TEUFELSGARN - Felixz Eckstein - E-Book

TEUFELSGARN E-Book

Felixz Eckstein

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Beschreibung

Teuflisch guter Lesespaß gesucht? Dann lasst euch verführen … zu einer Pizza Diavolo mit einem mörderischen Kätzchen. Oder zu einem schicksalsverändernden Glücksspiel. Zu einer galaktischen Reise auf der Suche nach der perfekten Außenstelle der Hölle. Vielleicht zu einer teuflisch inszenierten Geburtstagsparty mit himmlischen Geschenken. Zu versprecherischen Dämonenbeschwörungen. Oder direkt zu einem höllischen Arbeitsverhältnis – gewollt oder ungewollt. Aber Obacht, denn dem Teufel ist nicht zu trauen! Also besser, ihr werft vor dem Kauf einen Blick auf die AGB, denn man kann ja nicht wissen, ob ihr im Kleingedruckten irgendjemandem eure Seele verkauft.

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IMPRESSUM
Vorwort
Felixz Eckstein
Brotoles
Alisha Pilenko
Apokalypse jetzt – oder später
Günther Kienle
Pik As
Agnes Sint
Eindringlinge
Torsten Low
Das Dämonenproblem
Marco Rauch
Pizza Diavolo
C.G. Bittner
Der Teufel steckt im Detail
Tanja Kummer
Teufelskomplott
Kimberly Bühler
Teuflisches Spiel
Wolfgang Schroeder
Hölle 2.0
Armando Grillo
Wenn man vom Teufel spricht
Johanna Brenne
Ein Weihnachtsgeschenk für den Teufel
Jörg Fuchs Alameda
Mortimer Todd und die Fürsten der Finsternis und des Friedens
Susann Huschka
Demon optimum est
Petra Pribitzer
Hier unten ist die Hölle los
Kornelia Schmid
Calamity Management
Monika Grasl
Geburtstag
Manuel Otto Bendrin
Antiqua Graeca Infernum Latinum

IMPRESSUM

Teufelsgarn

ISBN 978-3-945230-71-8

1. Auflage, Allmersbach im Tal 2023

Cover: Christine Schlicht

Satz und Layout: Tanja und Marc Hamacher

Lektorat: Tanja und Marc Hamacher

© 2023, Leseratten Verlag, Allmersbach im Tal

www. leserattenverlag.de

Der Leseratten Verlag ist Fördermitglied beim

PAN Phantastik-Autoren-Netzwerk e.V.

Weitere Infos unter:

wir-erschaffen-welten.net

Vorwort

Am Anfang war der Tod! Klingt irgendwie falsch, oder? Ist aber so. Ich bin bekennender Fan lustiger Funtastik und seit einigen Jahren segelt der Leseratten Verlag genau auf diesem Fahrwasser. Natürlich liebe ich Terry Pratchett und so kam es, dass der Verlag 2017 Geschichten suchte, die Gevatter Tod als Hauptfigur beinhalteten. 2018 erschien dann SCHNITTERGARN und offenbarte, wie gigantisch die Fanbase vom Gevatter ist. Es hat mich sehr gefreut, wie gut die Idee angenommen wurde. Knapp ein Jahr später kam das Schaf mit dem Tarnnamen Veronika Lackerbauer auf mich zu und meinte, wo der Tod herumlungert, da können die Götter als Figuren nicht so weit weg sein. Das Resultat ist die Anthologie GÖTTERGARN, welche 2021 das Licht der sterblichen Welt erblickte.

Irgendwie nagte da immer noch etwas tief in mir. Irgendwie waren die Geschichten nicht komplett. Nun ist es so, dass wahrlich prophetische und mystische Wesen in der fantastischen Welt immer zu dritt auftreten. Man denke nur an Urd, Verdandi und Skuld, die drei Nornen der nordischen Mythologie. Aber auch in der Neuzeit treten Seher immer wieder zu dritt in Erscheinung. So schrieben Araya, Hanneman und King, ihres Zeichens höchstphilosophische Barden des modernen Amerikas, schon 1988 in ihrem vertonten Gedicht Read Between The Lies die markante Zeile: »There is no heaven without a hell«. Damit war die Idee zu diesem Buch geboren.

Schon in SCHNITTERGARN gab es immer wieder Anspielungen auf den Teufel, Satan, Asmodis, Beelzebub, wie auch immer, auf das Wesen mit seinen vielen Namen und Gestalten. Also suchte ich nun öffentlich nach Teufelsgeschichten. Die Einsendungen waren spannend, manchmal sehr ähnlich in der Thematik, aber viel zu oft, viel zu gut. Es war nicht so einfach, die Auswahl der Storys in dieser Anthologie zu treffen, aber ich hoffe, dass es eine bunte und lustige Mischung geworden ist.

Wie so oft bei solchen Buchreihen, sind die Geschichten alle unabhängig voneinander lesbar, aber einige Autor:innen aus SCHNITTERGARN und GÖTTERGARN haben es sich nicht nehmen lassen, ihre Geschichten hier fortzusetzen. So gibt es ein Wiedersehen mit einer Bar, in der Tod und Teufel sich ab und zu betrinken, während sie sich gegenseitig das Herz ausschütten. Wir erleben Neues von Tod und Krag, dem frechen Federvieh. Sowie von Herrn Einhorn, der einen neuen Job sucht. Wir erkunden einen leicht veränderten Freizeitpark, den wir aus BLUTIGE WELTEN kennen, und den wir wirklich anders in Erinnerung haben. Und ob der gitarrespielende Tod einen Weg findet, wieder er selbst zu werden, das werdet ihr hier erfahren. Sowie noch vieles mehr.

Ich wünsche teuflisch guten Lesespaß.

Marc Hamacher

Allmersbach im Tal, 2023

Felixz Eckstein

Felixz Eckstein wurde 1989 im kleinen Ort Höllenwitz im nördlichsten Norden Mecklenburg Vorpommerns geboren. Schon in jungen Jahren war die Heimat in seinem Schreiben Programm. Angereichert mit Lektüren von Stephen King und Edgar Allen Poe entstanden die ersten düsteren Kurzgeschichten und Gedichte, immer mit einer Prise Humor. Er war auch einer der ersten, der zehn Reime auf Teufel fand. Um sein schriftstellerisches Können auszubauen, studierte er kreatives Schreiben an der Autorenschule Schreibhain in Berlin. Nach Beendigung seines Studiums gelangen ihm erste teuflisch gute Veröffentlichungen in Anthologien. Neben seinem Schreiben arbeitet er als Erzieher in einem Jugendzentrum und schauspielert in einem Theaterverein. Seine letzte Rolle, wie sollte es auch anders sein, war Mephisto in einer Adaption von Faust.

Brotoles

Der Teufel lief durch den Vorgarten. Am Ende des schmalen Kiesweges – hier müsste Mal sauber gemacht werden, dutzende Gegenstände lagen kreuz und quer –, stand ein schmales Häuschen, das eher wie ein Schuppen aussah.

Gleich war es so weit. Sein erstes Mal. Und er würde den Kunden in die Inferna mitnehmen. Für ihn waren sie eher Opfer, aber sein Vater, der gleichzeitig sein Chef war, verstand hier keinen Spaß. Gleich würde er ihn mitreißen, in die qualvolle, schmerzhafte …

»Autsch!« Er rieb sich seine Hufe. Hitze durchfuhr sein haariges Bein. Er war – auch das noch – über eine steinerne Engelsfigur gestolpert.

Der eine Flügel lag abgebrochen am Boden. War er das gewesen? War ja auch egal. Wer, verflucht, stellte überhaupt Engelsfiguren im Garten auf?

Der Teufel stand vor der Tür. Gleich würde er seinen ersten Auftrag erledigen.

»Bring mir diesen Kunden. Mach es qualvoll! Mach es schmerzhaft! Denn du bist jetzt ein ausgesandter Teufel, Sohn!«

O ja. Er würde seinen Vater stolz machen. Er würde seinen Kunden, sein Opfer, voller Qualen …

»Watt? Wer bist du denn?« Ein untersetzter Mann mit Hemd – falsch zugeknöpft –, Jogginghose und Sandaletten blickte ihm in der offenen Tür entgegen. In einer Hand eine Bierdose.

»Äh … ich bin der Teufel!« Der Teufel musste husten, weil seine tiefer verstellte Stimme ihm im Hals kratzte.

Der Mann stellte seine Bierdose neben sich auf einem Schränkchen ab und klopfte ihm auf den Rücken.

Der Teufel riss seine behaarten Arme in die Luft und spreizte seine drei Klauen. »Ich bin Brotoles! Und ich nehme dich mit in die qualvolle, finstere Inferna, Mensch!« Dieses Mal mit seiner normalen Stimme.

»Hab ich mir doch gleich gedacht, dass das kein Kostüm is’!«, erwiderte der untersetzte Mann mit schrägem Hemd vor ihm und hickste.

»Es ist zu spät, Mensch! Du kannst dich nicht wehren, du …« Wie ging der Aufklärungsspruch weiter? Verdammt, er hatte es doch noch bis eben geübt!

»Ja, ja, is’ schon gut«, erwiderte der Mann. »Wenn ich mir mein Leben anschaue, hab ich mich eh gefragt, wann du endlich auftauchst.«

Ah, jetzt fiel es ihm wieder ein: »Du wirst für deine Sünden büßen, bis in alle …«

»Willst du nicht erst einmal rein kommen?«

Der Teufel nahm seine Arme wieder herunter. »Äh …«

Mit der Bierdose in der Hand verschwand der Mann in seinem Schuppen … ähm, Häuschen.

Der Teufel folgte ihm.

Das Wohnzimmer war nicht viel größer als der Flur. Ein paar leere Bierdosen lagen auf dem Tisch. Im Fernseher, dessen Bild die Größe einer Briefmarke hatte, lief gerade Fußball. Der Mann folgte dem Blick des Teufels.

»Ha. Wie passend, 2. Liga, Kaiserslautern.«

Der Teufel verstand es nicht.

»Egal. Also, wie geht das jetzt vonstatten, dein Höllending?«, fragte sein Kunde.

»Ich … ich lege jetzt die Hand auf deine Schulter, dann …«, stotterte er. »O verdammt, du bringst mich aus dem Konzept! Du darfst mir keine Fragen stellen, du hörst dir nur an, was ich sage, zitterst vor Angst und dann erledige ich meinen Auftrag.«

»Alles klar.«

»Es ist zu spät, Mensch, du …«

»Musst du das unbedingt noch mal runterbeten? Ich hab das doch schon gehört«, grätschte der Mann dazwischen und nahm einen Schluck aus seiner Bierdose.

»Ja, gut, also … wir können auch ohne.« Brotoles legte seine Hand auf die Schulter des Mannes. Gleich würden sie beide in Flammen aufgehen. Das Feuer, das Portal zur Inferna, würde sie verschlingen. Dann würde sein Opfer vor Schmerzen schreien und noch mehr schreien, wenn sie angekommen waren. Gleich …

Doch der Mann blieb unversehrt. Statt zu brennen, nahm er einen weiteren Schluck Bier und hickste.

»Klappt irgendwie nich, wa’?«

»Nein, ganz und gar nicht! Du bist doch Manfred Hegener?«

»Jap, wie er leibt und trinkt«, antwortete Manfred und nahm sich eine neue Bierdose aus dem Kühlschrank, der komischerweise im Wohnzimmer stand.

»Hm.« Der Teufel kratzte sich mit einer Klaue am Kinnbart.

Es zischte. »Schon eine Idee?« Das Bier schäumte in Manfreds Faust, schnell saugte er es weg.

»Hast du Angst vor mir?«, fragte der Teufel.

»Nö, nich wirklich.«

»Das ist es! Los! Hab Angst!«

»Und wie?«

»Du könntest wenigstens so tun als ob.«

»Ah, Hilfe, der Teufel!«, rief Manfred in verstellt hoher Stimme aus.

»Du musst schon mehr geben!«

Manfred schüttelte seine Arme in der Luft, wobei er Bier verschüttete. »Hilfe! Hilfe!«

Der Teufel legte seine drei langen Klauen auf Manfreds Schulter und verzog das Teufelsgesicht vor Konzentration.

»Hilfe! Hilfe! Ich hab Angst. Hilfe! Hilfe! So, jetzt hab ich keine Lust mehr!« Manfred wandte sich von Brotoles ab.

»Und jetzt? Wie soll ich das meinem Vater erklären? Du bist meine Prüfung. Du und der andere. Nur wenn ich sie bestehe, bin ich würdig, Teufel zu sein.«

»Welcher andere?«

»Das ist doch völlig egal.« Der Teufel ging auf die Knie und gab seltsame gurgelnde Geräusche von sich.

»Wasn jetzt los? Heulst du etwa?«, fragte Manfred verwundert.

»Äh … nein!«, presste Brotoles mit einem Schluchzer hervor.

Nun war es Manfred, der dem Teufel die Hand auf die Schulter legte, wobei er sein Bier auf dem Couchtisch abstellte.

»Na, Kopf hoch! Es gibt Schlimmeres. Wie den Himmel zum Beispiel.« Manfred lachte, der Teufel nicht.

»Und jetzt?«, fragte Brotoles.

»Komm, wir gehen was trinken.«

»Ich soll unter den nichtigen Menschen verweilen?« Der Teufel verzog sein Gesicht zu einer Fratze.

»Komm schon, Brutto, äh … Broto… äh …«

»Brotoles.«

»Wusst ich’s doch, irgendwas mit Brot. Komm, wir gehen.« Manfred schnappte sich seine Bierdose vom Couchtisch und lief hinaus in den Flur.

Brotoles folgte ihm.

Beide saßen nun in einem Irish Pub in einer Ecknische. Zwei Gläser mit Guinness zwischen ihnen, dessen Schaum im Kerzenschein bernsteinfarben schimmerte. Wobei nur Manfred trank. Er überlegte schon, ob er nicht das Glas vom Teufel einfach mitleeren sollte. Tranken Teufel eigentlich Bier?

Die Kneipe war ein Geheimtipp und lag im Keller eines Gebäudes. Aus den Boxen lief gerade: Highway to hell.

»Brotlos, sach mal …«

»Brotoles!«, erwiderte der Teufel genervt.

»Richtig. Sach mal, wie kamst du eigentlich dazu?«

»Zu was?«

»Na, zum Teufel sein.«

»Ich wurde so geboren.«

»Ach so.« Manfred trank aus seinem Glas und hinterließ eine Schaumschnute auf seiner Oberlippe. Was konnte man schon mit einem Teufel bereden?

Die Kneipe war recht überschaubar besucht. Die wenigen am Tresen und bei den Kickertischen, sahen erstaunt immer wieder herüber. Jemand hielt sogar sein Smartphone auf ihre Ecknische gerichtet und steckte es schnell wieder weg, als der Teufel hinsah.

»Die fragen sich, ob du echt bist. Mann, wenn jetzt Halloween wär, hättest du das besste Kossüm.«

»Was soll das sein – Halloween?«

»Watt? Du kenns’ Halloween nich? Michael Myers und so?«

»Ich kenne keinen Michael Myers.«

»Bei euch gibt’s ken Fernsehr? Scho lausig.«

Der Teufel schwieg.

Manfred trank. »Ich weiß ja, dass ich kein Saubermann bin, aber nur aus Inna… Int’ressen, warum genau solltest du mich einglich in die Hölle, oder wie hast du g’meint, Infernos, mitnehmen?«

»Inferna.« Brotoles zuckte mit den Schultern. »Mein Vater hat mir nur deinen Namen gegeben. Den Hintergrund habe ich nicht erfahren.«

»V’lleicht liegt das an meinen Diebstählen in der Jugend. Oder weil ich in den Garten meiner Oma gepinkelt hab. Oder weil ich so viel saufe. Alkohol, das Teufelszeug. Nichts für ungut.«

Der Teufel zeigte sich unbeeindruckt.

»Aber w’scheinlich liegt das eher an meinen Ex-Frauen. Ich war nie wirklich ein guter oder treuer Ehemann. Um genau zu sein, war ich ein mis’rabler Ehemann. Zu allen …« Manfred zählte an seinen Fingern ab. »Ja, doch, zu allen vieren. Sei froh, dass du so was nicht hast.«

»Was?«

»Ehen, be… b’ziehensweisse Ex-Ehen.«

»Was ist das?«

»Egal.« Manfred winkte ab. »Habt ihr Teufel einglich so was … so was wie Kinner? Obwohl … du sprichst ja dauernd vom Vater, dann bist du ja selbst ein erwass’nes Kind.«

Brotoles zog einen Geldbeutel aus seinem Fell. Er nahm zwei Polaroids aus dem Fach und legte sie auf den Tisch. Auf jedem das kleine Gesicht eines Teufelchens.

»Kratan und Sirius«, sagte Brotoles, während er mit seinen langen, steinernen Krallen auf die Fotos zeigte. »Irgendwann werden sie die Prüfung erhalten und auf die Erde gehen und die Menschen unter Todesqualen in die Inferna holen.«

»Echt süß, die beiden.«

Mit einer raschen Bewegung versteckte der Teufel seinen Geldbeutel samt Fotos wieder ins Fell. Er schüttelte den Kopf, seine Hörner machten zwei Halbkreise in der Luft.

»Wenn mein Vater wüsste, dass ich gerade mit einem primitiven Untermenschen herumsitze.« Er wandte sich an Manfred. »Nichts für ungut.«

Manfred zuckte die Schultern und nahm einen großen Schluck von Brotoles’ Bier. Der würde es ja doch nicht trinken.

»Du hassst ein strenge Vater, oder?«

Der Teufel nickte. »Er wird mich die nächsten Jahre die Ställe der Höllenhunde ausmisten lassen, weil ich zu nichts anderem Nütze bin.«

»Ha, kenn’ üsch. Wenn mein Vater ein guten Tag hadde, hadda mal nisch den Gürtel zur Züsch … warte … Züschdijung genommen. Den habt ihr wahrscheinlich vor Jahn au schon mitgenommen.« Der Alkohol tat so langsam seinen Job. Am Ende würde sich vielleicht noch herausstellen, dass er sich das alles hier eingebildet hatte.

»So, Schluss mit dem sinnlosen Palaver. Ich muss meinen Auftrag erledigen und habe nicht den ganzen Tag Zeit. Schließlich habe ich später noch einen anderen Kunden.«

»Kunden? Wer?«

»Darf ich nicht verraten. Datenschutz.«

»Ach, komm scho. Wir sinn doch unner uns.«

Der Teufel schnaufte tiefkehlig. »Was solls. Bruno Kuslowski.«

»Ach was! Der Kussi! Ja, des geht ned.«

»Wieso?«

»Der is’ im Ur… im Urlaub.«

»Das ist jetzt ja auch völlig egal. Erst einmal muss ich dich mitnehmen.«

»Und wie?«

»Du musst Angst bekommen.«

»Ach ja.«

Eine blonde Bedienung machte einen großen Bogen um ihren Tisch und sah den Teufel dabei mit aufgerissenen Augen und verkniffenem Mund an.

»Kuck, die ha’ Ongs … Angs vor dir«, sagte Manfred.

»Und wie bring ich dich dazu und warum redest du so komisch?«

»Bsoff’n.«

»Ah.«

»Hm. Ich hab’s.« Manfred riss seinen Arm in die Luft, so als meldete er sich.

»Und was?«

»Schnaps! Dad hilf’ uns auffe Sprünge.«

»Ich habe keine Zeit für Spielchen!«, erwiderte Brotoles erbost und zeigte dabei auf eine Uhr an der Wand, auf der every time is Guinnesstime zu lesen war.

»Oke, oke.« Manfred dachte nach, obwohl das gerade schwer war. Aber er versuchte es zumindest. »Dann enn Pfeffi … komm scho’, ich brauch wad zum Denken.«

»Na, dann mach. Aber schnell!«

Die Bedienung brachte die Bestellung, wobei sie die Gläser am hintersten Rand des Tisches abstellte und wegrannte. Ihm fiel wieder ein, dass der Teufel ja sowieso nichts trinken würde, so stürzte er beide Liköre hinunter. Er schmatzte. »So, etz hab ich’s.«

Der Teufel schlug die Faust auf den Tisch. Die leeren Schnapsgläser fielen um. Manche der Gäste drehten sich zu ihnen und in derselben Sekunde wieder weg. Dem Typen an der Theke fiel das Smartphone aus der Hand.

»Kein Schnaps und kein Pfeffer mehr!«

Manfred machte eine beschwichtigende Geste. »Beruh’ dich. Das war nich’ schlecht, genau wie mein Idee. Mach das nochma’, abba diesma’ mit dein’ schlimmsten G’sicht, was du aufziehen kanns’.«

»Und dann?«

»Dann ha’ ich Ong… Angst.«

»Das klappt doch eh nicht!«

»Doch.«

Der Teufel tat wie im vorgeschlagen, verzog das Gesicht und schlug auf den Tisch. Manfred krümmte sich und fiel schreiend von der Bank. Der Teufel sah auf den Boden. Mit kratzigen und schleimigen Geräuschen lachte sich Manfred die Seele aus dem Leib.

»Nein … das … funktio… fungiert so nich’. Du sahst … sahst aus wie mein Oma damals, als ich als Kinn in den Garten gepinkelt hab’. Und die hat auch auffe Tisch geschlagen.« Manfred setzte sich lachend wieder auf die Bank und trank das Bier leer. »Wir müsssen anners vor.« Manfred versuchte nachzudenken. »Brutales, etz hab ich’s wirklich.«

»Brotoles!«

»Ja genau. Schluckauf.«

»Was soll das jetzt wieder heißen?«

»Schluckauf geht ja wesch durch Erschrecken. Du erschreckst dich irnwo, äh … versteckst dich irnwo, während üsch mich wegdreh und dann lauf üsch rum und du springst außem Versteck und versteckst mich … erschreckst mich. Und dann wenn üsch panisch schrei’, machst du den Höll’nding.«

Der Teufel schnaufte abermals. »Was solls.« Er stand auf. »Aber du darfst wirklich nicht kucken.«

»Nee, mach üsch ned.« Manfred drehte sich zur Wand. »Kann üsch kucken, Brotles?« Keine Antwort. Wahrscheinlich war er so weit.

Manfred schwankte durch die Kneipe. Die Theke stand doch vorhin noch woanders, oder? »Wo issa denn?«

Ein Tisch, der gerade noch besetzt gewesen war, war nun menschenleer. Mit Sicherheit geflohen, als der Teufel sich auf den Weg gemacht hatte. Ja, er sah schon furchterregend aus. Die Hörner, die Hufen und dann noch die vier Klauen, oder waren das nur drei?

»Buh!«

Vor dem Ausgang, der zur Treppe nach oben führte, ging Manfred einige Schritte zurück und lachte, bis sein Bauch wehtat. Mit ausgestreckten Armen und verzerrtem Gesicht bauschte sich der Teufel vor ihm auf. Er hatte sich wohl im Getränkelager neben der Theke versteckt. Seine Fratze sah nun noch bescheuerter aus als vorhin. Ein Mann mit Verstopfung, der gerade versuchte, die Verstopfung zu entstopfen.

Die Bedienung drückte sich ans letzte Regal hinter dem Tresen.

Die Leute am Kickertisch pausierten ihre Partie und sahen zu ihnen herüber, bis der Ball wieder über den Tisch kullerte.

»Nee … d’s klappt ned. Du müssest … müssst wie mei’ Ex-Frau aussehen. Dann hätt’ ich wirklich Angst! Aber so …« Manfred schrie panisch auf. Etwas hatte ihn in den Rücken gestochen. Er drehte sich um. Da war nur die Spitze eines Regenschirms an der Garderobe.

»Ich gebe auf. Du darfst weiter auf der Erde verweilen, Mensch. Mach’s gut. Vielleicht klappt das bei meinem zweiten Kunden besser.«

Manfred umarmte den Teufel, doch die Umarmung wurde nicht erwidert. Sein Fell roch nach Rauch.

»Hast du v’lleich’ ne Kippe?«, fragte Manfred.

Brotoles schüttelte die Hörner und schnaufte. »Mach’s gut, seltsamer Mensch!«

Plötzlich stieg eine Feuersäule empor und der Teufel brannte lichterloh. Im nächsten Moment war das Feuer mitsamt dem Teufel verschwunden. Hinter ihm konnte Manfred hören, wie die Bedienung schrie. Ja, die hatte wirklich Angst. Konnte froh sein, dass sie nicht so sündhaft gelebt hatte wie er.

Eine Hand legte sich auf seine Schulter. Eine beharrte Hand mit drei oder vier Klauen? Der Teufel?

Manfred öffnete seine Augen. Alles verschwommen. Dann wurden die Umrisse schärfer. Kein Teufel.

Kuslowski war vor ihm. Kussi. Wohl doch nicht im Urlaub.

»Eye, was pennst du denn hier so rum? Jetzt geht doch die Party!« Kussi lachte und hob einen Finger Richtung Bedienung. Seine typische Geste für: »Ein Abgezapftes, bitte«. Die blonde, junge Frau von vorhin war abgelöst worden. Nun füllte eine stämmige Mittvierzigerin die Biere ab.

Manfred musste am Tresen eingeschlafen sein, als er hier noch einen … oder zwei Absacker nach den ganzen Erlebnissen trinken wollte. Vor ihm stand ein halb volles Glas Guinness. Und ein paar leere Schnapsgläser. Er sah sich um. Mittlerweile war die Kneipe voll, kein Tisch mehr frei. Stimmengewirr und Gelächter. Aus den Boxen hämmerte Stairway to heaven. Vielleicht hatte er das alles nur geträumt. Er exte sein Glas und bestellte sich ein neues. Auch Kussi hatte sein Glas bereits geleert und hob wieder seinen Bestellfinger.

»Mensch, wenn wir so weiter saufen, holt uns noch der Teufel!«, sagte Kussi mit einem bärtigen Schmunzeln zu Manfred.

»Wenn du wüsssesd.«

Alisha Pilenko

Alisha Pilenko, geboren 1983 v. Chr., studierte Psychologie an der Universitas diabolica. Sie arbeitet als psychopathische … ähm … psychologische Psychotherapeutin in eigener Praxis, wo sie vielleicht eine Therapiegruppe für die Herrscherinnen und Herrscher der Unterwelt leitet – darüber dürfte sie allerdings nicht sprechen.

In ihrer Freizeit verfasst sie phantastische und humorvolle satanische Verse, die bereits in verschiedenen Anthologien veröffentlicht wurden.

Ihr Roman Voodoo wider Willen erschien 2021 im Chaospony Verlag und wurde für den Seraph 2022 in der Kategorie Bestes Debüt nominiert.

Apokalypse jetzt – oder später

»Lucy!«

Ich erwachte aus einem vage erotischen Traum mit vier Satyrn, zwei Sukkuben und einem Knäckebrot, als sich eine penetrante Stimme in meine Gehörgänge bohrte.

»Lucy!«

Kurzerhand schnappte ich mir ein schwarzes Satinkissen und warf es in Richtung des Ruhestörers. Es verfehlte sein Ziel, prallte an der Wand ab und riss dabei den Kerzenständer vom Nachttisch.

»LUCY!«

Baals Kopf schob sich in mein Gesichtsfeld – dreimal. Die grünen Augen in seinem Katzengesicht waren zu dämonischen Schlitzen verengt, während sein menschliches Gesicht höflich-distanzierte Professionalität zeigte, und sein Krötengesicht aussah wie eine … nun … Kröte.

Ich versuchte, ihn zu verscheuchen wie eine lästige Fliege. »Lass mich in Ruhe, ich bin tot.«

»Das bist du nicht«, entgegnete mein Sekretär indigniert. »Du bist die gottverdammte Fürstin der Hölle. Und jetzt: Steh auf!«

Ich hievte mich in eine aufrechte Position. Das war zumindest das, was ich geplant hatte. Tatsächlich sackte ich auf halbem Weg in mich zusammen und kippte seitlich vom Himmelbett, die Beine noch auf der Matratze, der Rest am Boden.

»Das würde ich ja«, lamentierte ich. »Aber wie mir scheint, hat jemand die untere Hälfte meines Körpers in Wackelpudding verwandelt, und da, wo sich mein Kopf befinden sollte, ist nur dieser vollgesogene Schwamm.« Ich massierte mir die pochenden Schläfen.

Baals Krötengesicht erschien wieder – verkehrt herum – und seine Glupschaugen weiteten sich empört. »Hast du wieder zu viel getrunken?«

»Definiere zu viel.« Ich schnippte mit den Fingern und ein kalter Waschlappen materialisierte sich auf meiner Stirn.

Baal brummte, wandte mir sein menschliches Gesicht zu und klappte sein Klemmbrett auf. »Wir haben viel zu tun.«

Ich seufzte. »Haben wir das nicht immer?«

»Wenn du weniger trinken und mehr arbeiten würdest …«

»Ich arbeite ständig«, protestierte ich. »All die unsterblichen Seelen verführen sich schließlich nicht von alleine. Arbeit ist gewissermaßen mein zweiter Vorname. Nein, eigentlich ist mein zweiter Vorname Satanas. Oder Beelzebub? Das bringe ich immer wieder durcheinander. Also wäre Arbeit eher mein vierter Vorname.«

»Lucy!«

»Schon gut.« Ich richtete mich auf, schnippte mir ein Glas Schwefelwasser herbei und trank in kleinen Schlucken. »Genaugenommen ist das alles Lokis Schuld. Der weiß einfach, wie man eine Party feiert. Die Drinks sind höllisch gut. Und ihn selbst würde ich auch nicht von der Bettkante schubsen, wenn du verstehst, was ich meine.« Ich grinste anzüglich.

»Punkt eins«, sagte Baal ungerührt, zog eine Brille aus seiner Westentasche und setzte sie auf. »Die meisten Dämonen sind unzufrieden.« Er wandte mir sein Krötengesicht zu und zog einen Flunsch. »Sie langweilen sich und sind es satt, nur die Feuer in einer leeren Hölle zu hüten und darauf zu warten, dass Gott am Tag des Jüngsten Gerichts endlich die Toten wieder auferstehen lässt, um die Guten in den Himmel und die Bösen in die Hölle zu schicken. Sie wollen jetzt ein paar arme Sünder quälen.«

»Was kann ich dafür, dass Gott sich mit der Apokalypse so viel Zeit lässt?« Ich gestikulierte mit dem Waschlappen. »Nach meinen Berechnungen hätte sie längst stattfinden sollen. Bei der aktuellen wirtschaftlichen Lage ist es eine enorme Energieverschwendung, die Hölle die ganze Zeit betriebsbereit zu halten.« Ich überlegte einen Moment. »Was ist denn aus dem Projekt geworden, ein paar herumirrende Seelen zu malträtieren? Bis die am Ende aller Tage mit ihren Körpern wieder vereint sind, schweben sie doch ohnehin überall nutzlos herum. Da können wir genauso gut ein wenig Spaß mit ihnen haben.«

Baal rümpfte die Nase. »Seelen sind so feinstofflich und flutschig, da macht das Foltern keinen Sinn. Und brennen tun sie auch nicht.«

»Dann veranstalten wir eben ein großes Fest, um die Dämonen zu besänftigen«, beschloss ich. »Ein paar Spiele, Teambuilding, Würstchen für alle. Besorg auch vegane Bratlinge und Gemüsespieße. Es soll mir niemand nachsagen, ich würde mich nicht um die Bedürfnisse meiner Mitarbeitenden kümmern.«

Baal zückte einen Stift, schrieb etwas auf seinen Notizblock und sagte: »In der vierten Hölle ist mal wieder das Brennholz ausgegangen. Die Gruseldekoration der sechsten Hölle bräuchte eine Generalüberholung, die eiserne Jungfrau in der zweiten Hölle klemmt und das Fegefeuer könnte man eher als Fegeflämmchen bezeichnen. Insgesamt explodieren die Kosten, wir müssen dringend sparen.«

Ich schnippte mir einen neuen Waschlappen herbei. »Also gut, hör zu und notiere. Folgende Umstrukturierungen gebe ich bekannt: Die Abteilung Häresie, sechster Kreis der Hölle, wird aufgelöst. In unserer modernen pluralistischen Gesellschaft erscheint die Bestrafung von Ketzern nicht mehr zeitgemäß und die Inquisition ist bedauerlicherweise lange aus der Mode gekommen. Ferner können wir die Abteilungen Lust, zweiter Kreis der Hölle, Völlerei, dritter Kreis der Hölle, und Gier, vierter Kreis der Hölle, zusammenlegen. Die Bereiche waren ohnehin nie so trennscharf. Wir nennen die neue Abteilung einfach ungezügeltes Verlangen. Natürlich müssen wir ein paar Entlassungen vornehmen. Vielleicht können wir manche Dämonen ins Homeoffice schicken.«

Baal sah auf. »Dann werden sie sich noch mehr langweilen.«

»Dafür veranstalten wir ja das Fest, hörst du mir gar nicht zu?«

Baal sah mich fragend an. »Und wer soll diese neue Abteilung leiten?«

»Nimm Legion. Der ist viele und wird das schon hinkriegen. Weiterhin«, fuhr ich fort, »können wir die Abteilungen Betrug, achter Kreis der Hölle, und Verrat, neunter Kreis der Hölle, ebenfalls fusionieren und umbenennen in Lug und Trug. Das klingt auch viel eingängiger. Gibt es sonst noch etwas?«

Baal schaute auf sein Klemmbrett. »Wir hätten da noch das Problem mit der Vorhölle.«

»Was ist damit?«

»Nun, nach allgemeiner Meinung hat die katholische Kirche den Limbus abgeschafft.«

»Wunderbar.« Ich trank noch einen Schluck Schwefelwasser. »Dann können wir an der Stelle doch einen Gemüsegarten anlegen.« Auf einmal durchfuhr es mich siedendheiß. »O nein!« Ich schlug mir vor die Stirn. »O nein, o nein, o nein!«

»Darf ich aus deinem Lamento schließen, dass aus dem Gemüsegarten nichts wird?«, erkundigte sich Baal. »Wie wäre es stattdessen mit einem Fitnessstudio? Das könntest du unter Präventionsmaßnahmen für die Mitarbeitergesundheit verbuchen.«

»Nicht nur aus dem Gemüsegarten«, berichtigte ich. »Aus der ganzen Hölle.«

»Wie soll ich das verstehen?«

»Du weißt doch, dass ich keinem Würfelspiel widerstehen kann.«

»Ja«, sagte Baal vorsichtig.

»Und dass ich manchmal ein wenig zu tief ins Glas schaue.«

»Manchmal?«

»Auf jeden Fall hatte ich gestern ein Spiel mit dem Biest.«

»Du meinst 666?«

»Kennst du noch ein anderes Biest?«

Er musterte mich lang und prüfend.

»Auf jeden Fall«, sagte ich, »wurde die Nacht länger, die Drinks stärker. Irgendwann sagt das Biest: ›Lass uns die Einsätze erhöhen‹. Und ich: ›Na klar.‹ Dann kam irgendwie eins zum anderen. Und am Ende hab ich die Hölle verloren.«

»Du hast die Hölle verloren?«

»Japp.«

»Bei einem Würfelspiel?«

»Es war ein sehr spannendes Würfelspiel.«

»Aber …«

»Jetzt reg dich nicht auf, ich finde schon eine Lösung. Schließlich bin ich die Höllenfürstin.«

»Jetzt wohl eher die Ex-Höllenfürstin.«

Plötzlich ertönte eine Fanfare. Ich sah Baal fragend an.

»Ähm«, machte der, blätterte nervös durch seine Notizen und wandte mir dann sein Katzengesicht zu. Die großen Augen funkelten unschuldig, als wollten sie sagen: Sieh mich an, ich bin niedlich und harmlos und du hast bestimmt keine Lust, mich in siedendes Öl zu werfen. »Ich sollte dich doch an dein Meeting mit Gott erinnern.«

»Jaaa?«

»Nun, du hast jetzt ein Meeting mit Gott.«

Ich rieb mir die Stirn. Das hatte mir gerade noch gefehlt. Die Fanfare erklang ein zweites Mal.

»Ich komme ja schon«, murmelte ich. »Also, was brauche ich?«

»Kleidung wäre nicht zu verachten«, sagte Baal hilfreich.

Ich klatschte in die Hände und schon stand ich in meinem besten schwarzen Lederoutfit vor dem Spiegel. »Was meinst du, welche Hörner passen dazu?«

Baal grunzte.

»Du hast recht, die Ausgehhörner.« Ich ließ mir große, gewundene Widderhörner wachsen und betrachtete mich im Spiegel. »Da muss man doch Sympathie für den Teufel haben, oder?«

Mein Sekretär zog es vor, zu schweigen. Also schritt ich voran in die große Halle. Baal trippelte mit seinen Spinnenbeinen hinterher. Die Fanfare erklang bereits zum dritten Mal, als wir die Halle erreichten. Dann erschien ein grelles Licht. Getragen von mehreren Thronen schwebte Gott hernieder. Um ihn herum flogen feurige, sechsflügelige Seraphim, die unaufhörlich »Heilig, heilig, heilig« sangen.

Ein Cherub proklamierte: »Siehe, ich kündige an eine große Freude, denn es besucht euch heute: der Eine, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. Die göttliche Dreifaltigkeit. Herr aller Mächte und Gewalten. Unfehlbar. Unendlich. Unergründlich. Unnennbar … aua! Wie oft soll ich euch noch sagen, dass ihr mir mit euren Feuerflügeln nicht zu nahe kommen sollt?« Er saugte beleidigt an seinem Finger.

»’Tschuldigung«, murmelte einer der Seraphim und die anderen stimmten an: »Heilig, heilig, heilig!«

»Wo war ich?«, überlegte der Cherub und kratze sich am Kopf. »Ach, ja: Unfehlbar. Unendlich. Unergründlich. Unnennbar …«

»Jaja, schon gut.« Gott winkte ab. »Ich glaube, hier wissen alle, wer ich bin. Tach auch.« Er sah sich um. »Ganz schön dunkel hier.«

Ich räusperte mich. »Wir versuchen, Energiekosten zu sparen.«

»Heilig, heilig, heilig«, sangen die Seraphim.

»Und, ähm, Dein Leuchten erhellt ohnehin jede Finsternis, o Herr«, fügte ich schnell hinzu.

»Danke«, sagte Gott. »Ich mag deine neuen Hörner. Sehen sehr … teuflisch aus.«

»Ich danke ebenfalls.« Ich konnte mir einen triumphierenden Seitenblick zu Baal nicht verkneifen. Der zuckte nur die Schultern. »Wie geht es der Heiligen Jungfrau Maria?«, erkundigte ich mich.

»Heilig, heilig, heilig«, tönten die Seraphim.

»Wie bitte?«, fragte Gott.

»Der Jungfrau Maria«, schrie ich.

»Heilig, heilig, heilig!«

»Kannst Du vielleicht die Backgroundmusik ausschalten?«, bat ich. »Bei dem Lärm kann man sich schwer konzentrieren.«

Gott machte ein Handzeichen und die Seraphim verstummten. »Ah, viel besser«, sagte Er. »Maria? Ihr geht es gut soweit. Langweilt sich ein wenig. Es ist schwierig, wenn man zu den einzigen beiden Personen gehört, die bisher leiblich in den Himmel aufgenommen wurden. Sie versucht, den Heiligen das Kartenspielen beizubringen, aber Seelen haben nun mal keine Hände.«

»Wenn sie ein paar neue Tricks lernen will, kann sie gerne mal wieder zu Besuch kommen«, bot ich an.

»Ich werde es ihr ausrichten.« Gott lächelte und Sein Strahlen trieb mir Tränen in die Augen. »Aber genug des Small Talks, kommen wir zum Punkt: Bei unserem letzten Meeting hast du in expliziter Sprache deinen Unmut über gewisse aktuelle Zustände geäußert.«

»Ich verwende nie explizite Sprache«, verteidigte ich mich.

Baal hustete.

»Nun ja, selten«, korrigierte ich mich.

»Lass uns schauen, dein genauer Wortlaut war …«, Gott winkte dem Cherub, der eine Schriftrolle erscheinen ließ und vorlas: »›Diese gottverdammte Scheiße geht mir gehörig auf die verfluchten Nerven.‹«

»Heilig …«, begannen die Seraphim, schauten zu Gott und verstummten enttäuscht wieder.

»Ja, äh, vielleicht war ich ein wenig aufgebracht«, räumte ich ein. »Das ewige Warten auf die Apokalypse verschlingt langsam meine letzten Reserven.« Aus den Augenwinkeln sah ich Baal hektisch den Kopf schütteln, aber ich fuhr fort: »Die Instandhaltungskosten werden mich noch mal umbringen. Und es wird immer schwieriger, einen guten Elektriker zu finden. Du bist leider nicht sehr präzise, wenn es um ein konkretes Datum für den Weltuntergang geht, o Herr.«

»Du hast Recht«, sagte Gott.

»Hab ich?«

»Ja, ich habe in meiner unendlichen Weisheit über deine Worte nachgedacht und entschieden, alsbald das Ende der Welt einzuläuten. Ich bin ihrer sowieso überdrüssig. Hast du nicht auch das Gefühl, dass die Geschichte sich ständig wiederholt?«

»Nun, ich …«

»Schau dir die Diktatoren an: alle gleich. Und die Konflikte. Da ist in tausend Jahren keine Innovation hinzugekommen. Ich wünschte, die Menschheit würde mich mal positiv überraschen.«

»Also, sooo eilig ist es mit der Apokalypse auch wieder nicht«, beeilte ich mich zu sagen. »Die Erde ist doch ganz schön. Die Müllberge, die Kriege, der Klimawandel, die Korruption.«

Gott stöhnte: »Sie ist furchtbar.«

»Die einen sagen so, die anderen so.«

»Was hältst du von nächsten Mittwoch?«

»Was?«

»Da habe ich noch eine Lücke in meinem Terminkalender«, sagte Gott. »Wie sieht es bei dir aus?«

Ich schaute verzweifelt zu Baal. Der blätterte in seinen Notizen und zuckte resigniert die Schultern.

»Alles frei bis auf 23:00 Uhr: Strip-Poker bei Loki. Aber ich denke, der Termin lässt sich verschieben.«

»Aber …«, stammelte ich. »Aber …«

»Gibt es ein Problem?«, fragte Gott.

Ich hüstelte. »Nein, überhaupt nicht. Ich meine, nächsten Mittwoch Weltuntergang? Das ist perfekt.«

Gott klatschte in die Hände. »Dann ist es besiegelt. Ich hoffe, du hast dein Skript?«

»Hä?«, machte ich.

»Offenbarung des Johannes, Neues Testament. Wir hatten vor knapp 1950 Jahren ein Briefing zu diesem Thema. Bisschen wirr der Text, aber die Bildsprache ist großartig. Ich erwarte von allen Beteiligten, dass sie sich an die vorgegebene Choreografie halten.«

»Selbstverständlich«, sagte ich. »Baal, wo ist noch mal meine Bibel?«

»Zuletzt hast du sie, glaube ich, als Türstopper für die Folterkammer verwendet.«

»Öhm, ja.« Ich schenkte Gott ein Lächeln. »Alles unter Kontrolle, o Herr.«

»Wunderbar.« Gott nickte zufrieden. »Ich sage Jesus, dass er schon mal das Buch mit den sieben Siegeln raussuchen soll. Wahrscheinlich hat er es wieder verschlampt. Der Junge ist so unordentlich. Dauernd sage ich ihm, dass er sein Zimmer aufräumen soll. Aber so ist das wohl, wenn man mit über 30 Jahren noch bei den Eltern wohnt.« Gott starrte einen Moment sinnierend in die Ferne. »Wie dem auch sei. Satanas, mein Widersacher, am Mittwoch werden wir uns auf dem letzten Schlachtfeld gegenüberstehen. Bis dahin: Mach’s gut.«

»Du auch«, sagte ich und spürte, wie ich wieder Kopfschmerzen bekam.

Der Cherub proklamierte: »Siehe, ich kündige an eine große Trauer, denn es verlässt euch nun: der Eine, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. Die göttliche Dreifaltigkeit. Herr aller Mächte und Gewalten. Unfehlbar. Unendlich. Unergründlich. Unnennbar … aua! Passt doch auf!«

»Heilig, heilig, heilig!«

Und während Gott, gehüllt in strahlendes Licht, getragen von seinen Thronen, langsam entschwebte, blieben Baal und ich zurück in der immer dunkler werdenden Dunkelheit und sahen uns an.

Schließlich brachte Baal es auf den Punkt: »Ich würde sagen, jetzt stecken wir aber knietief in der Scheiße!«

»Verdammt!« Ich war versucht, meine Hörner gegen die Wand zu rammen. »Was machen wir denn jetzt? Verdammt, verdammt, verdammt!«

»Ich würde sagen …«, Baal tippte auf den Kalender, »… es ist erst mal Zeit für deine Therapiegruppe.«

»Wer hat denn ein Thema für die heutige Sitzung mitgebracht?« Die Psychotherapeutin ließ ihren Blick über die Stuhlkreisrunde schweifen.

Ein bandagierter Arm hob sich und ich konnte mir ein entnervtes Stöhnen nicht verkneifen.

Die Psychotherapeutin nickte aufmunternd. »Ja, Herr Osiris.«

»Ich würde gerne über die Beziehung zu meinem Bruder Seth sprechen«, sagte Osiris.

»Du sprichst immer über die Beziehung zu deinem Bruder«, seufzte ich.

»Das Trauma, von meinem eigenen Fleisch und Blut heimtückisch ermordet und anschließend von meiner Frau wieder zusammengeflickt worden zu sein, sitzt eben sehr tief«, entgegnete Osiris beleidigt.

»Ich wurde aus dem scheißverfluchten Himmel geworfen und jammere ich die ganze Zeit herum?«

»Frau Satan«, die Therapeutin warf mir einen warnenden Blick zu, »muss ich Sie an unsere wichtigste Gruppenregel erinnern?«

»Nur weil wir Herrscher der Unterwelt sind, müssen wir uns nicht unterirdisch benehmen«, soufflierte Baron Samedi, Voodoo-Loa des Todes. »Wir sind hier, um unsere ungünstigen Kommunikations- und Verhaltensmuster aufzudecken und neue hilfreiche Rollenbilder zu entwickeln.«

»Streber!«, zischte ich.

Osiris räusperte sich geräuschvoll. »Ich würde jetzt gerne auf mein Thema zurückkommen.«

»Vielleicht probieren wir etwas Neues und nehmen heute das Familienbrett zur Hilfe«, sagte die Psychotherapeutin und stellte ein Holzbrett mit Spielfiguren auf den Tisch in der Mitte des Raumes. »Das sind Sie, Herr Osiris.« Sie stellte eine Figur auf das Brett. »Und jetzt würde ich Sie bitten, Ihre Familienmitglieder so auf dem Brett zu positionieren, dass es die Beziehung zu Ihnen widerspiegelt.«

Osiris zupfte nachdenklich an seinen Bandagen. »Da wäre mein Bruder …« Er nahm eine Spielfigur in die Hand, drehte sie hin und her und schrie unvermittelt: »Seth, ich werde dir deinen Verrat niemals verzeihen! Ich hasse und verfluche dich bis ans Ende aller Tage!«

»Das wäre für alle Christen dann wohl nächsten Mittwoch«, murmelte ich.

Osiris schleuderte die Figur zu Boden und begann, darauf herumzuspringen, bis die Bandagen an seinem Körper verrutschten. »Was sagst du jetzt, Bruder?«

»Vielleicht verzichten wir doch lieber auf die Familienaufstellung und wenden uns beizeiten noch einmal dem Thema Antiaggressionstraining zu.« Die Psychotherapeutin packte vorsichtig das Brett wieder in den Schrank. »Ja, Herr Hades?«

»Ich vermeine, von Ihnen eine leise Kritik an den emotionalen Bewältigungsstrategien des hier anwesenden Osiris zu hören.« Hades deutete auf Osiris, der noch immer auf der Figur herumhüpfte und Verwünschungen ausstieß.

»Ich bin völlig neutral, Herr Hades«, sagte die Psychotherapeutin. »Ich kritisiere nicht, ich mache konstruktive Vorschläge.«

»Gut, denn ich möchte an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen, dass ewiger Zorn oder das Verüben von Rache probate Mittel sind, um göttliche Allmacht zu demonstrieren.«

»Waren«, korrigierte die nordische Göttin Hel. »Wir dürfen nicht vergessen, wozu wir hier sind. Ich halte es für angebracht, dieses archaische, maskuline Gebaren zu überwinden und endlich eine feministische Perspektive einzunehmen.«

Eine riesenhafte Hand hob sich.

»Ja, bitte Frau Mictilanhu … ähm«, sagte die Therapeutin und hüstelte verlegen.

»Mictlancihuatl«, berichtigte die Herrin der aztekischen Unterwelt und strich ihren Rock aus Klapperschlangen glatt. »Ich denke auch, dass wir mit der Zeit gehen müssen. Und hierzu gehört, Verzeihen zu können.«

Hades schnaubte.

»Wird das jetzt eine gottverdammte Grundsatzdiskussion oder können wir endlich weitermachen?« Ich fing an, aus Langeweile auf meinem Stuhl auf und ab zu rutschen.

»Möchten Sie sich auch mit einem Thema einbringen, Frau Satan?«, fragte die Therapeutin und warf einen Blick auf Osiris, der angefangen hatte, der Spielfigur gezielte Tritte zu verpassen.

»Vielleicht habe ich da dieses winzig kleine Problem«, begann ich.

»Hmm«, machte die Therapeutin.

»Bei einem Würfelspiel ist mir sozusagen die Hölle abhandengekommen.«

»Könnten Sie das bitte präzisieren?«

Ich rutschte etwas tiefer in meinen Sessel. »Ich habe sie verloren … also die Hölle … an das Biest 666. Ich glaube, es war auch mal in dieser Gruppe.«

»Ich darf nicht über ehemalige Klienten sprechen«, sagte die Therapeutin.

»Ich kann mich an das Biest erinnern«, sagte Mictlancihuatl. »Sah noch schlimmer aus als ich.« Sie grinste ein Totenschädelgrinsen. »Wollte dauernd alle Menschen unterjochen und sie mit der Zahl seines Namens kennzeichnen. Wenn mich nicht alles täuscht, hat es da diesen unsäglichen Zwischenfall mit einer Sprechstundenhilfe gegeben.«

Die Therapeutin hüstelte erneut. »Danke, Frau Mictimuhuta.«

»Ich heiße Mictlancihuatl.«

»Wie auch immer, ich denke, dass wir uns wieder den Schwierigkeiten von Frau Satan zuwenden sollten, ihre Impulse zu kontrollieren.«

»Ich habe keine Impulskontrollstörung!«, schrie ich und ein kleiner Feuerball sauste durch den Raum und grillte den leeren Stuhl neben Baron Samedi, der mich durch seine Sonnenbrille hindurch pikiert ansah.

Mictlancihuatl hob die Hand.

»Ja?«, sagte die Therapeutin.

»Ich möchte anmerken, dass es mich wirklich betrübt, dass hier niemand meinen Namen aussprechen kann. Ich meine, so schwierig ist er nun auch wieder nicht. Man fängt einfach mit Mictlan an und fügt dann cihuatl hinzu.«

»Frau Satan«, wandte die Therapeutin sich erneut an mich. »Wollen Sie uns nicht sagen, wie Sie sich mit diesem Verlust fühlen?«

»Beschissen«, antwortete ich.

»Beschissen ist kein Gefühl, sondern eine Bewertung«, korrigierte Baron Samedi.

Ich streckte ihm die Zunge raus.

»Man spricht ihn im Grunde so, wie man ihn schreibt«, murmelte Mictlancihuatl. »Ich kann ihn auch gerne buchstabieren: M-i-c-t…«

»Vielleicht machen wir dazu eine kleine Rollenspielübung«, schlug die Psychotherapeutin vor. »Soziales Kompetenztraining. Der Dreisatz der Selbstöffnung: Situation beschreiben, Gefühle ausdrücken, Wünsche und Bedürfnisse äußern. Sie, Frau Satan, probieren einmal aus, ein klärendes Gespräch mit Herrn … ähm … oder Frau 666 zu führen, in dem Sie Ihr Bedauern über Ihren Kontrollverlust äußern und den Wunsch nach Einigung ausdrücken. Wer möchte denn die Rolle des Biests übernehmen? Wie wäre es mit Ihnen, Herr Osiris?«

»Wer? Ich?« Osiris ließ davon ab, die Spielfigur zu vermöbeln.

»Nehmen Sie bitte Platz.« Die Therapeutin stellte zwei Stühle in die Mitte.

»Denken Sie daran, es geht um gewaltfreie Kommunikation und aktives Zuhören.«

»Also, Biest, ich meine 666«, begann ich. »Als wir gestern auf dieser Party gewürfelt haben und ich die Hölle als Einsatz versprochen habe …«

»Sehr gut, Frau Satan«, lobte die Therapeutin.

»… da habe ich vielleicht ein winziges Bisschen zu viel getrunken und war nicht mehr Herrin meiner Sinne …«

Osiris nickte. »Ich höre dir aktiv zu.«

»Benennen Sie doch jetzt ein Gefühl«, schlug die Therapeutin vor.

»Ich fühle mich sehr besch…«, ich warf einen Seitenblick auf Baron Samedi, »… beschämt.«

»Ich höre dir noch immer aktiv zu«, sagte Osiris.

Die Therapeutin lehnte sich zum ihm herüber. »Jetzt könnten Sie Verständnis für Ihr Gegenüber äußern, Herr Osiris, und vielleicht Ihrerseits ein Gefühl benennen.«

»Ich verstehe, dass du dich ziemlich schwachsinnig verhalten hast«, sagte Osiris.

»Willst du mich beleidigen?«, fauchte ich.

»Willst dumich beleidigen?« Osiris sprang auf. »Das kenne ich von meinem Bruder. Eben ist man noch im Gespräch und im nächsten Moment, zack, zerstückelt. Aber nicht mit mir!«

»Vielleicht sollten Sie jetzt einlenken, Herr Osiris«, souffliert die Therapeutin.

»Ich bin der Herr über Jenseits und Wiedergeburt«, herrschte Osiris. »Ich lenke niemals ein!«

»Aber das ist doch nur eine Rollenspielübung«, versuchte es die Therapeutin erneut.

»Da!«, schrie Osiris und zeigte auf mich. »Sie richtet eine Waffe auf mich!«

»Das sind meine Hörner«, erklärte ich.

»Das würde ich jetzt auch sagen. Also mein Bruder …«

Ich stand auf und verpasste ihm eine. Osiris knallte nach hinten und ging in einem Durcheinander aus Bandagen und Stühlen zu Boden. Ich stürzte mich auf ihn. Gemeinsam rollten wir über den Boden. Ich bekam eine Bandage zu fassen und zog daran. Dann schlug ich einen rechten Haken. Osiris’ Kopf flog zurück und weitere Lagen von Bandagen rollten sich ab. Plötzlich zauberte er einen Krummstab aus seinem Gewand und schlug damit nach mir, woraufhin ich einen Feuerball auf ihn schleuderte.

»In Ordnung.« Die Therapeutin klatschte laut in die Hände. »Ich möchte jetzt alle bitten, zu schweigen, sich wieder auf ihre Plätze zu setzen und etwaige Feuerbälle und Krummstäbe sinken zu lassen. Vielleicht sollten wir als Nächstes eine Entspannungsübung durchführen. Die progressive Muskelrelaxation ist da eine sehr gute Methode. Ja, Herr Osiris?«

»Habe ich schon erwähnt, dass mein Bruder mich ermordet hat?«

»Also gut, Lagebesprechung«, sagte ich und streckte meine Glieder in der wohligen Wärme eines Lavabades aus. »Was haben wir?«

»Lass mich nachschauen.« Baal blätterte durch die Zettel auf seinem Klemmbrett. »Ah, ja: Nichts!«

Ich ließ mir Lava den Nacken hinunterrinnen. »Das ist weniger, als ich gehofft hatte.«

In den letzten Tagen hatte ich alles Teufelsmögliche getan, um eine Lösung für mein Höllenproblem zu finden. Ich hatte die Frage gegoogelt, hatte meinen diabolischen Anwalt befragt, meditiert, ein paar Seelen gegrillt (die brannten tatsächlich nicht), noch mal meditiert, die Antwort am Boden diverser Weinflaschen gesucht und darüber geschlafen. Ich hatte sogar die vier apokalyptischen Reiter um Rat gebeten. Ihre Vorschläge, das Biest im Hörnerkampf zu besiegen (Krieg), aus Rache seine Lieblingsmuffins aufzuessen (Hunger), eine unansehnliche Geschlechtskrankheit vorzutäuschen, um Mitleid zu erregen (Pestilenz) sowie auf der Stelle tot umzufallen (Tod) waren nicht gerade hilfreich gewesen. Aber was will man von vier Angebern auf schwarzen Pferden auch schon erwarten.

»Hast du denn wenigstens das Buch gelesen?«, erkundigte sich Baal.

»Welches Buch?«

»Na, das Buch. Die Bibel, Offenbarung des Johannes. Wenn mich nicht alles täuscht, kommt dir eine wichtige Rolle in dem ganzen Spektakel zu.«

»Bin kurz davor«, sagte ich und winkte einen niederen Dämon herbei, um mir einen Drink zu bringen. »Vielleicht schaue ich mir auch einfach ein Youtube-Video zu dem Thema an. Wie viele Tage bleiben uns denn noch?«

Baal wandte mir sein Krötengesicht zu und starrte mich mit riesigen Glupschaugen an. »Keiner.«

»Waaaaas?« Ich fuhr in die Höhe, sodass ein Lavastrom den Dämon mit dem Drink unter sich begrub.

»Heute ist Mittwoch«, erklärte Baal.

»Ich dachte, es wäre höchstens Montag. Was ist aus den anderen Tagen geworden?«

Baal ließ seinen Blick über die leeren Weinflaschen schweifen.

»Die viel wichtigere Frage ist doch …«, begann ich und hielt inne. »Wer, zur Hölle, ist das?« Ich deutete auf einen Dämon im Anzug, der sich mit prüfendem Blick umsah. Ab und zu blieb er stehen, um mit einem Zollstock etwas nachzumessen.

Baal zuckte die Schultern. »Der steht nicht auf deiner Gehaltsliste.«

»Hey, du!« Mit einem Schnipsen entsteig ich dem Lavabad, hüllte mich in meine Gothic-Kluft und materialisierte mich vor dem Neuankömmling. Der schien wenig beeindruckt, rückte seine Brille zurecht und maß ein paar Streckbänke aus.

»Das muss hier natürlich alles weg.«

»Hä?«, entgegnete ich wenig geistreich.

»Na, für die Wellnesslandschaft«, erklärte er. »Da vorne haben wir Platz für die Tiki-Bar und da hinten bauen wir die Saunalandschaft.«

»Hier baut niemand ein Wellnessparadies. Diese Foltergeräte sind alle handgefertigt.«

Der Dämon musterte mich. »Und wer sind Sie?«

»Lucifer, Satanas, Beelzebub, Lichtbringerin und Fürstin der Hölle. Sie befinden sich in meinem Eigentum.«

»Ja, nun, nicht mehr lange«, sagte der Dämon. »Bald wird das alles in den Besitz seiner garstigen Biestigkeit 666 übergehen. Mein Bauteam wird hier eine wunderbare Poollandschaft hochziehen mit finnischen Saunen, Dampfbädern, Restaurants, Bars, Ruheräumen und Massageangeboten.«

»Das klingt eigentlich ziemlich gut«, schwärmte Baal und ich verpasste ihm einen Schlag auf den Kopf. »Aua!« Er zog einen Froschflunsch und hielt sich den Schädel.

Ich baute mich zu meiner vollen Größe auf. Funken tanzten auf meinen Haar- und Fingerspitzen. »Verschwinden Sie augenblicklich aus meiner Hölle!«

»In Ordnung! In Ordnung!« Der Eindringling machte ein paar Schritte rückwärts.

In diesem Moment kam eine Gruppe Dämonen mit Brettern, Akkuschraubern, Sägen, Feilen, Farbeimern und anderen Werkzeugen hereinspaziert. »Wo sollen wir das hier abstellen?«, fragte ein Inkubus, der einen Tapeziertisch trug.

»Verschwindet!«, schrie ich. »Alle miteinander!«

Der Bauleiter scheuchte sein Team davon. »Also gut, Leute, Rückzug!« An mich gewandt, sagte er: »Nach der Apokalypse sind Sie und Ihre Leute hier raus. Und nehmen Sie diese wabernden Dinger mit.«

»Das sind Seelen.«

»Wie auch immer. Ich will nicht, dass unsere Besucher dauernd in Ektoplasma treten. Wir sehen uns.« Er winkte mit dem Zollstock. »Vielleicht ist Ihnen ja auch mal nach Wellness zumute.«

»Aber sicher«, sagte Baal.

Ich schlug ihm erneut auf den Kopf.

»Aua!«

Dann waren die ungebetenen Gäste verschwunden.

»Okay.« Ich griff mir mein Flammenschwert. »Jetzt gibt es nur noch eins zu tun: Ich werde mich in scheißverdammter gewaltfreier Kommunikation üben!«

»Hallo, Biest«, sagte ich.

»Hallo, Widersacher«, antwortete das Biest.

»Ich bin gekommen, um mit dir zu reden.«

»Warum hast du dann ein Flammenschwert dabei?«

»Ach, das.« Ich versuchte, das Schwert hinter meinem Rücken zu verbergen. »Das ist nur eine Art Talisman. Ich gehe praktisch nirgendwohin ohne das Teil.«

»Aha.« Das Biest wandte mir seine sieben Köpfe zu und schnaubte aus sieben Löwenmäulern. »Dann rede!«

Gut, Dreisatz der Selbstöffnung, das kriegst du hin, Lucy. »Erinnerst du dich noch an unser Würfelspiel?«

Das Biest kratzte sich mit einer Bärenpranke an einem seiner zehn Hörner. »Kommt mir vor, als wäre es letzten Freitag gewesen.«

»Vermutlich, weil es letzten Freitag war.«

»Ah, das erklärt einiges. Wenn man Tag für Tag darauf wartet, aus den Tiefen der Ozeane emporzusteigen und seinen rechtmäßigen Platz als Herrscher der Welt einzunehmen, verliert man irgendwie das Zeitgefühl.«

Ich blickte mich in der kargen, dunklen Grotte um, die das Biest bewohnte. Überall lagen Gräten und Knochen herum. An den Wänden wuchs Seegras empor und es stank nach Algen. Vor dem Fenster schwammen ein paar Fische vorbei. »An deiner Stelle würde ich mir einen besseren Innenarchitekten suchen.«

Das Biest grinste mit vierzehn Reihen messerscharfer Zähne. »Bald kann ich mich ja in meiner neuen Wellnesslandschaft entspannen.«

»Was das angeht …«, nahm ich den Faden wieder auf. »Ich war bei unserem Spiel wohl ein kleines bisschen betrunken …«

»Du bist immer betrunken.«

»… und da bin ich wohl ein wenig übers Ziel hinausgeschossen, als ich dir die Hölle als Einsatz versprochen habe.«

Das Biest fixierte mich aus sieben Paar gelb leuchtender Augen. »Willst du damit sagen, du hast mich belogen?«

»Nein.« Meine Hand umschloss den Griff des Flammenschwertes fester. »Ich möchte dir gegenüber nur mein aufrichtiges Bedauern ausdrücken, dass es da zu einem kleinen Missverständnis gekommen ist …«

»Ich wusste, dass es ein Fehler war, mich mit dir einzulassen.«

»… und dir als Zeichen meines Wohlwollens ein paar Seelen aus dem ehemaligen Limbus anbieten. Die haben sich alle sehr gut gehalten.« Ich lächelte gewinnend.

Das Biest baute sich zu seiner ganzen Scheußlichkeit vor mir auf. Das Pantherfell auf seinem Rücken sträubte sich, diverse Krallen fuhren aus diversen Tatzen hervor. »Ich hatte schon die ganze Zeit den Verdacht, dass du mit gezinkten Würfeln spielst«, zischte es.

»Dann hätte ich ja wohl gewonnen!«

»Du gibst es also zu?«

»Ich gebe nie etwas zu, ich bin der Teufel. Außerdem war das Würfelspiel deine Idee. Woher weiß ich, dass du nicht falsch gespielt hast?«

»Willst du mich beleidigen?«

»Willst dumich beleidigen?« Ich zog mein Flammenschwert. Das Biest stieß einen ohrenbetäubenden Schrei aus und schlug mit einer Klauenhand nach mir. Ich parierte seinen Schlag. Das Biest heulte auf, und ich nutze die Gelegenheit, um mehrere Feuerbälle nach ihm zu werfen. Das Biest verschlang sie und rülpste mir eine Flamme entgegen. Ich warf mich zu Boden, rollte mich ab und hob gleichzeitig das Schwert.

Plötzlich erklang der ohrenbetäubende Lärm einer Posaune. Ein Donnern und Grollen folgte. Die Welt schien in ihren Grundfesten zu schwanken.

Es hatte begonnen.

»Vielleicht sollten wir unser konstruktives Gespräch zu einem anderen Zeitpunkt fortsetzen«, schlug ich vor, und ehe das Biest eines seiner Mäuler aufmachen konnte, hatte ich mich bereits dematerialisiert.

»Und?«, fragte Baal bei meiner Rückkehr.

»Also, das ist jetzt nicht so gut gelaufen.« Ich klopfte mir Asche und Staub von der Kleidung. »Hast du inzwischen dieses Neue Testament gefunden?«

»Hier.« Baal reichte mir eine ziemlich ramponierte Bibel. »Hatte sich in der eisernen Jungfrau verklemmt.«

»Ja, ja, gib her.« Ich blätterte mich durch die Seiten. »Das ergibt doch alles überhaupt keinen Sinn. Möchte wissen, was dieser Johannes geraucht hat, als er das geschrieben hat. Ah, hier ist etwas Brauchbares. In Ordnung: Auf zum Berg Harmagedon, zum Ort der letzten Schlacht! Ähm, wo genau soll das eigentlich sein?«

Siegel brachen, Posaunen brüllten, Blut floss vom Himmel herab, die Erde brannte, Berge stürzten ins Meer, Menschen schrien, die vier apokalyptischen Reiter galoppierten. Überall waren Rauch und Schwefel. Ein Lamm sprang desorientiert zwischen Schwärmen von Heuschrecken umher. Kurzum, es herrschte ein riesiges Durcheinander.

Und Gott sah, dass es nicht gut war.

»Halt! Halt! Halt!« Gott hob gebieterisch die Hand und die Welt schien stillzustehen.

»Was ’n los?«, erklang die Stimme von Tod aus der Tiefe.

»Heilig, heilig, heilig«, sangen die Seraphim.

»Was los ist?«, schrie Gott. »Das läuft hier alles völlig falsch! Jesus, hast du etwa zum Öffnen der sieben Siegel ein Taschenmesser benutzt?«

Jesus, der neben Gott auf einem Plateau des Berges Harmagedon stand, zuckte die Schultern. »Was anderes hatte ich nicht.«

Gott seufzte. »Und wo ist die Bundeslade?«

»Das olle Ding?«, fragte Jesus. »Da habe ich meine Playstation daraufgestellt. Ich wusste nicht, dass wir die noch mal brauchen.«

Eine leichte Verzweiflung schlich sich in Gottes Stimme, als Er fragte: »Kannst du mir wenigstens erklären, was es mit diesem Lamm auf sich hat?«

Das Lamm tollte zwischen Jesus’ Beinen hindurch. Ein Dutzend Heuschrecken saßen auf seinem Rücken.

»Nun …«, Jesus tätschelte das Lamm am Kopf, »… es steht doch geschrieben, dass das Lamm die Gottesfürchtigen zur Wasserquelle des Lebens führt.«

»Das Lamm bist du!«

»Echt jetzt?«

»Lamm Gottes, klingelt bei dir da gar nichts?«

»Nope.«

»Und was, bei den himmlischen Heerscharen, ist mit diesen Posaunen los?«, donnerte Gott und Seine Stimme ließ die Felsen erzittern.