Tess Carlisle (Band 3): Jägergrab - Nicole Schuhmacher - E-Book

Tess Carlisle (Band 3): Jägergrab E-Book

Nicole Schuhmacher

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Beschreibung

Ist das Leben nicht merkwürdig? Meins schon. Hin und wieder zumindest. Also … in letzter Zeit sogar recht häufig. Fast immer, kann man sagen. In einem Moment droht die Welt unterzugehen und im nächsten frage ich mich, warum sich plötzlich alles um Kotze dreht und ob es wirklich so eine gute Idee ist, wenn meine Eltern mir ein Profil auf einer Datingseite anlegen. Als wäre die heldenhafte Opferung unseres dämonischen Mitbewohners zum Wohle des irdischen Fortbestehens nicht schon schlimm genug, muss ich mich nun auch noch mit einer Unzulänglichkeit herumschlagen, die mich nicht nur sprichwörtlich zur Weißglut bringt. Aber hey, mein Name wäre nicht Tess Carlisle, wenn ich nicht jede Katastrophe für mich entdecken würde. Wovon diese Geschichte konkret handelt? Keine Ahnung. Sag du es mir. Den roten Faden in meinem Leben hat das Backenhörnchen schon längst durchgebissen. Kontinuität brauchen wir hier wirklich nicht mehr zu suchen. Aber dafür haben wir jetzt einen eigenen Fla… Oh nein, die Überraschung will ich nicht vorwegnehmen. Ist doch viel spannender, wenn ihr es selbst herausfindet. Vielleicht trinke ich solange mit dem Teufel einen Kaffee. Und das ist noch nicht einmal … Ach, was sag ich … Ihr kommt schon selber drauf …

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Informationen zum Buch

Impressum

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Dank

 

Nicole Schuhmacher

 

 

Jägergrab

Tess Carlisle (Band 3)

 

 

Fantasy

 

 

 

Tess Carlisle (Band 3): Jägergrab

 

Ist das Leben nicht merkwürdig? Meins schon. Hin und wieder zumindest. Also … in letzter Zeit sogar recht häufig. Fast immer, kann man sagen. In einem Moment droht die Welt unterzugehen und im nächsten frage ich mich, warum sich plötzlich alles um Kotze dreht und ob es wirklich so eine gute Idee ist, wenn meine Eltern mir ein Profil auf einer Datingseite anlegen. Als wäre die heldenhafte Opferung unseres dämonischen Mitbewohners zum Wohle des irdischen Fortbestehens nicht schon schlimm genug, muss ich mich nun auch noch mit einer Unzulänglichkeit herumschlagen, die mich nicht nur sprichwörtlich zur Weißglut bringt. Aber hey, mein Name wäre nicht Tess Carlisle, wenn ich nicht jede Katastrophe für mich entdecken würde. Wovon diese Geschichte konkret handelt? Keine Ahnung. Sag du es mir. Den roten Faden in meinem Leben hat das Backenhörnchen schon längst durchgebissen. Kontinuität brauchen wir hier wirklich nicht mehr zu suchen. Aber dafür haben wir jetzt einen eigenen Fla… Oh nein, die Überraschung will ich nicht vorwegnehmen. Ist doch viel spannender, wenn ihr es selbst herausfindet. Vielleicht trinke ich solange mit dem Teufel einen Kaffee. Und das ist noch nicht einmal … Ach, was sag ich … Ihr kommt schon selber drauf …

 

 

Die Autorin

Nicole Schuhmacher, geboren im Mai 1987 in der wunderschönen Sächsischen Schweiz, lebt und arbeitet auch noch heute in einem kleinen Ort in Ostsachsen. Ihre Liebe zum Schreiben entdeckte sie im Teenageralter und frönte dieser Leidenschaft jahrelang als exzessive Verfasserin von Fanfictions. Nicole ist außerdem Cosplayerin, Disney-Verehrerin, Musical-Gängerin und Hunde-Mama. Sie bezeichnet sich selbst als Fangirl, Superhelden-Süchtling und Vampir-Lady. Die bekennende Tagträumerin mag außerdem: Meerjungfrauen, Comics, Zombies und völlig unnütze glitzernde Sachen (PINK! Sie müssen PINK sein!!!1!!11!!!). Sie liebt ihre Playstation, Mangas und Animes, Uniformen, Knoblauch, die Ich-Erzählperspektive, ausgefallene Haarfarben und natürlich Bücher!!! Übrigens ist sie als Baby einmal ganz unglücklich vom Wickeltisch gefallen und hält eigentlich überhaupt nichts von diesen übermäßig seriös wirkenden Autorenporträts … ;D ›Jägerseele‹ ist ihr Debütroman.

 

www.sternensand-verlag.ch

[email protected]

 

1. Auflage, November 2021

© Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2021

Umschlaggestaltung: Alexander Kopainski

Lektorat/Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH | Natalie Röllig

Korrektorat 2: Jennifer Papendick

Satz: Sternensand Verlag GmbH

 

ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-217-5

ISBN (epub): 978-3-03896-218-2

 

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

 

Für alle, die den roten Fadennoch immer nicht gefunden haben.

 

Kapitel 1

 

Was unternimmt man, wenn die Angst so groß ist, dass sie einen zu verschlingen droht?

Man sperrt sie in den hintersten Winkel seines Bewusstseins, um nicht den Verstand zu verlieren und wenigstens ansatzweise rational zu reagieren.

So die Theorie. Die Praxis sieht da schon ganz anders aus.

»Wie sitzt meine Frisur?«

Ich frage das, obwohl wir aufgrund des soeben stattfindenden Erdbebens kaum aufrecht stehen können.

»Was?!«, will Puck, der völlig zurecht perplex guckt, mit kraus gezogener Stirn von mir wissen.

Ohne darauf einzugehen, kratze ich Reste roten Lacks von meinem Nagelbett.

»Was machst du denn?«, erkundigt er sich.

Meine Beine zittern so sehr, dass ich dem Drang nachgebe und mich auf staubigen Boden plumpsen lasse.

Puck der Wichtel, mein kleiner garstiger Begleiter, ist nicht etwa ein Schulterteufelchen oder das Resultat einer drohenden Psychose. Er ist noch immer mein Vermieter und bester Freund, was ich jedoch nur unter schlimmster Folter zugeben würde. Und ich bin auch nicht die minderbemittelte Tochter irgendeines Hinterwäldlers, wie man vielleicht meinen könnte. Ich bin Tess Carlisle, Kautionsdetektivin und Chaosmagnet aus New Orleans, der ›Wiege des Jazz‹, dem ›Big Easy‹, dem …

Nein! Ein Fleck! Auf meiner Hose!

Ich benetze meinen Zeigefinger mit Spucke und rubble, was das Zeug hält.

Was ist das? Cocktailsoße?

Heute ist wirklich nicht mein bester Tag.

»T. C., das ist doch jetzt scheißegal. Niemanden interessiert, wie du aussiehst.«

Diese Aussage ist so nicht ganz richtig. Mich würde es sehr wohl stören, sollte man unsere Leichen in so desolatem Zustand finden.

Ich krieche zurück zum Wagen und brauche drei Anläufe, um mich an der geöffneten Beifahrertür hochzuziehen.

Warum muss hier auch alles so doll wackeln?

Im Seitenspiegel überprüfe ich den Sitz meines Make-ups.

Ach so. Ich trage ja gar keins.

Moment. Sitzt da eine Ratte auf meinem Kopf?

»T. C.!«, ruft Puck und bringt mich dazu, von dem jämmerlichen Spiegelbild abzulassen. »Könntest du dich einmal zu mir beugen?«

Ich folge seiner Bitte, obwohl ich mich schon ein wenig darüber wundere.

Was will er tun? Mir Essensreste aus dem Mundwinkel wischen? Das ist so lieb von ihm.

»Festhalten, Alvin.«

Alvin? Ist das der Name der Ratte? Ich kann mich an kein Nagetier erinnern. Woher stammt der plötzliche Gedächtnisverlust? Mir dünkt, ich verdränge da eine Kleinigkeit. Vielleicht kommt die Erinnerung zurück, wenn …

Mein Kopf fliegt zur Seite, als ich geohrfeigt werde und vor lauter Erstaunen darüber geräuschvoll aufkeuche.

»Ich weiß, du stehst vermutlich unter Schock«, unterstellt mir der Wichtel. »Aber könntest du bitte aufhören, so eine einfältige Kuh zu sein und wieder zu der T. C. werden, die ich kenne? Mach dir keine Gedanken. Danny wird das Kind schon schaukeln, da bin ich mir sicher. Gib ihm noch ein paar Minuten.«

Danny? Danny … Danial!

Mein … unser lieber guter Danial ist in die Hölle gefahren, um den Tag des Jüngsten Gerichts abzuwenden … vorerst.

Wie zur Bestätigung des Gedachten erhebt sich infernalischer Lärm um uns. Der Wind heult, entwickelt sich zum Sturm, ein Feuerball zeigt sich am Himmel und vergeht in der Nacht, eine Explosion dringt zu uns herüber und das Beben der Erde dröhnt in unseren Körpern.

Eine Sekunde später ist es vorbei. Schlagartig. Mit einem Mal ist es so still, dass ich das Blut in meinen Ohren rauschen höre und Roberts (keine Ratte, sondern ein Backenhörnchen!) rasselnde Atemgeräusche. Meine Beine zittern noch immer, aber nur, weil die Erdstöße in meinem Inneren nachhallen.

»Siehst du?«, fühlt sich Puck in seiner Ansprache bestätigt. »Alles wieder tutti paletti.«

Ich wage kurz, aufzuatmen und mich zu räuspern. Vielleicht sind wir ja doch noch mal ganz knapp an der großen Katastrophe vorbeigeschrammt.

 

Ein Tränenschleier trübt meine Sicht und hindert mich daran, dem Straßenverlauf die Aufmerksamkeit zu schenken, die er vernünftigerweise verdient hätte. Dicke Tränen quillen durch angestrengtes Blinzeln aus meinen Augen und kullern über brennende Haut. Ich umschließe das Lenkrad des Hondas so fest, dass meine Fingerknöchel weiß hervortreten. Ein Schweißfilm bildet sich auf dem Steuer, was mich nur noch stärker zupacken lässt, bevor ich die Nase hochziehe und laut schluchze.

»Könntest du endlich aufhören zu heulen?!«

Pucks Stimme reißt mich aus meiner Traurigkeit. Für einen kurzen Moment fühle ich nicht mehr die unerträgliche Sorge um Freunde, Familie und den Fortbestand der Menschheit, sondern Wut darüber, dass mein wichteliger Beifahrer selbst in einer Situation wie dieser nur am Meckern ist.

»Entschuldige, dass ich gerade einen Nervenzusammenbruch habe!«, keife ich, wobei die Angst in meinen Knochen mich dazu bringt, unkontrolliert zu zittern.

Mein Fuß liegt wie Blei auf dem Gaspedal, als wir durch die nächtliche Wüste New Mexicos heizen. Umgestürzte Strommasten und liegen gebliebene Fahrzeuge säumen unseren Weg entlang der Interstate 40. Die aufgeblendeten Scheinwerfer meines Hondas tauchen eine kleine Ortschaft namens Prewitt an der Route 66 in geisterhaftes Licht. Kein Wesen ist in dieser dunkelsten aller Nächte unterwegs. Jeder, der genug Verstand besitzt, hat sich nach den Ereignissen der letzten Stunden in seinen vier Wänden verschanzt. Oder in einem Atomschutzbunker. Außer wir natürlich.

»Jetzt übertreib mal nicht«, spielt Puck das Geschehene herunter. »So schlimm war es doch gar nicht.«

»War es nicht?«, frage ich und wische mir die Rotznase am Unterarm ab, um anschließend loszubrüllen. »War es nicht?!«

Selbst Robert, unser voodooverzaubertes Backenhörnchen vom Dienst, der seit geschlagenen zehn Minuten aufgebracht über die Armaturen des Kleinwagens flitzt, kommt endlich zur Ruhe und sieht mich aus großen Hörnchenaugen erschrocken an.

»Die Welt wäre fast den Bach runtergegangen, und das nennst du ›nicht schlimm‹?«

Eine Steppenhexe wird kurz vor der Abfahrt nach San Rafael über die Straße geweht. Ich erschrecke dermaßen vor der rollenden Pflanze, dass ich das Lenkrad verreiße und wir für einen Augenblick die befestigte Fahrbahn verlassen. Wir werden durchgeschüttelt, Puck hält sich krampfhaft an seinem Kindersitz fest und Robert fiept angsterfüllt, als er in den Fußraum auf der Beifahrerseite rutscht. Dann habe ich den Wagen wieder unter Kontrolle und unsere rasante Fahrt geht weiter.

»Ist sie aber nicht«, wirft Puck ein und überprüft den Sitz seines Sicherheitsgurts.

»Und das haben wir nur Danial zu verdanken!«

Oh Gott, Danial …

Meine Augen drohen erneut überzulaufen, als ich an sein Opfer für uns alle denke. Durch seine Rückkehr in die Hölle konnte er den Weltuntergang verhindern, den vermutlich seine vermaledeite Schwester eingeleitet hatte, um sich an ihm zu rächen. Nur weil er den Erstgeborenen Sohn des Teufels auf dem Gewissen und sein irdisches Dasein einem Leben in der Unterwelt vorgezogen hatte.

Schon wenige Minuten nach Danials Heimkehr ebbte das Beben der Erde merklich ab. Weitere Augenblicke später hörten die Gesetze der Natur auf zu existieren. Die eingetretene Stille war beängstigend.

Doch für wie lange kann jene Ruhe anhalten? Und was tun seine abgrundtief scheußlichen Geschwister Danial gerade an? Jetzt, in diesem Moment?

Puck scheint meine Gedanken zu erahnen, denn seine kleine Hand grapscht nach meinem Oberschenkel, um aufmunternd darauf herumzupatschen.

»Mach dir mal keine Sorgen um Danny. Der Typ ist so alt wie die Welt. Dem passiert schon nichts.«

Ich hoffe, er hat recht. Dem Lieblingssohn des Teufels wird man in der Unterwelt doch wohl kaum Leid zufügen, oder? Oder?! Auch wenn er seinen eigenen Bruder in die ewigen Jagdgründe geschickt hat. Okay, nicht so richtig. Vielmehr in die ganz besondere Hölle. Buhu.

Trotzdem macht mich die Aussage meines Beifahrers wütend.

Energisch schalte ich mehrere Gänge runter, um ein mitten auf der Straße liegen gebliebenes Auto schwungvoll zu umfahren. Puck wird dadurch gegen die Beifahrertür gedrückt und stöhnt genervt auf. Das Hörnchen im Fußraum übergibt sich für ein so kleines Tierchen äußerst lautstark.

»Das weißt du überhaupt nicht!«, rufe ich und werfe das erste Mal seit Flagstaff einen Blick auf die Tankanzeige.

Mist. Warum musste Danial uns auch mitten in die Pampa beamen?

Seitdem wir so knapp an der Apokalypse vorbeigeschrammt sind, habe ich nicht eine in Betrieb genommene Tankstelle mehr gesehen. Mit dieser Tankfüllung schaffen wir es mit viel Glück gerade noch bis Albuquerque.

Puck verzieht angewidert das Gesicht, als es anfängt, nach Hörnchenkotze zu müffeln.

»Und ob ich das weiß«, ruft er anschließend, nun ebenfalls ein wenig aufgebracht. »Danny und ich sind so.« Zeige- und Mittelfinger seiner linken Hand verhaken sich ineinander, um zu verdeutlichen, wie sehr die beiden befreundet sind. Diese Geste kann er sich sparen. Dessen bin ich mir auch so bewusst. »Ich würde sofort merken, wenn etwas nicht in Ordnung wäre. Wir sind so was wie seelenverwandt.«

Okay, wenn er meint.

»Probierst du es bitte noch mal?«, widme ich mich einem anderen Thema und öffne die hinteren Fenster einen Spalt, auch wenn dadurch der Fahrlärm deutlich zunimmt.

Kaum zu glauben, dass ein paar halb verdaute Nüsse so miefen können.

»Klar«, lenkt Puck augenblicklich ein und schnappt sich mein Telefon aus der Mittelkonsole.

Während er meine Kontakte öffnet, versuche ich, einen Radiosender zu finden, dessen Übertragung weiterhin läuft. Vergeblich.

Schnell stelle ich das Rauschen wieder ab und sehe zu Puck. »Und? Erreichst du jemanden?«

Der Wichtel schüttelt den Kopf. »Keine Chance.«

»Scheiße!«, schimpfe ich und hämmere dabei mit der Faust auf das Lenkrad. »Scheiße, Scheiße, Scheiße!«

Ein Fluch, ein Schlag. Bis der letzte Hieb auf das Steuer die Hupe trifft und ich den Wagen erschrocken zum wiederholten Male ins Schlingern bringe.

»Herrgott, T. C., du wirst uns noch umbringen«, beklagt sich mein Beifahrer und würde sich jetzt gewiss am Angstgriff festhalten, wären seine Arme dafür nicht viel zu kurz. »Lass mich fahren.«

Ich lache freudlos auf. »Wie denn? Du kommst nicht einmal an die Pedale.«

»Uns wird schon was einfallen. Nun halt endlich den Wagen an, bevor du womöglich einen Unfall baust!«

»Ich schaffe das«, beharre ich weiter.

»Ich meine es ernst«, gibt Puck ebenfalls nicht so einfach klein bei.

Chip, sollen wir laut Robert bedenken.

Doch ich kann das Steuer nicht abgeben. Ich kann nicht auf dem Beifahrersitz Platz nehmen und nichts zu tun haben, außer in die trostlose Nacht zu starren. Denn dann wäre ich allein mit meinen Gedanken. So habe ich eine Aufgabe, auf die ich mich konzentrieren muss, auch wenn mir das immer schwerer fällt. Unvernünftig, das weiß ich selbst.

Holt mal jemand die Moralapostel?

»T. C., halt an.« Irgendetwas in Pucks Stimme hat sich geändert. Sie ist jetzt energischer, drängender. Und täusche ich mich, oder schwingt nun ebenfalls Angst darin mit? »Halt an, halt an, halt an!«

Durch meine angespannten Nerven habe ich kaum Zeit, angemessen zu reagieren, da greift der Wichtel bereits ins Lenkrad.

Was zum …?

»Puck!«, kreische ich, lenke gegen und trete mit aller Kraft auf die Bremse, als der Wagen auszubrechen droht.

Wir geraten trotz meiner Bemühungen gefährlich ins Schlingern, die Reifen quietschen. Unzählige Sekunden lang fürchte ich, dass wir uns überschlagen, doch letztendlich kommen wir mittig der Fahrbahn zum Stillstand, wenn auch quer stehend.

Mein Herz hämmert wie wahnsinnig in meiner Brust, Blut rauscht in meinen Ohren. Das Lenkrad umklammere ich erneut so stark, dass meine Knöchel knacken.

»Hast du einen Knall?!«, brülle ich.

Dann ziehe ich die Handbremse an und sehe zum Wichtel. Mit schreckensweiten Pupillen starrt er an mir vorbei und bringt mich dazu, ebenfalls auf der Fahrerseite aus dem Fenster zu schauen.

Großer Gott …

Der Grand Canyon ist ein Scheiß gegen den Krater, der sich nur einen Steinwurf entfernt vor unseren Augen auftut. Ein klaffender Riss unermesslichen Ausmaßes zieht sich von hier bis Kalkutta. Schätzungsweise. Der Abgrund scheint endlos, soweit ich das in der sternenlosen Nacht beurteilen kann. Aufgerissener Asphalt liegt zuhauf neben geborstenem Stein zu unserer Linken.

Ich schlucke angestrengt. Nur ein paar Meter weiter und wir würden die Radieschen von unten betrachten. Hätte Puck nicht eingegriffen, wären wir mit Krachen und Zischen ab zu den … also … wir wären draufgegangen, definitiv. Seine Wichtelaugen funktionieren in Dunkelheit einfach besser als meine. Das war so was von haarscharf!

Mein Magen rebelliert, als ich realisiere, wie haarscharf. Außerdem fühle ich den Anflug einer Hyperventilation in mir aufsteigen. Wahrlich keine gute Mischung.

Hastig stelle ich den Motor ab, greife nach dem Schloss meines Sicherheitsgurts und löse die Zunge aus ihrer Verankerung. Zeitgleich öffne ich die Fahrertür und stolpere auf die Fahrbahn, bevor ich ein paar Meter weiter, unweit des enormen Risses, auf die Knie falle. Kaum dass auch meine Handflächen über spröden Asphalt schrammen, muss ich würgen und erbreche meinen kläglichen Mageninhalt direkt zwischen meine durchgestreckten Arme.

Ich muss ein grauenhaftes Bild abgeben, würgend und keuchend wie Pucks Katze, die dann meistens auf den Fußabstreicher im Garten kotzt. Meine wie immer eilig zusammengeklöppelte Frisur hat sich schon lange aufgelöst und nun muss ich aufpassen, dass mein krauses Haar nicht mit Vorverdautem und Magensaft bespritzt wird.

Ich huste, als es mich erneut hebt und nur noch Schaum auf die Straße tropft. Ich leere meinen Mund, indem ich ein letztes Mal auf die Fahrbahn spucke, und setze mich völlig erledigt zurück auf meine Fersen.

Mit geschlossenen Augen lege ich den Kopf in den Nacken. Ich konzentriere mich auf meine Atmung. Die klare Nachtluft strömt regelmäßig in meine Lungen und lässt das Unwohlsein schnell verfliegen. Die vergangenen Stunden waren wohl zu viel für mich.

Als ich mich wieder ansatzweise unter Kontrolle habe, krieche ich zurück zum Wagen und lasse mich mit dem Rücken neben der offen stehenden Fahrertür gegen die Karosserie fallen.

Erschöpft schaue ich in die Nacht, bis kleine Wichtelfüße aus der Öffnung baumeln. Ich wende den Blick zu Puck, der soeben auf dem Fahrersitz Platz genommen hat und mir somit Gesellschaft leistet. Sogar Robert lugt vorsichtig aus dem Inneren hervor und hüpft mit Bedacht auf die Verkleidung der Fahrzeugtür, um uns besser unter Beobachtung zu haben. Schön, dass es zumindest ihm wieder gut geht.

»Hier.« Puck hält mir ein Stofftaschentuch vor die Nase. In der anderen Hand trägt er eine kleine Trinkflasche, die er mir ebenfalls reicht.

»Danke.«

Ich trinke etwas Wasser, wische mir über den Mund und will dem Wichtel das Taschentuch bereits wieder aushändigen, als er die Ärmchen in abwehrender Haltung hebt. »Behalt es lieber.«

Er betrachtet meinen Pullover, während er mit seinem Finger unterhalb des Kinns auf sein Shirt deutet und dabei die Nase rümpft.

Ich folge seinem Blick, begutachte meinen zwei Nummern zu großen dunklen Pulli und seufze leidend. Robert fiept tröstend, Puck tätschelt meine Schulter.

Sieht ganz so aus, als hätte ich mich in einer Glanzleistung an Treffsicherheit von oben bis unten vollgebröckelt. Dank Pucks spendabler Taschentuch-Gabe ist es mir jedoch möglich, mein Aussehen wieder ansatzweise herzurichten.

Jetzt schaut die Substanz auf meiner Kleidung wenigstens nicht mehr aus wie Trollrotze, sondern nur noch wie Erdnussbutter. Ja, damit kann ich vorerst gut leben.

Entmutigt blicke ich in die Ferne. Das Ende der Erdspalte ist in der Dunkelheit nicht einmal zu erahnen. Wie breit wird sie sein? Wie weit zieht sie sich? Bis Colorado?

»Was für eine Nacht«, murmle ich, reibe mir kurz über die müden Augen und sehe am Horizont einen hellen Streifen, der die langsam aufgehende Sonne ankündigt.

Robert macht einen Satz und landet auf meinem Knie. Allerlei Fieplaute kommen dabei aus ihm heraus und ich wundere mich, was er hat. Diesen Denkvorgang äußere ich auch.

»Was hat er denn?«

Puck grunzt belustigt. »Womöglich ist er rollig.«

Ein empörtes Trillern ist die Antwort auf diese Aussage. Ich kichere, weil ich seinen Erklärungsversuch lustig finde. Dann prescht Robert davon, wird kurz von den Scheinwerfern angestrahlt und verschwindet in der Nacht.

Puck runzelt die Stirn. »Oder er hat uns gerade gesagt, dass wir ihn kreuzweise können und er sich ab jetzt allein nach New Orleans durchschlägt?«

New Orleans …

Von unserem Zuhause trennen uns über tausend Meilen. Wir werden mehrere Tage unterwegs sein, sollten wir den Krater jemals überwinden.

»Genau«, stimme ich dem Wichtel zu. »Weil wir Pappnasen sind.«

Mein Mitbewohner gluckst bejahend. »Die größten.«

Gott, ich vermisse die anderen Pappnasen schon jetzt.

»Kannst du noch mal anrufen?«, frage ich und stopfe mir sein Schnupftuch in die Hosentasche.

»Klar«, sagt er nickend und fischt umständlich hinter sich, um erneut in der Mittelkonsole nach dem Telefon zu greifen.

Ich richte meinen Blick wieder auf den Horizont. Die Sonne schiebt sich langsam über den Erdkreis. Erste zaghafte Strahlen legen sich wärmend auf unsere Haut.

»Unverändert«, verkündet Puck schon bald und lässt das pinkfarbene Mobiltelefon in meinen Schoß fallen. »Was machen wir jetzt?«

Ich denke über seine Frage nach.

Tja, was nun? Umdrehen und eine andere Strecke probieren? Durch die Prärie heizen? Versuchen, einen Flug zu bekommen, wenn diese sonst so alltäglichen Dinge wieder ansatzweise funktionieren?

»Warten wir erst einmal ab, bis es richtig hell ist«, schlage ich vor. »Dann schauen wir, ob wir den Krater umfahren können.«

So, Entscheidung getroffen.

»Und Alvin?« Puck springt auf die Straße und guckt sich suchend um. »Ist der Scheißer einfach abgehauen, angelt sich eine kleine Hörnchenfreundin, zeugt mit ihr viele Hundert Babys und lebt ab jetzt in der Wüste?«

»Ja«, sage ich schlicht, weil ich wirklich nicht darüber diskutieren will, welche Zukunftsvisionen er sich für Robert ausgedacht hat. »Aber vielleicht taucht er auch jeden Moment wieder auf.«

Infernalischer Lärm bringt uns dazu, erschrocken die Köpfe zu heben. Eine Einheit der US-Luftwaffe schießt mit drei Kampfflugzeugen über uns hinweg in Richtung Westen. Der Donnerhall der Düsenjets tut mir in den Ohren weh.

Als der Krach Sekunden später endlich verebbt, schnalzt Puck, der alte Militärexperte, anerkennend mit der Zunge.

»F-15E Strike Eagle«, erläutert er den Flugzeugtyp. »Wem wollen die denn in den Arsch treten? Ob zusätzlich zu den Naturkatastrophen ein paar Dämonen aus ihren Löchern gekrochen sind?«

Bei dem Gedanken läuft es mir eiskalt den Rücken hinab. »Ich hoffe nicht.«

»Oder Aliens«, sagt Puck mit einem Mal völlig euphorisch.

Chiiiiiiiiiip!

Ein zitterndes Backenhörnchen springt mir so plötzlich in die Arme, dass ich mir vor Schreck auf die Zunge beiße.

Aua.

»Bist du das, Robert?«, frage ich und schmecke Blut.

»Wer denn sonst?!« Puck verdreht genervt die Augen. »Du bist schließlich keine Disneyprinzessin, die Wildtiere magisch anzieht, oder?«

Öhm … Nein?

»Alles gut.« Ich tätschle den Kopf des verwunschenen Millionärs, dessen menschliche Instinkte wohl etwas von denen eines echten Hörnchens überlagert werden. »Das waren nur ein paar Flugzeuge, die …« Dämonen bekämpfen? Geister jagen? Das Ende der Welt abwenden wollen? »… Dinge tun.«

»Was hast du gefunden, Alvin?«, will Puck wissen. »Oder warst du nur auf Futtersuche?«

Auch ich bemerke die vollen Backentaschen des Streifenhörnchens. Wenn er jetzt gleich einen prall gefüllten Benzinkanister daraus hervorzaubert, bin ich wahrlich beeindruckt.

Roberts kleine Knopfaugen blinzeln hektisch und sein Schwanz zuckt aufgeregt, als er aus meinen Armen springt und versucht, uns zu animieren … einen Tango zu tanzen?

»Führt er gerade Shakespeares Hamlet auf?«, überlege ich laut. Ich bin ernsthaft überfragt.

»Ich denke, er möchte uns sagen, dass wir den Riss umfahren können«, mutmaßt der Wichtel mit gerunzelter Stirn.

Das Hörnchen fiept. Dabei fällt ihm ein abgeranzter Penny aus der Backentasche.

Schade, kein Benzinkanister.

Kapitel 2

 

Der Wagen holpert durch die letzten Ausläufer der Navajo Nation Reservation. Roter Sand legt sich immer wieder auf die Frontscheibe meines Hondas namens Shirly, sodass ich in regelmäßigen Abständen die Wischer betätigen muss, um überhaupt zu erkennen, wohin ich fahre. Trotz der mäßigen Temperaturen eines Novembermorgens hat sich das Innere des Fahrzeugs schnell aufgeheizt. Um Sprit zu sparen, ist die Klimaanlage ausgestellt, was dazu führt, dass wir mit geöffnetem Fenster durch die Wüste tuckern und demnach selbst ganz staubig sind. Glücklicherweise haben wir genügend Wasservorräte dabei, um wenigstens noch einen Tag über die Runden zu kommen.

»Meine Zähne knirschen«, beschwert sich Puck.

»Dann musst du besser putzen«, bemerke ich sinnfrei und umschiffe soeben langsam eine Ansammlung an Yucca-Palmen, die Erdspalte immer zu unserer Linken.

Bevor Puck antworten kann, springt ein aufgedrehter Robert vor mir auf das Lenkrad.

Ich halte Ausschau, weshalb er so ausflippt, und entdecke wenige Meter vor uns eine Gestalt. Der massive Körper wirbelt Staub auf, als er uns entgegenkommt, die sandige Wüstenluft lässt die Erscheinung flimmern.

»Ist das ein Pferd?« Angestrengt kneife ich die Augen zusammen.

»Ein Zentaur«, korrigiert Puck und ich drossle das Tempo so sehr, dass wir nur noch Schritt fahren.

Tatsache, ein Zentaur!

Anmutig galoppiert der Pferdemensch durch die Prärie, dabei ist jede Faser des hellen Pferdekörpers ein reines Muskelspiel. Kurze Zeit später verfällt er in ein langsames Traben, und sein sonnengebräunter menschlicher Oberkörper beugt sich schließlich zu uns herab, als wir auf gleicher Höhe zum Stehen kommen.

»Ma’am«, grüßt er freundlich und fasst sich an die Krempe seines Cowboyhuts. Dunkles Haar blitzt darunter hervor. Obwohl ich diese Anrede hasse, kann ich sie ihm nicht übel nehmen. »Der Herr.«

Puck grunzt zur Begrüßung, und Robert echauffiert sich fiepend. Vermutlich, weil er beim Salut übergangen wurde.

»Backenhörnchen«, holt der aufmerksame Zentaur sein Versäumnis sofort nach.

»Guten Morgen«, äußere ich, leicht verwundert über diese Begegnung. »Können Sie uns vielleicht sagen, ob wir hier zu einer Straße gelangen?«

Der Pferdemensch rückt seine Weste zurecht und nickt bestätigend. »Ja, in wenigen Hundert Metern werden Sie auf einen Verkehrsweg stoßen. Aber seien Sie vorsichtig, dieser ist nicht asphaltiert.«

»Alles klar«, antworte ich auf seine Ausführungen. »Danke sehr.«

»Einen schönen Tag noch.«

»Ihnen auch.«

Der Zentaur trabt weiter, wir rollen in die andere Richtung davon.

»Komischer Kerl«, meint Puck.

»Ich fand ihn nett.«

»Was treibt der hier? Mitten in der Wüste?«

»Vielleicht … holt er seine Kühe von der Weide? Was weiß ich denn?«

In höchster Konzentration scanne ich das Terrain nach der für uns besten Route und entdecke eine Schneise zwischen Grasbüscheln, die wir nutzen können.

Wenige Minuten später, in denen wir stumm und in einträchtiger Harmonie durch das Ödland gerollt sind, laufen die Ränder des Kraters zusammen. Neben uns tut sich nunmehr lediglich Wüstenlandschaft auf.

Endlich!

»Da ist die Straße!«, ruft Puck und tatscht mit seinen Fingern von innen gegen die Windschutzscheibe. Gleich kriegt er von mir ein Mikrofasertuch gereicht, um seine Fettfinger zu entfernen!

Aber wichtiger ist erst einmal: Der Zentaur hatte recht!

Auch zwischen meinen Zähnen knirscht es, als ich diese in freudiger Erwartung eines befestigten Verkehrswegs zusammenbeiße.

Puck blättert in einem Atlas, den wir im Handschuhfach gefunden haben, und stellt uns eine Route zusammen.

»Das ist der State Highway 53. Der bringt uns zurück auf die Interstate 40. In Albuquerque können wir dann gen Süden fahren und über El Paso, San Antonio und Houston bis nach New Orleans. Dafür brauchen wir höchstens noch zwei Tage. Was meinst du?«

Ich spüre, wie sein erwartungsvoller Blick auf mir ruht, während ich Probleme habe, vom Wind aufgepeitschte Haare aus meinem Gesicht zu halten und eine Formation Kakteen zu umfahren.

»Die Interstate 40 ist gut«, sage ich das, was er vermutlich hören will. »Aber wir reisen nicht nach Süden.«

»Wieso nicht?«

Robert horcht ebenfalls auf und ich malträtiere meine Unterlippe mit den Zähnen, als der Unterboden des Wagens über ein zu hoch gewachsenes Gebüsch schrammt.

»Ich muss wissen, wie es meinen Eltern geht. Wir fahren nach Atlanta.«

Puck blättert im Atlas einige Seiten weiter, bis er die Hauptstadt von Georgia gefunden hat. »Warum interessiert es dich, wie es deinen Eltern geht?«

Ich verstehe die Frage nicht. Bei der gestrigen Vorstellung des drohenden Weltuntergangs kann unseren Familien sonst was passiert sein.

»Machst du dir keine Sorgen um deine Mutter?«

»Um die alte Schrapnelle? Überhaupt nicht. Du weißt doch, Unkraut vergeht nicht.«

Sogar Robert schaut empört. So empört, wie ein Streifenbackenhörnchen eben zu gucken imstande ist.

»Rede nicht so über deine Mutter!«, weise ich den Wichtel zurecht.

»Wieso? Sie hört mich doch nicht.«

»Das macht man einfach nicht.«

»Ich schon«, schließt Puck. Somit ist alles gesagt.

Kopfschüttelnd lenke ich Shirly wenig später ungalant auf den State Highway 53. Dieser ist nicht viel mehr als eine befestigte Schotterpiste, wie der Zentaur uns bereits mitgeteilt hat. Ich sollte die Geschwindigkeit drosseln, kann jedoch gar nicht schnell genug wieder auf den richtigen Kurs kommen und trete das Gaspedal etwas mehr durch, als es für Shirlys Lack gut wäre. Kies und Sand schlagen an die Karosserie, donnern mit jedem zurückgelegten Meter gegen Radkästen und Unterboden.

Nach wenigen Meilen zwingt mich ein entgegenkommender Militärkonvoi an den Straßenrand. Mit laufendem Motor warten wir an der zu schmalen Straße, bis das Führungsfahrzeug, gefolgt von Mannschaftstransportwagen und weiteren Radfahrzeugen der US-Armee, an uns vorbeigefahren ist. Hin und wieder nicke ich den Soldaten auf den Pritschenwagen freundlich zu. Als ein Panzertransport langsam am Wagen vorbeirollt, höre ich Puck anerkennend pfeifen.

Das Schlussfahrzeug direkt hinter dem Tieflader hält auf unserer Höhe. Der Fahrer sieht aus dem geöffneten Seitenfenster zu uns herab. »Brauchen Sie Hilfe?«

Eine Frau, der Fahrzeugführer ist eine Frau!

Der Blick der jungen Soldatin ist befremdlich. Erst weiß ich mir nicht zu erklären, was es ist, dann bemerke ich ihre Augen. Die Iriden haben unterschiedliche Farben. Eine ist blau, die andere braun. Das blonde Haar der Frau weht im Wind und kann nur schwer von ihrem Gefechtshelm gebändigt werden.

»Wir … könnten ein wenig Sprit vertragen«, sage ich mit einem Gedanken an unsere schwindenden Ressourcen.

Die Soldatin deutet mit dem Daumen hinter sich, die Straße zurück, über die die Kolonne gekommen ist.

»Fahren Sie weiter bis Ramah. Dort steht ein Tanklaster bereit. Versorgungsflugzeuge sind ebenfalls unterwegs.«

Hach, es ist so schön, dass die Armee sich sofort um diese Dinge kümmert. In ein, zwei Tagen, wenn Stromnetz, Wasserversorgung und Kommunikationswege auch wiederhergestellt sind, wird alles so sein wie … gestern.

Ich nicke der Frau dankend zu und warte, bis sie sich wieder dem Konvoi angeschlossen hat. Anschließend lenke ich den tschitscheringrünen Honda zurück auf die Straße.

Ramah, geht klar, das kriegen wir hin …

Puck scheint den gleichen Gedanken zu haben, denn er blättert erneut im Atlas und misst die Distanz zwischen zwei Ortschaften mit seinen dürren Fingern.

»Das sind keine fünfzehn Meilen mehr«, teilt er mit.

Ich bin mit der Aussage schwer zufrieden. Die Tankanzeige leuchtet bereits, doch diese Entfernung sollten wir noch überbrücken können. Ich würde wirklich nur sehr ungern in der Wüste stranden und elendig verdursten. Gibt bestimmt bessere Wege, den Löffel abzugeben.

Wir fahren schweigend weiter. Nervös kaue ich auf meiner spröden Unterlippe, bis wir eine kleine Ortschaft der Pueblo-Indianer erreichen. Die Ansiedlung sieht nicht sonderlich einladend aus. Die flachen Backsteinhäuser sind größtenteils verbarrikadiert, Fahrzeuge stehen verwaist in Grundstückseinfahrten.

Die anschließende Siedlung macht ebenfalls einen trostlosen Eindruck. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass es hier immer so menschen-, wichtel-, oder backenhörnchenleer zugeht wie jetzt. Egal ob gerade ein Ausnahmezustand herrscht oder nicht. Was lobe ich mir da mein belebtes New Orleans.

»Die nächste Ortschaft ist Ramah.« Puck will es sich nicht anmerken lassen, aber er ist genauso hibbelig, wie ich mich fühle.

Die karge Landschaft wird langsam etwas grüner, als wir unserem Zwischenziel näher kommen. Ein gutes Zeichen dafür, dass wir bald auf das El Malpais National Monument stoßen. Die Interstate 40 ist somit nicht mehr weit.

Drei Minuten Fahrzeit später sehen wir uns jedoch einem ganz anderen Problem gegenüber.

»Scheiße«, fluche ich und kann kaum glauben, was sich direkt vor der Motorhaube abspielt.

Ramah ist komplett überlaufen. Wir haben die Ortschaft noch nicht einmal ansatzweise erreicht, doch die Straßen und Zubringer sind schon jetzt eine einzige Blechlawine. Fahrzeuge stehen Stoßstange an Stoßstange, teilweise in Zweierreihen, und veranstalten ein Hupkonzert, das ich nur aus Großstädten zur Rushhour kenne.

Ein Heidenlärm wird plötzlich laut. Ein Frachtflugzeug saust so dicht über uns hinweg, dass ich sinnloserweise den Kopf einziehe, bevor ich beobachte, wie das Flugzeug irgendwo in der Wüste New Mexicos eine Landefläche anfliegt.

Während ich noch überlege, was jetzt zu tun ist – vielleicht sollte ich auch dauerhupend Lärm machen, so wie die anderen Idioten vor uns in der Reihe –, kommt Bewegung in die Insassen einiger Fahrzeuge. Wir werden Zeuge dessen, wie sie ihre Fortbewegungsmittel verlassen, zum Kofferraum gehen und Benzinkanister ans Tageslicht befördern.

»Wir haben nicht zufällig auch so was?«, fragt Puck.

»Nein«, muss ich ihn enttäuschen, als neben und hinter uns weitere Autos halten.

Wo kommen die so plötzlich her?

Ein Katzenmensch reißt die Tür seines SUV so energisch auf, dass diese gegen Shirly knallt.

»Hey!«, will ich den Rüpel zurechtweisen, sehe jedoch nur einen ausgestreckten Mittelfinger, dessen Besitzer schnell in der dichter werdenden Menge verschwindet.

»Wir sind so richtig am Arsch«, murmelt Puck.

Ein Nerv an meinem Auge beginnt zu zucken. »Du wiederholst dich.«

»Und du solltest dich entscheiden, ob wir umdrehen oder bis zum Ende aller Tage hier versauern wollen.«

»Mist!«, bricht es aus mir heraus.

Ich schlage so hart gegen das Lenkrad, dass meine Handfläche brennt. Die Hupe betätige ich dabei auch wieder, was Robert auf dem Armaturenbrett hochschrecken lässt. Er stößt sich den flauschigen Kopf an der Windschutzscheibe und schnaubt verärgert.

»Gib mir mal den Atlas«, fordere ich Puck auf und wackle mit den Fingern in seine Richtung.

Immer mehr Menschen und magische Wesen beschließen, zu Fuß ihr Glück zu versuchen, und lassen ihre Vehikel einfach auf offener Straße stehen. Ein Greif erhebt sich mit kräftigen Flügelstößen von der Ladefläche eines Trucks. Gebannt sehe ich dem Mischwesen hinterher, bis mich die Sonne so sehr blendet, dass ich den Blick abwenden muss.

»Wie heißt das Wort mit doppel T?«, fragt Puck allen Ernstes.

»Aber flott!«, fordere ich und reiße ihm die Kartensammlung aus den Händen, bevor ich sie eingehend betrachte.

Atlanten und ich waren uns noch nie sonderlich grün. Doch ich krieg das hin. Meine Gehirnzellen sind da, wo sie hingehören, und mein Intellekt kann durchaus mit dem eines Makaken mithalten.

Also … wo befinden wir uns gerade?

»Wir sind hier«, schlussfolgere ich, als ich bereits einige Zeit mit gerunzelter Stirn über der Karte hänge und endlich auf eine Ansiedlung deute.

»Das ist Chilisauce«, meint Puck monoton.

Igitt, wie kommt die denn da hin?

Der Wichtel beugt sich zu mir herüber, blättert drei Seiten weiter, und sein abgeknabberter Fingernagel deutet auf Ramah.

Wir lassen den Irrtum unkommentiert. Stattdessen gleiten meine Finger über die dargestellten Straßen und Wege, bis sie an einer Servicestraße des Indianerreservats stehen bleiben.

Das ist es!

Ich werfe den Atlas in Pucks Fußraum und prügel den Rückwärtsgang rein, um umständlich in vielen Zügen zu wenden, was hinter uns stehende Fahrzeuge hektisch hupen lässt.

»Bäh, da lag doch noch die Hörnchenkotze!«, schimpft mein Beifahrer, aber das ist mir gerade egal. Ich bringe uns so was von hier raus! Wir werden schon bald wieder auf der Interstate 40 sein und über diesen kleinen Ausflug in die Pampa lachen.

Kapitel 3

 

»Wir werden sterben.«

Dass Puck immer so melodramatisch sein muss. »Wir werden nicht sterben«, beruhige ich ihn.

Mein Plan, über die Servicestraße zurück auf den State Highway 53 zu gelangen und Ramah somit zu umfahren, lief anfangs ziemlich gut. Doch dann blieb Shirly mitten in der Walachei liegen. Die Tankanzeige hat uns Lügen gestraft. Das waren nie und nimmer 30 Meilen, die wir noch zurückgelegt haben! Wohl eher … 40 …

Jetzt kauern wir hier. Im Schatten unseres Autos, jeder mit einer Wasserflasche bewaffnet, und starren in die sandige Einöde.

»Bis zum State Highway ist es nicht mehr weit. Wir ruhen uns ein bisschen aus, schieben den Wagen durch die Prärie und werden jemanden finden, der uns helfen wird.«

Der uns einfach helfen muss.

»Ich schiebe überhaupt nichts durch die Prärie! Hast du dir meine Arme angesehen? Die brechen schon, wenn ich nur den Wäschekorb in den Garten trage.«

Ach, deshalb macht er das nie …

Ich blende den Wichtel aus, sehe zu Robert hinab und fülle die Verschlusskappe meiner Flasche mit Wasser, um ihn daraus trinken zu lassen. Schnell hat er sie ausgeschlabbert, also wiederhole ich den Vorgang so lange, bis er genug zu haben scheint und durch die offen stehende Fahrertür zurück ins Innere hopst.

»Gut«, lenke ich ein und unterbreche Pucks Ausführungen über Splitterbrüche und 1,229 Tonnen schwere Hondas. »Ich gehe zu Fuß und … organisiere was.«

»Das will ich hoffen. Alvin und ich sind viel zu jung zum Abnippeln.«

»Ich bin die Jüngste von uns«, werfe ich stirnrunzelnd ein.

»Und daher die Fitteste von uns.«

»Du drehst auch alles so, wie du es brauchst«, beschuldige ich den Wichtel, der Erdnussflips knabbert und brüderlich mit Robert teilt, der auf dem Fahrersitz Platz gefunden hat und Puck auf den Kopf spucken könnte.

Ich wäre begeistert, wenn er es tun würde.

»Du solltest lieber jetzt gleich gehen, bevor es dunkel wird.«

Ich bin richtig gerührt, wie besorgt er um mein Wohlergehen ist, als er mich dazu auffordert, etliche Meilen Wüste ganz auf mich gestellt zu Fuß zu durchqueren. In der leisen Hoffnung, dass ich jemandem begegne, der bereit und in der Lage ist, seine Hilfe anzubieten.

»Stell dich mal hinter das Lenkrad. Ich probier’s allein.«

Entschlossen und bis ins Mark von mir und meinen Kräften überzeugt, stehe ich auf und werfe die leere Wasserflasche auf den Beifahrersitz.

Puck ist skeptisch und zeigt dies durch tiefe Falten in seiner Wichtelstirn. »Überschätzt du dich vielleicht ein bisschen?«

»Werwolfgen!«, rufe ich zurück, weil ich bereits auf dem Weg zur Stoßstange bin und die Ärmel meines Pullovers hochkremple. »Löst du bitte die Handbremse? Der Gang ist schon draußen!«

Mit beiden Händen stütze ich mich gegen die heiße Karosserie des Wagens, meine Stiefel bohren sich in den grobkörnigen Sand.

»Sicher?«

Genervt von Pucks völlig unnötiger Vorsicht rolle ich mit den Augen. »Jetzt mach endlich!«

Ich weiß doch, was ich tue. Ich traue mir so einiges zu, und dazu gehört auch einen Kleinwagen über eine ebene Fläche zu schieben, während mein Vermieter lenkt und Robert in den Fußraum kotzt.

»Ist gelöst«, teilt mir der Wichtel mit.

Ich stemme mich mit voller Kraft gegen Shirly und bin begeistert, dass sie sich sofort bewegt … nur leider in die falsche Richtung.

Scheiße! Warum stehen wir denn abschüssig?!

Meine Beine strampeln über Wüstenboden, bemühen sich um Halt, werden jedoch gnadenlos vom nach hinten rollenden Kleinwagen weitergeschoben. Auch meine ausgestreckten Arme machen schlapp. Meine Wange klebt am Nummernschild, während wir bereits etliche Zentimeter zurückgelegt haben und stetig an Geschwindigkeit gewinnen.

»Zieh die Handbremse wieder an!«, fordere ich lautstark, als ich mir mein Versagen eingestehen muss. Doch Puck reagiert nicht sofort. »Die Handbremse, Puck! Die Handbremse!«

Ich werde panisch, richte mich unvernünftigerweise auf und stolpere über meine eigenen Füße, als der Wagen gegen mich rollt. Wild mit den Armen rudernd, schreie ich und falle hintenüber. Mein Hinterkopf schlägt auf den verwitterten Boden auf, Shirly droht mich zu überrollen. Ich will mich zur Seite drehen, weg aus dem Gefahrenbereich, doch meine Beine werden bereits vom Unterboden geschluckt.

»Puuuuuuck!«

Als der Aushilfsfahrer mein Flehen erhört und das Auto endlich stoppt, bin ich längst bis zu den Oberschenkeln darunter verschwunden.

Erleichtert lasse ich den Kopf zurück auf die Straße fallen. Aua.

Eine Zeit lang starre ich in den wolkenlosen Himmel und spüre, wie mir das Blut in den Schädel steigt, weil ich auf einer abschüssigen Piste kopfüber in der Gegend rumliege.

Kleine flinke Füße tippeln über meinen Brustkorb.

Chip?, fragt Robert. Er ist mit seinem süßen Hörnchengesicht so nah, dass ich ihn nur schwer anschauen kann, ohne stark schielen zu müssen.

»Alles gut«, erkläre ich, dann schiebt sich Pucks vertraut mürrisches Gesicht ebenfalls in mein Blickfeld.

»Hast du dir’s so vorgestellt?«

»Ich ruhe mich nur kurz aus.« Ich weiß, dass das keine Antwort auf seine Frage ist, aber meine Werwolfehre ist leicht angekratzt, deswegen will ich nicht weiter darauf eingehen.

»Wir könnten ein SOS in den Sand pinkeln.« Pucks Vorschläge waren auch schon mal besser.

»Nicht nötig.« Ich setze Robert auf die Straße, krieche unter dem Auto hervor und klopfe mir Staub von den Klamotten. Anschließend mache ich mich an der Heckklappe zu schaffen. »Ich nehme die Herausforderung an und werde die Wüste bezwingen!«

»So wie du den Wagen bezwungen hast?«

Chip!

Ich öffne den Kofferraum und krame in meiner Reisetasche, um mich für den bevorstehenden Fußmarsch zu wappnen. Ein Deoroller fällt mir in die Hände, gefolgt von meiner Waschtasche mit Shampoo und weiteren Hygieneartikeln.

Ich blinzle die Sachen mehrere Sekunden unschlüssig an.

Was suche ich hier eigentlich? Wie sollen mir Tampons in dieser Situation weiterhelfen? Eine Leuchtpistole wäre prima, doch ich denke nicht, dass ich die zwischen meinen Höschen finden werde.

Ich hieve meine Tasche zur Seite und … erstarre.

»Was ist? Eine Tarantel in deinen Socken?« Puck hat meine Reaktion bemerkt, sieht den Grund dafür aber erst, als er sich an der Stoßstange hochzieht und in den Kofferraum klettert. »Oh.«

Danials Koffer – in seiner Lieblingsfarbe hellgrün – liegt nun freigelegt vor uns. Anklagend und alle Ereignisse der letzten Nacht wieder hervorrufend. Mein Herz wird ganz schwer, als ich an unseren Mitbewohner denke, der für das Wohl anderer in die Hölle zurückgekehrt ist.

Die Erde bebt nicht mehr, es fallen keine Festkörper kosmischen Ursprungs vom Himmel und noch wurde die Welt nicht von Dämonen überrannt. Warum kommt Danial nicht einfach zurück? Zu welcher Abmachung hat er sich überreden lassen? Was haben ihm seine Geschwister angetan?

»Hast du Hemmungen? Soll ich für dich in fremden Sachen wühlen? Das tue ich gern.«

Ich muss blinzeln, um Hörnchen und Wichtel nicht zu zeigen, dass ich wieder kurz davor bin loszuheulen.

»Schon gut«, sage ich schnell und schiebe Pucks Hände beiseite, die sich bereits an den Schnallen zu schaffen machen.

Danials Koffer ist nicht durch irgend so ein Schloss oder eine dreistellige Zahlenkombination gesichert. Warum auch? Wir waren unterwegs ins Disneyland und nicht, um Drogenpakete durchs Land zu schmuggeln.

Und trotzdem … Welche Kombination würde der Dämon wohl wählen, wenn er ein Zahlenschloss hätte? Einen Geburtstag?

Dreistellig, Tess. Welches Geburtsdatum ist dreistellig?

Uh, das kann ich beantworten. Der 1.12., der 18.3., der … ach, egal. Völlig falscher Zeitpunkt, um sich über so etwas Gedanken zu machen.

Kurz zögere ich noch, dann schlage ich den mittelgroßen Koffer auf und werde sofort von einem Erinnerungsflashback getroffen. Und zwar volle Breitseite.

Plötzlich stehe ich wieder im Wohnzimmer, unschlüssig, ob ich einkaufen gehen oder mir lieber eine weitere Folge iZombie reinziehen soll. Ja, Puck hat mich angefixt, ich kann’s nicht ändern.

Die Tür geht auf und die Pointe eines unanständigen Witzes dringt an mein Ohr, als Wichtel und Dämon mit Einkaufstaschen ins Innere treten. Puck lacht noch immer über seinen obszönen Kalauer, als er mich bereits abschätzend mustert.

»Alzheimer-Demenz? Oder warum stehst du so unschlüssig in der Gegend rum?«

Ich ziehe es vor, nicht zu antworten. Das würde implizieren, dass ich mich mit dem Schwachsinn, den er von sich gibt, auseinandersetzen muss. Und das regt mich nur sinnlos auf.

»Ihr wart shoppen?«

Pucks Lächeln wird breiter, als er begeistert an einer Tüte zieht, die Danial noch am Handgelenk baumeln hat. »Ich habe Danny mit Merchandise eingedeckt.«

Nun gucke ich zweifelnd. »Hast du das?«

Mein Blick trifft Danials, der keineswegs genervt aus der Wäsche schaut, eher zutiefst zufrieden. Merkwürdig, denn ich weiß aus eigener Erfahrung, wie anstrengend eine Einkaufstour mit dem Hausherrn sein kann.

»Hier sind seine neuen Batman-Schuhe und hier seine Batman-Socken«, zählt der Wichtel auf und fischt die Errungenschaften der Shoppingtour aus der bunten Tüte. »Batman-Unterhosen waren gerade aus, deswegen haben wir uns alternativ für Superman entschieden. Hier Danny, dein Basecap.«

Puck schaut nicht einmal auf, als er Danial ein Batman-Basecap reicht.

»Danke«, sagt der Dämon und setzt sich die Kopfbedeckung mit stilisierter Fledermaus sogleich auf den strohblonden Schopf.

»Wir sollten morgen noch mal los, vielleicht haben sie bis dahin wieder den Pfefferminzbonbonspender, den wir heute nicht bekommen haben.«

Ich scheine ein wenig zweifelnd in die Runde zu schauen, denn Danial zwinkert mir zu und hat diesen Blick drauf, der sagt: Ach, lass ihn doch. Es macht ihm so viel Spaß.

»Abgemacht«, stimmt er seinem wichteligen Freund zu, guckt dabei jedoch immer noch lächelnd zu mir.

Ich blinzle ihm dankend zu, dann rutscht ihm das Käppi ins Gesicht und ich muss lachen.

Unser Wohnzimmer verschwimmt und ich starre wieder in Danials geöffneten Trolley, das Batman-Basecap im tränenverschleierten Blick.

Ich schniefe, nehme es an mich, setze es auf und schiebe meine zerzausten Locken unter die Kappe, die groß genug ist, um sogar meine Handtasche darunter zu verstecken. Im Koffer ist jetzt eine säuberlich zusammengefaltete schwarz-weiße College-Jacke zu erkennen. Man könnte meinen, er hätte eine Eliteuniversität in Connecticut besucht, wenn man das bestickte Y auf der linken Brustseite genauer betrachtet.

Ich kann nicht anders, als meine Finger mit Bedacht über den Stoff gleiten zu lassen.

»Ich weiß, was du denkst«, beginnt Puck. Die Formpause, die er lässt, benutze ich dazu, um die Jacke aufzuknöpfen und hineinzuschlüpfen. Dabei schnüffle ich unauffällig daran, um wenigstens Danials Geruch bei mir zu haben, aber alles, was ich rieche, ist Weichspüler, der in der Nase beißt. Ich muss niesen. Wir sollten wirklich die Sorte wechseln. »Ich hätte ihn auch lieber heute wieder als morgen.«

Pucks Worte erwischen mich eiskalt. Mir wird klar, dass ich nur an mich und meine Sorgen gedacht und seine Gefühle dabei völlig außer Acht gelassen habe. Immerhin ist Danial sein bester Freund. Ich will mir gar nicht ausmalen, wie sich das kleine Wichtelherz jetzt fühlen mag.

»Herrje, Puck«, sage ich nur, drehe mich zur Seite und ziehe den Wichtel an meine Brust, um ihn in eine tröstende Umarmung zu schließen. »Es tut mir so leid. Ich habe dich gar nicht gefragt, wie es dir damit geht. Alles in Ordnung? Wie kommst du klar?«