Taras. Eine ukrainisch-deutsche Lebensgeschichte - Aenne Kürzel - E-Book

Taras. Eine ukrainisch-deutsche Lebensgeschichte E-Book

Aenne Kürzel

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Beschreibung

Sehr persönlich, mal auf traurige, mal auf humorvolle Art, schildert Aenne Kürzel Stationen aus dem leidvollen Leben des Ukrainers Taras Ruditsch, in dem es nach Tod und Trauer auf wunderbare Weise auch Geborgenheit, Freundschaft und Hoffnung gibt. Sie nimmt Anteil an den Ereignissen seiner traumatischen Kindheit und wird am Ende selbst zu einem Teil seiner Lebensgeschichte.

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Seitenzahl: 81

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Zu diesem Buch schreibt die Tochter der Autorin, Sabine Kürzel, im

Mai 2012:

In ihrem Buch schildert meine Mutter Stationen aus dem schicksalhaften, außergewöhnlichen Leben des Ukrainers Taras Dimitrowitsch Ruditsch aus Kiew, der Pilot der russischen Armee war und lange auf der Insel Sachalin lebte. Meine Mutter lernte Taras im Jahr 2001 kennen.

Seine Geschichte:

Taras flüchtet 1939 als 7-jähriger mit seinen Eltern aus der Ukraine nach Deutschland, da sein Vater von der Roten Armee verfolgt wird. Die Familie lebt 5 Jahre in Bad Oeynhausen bei Osnabrück. Im Juni 1944 verliert Taras durch einen Bombenangriff der Amerikaner auf den Bahnhof in Debrecen (Ungarn) seine gesamte Familie. Deutsche Fliegersoldaten bringen den verletzten 12-jährigen in ein Lazarett und anschließend nach Oberschlesien auf einen Gutshof. Als die russischen Soldaten dort eintreffen wird Taras abermals Zeuge schrecklicher Kriegsgeschehen. 1945 nimmt ihn die Familie Bruno und Elisabeth Kürzel

in Sachsen auf (meine Großeltern). Taras findet bei den Pflegeeltern ein neues Zuhause und freundet sich mit dem gleichaltrigen Sohn Klaus an (mein Vater) sowie mit den beiden Töchtern Ines und Rosemarie. Die

unbeschwerte Zeit in der Pflegefamilie dauert kaum zwei Jahre, denn 1946 muss er die Familie verlassen. Die Kommunisten, vor denen sein Vater geflüchtet ist, schicken den 14-jährigen Taras zurück in die Ukraine. Dort sucht er nach Verwandten, muss die russische Sprache erlernen und seine Kontakte nach Sachsen abbrechen.

Er wird Pilot bei der russischen Armee, heiratet und bekommt einen Sohn. 55 Jahre lang denkt er oft an seine Pflegeeltern Bruno und Elisabeth Kürzel, an Klaus, Ines und Rosemarie und hofft, sie eines Tages wiederzusehen.

Mit 69 Jahren findet Taras durch einen glücklichen Zufall in Ungarn eine Spur, die ihn zu meinem Vater führt. Mit dem Fernbus reist er aus Kiew nach Osnabrück, um meinen Vater in Berge wiederzusehen. Auch trifft er die Schwestern meines Vaters, Ines und Rosemarie, wieder. Er trägt u.a. ein Foto eines deutschen Soldaten bei sich, denn auch seine Spur möchte er gerne finden.

Der plötzliche Tod meines Vaters im Jahr 2004 trifft nicht nur meine Mutter, sondern auch Taras. Er verliert seinen Freund, den er gerade erst wiedergefunden hat. Bald findet Taras in meiner Mutter eine Weggefährtin,

die ihm zuhört, seine Geschichte aufschreibt und ihm dabei hilft, seine letzten „Missionen“ zu erfüllen – zusammen begeben sie sich auf eine Reise durch Ungarn und die Ukraine.

Nicht zuletzt ist es auch ein Buch über die Liebe zweier älterer Menschen, die durch die Reise in Taras schicksalhafte Vergangenheit zueinander finden.

für Taras

Inhaltsverzeichnis

1 Der Anruf

2 Das Wiedersehen

3 Die Fahrt nach Bad Oeynhausen

4 Die Fahrt nach Sachsen im Oktober 2001

5 Taras nächster Besuch im Jahr 2003

6 Die Fahrt nach Kiew

7 Besuch von Taras

8 Die Fahrt nach Ungarn und in die Karpaten

9 Eine Rückreise mit Hindernissen

Zu Taras Dimitrowitsch Ruditsch

Nachtrag von Sabine Kürzel

Die Autorin

1

Der Anruf

Sonntagnachmittag im Spätsommer 2001.

Wir trinken gerade Kaffee, als das Telefon klingelt.

Mein Mann Klaus nimmt ab.

Es meldet sich ein Herr Zimmermann aus der Schweiz:

„Sind sie Klaus Kürzel?“ fragt er.

„Ja – wieso?“ antwortet Klaus.

„Sagt Ihnen der Name Taras Ruditsch etwas?“

„Ja, mein Gott, das ist lange her, Taras, mein Freund aus Kindertagen, mein Pflegebruder!“ sagt Klaus erstaunt.

Herr Zimmermann erklärt: „Mit dem habe ich gestern gesprochen.

Es war in Ungarn, im Zug nach Debrecen. Er spricht noch recht gut Deutsch. Es ist sein größter Wunsch, einen Klaus Kürzel wiederzusehen. Ich habe ihm versprochen, per Internet zu suchen und freue mich sehr, dass ich Sie gefunden habe.

Ihre Telefonnummer werde ich an Taras Ruditsch weiterleiten.“

Es ist still geworden im Raum, die Gespräche sind verstummt. Jeder hält den Atem an. Man spürt, dass etwas Ungewöhnliches geschehen ist. Klaus ist ganz aufgeregt.

„Taras - das sind über 50 Jahre her. Mein Gott, ist das denn möglich?“ Er hat Tränen in den Augen und kann es kaum glauben. So oft hat er von Taras gesprochen, von den Kinderjahren erzählt, die sie gemeinsam verbracht haben. Wie traurig und voller Empörung alle waren, als Taras die Familie wieder verlassen musste. Meine Schwiegermutter hat oft gesagt: “Was mag wohl aus dem Taras geworden sein? Wenn der wüsste wo wir sind, würde er bestimmt kommen.“

Taras war nach dem Ende des zweiten Weltkrieges, im April 1945, als zwölfjähriger elternloser Junge von Klaus Eltern aufgenommen worden, die damals in Sachsen lebten. Er hatte mit Klaus zusammen die Oberschule in Nossen besucht. Sachsen gehörte zur sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und man war dabei, das kommunistische Regime zu errichten. Die Schulleiterin in Nossen, eine deutsche Kommunistin, war der Meinung, dass Taras, der in der Ukraine geboren war, nicht in einer deutschen Familie im Sinne des Regimes erzogen werden könne. Meine Schwiegereltern versuchten alles, um ihn zu behalten, aber die Politik war stärker. Ende November 1946 mussten sie ihn zur russischen Kommandantur bringen.

Nur einmal kam über diese Kommandantur ein Brief von ihm aus der Karpaten-Ukraine. Danach hatten sie nie wieder ein Lebenszeichen von ihm bekommen.

Klaus wartet nun jeden Tag auf eine Nachricht und nach etwa einer Woche kommt der Anruf:

“Klaus, das ist Taraaas!“

„Taras, wo bist Du?“

„Ich bin in Kiew, aber wo bist du?“

„In Berge.“

„Berge? Wo ist das? Sag` eine größere Stadt.“

„Osnabrück.“

„Osnabrück, Bielefeld, Bad Oeynhausen – das kenne ich.“

Sie tauschen ihre Adressen aus und Klaus will sofort für die Einladung seines Freundes ein Visum beantragen.

Klaus wundert sich: Taras lebt in Kiew, aber er kennt Osnabrück, Bielefeld und Bad Oeynhausen.

2

Das Wiedersehen

„Wie erkenne ich dich?“ fragt Klaus am Telefon.

„Ich seh’ aus wie Fidel Castro“ ist die Antwort von Taras.

Auf Anhieb erkennen sich beide in der Nacht auf dem Fernbusbahnhof in Osnabrück.

Sie sind sofort wieder auf der “gleichen Wellenlänge“ und erzählen von ihrem Leben. Klaus von unserer Familie, den drei erwachsenen Kindern und den zwei Enkelkindern.

Taras erzählt, dass seine Frau vor Jahren gestorben ist. Er hat einen Sohn, der in Kasachstan verheiratet ist und auch zwei Kinder hat.

Taras weint, als er nach den Eltern von Klaus fragt, nach Bruno und Elisabeth Kürzel, die inzwischen verstorben sind. „Aber Ines und Rosemarie, wie geht es ihnen?“ „Sie freuen sich schon auf dich,“ sagt Klaus, „sie kommen in ein paar Tagen zu meinem 70sten Geburtstag.“ Ines und Rosemarie sind die beiden Schwestern von Klaus.

Wir sind inzwischen zu Hause angekommen. Taras ist von der dreißigstündigen Busreise erschöpft, aber er öffnet zuerst einmal eine riesengroße kleinkarierte Plastiktasche und hat für jeden von uns Geschenke mitgebracht. Sogar einen großen Samowar für Tee hat er im Bus transportiert.

Es wird ein Begrüßungsschluck getrunken und wir erzählen fast die ganze Nacht. Die Zeit in Sachsen, die Klaus und Taras gemeinsam verbracht haben, wird wieder lebendig.

„Diese Zeit mit euch war für mich so wichtig,“ sagt Taras „sie hat mir soviel Kraft gegeben.“

Er hat seine alten Bilder mitgebracht und wir staunen, dass er diese Fotos nach so langer Zeit noch besitzt.

Bilder aus der Kinderzeit!

Sie zeigen Klaus und Taras zusammen auf einem Passfoto.

Einmal sitzen alle Kinder auf einem geschmückten Erntewagen, der von einem Esel gezogen wird. Es ist das erste Erntefest nach dem Krieg. Dabei trägt Ines ein Schild um den Hals auf dem “Jungbäuerin“ steht, und Taras ist mit dem gleichen Schild dekoriert, auf dem „Jungbauer“ steht. Rosemarie ist noch klein – vier Jahre alt.

Taras (rechts) mit seinen Pflegegeschwistern Rosemarie (links), Klaus und Ines Kürzel 1946 auf dem Gut Stockhausen bei Nossen in Sachsen. Das erste Erntefest nach dem Krieg.

Taras (rechts) mit seinem Pflegebruder Klaus Kürzel 1945

Taras Pflegeeltern Bruno und Elisabeth Kürzel

Taras Pflegeschwestern Ines (links) und Rosemarie Kürzel 1946

Dann zeigt Taras die einzelnen Blätter eines Poesiealbums. „Ja“ sagt er zu Klaus, „als damals die Nachricht kam, dass ich euch verlassen musste, habt ihr am 25. November 1946 alle in mein Album geschrieben, die Oma Lina, Tante Liesel, Onkel Bruno, Ines und du.“

Bete und arbeite. Sei treu und wahr. Denke stets an dein Elternhaus. Dein Pflegevater Bruno.

Sieh nicht was andere tun

Der Anderen sind soviel

Du kommst nur in ein Spiel,

das nimmermehr wird ruh’n.

Geh’ ruhig deinen Pfad,

lass Gott nur Führer sein.

Dann gehest du ganz grad,

und gingst du ganz allein.

Behüt dich Gott, lieber Taras u. alles Gute für Deine Zukunft.

Deine Pflegemutter

Lautitz, den 25.11.46        Elisabeth Kürzel

Mit Gott fang an, mit Gott hör`auf,

das ist der beste Lebenslauf.

In allen Stürmen in aller Not,

wird er Dich beschirmen,

der treue Gott.

Dies schreibt mein lieber Taras zur freundlichen Erinnerung an Deine Oma

„Alle Bilder und das Album habe ich wie einen Schatz gehütet. Ich hatte alles in der Ukraine in meinem Geburtsort Saritschewo in einem alten Schuppen versteckt.“

Die Tränen fließen und wir erfahren, wie Taras zu seinen Verwandten in die Ukraine gelangte.

„Von Nossen aus wurde ich in verschiedene Verteilungslager geschickt, wo ich mich registrieren lassen musste. Zunächst in Brandenburg und dann in Grodnow in Weißrussland. Ich erinnere mich, dass in diesen Sammel- oder Verteilungslagern unzählige heimatlose Menschen auf engstem Raum lebten. Es waren wohl ehemalige Gefangenenlager. Einmal wollte ich mir, da es sehr kalt war, die Hände an einem Ofen wärmen, der irgendwo in einer Ecke stand. Als ich zu meinem Schlafplatz zurück kam, hatte man mir meinen Koffer mit allen warmen Sachen, die mir Tante Liesel eingepackt hatte, gestohlen. Von der Lagerleitung bekam ich eine Decke und eine alte Militärjacke. Später wurde auch der Koffer gefunden. Die Kleidungsstücke waren verschwunden, aber Gott sei Dank waren die Bilder und mein Album usw. noch da.