Thailand - Nicola Glass - E-Book

Thailand E-Book

Nicola Glass

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Beschreibung

Traumhafte Strände, kulturelle Schätze, Sonne satt: Thailand gilt vielen als ideales Reiseziel. Doch das »Land des Lächelns« hat Schattenseiten. So setzen die konservativen Eliten alles daran, ihre Macht zu schützen. Das geht auf Kosten all derer, die politische Gleichberechtigung verlangen. Nicola Glass wirft einen kritischen Blick hinter die Fassade des Urlaubsparadieses, in dem sich die Menschenrechte nach dem jüngsten Mili­tärputsch 2014 im freien Fall befinden. Kenntnisreich erklärt sie Hintergründe und Verlauf des Konflikts zwischen Rothemden und Gelbhemden. Zugleich schildert sie anschaulich, was Thailand so faszinierend und liebenswert macht: die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft vieler Bewohner, die Kultur und das pulsierende Leben in der Metropole Bangkok.

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Seitenzahl: 251

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Nicola Glass

Thailand

Nicola Glass

Thailand

Ein Länderporträt

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

1. Auflage als E-Book, September 2018

entspricht der 1. Druckauflage vom September 2018

© Christoph Links Verlag GmbH

Schönhauser Allee 36, 10435 Berlin, Tel.: (030) 44 02 32-0

www.christoph-links-verlag.de; [email protected]

Reihengestaltung: Stephanie Raubach, Berlin

Karte: Peter Palm, Berlin

eISBN 978-3-86284-429-6

Inhalt

Vorwort: Ein schwerer Abschied

Diesseits und jenseits des Lächelns

Ankunft im »Land der Freien«

Das Lächeln und seine Bedeutungen

Südthailand nach dem Tsunami – Hilfsbereitschaft aus dem ganzen Land

Geschlechterverhältnisse – Männer, Frauen und das Dritte Geschlecht

Die dunkle Seite der Gesellschaft: unausgetragene Konflikte und Gewaltpotenzial

Thailands düstere Vergangenheit – Die jüngere Geschichte

Die Revolution von 1932

Der Massenaufstand vom 14. Oktober 1973

Der 6. Oktober 1976 – das Massaker an der Thammasat-Universität

Der »Schwarze Mai« 1992

Machtkampf der »Farben« – Ursachen und Folgen

Ein neues politisches Kapitel – Thailand unter Thaksin Shinawatra

Der Putsch vom 19. September 2006 und seine Folgen

Der Rot-Gelb-Konflikt – T-Shirt-Revolution und Machtkampf auf der Straße

Kriegszone Bangkok – Chronologie einer Katastrophe

Die Proteste der PDRC – Einbahnstraße zum nächsten Militärputsch

Der Staatsstreich vom 22. Mai 2014

Thailand unter Militärherrschaft – Menschenrechte im freien Fall

Königreich Thailand – Monarchie und Militärdiktaturen

Die Ära Bhumibol – mehr als 70 Jahre auf dem Thron

Altes Establishment und feudalistisches System: Monarchie, Militär, Machtstrukturen

Presse(un)freiheit im »Land der Freien« – Das »Gesetz gegen Majestätsbeleidigung«

Thailands Monarchie nach Bhumibol – Der unpopuläre Nachfolger Vajiralongkorn

Kultur und Religion

Mai pen rai, Sanuk und Sabai sabai als Lebensphilosophie

Feste feiern: Loy Krathong und Songkran

Die dominierende Religion: der Theravada-Buddhismus

Mönche, Moneten, Macht

Buddhismus und Politik – rot-gelber Riss auch innerhalb der Mönchsgemeinschaft

Wirtschaft und Tourismus

Das buddhistische Königreich als Wirtschaftsstandort

Thailands Tourismus – Licht- und Schattenseiten

Besuch bei SWING – Service Workers in Group

Wirtschaft und Tourismus nach dem Putsch 2014

Schicksale von Arbeitsmigranten aus Myanmar, Kambodscha und Laos

Bangkok – Stadt der Engel im Porträt

Bangkok – bunt, betörend, brodelnd

Aus für Bangkoks Garküchen?

Die Flut 2011 und ihre Folgen

Bauboom auf Sumpfgebiet und Blick in die Zukunft: Von der »Waterworld« zur »Wetropolis«?

Thailands muslimischer Süden

Einer der »vergessenen« Konflikte Asiens

Krue Se, Tak Bai und andere Gräueltaten

Der tiefe Süden unter Kriegsrecht und Notstandsgesetz

Lebenswelten: gegen staatliche Willkür

Nachwort: Wohin steuert das politisch zerrissene Land?

Anhang

Abkürzungsverzeichnis

Quellennachweise

Literaturempfehlungen und nützliche Links

Karte

Basisdaten

Dank

Über die Autorin

Vorwort: Ein schwerer Abschied

Oktober 2015: Seit Wochen bestand unser Flur nur noch aus einem schmalen Durchgang, weil sich entlang der Wände immer mehr Kartons stapelten. Zum Schluss waren es 46 Umzugskisten, in denen unser Leben aus mehr als 13 Jahren Thailand verpackt war: Bücher, technisches Equipment, Dokumente, Arbeitsproben und DVDs, die wir in Bangkoks Traditionskaufhaus Ma Boon Khrong, allgemein als MBK bekannt, oder im Central um die Ecke erstanden hatten. Dazu Souvenirs und Wandschmuck, Bilder und bunt bemalte Tassen und Teller, gekauft vor vielen Jahren in einem kleinen Laden im Grenzgebiet zwischen Thailand und Myanmar.

So lange ich denken kann, habe ich mich für Asien interessiert. Im Rückblick scheint es mir, als seien mein Studium und die Zeit, in der ich in Deutschland als freie Journalistin für WDR, NDR und HR tätig gewesen bin, hauptsächlich eine Art Vorbereitung auf diesen Kontinent gewesen. An der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster hatte ich unter anderem Indologie studiert, bin aber Mitte der 1990er Jahre zunächst in Thailand gelandet. Als Rucksacktouristin ging es mir wie vielen anderen: Ich verliebte mich in dieses wunderschöne Land. Besonders beeindruckt war ich von der Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Thais Fremden gegenüber.

Nach der zweiten Reise stand für mich fest: Ich werde dorthin zurückkehren und als freie Korrespondentin arbeiten. Über die schrecklichen Geschehnisse während der Militärdiktaturen in den 1970er Jahren oder jener Tage im »Schwarzen Mai« 1992 hatte ich nur in Büchern gelesen. Doch als ich in Thailand lebte, öffneten sich mir Türen, die einem als Tourist meist verschlossen bleiben. Durch persönliche Kontakte wurde immer spürbarer, dass das »Land des Lächelns« seine dunklen Seiten hat. Bei meinen Recherchen musste ich oft feststellen, dass ein Menschenleben dort nicht viel zählt, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ausgehöhlt und mit Füßen getreten werden.

Thailand den Rücken zu kehren fiel mir und meinem Partner, einem freien Fotografen, dennoch unendlich schwer. Lange hatten wir die Rückkehr nach Europa hinausgezögert. Wir konnten uns kaum vorstellen, unser Zuhause in Bangkok aufzugeben und unsere Freunde und Kollegen zu verlassen. Dem Leben Adieu zu sagen, das wir uns aufgebaut hatten. Und das wir trotz aller Schwierigkeiten liebten.

Noch heute werde ich von vielen gefragt, warum ich so lange dort geblieben bin. Die Antwort lautet: Weil mich viele Schicksale berührt haben und ich viele wunderbare Menschen kennengelernt habe, die mich in schweren Situationen unterstützt oder zuweilen auch getröstet haben. All das sind Schätze, die ich mir bis heute bewahre. Sie waren der Grund, warum ich mich in Thailand wie zuhause fühlte, trotz politischer Gewalt und eines gesellschaftlich zunehmend vergifteten Klimas.

Als ich in der zweiten Aprilhälfte 2002 nach Bangkok zog, war der damalige Premierminister Thaksin Shinawatra seit mehr als einem Jahr im Amt. Obwohl von der Mehrheit des Volkes gewählt, war Thaksin alles andere als ein demokratisch gesinnter Politiker. Menschenrechtsverletzungen waren unter seiner Regierung ebenso an der Tagesordnung wie Repressionen gegen Kritiker und politische Gegner. Zu Recht gingen ihn deswegen die heimischen und ausländischen Medien an, die meisten nahmen kein Blatt vor den Mund. Dennoch war die politische Atmosphäre anders als heute.

Thaksins Absetzung durch das Militär 2006 leitete einen Teufelskreis politischer Gewalt ein. Fast ein Jahrzehnt lang gingen die Gegner und Anhänger Thaksins auf die Straßen. Tragischer Höhepunkt des sogenannten »Rot-Gelb-Konflikts« war bislang das Frühjahr 2010. Die Verkettung der blutigen Ereignisse von damals lässt mich bis heute nicht los. In dieser Zeit wiederkehrender politischer Unruhen waren viele meiner Kolleginnen und Kollegen (jedenfalls diejenigen von uns, die regelmäßig auf den Straßen unterwegs waren) Augenzeugen und teils selbst Opfer politischer Gewalt. Einige wurden sogar getötet. Ich selbst bin nur einige Male verbal attackiert worden, und zwar von Leuten, denen die kritische Berichterstattung ausländischer Medien über die Proteste der »gelben« People’s Alliance for Democracy (PAD) sowie des People’s Democratic Reform Committee (PDRC) nicht passten. Mein Partner hingegen wurde 2010 von einem wütenden Mob beinah gelyncht. Ein weiterer Militärputsch im Mai 2014 beendete zwar die Straßenproteste der beiden politischen Lager. Aber die Ursachen der Krise, für die das Militär als zentraler Akteur mitverantwortlich ist, sind ungelöst. Entsprechend gärt es im Land.

Die aufgeheizte politische Atmosphäre empfand ich auf Dauer als zermürbend. Und eines mochte ich irgendwann nicht mehr länger akzeptieren: die Selbstzensur. Als politische Journalistin hätte ich mir weiterhin verkneifen müssen, zwei Dinge kritisch zu hinterfragen: die Rolle der konstitutionellen Monarchie sowie den Einfluss derer, die behaupten, das Königshaus zu lieben, doch daraus nur ihren Anspruch auf Pfründe und Privilegien ableiten.

Wer in den Verdacht gerät, kein Freund des Feudalsystems aus Hofschranzen, Technokratie und Militär zu sein, dem drohen im Thailand des 21. Jahrhunderts langjährige Haftstrafen. Zivilisten werden vor Militärgerichten angeklagt und verurteilt, die meisten davon wegen angeblicher Majestätsbeleidigung. Jeder, der sich öffentlich über die Monarchie äußert, überlegt sich gewiss jedes Wort dreimal. Als Journalistin und Autorin muss ich jedoch kritisch darüber berichten, wenn ich Außenstehenden das Land wirklich näherbringen möchte. Ich hege den größten Respekt gegenüber allen Freunden und Kollegen, die in Thailand geblieben sind und dort versuchen, das bisschen, was an Meinungsfreiheit übrig geblieben ist, jeden Tag aufs Neue zu verteidigen. Doch ich habe mich anders entschieden.

Nach einem Umweg über Schweden bin ich seit dem Spätsommer 2016 zurück in Deutschland. Mein früheres Zuhause ist mir weiterhin nahe, manchmal scheint es mir, als wäre ich erst gestern gegangen. Wie heißt es doch: Die Orte, die man liebt, verlässt man nie ganz. Die Sehnsucht ist geblieben, im Geiste bin ich immer noch dort. Mit Freunden, Kollegen und Interviewpartnern, in Thailand und anderswo, bin ich immer noch via E-Mail und sozialer Netzwerke verbunden. Die Distanz trennt uns nicht, sie verbindet. Weil wir alle, egal wo wir sind, denselben Wunsch hegen: dass aus dem Land eine echte Demokratie wird.

Diesseits und jenseits des Lächelns

Ankunft im »Land der Freien«

Bangkok war eine Waschküche. Nach den letzten, vergleichsweise kühlen Frühlingstagen im Münsterland war die feuchte Hitze in der thailändischen Hauptstadt kaum zu ertragen. Der April gilt als der heißeste Monat. Ich hatte das Gefühl, das Pflaster kochte unter sengender Sonne, die Luft war schwer von Abgasen und Gerüchen. Dies also sollte auf unbestimmte Zeit mein neues Zuhause werden; für den Abflug am 21. April 2002 hatte ich nur ein »One Way Ticket« Frankfurt/Main – Bangkok gebucht.

Die ersten Tage verbrachten mein Partner und ich in einem Hotel an der Touristenmeile Sukhumvit. Stundenlang erkundeten wir das Viertel, schoben uns im Gewühl vorwärts, vorbei an den zahlreichen Souvernirständen und Garküchen. Einer unserer ersten Gänge führte uns zu einer Filiale der Bangkok Bank, wo ich ein Konto eröffnen wollte. Nach einem Blick in meinen Reisepass ließ mir der Filialleiter jedoch durch eine Angestellte ausrichten: »You are not the person in the passport« (Sie sind nicht die Person, auf die der Pass ausgestellt wurde). So etwas war mir noch nie passiert. Offensichtlich hatte es damit zu tun, dass mein Familienname »Glaß« im Pass mit dem in Deutschland gängigen »ß« geschrieben war, das kleingedruckt wie ein »b« aussieht, während auf meiner Kreditkarte und meinem Flugticket die Schreibweise mit »ss« verwendet wurde. Unsere Erklärungsversuche fochten die Bankmitarbeiter allerdings ebenso wenig an wie der Hinweis, dass die internationale Schreibweise auch links unten auf meinem Pass vermerkt war. Ich möge bitte das Gebäude verlassen, man könne nichts für mich tun. Stattdessen solle ich es in der Zentrale der Bank in der Silom Road versuchen.

Das fängt ja gut an, dachten wir uns auf der Fahrt dorthin. In der Silom angekommen, fragten wir uns im Hauptgebäude der Bangkok Bank durch, bis wir an ein Pult verwiesen wurden, hinter dem eine junge Frau in mittelblauem Kostüm saß. Angesichts ihres offenen, freundlichen Lächelns fühlte ich mich gleich wohler – und siehe da: Sie hatte keinerlei Probleme mit meinen Ausweispapieren. Zwar stolperte auch sie über meinen Nachnamen, akzeptierte aber ohne zu zögern meine Erklärung, insbesondere als ich auf die internationale Schreibweise unten links im Pass verwies. Nur wenig später waren alle Formalitäten erledigt.

Noch etwas stand uns bevor: Die Suche nach einer dauerhaften Bleibe. Wohnungen in Bangkok gab es reichlich, auch bezahlbare. Schließlich wurden wir im nördlichen Teil der Hauptstadt fündig, in einem Hochhauskomplex an der Thanon Phahonyothin, einer langgezogenen Verkehrsader, auf der nahezu immer Stau herrschte. Ein »Studio Apartment« wurde mein erstes Zuhause. Erst einmal blieb ich allein dort. Mein Partner, der noch einen Job in Deutschland hatte, musste zurück und zog erst um die Jahreswende mit ein.

Das Lächeln und seine Bedeutungen

Es waren die Herzlichkeit, Wärme und Hilfsbereitschaft vieler Thais, die mich überwältigten, als ich das Land die ersten beiden Male als Touristin bereiste. Und dies gehörte zu den Gründen, warum es mich auch beruflich ins »Land des Lächelns« zog. Das Lächeln in Thailand hat allerdings viele Bedeutungen. Offiziell gibt es dreizehn verschiedene; ehrlich gesagt habe ich nie nachgezählt. Tatsache ist, dass Ausländer – wenn überhaupt – nur sehr langsam dahinterkommen, was es mit dem Lächeln auf sich hat. Die Thais drücken damit eine ganze Bandbreite von Gefühlen und Befindlichkeiten aus: Freundlichkeit und Freude (schön, dich zu sehen!), Neugier (wer bist du, wo kommst du her?), Neckerei oder Nachsicht (ich hab es dir doch gleich gesagt, aber du wolltest nicht hören), aber ebenso Verlegenheit oder Scham. Oft liest man über Thailand, dass Probleme oder peinliche Situationen mit einem Lächeln überspielt werden. Das stimmt im Prinzip, allerdings mit der Folge, dass ungelöste Fragen oder Konflikte weiterhin im Raum stehen. Dann gilt: Nicht aufregen und niemanden anschnauzen, sondern versuchen, das Beste aus der Situation zu machen.

Ein Beispiel aus dem Alltag: In Thailand gibt es kein Einwohnermeldeamt, wie wir es in Deutschland kennen. Meine Adresse war stattdessen der Einwanderungsbehörde, dem Finanzamt und – weil ich akkreditierte Journalistin war – auch dem Außenministerium bekannt. Als Ausländerin mit Jahresvisum und Arbeitserlaubnis musste ich mich alle 90 Tage bei der Einwanderungsbehörde melden und ein Formular ausfüllen, um meine Anschrift zu bestätigen. Die bürokratischen Bestimmungen in meiner Wahlheimat einzuhalten, war eines von den Dingen, bei denen ich immer pingelig war. Als mein Partner mich einmal begleitete, wurde er gefragt, ob er als mein Lebensgefährte ebenfalls gekommen sei, um einen »90-Tage-Report« zu machen. Wir verneinten, weil er eine andere Art von Jahresvisum hatte und alle drei Monate für kurze Zeit in ein Nachbarland fahren oder fliegen musste, um dann aufs Neue wieder nach Thailand einreisen zu können. Daher waren wir verblüfft zu hören, dass er diesen Report ebenfalls machen dürfe, ohne Bangkok verlassen zu müssen. Ob sich die Einwanderungsbehörde da ganz sicher sei? Ja, klar, hieß es. So weit, so schlecht.

Mehr als sechs Monate später kam der Hammer: Einer Beamtin fiel auf, dass das, was uns ihre Kollegen damals erzählt hatten, gar nicht stimmte und mein Partner die erlaubte Aufenthaltszeit weit überschritten hatte. Sie lächelte uns die ganze Zeit etwas verlegen an, wohl wissend, dass der Fehler bei ihrer Behörde lag, aber mit einem Ausdruck, der besagte: Es nützt nichts, sich aufzuregen, das Kind ist nun einmal in den Brunnen gefallen. Sie bestand darauf, dass mein Partner innerhalb von drei Tagen ausreisen müsse. Wie heißt doch das Sprichwort: Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. Zum Glück gibt es in Bangkok Unternehmen, die sich auf den sogenannten »Visa-Run« spezialisiert haben und für Ausländer die Formalitäten übernehmen. Eines davon half uns, das Problem aus der Welt zu schaffen. Eine Strafe von 20 000 Baht musste mein Partner an der Grenze außerdem noch berappen.

Wir haben in Thailand allerdings auch Bekanntschaft damit gemacht, dass das Lächeln höhnisch, herablassend oder traurig sein kann. In Bangkok sind wir öfter mit Tuk-Tuks gefahren, jenen kleinen, knatternden Vehikeln auf drei Rädern. Dort wurden wir aber niemals so verächtlich behandelt wie von den Tuk-Tuk-Fahrern auf der Ferieninsel Phuket. Sie belagerten vor allem die Hotels und verlangten schon für kurze Strecken saftige Preise. Wiederholt weigerten wir uns, in die roten, auf Kleinbus getrimmten Gefährte einzusteigen und gingen lieber zu Fuß. Höhnisch lächelnd wünschten uns die Fahrer einen schönen Urlaub, und wir hörten noch, wie sie hinter unserem Rücken tuschelten.

Herablassend wurde ich einige Male behandelt, als ich 2008 Interviews mit den Gelbhemden der People’s Alliance for Democracy (PAD) führte. Einer meiner Gesprächspartner ließ durchblicken, ich als Farang – der Begriff für weiße beziehungsweise westliche Ausländer – hätte keine Ahnung von den thailändischen Verhältnissen. Er zog für mich einen Plastikstuhl heran: »Das kann jetzt länger dauern, ich kläre Sie mal auf.« Er war zwar um Höflichkeit bemüht, konnte sich aber ein arrogantes Lächeln nicht verkneifen: Das westliche, auf allgemeinen Wahlen fußende Demokratiemodell tauge nicht für Thailand, ließ er mich wissen. Denn die Armen würden ihre Stimmen an den Meistbietenden verkaufen, deswegen habe ein korrupter Populist wie Thaksin Shinawatra an die Macht gelangen können. Ich widersprach, aber er stellte sich taub. Nach etwa einer Stunde fruchtloser Diskussion beendete ich das »Interview«.

Mit einem Lächeln der traurigen Art kaschieren viele, dass sie innerlich aufgewühlt, zutiefst betrübt oder krank sind. Noch heute habe ich das Gesicht einer guten Bekannten vor Augen, als sie mir erzählte, dass sie Krebs habe. Jahrelang hatte sie einen kleinen Kiosk nahe des Flusses Chao Phraya betrieben. Oft war ich dort, habe Süßigkeiten oder einen Kaffee gekauft und mit ihr über Gott und die Welt geredet. Jetzt war ich schockiert. Sie hingegen lächelte, wenn auch traurig und sichtlich um Fassung bemüht, da der Krebs schon so weit fortgeschritten war, dass es keine Aussicht auf Heilung mehr gab.

Mit der Zeit lernt man ansatzweise zu unterscheiden, um welche Art von Lächeln es sich handelt, also auch, ob es sich bei Begegnungen um eher professionelle Höflichkeit oder persönliche Herzlichkeit handelt. Bei einem kleinen Kreis Freundinnen, die ich in meinem ersten Jahr kennenlernte, spürte ich, dass ihre Freude echt war, wenn wir uns sahen. Alle drei arbeiteten in der Verwaltung meines Hochhauses. Kam ich in ihr Büro, war ich jedes Mal willkommen. Selbst wenn sie noch so beschäftigt waren, nahmen sie sich die Zeit, um bei Kaffee oder Tee und einem thailändischen Snack zu plaudern. Als eine meiner Freundinnen einen Wochenendausflug in die Provinz Chainat plante, um ihre Mutter zu besuchen, lud sie mich zusammen mit der ganzen Clique ein.

Des Weiteren erinnere ich mich an einen Taxifahrer, mit dem ich herumgekurvt bin, weil ich eine thailändische Steuernummer beantragen musste. Ich hatte keinen Schimmer, wo die zuständige Behörde saß. Der Fahrer wusste es auch nicht, fragte sich aber geduldig durch. Er war freundlich und hilfsbereit, verbreitete gute Laune, sang die Lieder im Radio mit und übersetzte die Inhalte für mich. Als wir die Steuerbehörde endlich gefunden hatten, stellte er das Taxameter ab und sagte, er werde warten. Ich weiß noch, wie ich eine gewundene Treppe in den dritten Stock nehmen musste und in einem Raum landete, der aussah, als seien dort die 1950er Jahre stehengeblieben. Auf hölzernen Tischen stapelten sich Berge von Unterlagen. Ganz hinten im Raum saß eine Gruppe von drei älteren Damen, die bei meinem Eintreten erst verdutzt guckten und dann anfingen, breit zu lächeln. Eine von ihnen holte von irgendwoher ein Formular: Ob ich Thai sprechen oder lesen könne? Nein, null. Daraufhin half sie mir, das Formular auszufüllen, indem sie mir jede Zeile ins Englische übersetzte und mich dabei immer wieder strahlend von der Seite anschaute. Vielleicht kamen ja nicht oft Ausländer in dieses Amt. Als ich nach etwa anderthalb Stunden wieder draußen war, wartete, wie versprochen, der Taxifahrer auf mich.

Die ersten zwei, drei Jahre in Bangkok erscheinen mir im Rückblick hell, heiter, fast unbeschwert. Das war vor Ausbruch des Rot-Gelb-Konflikts. Als dann im Frühjahr 2010 Teile Bangkoks zeitweilig einer Kriegszone glichen, kam ich mit einigen Kollegen an einem kleinen Straßenrestaurant vorbei, das die Rollläden schon halb heruntergezogen hatte. Verschwitzt und erschöpft wie wir waren, hatte der Inhaber offenbar Mitleid mit uns und reichte uns einige Wasserflaschen: »Bitte berichtet, was in Thailand passiert.« Das sagte er mit einem traurigen Lächeln; das Ausmaß der Gewalt schockierte ihn. Manchen Sicherheitskräften konnte man ebenfalls ansehen, dass ihnen nicht wohl in ihrer Haut war: »Wir wollen nicht auf unsere Landsleute schießen.« Fast verlegen bot uns eine Gruppe von Soldaten Wasser an, ein älterer mit kurz geschorenem grauen Haar schenkte mir eine Tüte Obst. Eine Demonstrantin der Rothemden sagte zu mir: »Erinnern Sie sich, dass Thailand immer das Land des Lächelns genannt wurde? Jetzt ist es das Land der Tränen. Wir weinen Tag und Nacht.«

Südthailand nach dem Tsunami – Hilfsbereitschaft aus dem ganzen Land

Bevor Thailand politisch an den Abgrund geriet, durchlitt es eine Katastrophe ganz anderer Art. Sie begann am Morgen des 26. Dezember 2004, an dem die Wucht des gigantischen Bebens selbst in Bangkok zu spüren war. Wie immer war mein Partner auch an jenem Tag früh aufgestanden. Ich erinnere mich noch, wie er die Tür zum Schlafzimmer aufriss und mich mit dem Ruf weckte: »Wach auf, und schnell raus hier, unser Tower wankt!« Damals lebten wir im 23. Stock eines Hochhauses an der Rama III im südlichen Teil Bangkoks, direkt am Fluss Chao Phraya. Unten auf der Straße standen bereits etliche Mitbewohner, manche verschlafen, manche ängstlich. Sie diskutierten und rätselten darüber, was geschehen sein mochte. Erst die kommenden Stunden ließen erahnen, dass es sich um eine Katastrophe unfassbaren Ausmaßes handeln musste.

Insgesamt kamen bei dem verheerenden Tsunami, der die Anrainerstaaten des Indischen Ozeans am Zweiten Weihnachtsfeiertag traf, mehr als 230 000 Menschen ums Leben; allein in der indonesischen Provinz Aceh an der Nordwestspitze Sumatras rissen die durch das Seebeben ausgelösten Flutwellen etwa 170 000 Bewohner in den Tod. In Thailand starben nach offiziellen Angaben mindestens 5400 Menschen. Fast die Hälfte davon waren ausländische Urlauber, darunter über 530 Deutsche. Fast 3000 weitere Tsunami-Opfer wurden als vermisst gemeldet.

Ich flog nach Phuket, um von dort aus meine Recherchen zu beginnen. Sechs thailändische Provinzen hatte der Tsunami verwüstet: die Insel Phuket selbst, Phang Nga, Krabi, Ranong, Trang und Satun. Phang Nga mit dem Urlaubsort Khao Lak war am schwersten zerstört. Ich traf auf verzweifelte Angehörige, die ihre Lieben suchten, auf Mitarbeiter von Hilfsorganisationen und unzählige Freiwillige aus dem In- und Ausland. Besonders beeindruckt haben mich zwei junge Finninnen. Sie waren auf eigene Faust nach Südthailand gereist, weil sie ihre Spenden, hauptsächlich Medikamente, persönlich überbringen wollten. Um nach Khao Lak zu kommen, hatten sie für den Abend einen Fahrer angeheuert, und ich fragte sie, ob ich sie begleiten dürfe. Beide zeigten sich erfreut und erleichtert, hatte die Katastrophe sie doch dazu gebracht, in ein Land zu reisen, in dem sie noch nie zuvor gewesen waren.

Auf unserer Fahrt in nördlicher Richtung passierten wir eine verwüstete Region, in der Dunkelheit konnten wir das Ausmaß der Zerstörung vorerst nur erahnen. Irgendwann hielten wir an einer Art Treffpunkt. Dort hatte sich eine Gruppe von Freiwilligen versammelt, darunter thailändische Ärzte und Krankenschwestern. Eine von ihnen drückte uns die Hand und dankte uns unter Tränen, dass wir gekommen waren. Ganz besonders freute sie sich über den »Spendensack« meiner finnischen Begleiterinnen. Es tue ihr alles so leid, sagte die junge Frau, die ihren Urlaub abgebrochen hatte, um den Tsunami-Opfern zu helfen.

Am nächsten Tag brach ich von Phuket-Stadt erneut in Richtung Phang Nga auf. Ziel war dieses Mal die Stadt Takua Pa, genauer gesagt das Wat Yan Yao. In dem Tempel seien etwa 2600 Todesopfer aufgebahrt, sagte mir eine Gruppe Freiwilliger. Als ich den Haupteingang passierte, wurde ein Container mit Trockeneis aufs Klostergelände gefahren, mit dem die Helfer versuchten, die Leichen so gut es ging zu konservieren. Kühlcontainer gab es zunächst nicht. Von dem Trockeneis wurde so viel benutzt, »dass das Gelände des Tempels einer Nebeldecke glich«, beschrieb der forensische Zahnarzt Tan Peng Hui aus Singapur die Situation. »Der Anblick, Geruch und Klang des Todes und das Chaos griffen meine Sinne an, es war traumatisierend«, sagte er rückblickend in einem Interview mit dem Onlineportal AsiaOne.

In der Tat war der Geruch nach Tod und Verwesung in der heißen und stechenden Luft so stark, dass auch ich ihn bis heute nicht vergessen habe. Ein junger Helfer kam auf mich zu und hielt mir eine Plastiktüte mit Inhalierstiften hin: »Sonst hältst du es hier nicht aus.« Alle, die ich traf, arbeiteten bis an den Rand der Erschöpfung. Ich erinnere mich noch an Alia, ein zierliches Mädchen mit einem runden, sympathischen Gesicht und strahlenden Augen. Sie half dabei, die Leichen anzuheben und sie in Tücher einzuschlagen. Die 23-Jährige gehörte zu einem Team freiwilliger Helfer und war mit ihrer Mutter und Tante aus Bangkok angereist. Auch sie hatte ihren Urlaub abgebrochen. »Eigentlich wollte ich mich als Übersetzerin anbieten«, sagte Alia, die fließend Englisch sprach und in der Reisebranche arbeitete. »Aber als ich hier angekommen bin, gab es schon so viele Dolmetscher. Da habe ich mir überlegt, den Fachleuten zu helfen, damit sie die Toten identifizieren können.« Zu Beginn habe sie ein bisschen Angst gehabt, schließlich habe sie noch nie mit Leichen gearbeitet, gestand sie mir, als sie nach mehreren Stunden eine Pause einlegte. Aber diese Unsicherheit spüre sie nun nicht mehr: »Wir werden hier dringend gebraucht.«

In der Tat wäre ohne das Engagement der zahlreichen einheimischen und ausländischen Helfer gar nichts möglich gewesen. In den ersten Tagen fehlte es neben Kühlcontainern vor allem an Ausrüstung. Dr. Pornthip Rojanasunan, die Vize-Chefin des thailändischen Zentralinstituts für Forensische Wissenschaften, ließ durchblicken, dass die zuständigen Ministerien enger miteinander kooperieren müssten. Seit der Katastrophe waren sie und ihre Mitarbeiter rund um die Uhr im Einsatz, unterstützt von Fachleuten innerhalb und außerhalb Südostasiens: Unter anderem waren Australier, Deutsche und Österreicher ins Tsunami-Gebiet gereist. »Wir tun unser Bestes, um die Toten zu identifizieren«, so Pornthip Rojanasunan. Die Opfer gehörten mit Respekt behandelt. Und sie sollten angemessen beerdigt werden.

Thailands Behörden hatten zugesagt, keine Ausländer zu verbrennen, bevor die Identifizierung nicht abgeschlossen war. Konnten keine Fingerabdrücke mehr genommen werden, waren die Forensiker auf Gewebeproben und Zahnabdrücke angewiesen. Mehrere tausend Menschen wurden zu diesem Zeitpunkt noch vermisst. Diese Ungewissheit schmerzte die Angehörigen am meisten. Immer wieder traf ich welche von ihnen, die in Phuket-Stadt ausharrten und auf ein Lebenszeichen der Vermissten hofften. Im zweiten Stock des Rathauses, wo die Botschaften der betroffenen Länder ein Krisenzentrum eingerichtet hatten, sagte ein Mitarbeiter: »Wir raten den Leuten, nach Hause zu fliegen, so schwer es auch sein mag.« Aber man könne die Familien und Freunde dort besser erreichen. Diese würden gebeten, Haarproben oder zahnärztliche Unterlagen zu schicken, um die Identifizierung in Thailand zu erleichtern.

»Die Zeit ist gegen uns«, sagte mir ein Portugiese aus Macao, der jeden Tag zur Anlaufstelle für ausländische Vermisste ging. Verzweifelt suchte er nach seiner Schwägerin, während sein Bruder die Katastrophe überlebt hatte. »Mein Fall ist ja nur einer von vielen.« Gemeinsam mit anderen hatte er eine »Task Force« gebildet, wie er es ausdrückte. Sie hatten es übernommen, nach Verletzten zu forschen, die in Krankenhäuser außerhalb von Phuket oder nach Bangkok gebracht worden waren. »Manche haben ihr Gedächtnis verloren oder stehen unter Schock, und wenn sie ihren Namen nicht nennen können, ist es natürlich schwierig, sie zu identifizieren.« Inmitten der Verzweiflung und der Trauer war er tief berührt, wie sehr Thais und Ausländer einander halfen und sich unterstützten: »Die Leute haben sich schließlich gegenseitig aus dem Wasser gezogen.« Ein Mann berichtete mir, wie ein Thailänder zwei Mädchen das Leben gerettet hatte: Als die Riesenwelle herannahte, habe dieser die beiden Kinder auf sein Motorrad gesetzt und sei mit ihnen eine Anhöhe hinauf gebraust.

Seit dem Tsunami bin ich immer wieder an die Andamanenküste gereist. Zwar waren die äußeren Spuren der Katastrophe irgendwann getilgt, doch seelisch hatten die Bewohner die Folgen noch Jahre später nicht verarbeitet. Als ich im Dezember 2007 in der Region war, um über den dritten Jahrestag zu recherchieren, besuchte ich ein Strandresort in Khao Lak, das der 77-jährige Nikom Alapat gemeinsam mit seinem Sohn betrieb. Die Flutwelle hatte es dem Erdboden gleichgemacht. »Es war sehr schwierig, denn unser ganzer Besitz war verloren«, erinnerte sich Nikom Alapat. »Auch unser Kanalsystem hatte der Tsunami zerstört. Zuerst mussten wir das Land wieder aufschütten, denn es war durch das Salzwasser verdorben. Und dann haben wir unsere Bungalows wieder aufgebaut. Dabei waren wir auf uns selbst angewiesen.«

Knapp eine halbe Stunde Autofahrt entfernt liegt Ban Nam Khem. Nach offiziellen Angaben kam in dem Fischerdorf fast die Hälfte der etwa 5000 Bewohner durch den Tsunami ums Leben. Auch hier saß das Trauma immer noch tief. Manche Einwohner hatten Ban Nam Khem verlassen, weil sie die Nähe des Meeres nicht mehr ertragen konnten. Andere blieben, weil das Dorf ihr Zuhause war und sie sich trotz der Katastrophe nicht vorstellen konnten, irgendwo anders zu leben. Zu denen, die geblieben waren, gehörte die Ladenbesitzerin Pathum Saithong: »Von Regierung und Behörden habe ich insgesamt rund 60 000 Baht (damals umgerechnet etwa 1300 Euro) bekommen. Auch hat das Militär mein Haus wieder aufgebaut. Mein Mann aber steht seit dem Tsunami immer noch unter Schock. Er kann nicht so arbeiten wie zuvor. Ich habe einen Monat nach dem Tsunami wieder angefangen zu arbeiten, denn wenn man ein Geschäft betreibt, hat man nicht die Zeit, über Probleme nachzudenken.« Im Lauf der Jahre sagten die einen, sie hätten mittlerweile gelernt, mit den Folgen umzugehen, andere hingegen klagten, sie hätten kaum Kraft, um den Alltag zu bewältigen.

Geschlechterverhältnisse – Männer, Frauen und das Dritte Geschlecht

»Der thailändische Mann ist ein Macho«, sagte mir ein Bekannter, kurz nachdem ich nach Bangkok gezogen war. Ich selbst bekam das nicht zu spüren. Allerdings wird man im Alltag häufig mit einem männlichen Überlegenheitsgefühl konfrontiert. In der Encyclopedia of Sexuality: Thailand heißt es, es sei »kaum eine Frage, dass Thailand eine männlich-dominierte, patriarchalische Gesellschaft ist, da politische und Unternehmensführung stets in Händen von Männern war«. Auf der anderen Seite seien es traditionell die Frauen, die vielerorts die (Groß)Familie zusammenhalten: »Die Hingabe der Frauen an die Fürsorge zeigt sich in dem Ausdruck, dass eine gute Frau früher aufwacht und später zu Bett geht als ihr Ehemann.«1

Wie ich den thailändischen Alltag miterlebt habe, sind viele Frauen nicht nur für Haushalt und Kinder verantwortlich, sondern gehen außerdem einem Beruf nach, der derart viel von ihrer Zeit beansprucht, dass ich mich oft gefragt habe, wie sie das schaffen; vor allem, wenn es sich um kräftezehrende, körperlich anstrengende Jobs handelt: Verkäuferinnen und Garküchen-Betreiberinnen, die früh aus den Federn müssen, Fabrikarbeiterinnen oder Näherinnen, die den ganzen Tag an einer belebten und vielbefahrenen Straßenkreuzung inmitten von Hitze und Abgasen sitzen müssen, um Kleidungsstücke ihrer Laufkundschaft zu flicken.

Ein altes thailändisches Sprichwort sagt viel darüber aus, wie Frauen wahrgenommen werden. Demnach gilt der Mann als »die Vorderbeine des Elefanten, die Frau als die Hinterbeine«. Das lässt sich auf zweierlei Weise interpretieren. Zum einen, dass der Mann voran geht und die Richtung bestimmt, während die Frau zu folgen hat. Zum anderen, dass der graue Koloss ohne Hinterbeine weder stehen noch gehen kann. Kurz gesagt: Ohne das weibliche Geschlecht geht es nicht voran. Längst haben sich Thailands Frauen führende Positionen in Unternehmen, Wissenschaft und Politik erobert und schaffen es zuweilen – wie im Fall von Ex-Premierministerin Yingluck Shinawatra – nach ganz oben. Wiederholt habe ich im persönlichen oder beruflichen Umgang zwischen den Geschlechtern beobachtet, dass es die Frau war, die die Hosen anhatte.

Trotz allem hakt es immer noch bei der Gleichberechtigung. Oberflächlich betrachtet scheine Thailand hier kein Problem zu haben, schrieb Jasmine Chia im März 2016 in der Harvard International Review. Etwa 80 Prozent aller Erwerbstätigen in den zehn größten Exportindustrien seien Frauen, in der Fertigungsindustrie 45 Prozent. Und mit einem Anteil von 51 Prozent weiblicher Wissenschaftler habe Thailand einen der höchsten in Asien. Dennoch gebe es einen Widerspruch zwischen Statistik und Realität: »Tatsache ist, dass Frauen von Rechts wegen keine Einschränkungen bei Mobilität, Bildung oder Erwerbsbeteiligung erfahren. Was Frauen in Thailand sehr wohl erfahren, ist ein Mangel an tatsächlichem Zugang zu Macht: […] Neben dem […] hohem Bildungsstand und wirtschaftlicher Befähigung steht die […] gewaltsame Verdinglichung.«

Als ich den Artikel las, fiel mir sofort die im thailändischen