aus. Er hatte sie an einer schwachen Stelle getroffen. Hoffentlich war nicht einer ihrer besten Freundinnen schwanger oder auf dem besten Wege es zu werden!
„Ich möchte es eben.“
„Ein wahnsinnig ausschlaggebendes Argument! Ist vielleicht Marian oder Paula schwanger oder jemand anderes, den du kennst?“
„Nein.“, zischte sie ihm entgegen, aber ihre Wangen nahmen eine entlarvende rötliche Färbung an.
„Ich möchte darüber nicht mehr reden. Wenn du unbedingt ein Kind haben möchtest, dann suche dir den kompatiblen Spender im Netz.“
„Ich könnte dich schlagen! Wie kannst du nur so engstirnig sein? Ein Kind ist eine Bereicherung in einer Ehe. Wir leben in dem Kind weiter!“
Kitschiger konnte es nicht mehr werden. Sollte sie ruhig alles Mögliche aufzählen. Sollte sie ruhig.
„Nenne’ mir den wahren Grund! Bist du vielleicht von einem heimlichen Liebhaber schwanger, was eigentlich gar nicht möglich sein kann?“
Ihre Nasenflügel bebten und sie würde sich gleich auf ihn stürzen.
„Nein. Ich will ein Kind!“
„Du redest jetzt wie eines! Warum bist du so trotzig? Weshalb jetzt? Du hättest es viel früher haben können.“
„Ich bin dreißig. Das ist das richtige Alter, meint auch Marian.“
Das war es! Marian hatte ihr den Unsinn vorgebetet!
„Marian ist unfruchtbar, wie kann sie von einem richtigen Alter sprechen?“
„Ihre Schwester ist schwanger.“
Warum half ihm niemand, wenn er jemanden brauchte? Frank musste Doria jede Kleinigkeit aus der Nase ziehen und jetzt auch noch ein Kind! Er wollte kein Kind. Basta. „Ein wichtiger Grund auch schwanger zu werden! Ich werde nicht mit dir zu dieser grauenhaften Untersuchung gehen! Ich brauche keine Maschine, die mir sagt, dass ich größere Unterhosen anziehen soll, damit ich zeugungsfähig bleibe. Du kannst ruhig hingehen. Du kannst mir dann sagen, ob du dort alte Bekannte getroffen hast und der Mann weinend neben seiner Kind gierigen Frau saß.“
Er machte auf dem Absatz kehrt und hechtete zum Bad. Eine erfrischende Dusche wäre just genau das richtige. Auf dem Weg ins Bad zog er seinen Anzug aus und warf ihn achtlos auf das eheliche Bett. Die Socken und die restliche Unterwäsche folgten.
Die Badezimmertür war blockiert. Doria stand mit hochrotem Kopf vor ihm.
„Nicht jetzt, Schatz. Lass mich erst duschen, ja?“
„Ich will ein Kind!“
„Ich weiß nicht wie es dir geht, aber ich empfinde diese Situation als reichlich peinlich. Du benimmst dich, als ob du vierzehn währst und unbedingt in ein Cybercafé gehen willst, das erst um Mitternacht aufmacht. Außerdem ist es hier im Flur leicht kühl.“
Er lehnte seinen Oberkörper gegen die Wand zwischen Badezimmertür und Schlafzimmer. Plötzlich zuckten Dorias Mundwinkel und sie fing wiehernd an zu lachen. Sie hatte ihn die ganze Zeit zum Narren gehalten. Typisch. Dafür gab es nur eine Bestrafung und Frank handelte schneller, als es Doria lieb war. Er warf sie sich wie einen Sack über die Schulter und ging mit flotten Schritten ins Badezimmer. Sie wehrte sich nur halbherzig und drohte an ihrer eigenen Lache zu ersticken. Frank stellte die Dusche an und forderte eiskaltes Wasser. Ein eisiger Strahl prasselte auf Dorias Stirn nieder und durchnässte sie in Windeseile. Die Kälte hinderte sie nicht am Lachen, sondern verstärkte den Effekt. Mit vor der Brust verschränkten Armen stand Frank vor der Dusche und konnte seine Schadenfreude nicht verbergen. Ein Wort genügte, um den eisigen Wasserfluss abzustellen. Eigentlich wollte er zuerst die Trocknung anstellen, aber sie grinste ihn immer noch verwegen an. Das Wasser tropfte an ihren Haaren herunter und vereinigte sich mit der Pfütze in der Dusche. Ein netter Anblick.
„‘Raus jetzt. Ich will jetzt duschen.“
„Ach, was?“
Ihr Grinsen wurde wieder breiter und ihr Bauch hüpfte auf und ab durch das unterdrückte Lachen. Exakt in diesem Moment war der Zeitpunkt gekommen, dass er sie wieder schulterte und aus dem Badezimmer warf. Ehefrau oder nicht, sie störte bei der Abendtoilette.
„Ich lass‘ mich scheiden!“, rief sie ihm lachend hinterher, als er so schnell wie es ihm möglich war ins Badezimmer rannte.
Das Wasser hatte er auf mittlere Wärme eingestellt und genoss das leichte Prickeln auf der Haut, das die dicken Tropfen auf seiner Haut hinterließen. Eine Gänsehaut wechselte sich mit der nächsten ab. Im Wechsel trat es aus fünfzig feinporigen Düsen und aus fünf größeren Düsen aus. Die Temperatur pendelte zwischen fünfundzwanzig Grad und fünfzehn Grad Celsius. Genau die Temperaturen, die seinen eingeschlafenen Kreislauf wieder zum Leben erweckte.
Mit geschlossenen Augen stand er unter der Dusche und ließ sich fünf Minuten berieseln. Länger durfte er auch nicht. Er dachte an seinen monotonen Arbeitstag zurück. Es war dem Kalender nach zu urteilen Sommeranfang, aber der Regen hielt sich nicht daran. In seiner Abteilung hatte jeder Idiot wieder Wetten abgeschlossen, dass es mindestens vierzig Grad im Schatten wurde. Frank musste bei dem Gedanken grinsen. Das Wetter richtete sich nicht nach irgendwelchen Voraussagungen, sondern war das sprichwörtliche Chaos.
Verträumt stand er unter der tröpfelnden Dusche und sehnte sich nach richtigem Alkohol. Der künstliche hatte zwar den gleichen Geschmack, den richtigen Alkohol konnte er dennoch nicht überbieten. Schottischer Whiskey wäre nicht schlecht, aber in unerreichbarer Ferne. Wieso dachte er ausgerechnet an Whiskey? Als er neunzehn war, hatte er zum ersten Mal Whiskey getrunken und es bitterlich bereut. Den Kater würde er nie vergessen. Sein Großvater hatte ihn nicht vorgewarnt, obwohl er es sonst bei jeder Kleinigkeit tat. Nur ein neugieriger Blick war in seinem Gesicht zu sehen gewesen, als Frank den ersten Schluck nahm. Der Alkohol war echt gewesen. Er hatte nach dem Rausch sein gesamtes Essen ausgespuckt und sich geschworen nie wieder auch nur einen Tropfen Whiskey anzurühren. Das Verlangen wurde immer stärker.
„Trocknung!“, befahl er.
Die Luft war angenehm warm und umspielte seine Haut, natürlich bekam er eine leichte Gänsehaut. Seine Haare flatterten und trockneten schnell. Gleich in der Nähe lag der Bademantel bereit und er schlang ihn sich geschickt um den sauberen Körper. Ein zarter Duft nach Frühlingsblumen umhüllte seine Nase. Doria hatte ihn sicherlich heute Morgen getragen. Aus dem Wohnzimmer hörte er die Geräusche einer Projektion. Seine Frau konnte auf die Nachrichten in Großformat leider nicht verzichten. Es interessierte Frank wenig, was sich wissenswerte ereignete. Barfüßig schlich er sich von hinten an sie heran. Sie verströmte den gleichen angenehmen Duft wie der Bademantel. Es kribbelte kurz und heftig in seiner Nase und Frank nieste laut. Doria drehte sich erschrocken um.
„Mit deinen Arbeitgebern stimmt was nicht.“, war ihr einziger Kommentar.
„Mit wem?“
„Futurfood soll Schuld am Tod von Hundert Menschen in Indien sein.“
„Glaube ich nicht. Die Presse verbreitet immer wieder die unglaublichsten Dinge, die sich kurze Zeit später als Lügen entpuppen. Überall sterben Menschen. Das ist dummes Gerede!“, versuchte er Futurfood zu verteidigen, aber das Gesicht des seltsamen Junkies tauchte in einer Erinnerung lebhaft auf und so hörten sich seine Worte wie leeres Gerede an. Er traute den Oberen Managern mehr zu als er seiner Frau gegenüber eingestanden hätte. Der Junkie hatte ihn gegen seinen Willen zum Nachdenken gebracht. Es würde nichts schaden, wenn er sich für eine halbe Stunde ins Netz einklinken würde. „Ich setze mich für eine halbe Stunde noch an unseren Assénaba.“
„Wie kannst du nur so ruhig sein? Es sind Hundert Menschen tot! Sie sind nicht verhungert oder durch einen Krieg umgekommen! Nein! Sie innerhalb von drei Stunden innerlich verblutet!“
Er blieb stehen und drehte sich entsetzt zu ihr um. Wie konnte jemand in dieser Zeit innerlich verbluten? Indien hatte zwar nicht den Lebensstandard, der in seinem Land herrschte, aber die medizinische Versorgung war dort auf dem besten Stand. Wie konnten dann Hundert Menschen verbluten?
„Ich sehe es mir an.“
Den Bademantel warf er in den Wäschekorb neben dem Kleiderschrank im Schlafzimmer und zog sich seinen Pyjama über. Mit zwei großen Schritten war er im Arbeitszimmer nebenan. Der Screen flimmerte, Doria hatte ihn nicht ausschaltet. Er gab sein persönliches Codewort ein und wartete. Das Menü erschien schnell. Die Tür schloss sich automatisch und die Verbindungskabel schlängelten sich wie lebendige Reptilien auf dem Boden, bis sie ihren Bestimmungsort gefunden hatten. Frank stellte sich in die Mitte des Raumes und musste sich einen Augenblick gedulden. Als das Paga schließlich auf seine Befehle wartete, musste er sich erst wieder richtig konzentrieren. Einige Stunden hatte er in einem ähnlichen Raum gearbeitet und es fiel ihm schwerer die notwendige Energie aufzubringen. Zuerst zeigte der Assénaba an, wer ihn unbedingt kontaktieren wollte oder es bereits getan hatte. Die Mailbox war durchschnittlich besetzt, es war nichts Dringendes dabei. Schließlich hob er seine Hand und ließ sich identifizieren, so dass ihm weiterer Zugang gewährt wurde. Viele User wollten nicht auf ihren Guide verzichten, aber Frank kannte die Fallen im Netz und war auf vieles vorbereitet. Für seinen Wissensdurst brauchte er keine Wächter ablenken und der Guide war für ihn somit nutzlos.
„News, Indien. Futurfood.“, forderte er laut und der Assénaba setzte die mündlichen Befehle um.
Die Nationalhymne von Indien wurde knapp eingespielt und die ersten Bilder erschienen. Ein indischer Arzt mit blutverschmiertem Kittel starrte fassungslos in die Kamera und sprach von einem Rätsel. Im Hintergrund war ein Labor zu erkennen. Die Übersetzung war einwandfrei. Frank ging um das leicht zuckende Paga herum und besah sich das elektronische Abbild des Arztes von allen Seiten. Die schlechte Übertragung ärgerte ihn etwas, aber der Assénaba korrigierte ständig, damit er überhaupt verstehen konnte, was der Arzt zu erzählen hatte. Er hätte sich längst den neuen Chip kaufen sollen, um die Übertragung zu verbessern.
„Wir konnten nichts mehr für die Menschen tun. Sobald eine Blutung gestoppt war, öffnete sich eine größere Ader. Das Blut lief aus allen Körperöffnungen. Egal, was wir zur Stillung der Blutungen spritzten, es war nutzlos. Selbst die Beruhigungsmittel konnten den Herzschlag nicht verlangsamen. Ich bin ratlos. Es gibt absolut keine Aufzeichnung über ähnliche Fälle in der gesamten medizinischen Literatur. Ich habe mich mit anderen Fachärzten ausgetauscht und konnte die Menschen dennoch nicht retten. Nach der Obduktion werden wir mehr wissen.“
Diese Info war zehn Stunden alt! Die Zeitanzeige blinkte ihn hämisch an, er hasste alte Infos!
„Neuste Info!“
Wieder war der indische Arzt zu sehen. Im Hintergrund eine weiße Wand. Die Kameras der Reporter durften wohl nicht weiter. Frank setzte sich in den Assénabaseat und verfolgte von dort aus den Auftritt des Arztes, der nun weitaus besorgter aussah und nervös auf und abwanderte. An den Armstützen korrigierte Frank die Übertragungsgeschwindigkeit. Bald war das Paga bildlich makellos, nur die Stimme knarrte etwas, aber daran störte sich Frank nicht weiter.
„Ein Enzym löste die inneren Blutungen aus, was keinen richtigen Sinn ergibt. Das Enzym fehlte allen Patienten, die bis jetzt obduziert wurden. Sonst waren alle Körperfunktionen optimal, Schadstoffkonzentrationen lagen im Grenzwertbereich und andere Grenzwerte ebenfalls. So wie es aussieht, waren die Menschen jedoch von einer mir unbekannten Substanz süchtig. Nach den anderen Krankheitssymptomen zu urteilen, würde ich spontan auf Entzugserscheinungen tippen... “
Mehr konnte sich Frank nicht anhören und gab einen neuen Befehl ein. Er musste sich das Labor ansehen und gab den Sicherheitscode ein, der als erstes gefordert wurde. Ungewöhnlich schnell erschien ein verschwitzter Mann im Raum. Bis zur Brust war er zu sehen, vor ihm schwebte scheinbar ein halber Mensch.
„Till Felske. Ich hatte keine Kontrolle erwartet.“
„Ich kontrolliere Sie auch nicht. Ich arbeite in der Entwicklungsabteilung und würde mich gerne Morgen bei Ihnen umsehen. Vielleicht wechsle ich die Abteilung.“
Diesmal war die Übertragung hervorragend, es musste wohl doch an der Entfernung gescheitert sein, dachte Frank kurz. Das war sein einziger Versuch. Es musste jetzt klappen. Die Labormaus Till sah dumm genug aus. Er blinzelte ihn ungläubig an und befummelte nervös seine Schutzbrille.
„Ich weiß nicht, ob ich Sie ohne Erlaubnis durch das Labor führen darf. Außerdem habe ich morgens keinen Dienst.“
Mist. Er war einer dieser Angestellten, die sich strikt an die Vorschriften halten mussten.
„Ach, ich brauche einen Zweitjob. Meine Frau will vielleicht ein Kind bekommen und ich will nicht länger als nötig zu Hause sein. Verstehen Sie mich?“
„Meine Frau ist unfruchtbar. Zum Glück. Ich kann Kinder nicht ausstehen.“
Till hatte wahrscheinlich als Teenager starke Akne gehabt, sein Gesicht war außer mit Sommersprossen auch noch mit Aknenarben übersät, die sich unregelmäßig beim Sprechen verzogen. Sein Haar war knallrot und leuchtete, Frank konnte es nicht fassen, dass Till eine Frau haben sollte.
„Also, Frank Montoya, das ist Ihr Name?“
Frank nickte nur und sagte kein Wort. Er war nahe am Ziel. Was konnte schon schief gehen?
„Sie könnten um fünf Uhr kommen. Meine Schicht ist dann zu Ende und ich kann Ihnen ungestört das Labor zeigen. Ich habe aber nur eine halbe Stunde Zeit. Seien Sie pünktlich.“
„Wie fünf Uhr? Meinen Sie fünf Uhr morgens?“, rief er entsetzt.
„Was glauben Sie denn? Das ist ein Entgegenkommen von mir! Ich kann Sie ohne Genehmigung gar nicht länger durch das Labor führen. Das Labor hat Sicherheitsstufe vier!“
Stufe vier war ungewöhnlich.
„Weil Sie mir aber entgegenkommen, führen Sie mich auch ohne Genehmigung durch das Labor, nicht wahr?“
„Ja. Ich brauche Ihre ID-Nummer. Für den Assénaba.“Frank lehnte sich zurück, der Seat passte sich an die veränderte Position seines Körpers reibungslos an und gab die Nummer weiter, die von der schmalen Card übertragen wurde. Es gab nichts mehr zu sagen und er verabschiedete sich höflich. In Gedanken ging er das kurze Gespräch nochmals durch, während der Seat in die Ausgangsposition zurückfuhr und sein Assénaba sich aus dem Netz klinkte. Dieser Till hielt sich für einen der Oberen Manager. Eine verdrehte Labormaus war er und sonst nichts, dachte er amüsiert. Frank streckte seinen Oberkörper und starrte die Decke an. Er war schon um sechs Uhr todmüde, wie sollte er nur um fünf Uhr vor dem Labor stehen, ohne vor Müdigkeit umzufallen? Er schloss die Augen, als sein Körper routiniert nach Mikroben gescannt wurde und schließlich die allabendliche Injektion bekam. Frank fühlte die winzige Nadel in seine Haut eindringen und hörte den leisen Piepton, der Assénaba hatte nichts Beunruhigendes entdeckt und entließ ihn. Danach machte er sich auf den Weg in Richtung Schlafzimmer. Aus dem Wohnzimmer drangen einige Wortfetzen in seine Ohren, natürlich irgendwelche News. Doria würde wieder bis Mitternacht aufbleiben. Sie konnte ausschlafen und ihre Arbeit erledigen, wann es ihr in ihren Zeitplan passte.
Ziemlich müde stapfte Frank in die Küche und holte sich was zu trinken, bevor er endlich schlaff auf seine Betthälfte fiel. Nach wenigen Minuten füllten seine regelmäßigen Atemzüge und dezentes Schnarchen die Stille im Schlafzimmer aus. Er hatte es nicht mehr geschafft, sich zuzudecken und lag mit ausgestreckten Armen im Bett. Als ihn Dorias Haare an der Nasenspitze kitzelten, wachte er kurz auf. Sie hatte sich über sein Gesicht gebeugt.
„Lass’ mich bitte um Viertel nach vier wecken.“, konnte er ihr zuflüstern, bevor der Schlaf ihn wieder überwältigte. Doria gab ihm einen zärtlichen Kuss auf den Mund, deckte ihn zu und drehte sich auf ihre Bettseite. Sie fragte sich, warum er so früh geweckt werden wollte, gab die Daten jedoch ein.
Die Sonne blendete ihn, trotzdem feuerte er die Delphine an, die zu beiden Seiten im Wasser kleine Luftsprünge vollführten. Ein wolkenloser Himmel über ihm und nichts als Genuss, Freude, Glückseligkeit. Die Empfindungen glichen sich und lösten doch immer wieder neue Glücksgefühle aus. Er liebte diesen Traum bis er sich veränderte. Nachdem er mit den Delphinen wieder aufgetaucht war, fühlte er sich beobachtet und verdrehte im Traum und im Schlaf seinen Hals, um seinen Verfolger zu entdecken, der sich hartnäckig versteckt hielt. Manchmal erkannte er einen dunklen Schatten über dem Wasser ganz in seiner Nähe. Doch nie sah er ein Gesicht, dabei war Frank sicher, dass es ein Mensch war, der ihn beobachtete. Jedes Mal, wenn er sich mit Walgesang und Meeresrauschen wecken ließ, hatte er den gleichen Traum. Das Wasser glitzerte wie Millionen flüssiger Diamanten und blendete ihn. Wenn er doch nie wieder aufwachen müsste, sondern ständig in diesem Traum sein könnte, um bis ans Ende aller Tage die Weltmeere mit den Delphinen zu durchstreifen und..., wenn nur der Verfolger verschwinden würde. Allmählich wurden die Walgesänge lauter und die höheren Töne schlichen sich in seinen Traum.
„Stopp!“, befahl er noch schlaftrunken und setzte sich aufrecht. Mit den Fingerspitzen entfernte er den Schlaf aus seinen Augen und blinzelte in die Dunkelheit hinein.
„Uhrzeit.“
„Es ist vier Uhr und fünfundzwanzig Minuten.“
„Frühstück vorbereiten.“
Aus der Küche kamen die vertrauten Geräusche und Gerüche, die ihn sogar unter der Dusche erreichten. In der Küche flimmerten die neusten globalen Nachrichten über den Screen, leider war der Assénaba darauf programmiert worden. Aber Frank konnte um diese Uhrzeit die Nachrichten am wenigsten ertragen und stellte es ab.
Sein morgendliches Getränk, er hatte absolut keine Ahnung was er trank, hatte die richtige Temperatur und schaffte es ansatzweise seine müden Lebensgeister aufzuwecken. Er musste auf seine morgendlichen Nährstoffe warten, bis sie in runder oder Stäbchenform essbar aus dem Kühlschrank kamen. In zwei Tagen musste die nächste Lieferung eintreffen, sonst würden sie auf die gepresste Nahrung verzichten müssen. Frank hätte allzu gerne mal wieder in ein richtiges Brot gebissen, aber das konnten sie sich nicht leisten. Nebenbei rief er über seinen Picoassénaba ein Taxiflazó.
„Ankunft in fünfzehn Minuten.“, hörte er die mechanisch-menschliche Stimme sagen.
Das Frühstücksgeschirr ließ er stehen und ging auf Zehenspitzen ins Bad, um sich reinigen zu lassen und anzuziehen. Sein Spiegelbild sah todmüde aus. Besonders seine Augen blickten ihm zweifelnd entgegen, als wollten sie es nicht glauben, dass er um halb fünf Uhr morgens bereits wach war. Ab und zu hörte er seinen Picoassénaba summen. Er erhielt wahrscheinlich eine Info. Blieb nur eines: wer schickte ihm um diese Zeit eine Info? Wahrscheinlich war es dieser eklige Till und wollte nur den Termin bestätigen. Frank entschied sich, die Info erst im Flazó abzurufen.
Der Rasierer glitt sanft und schmerzlos über seine Gesichtshaut und hinterließ ein leichtes, aber angenehmes Kribbeln auf seiner Haut. Wie gut doch die antiallergische Salbe wirkte!
Er musste sich noch einen passenden Anzug aussuchen, von der modischen Krawatte ganz zu schweigen. Nach unentschiedenen Minuten übergab er das Problem dem Assénaba. Zwar sah er angezogen nicht sonderlich überragend aus, aber er wollte die Labormaus keinesfalls mit einem perfekten Aussehen in eine Identitätskrise stürzen. Doria schlief ruhig und friedlich. Ihr Haar, das diesen Monat rötlich schwarz war, lag ausgebreitet auf ihrem Kopfkissen. Besonders schlafend wirkte sie unschuldig und friedlich. Schnellen Schrittes ging er zur Wohnungstür. Der Assénaba wünschte ihm einen guten Morgen, als er den neuen Code richtig eingab. Die Tür schwang zur Seite und er stand im kalten Flur. Es war kein einziges Geräusch zu hören, außer seinem Atem. Keiner, aber wirklich keiner, war um diese Zeit wach. Der Lift beförderte ihn als einzigen nach unten und niemand stieg zu. Selbst die Wachskareis starrten ihm scheinbar verwundert hinterher, als er leise an ihnen vorbeiging. Er traute diesen Maschinen nicht, obwohl sie in seiner Nähe nie eine Funktionsstörung gehabt hatten, genauso wenig hatten sie ihn angegriffen. Trotz der überwiegend guten Erfahrung mit den Skareis, glaubte er fest daran, dass, sobald sie nicht gebraucht wurden, sie sich zu kleinen Gruppen versammelten und geheime Infos austauschten. Bald würden sie so etwas wie eine Skareigewerkschaft bilden und leistungsfähigere Chips fordern, um damit die Weltherrschaft anzustreben. Vor längerer Zeit hatte Frank in einem schwachen Augenblick diese Furcht Doria gegenüber gestanden, die natürlich lachend zu Boden fiel. Schnell drehte er sich zu den drei Skareis um, die in der Mitte der Eingangshalle standen. Auf ihrer Stirn blinkte ein Kontrolllämpchen hektisch. Sie hatten mit Sicherheit einen neuen Plan entwickelt, wie sie die Regierung stürzen konnten. Immer mussten sie sich in der Mitte eines Raumes versammeln, einzeln hatte keiner von ihnen eine Chance die Daten zu verarbeiten. Es regnete endlich nicht mehr, sogar der Nieselregen hatte aufgehört. Die Straße glänzte und reflektierte das Licht der Laternen, es war wirklich viel zu früh, um an Arbeit zu denken. Frank fragte nach der Uhrzeit und ging ein Stück näher zur Straße. Zwar war es unwahrscheinlich, dass ihm jemand anderes den Flazó wegschnappen würde, aber er hatte sich daran gewöhnt bereit zu sein.
Endlich setzte ein weißes Taxi zur Landung an. Wie gewohnt setzte sich Frank nach hinten. Der Pilot forderte sofort eine Personenüberprüfung und es blieb Frank nichts anderes übrig, als es über sich ergehen zu lassen.
„Tut mir leid, aber ich wurde erst gestern von einem verdammten Junkie reingelegt. Meine Tageseinnahmen sind zum Teufel! Wo darf ich Sie hinbringen?“
Schon wieder ein Pilot, der zu viel redete.
„Zu FuFo. Setzen Sie mich bitte am Nebeneingang ab.“
„Futurfood? Dort wollen Sie hin? Meine Mutter kommt von den Ersatzpillen nicht mehr los...“
„Hören Sie: fliegen Sie mich einfach hin. Mehr will ich nicht.“
Der Stimme nach hörte sich gereizter an, als er wollte. Hoffentlich warf ihn der Pilot jetzt nicht raus. Warum sprach ihn so gut wie jeder auf diese Pillen an? Sah er vielleicht aus, als ob er welche zum Selbstkostenpreis verkaufen würde wie ein Dealer?
„Schon gut. Ist auch früh. Dachte nur, dass Sie ein wenig plaudern wollten. Den Nebeneingang kenne ich leider nicht. Den müssen Sie mir zeigen.“
Wollte der Pilot ihn veralbern? Es gab im Assénaba einen Plan.
„Was soll das? Sie haben doch die Möglichkeit einen Plan abzurufen, oder nicht?“
„Eigentlich schon.“
Was sollte das alles? Frank war nicht bereit dem Kerl mehr zu bezahlen.
„Ich habe nicht besonders viel Zeit. Fliegen Sie einfach zum Haupteingang.“, rief er zornig und drückte den Knopf, so dass ihn eine Wand von dem Piloten trennte. Er wollte sich nicht streiten und mehr als unbedingt nötig mit dem Mann reden. Der Pilot hob ab und flog mutig in die Wolken. Frank hoffte inständig, dass es keinen Crash mit einem Flazó auf dem Highway gab. Doch auf dem Highway war weniger Verkehr als befürchtet und der Pilot hätte nicht unbedingt die Geschwindigkeit konstant auf Hundertvierzig halten müssen. Jetzt konnte er sich endlich der mysteriösen Info widmen. Sein Picoassénaba hatte keine Info erhalten, sondern eine verschickt, die er nicht mehr zurückverfolgen konnte. Wer hatte nur Daten verlangt? Er grübelte eine Weile darüber nach und entschied, dass es nicht allzu wichtig gewesen sein musste, sonst hätte sein Assénaba selbst Nachforschungen angestellt. Bei der Ausfahrt schoss der Pilot senkrecht nach unten und demonstrierte seine Flugkunst mit einem kleinen Looping. Wahrscheinlich dachte er damit Frank zu beeindrucken, aber erreichte nur das Gegenteil. Sein mürrischer Passagier hatte sich schon längst gegen ein Trinkgeld entschieden. Er dachte sogar über eine Beschwerde nach. Futurfoods Hauptgebäude erschien wie eine zum Sieg empor gestreckte Riesenfaust. Jedes Mal erfasste ihn die gleiche Vorfreude, wenn er die spitzen Zacken des Daches erblickte und sich von dem Glanz der unzähligen Fenster geblendet fühlte, selbst wenn es Nacht war. Rasch schob Frank seine Karte ein und zog sofort das Trinkgeld ab. Der Assénaba wollte den Grund für die Trinkgeldverweigerung wissen.
„Miserabler Flugstil.“, ließ er ihn wissen und zog verärgert seine Karte wieder raus. Der Pilot landete mit aufheulendem Motor und die Drüsen spuckten schwarzen Rauch aus. Sehr gut. Die Umweltbehörde hatte wieder Arbeit für ihre Kontrolleure, die dem Piloten sicherlich die Flug und Arbeitserlaubnis entziehen würden.
Die Tür öffnete sich und Frank sprang raus, ohne mit dem Piloten zu reden.
Er rannte zum Nebeneingang und wartete noch eine Minute. Sein Herzschlag musste erst wieder gleichmäßig schlagen, sonst würde die Überprüfung zu lange dauern.
Die Wachskareis wollten ihn nicht durchlassen, aber eine Stimmenidentifikation beseitigte die Zweifel. Zwar wurden die Skarei ständig auf mögliche Schwachstellen untersucht und repariert, dennoch: Frank misstraute ihnen und das würde sich nie ändern. Leblose Maschine oder nicht, sie konnten einfache Probleme bewältigen und eigenständig handeln. Er musste sich an ihnen vorbei quetschen, um zum Lift zu gelangen. Es war stets das gleiche Theater und mehr als lästig. Die Labormaus wartete schon auf ihn. Aus der Nähe gesehen sah der Kerl noch widerlicher aus. Die Augen starrten Frank wissbegierig an. Außerdem hatte der Mann eine Dusche dringend nötig, eine aufdringliche Duftnote reizte seine Nase, dass seine Augen fast tränten.
„Na, Ihre Frau schläft sicherlich noch, was?“
Diese Frage passte zu der Labormaus: Überflüssig und dumm.
Was ging ihn seine Frau an?
„Kann sein.“
„Sie sind pünktlich. Ich mag Männer, die Pünktlichkeit zu schätzen wissen.“
Frank schüttelte sich angewidert, um ein Niesen zu unterdrücken als Till einen Schritt näher kam.
„Ist Ihnen kalt?“
„Ähm... nein. Ich habe selbst nicht viel Zeit. Könnten wir jetzt mit der Besichtigung beginnen?“
Till verzog das Gesicht zu einer Grimasse und deutete ihm an zu folgen. Im Labor roch es stärker als erwartet nach Reiniger und Frank konnte ein Niesen nur mit Mühe unterdrücken.
„An den Geruch gewöhnt man sich schneller, als man denkt. Am Anfang habe ich ständig niesen müssen. Jetzt fällt er mir kaum noch auf.“
Offensichtlich hielt die Labormaus nicht besonders fiel von Ordnung oder die Hausskareis waren defekt. Die Messgeräte hatten eine dicke Staubschicht und sahen veraltet aus. In kolbenartigen Gläsern hatte sich der Staub zu kleinen Bällen zusammengeschlossen. Was wurde in diesem Labor überhaupt untersucht?
„Das hier ist das alte Labor. Man kann rein gar nichts mehr gebrauchen. Aber wir können es einfach nicht über das Herz bringen alles an Händler zu verkaufen.“
Frank stand hinter Till und musste dessen Ausdünstungen einatmen. Ein Königreich für eine Klimaanlage. Die Labormaus ging durch das alte Labor zu einer dicken Metalltür, die eindeutig keinen Türassénaba installiert hatte. Man musste einen Zahlencode eingeben und eine Codekarte durchziehen. Dazu wurde man dabei von drei Kameras überwacht. Die rechte Hand wurde gescannt und erst nach einer positiven Meldung durfte man den endgültigen Code eingeben. Frank versuchte weniger neugierig zu wirken, aber die vielen Überprüfungen, die Till über sich zu ergehen hatte, waren ihm teilweise unbekannt. Immer wieder schielte er zu dem Mann im weißen Kittel herüber. Für ein durchschnittliches Labor überraschend viel Sicherheit, dachte er, denn gerade wurde Till von oben bis unten intensiv gescannt. Schließlich öffnete sich die dicke Schutztür. Das eigentliche Labor war mit den neusten Geräten ausgestattet. Sauberer konnte es in keinem OP sein. Frank erkannte vier Arbeitsplätze. Nur vier Labormäuse für eine Firma, die von täglichen Kontrollen ihrer Produkte sprach? Auch wenn der Assénaba bei den Analysen half, es waren zu wenige Angestellte in diesem Bereich. Zugegeben, es war früh morgens und deshalb nur Till anwesend.
„Das hier ist der heilige Raum. Hier wird die Zusammensetzung der Imies verbessert.“
„Sind Sie der einzige Angestellte, der Dienst hat?“
Till sah ihn verblüfft an.
„Aber ja. Ich musste diese Nacht länger arbeiten.“
„Können Sie mir den Grund nennen?“
„Ach, ich habe letzten Monat bei der Mischung nicht gut genug gearbeitet. Deshalb musste ich diese Nacht eine zusätzliche Versuchsreihe durchführen.“
Er sah verärgert aus und schlug mit der Faust auf einen der Arbeitstische. Ein Glas fiel um und eine klebrige Flüssigkeit verteilte sich langsam. Es roch säuerlich und reizte die Nase. Frank ging einen Schritt zurück. Till schien das kleine Missgeschick gar nicht bemerkt zu haben.
„Wie sind die Arbeitszeiten?“
„Eigentlich recht gut. Jeder Skarei könnte diese Arbeit erledigen, aber sie müssen Menschen beschäftigen.“
Er zwinkerte Frank kurz zu, wahrscheinlich waren die Labormäuse wegen der Statistik eingestellt worden und der Arbeitsaufwand hielt sich in Grenzen.
„Was ist Ihnen bei der Mischung misslungen?“
Till sah ihn misstrauisch an. Jetzt würde es interessant werden.
„Sind Sie einer dieser Manager, der mich überprüfen will?“