Taste of Love - Rezept fürs Happy End - Poppy J. Anderson - E-Book
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Taste of Love - Rezept fürs Happy End E-Book

Poppy J. Anderson

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Beschreibung

Wie ist ihr Chef nur auf diese Idee gekommen? Journalistin Vicky soll undercover recherchieren - ausgerechnet in einem Kochkurs für Männer! Gegen ein ordentliches Steak hat Vicky zwar nichts einzuwenden, gegen ihren überheblichen Kochpartner Mitch dafür umso mehr. Als es zwischen Töpfen und Pfannen richtig heiß hergeht, muss Vicky sich jedoch eingestehen, dass sie auch den Mann neben sich ganz schön scharf findet. Ob seine Küsse genauso unwiderstehlich schmecken wie sein Pecan Pie?

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Inhalt

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Über dieses Buch

Wie ist ihr Chef nur auf diese Idee gekommen? Journalistin Vicky soll undercover recherchieren – ausgerechnet in einem Kochkurs für Männer! Gegen ein ordentliches Steak hat Vicky zwar nichts einzuwenden, gegen ihren überheblichen Kochpartner Mitch dafür umso mehr. Als es zwischen Töpfen und Pfannen richtig heiß hergeht, muss Vicky sich jedoch eingestehen, dass sie auch den Mann neben sich ganz schön scharf findet. Ob seine Küsse genauso unwiderstehlich schmecken wie sein Pecan Pie?

Über die Autorin

Poppy J. Anderson hatte schon immer eine große Schwäche für das Geschichtenerzählen, ihre ersten schriftstellerischen Versuche brachte sie bereits mit zwölf Jahren zu Papier. Nach ihrem Studium nahm sie allen Mut zusammen und stellte endlich einen ihrer Texte einem größeren Publikum vor. Mit umwerfendem Erfolg: Ihre witzigen Romane, die alle in den USA spielen und von der großen Liebe handeln, begeisterten so viele Leser, dass Poppy als erste deutsche Selfpublisherin zur Auflagenmillionärin wurde.Wenn sie nicht gerade schreibt oder über neue Geschichten nachdenkt, reist sie gerne an die abgelegenste Orte der Welt oder spielt zuhause in einer westdeutschen Großstadt mit ihren beiden Hunden Anton und Zipi.

POPPY J. ANDERSON

TASTE OF LOVE

Roman

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Originalausgabe

Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Steffi Korda, Hamburg

Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Unter Verwendung eines Motivs von © FinePic/shutterstock

eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-6082-0

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Boston, 2002

Vicky Miller fläzte sich auf ihrem Bett herum und starrte auf ihre Lernmaterialien, die sie auf dem Paisleymuster ihrer Tagesdecke ausgebreitet hatte. Jedenfalls tat sie so, als würde sie lernen und sich auf mathematische Kurvendiskussionen konzentrieren. Da Mathe jedoch ihre Stärke war und sie den Stoff längst im Kopf hatte, vertrieb sie sich lieber die Zeit damit, ihrem besten Freund verstohlene Blicke zuzuwerfen, der auf ihrem Schreibtischstuhl saß und die Stirn runzelte. Kenny hasste Mathe.

Oh, Pardon!

Fast hätte Vicky vergessen, dass Kenny nicht mehr Kenny genannt werden wollte, sondern Kenneth. Er fand nämlich, dass der Name Kenny nicht mehr zu einem Achtzehnjährigen passte, der bald aufs College gehen und die Highschool hinter sich lassen würde. Vicky hingegen fand das ziemlich albern, schließlich war sie selbst siebzehn Jahre lang Vicky gewesen und würde sich nicht plötzlich Victoria nennen, nur weil sie in einem Monat ebenfalls achtzehn werden würde. Lediglich ihr Dad nannte sie Victoria, aber auch nur dann, wenn sie etwas wirklich Schlimmes ausgefressen hatte – wie vor ein paar Monaten, als er sie mit einem Haschplätzchen erwischt hatte.

Himmel, hatte das ein Geschrei gegeben! Ihre Argumentationsversuche, dass Haschplätzchen sogar in der Palliativmedizin verwendet wurden, hatten ihren Dad nicht sonderlich beeindruckt. Er hatte ihr nicht nur Stubenarrest aufgebrummt, sondern auch verboten, zu Kennys Geburtstagsparty zu gehen.

Es war besonders bitter gewesen, den achtzehnten Geburtstag des Jungen zu verpassen, der immerhin ihr bester Freund war, seit seine Eltern mit ihm ins Haus nebenan eingezogen waren, und das war schon ein paar Jährchen her, denn die beiden hatten damals noch den Kindergarten besucht. Leider war ihr Dad rigoros gewesen und hatte sich nicht umstimmen lassen, obwohl Vicky alles versucht hatte. Die Tatsache, dass Kenny auch Gloria Nuniez, das gemeinste und hinterhältigste Biest der gesamten Schule, eingeladen hatte, war Vicky nicht aus dem Kopf gegangen, während sie daheim gesessen und sich gefragt hatte, was wohl gerade auf der Party los war. Am liebsten hätte sie Liz damit beauftragt, zu spionieren und auf Kenny aufzupassen. Doch ihre zwei Jahre jüngere Schwester wollte sie nicht in die Höhle des Löwen schicken. Seit Kenny nämlich ins Fitnessstudio ging und seine Brille durch Kontaktlinsen ersetzt hatte, war er plötzlich beliebt und hatte neue Freunde: Footballspieler des Highschoolteams. Wahre Rüpel, die die süße und schüchterne Liz vermutlich betatscht hätten, wenn Vicky nicht dabei gewesen wäre. Und so gerne Vicky auch gewusst hätte, ob Gloria Nuniez sich an Kenny heranmachte – es war ihr wichtiger, Liz nicht in die Nähe der Sportlerarschgeigen zu lassen.

Denn obwohl Liz die Jüngere war, sah sie älter aus, besaß nur leider nicht die große Klappe und das Durchsetzungsvermögen ihrer älteren Schwester und ließ sich nur allzu leicht herumschubsen. Wenn Vicky und Liz nebeneinanderstanden, hielt man Liz, die seit ihrem elften Lebensjahr einen BH trug, für die ältere Schwester und Vicky, die auch mit siebzehn noch flach wie ein Brett war, für deren kleinen Bruder.

Auch wenn Vicky ihre Schwester liebte, war sie manchmal ziemlich neidisch, denn Liz war sanft, etwas schüchtern, sie konnte wahnsinnig gut backen, hatte langes, wallendes blondes Haar und sah bezaubernd aus, wenn sie ein Kleid trug. Sie war so ziemlich alles, was Vicky nicht war – ein richtiges Mädchen.

Vicky war noch nie mädchenhaft gewesen. Sie konnte ihre Zunge nicht zügeln und sagte rundheraus, wenn ihr etwas nicht passte. Außerdem stellte sie sich in der Küche miserabel an, interessierte sich für Naturwissenschaften, ging mit ihrem Dad leidenschaftlich gern zu den Red Sox und war Vorsitzende des Mathematikclubs ihrer Schule. Weil sie mit langen Haaren wie ein Dorftrottel aussah, trug sie schon seit zwei Jahren eine Kurzhaarfrisur und war glücklich darüber, keine Zeit mit Kämmen, Bürsten und all den Haargels, Sprays und anderen Kinkerlitzchen verschwenden zu müssen, für die in den Zeitschriften geworben wurde, die ihre Mom las. Vicky hasste diese Dinger. Sie suggerierten ein Schönheitsideal, das am Computer entstanden war, und sagten Mädchen und Frauen, dass mit ihnen etwas nicht stimmte, weil sie nicht dünn, blond oder hübsch genug waren. Nur um dann für Produkte zu werben, mit denen Frauen angeblich dünner, blonder und hübscher sein würden. Selbst ihre fünfzehn Jahre alte Schwester hatte vor ein paar Monaten viel Geld für Eiweißshakes ausgegeben, die eine Bikinifigur in wenigen Tagen versprachen. Das Einzige, was Liz für ihr Geld bekommen hatte, war ein widerliches Gebräu gewesen, das bei ihr zu schlimmstem Durchfall und Pusteln im ganzen Gesicht geführt hatte.

Dabei musste Liz nicht abnehmen. Sie war fabelhaft so, wie sie war.

Und Vicky fand sich selbst auch eigentlich ganz in Ordnung, wenn sie so darüber nachdachte. Nur sahen das die meisten Jungs anders, denn die interessierten sich für Mädchen wie Gloria Nuniez – Mädchen mit langen Haaren, großen Möpsen und dick geschminkten Gesichtern. Vicky fiel dabei aus dem Raster.

Eigentlich hatte sie sich nie Gedanken darüber gemacht, worauf Jungs standen und worauf nicht, doch dann hatte Kenny begonnen, freitagsabends mit seinen neuen Kumpels um die Häuser zu ziehen, anstatt mit ihr in den Comicladen zu gehen, und mittags in der Schulmensa an dem Tisch zu sitzen, an dem sich die Footballspieler und die Cheerleader versammelten, anstatt mit Vicky über ebendiese Typen zu lästern und gleichzeitig über die neuesten Videospiele zu quatschen.

Ihr bester Freund verwandelte sich langsam in einen beliebten Schüler, und Vicky gefiel das überhaupt nicht. Sie hatte ihn schon gemocht, als er noch Zahnspange und Brille getragen und in seinem Chewbacca-Shirt zur Schule gekommen war.

Apropos Chewbacca: »Hast du schon den neuesten Trailer zur Episode II gesehen? Man sieht, wie Anakin seine Hand verliert, und kann Yoda kämpfen sehen«, fragte sie in die konzentrierte Stille hinein.

»Nö, noch nicht«, erwiderte Kenny abgelenkt und beinahe schon desinteressiert.

Ein wenig fassungslos starrte Vicky zu ihm rüber, denn sie erinnerte sich an sein Triumphgeschrei, als bekannt worden war, dass George Lucas neue Star-Wars-Filme plante. Sie fieberten der Premiere des zweiten Teils seit Monaten entgegen und waren einen Pakt eingegangen, sich nachts zusammen für Kinokarten anzustellen und den Film kostümiert anzusehen. Als stolze Absolventen des Jedi-Sommercamps von zweitausend, das sie zusammen besucht hatten, war es eine Ehrensache, im Kostüm ins Kino zu gehen. Noch wusste Vicky jedoch nicht, ob sie als Jedi-Ritter, Meister Yoda oder Prinzessin Leia gehen sollte. Für das Sturmtrupplerkostüm, mit dem sie seit zwei Jahren liebäugelte, hatte sie einfach nicht genug Kohle.

Da sie sich nicht anmerken lassen wollte, dass sie irritiert über Kennys Lustlosigkeit war, erzählte sie einfach weiter: »Steven aus dem Matheclub arbeitet seit ein paar Wochen im Roxy. Er hat mir versprochen, Bescheid zu geben, wenn er weiß, wann der Vorverkauf startet, damit wir uns die Karten kaufen können. Die Campingstühle habe ich auch schon aus der Garage geholt, damit wir es bequem haben, wenn wir uns die ganze Nacht in der Schlange um die Ohren schlagen.«

»Hör mal, Vicky, bei all dem Lernstress für den Abschluss ist es vielleicht keine gute Idee, nachts vor dem Kino zu sitzen, nur um an zwei Kinokarten zu kommen. Und besonders cool ist es auch nicht.«

Offenbar empfand Kenny nicht die gleiche glühende Vorfreude wie Vicky. Das war neu.

Sie fühlte sich wie vor den Kopf gestoßen, denn das mit den Karten war nicht nur Kennys Idee gewesen, sondern er sprach auch noch mit so viel abwertender Belustigung, dass sich Vicky kindisch und lächerlich vorkam. Und das aus dem Mund des Jungen, der noch zu seinem siebzehnten Geburtstag eine Power-Rangers-Torte bekommen hatte!

»Nun, ich denke, dass Tom uns vielleicht ja sogar Karten für die Premiere besorgen kann, ohne dass wir uns anstellen müssen«, entgegnete sie schmallippig.

»Ja, mal sehen.«

Mal sehen? In Vickys Ohren klang es so, als hätte Kenny plötzlich gar keine Lust mehr, ins Kino zu gehen. Vielleicht hatte er aber auch keine Lust, mit ihr ins Kino zu gehen.

Sie betrachtete das lustlose Gesicht ihres besten Freundes seit Kindheitstagen und fragte sich mit einem Anflug von Groll, warum er überhaupt rübergekommen war, wenn er doch den Anschein machte, lieber woanders sein zu wollen als hier. In den letzten Wochen hatte sie ihn sowieso nur selten zu Gesicht bekommen. Lieber vertrieb er sich seine Zeit mit seinen neuen Kumpels und schlich auffallend viel um ebenjene Gloria Nuniez herum, die erst vorgestern im Biologieunterricht gefragt hatte, ob Menschen ebenfalls wie Pflanzen aus Chloroplasten bestünden. Die hohle Nuss hatte nicht einmal die sarkastische Antwort der Lehrerin kapiert, als die meinte, dass Menschen genau deswegen so einen schönen grünen Teint besäßen.

Alles, was Gloria Nuniez dazu zu vermelden hatte, war »Das verstehe ich nicht, unsere Haut ist doch gar nicht grün« gewesen.

Das sagte doch alles, oder?

Aber Kenny hatte sie angesehen, als wäre jeder Pieps, den sie von sich gab, hochinteressant.

»Erklär mir noch mal, wie das mit dem Sattelpunkt ist«, bat Kenny sie ungeduldig. »Ich kapiere das einfach nicht.«

»Ein Sattelpunkt ist ein Wendepunkt mit gleichzeitig waagerechter Tangente«, hörte Vicky sich selbst sagen und hatte einen leisen Verdacht, warum Kenny heute plötzlich bei ihr aufgetaucht war. Sie war ein Mathe-Ass. Er war es nicht. Und Gloria Nuniez sowieso nicht.

»Ja, ja … das verstehe ich schon, aber die Ableitungen sind das Problem«, rief Kenny verzweifelt. »Ständig muss alles null ergeben. Das ergibt doch keinen Sinn.«

Vicky sah das etwas anders, denn Mathe war das einzige Fach in der Schule, das Sinn ergab. Philosophie beispielsweise ergab überhaupt keinen Sinn, weil wirklich alles, was man dort erwiderte, richtig war. Man konnte den größten Blödsinn der Menschheitsgeschichte von sich geben und hatte recht. Das war völlig unlogisch. Aber wenn man etwas berechnete, gab es nur eine Antwort. Drei und drei machte sechs. Sechs war also korrekt. Fünf und sieben waren es nicht. So einfach war das.

Oder wie Mr. Spock zu sagen pflegte: »Das ist nur logisch.«

Logisch war auch, Kenny zu helfen, denn auch wenn er zurzeit eine zweite Pubertät durchmachte und unter akuter Geschmacksverirrung litt, wollte sie nicht, dass er in Mathe durchfiel. Also schwang sich Vicky von ihrem Bett, setzte sich auf ihren Schreibtisch und streckte ihr Bein aus, während sie sich ihr Lineal schnappte.

»Was wird das?«, fragte Kenny misstrauisch und beäugte ihr fast nacktes Bein.

»Ich demonstriere dir, wie du einen Sattelpunkt berechnest«, entgegnete Vicky gelassen und stützte ihren Fuß auf seinem Knie ab, während sie das Lineal auf ihrem eigenen Knie balancierte. »Wie liegt das Lineal?«

»Auf deinem Knie. Apropos – warum hast du dort überall Schorf?«

Sie verdrehte die Augen. »Eine alte Kriegsverletzung vom Baseball. Könntest du dich bitte konzentrieren? Das Lineal liegt waagerecht. Und welcher Wert ist das?«

»Keine Ahnung. Zehn?«

»Null, Kenny, null«, widersprach sie forsch. »Es liegt komplett flach auf, steigt also nicht nach oben und sinkt auch nicht nach unten. Weder plus noch minus – also null. Der Winkel hat null Grad. Und das bedeutet, dass im Sattelpunkt die Kurven einen Winkel von null Grad haben müssen. Okay?«

»Okay.« Er runzelte die Stirn.

»Und den Winkel einer Kurve berechnet man mit der ersten Ableitung. Wie du am Lineal siehst, zeigt es den Winkel, den die Kurve im Sattelpunkt hat. Die erste Ableitung muss demnach null sein. Wir wissen also, dass ein kritischer Punkt vorliegt. Es könnte aber auch ein Extrempunkt und kein Sattelpunkt sein, also benötigen wir die zweite Ableitung. Die muss ebenfalls null ergeben. Um genau zu beweisen, dass es sich um einen Sattelpunkt handelt, brauchen wir die dritte Ableitung, die wiederum nicht null ergeben darf …«

»Mein Dad meinte, ich soll einfach die Funktionswerte links und rechts vom Sattelpunkt berechnen und bräuchte die zweite und dritte Ableitung nicht. Nur habe ich das überhaupt nicht kapiert. Ich bin völlig durcheinander. Erkläre mir das noch mal mit dem Extrempunkt.«

Vicky verstand: Sie war sozusagen Kennys letzte Hoffnung, nachdem er bereits mit seinem Dad Mathe geübt hatte und nicht schlauer war als zuvor. Er brauchte einfach nur jemanden, der ihm erklärte, wie er Funktionen berechnete.

Enttäuscht zog sie ihr Bein von seinem Knie hinunter und kam sich unendlich dumm vor. Er war nicht hier, um mit ihr über Star Wars zu reden oder um mit ihr Zeit zu verbringen wie früher, sondern weil er in Mathe schlecht war. Seine Freizeit verbrachte er mittlerweile lieber mit anderen. Mit Mädchen wie Gloria Nuniez, die sich Filme wie American Pie oder Center Stage anschauten und nicht im Chewbacca-Kostüm ins Kino gingen.

»Du hast mit deinem Dad Mathe geübt?«

Kenny schien ihren Stimmungswechsel nicht einmal zu bemerken. Er starrte wieder auf seine Notizen und nickte lediglich. »Das war ein tierisches Desaster. Wir haben uns total gestritten. Ständig hat er alles anders berechnet als wir im Unterricht.«

»Dein Dad ist schließlich auch Bauingenieur«, murmelte Vicky und rutschte von ihrem Schreibtisch. »Gleiches Ergebnis, andere Lösungswege.«

»O Mann! Da soll mal jemand draus schlau werden! Ich verstehe sowieso nicht, warum wir diesen Unsinn lernen sollen«, echauffierte er sich. »Wer braucht den Scheiß überhaupt? Mathe mögen doch sowieso nur Freaks und Nerds.«

Freaks und Nerds?

Das nahm Vicky persönlich, denn erstens mochte sie zufälligerweise Mathe und zweitens war Kenny selbst der größte Freak und Nerd gewesen, bevor ihm Haare am Sack gewachsen waren und er seine Zahnspange losgeworden war. Sie erinnerte sich noch sehr gut an den Tag, als er wie ein Schlosshund geheult hatte, weil er William Shatner am Flughafen getroffen und ein Foto mit ihm gemacht hatte. Und das war erst zwei Jahre her!

Liz hätte Kenny vermutlich nicht widersprochen, sondern ihm frische, selbst gebackene Kekse angeboten. Aber Vicky war eben nicht Liz. Wenn sie wütend war, ließ sie es raus.

Und so kam es, dass sie Kenny hochkant aus ihrem Zimmer warf.

Huntsville, Ohio, Gegenwart

»Könnt ihr euch das vorstellen? Die arme Maggie wird im nächsten Jahr erst sechzig Jahre alt und ist jetzt bereits Witwe.«

»Eine Schande ist das – so jung den Mann zu verlieren. Und dabei hat Owen nicht einmal Butter gegessen. Ich wusste nicht, dass man einen Herzinfarkt bekommen kann, wenn man keine Butter isst. Mein Onkel Paul hat bis zu seinem Tod haufenweise Butter gegessen. Er ist zwar an einer Kohlenmonoxidvergiftung gestorben, aber da war er schon achtzig! Die Butter hat ihn nicht umgebracht.«

»Wer wird jetzt den Laden führen? Wie soll Maggie das allein schaffen?«

Mitch blieb mit einem Napfkuchen in den Händen vor der Küchentür in seinem Elternhaus stehen und lauschte dem Gespräch der Freundinnen seiner Mutter, die sich erboten hatten, den Abwasch zu erledigen. Obwohl er es seit Jahren mied, allzu häufig in die Kleinstadt nach Ohio zu fahren, in der er aufgewachsen war, hatte er nicht vergessen, wie versessen die Frauen der Gemeinde auf Klatsch und Tratsch waren.

Oder wie Beerdigungen und der anschließende Leichenschmaus abliefen.

Was er jedoch nicht gewusst hatte, war, wie verdammt beschissen es sich anfühlte, wenn ein solcher Leichenschmaus in seinem Elternhaus abgehalten wurde, weil es sein Dad war, der beerdigt worden war.

Unschlüssig stand er also vor der Küche, starrte die Tür vor sich an und hielt Mrs. Parkers Napfkuchen in den Händen, den sie ihm gerade mit dem gut gemeinten Rat, es sich schmecken zu lassen, überreicht hatte. Was seine Mom und er mit den Tonnen an Aufläufen, Kuchen und anderen Fresspaketen anstellen sollten, wusste er nicht. Die Ironie an der Geschichte war, dass sein Dad tatsächlich an einem Herzinfarkt gestorben war, obwohl er ein eher mäßiger Esser ohne Vorliebe für Butter gewesen war, aber dass die Nachbarschaft angesichts der fettreichen Nahrungsmittel offenbar einen Cholesterinangriff auf seine Mom und ihn planten.

Niemand hatte damit gerechnet, dass sein Dad mit einundsechzig Jahren einen Herzinfarkt bekommen und daran sterben könnte – sozusagen über Nacht. Auch Mitch war aus allen Wolken gefallen, als ihn seine Mom an einem Sonntagmorgen aus dem Bett geklingelt und ins Telefon geweint hatte, dass sein Vater abends ins Bett gegangen und im Schlaf gestorben war. Selbst jetzt, nur wenige Tage später, konnte Mitch noch immer nicht glauben, dass sein Dad tot war, obwohl er vor zwei Stunden selbst Zeuge geworden war, wie der dunkelbraune Sarg in das ausgehobene Grab des städtischen Friedhofes hinuntergelassen worden war. Das beständige Quietschen durch einen schlecht geölten Seilzug war ihm dabei tierisch auf den Keks gegangen. Während er neben seiner Mom gesessen und ihre Hand gehalten hatte, waren das Quietschen immer lauter und die Stimme des Pfarrers immer leiser geworden. Gleichzeitig hatte Mitch daran denken müssen, dass das letzte Thanksgiving in einem lautstarken Streit zwischen ihm und seinem Dad geendet hatte und dafür verantwortlich war, dass Mitch weder zu Weihnachten nach Ohio geflogen war noch seither besonders viel mit seinem Dad gesprochen hatte.

Und nun war sein Vater tot, und so viele ungesagte Worte standen zwischen ihnen, die er jetzt nicht mehr loswerden konnte.

Mitch hatte immer geglaubt, dass sein Dad und er es irgendwann hinbekommen würden, sich wie zwei normale Erwachsene zu unterhalten, ohne in Streit zu geraten. Irgendwann – davon war er fest ausgegangen – hätte sein Dad endlich erkannt, was sein Sohn geleistet hatte, und er wäre stolz auf ihn, auch ohne dass Mitch den Eisenwarenhandel der Familie übernommen hatte. Bis dahin hatte Mitch weiter arbeiten und noch erfolgreicher werden wollen. Ein Vertragsabschluss hier, ein anderes profitables Geschäft dort – ein ehrgeiziger, ambitionierter Anwalt, der es aus einem kleinen Städtchen in Ohio bis in die Chefetage eines Großunternehmens in Boston geschafft hatte. Wie konnte ein Vater nicht auf seinen Sohn stolz sein, wenn er es bis dorthin gebracht hatte?

Ja, er hatte seinen Dad schmoren lassen wollen, weil es seinen Stolz verletzt hatte, dass sein Vater seine Erfolge nie zu beachten oder gar zu honorieren schien. Also war Mitch, anstatt sich mit seinem alten Herrn auszusöhnen, lieber um die Häuser gezogen, hatte seine Geschäftsabschlüsse gefeiert und das Leben eines beruflich erfolgreichen Junggesellen aus der Großstadt geführt.

Genau das hatte er auch in der Nacht getan, als sein Dad gestorben war.

Der Gedanke, dass seine Mom ihn angerufen hatte, als eine wildfremde Frau nackt neben ihm im Bett gelegen hatte, die Mitch erst am Abend zuvor in irgendeiner Bar kennengelernt hatte, machte ihm noch immer zu schaffen. Seine Mom wusste davon zwar nichts, aber es reichte, dass er es wusste.

»Es ist kein Geheimnis, dass Owen immer im Sinn hatte, das Geschäft an seinen Sohn zu übergeben …«

»Aber Mitch lebt doch in Boston. Ist er nicht Anwalt?«

»Ja, genau. Deshalb kam es doch auch zum Streit zwischen den beiden.«

»Sein Daddy wollte nie, dass er aus Huntsville wegzog.«

Mitch verdrehte die Augen.

Irgendwie war es tröstlich, dass sich in Huntsville nichts geändert hatte. Jeder wusste über jeden Bescheid und jeder mischte sich in das Privatleben des anderen ein. Der Unterschied zum Leben in einer Großstadt hätte immenser nicht sein können. Mitch lebte beispielsweise schon seit drei Jahren in seiner jetzigen Wohnung in Boston, aber er konnte nichts zu seinen Nachbarn sagen, außer dass sie ungewöhnlich oft den koreanischen Lieferdienst anriefen. Sie hätten ihm sicherlich niemals einen Napfkuchen vorbeigebracht, denn in einer Großstadt kümmerte man sich lediglich um sich selbst. Man beachtete erst dann seine Nachbarn, wenn sich in deren Wohnung seit Wochen nichts regte und komische Gerüche nach draußen drangen. Und selbst dann rief man die Polizei an und sah nicht persönlich nach.

Angesichts der Klatschtanten in der Küche seiner Mom war es nicht einmal das Schlechteste, sich in der Nachbarschaft rar zu machen.

Er räusperte sich laut, woraufhin die Frauen wie erwartet verstummten, und betrat mit einem schwachen Lächeln die Küche.

»Mrs. Parker hat einen Napfkuchen vorbeigebracht«, informierte er die Damen, die ihn verstohlen musterten.

Sechs von ihnen standen in der Küche verteilt und hielten Geschirrhandtücher in den Händen, mit denen sie das feine Porzellan seiner Mom abtrockneten, das Mrs. Jackson spülte, die bis zu den Ellenbögen im Wasser steckte und ihn neugierig musterte. Sie war es auch, die ihm heute Morgen ihre Enkelin Ashley vorgestellt hatte. Seit er vorgestern nach Huntsville gekommen war, hatte man ihm unzählige Frauen vorgestellt – Frauen, die gerade das College absolviert hatten, Frauen, die frisch geschieden waren, Frauen, die sich gerade von ihrem Mann getrennt hatten, und sogar Frauen, die gar nicht anwesend gewesen waren. Dolores McPherson hatte ihm nämlich ein Foto ihrer Nichte gezeigt und war nur mit Mühe davon abzuhalten gewesen, das Mädchen per Facetime anzurufen, damit er mit eigenen Augen sehen konnte, welch bezauberndes Geschöpf sie war.

Dolores’ Worte. Nicht seine.

Ehrlich gesagt war es ihm scheißegal, wie bezaubernd ihre Nichte war. Und es interessierte ihn keinen Deut, wer gerade frisch geschieden war. Verdammt, sein Dad war tot! Und er war nicht in der Verfassung, sich mit verkupplungswütigen Damen herumzuschlagen, die wenigstens ein bisschen Anstand hätten zeigen können, indem sie nicht wie üblich mit Fotos diverser Frauen vor seiner Nase herumwedelten. Offenbar vergaßen die Nachbarinnen seiner Mutter komplett, dass er nach Huntsville gekommen war, um seinen Vater zu Grabe zu tragen und sich um seine Mom zu kümmern. Mitch kam sich wie bei einer Folge des Bachelors vor, bei dem ihm – dem hoffnungsvollen Junggesellen – eine ganze Parade williger, hübscher und junger Frauen vorgeführt wurde, unter denen er sich seine zukünftige Partnerin aussuchen konnte.

Er war nicht auf Brautschau. Im Moment schon dreimal nicht.

Und wenn, würde er sich sicherlich nicht in Huntsville umschauen. Er hatte nicht die Absicht, sich an eine Frau vom Land zu binden, die nach dem ersten Date bereits ein Kennenlernessen der Eltern veranstaltete und so schnell wie möglich heiraten wollte, um dann einen Haufen süßer, kleiner Kinder zu produzieren. Nichts hätte auf Mitch abschreckender wirken können. Er bevorzugte Frauen aus der Stadt – emanzipierte, moderne und selbstbewusste Frauen, die Karriere machen wollten und nicht auf der Suche nach einem Ernährer waren. Frauen, die kein Problem damit hatten, unverbindlichen Sex zu haben, am nächsten Morgen zu verschwinden und sich ab und zu mit ihm zu treffen, wenn er oder sie Lust auf ein weiteres Mal unverbindlichen Sex hatten, und die wussten, dass sie nicht die Einzigen waren, mit denen er ein solches Arrangement hatte.

Er wollte Spaß haben.

Das Leben in einer Kleinstadt mit sonntäglichen Essen bei den Schwiegereltern, einem Kleinbus voller Kinder und einer Ehefrau klang nicht nach Spaß.

Aber so genau wollte er das den Damen, die sich als Kupplerinnen versuchten, nicht erklären. Vor allem nicht auf der Beerdigung seines Dads und in Anwesenheit seiner Mom, die momentan nicht sie selbst war. Lediglich seiner guten Erziehung war es zu verdanken, dass er sie nicht hochkant aus dem Haus warf. Und vielleicht hatte es auch ein kleines bisschen damit zu tun, dass er den Abwasch nicht allein bewältigen wollte.

»Ich kümmere mich um den Kuchen, Schätzchen.« Eilig nahm ihm Leona, die älteste Freundin seiner Mom, den Kuchen ab und zwinkerte ihm zu. Sie war auch die einzige der anwesenden Frauen, die ihm nicht ihre Tochter, Nichte oder Enkelin hatte andrehen wollen. Dankbar lächelte er zurück und kam sich wie ein Obskurum vor, das von allen Seiten beäugt wurde.

Da stand er nun in der Küche seiner Mom und befürchtete, gleich seinen Anzug von Tom Ford vollzuschwitzen, wenn er sich weiterhin wie das eingekesselte Opfer einer Gottesanbeterin fühlte. Weil er schon bedeutend kniffeligere und beängstigendere Situationen gemeistert hatte – immerhin war er Spezialist für schwierige Verhandlungen, in denen es um mehrere Millionen Dollar ging –, setzte er das charmanteste Lächeln auf, zu dem er angesichts der absurden Situation in der Lage war, und fragte höflich: »Kann ich euch helfen, Ladys? Ich bekomme ein ganz schlechtes Gewissen, wenn ihr hier die ganze Arbeit allein macht.«

Selbstverständlich kicherten die Frauen, während sie das Lieblingsgeschirr seiner Mom abtrockneten.

Eigentlich hatte Mitch seiner Mutter vorgeschlagen, ein Cateringunternehmen zu engagieren, das sich um das Essen und auch um das dreckige Geschirr gekümmert hätte, damit sie sich nicht mit solchen Dingen am Tag der Beerdigung herumschlagen musste, doch sie hatte darauf bestanden, alles selbst auszurichten – inklusive des feinen Meißner Porzellans, das sie wie einen Schatz hegte. Seine Mom hatte es schon immer geliebt, ein gemütliches Heim zu haben und ihre Gäste zu bewirten. Nur fürchtete Mitch, dass sie sich übernahm, schließlich schlief und aß sie nicht sonderlich gut, seit sein Dad gestorben war. Er machte sich Sorgen um seine Mutter. Sie war jetzt völlig allein und musste sich um das Geschäft kümmern, das sein Dad betrieben hatte. Es hatte nicht erst des Gesprächs der Frauen bedurft, das er gerade belauscht hatte, um sich Gedanken darüber zu machen, was jetzt mit dem Eisenwarenhandel und insbesondere mit seiner Mom geschehen sollte.

Das Geschäft war ihm ziemlich egal. Schon als Kind hatte er nie Interesse daran gehabt, seinem Dad im Laden zu helfen. Zwar kannte er sich mit Werkzeugen, Baumaterialien, Ketten, Schrauben und anderen Geräten aus, aber es war nie sein innigster Wunsch gewesen, hinter der Theke zu stehen und sie zu verkaufen, während er mit seinen Kunden Kaffee trank und Kataloge für Landwirtschaftsmaschinen wälzte. Das war das Leben seines Dads gewesen, aber nicht seines. Mitch hatte mehr gewollt. Und er hatte aus Huntsville wegziehen und etwas anderes, etwas Größeres sehen wollen. Für seinen Ehrgeiz hatte sein Dad kein Verständnis gehabt. Mitch dagegen hatte kein Verständnis dafür gehabt, dass sein Dad seine Träume nicht respektierte.

Aus diesem Grund empfand Mitch sogar einen gewissen Groll gegen den Eisenwarenhandel. Das Problem war nur, dass seine Mom in dem Geschäft ihres Mannes so etwas wie dessen Vermächtnis sah, weil sie wusste, wie sehr Mitchs Dad an seinem Laden gehangen hatte. Zwar hatte Mitch noch nicht mit ihr darüber geredet, aber er befürchtete, dass sie das Geschäft weiterführen wollte. Und das war ein Problem für ihn.

Er hatte kein schlechtes Gewissen gehabt, als er mit achtzehn aufs College gegangen und eigentlich nie zurückgekommen war, obwohl sein Dad ihm mehr oder weniger vorgeworfen hatte, ihn mit der ganzen Arbeit alleinzulassen. Bei seiner Mom sah es etwas anders aus, denn er bekam ja schon ein mulmiges Gefühl, wenn er darüber nachdachte, dass er in wenigen Tagen zurück nach Boston fliegen und sie allein lassen würde.

»Warum gehst du nicht wieder zu den Gästen und wir kümmern uns um den Abwasch?« Leona scheuchte ihn geradewegs aus der Küche, worüber Mitch eigentlich erleichtert gewesen wäre, wenn er nicht im Flur zurück in Richtung Wohnzimmer auf Candice Somerset getroffen wäre, der er bereits den ganzen Tag über erfolgreich aus dem Weg gegangen war.

Er wollte sich lieber unter die Gäste – die männlichen Gäste! – mischen oder nach seiner Mom sehen, anstatt Smalltalk mit der Frau zu betreiben, die ihm mit siebzehn Jahren den größten Schrecken seines Lebens eingeflößt hatte, als sie ihm während des Geschichtsunterrichts einen Zettel nach vorn gereicht hatte, auf dem stand, dass sie seit zwei Wochen überfällig war. Glücklicherweise war es falscher Alarm gewesen, aber nach dieser Episode hatte er sich geschworen, lieber doppelt zu verhüten und sich nicht darauf zu verlassen, wenn eine Frau ihm versicherte, dass sie die Pille nahm. Billy Rae Somerset hatte diese Lektion auf dem harten Weg lernen müssen, denn er war nach Mitch der Nächste gewesen, den Candice mit der Nachricht beglückt hatte, dass ihre Tage ausgeblieben waren. Nur dass es in seinem Fall kein falscher Alarm gewesen war.

Wenn Mitch darüber nachdachte, dass Billy Rae nicht aufs College gegangen, sondern stattdessen Ehemann und Vater geworden war und bei der Molkerei seines Onkels zu arbeiten begonnen hatte, konnte er sich glücklich schätzen, dass nicht er das arme Schwein gewesen war, das Candice zu einer ehrbaren Frau gemacht hatte. Die hatte sich nämlich von Billy Rae längst scheiden lassen, lebte mit den drei gemeinsamen Kindern im Haus, das Billy Rae von seiner Großmutter geerbt hatte, und bekam jeden Monat Alimente für sich und die Mädchen, während Billy Rae wieder bei seinen Eltern eingezogen war.

»O Mitch, das mit deinem Daddy tut mir ja so leid. Du Ärmster!«

Bevor er es verhindern konnte, hatte Candice ihn umarmt und hielt ihn ein bisschen zu lang und zu fest an ihren kurvenreichen Körper gepresst. Nicht, dass er etwas gegen kurvenreiche Frauen einzuwenden hatte! Mitch mochte es, wenn Frauen große Brüste, schmale Taillen und sanft gerundete Hüften besaßen und genau diese Kurven in hübsche Kleider packten. Schon als Kind war er ganz verrückt danach gewesen, seine Geschenke aus ihren bunten Verpackungen auszuwickeln und nachzusehen, was sich darunter versteckte. Mit Frauen ging es ihm ähnlich.

Er konnte nichts dafür, dass er gepflegte Frauen mit samtweicher Haut, vollen Lippen und aufwendigen Frisuren, die sich ihre Fingernägel lackierten, Spitzenunterwäsche trugen und wunderbar rochen, denen vorzog, die den natürlichen Stil bevorzugten und einem Rasierer nicht zu nahe kamen.

Was er jedoch nicht mochte, war, in einer Parfümwolke beinahe zu ersticken und auf der Beerdigung seines Dads einen Trockenfick von seiner Jugendfreundin zu bekommen, die sicherlich auf der Suche nach ihrem nächsten Opfer war. Dafür sprach das schwarze Kleid, das für eine Beerdigung etwas zu freizügig war, schließlich hatte Mitch einen fabelhaften Blick direkt auf ihre Brüste.

»Danke, Candice«, erwiderte er höflich und schaffte es, sie von sich zu schieben, ohne dass es zu auffällig geworden wäre, dass er sie loswerden wollte. »Nett, dass du vorbeigeschaut hast.«

»Das ist doch selbstverständlich«, gurrte sie und schaute ihn aus ihren dunkelgrünen Augen mitfühlend an. »Es muss für deine Mom und für dich ganz furchtbar sein, dass dein Dad gestorben ist. Er war noch so jung!«

»Hm.« Was sollte er darauf schon antworten? Außerdem hatte er diesen oder einen ähnlichen Satz heute schon so oft gehört, dass ihm keine passende Antwort mehr einfiel. Ja, sein Dad war jung gewesen, und für ihn, aber insbesondere für seine Mom war es schrecklich, dass sein Vater tot war – aber dadurch, dass man es ihm alle fünf Minuten sagte, wurde es nicht besser. Vermutlich hatte er seine Mom genau aus diesem Grund schon seit einigen Minuten nicht mehr gesehen, weil sie die vielen Beileidsbekundungen ebenfalls nicht mehr hören konnte.

Zwischen Candice und ihm breitete sich Schweigen aus. Gerne hätte sich Mitch einfach bei ihr entschuldigt und sich an ihr vorbeigeschoben, um ins Wohnzimmer zu gelangen, aber bevor er den Mund öffnen konnte, stieß sie einen dramatischen Seufzer aus und musterte ihn nachdrücklich.

»Gut siehst du aus, Mitch.«

»Danke. Du auch.«

Sie gab ihm einen freundschaftlichen Klaps gegen den Oberarm und klimperte mit den Wimpern. »Du Schmeichler. Ich muss furchtbar aussehen. Die Trauerfeier war so bewegend, dass ich nicht an mich halten konnte und ein paar Tränen vergossen habe.«

Er fragte sich mit einem Anflug von Sarkasmus, was sie so bewegend gefunden hatte. Das Quietschen des Seilzuges oder die unpersönliche Trauerrede des Pfarrers, der den Namen seines Dads nur dreimal genannt hatte?

»Man bekommt dich zu Hause ja kaum noch zu Gesicht«, beschwerte sie sich lächelnd und verzog dabei ihren rot geschminkten Mund zu einem Schmollen.

Mitch zuckte mit den Schultern. »Ich bin beruflich eingespannt und kann daher nicht sehr häufig herkommen.«

Nachdenklich musterte sie ihn. »Also besteht nicht die Möglichkeit, dass du zurück nach Huntsville ziehst, um deiner Mom zu helfen und das Geschäft zu übernehmen? Ich hätte mich nämlich gefreut, dich mal wieder öfter zu sehen.«

»Nein, ich fürchte, das wird nicht passieren«, wehrte Mitch rasch ab. Allein die Vorstellung, dass er seinen Job, für den er so hart gearbeitet hatte, aufgab, um zurück in die Kleinstadt zu ziehen und das verhasste Geschäft seines Dads zu übernehmen, ließ ihn in Schweiß ausbrechen.

»Das ist wirklich schade«, raunte sie ihm zu. »Lass es mich wissen, wenn du in der Stadt bist, Mitch.«

»Mach ich«, versprach er ihr und nahm sich gleichzeitig fest vor, es nicht zu tun.

Eins musste man Candice lassen: Sie wusste, wann man den Rückzug antreten musste, denn sie gab ihm einen Abschiedsschmatzer auf die Wange, drehte sich um und verschwand wieder. Mitch verspürte pure Erleichterung und machte sich auf die Suche nach seiner Mom. Er fand sie, nachdem er es der Frau des Pfarrers überlassen hatte, einen weiteren Napfkuchen an der Tür entgegenzunehmen, und nachdem er die Beileidsbekundungen seiner früheren Mathelehrerin höflich angenommen hatte, im Garten, wo sie auf der Hollywoodschaukel saß und Leonas beiden Enkelkindern beim Spielen zusah.

Die plötzliche Ruhe, die nicht einmal durch das friedliche Geplapper der beiden Kinder gestört wurde, tat gut und lullte ihn sogar ein wenig ein. Der ganze Tag war so voll von Menschen und Gesprächen sowie Kuchen und Aufläufen gewesen, dass Mitch erst jetzt das Gefühl hatte, zu Atem zu kommen.

Seiner Mom schien es genauso zu gehen. »Bist du auch von drinnen geflohen?«, fragte sie leise.

Er wollte ihr nicht sagen, dass er das Gefühl hatte, von allen heiratswilligen Frauen aus halb Ohio verfolgt zu werden – und dass er, je länger er hier war und Gäste traf, desto mehr von Erinnerungen heimgesucht wurde, die er lieber verdrängte. Daher erwiderte er stattdessen: »Eigentlich wollte ich nach dir sehen, Mom. Du bist schon so lange verschwunden, dass ich mir Sorgen gemacht habe.«

An ihrem Profil sah er, dass sie schwach lächelte, während sie mit ihrer rechten Hand tröstend auf seinen Oberschenkel klopfte. »Mit mir ist alles fein.«

Wenn seine Mom fein sagte, meinte sie es immer anders – so wie damals, als sein Hund eingeschläfert werden musste oder als sein Dad herausgefunden hatte, dass der dicke Kratzer an seinem Buick von ihm stammte. Nichts an jenen Situationen war fein gewesen. Ganz im Gegenteil.

Es ging ihr alles andere als gut. Dafür sprachen auch die geschwollenen Augenlider sowie die Schatten unter ihren sonst so fröhlichen Augen. Mit einem Mal sah seine Mom nicht mehr wie die lebenslustige Frau aus, die jedes Jahr zu Halloween das Haus in ein Gruselkabinett verwandelte und Mitch zu jedem Geburtstag seinen Lieblingskuchen per Kurierdienst nach Boston schickte, weil sie wusste, dass er nicht einmal einen Fertigkuchen in den Backofen schieben konnte.

Plötzlich sah seine Mom alt und müde aus, wie sie neben ihm in diesem hochgeschlossenen schwarzen Kleid und mit der strengen Frisur auf der Hollywoodschaukel saß. Und mit einem Mal erkannte Mitch, dass seine Mom nicht nur seine Mom war, sondern auch eine Frau, die von einer auf die andere Minute Witwe geworden war – eine Ehefrau, die jetzt keinen Ehemann mehr hatte. Sie musste sich furchtbar allein fühlen, nachdem ihr Mann heute beerdigt worden war. Denn ehrlicherweise musste Mitch zugeben, dass er bisher keine große Unterstützung gewesen war. Außerdem war Boston einfach verdammt weit weg.

Er begann sich Sorgen um sie zu machen. Das hatte er bei seinem Dad versäumt. Bei seiner Mom würde ihm nicht der gleiche Fehler passieren.

»Du siehst müde aus, Mom. Willst du dich nicht etwas hinlegen?«

»Wir haben Gäste im Haus, Mitch.«

»Na und?« Er hätte kein Problem damit, die Gäste rauszuwerfen. Ein wenig Ruhe hätte ihnen beiden gutgetan.

»Ehrlich gesagt bin ich froh, dass das Haus voller Menschen ist. So bin ich wenigstens beschäftigt. Sonst würde ich zu viel nachdenken.«

Das klang verständlich. Nichtsdestotrotz wollte er nicht, dass sie vor Stress zusammenklappte. »Aber vielleicht solltest du doch darüber nachdenken, dich ein bisschen auszuruhen. Der Tag war anstrengend, Mom.«

»Ich kann mich später ausruhen.« Sie tätschelte wieder sein Bein. »Wie geht es dir, mein Schatz?«

»Ich komme klar.« Das war nur die halbe Wahrheit, denn Mitch wusste selbst nicht, wie es ihm ging. Ja, er kam klar, aber das sagte nichts über die Tatsache, dass er seit dem Anruf seiner Mom nicht schlafen konnte und ständig über den letzten Streit mit seinem Dad nachdenken musste. Jedes Wort, das zwischen ihnen gefallen war, rekapitulierte er immer und immer wieder. Wenn er geahnt hätte, dass dies sein letztes wirkliches Gespräch mit seinem Dad gewesen war, hätte er sich versöhnlicher gegeben.

Die Beziehung zu seinem Dad konnte er jetzt nicht mehr kitten. Aber er konnte sich mehr um seine Mom kümmern.

»Vielleicht solltest du dir nach der Beerdigung etwas Zeit für dich nehmen, Mom«, wagte er sich vor. »Einen Urlaub machen zum Beispiel, um auf andere Gedanken zu kommen.«

Seufzend schüttelte sie den Kopf. »Es ist lieb, dass du dich um mich sorgst, aber wenn ich jetzt allein in den Urlaub fahre, habe ich viel zu viel Zeit, um nachzudenken. Der Alltag und die Arbeit im Laden werden mich ablenken können.«

»Eigentlich dachte ich, dass wir beide in den Urlaub fahren könnten, Mom.«

Sie wirkte erstaunt und blinzelte ihm zu, bevor sie sanft lächelte. »Mitch, das musst du nicht tun. Du musst nicht mit deiner Mutter in den Urlaub fahren, weil du sie ablenken willst.«

»Mom …«

»Außerdem würdest du dir doch sicherlich nicht so lange freinehmen können, Mitch. Dein Job ist schließlich sehr wichtig.«

»Ich kann mir so lange freinehmen, wie ich möchte«, beruhigte er sie und hatte gleichzeitig ein schlechtes Gewissen, dass seine Mom hier am Tag der Beerdigung ihres Mannes saß und sich Sorgen darum machte, was mit seinem Job war.

Sie war allein. Es war seine Aufgabe, sich um seine Mom zu kümmern, nachdem es sein Dad nicht mehr konnte. Mitch hatte das Gefühl, es nicht nur seiner Mutter schuldig zu sein, sondern auch seinem Vater. Der hätte nicht gewollt, dass seine Frau einsam zurückblieb. Mittlerweile war Mitch dreiunddreißig Jahre alt und nicht mehr achtzehn. In seinem Alter musste er Verantwortung für seine Familie übernehmen.

»Was hältst du davon, wenn wir einen Urlaub buchen? Du wolltest doch schon immer in die Karibik. Oder wie fändest du eine Kreuzfahrt?«

Wenigstens hatte er sie aufgemuntert, weil sie leise lachte. »Mitch, ich bin deine Mom und nicht deine Freundin. Du musst nicht mit mir eine Kreuzfahrt machen.«

Eigentlich fand er nichts grauenvoller als Kreuzfahrten und würde vermutlich bereits am frühen Morgen stockbetrunken sein, um die Polonaise tanzenden Rentner am Oberdeck ertragen zu können, aber für seine Mom würde er sich diesem Horror aussetzen. Mit den Frauen, die auf den Begriff Freundin wohl am ehesten zutrafen, würde er das nicht tun. Aber er würde sowieso nicht mit ihnen in den Urlaub fahren, denn das entsprach nicht der unverbindlichen Beziehung, die er mit ihnen eingegangen war.

»Es gibt viele Söhne, die mit ihrer Mom auf Kreuzfahrt gehen«, betonte er und erhielt als Antwort ein belustigtes Schnauben.

»Ja, aber diese Söhne rasieren sich vermutlich die Beine, trinken Appletinis und gehen zu Celine-Dion-Konzerten.«

Mitch verdrehte die Augen. »Ich muss nicht schwul sein, um mit meiner Mom Zeit zu verbringen.«

»Das stimmt, aber du musst auch nicht mit mir in den Urlaub fahren, weil dein Vater gestorben ist, Schatz. Ich komme gut allein klar.«

Er nahm ihre Hand in seine. »Ich weiß, dass du gut allein klarkommst, Mom. Vielleicht will ich dir einfach etwas Gutes tun.« Seine Stimme wurde leiser und einfühlsamer. »Dad ist tot, und ich möchte dich nicht allein lassen.«

Seine Mutter lehnte sich gegen ihn und sagte erst einmal nichts.

Mitch dachte schon, dass sie entweder zu weinen beginnen oder weiterhin schweigen würde, als sie mit zittriger Stimme erklärte: »Das ist wirklich rührend von dir. Und ich verstehe, dass es dir schwerfällt, mich allein zu lassen, Mitch. Aber ich bin eine erwachsene Frau. Mir geht es gut. Versprochen.«

Er ahnte, dass sie sich nicht umstimmen lassen würde, deshalb hielt er fürs Erste die Klappe. Aber irgendetwas würde er tun, denn der Gedanke, dass seine Mom allein in Huntsville leben und sich um den Eisenwarenhandel seines Dads kümmern würde, behagte ihm nicht. Nicht ein bisschen.

Zur gleichen Zeit in Boston

»In meinen Augen ist das Diskriminierung! Darf er das überhaupt?«

»Er ist der Chefredakteur, Vicky, also wird er das … Nick! Gib ihr nicht noch einen Keks! Sie hatte schon einen.«

»Aber es war nur ein ganz kleiner, Schatz. Nicht der Rede wert.«

»Sie wird keinen Hunger haben …«

»Schau dir ihren hungrigen Blick an, Claire«, protestierte der stolze Vater. »Ein magerer Keks macht meine Tochter doch nicht satt!«

»Wofür stehe ich eigentlich hier in der Küche und koche Brei aus biologisch angebauten Karotten, wenn du sie mit Keksen vollstopfst?«