The Black Company 4 - Schattenspiel - Glen Cook - E-Book

The Black Company 4 - Schattenspiel E-Book

Glen Cook

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Beschreibung

Drohende Schatten … Nach der verheerenden Schlacht am Tower of Charm führt Croaker die letzten Überlebenden der Schwarzen Kompanie auf einem gefahrvollen Weg in Richtung Süden. Mit letzter Kraft hoffen sie die geheimnisvolle Stadt Khatovar zu erreichen. Auf ihrem Weg treffen sie auf neue Verbündete. Viele Kämpfer schließen sich ihnen an. Doch ihr Schicksal ist ungewiss, denn es zieht bereits eine neue Gefahr herauf. Der Herrscher der Schattenlande ist erwacht und ein neuer Krieg steht kurz bevor. Zwischen den Fronten lauern Verschwörung und Verrat, und was auch immer auf der anderen Seite der Schattenlande wartet, scheint es wert zu sein, die Wahrheit zu verschweigen … Das erste Buch des Südens Vierter Band der Dark Fantasy Reihe "Die Schwarzen Kompanie" von Glen Cook

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Deutsche Erstauflage

Titel der englischen Originalausgabe:

SHADOW GAMES

1. Auflage

Veröffentlicht durch den

MANTIKORE-VERLAG NICOLAI BONCZYK

Frankfurt am Main 2021

www.mantikore-verlag.de

published in agreement with the author,c/o BAROR INTERNATIONAL, INC., Armonk, New York, U.S.A.

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe

MANTIKORE-VERLAG NICOLAI BONCZYK

Text © Glen Cook 1989

Deutschsprachige Übersetzung: Jan Enseling

Lektorat: Anja Koda

Satz & Bildbearbeitung: Karl-Heinz Zapf

Covergestaltung: Rossitza Atanassova & Matthias Lück

VP: 315-179-01-03-0521

eISBN: 978-3-96188-149-9

Glen Cook

BLACK COMPANYSCHATTENSPIEL

Roman

Inhalt

KAPITEL EINS AM SCHEIDEWEG

KAPITEL ZWEI DIE STRASSE NACH SÜDEN

KAPITEL DREI EINE TAVERNE IN TAGLIOS

KAPITEL VIER DER DUNKLE TURM

KAPITEL FÜNF KETTEN DES IMPERIUMS

KAPITEL SECHS OPAL

KAPITEL SIEBEN SMOKE UND DIE FRAU

KAPITEL ACHT OPAL: KRÄHEN

KAPITEL NEUN ÜBER DAS BRÜLLENDE MEER

KAPITEL ZEHN SCHATTENMEISTER

KAPITEL ELF EIN MARSCH IN DIE VERGANGENHEIT

KAPITEL ZWÖLF DIE ZOTTIGEN HÜGEL

KAPITEL DREIZEHN WILLOWS LETZTER NACHTTRUNK

KAPITEL VIERZEHN DURCH D‘LOC-ALOC

KAPITEL FÜNFZEHN DIE SAVANNE

KAPITEL SECHZEHN WILLOWS KRIEG

KAPITEL SIEBZEHN GEA-XLE

KAPITEL ACHTZEHN DER KAHN

KAPITEL NEUNZEHN DER FLUSS

KAPITEL ZWANZIG WILLOW AUF DEM FLÜSSCHEN

KAPITEL EINUNDZWANZIG THRESH

KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG TAGLIOS

KAPITEL DREIUNDZWANZIG WILLOW, FLEDERMÄUSE UND ANDERES GESCHMEISS

KAPITEL VIERUNDZWANZIG TAGLIOS: FÜRSTLICHE BEDRÄNGNIS

KAPITEL FÜNFUNDZWANZIG TAGLIOS: ERKUNDUNG DES SÜDENS

KAPITEL SECHSUNDZWANZIG OVERLOOK

KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG KAMPF IN DER NACHT

KAPITEL ACHTUNDZWANZIG DER NÄCHSTE STREIFZUG

KAPITEL NEUNUNDZWANZIG SMOKES VERSTECK

KAPITEL DREISSIG TAGLIOS ERHEBT SICH

KAPITEL EINUNDDREISSIG TAGLIOS: DIE STADT ALS AUSBILDUNGSLAGER

KAPITEL ZWEIUNDDREISSIG SHADOWLIGHT

KAPITEL DREIUNDDREISSIG TAGLIOS: BETRUNKENE ZAUBERER

KAPITEL VIERUNDDREISSIG NACH GHOJA

KAPITEL FÜNFUNDDREISSIG VOR GHOJA

KAPITEL SECHSUNDDREISSIG GHOJA

KAPITEL SIEBENUNDDREISSIG SHADOWLIGHT: KOHLSCHWARZE TRÄNEN

KAPITEL ACHTUNDDREISSIG EINMARSCH IN DIE SCHATTENLANDE

KAPITEL NEUNUNDDREISSIG STORMGARD (FRÜHER DEJAGORE)

KAPITEL VIERZIG DEJAGORE (FRÜHER STORMGARD)

KAPITEL EINUNDVIERZIG LADY

KAPITEL ZWEIUNDVIERZIG DIESER STUMPF

KAPITEL DREIUNDVIERZIG OVERLOOK

KAPITEL VIERUNDVIERZIG GLÄNZENDER STEIN

KAPITEL EINS AM SCHEIDEWEG

Wir sieben blieben an der Wegkreuzung stehen und betrachteten den Staub vom östlichen Weg aus. Selbst der verantwortungslose One-Eye und Goblin waren von der Endgültigkeit der Stunde ergriffen. Ottos Stute wieherte leise. Mit einer Hand schloss er ihre Nüstern, streichelte mit der anderen ihren Hals und beruhigte sie. Es war eine Zeit des Nachsinnens, der letzte emotionale Meilenstein einer Ära.

Dann legte sich der Staub. Sie waren fort. Vögel begannen zu singen, also blieben wir noch. Ich zog ein altes Notizbuch aus meiner Satteltasche, die auf der Straße lag. Mit zitternder Hand schrieb ich: Das Ende ist gekommen. Der Abschied ist erfolgt. Silent, Darling und die Gebrüder Torque haben die Straße zu den Lords eingeschlagen. Die Schwarze Kompanie ist nicht mehr.

Dennoch werde ich die Annalen weiterführen, und sei es auch nur aus fünfundzwanzigjähriger Gewohnheit, die schwer zu brechen ist. Und wer weiß? Diejenigen, denen ich verpflichtet bin, sie ihnen zu bringen, könnten den Bericht interessant finden. Das Herz ist stehen geblieben, doch der Leichnam wankt weiter. Die Kompanie ist nach den Tatsachen, doch nicht dem Namen nach tot.

Und wir, oh ihr gnadenlosen Götter, legen Zeugnis ab über die Macht der Namen.

Ich schob das Buch in meine Satteltasche zurück. »Nun, das wäre das.« Ich klopfte den Staub von der Rückseite meines Schoßes, blickte unsere Straße entlang auf das Morgen. Eine niedrige Linie aus grüner werdenden Hügeln bildete einen Zaunstreifen, über denen sich langsam schafähnliche Büschel sammelten. »Die Suche beginnt. Wir haben Zeit, die ersten Dutzend Meilen hinter uns zu bringen.«

Damit blieben nur weitere sieben- oder achttausend.

Ich musterte meine Begleiter.

One-Eye war um ein Jahrhundert der Älteste, ein Zauberer, runzelig und schwarz wie eine angestaubte Dörrpflaume. Er trug eine Augenklappe und einen schlappen, abgenutzten, schwarzen Filzhut. Dieser Hut schien jedes Unglück zu erleiden, das man sich nur vorstellen konnte, überstand jedoch jedwede Erniedrigung.

Genauso wie Otto, ein sehr einfacher Mann. Er war hundertmal verwundet worden und hatte überlebt. Er glaubte beinahe, von den Göttern begünstigt zu sein.

Ottos Kumpan war Hagop, noch ein Mann ohne besondere Färbung. Aber ein weiterer Überlebender. Mein Blick fiel unerwartet auf eine Träne.

Dann war da noch Goblin. Was kann man über Goblin sagen? Der Name sagt alles und dennoch nichts. Er war ein weiterer Zauberer, klein, angriffslustig, ständig im Streit mit One-Eye, ohne dessen Feindschaft er sich zusammenrollen und sterben würde. Er war der Erfinder des Froschgrinsens.

Wir fünf waren seit gut zwanzig Jahren zusammen. Wir sind gemeinsam alt geworden. Vielleicht kennen wir einander zu gut. Wir bilden die Glieder eines sterbenden Organismus. Die letzten einer mächtigen, prachtvollen, sagenhaften Linie. Ich fürchte, dass wir, die wir mehr wie Strauchdiebe als die besten Soldaten der Welt aussehen, das Andenken der Schwarzen Kompanie verunglimpfen.

Zwei weitere. Murgen, den One-Eye manchmal Pup nennt, war achtundzwanzig. Der Jüngste. Er schloss sich der Kompanie nach unserem Treuebruch vom Reich an. Er war ein ruhiger Mann mit vielen Sorgen, die unausgesprochen blieben, mit nichts und niemandem außer der Kompanie, mit nichts, das er sein Eigen nennen konnte, und auch hier ein außenstehender und einsamer Mann.

Wie wir alle. Wie wir alle.

Schließlich war da noch Lady, die einmal die Lady gewesen war. Verlorene Lady, schöne Lady, meine Phantasterei, ein Schrecken, verschwiegener als Murgen, aber aus einem anderen Grund: Verzweiflung. Einst hatte sie alles gehabt. Sie hat es aufgegeben. Jetzt hat sie nichts mehr.

Nichts, das sie für wertvoll erachtet.

Der Staub auf der Straße der Lords war fort, von einer kalten Brise hinweggeweht. Einige meiner Liebsten waren für immer aus meinem Leben getreten.

Sinnlos, hier zu bleiben. »Festschnallen«, sagte ich und setzte ein Beispiel. Ich prüfte die Befestigungen an den Packtieren. »Aufsitzen. One-Eye, du übernimmst die Spitze.«

Endlich ein Hauch von Stimmung, als Goblin nörgelte: »Ich muss seinen Staub fressen?« Wenn One-Eye die Spitze bildete, dann bedeutete das für Goblin die Nachhut. Als Zauberer konnten sie zwar keine Berge versetzen, aber sie waren nützlich. Ich fühlte mich viel wohler, wenn einer vorne und einer hinten ritt.

»Er war eh dran, meinst du nicht?«

»Bei so was ist dran sein arm dran sein«, sagte Goblin. Er versuchte zu kichern, brachte aber nur ein Lächeln zustande, das ein Schatten seines üblichen Krötengrinsens war.

One-Eyes finsterer Blick als Antwort ging auch nicht gerade von Ohr zu Ohr. Er ritt kommentarlos weiter.

Murgen folgte fünfzig Yards hinter uns, eine zwölf Fuß lange Lanze starr aufrechthaltend. Früher hatte auf dieser Lanze unsere Standarte geprangt. Nun flatterte daran vier Fuß zerfetzter, schwarzer Stoff. Der Symbolismus war mehrschichtig.

Wir wussten, wer wir waren. Es war das Beste, wenn andere es nicht wussten. Die Kompanie hatte zu viele Feinde.

Hagop und Otto folgten Murgen und führten die Packtiere. Dann kamen die Lady und ich, ebenfalls mit einem Halteseil hinter uns. Goblin ritt siebzig Fuß hinter uns. Und so waren wir ständig unterwegs, denn wir lagen mit der Welt im Krieg. Oder vielleicht war es auch umgekehrt.

Ich hätte lieber Vorreiter und Späher gehabt, aber es gab Grenzen bei dem, was sieben Leute erreichen konnten. Zwei Zauberer waren das Nächstbeste.

Wir starrten vor Waffen. Ich hoffte, wir würden wie eine ebenso leichte Beute wirken, wie ein Igel auf einen Fuchs.

Die Straße nach Osten fiel außer Sicht. Ich war der einzige, der mit der Hoffnung zurückblickte, Silent hätte eine Lücke in seinem Herzen aufgetan. Aber das war eine aussichtslose Vorstellung. Und ich wusste es.

Gefühlsmäßig hatten wir uns schon vor Monaten von Silent und Darling getrennt – auf dem blutdurchweichten, hassdurchzogenen Schlachtfeld vom Burrowland.

Dort war eine Welt gerettet und so viel mehr verloren worden. Bis zum Ende unseres Lebens werden wir uns fragen, wie hoch der Preis war.

Andere Herzen, andere Straßen.

»Sieht nach Regen aus, Croaker«, sagte Lady.

Ihre Bemerkung überraschte mich. Nicht, dass das, was sie sagte, nicht stimmte. Es sah wirklich nach Regen aus. Aber es war die erste Äußerung, die sie seit jenem schrecklichen Tag im Norden von sich gegeben hatte.

Möglicherweise fand sie wieder zu sich.

KAPITEL ZWEI DIE STRASSE NACH SÜDEN

»Je weiter wir kommen, desto mehr sieht es nach Frühling aus«, bemerkte One-Eye. Er hatte gute Laune.

In letzter Zeit bemerkte ich, wie auch Goblins Augen gelegentlich vor Mutwilligkeit aufblitzten. Es würde nicht lange dauern, bis diese beiden irgendeine Ausrede finden würden, um ihre uralte Fehde wiederaufleben zu lassen. Es würden magische Funken fliegen. Wenn schon sonst nichts passierte, so würden wir anderen uns zumindest amüsieren.

Sogar Ladys Laune besserte sich, wenngleich sie wenig mehr sprach als vorher.

»Die Pause ist vorbei«, sagte ich. »Otto, lösche das Feuer. Goblin, an die Spitze.« Ich blickte die Straße entlang. Noch zwei Wochen, dann wären wir in der Nähe von Charm. Ich hatte noch nicht verraten, was wir dort zu tun hatten.

Ich bemerkte Bussarde, die im Kreis flogen. Irgendetwas Totes vor uns, nahe der Straße.

Ich mag keine Omen. Sie bereiten mir Unbehagen. Diese Vögel bereiteten mir Unbehagen.

Ich machte eine Geste. Goblin nickte. »Ich reite vor«, sagte er. »Verteilt euch etwas.«

»Klar.«

Murgen ließ ihm weitere fünfzig Yards. Otto und Hagop machten Murgen Platz. Aber One-Eye blieb weiterhin dicht hinter Lady, und ich, mich im Sattel aufrichtend, behielt Goblin im Auge. »Hab ein mieses Gefühl bei der Sache, Croaker«, sagte er. »Ein mieses Gefühl.«

Obwohl Goblin keinen Alarm schlug, hatte One-Eye recht. Diese Unheilsboten von Vögeln zeigten etwas Übles an.

Eine prachtvolle Kutsche lag umgestürzt am Straßenrand. Zwei der vier Zugtiere waren in den Strängen getötet worden, vermutlich aufgrund ihrer Verletzungen. Zwei Tiere fehlten.

Um die Kutsche herum lagen die Leichen von sechs uniformierten Wachen und dem Kutscher, ebenso die eines Reitpferds. In der Kutsche lagen ein Mann, eine Frau und zwei kleine Kinder. Alle ermordet.

»Hagop«, sagte ich, »schau mal, was du aus den Spuren lesen kannst. Lady. Kennst du diese Leute? Erkennst du ihr Wappen?« Ich deutete auf die Stickerei an der Kutschentür.

»Der Falke von Rail. Prokonsul des Imperiums. Aber er ist nicht bei ihnen. Er ist älter und fett. Sie könnte zu seiner Familie gehören.«

Hagop sagte zu uns: »Sie waren nach Norden unterwegs. Die Räuber haben sie überholt.« Er hielt einen Fetzen dreckiger Kleidung hoch. »Sie sind auch nicht so leicht davongekommen.« Als ich nicht antwortete, machte er mich auf den Fetzen aufmerksam.

»Graue Burschen«, überlegte ich. Graue Burschen waren imperiale Truppen der Nordheere. »Ziemlich weit von ihrem Territorium entfernt.«

»Deserteure«, sagte Lady. »Die Auflösung hat begonnen.«

»Wahrscheinlich.« Ich runzelte die Stirn. Ich hatte gehofft, der Zerfall würde erst einsetzen, wenn wir Vorsprung gewonnen hatten.

Lady sagte: »Noch vor drei Monaten konnte eine einsame Jungfer das Imperium sicher durchreisen.«

Sie übertrieb. Aber nicht sehr. Bevor der Kampf im Barrowland sie verzehrte, wachten große Mächte, welche die Entführten genannt wurden, über die Provinzen und quittierten unerlaubten Frevel rasch und brutal. Trotzdem, in jedem Land oder zu jeder Zeit gibt es jene, die tapfer oder töricht genug sind, die Grenzen auszutesten, und andere, die erpicht darauf sind, ihrem Beispiel zu folgen. Dieser Vorgang wurde in einem Imperium beschleunigt, das nun des Schreckens beraubt war, der es zusammengehalten hatte.

Ich hoffte, dass ihr Dahinscheiden noch nicht von allzu vielen vermutet wurde. Meine Pläne hingen von der Annahme althergebrachter Vorstellungen ab.

»Sollen wir anfangen zu graben?«, fragte Otto.

»Einen Augenblick noch«, sagte ich. »Wann ist es geschehen, Hagop?«

»Vor ein paar Stunden.«

»Und sonst ist niemand vorbeigekommen?«

»Oh, doch. Aber sie haben einfach einen Bogen gemacht.«

»Muss ja ein hübscher Haufen Räuber gewesen sein«, meinte One-Eye. »Wenn sie damit durchkommen, die Leichen herumliegen zu lassen.«

»Vielleicht sollten sie entdeckt werden«, sagte ich. »Könnte sein, dass die Typen versuchen, ihre eigene Baronie aus dem Boden zu stampfen.«

»Wahrscheinlich«, sagte Lady. »Reite vorsichtig, Croaker.«

Ich hob eine Augenbraue.

»Ich will dich nicht verlieren.«

One-Eye kicherte. Ich errötete. Doch es war auch schön, wieder die Lebensgeister in ihr zu sehen.

Wir begruben die Leichen, ließen die Kutsche aber liegen. Nachdem unsere Bürgerpflicht getan war, nahmen wir unsere Reise wieder auf.

Zwei Stunden später kam Goblin zurückgeritten. Murgen postierte sich so, dass er an einer Biegung gesehen werden konnte. Wir befanden uns jetzt in einem Wald, allerdings war die Straße in gutem Zustand und die Bäume waren zu beiden Seiten gelichtet worden. Es war eine Straße, die für militärischen Durchgangsverkehr ausgebessert worden war.

Goblin sagte: »Weiter vorne liegt ein Gasthaus. Ich hab kein gutes Gefühl dabei.«

Schon bald würde die Nacht hereinbrechen. Wir hatten den Nachmittag damit zugebracht, die Toten unter die Erde zu bringen. »Sieht es geschäftig aus?« Nach der Beisetzung war das Land merkwürdig geworden. Auf der Straße trafen wir niemanden an. Die Gehöfte nahe der Wälder waren verlassen.

»Ein Gewimmel. Zwanzig Leute im Gasthaus. Fünf weitere in den Ställen. Dreißig Pferde. Noch mal zwanzig Leute draußen in den Wäldern. Vierzig weitere Pferde, die dort angebunden sind. Auch viele andere Nutztiere.«

Die Folgen waren recht absehbar. Vorbeireiten oder offen Ärger suchen?

Die Debatte war lebhaft. Otto und Hagop meinten, rein ins Getümmel. Wir hätten One-Eye und Goblin, wenn die Sache haarig wurde.

One-Eye und Goblin mochten es nicht, in Zugzwang zu geraten.

Ich verlangte eine beratende Stimme. Murgen und Lady enthielten sich. Otto und Hagop waren dafür anzuhalten. One-Eye und Goblin beäugten einander und warteten darauf, dass einer von ihnen zuerst sprach, sodass der andere das Gegenteil sagen konnte.

»Dann gehen wir geradewegs hin«, sagte ich. »Diese Witzbolde werden sich aufteilen, aber versucht trotzdem eine Mehrheit zu finden für …« Woraufhin die Zauberer sich zusammenrotteten und dafür stimmten, loszulegen, nur um mich als Lügner dastehen zu lassen.

Drei Minuten später erhaschte ich den ersten Blick auf das heruntergekommene Gasthaus. Ein Muskelprotz stand in der Tür und musterte Goblin. Ein anderer saß auf einem wackligen Stuhl, der gegen die Wand gelehnt war, und kaute auf einem Stiel oder einem Stück Stroh. Der Mann in der Tür zog sich zurück.

Graue Burschen, hatte Hagop die Banditen genannt, deren Handwerk wir auf der Straße gesehen hatten. Grau war aber die Farbe der Uniformen der Territorien, aus denen wir gekommen waren. In Forsbergisch, der Sprache, die unter den nördlichen Streitkräften am weitesten verbreitet war, fragte ich den Mann auf dem Stuhl: »Ist der Laden geöffnet?«

»Ja.« Der Sitzende verengte die Augen. Er überlegte.

»One-Eye. Otto. Hagop. Kümmert euch um die Tiere.« Leise fragte ich: »Hast du was bemerkt, Goblin?«

»Jemand ist gerade hinten rausgegangen. Die drinnen sind angespannt. Aber es sieht nicht sobald nach Ärger aus.«

Dem Sitzenden passte es nicht, dass wir flüsterten. »Wie lange wollt ihr bleiben?«, fragte er. Ich bemerkte eine Tätowierung auf einem seiner Handgelenke, noch ein verräterischer Hinweis darauf, dass er aus dem Norden eingewandert war.

»Nur heute Nacht.«

»Wir sind voll, aber irgendwie bringen wir euch schon unter.« Er war gelassen.

Wie Falltürspinnen, diese Deserteure. Das Gasthaus war ihr Stützpunkt, der Ort, von wo aus sie ihre Opfer aussuchten. Die Drecksarbeit aber machten sie auf der Straße.

Im Gasthaus herrschte Stille. Als wir eintraten, musterten wir die Männer im Inneren und die wenigen Frauen, die äußerst erschöpft wirkten. Sie waren wenig glaubhaft. Gasthäuser am Wegesrand sind Familienbetriebe, in denen überall Kinder und alte Leute und Seltsamkeiten dazwischen herumlaufen. Nichts davon war hier zu finden. Nur abgehärtete Männer und heruntergekommene Frauen.

Neben der Küchentür war ein großer Tisch frei. Ich setzte mich mit dem Rücken zur Wand. Lady ließ sich neben mich fallen. Ich spürte ihren Ärger. Sie war es nicht gewohnt, so angestarrt zu werden, wie es diese Männer taten.

Sie war immer noch schön, trotz des Straßenstaubs und der Lumpen.

Ich legte meine Hand auf ihre, eine Geste der Zurückhaltung anstatt der Leidenschaft.

Ein molliges Mädchen mit gehetzten Kuhaugen kam zu uns und fragte, wie viele wir seien, was wir an Essen und Unterkunft wollten, ob Wasser heißgemacht werden sollte, wie lange wir bleiben wollten, wie die Farbe unserer Münzen aussah. Sie war lustlos dabei, machte es aber richtig, als bliebe ihr keine Hoffnung mehr, als wäre sie nur erfüllt von der Angst vor dem, was es sie kosten würde, wenn sie es falsch machte.

Ich ahnte, dass sie der Familie angehörte, die das Gasthaus rechtmäßig betrieb. Ich warf ihr ein Goldstück zu. Wir hatten viele davon, denn wir hatten bestimmte imperiale Schätze gestohlen, bevor wir das Barrowland verlassen hatten. Das Flimmern der sich drehenden Münze ließ die Augen der Männer aufblitzen, die aber weiter so taten, als würden sie nicht hinsehen.

One-Eye und die anderen stapften herein, zogen Stühle heran. Der kleine Schwarze flüsterte: »Es herrscht ganz schöne Aufregung draußen in den Wäldern. Sie haben Pläne mit uns.« Ein Froschgrinsen zerrte an seinem linken Mundwinkel. Ich schätzte, dass er eigene Pläne hatte. Er mag es, wenn die Schurken sich selbst eine Falle stellen.

»Es gibt solche Pläne und solche«, sagte ich. »Wenn sie Banditen sind, dann sollen sie sich ihre eigenen Stricke drehen.«

Er wollte wissen, was ich meinte. Meine Pläne sind manchmal gemeiner als seine. Das liegt daran, dass ich allmählich meinen Sinn für Humor verliere und möglichst viel Dreck mache.

Wir standen vor dem Morgengrauen auf. One-Eye und Goblin wirkten einen beliebten Zauber, um alle im Gasthaus in Tiefschlaf zu versetzen. Danach schlichen sie hinaus, um ihre Vorstellung in den Wäldern zu wiederholen. Wir anderen machten unsere Tiere und unsere Ausrüstung bereit. Ich hatte einen kleinen Streit mit Lady. Sie wollte, dass ich etwas für die Frauen tat, die von den Wegelagerern festgehalten wurden.

»Wenn ich versuche, jedes kleine Unrecht gutzumachen, auf das ich stoße, komme ich nie nach Khatovar.«

Sie antwortete nicht. Wenige Minuten später ritten wir los.

One-Eye sagte, wir würden uns dem Ende des Waldes nähern. »Der Platz ist so gut wie jeder andere«, sagte ich. Murgen, Lady und ich bogen in die Wälder westlich der Straße ein. Hagop, Otto und Goblin wandten sich nach Osten. One-Eye drehte sich einfach um und wartete.

Er machte nichts Offensichtliches. Auch Goblin war beschäftigt.

»Was, wenn sie nicht auftauchen?«, fragte Murgen.

»Dann haben wir falsch geraten und es sind keine Banditen. Ich werde ihnen in Windeseile eine Entschuldigung schicken.«

Eine Zeit lang sagte niemand etwas. Als ich schließlich vorschlicht, um nachzusehen, was auf der Straße vor sich ging, war One-Eye nicht mehr allein. Er hatte ein halbes Dutzend Männer im Rücken. Mir blieb das Herz stehen. Seine Phantome waren allesamt Männer, die ich gekannt hatte, alte Kameraden, die schon lange tot waren.

Ich zog mich zurück, stärker erschüttert, als ich erwartet hatte. Mein Gefühlszustand besserte sich nicht. Sonnenlicht fiel durch die Wipfel und sprenkelte die Doppelgänger weiterer toter Freunde. Sie warteten mit bereiten Schilden und Waffen, schweigend, wie es sich für Gespenster ziemte.

Eigentlich waren sie keine Gespenster, außer in meiner Vorstellungskraft. Sie waren Illusionen, die One-Eye geschaffen hatte. Auf der anderen Straßenseite hob Goblin seine eigene Schattenlegion aus.

Wenn sie genug Zeit hatten, stellten sich die beiden als richtige Künstler heraus.

Es gab nicht einmal mehr Zweifel daran, wer Lady war.

»Hufschläge«, sagte ich überflüssigerweise. »Sie kommen.«

Mir drehte sich der Magen um. Hatte ich auf das falsche Pferd gesetzt? War alles zu weit hergeholt? Wenn sie beschlossen, zu kämpfen … Wenn Goblin oder One-Eye zauderten …

»Zu spät, um es auszudiskutieren, Croaker.«

Ich blickte zu Lady, eine schimmernde Erinnerung dessen, was sie gewesen war. Sie lächelte. Sie wusste, was ich dachte. Wie viele Male hatte sie in einer solchen Situation gesteckt, wenn auch auf einem größeren Spielbrett?

Die Wegelagerer trampelten die Gasse entlang, die von der Straße gebildet wurde. Und zogen verwirrt an den Zügeln, als sie bemerkten, dass One-Eye sie erwartete.

Ich sprang vor. Im gesamten Wald bewegten sich Geisterpferde mit mir. Ein harmloses Geräusch ertönte, ein Rascheln im Gebüsch. Netter Einfall, One-Eye. Eben das, was man Wirklichkeitsnähe nennt.

Es waren fünfundzwanzig Banditen. Ihr Ausdruck war garstig. Ihre Gesichter wurden noch blasser, als sie Lady erspähten, als sie das Geisterbanner an Murgens Lanze sahen.

Die Schwarze Kompanie war ziemlich gut bekannt.

Zweihundert Geisterbögen wurden gespannt. Fünfzig Hände versuchten, nach einem Himmelsleib zu greifen. »Ich schlage vor, ihr steigt ab und legt die Waffen nieder«, sagte ich zu ihrem Hauptmann. Ein paarmal japste er nach Luft, überdachte seine Chance, tat schließlich, wie ihm geheißen. »Jetzt tretet von den Pferden zurück. Ihr bösen Jungs.«

Sie bewegten sich. Lady vollführte eine Geste. Alle Pferde wandten sich um und trotteten auf Goblin zu, der ihr eigentlicher Treiber war. Er ließ die Tiere vorbei. Sie würden zum Gasthaus zurückkehren und damit erklären, dass der Schrecken ein Ende hatte.

Glatt, oh, wie glatt. Kein einziger Haken an der Sache. So hatten wir es in der alten Zeit gemacht. Manöver und Schwindel. Warum sich selbst verletzen, wenn man sie mit Lügen und Betrügen aufreiben konnte?

Wir banden die Gefangenen mit Seilen zu einem Sklavenzug zusammen, sodass sie angemessen gelenkt werden konnten, und machten uns auf den Weg nach Süden. Die Wegelagerer waren ziemlich verblüfft, als Goblin und One-Eye sich entspannten. Sie hielten es nicht für gerecht von uns.

Zwei Tage später erreichten wir Vest. Lady, deren große Illusion von One-Eye und Goblin erneut unterstützt wurde, überließ die Deserteure der Gerechtigkeit des Standortkommandanten. Wir mussten lediglich zwei von ihnen töten, um sie dorthin zu schaffen.

So was wie eine Ablenkung auf der Straße. Nun gab es keine mehr, und Charm rückte mit jeder Stunde näher. Ich musste mich mit der Tatsache abfinden, dass Ärger ins Haus stand.

Der Großteil der Annalen, die meine Begleiter in meinem Besitz wähnten, war in imperialer Hand verblieben. Sie wurden bei Queen’s Bridge erbeutet, eine alter Niederlage, die immer noch wehtut. Kurz vor der Krise im Barrowland war mir ihre Rückgabe versprochen worden. Doch diese Krise verhinderte ihre Zustellung. Danach blieb mir nichts anderes, als sie selbst zu holen.

KAPITEL DREI EINE TAVERNE IN TAGLIOS

Willow machte es sich in seinem Sessel knirschend bequemer. Die Mädchen kicherten und forderten einander heraus, sein hellgelbes Haar zu berühren. Eine mit den vielversprechendsten Augen streckte die Hand aus, strich mit ihrem Finger darüber. Willow blickte durch den Raum und zwinkerte Cordy Mather zu.

Das war ein Leben – bis ihre Väter und Brüder es spitzkriegten. Das war der Traum jedes Mannes – mit denselben alten Risiken, die bereits herangeschlichen kamen. Wenn es so weiterging, würde er schon bald vierhundert Pfund wiegen und in Taglios die glücklichste Made im Speck sein.

Wer hätte das gedacht? Eine einfache Taverne in einem sittenstrengen Städtchen wie diesem. Ein Loch in der Wand wie diejenigen, die jede zweite Straßenecke daheim zierten, war hier eine solche Neuheit, dass man nur reich werden konnte. Wenn die Priester nicht ihre Schwerfälligkeit ablegten und jemandem einen Knüppel zwischen die Beine warfen.

Es half natürlich, dass sie exotische Ausländer waren, die die ganze Stadt sehen wollte. Sogar jene Priester. Und ihre kleinen Tussis. Insbesondere ihre kleinen, braunhäutigen Töchter.

Eine lange, irrsinnige Reise hierher, aber inzwischen jeden furchtbaren Schritt wert. Er verschränkte die Finger vor der Brust und ließ die Mädchen sich alle Freiheiten herausnehmen. Er konnte damit umgehen. Er konnte es sich gefallen lassen.

Er sah zu, wie Cordy ein weiteres Fass mit dem bitteren, drittklassigen Bier anstach, das er gebraut hatte. Diese taglischen Narren zahlten das Dreifache dessen, was es wert war. An welchem Ort hatte man noch kein Bier gesehen? Zur Hölle. An einem Ort, von dem Leute ohne besondere Talente und mit Fernweh träumen.

Cordy brachte ihm einen Humpen. Er sagte: »Swan, wenn das so weitergeht, müssen wir jemanden anheuern, der mir beim Brauen hilft. In ein paar Tagen ist alles leergezapft.«

»Warum so ernst? Wie lange kann es schon dauern? Diese komischen Priester kochen doch schon. Sie werden nach einer Ausrede suchen, damit sie uns den Laden dichtmachen können. Mach dir Gedanken um eine weitere Masche, die so süß ist, nicht darum, mehr Bier herzustellen. Was?«

»Was meinst du – was?«

»Du siehst plötzlich verbissen aus.«

»Die Drossel des Verderbens ist gerade zur Vordertür reingekommen.«

Willow machte Verrenkungen, damit er dieses Ende der Stube sehen konnte. Kein Zweifel, Blade war heimgekehrt. Hochgewachsen, schlank, ebenholzschwarz, das Haupt geschoren, dass es wie poliert wirkte, mit Muskeln, die sich bei der kleinste Bewegung spannten, sah er aus wie eine Art schimmernde Statue. Er blickte sich anerkennend um. Dann schritt er zu Willows Tisch, nahm Platz. Die Mädchen glotzten ihn an. Er war ebenso exotisch wie Willow Swan.

»Willst du deinen Anteil kassieren und uns sagen, wie niederträchtig wir sind, weil wir diese Kinder verderben?«, fragte Willow.

Blade schüttelte den Kopf. »Das alte Schreckgespenst Smoke hat wieder Träume. Die Frau will dich.«

»Scheiße.« Swan stellte die Füße auf den Boden. Das war das Haar in der Suppe. Die Frau wollte ihn nicht in Ruhe lassen. »Was ist es diesmal? Was hat er angestellt? Hanf?«

»Er ist ein Zauberer. Er muss nichts anstellen, um unerträglich zu werden.«

»Scheiße«, wiederholte Swan. »Was meinst du, sollen wir uns verdrücken? Den Rest von Cordys Rattenpisse verkaufen und wieder dem Fluss folgen?«

Ein breites, langsames Grinsen breitete sich auf Blades Gesicht aus. »Zu spät, Junge. Du wurdest auserwählt. Du kannst nicht schnell genug laufen. Dieser Smoke, er wäre vielleicht eine Witzfigur, wenn er da einen Laden aufmachen würde, wo ihr herkommt, aber hier in der Gegend ist er der böse, große Schieber von Schreckgespenst. Wenn ihr abhauen wollt, dann binden sie euch die Zehen zusammen.«

»Ist das die offizielle Mitteilung?«

»So haben sie es nicht gesagt. So haben sie es gemeint.«

»Wovon hat er denn diesmal geträumt? Warum zieht er uns da mit rein?«

»Schattenmeister. Mehr Schattenmeister. Gab ein großes Treffen bei Shadowcatch. Sagt er. Sie werden aufhören zu reden und anfangen zu handeln. Er sagt, Moonshadow hätte den Ruf gehört. Sagt, wir werden sie schon bald in taglischem Territorium sehen.«

»Was soll’s. Das will er uns praktisch seit dem Tag erzählen, als wir hier ankamen.«

Jeglicher Humor wich aus Blades Gesicht. »Diesmal war es anders, Mann. Es gibt verängstigt und verängstigt, weißt du, was ich meine? Und bei Smoke und der Frau war es diesmal Letzteres. Und es sind nicht nur Schattenmeister, die ihnen jetzt Sorgen machen. Sie meinte, ich soll dir sagen, dass die Schwarze Kompanie im Anmarsch ist. Sie sagten, du wüsstest, was das heißt.«

Swan stöhnte, als hätte man ihm einen Schlag in die Magengrube versetzt. Er stand auf, trank das Bier aus, das Cordy gebracht hatte, sah sich um, als könnte er nicht glauben, was er sah. »Das ist das Bescheuertste, was ich je gehört habe, Blade. Die Schwarze Kompanie? Hierher?«

»Sagte, das würde die Schattenmeister fuchsen, Willow. Sagte, die wären ziemlich aufgewühlt. Dies hier ist das letzte freie Land nördlich von ihnen, unterhalb des Flusses. Und du weißt, was auf der anderen Seite von Shadowcatch liegt.«

»Das glaube ich nicht. Weißt du, wie weit sie reisen müssten?«

»Ungefähr so weit wie du und Cordy.« Blade hatte sich Willow und Cordwood Mather nach zweitausend Meilen bei ihrer Reise nach Süden angeschlossen.

»Klar. Sag mal, Blade. Wer zur Hölle wäre neben dir und mir und Cordy so verrückt, ohne Grund so weit zu reisen?«

»Sie haben einen Grund. Sagt wenigstens Smoke.«

»Und welchen?«

»Ich weiß es nicht. Du gehst da rauf, wie die Frau es dir sagt. Vielleicht erzählt sie dir mehr.«

»Ich gehe hin. Wir gehen alle. Einfach, um sie hinzuhalten. Bei der ersten Gelegenheit, die wir kriegen, hauen wir zur Hölle noch mal aus Taglios ab. Wenn die Schattenmeister da unten in Aufruhr sind und die Schwarze Kompanie einmarschiert, möchte ich nicht in der Nähe sein.«

Blade lehnte sich zurück, sodass die Mädchen näher heranwackeln konnten. Sein Ausdruck war neugierig.

Swan sagte: »Ich hab daheim gesehen, was diese Bastarde anrichten können. Ich hab gesehen, wie Ross zwischen sie und … Zur Hölle. Glaub es mir einfach, Blade. Viel Magie und ganz üble. Wenn sie wirklich herkommen und wir noch da sind, wenn sie auftauchen, dann wirst du dir am Ende wünschen, die Kroks hätte dich zum Imbiss verspeist.«

Blade hatte sich nie dazu geäußert, warum man ihn den Krokodilen vorgeworfen hatte. Und Willow hatte nicht erklären wollen, warum er Cordy dazu überredet hatte, ihn herauszuholen und mitzunehmen. Blade hatte sich aber seitdem als anständiger Kerl herausgestellt. Er hatte seine Schuld zurückgezahlt.

»Ich glaube, du solltest ihnen helfen, Swan«, sagte Blade. »Ich mag diese Stadt. Ich mag die Leute. Das einzige, was bei denen nicht stimmt, ist, dass sie nicht genug Vernunft haben, um alle Tempel niederzubrennen.«

»Verdammt, Blade, ich bin keiner, der helfen kann.«

»Du und Cordy seit die einzigen hier, die was vom Kriegshandwerk verstehen.«

»Ich war zwei Monate bei der Armee. Ich habe nicht einmal gelernt, wie man im Gleichschritt marschiert. Und Cordy hat nicht mehr die Nerven dafür. Er will diesen Teil seines Lebens einfach vergessen.«

Cordy hatte das meiste, was gesagt wurde, mitgehört. Er kam herüber. »So schlecht bin ich nicht dran, Willow. Ich habe nichts gegen das Kriegshandwerk, wenn es einer guten Sache dient. Damals hab ich mich einfach mit den Falschen zusammengetan. Ich stimme Blade zu. Ich mag Taglios. Ich mag die Leute. Ich bin bereit, alles zu tun, was ich kann, damit sie nicht von den Schattenmeistern fertiggemacht werden.«

»Du hast gehört, was er gesagt hat? Die Schwarze Kompanie?«

»Hab ich gehört. Ich hab aber auch gehört, dass er gesagt hat, sie wollten darüber reden. Ich glaube, wir sollten herausfinden, was vor sich geht, bevor wir das Maul aufreißen und erklären, was wir alles nicht tun werden.«

»Na schön. Ich gehe mich umziehen. Halte die Stellung und all das, Blade. Lass die Griffel von der in Rot. Ich hab sie als Erster gesehen.« Er stakste davon.

Cordy Mather grinste. »Du hast Willow immer besser im Griff, Blade.«

»Wenn die Sache so läuft, wie ich es mir vorstelle, braucht man ihn nicht im Griff zu haben. Er wird ganz vorne stehen, wenn sie versuchen, die Schattenmeister aufzuhalten. Du könntest ihn über glühenden Kohlen rösten, und er würde es niemals zugeben, aber er hat was für Taglios übrig.«

Cordy Mather kicherte. »Du hast recht. Er hat endlich ein Zuhause gefunden. Und niemand wird ihn rausschmeißen. Weder die Schattenmeister noch die Schwarze Kompanie.«

»Sind sie so schlimm, wie er behauptet?«

»Schlimmer. Viel schlimmer. Nimm alle Legenden, die du daheim gehört hast, und alles, was du hier in der Gegend gehört hast, und alles dazu, was du dir vorstellen kannst, und verdopple es, dann bist du vielleicht nahe dran. Sie sind übel, und sie sind zäh, und sie sind gut. Und das vielleicht Schlimmste an ihnen ist, dass sie so verschlagen sind, wie du dir verschlagen nicht vorstellen kannst. Es gibt sie seit vierhundert, fünfhundert Jahren, und keine Truppe hält sich so lange, ohne derart fies zu sein, dass sich nicht einmal die Götter mit ihr anlegen.«

»Mütter, versteckt eure Säuglinge«, sagte Blade. »Smoke hat davon geträumt.«

Cordys Miene verfinsterte sich. »Ja. Hab sagen hören, dass Zauberer Dinge wahr werden lassen, indem sie zuerst von ihnen träumen. Vielleicht sollten wir Smoke die Kehle aufschlitzen.«

Willow kam zurück. Er sagte: »Vielleicht sollten wir herausfinden, was vor sich geht, bevor wir irgendetwas tun.«

Cordy kicherte. Blade grinste. Dann scheuchten sie die Tussen aus der Taverne – stellten zuvor aber sicher, dass mehrere der jungen Damen eine Verabredung mit ihnen trafen.

KAPITEL VIER DER DUNKLE TURM

Ich vertrödelte gute fünf Tage, bevor ich mich dazu durchrang, nach dem Frühstück eine Strategiesitzung abzuhalten. Ich führte das Thema mit silberzüngiger Plauderei ein: »Unser nächster Halt ist der Turm.«

»Was?«

»Bist du irre, Croaker?«

»Wusste, wir hätten ihn im Auge behalten sollen, nachdem die Sonne untergegangen ist.« Wissende Blicke in Ladys Richtung. Sie hielt sich heraus.

»Ich dachte, sie würde mit uns gehen. Nicht umgekehrt.«

Lediglich Murgen schloss sich dem Verein der momentanen Zicken nicht an. Guter Junge, dieser Murgen.

Selbstverständlich wusste Lady bereits, dass ein Zwischenhalt notwendig war.

»Ich meine es ernst, Jungs«, sagte ich.

Wenn ich ernst sein wollte, dann auch One-Eye. »Warum?«, wollte er wissen.

Ich sackte etwas in mich zusammen. »Um die Annalen zu holen, die ich bei Queen’s Bridge zurückgelassen habe.« Dort hatte man uns schön eins ausgewischt. Nur weil wir die Besten waren und verzweifelt und hinterhältig, hatten wir es geschafft, die Einkreisung durch die Imperialen zu durchbrechen. Es hatte uns die halbe Kompanie gekostet. Damals hatten wir dringendere Sorgen als Bücher.

»Ich dachte, du hättest sie bereits.«

»Ich habe um sie gebeten, und mir wurde gesagt, ich könnte sie haben. Aber zu dem Zeitpunkt waren wir beschäftigt, weißt du noch? Der Beherrscher? Der Limper? Toadkiller Dog? Die ganze Bande? Es gab wohl kaum eine Möglichkeit, sie wirklich in die Finger zu bekommen.«

Lady unterstützt mich mit einem Nicken. Sie fühlte sich so richtig ein.

Goblin legte seine wildeste Visage auf. Ließ ihn aussehen wie eine Säbelzahnkröte. »Dann wusstest du also alles, bevor wir das Barrowland überhaupt verließen.«

Ich gab zu, dass das der Wahrheit entsprach.

»Du Ziegenfi… Liebhaber. Ich wette, du hast die ganze Zeit damit zugebracht, dir irgendeinen halbgaren, bekloppten Plan auszudenken, der uns garantiert alle umbringen wird.«

Ich gab zu, dass auch das größtenteils der Wahrheit entsprach. »Wir werden hinreiten, als würde der Turm uns gehören. Ihr werdet die Garnison glauben machen, dass Lady immer noch die Nummer eins ist.«

One-Eye schnaubte, stapfte rüber zu den Pferden. Goblin stand auf und starrte auf mich herab. Und starrte noch mehr. Und grinste höhnisch. »Wir stolzieren da einfach rein und schnappen sie uns, wie? Wie der alte Mann immer gesagt hat: Dreistigkeit und noch mehr Dreistigkeit.«

Seine eigentliche Frage stellte er nicht.

Lady antwortete trotzdem für ihn. »Ich habe mein Wort gegeben.«

Auch die nächste Frage sprach Goblin nicht aus. Das tat niemand. Und Lady beließ es dabei.

Es wäre leicht für sie, uns fertigzumachen. Sie konnte ihr Wort halten und uns hinterher zum Frühstück verdrücken. Wenn sie wollte.

Mein Plan lief darauf hinaus, dass ich ihr vollkommen vertraute. Es war ein Vertrauen, das meine Kameraden nicht teilten.

Aber so töricht es auch ist, sie vertrauen mir.

Der Turm von Charm ist der größte Einzelbau auf der Welt. Ein nichtssagender, schwarzer Würfel, der fünfhundert Fuß misst. Es war das erste Projekt, das die Lady und die Entführten vor so vielen Lebenszeiten in Angriff genommen hatten, nachdem sie aus ihren Gräbern zurückgekehrt waren. Vom Turm aus waren die Entführten hinausmarschiert, hatten ein Heer ausgehoben, um die Welt zu erobern. Sein Schatten fiel auf die halbe Erde, denn nur wenige wussten, dass Herz und Blut des Imperiums geopfert worden waren, um einen Sieg über eine noch ältere und finsterere Macht zu erkaufen.

Nur ein Eingang, der auf Bodenhöhe liegt, ist verblieben. Die Straße, die dorthin führt, verläuft so schnurgerade, wie im Traum eines Geometers. Sie verläuft durch parkähnliche Anlagen, bei denen nur jemand, der dabei gewesen war, glauben könnte, dass sie die Stätte der blutigsten Schlacht in der Geschichte waren.

Ich war dort gewesen. Und ich erinnerte mich.

Goblin und One-Eye und Hagop und Otto erinnerten sich ebenfalls. Am ehesten erinnerte sich One-Eye. Auf eben jenem Feld vernichtete er das Ungeheuer, das seinen Bruder ermordet hatte.

Ich erinnerte mich an das Krachen und an den Tumult, an die Schreie und an die Angst, an den Schrecken, den die sich bekriegenden Zauberer entfesselten, und nicht zum ersten Mal fragte ich mich: »Sind sie wirklich alle hier gestorben? Es ging so leicht.«

»Von wem redest du?«, wollte Murgen wissen. Er musste sich nicht konzentrieren, um Lady unter einem Bann zu halten.

»Von den Entführten. Manchmal denke ich darüber nach, wie schwierig es war, den Limper loszuwerden. Dann frage ich mich, wie so viele Entführte so einfach niedergemacht werden konnten, ein ganzer Haufen von ihnen in wenigen Tagen, fast immer dort, wo ich es nicht sehen konnte. Deshalb vermute ich, dass einige ihren Tod vorgetäuscht haben und sich zwei oder drei noch immer irgendwo herumtreiben.«

Goblin piepste: »Aber sie hatte sechs verschiedene Intrigen laufen, Croaker. Sie haben sich alle gegenseitig verraten.«

»Aber ich habe nur ein paar gesehen, die den Geist aufgaben. Niemand von euch Jungs hat gesehen, wie die anderen draufgingen. Ihr habt davon gehört. Vielleicht gab es mehr Intrigen hinter all den anderen Intrigen. Vielleicht …«

Lady warf mir einen merkwürdigen Blick zu, fast so, als hätte sie selbst nicht viel darüber nachgedacht und mochte nun die Gedanken nicht, die ich jetzt aufwühlte.

»Für mich sind sie tot genug, Croaker«, sagte One-Eye. »Ich hab viele Leichen gesehen. Sieh mal da rüber. Ihre Gräber sind gekennzeichnet.«

»Das heißt nicht, dass jemand da drin liegt. Raven haben wir zweimal sterben sehen. Einmal umdrehen, und schon war er wieder da. Auf einem Gaul.«

Lady sagte: »Du hast meine Erlaubnis sie auszugraben, wenn du willst, Croaker.«

Ein Blick zeigte mir, dass sie mich sanft zurechtwies. Vielleicht sogar neckte. »Ist schon gut. Vielleicht irgendwann, wenn mir richtig langweilig ist und ich nichts Besseres zu tun habe, als mir verweste Leichen anzusehen.«

»Bäh!«, sagte Murgen. »Könnt ihr nicht über was anderes reden?« Was ein Fehler war.

Otto lachte. Hagop begann zu summen. Zu seiner Melodie sang Otto: »Die Made kriecht rein, die Made kriecht raus, die Ameise spielt Flöte zur Nase hinaus.« Goblin und One-Eye schlossen sich an. Murgen drohte, er würde herüberreiten und auf jemanden kotzen. Wir lenkten uns von den dunklen Verheißungen ab, die vor uns dräuten.

One-Eye hörte auf zu singen und sagte: »Die Entführten gehörten nicht zu denen, die all die Jahre über untertauchen könnten, Croaker. Wenn welche überlebt hätten, hätten wir das Feuerwerk gesehen. Wenigstens hätten ich und Goblin was mitgekriegt.«

»Ich schätze, zu hast recht.« Aber es beruhigte mich nicht. Möglicherweise wollte ein Teil von mir nicht, dass die Entführten alle tot waren.

Wir näherten uns dem Hang, der zu der Tür des Turms führte. Zum ersten Mal verriet der Bau Anzeichen von Leben. Männer, die so bunt gekleidet waren wie Pfaue, erschienen auf den hohen Zinnen. Eine Handvoll kam zum Tor heraus und bereitete hastig eine Zeremonie vor, um ihre Herrin zu begrüßen. One-Eye johlte verächtlich, als er ihre Aufmachung sah.

Als er das letzte Mal hier war, hätte er sich das nicht getraut.

Ich beugte mich hinüber und flüsterte: »Sei vorsichtig. Sie hat die Uniformen dieser Burschen entworfen.« Ich hoffte, sie wollten die Lady begrüßen, hoffte, sie hätten nichts Schlimmeres im Sinn. Das hing davon ab, welche Nachrichten sie aus dem Norden erhalten hatten. Üble Gerüchte sind manchmal schneller als der Wind.

»Dreistigkeit, Jungs«, sagte ich. »Immer Dreistigkeit. Seid unverschämt. Seid arrogant. Verunsichert sie.« Ich blickte auf den dunklen Eingang und überlegte laut: »Sie kennen mich hier.«

»Das ist es, was mir Angst macht«, piepste Goblin. Dann kicherte er.

Der Turm füllte die Welt immer mehr aus. Murgen, der ihn noch nie zuvor gesehen hatte, gab sich mit offenem Mund der Ehrfurcht hin. Otto und Hagop gaben vor, dass dieser Steinhaufen sie nicht beeindruckte. Goblin und One-Eye waren inzwischen zu beschäftigt, um groß achtzugeben. Lady konnte man nicht beeindrucken. Sie hatte diese Stätte erbaut, als sie sowohl größer als auch kleiner war als die Person, die sie jetzt war.

Ich ging vollkommen in der Person auf, die ich darstellen wollte. Ich erkannte den Oberst, der das Empfangskomitee anführte. Unsere Pfade hatten sich gekreuzt, als mich das Schicksal einst zum Turm geführt hatte. Was wir voneinander hielten, war bestenfalls zweifelhaft.

Auch er erkannte mich. Und er war verblüfft. Vor mehr als einem Jahr hatten die Lady und ich den Turm gemeinsam verlassen.

»Wie geht es Euch, Oberst?«, fragte ich und setzte ein fettes, freundliches Grinsen auf. »Wir sind endlich zurückgekehrt. Auftrag ausgeführt.«

Er blickte zur Lady. Ich tat es ihm nach, aus dem Augenwinkel. Jetzt hatte sie die Gelegenheit.

Sie hatte ihren arrogantesten Gesichtsausdruck aufgesetzt. Ich hätte geschworen, dass sie der Teufel war, der diesen Turm heimsuchte … Nun, das war sie auch. Früher. Diese Person starb nicht, als sie ihre Macht verlor. Oder doch?

Es sah aus, als würde sie mein Spiel mitspielen. Ich seufzte, schloss für einen Moment die Augen, als die Turmwache ihre Lehnsfrau begrüßte.

Ich vertraute ihr. Es gibt aber immer Vorbehalte. Man kann nicht vorhersehen, was andere Leute tun werden. Ganz besonders die Hoffnungslosen.

Es bestand immer die Möglichkeit, dass sie das Imperium wieder übernehmen würde, sich in ihren geheimen Teil des Turms verkroch und ihre Untergebenen glauben machte, sie bliebe unverändert. Es gab nichts, das sie an dem Versuch hindern könnte.

Sie konnte diesen Weg beschreiten, auch nachdem sie ihr Versprechen eingelöst hatte, die Annalen zurückzugeben.

Meine Begleiter glaubten, sie würde genau das tun. Und sie fürchteten sich vor dem ersten Befehl, den sie als wiedereingesetzte Herrscherin der Schatten geben würde.

KAPITEL FÜNF KETTEN DES IMPERIUMS

Lady hielt ihr Versprechen. Ich hielt die Annalen binnen einer Stunde, nachdem wir den Turm betreten hatten, in Händen. Währenddessen waren seine Bewohner weiterhin von ihrer Rückkehr überwältigt. Dennoch …

»Ich will mir dir gehen, Croaker.« Sie sagte dies, während wir am zweiten Abend nach unserer Ankunft von den Zinnen des Turms aus zusahen, wie die Sonne unterging.

Ich antwortete selbstverständlich mit der silbernen Zunge eines Pferdehändlers. »Äh … Ähm … Aber …« Ungefähr so. Herr der vorschnellen und banalen Bemerkungen. Warum zur Hölle wollte sie das tun? Dort im Turm hatte sie alles. Ein bisschen umsichtige Scharade, und sie konnte den Rest ihres natürlichen Lebens als das mächtigste Wesen der Welt verbringen. Warum mit einer Bande alter Männer davonreiten, die nicht wussten, wohin sie gingen und warum, nur dass sie weiterziehen mussten, weil sonst irgendwas – vielleicht ihr Gewissen? – sie einholen würde?

»Für mich gibt es hier nichts mehr«, sagte sie, als würde das irgendetwas erklären. »Ich will …. Ich will einfach nur herausfinden, wie es ist, bloß ein Mensch zu sein.«

»Es würde dir nicht gefallen. Nicht so sehr, wie du es magst, die Lady zu sein.«

»Aber das habe ich niemals gemocht. Nicht, nachdem ich sie geworden bin und herausfand, was das wirklich bedeutete. Du wirst mir nicht sagen, dass ich hierbleiben soll, oder?«

Machte sie Witze? Nein. Das würde ich nicht. Das war zumindest bisher die oberflächliche Übereinkunft gewesen. Es war allerdings eine Übereinkunft, von der ich erwartete hatte, dass sie sich auflöste, sobald Lady im Turm wiedereingesetzt war.

Die Verwicklungen machten mich betroffen.

»Darf ich mitkommen?«

»Wenn es das ist, was du willst.«

»Es gibt ein Problem.«

Gibt es nicht immer eins, wenn eine Frau beteiligt ist?

»Ich kann nicht sofort gehen. Hier ist alles durcheinander. Ich brauche ein paar Tage, um Ordnung zu schaffen. Damit ich guten Gewissens gehen kann.«

Wir waren auf keine der Probleme gestoßen, die ich erwartet hatte. Keiner ihrer Leute wagte es, sie näher in Augenschein zu nehmen. Alles, was One-Eye und Goblin für dieses Publikum taten, war vergebliche Liebesmüh. Die Nachricht hatte sich verbreitet: Die Lady hatte wieder die Zügel in der Hand. Die Schwarze Kompanie war zur Herde zurückgekehrt – unter ihrem Schutz. Und das genügte ihren Leuten.

Wundervoll. Opal lag aber nur wenige Wochen entfernt. Von Opal aus war es nur eine kurze Überfahrt über das Meer der Qualen zu Hafenstädten außerhalb des Imperiums. Das waren meine Gedanken. Ich wollte hier raus, solange unser Glück anhielt.

»Du verstehst das doch, oder, Croaker? Es dauert nur ein paar Tage. Ehrlich. Gerade so lange, um alles zurechtzubiegen. Das Imperium ist eine gute Maschine, die reibungslos funktioniert, solange die Prokonsuln sicher sind, dass jemand das Sagen hat.«

»Na schön. Na schön. Wir können es ein paar Tage aushalten. Solange du deine Leute fernhältst. Und du hältst dich selbst die meiste Zeit von ihnen fern. Lass nicht zu, dass sie dich genauer in Augenschein nehmen.«

»Das habe ich nicht vor. Croaker?«

»Ja?«

»Bring deiner Großmutter bei, Eier auszusaugen.«

Verdutzt lachte ich. Sie wurde immer menschlicher. Und konnte immer mehr über sich selbst lachen.

Sie hatte gute Absichten. Aber wer – er oder sie – über ein Imperium herrschte, musste sich den Einzelheiten der Verwaltung ergeben. Ein paar Tage kamen und gingen. Und einige weitere. Und noch weitere.

Ich verschaffte mir Unterhaltung, indem ich in den Bibliotheken des Turms umherschlich, mich über seltene Texte aus der Zeit der Herrschaft oder davor hermachte, die geknurrten Drohungen aus der Geschichte des Nordens enträtselte. Aber für die anderen Jungs war es übel. Sie hatten nichts zu tun, außer zu versuchen, sich nicht blicken zu lassen, und sich Sorgen zu machen. Und Goblin und One-Eye zu hänseln, obwohl sie damit nicht viel Glück hatten. Für diejenigen von uns, die kein Talent hatten, war der Turm lediglich ein großer, dunkler Steinhaufen, aber für diese beiden war er eine mächtige, pochende Maschine der Hexerei, weiterhin bevölkert von zahlreichen Anwendern der dunklen Künste. Sie lebten jeden Augenblick in Furcht.

One-Eye kam besser zurecht als Goblin. Er schaffte es gelegentlich, zu entkommen, und ging hinaus auf das alte Schlachtfeld, um sich zwischen seinen Erinnerungen herumzutreiben. Gelegentlich schloss ich mich ihm an und war halb versucht, Ladys Einladung anzunehmen, ein paar alte Gräber zu öffnen.

»Immer noch in Sorge wegen dem, was vorgefallen ist?«, fragte One-Eye an einem Nachmittag, während ich auf dem Bogenstab über einem Grabstein lehnte, der den Namen und das Siegel eines Entführten trug, der der Gesichtslose genannt wurde. One-Eyes Ton war so ernst, wie es nur geht.

»Kann man so sagen«, gab ich zu. »Ich komme nicht drauf, und es macht jetzt auch keinen Unterschied mehr, aber wenn man darüber nachdenkt, was hier geschehen ist, dann passt es nicht zusammen. Ich meine, damals schon. Alles sah so aus, als wäre es unvermeidlich. Ein großes Schlachten, das die Welt von unzähligen Rebellen und den meisten Entführten befreit, sodass die Lady freie Hand hat und sie gleichzeitig mit dem Beherrscher verkuppelt. Aber im Zusammenhang mit späteren Ereignissen …«

One-Eye war losgeschlendert und zog mich im Schlepptau mit. Er gelangte zu einer Stelle, die gar keine Markierungen aufwies, abgesehen von seinen Erinnerungen. Ein Wesen, das Forvalaka genannt wurde, war hier gestorben. Ein Wesen, das – möglicherweise – seinen Bruder niedergemetzelt hatte, damals zu der Zeit, als wir es das erste Mal mit Soulcatcher zu tun bekamen, dem Abgesandten der Lady in Beryl. Der Forvalaka war eine Art vampirischer Werleopard, der ursprünglich in One-Eyes eigenem Heimatdschungel lebte, irgendwo weit unten im Süden. One-Eye hatte ein ganzes Jahr gebraucht, um ihn aufzuspüren und Rache an ihm zu nehmen.

»Du denkst darüber nach, wie schwierig es war, den Limper loszuwerden«, sagte er. Seine Stimme klang bedächtig. Ich wusste, dass er sich an etwas erinnerte, von dem ich dachte, er hätte es aus seinem Gedächtnis verbannt.

Wir waren niemals sicher, dass der Forvalaka, der Tom-Tom getötet hatte, der gleiche Forvalaka war, der den Preis dafür bezahlte. Denn zu jener Zeit arbeitete der Entführte Soulcatcher eng mit einem anderen Entführten zusammen, der Shapeshifter genannt wurde. Und es gab Beweise, die darauf hinwiesen, dass Shifter womöglich in jener Nacht in Beryl gewesen war. Dass er die Gestalt eines Forvalaka nutzte, damit die Vernichtung der Herrscherfamilie sichergestellt war, damit das Imperium sich alles für kleines Geld unter den Nagel reißen konnte.

Wenn One-Eye nicht an der richtigen Kreatur Rache für Tom-Tom genommen hatte, dann war es viel zu spät für Tränen. Shifter wäre nur ein weiteres Opfer der Schlacht bei Charm.

»Ich denke über Limper nach«, gab ich zu. »Ich habe ihn in diesem Gasthaus getötet, One-Eye. Ich habe ihn erledigt. Und wenn er nicht wieder aufgetaucht wäre, hätte ich keinen Zweifel daran gehabt, dass er tot war.«

»Und keine Zweifel wegen denen?«

»Ein paar.«

»Willst du bei Nacht rausschleichen und einen von ihnen ausgraben?«

»Was soll das bringen? Jemand wird schon in dem Grab liegen, und es gibt keine Möglichkeit zu beweisen, dass es derjenige ist, der es sein soll.«

»Sie wurden von anderen Entführten und Mitgliedern des Zirkels getötet. Das ist ein bisschen was anderes, als von einem Talentlosen wie dir verprügelt zu werden.«

Er meinte, kein Talent für Zauberei. »Ich weiß. Deswegen bin ich auch nicht so besessen von dem ganzen Durcheinander. Mir genügt das Wissen, dass diejenigen, die sie angeblich getötet haben, wirklich die Macht hatten, sie ins Grab zu bringen.«

One-Eye starrte auf den Boden, wo früher ein Kreuz gestanden hatte, an das der Forvalanka geschlagen worden war. Nach einer Weile erschauderte er und kehrte ins Jetzt zurück. »Tja, jetzt macht es keinen Unterschied mehr. Es ist lange her, wenn nicht gar weit weg. Und weit weg werde ich sein, falls wir hier jemals wegkommen.« Er zog seinen schwarzen Schlapphut nach vorne, um seine Augen vor der Sonne zu schützen, blickte den Turm hinauf. Wir wurden beobachtet.

»Warum will sie mit uns kommen? Darauf komme ich immer wieder zurück. Was hat sie davon?«

One-Eye betrachtete mich mit dem merkwürdigsten Blick. Er schob seinen Hut zurück, stemmte die Hände in die Hüften, legte einen Moment lang den Kopf schief und schüttelte ihn dann langsam. »Croaker. Manchmal kannst du einen fassungslos machen. Warum hängst du hier herum und wartest auf sie, anstatt dich aufzumachen und Meilen hinter dich zu bringen?«

Das war eine gute Frage, und eine, vor der ich immer zurückscheute, wenn ich versuchte, darauf einzugehen. »Nun, ich schätze, ich mag sie irgendwie, und glaube, dass sie Gelegenheit bekommen sollte, es mal mit einem einfachen Leben zu versuchen. Sie ist in Ordnung. Wirklich.«

Ich sah ein flüchtiges Grinsen, als er sich zu dem nicht markierten Grab umdrehte. »Ohne dich würde das Leben nur halb so viel Spaß machen, Croaker. Zu sehen, wie du dich durchwuselst, ist an sich schon eine Lehre. Wie bald können wir aufbrechen? Ich mag diesen Ort nicht.«

»Ich weiß es nicht. Noch ein paar Tage. Es gibt Dinge, die sie zuerst unter Dach und Fach bringen muss.«

»Das hast du gesagt …«

Ich fürchte, ich wurde schnippisch. »Ich lass dich wissen, wann.«

Dieses Wann schien niemals zu kommen. Tage vergingen. Lady blieb verstrickt im Netz der Verwaltungsspinne.

Dann strömten die Botschaften aus den Provinzen ein, Antworten auf Edikte aus dem Turm. Jede einzelne verlangte nach sofortiger Aufmerksamkeit.

Wir saßen schon seit zwei Wochen an diesem grausigen Ort fest.

»Hol uns zur Hölle hier raus, Croaker«, verlangte One-Eye. »Meine Nerven halten es nicht länger aus.«

»Hör mal, sie muss Zeug erledigen.«

»Nach deiner Aussagen haben wir Zeug zu erledigen. Wer sagt denn, dass wir es erst dann tun können, wenn sie fertig ist?«

Und Goblin sprang mich an. Mit beiden Füßen. »Seit zwanzig Jahren ertragen wir deine Vernarrtheit, Croaker«, übertrieb er. »Weil es lustig war. Etwas, womit wir dich aufziehen konnten in Zeiten, wenn es langweilig wurde. Aber das ist nichts, weswegen ich mich umbringen lassen will, das garantiere ich dir, verdammich. Selbst wenn sie uns alle zu Feldmarschällen macht.«

Ich hielt einen Wutanfall zurück. Es war hart, aber Goblin hatte recht. Ich hatte keinen Grund, hier herumzuhängen und alle dem größtmöglichen Risiko auszusetzen. Je länger wir warteten, desto sicherer war es, dass irgendetwas schiefging. Wir hatten schon genug Schwierigkeiten mit den Turmwächtern zurechtzukommen, denen es gar nicht gefiel, dass wir ihrer Herrin derart nahestanden, nachdem wir so viele Jahre gegen sie gekämpft hatten.

»Am Morgen reiten wir los«, sagte ich. »Ich entschuldige mich. Ich wurde gewählt, um die Kompanie anzuführen, nicht nur Croaker. Vergebt mir, dass ich das aus den Augen verloren habe.«

Geschickter alter Croaker. One-Eye und Goblin wirkten ordentlich verlegen. Ich grinste. »Also, geht packen. Wenn die Sonne morgen aufgeht, sind wir weg.«

Sie weckte mich in der Nacht. Einen Augenblick lang dachte ich …

Ich sah ihr Gesicht. Sie hatte alles gehört.

Sie flehte mich an, noch einen Tag länger zu bleiben. Oder höchstens zwei. Sie wollte ebenso wenig hier sein wie wir, umgeben und verspottet von allem, was sie verloren hatte. Sie wollte fortgehen, mit uns gehen, bei mir bleiben, dem einzigen Freund, den sie je hatte …

Sie brach mir das Herz.

Es klingt kitschig, wenn man es niederschreibt, aber ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss. Irgendwie war ich stolz auf mich. Ich gab keinen Zoll breit nach.

»Es nimmt kein Ende«, sagte ich zu ihr. »Es wird immer noch eine Sache geben, die erledigt werden muss. Khatovar kommt nicht näher, während ich warte. Der Tod schon. Ich schätze dich auch sehr. Ich will nicht gehen … Aber der Tod lauert hier in jedem Schatten. Er windet sich im Herzen aller Männer, die mir meinen Einfluss übelnehmen.« Es war auch diese Art von Imperium, und während der letzten Tage bekamen viele alte Imperiale genügend Grund, es mir zutiefst übelzunehmen.

»Du hast mir ein Abendessen in den Gärten in Opal versprochen.«

Ich habe dir viel mehr versprochen als das, sagte mein Herz. Laut erwiderte ich: »Das habe ich. Und das Angebot steht noch. Aber ich muss meine Männer hier rausbringen.«

Ich wurde nachdenklich, während sie ungewöhnlich nervös wurde. Ich sah die Flammen der Intrigen hinter ihren Augen aufflackern, weil sie zurückgewiesen wurde. Es gab Möglichkeiten, mich zu manipulieren. Das wussten wir beide. Doch nutzte sie niemals etwas Persönliches für politische Ziele. Zumindest nicht bei mir.

Ich nehme an, jeder von uns begegnet einmal dieser einen Person, bei der wir uns zur absoluten Ehrlichkeit veranlasst sehen. Diese eine Person, deren gute Meinung von uns ein Gegengewicht zu der schlechten darstellt, die der Rest der Welt von uns hat. Und diese Meinung ist irgendwann wichtiger als all unsere hinterhältigen, schäbigen Vorhaben voller Gier, Wollust, Selbstverherrlichung, was auch immer wir uns ausdenken, während wir die Welt anlügen, damit sie glaubt, wie seien einfache, nette Menschen. Ich war ihr eigentliches Ziel und sie das meine.

Es gab nur eine Sache, die wir voreinander verbargen, und zwar deshalb, weil wir Angst hatten, dass es alles andere verändern und vielleicht jene größere Ehrlichkeit zunichtemachen würde, wenn es herauskäme.

Sind Liebende jemals ehrlich?

»Ich schätze, wir werden drei Wochen brauchen, bis wir Opal erreichen. Es wird eine weitere Woche dauern, bis wir einen vertrauensvollen Kapitän auftreiben und One-Eye dazu bringen, das Meer der Qualen zu überqueren. Also werde ich in fünfundzwanzig Tagen die Gärten erreichen. Ich lasse für den Abend die Camelia-Grotte reservieren.« Ich klopfte auf den Wulst neben meinem Herzen. Dieser Wulst war eine herrlich gefertigte Ledertasche, die Papiere enthielt, die mich als General der imperialen Streitkräfte ausgaben und mich zu einem diplomatischen Gesandten ernannten, der nur der Lady persönlich unterstand.

Wertvoll, wertvoll. Und ein guter Grund, warum langjährige Imperiale mich so sehr hassten.

Ich bin nicht sicher, wie es dazu kam. Irgendein Scherz während jener seltenen Stunden, da sie keine Anordnungen erließ oder Bekanntmachungen unterschrieb. Ehe ich mich versah, fiel eine Meute aus Schneidern über mich her. Sie statteten mich mit einer vollständigen imperialen Garderobe aus. Welche Wichtigkeit all diese Paspeln, Abzeichen, Knöpfe, Medaillen, Dingsbumse und Kleinigkeiten haben, werde ich nie verstehen. Mit dem ganzen Gerümpel kam ich mir albern vor.

Ich brauchte aber nicht lange, um in dem, was ich zunächst als einen ausgeklügelten Streich interpretierte, Gelegenheiten zu erkennen.

Sie hat diesen Sinn für Humor, denn sie nimmt ihr mächtiges, erschreckend humorloses Imperium nicht ernst.

Ich bin sicher, sie erkannte die Gelegenheiten lange vor mir.

Wie auch immer, wir sprachen gerade von der Camelia-Grotte, dem Inbegriff dessen, wo die feine Gesellschaft der Stadt sah und gesehen wurde. »Ich werde dort mein Abendessen einnehmen«, sagte ich zu ihr. »Du kannst dich mir gerne anschließen.«

Hinweise auf Verborgenes zuckten in ihrem Gesicht. Sie sagte: »Na schön. Wenn ich in der Stadt bin.«

Es war einer dieser Augenblicke, in denen ich mich sehr unwohl fühle. Eines von diesem Malen, bei denen nichts, was man sagt, richtig ist, und beinahe alles falsch. Ich sah keine Reaktion auf den klassischen Croaker-Ansatz.

Ich wich langsam zurück.

So gehe ich mit meinen Frauen um. In Deckung gehen, wenn sie bekümmert werden. Ich schaffte es fast bis zur Tür.