Teufelsjagd und Blutgericht - Udo Weinbörner - E-Book
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Teufelsjagd und Blutgericht E-Book

Udo Weinbörner

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Beschreibung

Ein Mönch zwischen Mord und Intrigen. 

Im Jahre 1211, im Schatten des Klosters Heisterbach, lebt Bruder Leonhard – von seinen Mitbrüdern eher spöttisch „Bruder Schlendrian“ genannt. Er ist alles andere als ein Held. Doch als ein grausamer Mord die Gemeinschaft erschüttert, steht er plötzlich im Zentrum dunkler Intrigen und unheilvoller Geheimnisse. Sein Gegner: Diethelm zu Deutz, der brutale Baumeister der Löwenburg. Während Leonhard versucht, die Schuldigen zur Strecke zu bringen, gerät er selbst unter Verdacht und muss sich den erbarmungslosen Nachstellungen des päpstlichen Inquisitors stellen. Mit unerwartetem Mut und Klugheit widersetzt er sich den Mächten des Bösen und wagt das Unvorstellbare – um Gerechtigkeit zu kämpfen und seine Jugendliebe Martha zu retten. Doch am Ende steht mehr auf dem Spiel als nur sein eigenes Leben ...  

Ein mittelalterlicher Kriminalroman, der Historie, Liebe und Intrige meisterhaft vereint und den Leser in eine längst vergangene Welt voller Geheimnisse und Gefahren entführt. 

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Seitenzahl: 699

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Über das Buch

Ein Mönch zwischen Mord und Intrigen. 

Im Jahre 1211, im Schatten des Klosters Heisterbach, lebt Bruder Leonhard – von seinen Mitbrüdern eher spöttisch „Bruder Schlendrian“ genannt. Er ist alles andere als ein Held. Doch als ein grausamer Mord die Gemeinschaft erschüttert, steht er plötzlich im Zentrum dunkler Intrigen und unheilvoller Geheimnisse. Sein Gegner: Diethelm zu Deutz, der brutale Baumeister der Löwenburg. Während Leonhard versucht, die Schuldigen zur Strecke zu bringen, gerät er selbst unter Verdacht und muss sich den erbarmungslosen Nachstellungen des päpstlichen Inquisitors stellen. Mit unerwartetem Mut und Klugheit widersetzt er sich den Mächten des Bösen und wagt das Unvorstellbare – um Gerechtigkeit zu kämpfen und seine Jugendliebe Martha zu retten. Doch am Ende steht mehr auf dem Spiel als nur sein eigenes Leben ...  

Ein mittelalterlicher Kriminalroman, der Historie, Liebe und Intrige meisterhaft vereint und den Leser in eine längst vergangene Welt voller Geheimnisse und Gefahren entführt. 

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Udo Weinbörner

Teufelsjagd und Blutgericht

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Informationen zum Buch

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Widmung

Zitat

Vorspiel, Dienstag, 16. August 1211, Gedenktag des Heiligen Stephan I.

Kapitel 1 Der Mönch im Weinberg des Klosters, Montag, 15. August 1211, Hochfest der Aufnahme Mariä in den Himmel

Kapitel 2 Von mancherlei Versuchungen und Abwegen, Montag, 15. August 1211

Kapitel 3 In den Händen des Teufels, Oberdollendorf, Montag, 15. August 1211

Kapitel 4 Ein Albtraum aus Würfelspiel, gebratenem Hähnchen und Gewalt! Oberdollendorf, Montag, 15. August 1211

Kapitel 5 Von Prior Johannes und Leonhards Sehnsucht nach Rache und Gerechtigkeit, Löwenburg, 15. August 1211

Kapitel 6 Von einem Gespannführer, der ein Wunder bewirkt, Löwenburg/Siebengebirge, 15. August 1211

Kapitel 7 Leonhard mag kein Huhn in der Suppe und auch kein Blut sehen, Löwenburg, Montag, 15. August 1211

Kapitel 8 Magister Marburg/Von großen und kleinen Dingen, Löwenburg, Montag, 15. August 1211

Kapitel 9 Martha! Wiedersehen unter unglücklichen Umständen, Löwenburg, Montag, 15. August 1211

Kapitel 10 Von der Kunst, Körper und Seele zu heilen, Löwenburg, Montag, 15. August 1211

Kapitel 11 Die Liebe fragt nicht, Löwenburg, Dienstag, 16. August 1211, Gedenktag des Heiligen Stephan I.

Kapitel 12 Von der Jagd nach Teufeln und Gefühlen, Löwenburg, Dienstag, 16. August 1211

Kapitel 13 Jost und der Eremit vom Stromberg, 16. August – Mittwoch, 17. August 1211, Gedenktag des Heiligen Altfrid

Kapitel 14 Jost auf der Flucht, Königswinter, Mittwoch, 17. August 1211, Gedenktag des Heiligen Altfrid

Kapitel 15 Von einem Judaslohn, einer teuflischen Falle und einem rettenden Ufer, Donnerstag, 18. August 1211, Gedenktag der Heiligen Florus und Laurus

Kapitel 16 Leonhard/Von Läusen, Zweifeln und den Folgen des Ungehorsams, Kloster Heisterbach, Samstag, 27. August 1211, Gedenktag der Heiligen Monika (Mutter des Heiligen Augustinus)

Kapitel 17 Die Klosterbaustelle, Heisterbach, 28. August – Dienstag, 30. August 1211, Gedenktag des Heiligen Felix

Kapitel 18 Der Tote an der Himmelspforte, Heisterbach, Mittwoch, 31. August – Donnerstag, 1. September 1211, Gedenktag des Heiligen Ägidius

Kapitel 19 Der Täter wandelt unbehelligt in der Welt, wenn jeder falsche Fragen stellt, Kloster Heisterbach, Donnerstag, 1. September 1211, Gedenktag des Heiligen Ägidius

Kapitel 20 Von großer Not und Frist, die Unschuld zu beweisen, Kloster Heisterbach, Donnerstag, 1. September 1211, Gedenktag des Heiligen Josua

Kapitel 21 Vom Fluss der Zeit und wie Leonhard eine Entdeckung macht, Kloster Heisterbach, Freitag, 16. September 1211, Gedenktag des Heiligen Cornelius und des Heiligen Cyprian

Kapitel 22 Wie sich Leonhard in einem Fass verbarg und vom Wert der Freunde aus Kindertagen, Römlinghoven, Samstag, 17. September 1211, Tag nach dem Heiligen Cornelius

Kapitel 23 Von der Schwäche der Heiligen, Römlinghoven, Samstag, 17. September – Sonntag, 18. September 1211, Gedenktag des Heiligen Lambert

Kapitel 24 In der Höhle des Löwen, Löwenburg/Honnef, Sonntag, 18. September 1211, Gedenktag des Heiligen Joseph von Copertino

Kapitel 25 Von der Wahrheit und dem Schweigen, Römlinghoven, Sonntag, 18. September 1211, Gedenktag des Heiligen Arnulf von Gap

Kapitel 26 Steine kalt wie Eis und schwer wie Hass, Jost im Steinbruch am Weilberg, Freitag, 28. September 1211, Gedenktag des Heiligen Bernhardin von Feltre

Kapitel 27 Cantare amantis est, Kloster Heisterbach, Sonntag, 30. September 1211, Gedenktag des Heiligen Hieronymus

Kapitel 28 Ein Mordgeständnis zur Unzeit, Heisterbach, Samstag, 1. Oktober – 15. Oktober 1211, Gedenktag der Heiligen Thekla von Kitzingen

Kapitel 29 Kein Regen ohne Wolken, kein Unheil ohne Vorboten, Heisterbach, Dienstag, 18. Oktober 1211, Gedenktag des Heiligen Lukas, Evangelist

Kapitel 30 Wie Leonhard vor dem Blutgericht bestehen will, Heisterbach, Dienstag, 18. Oktober 1211, Gedenktag des Heiligen Lukas, Evangelist

Kapitel 31 Rüttelschrin & Jost/Teufelsaustreibung & überraschende Erkenntnisse, Heisterbach/Weilberg, Dienstag, 18. Oktober – Mittwoch, 19. Oktober 1211, Gedenktag des Heiligen Eodaldus, Märtyrer

Kapitel 32 Vom Blutgericht, der Teufelsjagd und dem Beweis der Unschuld, Heisterbach, 19. Oktober 1211, Gedenktag des Heiligen Lukas, Evangelist

Kapitel 33 Marthas Bericht bringt Licht ins Dunkel, Kloster Heisterbach/Kloster Rolandswerth, 19.–20. Oktober 1211, Gedenktag des Heiligen Wendelin

Kapitel 34 Gegen alle Regeln oder Es ist nicht alles, wie es scheint, Kloster Heisterbach, Donnerstag, 20. Oktober 1211, Gedenktag des Heiligen Wendelin

Kapitel 35 Vom Schandpfahl auf dem Lohfeld, Honnef, Donnerstag, 20. Oktober 1211, Tag des Heiligen Wendelin

Kapitel 36 Vom Preis der Freiheit und von einer Rettung, Lohfeld/Honnef; Kloster Rolandswerth, Freitag, 21. Oktober 1211, Gedenktag der Heiligen Ursula von Köln (Stadtpatronin)

Kapitel 37 Den Seinen schenkt es der Herr im Schlaf, Rolandswerth, Samstag, 21. Oktober 1211

Kapitel 38 Eine kurze Kunde von Josts Weg in die Freiheit, Rolandswerth, Samstag, 21. Oktober 1211, Gedenktag der Heiligen Ursula von Köln (Stadtpatronin)

Kapitel 39 Von einem weiteren Mord & einem falschen Verdacht, Königswinter, Samstag, 21. Oktober 1211 – Sonntag, 22. Oktober, Tag des Heiligen Jakobus des Gerechten

Kapitel 40 Von einem Beichtgeheimnis und einer Vergiftung, Löwenburg, Samstag, 21. Oktober – Sonntag, 22. Oktober 1211, Tag des Heiligen Jakobus des Gerechten

Kapitel 41 Wie Leonhard den Fall aufklärt und dennoch keine Gerechtigkeit erlangt, Löwenburg, Samstag, 21. Oktober – Sonntag, 22. Oktober 1211, Gedenktag des Heiligen Jakobus des Gerechten

Kapitel 42 Von einem Weihnachtswunder, Kloster Heisterbach, Samstag, 10. Dezember 1211, zwei Tage vor dem Gedenktag des Heiligen Vizelin von Oldenburg

Kapitel 43 Jakob, Paris & Martha oder: Von einem späten Glück – ein kurzes Nachspiel aus den Jahren bis 1218

– Anlage 1 –

Wichtige Personen

Personen aus dem Kloster Heisterbach:

Klosterbaustelle Heisterbach:

Personal auf der Löwenburg:

Personen aus dem Steinbruch am Weilberg:

Einige Mitglieder des Blutgerichtes:

Schöffen/Beisitzer:

Personal aus Honnef:

Personal im Kloster Rolandswerth, Benediktinerinnen:

– ANLAGE 2 –

LITERATURHINWEISE:

– Anlage 3 – Vereinfachter Gebetsplan der Zisterzienser

Anlage 4 – Plan Kloster Heisterbach

Endnoten zum Roman (Verweise mit Erläuterungen)

Impressum

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© Udo Weinbörner

Im Klostergarten

zögert die Abendsonne

stets etwas länger.

Bert Willems (Aus: Wind wellt den Spiegel, Gauke Verlag 1983)

Vorspiel, Dienstag, 16. August 1211, Gedenktag des Heiligen Stephan I.

Man sagt, wer keine Zukunft besitze, sei lebendig begraben. War das jetzt sein Ende?

Sie mussten auf der Lauer gelegen und ihn beobachtet haben, wie er von der Insel mit dem Kloster Rolandswerth mit dem Nachen des Fährmanns übersetzte. Er hatte es nicht bemerkt. Der Schmerz über den endgültigen Verlust seiner Liebe betäubte ihn. Dass sie ihm nicht einmal ein liebes Wort gönnte, konnte er sich nicht erklären. Sein Leben nahm die schlimmste aller Wendungen.

Selbst wenn sie neben ihm einhergeschritten wären, er hätte die Kerle übersehen. Bei der Stadtpforte von Honnef holte er sein Pferd und seine wenigen Habseligkeiten. Er glaubte, mit allem abgeschlossen zu haben, ritt blick- und grußlos davon, ließ alles hinter sich. Sein Weg führte am Rheinufer entlang Richtung Königswinter, aber eher zufällig – ein Ziel hatte er nicht.

Sie mussten ihm nachgeschlichen sein und auf eine günstige Gelegenheit gelauert haben. Für nichts besaß er noch einen Blick. Es gab kein Zurück mehr, aber zugleich wusste er auch nicht, was werden sollte.

Der Kampf begann ohne Vorwarnung, ohne Vorbereitung oder Wortwechsel. Ihr Vorgehen erinnerte ihn an Bluthunde, die lautlos über Zäune setzten, sich auf ihr Opfer stürzten, um ihm sofort an die Kehle zu springen und es zu töten. Sie waren zu zweit. Lautlos griffen sie an, beide im gleichen Augenblick. Ihr Überfall traf ihn völlig unvorbereitet. Sie rissen ihn vom Pferd zu Boden. Er bekam einen heftig geführten Schlag von einer Holzkeule gegen die Schulter und konnte sich vor dem Stich einer Dolchklinge nur retten, weil er sich zur Seite rollte. Sie hatten sich weiße, spitz zulaufende Kapuzen mit Augen- und Mundlöchern über die Köpfe gezogen.

Bis vor wenigen Augenblicken war ihm sein Leben noch gleichgültig gewesen. Doch nun begehrte etwas in ihm auf, und er kämpfte um sein Überleben. Dabei fand er nicht einmal die Zeit, die Hand an den Griff seines Dolches zu legen, den er am Hosenbund trug. Doch er kam taumelnd auf die Beine, floh einige Schritte. Dann trat er nach einem der Angreifer, traf ihn in den Bauch. Gegen den erneuten seitlichen Schlag des anderen mit der Holzkeule hatte er nichts als seine bloßen Fäuste zur Abwehr. Der Mann erwies sich als schneller, kräftiger Gegner, dem er nur hilflos ausweichen konnte. Keine Gelegenheit zu entkommen! Das Überraschungsmoment auf den Seiten der Angreifer hatte den Kampf bereits zu ihren Gunsten entschieden, bevor er begonnen hatte. Sie ließen ihm nicht einmal Gelegenheit aufzugeben, sondern droschen blindwütig auf ihn ein. Sein Körper brüllte vor Schmerz. Letzte, halb erstickte Hilfeschreie gelangen ihm, bevor ihm eine Faust das Maul stopfte. Der lautlose Kampf dauerte an, obwohl er längst kein Gegner mehr für seine Angreifer war. »Tötet mich doch. Macht endlich ein Ende!«, winselte er, ein sich krümmendes und windendes Häufchen Elend, mehr tot als lebendig.

Die Luft war wie eiskalter nasser Stein. Dunkelheit, Feuchtigkeit und ein scharfer Geruch nach etwas Fremdem, das ihm in die Nase stach. Ein Ort, der einer Gruft glich. Er blickte um sich mit einem Gefühl wie lebendig begraben. Vor ihm auf einem kleinen Holztisch verbreitete eine Kerze schwaches Licht. Außerhalb des Lichtkreises herrschte Finsternis, gab es nichts zu erkennen, was eine Orientierung ermöglicht hätte. Sein Kopf dröhnte vor Schmerz. Er fühlte sich kaum in der Lage, den Blick auf etwas im Raum auszurichten. Immer wieder schlossen sich seine Augenlider vor dieser grellen Wand: Schmerzen, die ihn mit Krämpfen und Blitzen durchzuckten. Er blinzelte, brauchte Gewissheit. Dringend! Was war geschehen? Wo befand er sich? Von wo drohte die Gefahr? An den Rändern seiner Wahrnehmung bedrückten ihn nackter grauer Fels und schwarze Erde. Die Welt wurde ihm zu eng. Er hechelte, sein Brustkorb schmerzte. Zu seiner Rechten rieselte Wasser aus Ritzen und Felsspalten. Seine Füße standen nackt in eiskalten Pfützen. Er spürte sie nicht mehr, konnte die Zehen nicht bewegen. Die Eiseskälte und Nässe verursachten Krämpfe. Er ächzte, stöhnte, versuchte, sich zu bewegen, spürte, dass ihm Fesseln schmerzhaft in die Gelenke schnitten. Die Luft wurde ihm immer knapper. Er wollte um Hilfe schreien. Erst jetzt bemerkte er den Knebel im Mund, wurde panisch, würgte. Dem Schmerz im Brustkorb war er hilflos ausgeliefert, er spürte, wie er sich ausbreitete, weiter von ihm Besitz ergriff, bis er auch in seinen Schläfen pochte. Kein Gedanke ließ sich mehr festhalten oder bis zu einem Ziel verfolgen. Die nackten Felsen keuchten, die blanke Erde brüllte ihm schwarz entgegen. Die Luft, schwer wie Blei, ließ sich nicht atmen. Er gab ein seltsam gurgelndes Geräusch von sich. Dann kippte er mit dem Stuhl, an den sie ihn gefesselt hatten, bewusstlos zur Seite.

Eiskaltes Wasser tropfte ihm vom Gesicht auf seine nassen Kleider, die ihm am Körper klebten. Eine flache Hand klatschte ihm mehrfach auf seine brennenden Wangen. Sein Herz hämmerte, als er aufschreckte. Er fürchtete sich vor dem, was ihm drohte. Seine Vorstellung beschwor Schreckensfantasien herauf, doch er wollte nicht um Gnade winseln. Einer der Männer stellte eine Handlaterne zur Kerze auf den Tisch. ›Nicht auf ihre lächerlichen weißen Kapuzen achten‹, mahnte er sich. Doch seine Augen ließen nicht von seinen Peinigern ab.

Jetzt sah er Weinfässer, einen Tisch mit Tonbechern. Der scharfe Geruch rührte vom Alkohol. Ein Weinkeller in einer Höhle? Würde man ihn vermissen, nach ihm suchen? Unwahrscheinlich, dass ihn jemand hier fand. Schritte näherten sich. Er verstand ihre Fragen nicht. Das Wasser aus der Felsspalte rieselte wie ein Tränenfluss. Der Schmerz raubte ihm den Atem, als der Mann nach seiner kalten Hand griff. Er beteuerte mit allem, was ihm von diesem Leben blieb: »Ich habe sie doch geliebt.« Er war der letzte Mensch, dem sie glauben würden. Wenn sie ihre Kapuzen trugen, sprachen sie eine fremde Sprache. Severin blickte verzweifelt in schwarze Augenhöhlen und wusste: Er war verloren.

Kapitel 1 Der Mönch im Weinberg des Klosters, Montag, 15. August 1211, Hochfest der Aufnahme Mariä in den Himmel

Im Spätsommer des Jahres 1211 brannte die Sonne heiß vom Himmel. Die eintönige Arbeit im Weinberg des Klostergutes verführte zu lähmender Trägheit. Leonhard gab dem Bedürfnis nach Contemplatio[1] , einer tiefen inneren Ruhe, allzu gern nach. Er schwitzte, schlief und träumte davon, dass er geborgen, fest umwickelt von einer kratzigen Wolldecke, in seinem Bettkasten lag. Ausschlafen, ohne Glockengeläut und Morgengesänge. Den Sonnenaufgang sich selbst überlassend!

Aus tiefstem Herzen zweifelte Leonhard daran, dass es Gott gefiele, nie mit wachen Sinnen den Tag zu begrüßen. Wenn er im Paradies einen Platz mit Stimmrecht bekäme, würde er die Müdigkeit und den Schlaf zuallererst in den Rang der schützenswerten Tugenden erheben und ein Schlafgebot an die Menschheit erlassen. ›Wer schläft, der sündigt nicht und führt ein gottgefälliges Leben!‹ Wo stand etwas von einer Plackerei bei großer Hitze im Weinberg geschrieben? Wer sich rechtfertigte, rechnete mit einem Ankläger. Das vertrug kein seliger Schlaf. Leonhard seufzte. Einmal ausschlafen, genauso, wie es die Leute im Dorf zu tun pflegten. Oder wie es früher bei ihm zu Hause üblich gewesen war, als Mutter und Vater noch gelebt hatten. Diese Erinnerung schmerzte. Leonhard schlug wütend nach den lästigen Fliegen und verpasste sich eine Ohrfeige. Schlaflosigkeit verursachte trübe Gedanken! Leonhard mühte sich, an Angenehmes zu denken. Nichts wünschte er sich sehnlicher, als Gott für seine Schöpfung und den erholsamen Schlaf zu preisen …

Doch jetzt stachen ihn Brocken von Schiefergestein und Kiesel in den Rücken. Er schimpfte, drehte sich vorsichtig zur Seite. Er blinzelte an den Blättern und Reben der Weinstöcke vorbei in das Sonnenlicht. Auch die Seitenlage wurde unbequem. Früher hätten ihn ein paar Steine nicht davon abgehalten, fest einzuschlafen. Neuerdings spürte er Steine in den Rücken stechen, wo sie sich noch vor einem Jahr angeschmiegt hatten. Man wurde älter, um mit seinen Muskeln und Knochen an dieser ungerechten Welt Anstoß zu nehmen. Von früh bis spät in den Fußstapfen des Heiligen Benedikt unterwegs. Beten, lobpreisen, lernen und arbeiten! ›Wie viel Arbeit verträgt der Mensch in Gottes Welt?‹ Seiner Ansicht nach wäre kein Stand als der eines Zisterziensermönchs berufener gewesen, die Dinge untätig auf sich zuwachsen zu sehen. Doch niemand interessierte sich für die Weisheit eines Novizen.

Aus dem unteren Teil des Weinbergs hörte er die gleichförmigen Arbeitsgeräusche, die seine Mitbrüder Stunde um Stunde bei der Beschneidung der Weinstöcke und der Beseitigung des wuchernden Unkrauts verursachten. Das Kratzen, Klopfen, Rascheln hallte in seinen Wahrnehmungen nach und entfaltete zusammen mit der Sonnenwärme eine betäubende Wirkung auf Leonhard. Er gähnte. Seine Augenlider, schwer wie Blei, senkten sich langsam.

Das beharrliche Krähen eines Hahns verscheuchte den Schlaf endgültig. Das war das Vieh von der Dorfschänke von Oberdollendorf. Prachtexemplare beide, Wirt und Hahn, die sich gern aufplusterten. Leonhard setzte sich auf, blickte hilflos die Reihen der Weinstöcke entlang, die seiner pflegenden Fürsorge harrten. Vielleicht würde er zur Strafe für seinen Müßiggang auf die Vespermahlzeit verzichten müssen. Nur nicht wieder fasten! »Was ist die Welt das reinste Jammertal!«, schimpfte er. Unendlich langsam kam er auf die Beine, schlug ein Kreuz und griff nach seinem Rebmesser. Ihm blieb mit etwas Glück eine halbe Stunde, um den schlechten Eindruck zu korrigieren. Allerlei Getier zwickte und quälte ihn. Leonhard legte das Messer wieder zur Seite und kratzte sich ausgiebig. Mit Hingabe spuckte er auf die juckenden Stellen, die Mückenstiche und Läusebisse auf seiner Haut hinterlassen hatten. Außerdem musste er pinkeln. Rasch stellte er sich zwischen die Rebstöcke und hob sein Gewand. Er hatte sein Geschäft noch nicht verrichtet, als eine Stimme ihn von hinten anrief: »Bruder Schlendrian! Der Novizenmeister[2]  wünscht dich zu sprechen. Beeil dich! Falls du weißt, wie das geht.«

Mit gelupfter Kutte anderweitig beschäftigt, blickte Leonhard erschrocken über die Schulter zum Mitbruder und zeigte sich unbeeindruckt. »Schon gut, ich komme ja. Nenn mich nicht immer so!«

»Ich soll dich ablösen. Wenn ich mir anschaue, wie weit du in den letzten zwei Tagen gekommen bist, finde ich, der Prior[3]  sollte sich deiner annehmen!«, schimpfte Bruder Matthäus, dem anzusehen war, dass er sich lieber um den neuen Friedhof des Klosters gekümmert hätte, für den er zuständig war.

»Gut Ding will Weile haben. Sagt nicht Bruder Cellerar[4] , dass in dem Weinberg, den ich beschnitten habe, stets die besten Trauben wüchsen? Daher verdirb nichts mit deiner Hetze. Gottes Wunder der Natur verdient mehr Aufmerksamkeit.« Solche Sprüche kamen Leonhard flott über die Lippen. Er schnappte sie auf, und schon hafteten sie in seinem Gedächtnis. Mit ihnen ließ sich das Chaos in der Welt in kleine wehrhafte Wahrheiten verpacken. Doch was war eine solche Gabe in einem Zisterzienserkloster mit stundenweisem Schweigegebot wert?

»Du und deine ewigen Sprüche, Bruder Schlendrian!«, schimpfte Bruder Matthäus. »Unnütze Geschwätzigkeit ist auch eine Sünde! Ab mit dir, Bruder Caesarius wartet!«

»In Gottes Namen: Halleluja! Gutes Gelingen, Bruder.« Leonhard schaute ihm lächelnd hinterher, wie er gemächlich einer Reihe Reben hangaufwärts folgte, die bislang nicht die gebotene Behandlung erfahren hatte. Dann raffte er seine Kutte und lief los. Immer wieder fiel es ihm schwer, die von einem Mönch zu beachtenden Regeln im Alltag einzuhalten. Eile stand dem Mönchsstand nicht gut zu Gesicht. Es gab Anlässe, an denen er sogar an seiner Berufung zweifelte.

Seine Mutter war in der Fieberepidemie im November des Jahres 1207 gestorben. Drei quälend lange Tage und Nächte hatte ihr Leiden und Sterben gedauert. Sie hatten sie noch nicht beerdigt, da musste Leonhard mit ansehen, wie der Baumeister des Grafen unter der Aufsicht eines Ritters von Eulenburg an seinem Vater ein ›Gottesurteil‹ vollzog und ihn im Rhein ertränkte. Die Fieberepidemie raffte auch Nachbarn und Freunde dahin wie die Fliegen. Die Menschen suchten in ihrer Verzweiflung nach Erklärungen und erhofften sich, weil nichts mehr half, Errettung, wenn sie nur einen Schuldigen benennen konnten. Sie ließen sich leicht aufwiegeln und vergriffen sich am Priester von Oberdollendorf, am Prediger aus Römlinghoven sowie an dessen Fürsprecher, dem Vater von Leonhards bestem Freund Jost. Sie fesselten alle drei und warfen sie in die eiskalten Fluten des Rheins. Gott würde es richten, wenn sie unschuldig wären. Rüttelschrin, ein Gauner, der sich als Wanderprediger ausgegeben hatte, und Diethelm zu Deutz, Baumeister des Grafen von Sayn auf der Löwenburg, waren unter der Aufsicht des Ritters die treibenden Kräfte. Zu Deutz stieß dabei Leonhards Vater, der sich trotz seiner Fesselungen über Wasser hielt, mit einem Holzstock so lange in die Flussströmung, bis er ertrank. Leonhard war damals erst vierzehn Jahre alt gewesen, als er binnen weniger Stunden beide Elternteile verloren hatte. Die Mönche hatten sich um ihn gekümmert, ihn getröstet, wenn ihn Albträume quälten. Für ihn machten sie eine Ausnahme, denn üblicherweise nahmen sie keine Kinder im Kloster auf. Heute wusste er, sie hatten ihn vor dem Zugriff des brutalen Baumeisters Diethelm zu Deutz bewahrt.

Jost, seinem besten Freund, erging es nicht so gut. Wie Leonhard im letzten Jahr von Bruder Josef, dem uralten Pförtner, erfuhr, war sein Freund in den Steinbruch am Weilberg verschleppt worden. Jost habe diese schlimme Zeit überstanden, versicherte ihm Bruder Josef. Er schuftete jetzt auf der Baustelle der Löwenburg. Die Verhältnisse auf der Burg sollten für die Arbeiter menschlicher sein. Leonhard wünschte es seinem zwei Jahre älteren Freund von Herzen. Bruder Josef, den viele aufsuchten, weil er mancherlei über die Zukunft zu sagen wusste, sagte Leonhard voraus, dass er Jost wiedersehen würde. Leonhard widersprach dem freundlichen alten Pförtner nicht, kannte jedoch seine Bestimmung. Er würde Zisterziensermönch im Kloster Heisterbach[5] . Da ergaben sich keine Gelegenheiten zu einem Treffen mit dem besten Freund aus Kindertagen.

Dachte Leonhard an den Tag seiner Ankunft im Kloster, sah er zuerst den alten Bruder Josef vor sich, der seit Urzeiten als Portarius an der Klosterpforte wachte. Jedenfalls schien es ihm so, weil er imposant und erhaben aussah, gerade so, als gehörte er zur weitläufigen Verwandtschaft des Heiligen Petrus. Leonhard erinnerte sich an seine große Sehnsucht nach Ruhe, Frieden und Trost. Damals war er Josefs schlurfenden Schritten auf die Baustelle der Chorkirche gefolgt. Beim Überqueren der Schwelle ins Innere des Kirchenraums ohne Dach, mit zum Teil erst halb hohen Wänden und Säulen, deren Zweck man allenfalls erahnte, erklärte ihm Josef: »Hier wird sich eines Tages die ›Paradiespforte‹ der Kirche befinden.« Bei dem Gedanken, dem rettenden Paradies an diesem Ort derart nah gekommen zu sein, fiel alles Belastende von Leonhard ab. Erst danach bemerkte er, dass Josef zu ihm gesprochen hatte, während alle anderen Mönche, denen sie begegneten, schwiegen und sich in Zeichensprache verständigten. Ein Jahr später beherrschte Leonhard die Zeichen so gut, dass er die ›Neuen‹, die ›Postulanten‹, von der Pforte abholen und zum Novizenmeister bringen durfte. ›Postulant‹ wurde in Zeichen mit »Fremder« (Daumen von der Oberlippe zum Kinn herunterziehen) und ›Novize‹ (Zeige- und Mittelfinger an der Schläfe herabstreichen) übersetzt. Fingerspitzen der Hand küssen konnte ›Bitte‹ oder ›Danke‹ heißen, und ›verstanden‹ wurde mit Kopfnicken übersetzt. An die Stelle des Rufes ›Herein!‹, ertönte aus den Räumen gleichfalls ein Klopfgeräusch. Dies stieß angesichts des Lärms auf der Baustelle der über achtzig Schrittlängen riesigen Chorkirche, die seit Baubeginn anno 1102 in die Höhe strebte, auf manche Schwierigkeiten. Man sah sich gezwungen, auf Schallverstärkungen mit kleinen Handglocken und Hammerschlägen auf Schallbretter zurückzugreifen. Das Schweigen in den vorgeschriebenen Stunden fiel Leonhard schwer. Weniger das eigene, denn zu Beginn machte ihn das Erlebte stumm, wohl aber, über viele Stunden des Tages keine vertraute Stimme und nichts Gesprochenes zu hören, an dem er sich orientieren konnte. Caesarius, sein feinfühliger Novizenmeister, verlegte manche Unterweisung in jene stillen Stunden, um ihm die Leidenszeit zu verkürzen.

Aus dem Römlinghovener Hans wurde Bruder Leonhard. Er feierte am 6. November seinen ersten Namenstag, zu dem ihm Abt Heinrich I. und Prior Johannes gratulierten. Die Ereignisse des Tages, an dem er als Novize das Skapulier[6] , den kürzeren Überwurf zum Ordensgewand, anlegte und Novizenmeister Caesarius seine zeichnerischen Fähigkeiten lobte, sah er vor sich, als wäre es gestern gewesen. Im ersten Jahr seines Noviziats hatte er die Regel des Heiligen Benedikt und die Gebräuche der Zisterzienser kennengelernt. Durch die tägliche Praxis ging ihm das liturgische Chorgebet mühelos in Fleisch und Blut über.

Dann begann die Zeit der Prüfungen. Leonhard wurde zu körperlicher Arbeit im klostereigenen Steinbruch am Stenzelberg und auf der Baustelle in der Chorkirche herangezogen. Man ließ ihn Dienste verrichten, für die er keine Neigung besaß. Er erkrankte oft und verspürte Sehnsucht nach seinem Elternhaus, das nicht mehr existierte. Mitbrüder riefen ihn das erste Mal ›Bruder Schlendrian‹. Dennoch wusste er, sie gingen davon aus, dass sein Weg als Mönch nach drei Jahren im Konvent münden würde. Doch Leonhards Zweifel und Fragen wurden zahlreicher.

Immer häufiger dachte er an seine Freunde aus Kindheitstagen. Nicht nur an Jost, sondern auch an seinen Freund Frieder, mit dem er unzertrennlich gewesen war. An Gerti, Peter, Martha, Bodo, Wim, ’Tin, der eigentlich Konstantin hieß, und Jette, die Wilde mit den langen krausen Haaren. Was war aus ihnen geworden? Sah er von Jost ab, hatte er über Freunde von damals nichts in Erfahrung bringen können. Er hoffte, dass es ihnen gut ginge. Manchmal versuchte er, sich während seiner Gebete an ihre Gesichtszüge zu erinnern. Das war nicht verboten. Dennoch faltete er die Hände für diese Art privater Fürbitten heimlich. Wohl auch, weil seine Erinnerung ihn auf die Fährte seiner Freundin Martha schickte. Wenn er nur über eine Person etwas hätte in Erfahrung bringen dürfen, wäre seine Wahl auf Martha gefallen.

Warum ausgerechnet sie? Sie hatten sich bis zuletzt lediglich geneckt und sich gestritten. Aber Martha hatte ihn, als seine Mutter das Fieber befiel, im Geräteschuppen aufgestöbert. Leonhard hockte in dem lichtlosesten Winkel der Welt, hielt sich die Ohren zu, weil er das Wehklagen, vor allem aber seine Angst vor dem, was über ihn hereinbrechen würde, nicht mehr ertrug. Geistesabwesend wippte er mit dem Oberkörper vor und zurück. Martha stand im Licht, das durch die offene Stalltür fiel und ihn blendete. Als er Martha erkannte, rechnete er wie üblich mit einer frechen Bemerkung: Er solle sich nicht so anstellen. So werde nie ein Kerl aus ihm. Verlegen war Leonhard aufgestanden.

Doch Martha sagte nichts, verharrte dort im Licht, legte den Kopf ein wenig schief, schaute ihm ins verheulte Gesicht. Bevor Leonhard wusste, wie ihm geschah, war sie ihm mit zwei raschen Schritten ganz nah gekommen. Sie umschlang seinen zitternden Oberkörper fest mit beiden Armen, fuhr ihm mit den Händen über den Rücken, küsste ihn auf beide Wangen, schließlich sogar auf den Mund. Genauso rasch, wie sie seine Nähe gesucht hatte, ging sie wieder auf Distanz. Leonhard meinte, aus einem schönen Traum zu erwachen, denn er hatte ihre Arme, ihre Hände, ihre Lippen, aber auch ihren warmen Körper deutlich gefühlt und sehnte sich danach, dass dieser Trost nie aufhören möge. Doch Martha stand wieder in sicherer Entfernung im Licht der offenen Stalltür.

»Bild dir nichts drauf ein, hörst du? Das musste sein, ich meine, so unter Freunden …« Sie machte einen Schritt in den Innenhof. Leonhard hörte, wie sie mit seinem Hund sprach. Dann tauchte sie erneut in dem Türrahmen auf und legte eine gewisse Schärfe in ihre Stimme. »Wenn du irgendjemandem davon erzählst … Wenn du nur eine Andeutung fallen lässt, rede ich mein ganzes Leben kein Wort mehr mit dir. Verstanden?« Sie wartete seine Antwort nicht ab, legte erneut den Kopf schief, als sie zu ihm hinüberschaute, hob die Hand zum Abschied und verschwand.

Das war Martha! Konnte dies Grund genug dafür sein, dass Leonhard, ein rechter Bruder Schlendrian mit krausen Gedanken, liebend gern gewusst hätte, wo und wie sie lebte?

Kapitel 2 Von mancherlei Versuchungen und Abwegen, Montag, 15. August 1211

Leonhard lief auf der Handelsstraße, die über Oberdollendorf zu dem im Bau befindlichen Kloster Heisterbach und nach den Bauernhütten von Altenrott, Hattenrott und Heisterbacherrott führte. Novizenmeister Caesarius hatte ihm Reiserouten aufgezeichnet, Orte und Menschen lebendig werden lassen. Leonhard mochte diese Unterrichtsstunden. Wie fremd und abenteuerlich die Welt außerhalb der Klostermauern sein konnte! Doch ohne ausdrücklichen Auftrag, ohne Genehmigung durch Abt oder Prior, kam ein Mönch nirgends hin. Den größten Teil seines Wissens über die Welt erlangte ein junger Mönch nicht aus eigener Anschauung.

Hinter dem Bungertshof verlangsamte Leonhard seine Schritte, die Kirche St. Laurentius von Oberdollendorf ließ er rechts liegen, passierte das Gut Sülz und bog auf den schmaleren Waldweg ein, der durch das Mühlental bergan zum Kloster führte. Ein kleiner Gutshof des Klosters kam in Sicht. Hier kelterten und lagerten die Mönche von Heisterbach ihre aus den Lagen bei Oberdollendorf gewonnenen Weine, bevor sie sie für den Verkauf zum ›Küchenhof‹, einem größeren Wirtschaftshof beim Kloster, transportierten. Auf diesen Höfen des Klosters Heisterbach, von denen es auf zahlreichen Besitzungen in siebenundzwanzig Orten weitere gab, arbeiteten neben einigen Mönchen vor allem die Konversen, sogenannte Laienbrüder, die kein volles Gelübde ablegten. Sie trugen Bärte und Kutten aus braunem Wollstoff. Den Mitbrüdern gegenüber wollte sich Leonhard nicht für seine übertriebene Hast rechtfertigen müssen. Kurz verschnaufte er und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. Er würde sich wieder einmal verspäten, denn er sah sich gezwungen, das Gut des Edelherrn von Hückeswagen umständlich zu umgehen, der seine Hunde wegen eines Rechtsstreits mit dem Kloster frei laufen ließ und auf jeden Mönch hetzte. In der Hölle sollte der Edle zum Spießbraten verkommen und stinkend am offenen Feuer verkohlen! Den Glockenschlag zur Non hatte Leonhard verschlafen, die Zeit des Mittags war ebenfalls verstrichen. Er mahnte sich, auf keinen Fall die Vesper zu verpassen, denn dann sonst würde er hungrig zu Bett gehen müssen.

Am Ortsausgang von Oberdollendorf führte sein Weg an einer Schankstube vorbei. Eine zarte Rauchwolke trug den Geruch von Gebratenem zu ihm herüber. Sofort schnupperte er wie ein Hund auf einer heißen Spur. Schon meldete sich der hungrige Magen, den Leonhards Verstand unverzüglich warnte. Begehrlichkeiten dieser Art kamen für einen Mönch nicht in Frage. Leonhard schlich auf die Wirtschaft zu. In der Schankstube hockten vier Kerle beim Würfelspiel, es ging hoch her. Da schrie man Flüche, es donnerten die grässlichsten Schimpfkanonaden, auch Gotteslästerungen waren zu vernehmen. Ein Novize hätte schamrot werden müssen. Doch Leonhard war seit seinem vierzehnten Lebensjahr auf der Baustelle des Klosters aufgewachsen. Die Steinmetze, die Schreiner, viele Handwerker pflegten, wenn nicht gerade Abt oder Prior zugegen waren, ebenfalls eine derbe Ausdrucksweise. Das Leben glich nun mal keinem blank polierten Holzstück. Leonhards Neugierde drängte ihn weiter. Er spähte um die Hausecke zu den Stallungen hinter dem Wirtshaus. Dem Hahn ging es an seinen Federkragen! Heiliger Laurentius! Künftig würde sein Krähen kein Schläfchen mehr stören!

Das Vieh wurde vom Wirt durch den Hühnerkäfig gehetzt, entwischte ihm immer wieder im letzten Moment und hackte ihm auf Arme und Hände. Der Kopf des übergewichtigen Wirts glühte wie ein Lampion, sein Mund stand offen, und er hechelte wie ein Jagdhund nach einer Tageshatz. Ein Kerl stand vor dem Käfig, kitzelte ihn mit der Spitze seines gezogenen Degens und sorgte dafür, dass er in seinen Jagdbemühungen nicht nachließ. Ihre Pferde hatten die Gäste des Wirts an einem Holzbalken vor dem Kuhstall angebunden. Sie wurden von einem Pferdeknecht versorgt, der dem Wirt manchen hämischen Kommentar gönnte. Der Wind trieb Berge von gerupften Federn vor sich her und wirbelte sie aus den Hausecken bei den Stallungen in die Luft. Auf einem kleinen Holzklotz steckte ein blutiges Beil. Vor dem Klotz lagen auf einem Haufen die abgeschlagenen Köpfe der Hennen und von zwei Junghähnen. Kein Zweifel, welchen Weg die Hühnerschar des Wirtes gegangen war! Was drinnen am Spieltisch zu reichlich Alkohol als Hauptspeise serviert wurde, ließ sich leicht vermuten. Frau und Tochter des Wirts hatten gewiss alle Hände voll zu tun.

Leonhard linste wieder durch eine Fensterecke ins Innere. So wie sie krakeelten, würden sie für den ›Kitzel‹ eines Augenblicks alles riskieren. Das konnte bös ausgehen! Sein Interesse an dieser Männerrunde in der Schankstube war geweckt. Die Mahnung, sich für ein Gespräch mit dem Novizenmeister zu beeilen, verdrängte Leonhard. Irrte er sich, oder schrie jemand den Namen: »Zu Deutz!«?

»Verfluchter, elendiger Teufelskerl! Du gnadenloser Menschenschinder, Deutz! Jetzt zieh’ ich dir endlich das Fell über die Ohren!«

Der dritte Kerl: »Hundsfott, elendiger Mörtelpisser. Bau mir ein verschissenes schiefes Türmchen mit deinen blinkenden Talern! Diese Runde geht an mich!«

Dort drinnen hockte der Kerl, der seinen Vater auf dem Gewissen hatte! Er würfelte, vertändelte sein Leben zum Spaß. Keine Gerechtigkeit auf Erden! Am liebsten wäre Leonhard in die Schankstube gestürmt und hätte ihm die blutige Axt ins Genick gehalten. Aug um Aug, Zahn um Zahn! Bei dem Gedanken schlug Leonhards Herz wie wild. Er verbarg sich im Schatten der Hauswand und presste den Rücken an das kühle Mauerwerk. Rache und Gerechtigkeit mussten ihm für seinen toten Vater zugebilligt werden! Es hatte jedoch keinen Sinn, wie ein wilder Stier drauflos zu preschen. Selbst mit Gottes Hilfe könnte er nichts gegen diese kampferprobten Kerle ausrichten! Ihn ergriff eine Unruhe, die kaum zu bezähmen war. Erneut fiel in der Stube der Name ›zu Deutz‹. Diesmal folgte dem Geschrei dröhnendes Gelächter, als von Eulenburg den Knobelbecher von seinen Würfeln auf dem Tisch aufhob und strahlend seine Gewinnpunkte addierte.

Leonhard dachte, dass es ihm gelingen müsste, den Menschen in der Schankstube in die Gesichter zu schauen. Zwei große Eichen, die links und rechts neben der Einfahrt zum Grundstück nur zehn Schritt entfernt vom Haus standen, erregten seine Aufmerksamkeit. Er entschied sich für den rechten Baum, gürtete Kutte und Skapulier enger und höher, und schlich hinüber, um ihn zu erklettern.

Die Sicht in die Schankstube war ausgezeichnet! Sein Versteck in der Baumkrone schien ihm hervorragend gelungen! Doch dann die Gefühle, als er das erste Mal seit dem Tod seines Vaters in die Gesichtszüge von dessen Mörder blickte. Leonhard hasste die Kerle! Er faltete die Hände und erbat zitternd vor Aufregung die Kraft, sich zu mäßigen. Zu Deutz war dazu übergegangen, den jungen Schwertträger Otto von Blankenheim, dessen Ritter Kuno von Eulenburg und den Bergmeister vom Weilberg nach allen Regeln der Kunst auszunehmen. Die Barschaft hatte er ihnen bereits zum Großteil abgeknöpft. Sie waren zu betrunken und übermüdet, um die Taktik des Baumeisters zu durchschauen. Am liebsten hätte Leonhard ihnen eine Warnung zugeschrien. Aber er hockte in der Baumkrone und litt unter der Bitternis seines Schweigens. Dann bemerkte er den listigen Blick des zu Deutz auf die Spieler am Tisch. Der Baumeister zu Deutz hatte den Ritter und seinen Schwertträger eine Runde triumphieren lassen und schob ihnen kalt lächelnd die Münzen für ihren Gewinn zu. Der alte Bergmeister vom Weilberg ließ sich von ihm einen Schuldschein ausstellen. Ihm waren seine letzten Barmittel abhandengekommen. Sein verzweifelter Gesichtsausdruck sprach Bände, als er zum Weinkrug griff, ihn ansetzte und unter großem ›Hallo‹ der Runde den Rest in gierigen Schlucken leerte. Leonhard rechnete damit, dass zu Deutz erst zuschlagen würde, wenn von Eulenburg oder der Schwertträger von Blankenheim zu viel riskierten. Wie würde er es anstellen? Er würde betrügen, aber wie?

Die Männer unterbrachen das Spiel, schlugen mit den Fäusten auf den Tisch. Die abgenagten Hühnerknochen auf der Mitte der großen runden Platte begannen zu tanzen. Dann schrien sie nach Nachschub vom besten Wein des Hauses. Die Wirtin erschien mit zwei randvoll gefüllten Krügen. Sie musste sich Anzüglichkeiten gefallen lassen. Zu Deutz war mit drei Schritten an ihrer Seite. Sie schaffte es nicht mehr, vor ihm die Tür zur Küche zu erreichen. Heftig bemühte sie sich, dem Zugriff von zu Deutz zu entkommen. Mit seiner rechten Pranke griff er ihr auf der Höhe ihres Pos in die Rockfalten und knetete ihre üppigen Rundungen kräftig. Die Wirtin bekam vor Empörung auf Anhieb rote Wangen und kreischte: »Lass Er mich verdammt noch mal los! Was bildet Er sich ein? Ich bin eine verheiratete, anständige Frau!«

Doch zu Deutz trieb es ärger. Von Eulenburg und von Blankenheim feuerten ihn an.

»So, verheiratet seid Ihr und anständig obendrein? Mir scheint’s, Ihr findet dennoch Gefallen an einem gestandenen Mann, wie?«, begann von Blankenheim, der ein wenig lallte.

»Ich denke, Ihr Mann, schöne Frau Wirtin, ist beschäftigt. Das Haus bedarf recht bald eines neuen Hahns! Hahn ist gut, wie?« Zu Deutz erntete Applaus.

»Falls ich in diesem Leben einmal Bedarf haben sollte, lass ich es den Baumeister gern wissen! Nehme Er seine Hände da weg!«, fuhr die Wirtin den zu Deutz fuchsteufelswild an. Jetzt bedrängte sie auch noch der junge von Blankenheim, zog und zerrte an ihrem Brusttuch und Mieder.

Gebannt verfolgte Leonhard aus seinem Versteck das Geschehen. Die Wirtin konnte einen Arm vom Zugriff des zu Deutz befreien und schwang den leeren Krug in Richtung des von Blankenheim. Der rettete sich, indem er sich zu Boden fallen ließ. Er stöhnte auf, als er hart aufschlug und von ihr zum Dank für seine Unverschämtheiten unsanft in die Rippen getreten wurde. Sie hatte den Angriff derart schwungvoll ausgeführt, dass der Krug, der Blankenheim verfehlte, von ihrer Hand nicht mehr gehalten werden konnte. Er knallte zu Deutz gegen die Schulter, um dann am Boden knallend zu Bruch zu gehen. Zu Deutz rieb sich den Arm und ließ von ihr ab. Die Wirtin riss die Küchentür auf und flüchtete. Sie musste sich die Beschwerde anhören: »Da will man freundlich sein … Und dann so etwas!«

»Frau Wirtin, wenn Verheiratete für so etwas zu anständig sind, schicke Sie uns doch Ihre hübsche Tochter mit einem frischen Brot an den Tisch!«, grölte von Eulenburg.

»Keine schlechte Idee, wirklich, mein lieber Rittersmann!«, lobte zu Deutz lachend. Zu Deutz trat ans offene Fenster der Schankstube, schöpfte Luft und rief nach seinen Männern, die sich bei den Stallungen herumtrieben. Dragan, der Mann mit dem Degen, erschien als Erster. Hinter ihm schlurfte der Wirt Richtung Küche, nur noch ein Schatten seiner selbst. Er trug schwer an einem Sack, in dem sich wahrscheinlich der tote Hahn befand. Die Tür fiel hinter dem Wirt zu. Auch der Pferdeknecht folgte dem Ruf des Baumeisters und schlenderte pfeifend um die gegenüberliegende Hausecke. Schreckensstarr blickte Leonhard auf die Männer hinab, die sich nur wenige Fuß unter seinem Versteck versammelten. Wenn jetzt einer nach oben blickte, wäre es um ihn geschehen! Er ahnte, dass er besser daran getan hätte, die Schankstube zu meiden.

Kapitel 3 In den Händen des Teufels, Oberdollendorf, Montag, 15. August 1211

Zu Deutz erbat von seinen Mitspielern ein wenig Geduld, es sei eine Kleinigkeit zu klären. Neugierig geworden, folgten sie ihm ans geöffnete Fenster. »Glaub nur nicht, Wertester, du könntest dich um die letzten Runden drücken, jetzt, da ich eine Glückssträhne habe!«, warnte von Eulenburg.

»Keine Sorge.« Zu Deutz hielt seinen Männern eine Silbermünze vors Gesicht. »Derjenige erhält diese Münze, der mir sagt, wie man die Bäume dort vor dem Eingang nennt.«

Die Männer wandten sich um und betrachteten die Bäume. Leonhard fürchtete, entdeckt zu werden. Doch es gab keine Anzeichen dafür. Beide Männer antworteten gleichzeitig. »Das sind Steineichen.«

»Wohl wahr, ihr habt einen scharfen Verstand«, lobte zu Deutz. »Dann könnt ihr mir sicherlich auch sagen, welche Art von Früchten an diesen ehrwürdig alten Bäumen wachsen? Ich bin nämlich der Meinung, dass es sich um seltene handelt.«

Nicht nur die Männer vor dem Fenster, sondern auch die Mitspieler schauten sich fragend an und tuschelten. »Die Bäume tragen im Herbst Eicheln. Dafür ist es im Moment noch zu früh.«

»Auch da bin ich mit dir einer Meinung, grundsätzlich jedenfalls.« Zu Deutz lächelte. »Doch diese Bäume tragen bereits im Spätsommer Früchte, die sie ganz verborgen in ihren Kronen bilden. Es sind kleine Mönchlein. Dragan, sei bitte so gut, pflücke mir jene Frucht von dem Baum dort oben, damit ich sie bestaunen und von ihr kosten kann.«

Dragan und der Pferdeknecht bekamen vor Erstaunen über ihre Entdeckung den Mund nicht mehr zu. Die Männer am offenen Fenster drängten zu Deutz zur Seite, um besser sehen zu können, und lachten herzhaft über den Scherz. »Nun mache Er schon und pflücke mir die Frucht, Dragan«, forderte der Baumeister. »Wir kommen gleich vors Haus zur Kostprobe.« Er winkte den drei Mitspielern, ihm zu folgen. »Kommen Sie, meine Freunde, kommen Sie mit.«

Leonhard erstarrte vor Schreck. Er war aufgeflogen! Was konnte ihm alles geschehen, wenn zu Deutz in ihm den Sohn des Predigers aus Römlinghoven erkannte? Würde er an ihm ebenfalls ein ›Gottesurteil‹ vollziehen? Leonhards Herz stolperte, kalter Schweiß brach ihm aus. Der Degen erwies sich als lang genug und seine Spitze äußerst scharf, so dass es des zusätzlichen Rüttelns am Geäst durch den Pferdeknecht nicht bedurft hätte. Leonhard beeilte sich, hinabzusteigen, um Dragans Degen zu entgehen. Die Männer lachten aus vollem Hals.

»Nun, hat unser Mönchlein eine gute Sicht gehabt und die Regeln unseres Spiels verstanden? Möchtest du vielleicht mitspielen?«, begann zu Deutz und legte etwas Süßliches in seine Stimme.

»Ich bin ein Mönch aus Heisterbach und hätte nichts, womit ich mich an solchem Spiel beteiligen könnte. Ich bitte um Verzeihung, es wäre nicht richtig.« Leonhard senkte den Blick.

»Das glaube ich wohl«, entgegnete zu Deutz. »Doch am Geld soll es nicht mangeln. Für den Anfang helfe ich gern aus. Und dann bestünde die Möglichkeit, dass Er Vorschuss erhält, den Er im Steinbruch abarbeiten kann. Aber vielleicht erspielt Er mit Gottes Beistand seinem Kloster auch ein kleines Vermögen? Wag ein Spielchen, Mönchlein.«

Der Baumeister schien ihn nicht wiederzuerkennen. Leonhard wurde mutiger, blickte in die Runde und antwortete: »Wer Lust hat zu spielen, hat Lust zum Betrügen.«

»Hüte deine Zunge, Mönch, solange du sie noch hast! Was hast du dort auf dem Baum getrieben?«, fragte zu Deutz scharf.

Auch von Eulenburg musterte ihn. Leonhard fürchtete, dass sein Gedächtnis besser sein könnte. Der Ritter hatte hoch zu Ross und mit bester Sicht beobachtet, wie zu Deutz seinen Vater umgebracht hatte … Jetzt ging es um seinen eigenen Kopf und Kragen! »Mir scheint der Bursche sehr jung zu sein für einen Mönch. Wie ist dein Name?«, sprach von Eulenburg ihn an.

Wie es üblich war, wenn man mit einem Mann von besonderem Stand sprach, senkte Leonhard den Blick. Vor allem ging es ihm aber darum, sein Gesicht zu verbergen. »Ich bitte um Vergebung, Ritter, mein Name ist Leonhard.«

»Nie von dir gehört. Dennoch kommst du mir bekannt vor.« Von Eulenburg blickte ihn prüfend an, verlor aber schnell das Interesse und wandte sich an zu Deutz. »Spielen wir noch? Unsere letzten Partien stehen aus. Also, was ist?«

»Ich werde den Teufel tun, mich zu drücken, meine Herren! Im Gegenteil: Ich bitte darum!« Zu Deutz klatschte auffordernd in die Hände.

Der Bergmeister und der junge Schwertträger gingen ins Haus, von Eulenburg folgte ihnen mit Abstand. Nur zu Deutz schaute nachdenklich und verharrte. »Wenn ich es genau bedenke, geht es mir ähnlich wie dem Ritter. Dein Gesicht, Mönchlein, kommt mir vertraut vor. Wenn ich nur wüsste, wo wir uns begegnet sind. Aber sei gewiss, das fällt mir noch ein. Am Ende bist du nichts als ein schlechter Gaukler?« Er trat auf Leonhard zu, boxte ihn kräftig mit seiner rechten Pranke gegen die linke Schulter, so dass er rückwärts taumelte und zu Boden ging. Leonhard erschrak über die ungeheure Kraft dieses Mannes. So rasch es ihm möglich war, sprang er wieder auf. Zu Deutz und seine Männer lachten schallend. Von Eulenburg stand in der Tür und schaute dem Schauspiel teilnahmslos zu.

»Namen, meine Herren, sind Schall und Rauch und im Angesicht der großen Ewigkeit unseres Schöpfers vollkommen unbedeutend. Wenn Ihr, hochwohllöblicher Meister, Gewissheit wünscht, bringt mich zur Pforte des Klosters und befragt dort unseren neuen Pförtner Siegfried. Er wird sich für meinen Namen und meine Person verbürgen.«

»Gehören Demut und Gehorsam nicht zu den löblichen Tugenden und Pflichten eines Zisterziensers? Sag, wie kann es sein, dass Er mir, dem Baumeister des Grafen, meint, vorschreiben zu können, wie wir mit Ihm zu verfahren haben! Das steht einem Mönchlein nicht gut zu Gesicht.« Erneut schickte ihn ein von zu Deutz lässig ausgeführter Schlag gegen die Brust zu Boden. Dieses Mal trat Dragan hinter Leonhard und zerrte ihn, der kraftlos wie ein Schilfrohr im Wind schwankte, gewaltsam auf die Füße.

»Wenn ich es Euch doch versichere: Ich bin Leonhard, komme von meiner Arbeit in den Weinbergen und werde in Heisterbach vom Abt Heinrich erwartet. Denkt an die Worte des Herrn: Was Ihr dem Geringsten unter Euch angetan habt, das tut Ihr mir an. Ich bete für Euer Seelenheil, hochwohlgeborener Baumeister. «

Zu Deutz lachte wieder schallend. »Habt Ihr das gehört? Beten kann ja nicht schaden, was, lieber von Eulenburg?«, rief er dem Ritter zu. »Besonders, wenn sich das Spiel zu drehen beginnt.«

Von Eulenburg machte eine ausholende Geste, mit der er seine Verärgerung ausdrückte. »Lasst mich mit ihm in Ruhe! Er hätte besser daran getan, uns zu meiden. Meinetwegen soll er beten, es wird dir, Diethelm zu Deutz, nichts nutzen.« Von Eulenburg stapfte zum Spieltisch. Er brüllte ihnen durch die offenstehende Tür zu: »Dass der Kerl ein Mönch sein soll, glaube ich ihm im Leben nicht. Ein Märchenerzähler, der sich für seine dilettantische Kunst das falsche Publikum ausgesucht hat.«

Kleinlaut bekannte Leonhard: »Ich war ein Dummkopf, hätte doch wissen müssen, dass der Mensch zwar die höchsten Bäume besteigen, aber nicht lange auf ihnen verweilen kann. Wer hinaufklettert, muss auch wieder herunterkommen. Gott wird seine Gründe gehabt haben, uns ein Federkleid zu verwehren.«

»Wer raufklettert, muss wieder runterkommen! Oder zu Fallobst werden!« Dragan lachte ihn aus.

Die Situation spitzte sich weiter zu. Leonhard hatte schweißnasse Hände, er musste sie wiederholt am Skapulier abwischen. Insgeheim betete er um Errettung.

Stattdessen zogen über dem Siebengebirge tiefschwarze Wolken auf. Ein tiefes Grummeln aus dem Rheintal kündigte schweres Unwetter an. Die Sonne erlosch und verschwand unter der Wolkendecke. Dichter Regen setzte ein, der kurz darauf in Hagel überging. Die Gewitterfront raste auf das Rheintal zu. Sie flüchteten vor dem Unwetter in den Hausflur. Zu Deutz jagte den Pferdeknecht wieder hinaus, damit er sich um die Tiere kümmerte. Dann wandte er sich erneut Leonhard zu. »Ich habe mir überlegt, wie ich mit dir umzugehen gedenke, Mönchlein.«

»Mir geschieht großes Unrecht«, verteidigte sich Leonhard und verneigte sich. »Ich gebe zu, ich hätte mich in der Baumkrone bemerkbar machen müssen. Es war nicht recht von mir, dort zu hocken und Eurem Spiel zuzusehen. Aber es ist niemandem ein Unrecht geschehen. Ich bitte Euch um Vergebung.«

»An diesem Tag, Mönchlein, hättest du bedenken sollen, dass ein jedes Ding auf Erden, das keine Flügel hat, stets herabfallen wird. Und wo etwas hinfällt, gehört es dem, der das Recht und die Gewalt an den Dingen auf Erden hat …«

»Fallobst, mein Junge«, feixte Dragan und fand Spaß darin, ihn zu demütigen und ihm in den Hintern zu treten.

»Auch Ihr werdet die Wahrheit erkennen und solltet Euch nicht an einem Mann Gottes vergreifen! Ihr werdet dafür in der Hölle schmoren!«, fiel ihm Leonhard ins Wort und bekreuzigte sich. Seine letzten Worte hatte er fast brüllen müssen, denn das Gewitter tobte mit ohrenbetäubendem Donner und rauschenden Wassermassen über Oberdollendorf. Schon ergriff die wahnsinnige Vorstellung von Leonhard Besitz, er könnte sich eines Dolchs bemächtigten … Ihm wurde ganz kalt bei den Gefühlen von Hass und Rache.

Dragan lachte aus vollem Halse. »Der Bursche ist gut. Ich habe schon lange keinen mehr gehört, der Euch, mein Herr, beim Glauben packen und mit der Verdammnis drohen wollte!«

»Das machen sie immer, wenn ihnen zu ihren Lügen nichts mehr einfällt. Der braucht erst recht nicht auf mein Wohlwollen zu spekulieren!«

Leonhard ballte die Hände zu Fäusten. Er konnte nichts gegen diese Kerle ausrichten!

Zu Deutz grinste ihn an und erklärte: »In Wahrheit, mein Mönchlein, bist du deiner Pflichten ledig, träumend des Weges hier vorbeigekommen. Du hast Gott einen lieben Mann sein lassen, wie dies Kuttenträger zu tun pflegen.«

»Das ist nicht wahr! Ihr beleidigt alle Heiligen ebenso, wie Ihr den Dienst an der Kirche geringachtet!«, protestierte Leonhard.

»Machen wir weiter: Du kamst am Haus vorbei, hörtest unsere lauten Stimmen, und schon stach dir Hungerleider der Braten in die Nase. Du vergaßest auf dem Weg bis zu den Eichen glatt, dass es dir untersagt sein könnte, Fleisch zu essen. Als du dich erinnert hast, bist du in die Krone der Eiche gekrochen, um zu sehen, wie du dir ein knusprig gebratenes Stück Hähnchen sichern könntest. Ich finde, diese Geschichte klingt schlicht genug, um wahr zu sein.« Zu Deutz erhielt Applaus von der Männerrunde.

»Ihr legt Euch die Welt des Schöpfers nach Eurem Willen zurecht. Gerade so, wie sie Euch gefällt.« Leonhard wurde wütend, weil er sich durchaus treffend beschrieben fühlte.

»Du hast hier keine Beschwerden zu führen!« Zu Deutz schlug mit der Faust auf den Tisch. »Dragan, setz ihn her zu mir.« Er deutete auf einen Stuhl. »Ich hoffe für dich, dass deine Gebete erhört werden, auch wenn du mit vollen Backen kaust. Du magst doch Hähnchen? Dragan, geh in die Küche, mach dem Wirt Beine, dass er unserem Mönchlein etwas Anständiges serviert.«

Leonhard wollte widersprechen, öffnete den Mund, spürte jedoch bereits die Spitze des Dolchs unter seinem Kinn.

»Kein Wort, habe ich gesagt!« Zu Deutz schaute kurz in die Männerrunde. Jeder hing förmlich an seinen Lippen. »Du isst alles auf. Mir gleich, wie ihr das im Konvent haltet. Du wirst es deinem Herrn im Jenseits noch danken, dass du dich heute sattessen durftest. In den Steinbrüchen des Grafen herrscht großer Bedarf. Ist es nicht so, Bergmeister?«

Der klatschte zustimmend in die Hände.

»Also, dein Mann, Bergmeister, für den Steinbruch am Weilberg.« Er schloss mit einem gehässigen Grinsen: »Das Essen in den Steinbrüchen ist eher bescheiden. Daher greif zu, Mönchlein. Und: Das Beten nicht vergessen! Denn für meinen Gewinn haftest du mir ebenfalls! Sonst … gäbe es noch gewisse Alternativen.« Er vollführte mit der linken Hand die Geste des Halsabschneidens und lachte. Zu Deutz griff nach dem Knobelbecher, rüttelte die Würfel darin besonders laut und lange. »Ich fange an! Ist doch so, oder? Warum ich? Nun, weil ich das so entschieden habe.«

Ein Hahn wurde serviert. Leonhard stammelte Gebetsfetzen vor jedem Wurf, während Dragan ihm von der Seite Stücke vom heißen Hähnchen in den Mund stopfte, so dass er mit dem Kauen und Schlucken kaum nachkam. Leonhard schämte sich dafür, dass er es nicht schaffte, dem Teufel Widerstand zu leisten. Er taugte nicht zum Heiligen. Er wollte überleben und nicht auf seine Errettung im Jenseits setzen. Es gab Dinge im Himmel und auf Erden, die waren heiß oder kalt, schwarz oder weiß und nichts dazwischen. Und er, der Bruder Schlendrian, versuchte, sich durchzumogeln, das passte nicht zu einem Zisterzienser …

Kapitel 4 Ein Albtraum aus Würfelspiel, gebratenem Hähnchen und Gewalt! Oberdollendorf, Montag, 15. August 1211

Die Würfel fielen mal für die eine, mal für die andere Seite. Leonhard musste Schläge einstecken, denn zu Deutz machte ihn dafür verantwortlich, wenn eine Partie nicht zu seinen Gunsten entschieden wurde. »Du weißt nicht richtig zu beten.« Schon klatschte die Pranke zum wiederholten Mal auf Leonhards brennende Wange. »Bete anständig!«, befahl er ihm.

Von Eulenburg ließ zu Deutz nicht aus den Augen, rechnete damit, dass der, in die Enge getrieben, falsch spielen würde. Dann bemerkte Leonhard zwei Würfel, die zu Deutz plötzlich verdeckt in der linken Hand hielt, während er mit rechts den Becher schüttelte. Er ließ sich Zeit mit dem Wurf. Der Ritter wurde ungehalten. Die Männer grölten. Leonhard, beim Mariengebet angekommen, bemerkte, dass zu Deutz keine Würfel mehr in der linken Hand hielt, als er den Knobelbecher auf dem Tisch abstellte und zum Krug griff, um einen Schluck zu nehmen. Dem protestierenden von Eulenburg schob er den Becher zu. »Da sind die Würfel. Du kannst auf sie aufpassen, damit alles mit rechten Dingen zugeht …«

›Was für ein Teufel!‹, befand Leonhard, ahnungslos, wie zu Deutz es anstellte. Die Würfel würden fallen, wie es der Baumeister wünschte. Leonhard suchte immer noch nach einer Fluchtmöglichkeit.

Die Wirtin stürzte in die Schankstube, um die Fenster zu schließen. Unter dem Spieltisch hatten sich Wasserlachen gebildet. Draußen tobte das Unwetter. Der Wind trieb den Regen durch die offenen Fenster. Der letzte laute Donnerhall war noch nicht verklungen, da lauschten sie auf das Stakkato von hämmernden Hufen eines galoppierenden Pferdes.

Zu Deutz sprang auf. »Es ist ein Bedienter der Burg!«, rief er.

Die Wirtin flüchtete auf dem kürzesten Weg zur Küche. Sie verzichtete darauf, das Wasser auf den teuren Holzböden wegzuwischen. Ein greller Blitz erhellte den Raum. Der Sturm ließ die Haustür krachend hinter dem Boten zuschlagen, und sie hörten seine raschen Schritte im Flur. Dann stand er tropfnass und schwer atmend vor ihnen, verlor keine Zeit mit Höflichkeiten und berichtete knapp von Schwierigkeiten auf der Baustelle der Löwenburg. Graf von Sayn mache die Angelegenheit dringlich. Bei einem Unfall mit Steinkarren habe es Verletzte gegeben. Schweres Gestein versperre die Burgtore. Der Graf habe auch um heilkundige Unterstützung bei den Zisterziensern nachgefragt. Es seien Mönche unter den Verletzten. Der Bote salutierte und schloss: »Habe vom Grafen Befehl, sofort zurückzureiten, sobald ich Ihn, den Herrn Baumeister, unterrichten konnte. Empfehle mich!« Der Mann salutierte schneidig und verschwand rasch.

Leonhard machte sich Sorgen um die verletzten Mitbrüder und musste an Jost denken, der auf der Baustelle der Löwenburg arbeitete. Der Baumeister fluchte heftig. Klar, dass es ihm überhaupt nicht in den Kram passte, die eingebüßten Geldeinsätze nicht mehr mit manipulierten Würfeln ausgleichen zu können. Dem Befehl des Grafen von Sayn war unverzüglich Folge zu leisten und bei diesem Unwetter zur Löwenburg aufzubrechen.

»Dragan, verschnüre mir unser Mönchlein sorgfältig. Es muss schnell gehen, hörst du? Nimm einen der Ackergäule vom Wirt und sieh zu, dass er sich oben hält und uns nicht entwischt. Verfluchter Mist! Sauwetter!« Zu Deutz packte seine Sachen.

Doch weder der Ritter von Eulenburg noch der junge Schwertträger von Blankenheim wollten den Baumeister ziehen lassen. Sie waren angesichts der letzten zwei siegreichen Spielrunden der Meinung, das Glück sei ihnen hold. Sie wollten Geld sehen! Viel Geld. Nichts anderes ließen sie gelten. Jede Rechtfertigung war in ihren Augen nur eine billige Ausrede, erfunden einzig zu dem Zweck, sie um ihren sicheren Gewinn zu bringen. Ritter von Eulenburg behauptete sogar, der Bote sei von dem Baumeister einbestellt worden, um seinen Kopf schadlos aus der Schlinge ziehen zu können. »Sicher! Jetzt, da Sie es ansprechen, Ritter von Eulenburg, fällt es auch mir wie Schuppen von den Augen! Das konnte kein Zufall sein, dass der Reiter im Moment des entscheidenden Wurfs der Würfel aufgetaucht ist. Haben Sie nicht auch bemerkt, wie zu Deutz seinen Wurf hinausgezögert hat? Ich sage Ihnen, das ist oberfaul!«, ereiferte sich der Schwertträger. Der genossene Wein mochte an der weiteren Erhitzung der Gemüter seinen Anteil gehabt haben. Blankenheim versperrte zu Deutz den Weg, als er nach draußen zu den Pferden wollte. Von Eulenburg packte ihn von hinten an der rechten Schulter und versuchte, ihn zurückzuhalten. Zu Deutz wurde wütend, warf seine Satteltasche von sich, befreite sich mit einer halben Körperdrehung von dem Zugriff des Ritters. Dann begann er mit dem Schwertträger eine Rauferei. Im Zuge der Handgreiflichkeiten traf er von Blankenheim mit der Faust im Gesicht, worauf der rückwärts taumelte und stöhnend zu Boden ging. Zu Deutz stürmte an ihm vorbei, sein Pferd zu holen, fluchte fürchterlich und verschwand um die Hausecke. Dragan fesselte Leonhard die Hände, packte ihn bei der Kapuze seines Habits und stieß ihn vor sich her. Kaum fiel die Tür zur Schankstube hinter ihnen ins Schloss, war ihnen von Blankenheim mit gezogenem Schwert auf den Fersen. Er schrie wie von Sinnen.

Dragan stieß Leonhard Richtung der Stallungen von sich. »Keine Schwachheiten, Mönch! Weglaufen lohnt nicht! Wir kriegen dich. Dann wird es fürchterlich für dich! Sieh zu, dass du auf den Gaul kommst!«

Mit zwei blitzschnell ausgeführten Bewegungen stand Dragan mit seinem Degen in der Faust von Blankenheim gegenüber, bereit, einem angehenden Ritter, der eine ungleich schwerere Waffe führte, Paroli zu bieten. Dieser schrie: »Aus dem Weg! Den zu Deutz will ich!« Schon kreuzten sie ihre Klingen. Keiner konnte einen Vorteil mit seinen Angriffsbemühungen erreichen. Als zu Deutz und der Pferdeknecht hoch zu Ross mit ihren Waffen eingriffen, flüchtete der Schwertträger zurück ins Haus, wo ihm von Eulenburg in der offenen Haustür, den Rückzug sicherte. Um ein Haar wäre Blut geflossen!

Dem Wirt blieben diese Herren wohl die Begleichung der Rechnung schuldig. Was schlimmer wog, war der Verlust seiner beiden Pferde, die Dragan und zu Deutz ohne zu fragen mitnahmen. Vorher band der Pferdeknecht die edlen Reittiere des Ritters und Schwertträgers los und trieb sie die Straße nach Oberdollendorf hinunter. Die Flüche und Drohungen der geschädigten Männer, die ihnen hinterherliefen, begleiteten sie noch ein gutes Stück des Mühlenweges hinauf bis in den Buchenwald, der zur Burg Rosenau gehörte.

Leonhard lag mehr mit losen gefesselten Händen auf dem Rücken des Pferdes, als dass er ritt, und wurde mächtig durchgeschüttelt. Das Hähnchenfleisch quälte ihn. Ihm wurde speiübel. Der Herr strafte seine Rachsucht, seine Gefräßigkeit und seinen Schlendrian mit vielerlei Qualen. ›Die der Herr liebt, die züchtigt er! Ein zu schwacher Trost …‹ Während er sich röchelnd übergab, mahnte er bei seinem Schöpfer die Strafen für die großen Sünder auf Erden an.

Sie passierten den Gutshof der Löwenburg am Fuß des letzten steilen Anstiegs auf den Burgberg. Der Regen ließ nach, aber an zahlreichen Stellen schoss Wasser talwärts. Alle Wege waren aufgeweicht. Zu Deutz fluchte, gab seinem Pferd die Sporen und ritt voraus. Hinter der nächsten Kehre am Berg stießen sie auf Mönche aus Heisterbach, die mit Klosteresel und Leiterwagen zur Hilfe eilten. Zu Deutz, der vom Pferd absteigen musste, stritt sich heftig mit dem Mönch, der Wagen und Esel führte. »Geht zurück ins Kloster! Ihr seid ein verdammtes Hindernis!« Der Mönch blieb ruhig, kraulte den Esel zwischen den Ohren. Dragan musste Leonhard vom Pferd helfen, band seine Handfesseln hinten am Sattel fest. Er ging nach vorn, packte das Zaumzeug und führte das Pferd mit Leonhard im Schlepptau vorsichtig an dem Leiterwagen vorbei. Alles in Leonhards Kopf drehte sich. Seine Oberschenkel zitterten, und seine Beine gaben nach. Leonhard spürte die unendliche Leere und Weite im Kopf. Er würde jeden Moment nach vorn stürzen. In Panik stammelte er kaum hörbar: »Guter Gott, so hilf!«, riss die Augen auf und erlebte ein Gotteswunder, da er seinem Freund und Vertrauten im Kloster, dem mit seinen 5 Fuß 40[7]  hoch wie breit gewachsenen Bruder Theophil, in die starken Arme fiel. Er meinte, zu träumen. »Theophil, Theo … das ist so gut, Theophil, dass du da bist …«

Der heilkundige Bruder, der das Infirmarium[8] , die Krankenstation des Klosters, leitete, hielt ihn fest in seinen Armen, und Leonhard schloss für einen Moment die Augen, ließ alles mit sich geschehen. Er lebte in der Gewissheit, dass, wenn es einen Menschen auf Erden gab, der ihn nicht loslassen würde, dies sein Freund sei.

Theophil bettete ihn auf das Stroh des Leiterwagens. Er gab ihm von einem Kräutersud zu trinken, den er zur Beruhigung von Verletzten zubereitet hatte. Leonhard hörte, wie sein Freund dem Dragan wortreich Vorhaltungen machte, er habe sich an einem Diener Gottes vergriffen. Leonhard vernahm, wie Theophil unnachgiebig forderte, man möge sich schleichen und ihn in seiner Obhut lassen. Sein Freund wurde energisch, bemühte den Erzengel Gabriel und alle himmlischen Heerscharen. Vergessen war die schweigsame Zurückhaltung des Zisterziensers. Theophil kämpfte wie ein Löwe! Wie gut sich das anfühlte! Leonhards Lebensgeister kehrten zurück.

Doch da mischten sich bereits andere Stimmen in seine Wahrnehmungen, und er fror in seinen völlig durchnässten Kleidern. Das Paradies auf Erden schien immer noch fern … Leonhard richtete sich auf, öffnete vorsichtig die Augen, blickte an dem mit Dragan streitenden Theophil vorbei und sah den verhassten zu Deutz herbeieilen. Der Baumeister schrie ungehalten: »Was treibt Ihr da! Könnt Ihr mir das sagen, Mönch?« Er schubste die Brüder Alfred und Vitalis zur Seite, packte Dragan und zog ihn gewaltsam zu sich heran: »Und du! Warum sorgst du, verdammt noch mal, nicht für Ordnung und klare Verhältnisse? He? Bist doch sonst nicht zimperlich!«

Dragan wollte antworten, doch zu Deutz hörte ihm nicht zu. Er entschloss sich, die Angelegenheit selbst zu regeln, packte Theophil an der Kutte und schüttelte ihn gewaltsam. »Du siehst zu, dass der Wagen diesen Weg freigibt! Keiner kommt mehr durch. Ja, schau dich mal um, Mönch! Wenn du nicht augenblicklich …«

»Was ist dann? Höllenqualen sind deiner armen Seele bereits jetzt sicher. Vergreift Euch nur an einem Diener Gottes, ich sage Euch, glücklich werdet Ihr nicht dabei!«, entgegnete Theophil unerschrocken. Leonhard bewunderte ihn dafür.

»Ich werfe ich dich, Mönch, mitsamt deinem elenden Karren den Abhang vom Burgberg runter!« Zu Deutz stieß ihn von sich, so dass Theophil in den Matsch am Wegrand fiel. Dann war er mit zwei Schritten am Wagen, zerrte Leonhard gewaltsam von der Ladefläche. »Wir zwei hatten eine Verabredung, Mönchlein, du erinnerst dich?« Dragan bellte er entgegen: »So macht man das!«

Dragan zerrte an dem Esel, der lauthals protestierte und sich keinen Schritt bewegen ließ. »Wart ab, dir werde ich’s beibringen!«, fluchte er und griff zu seiner kurzen dreischwänzigen Lederpeitsche.

Kapitel 5 Von Prior Johannes und Leonhards Sehnsucht nach Rache und Gerechtigkeit, Löwenburg, 15. August 1211