The Chaos Chasers MC: Blane - C.M. Marin - E-Book

The Chaos Chasers MC: Blane E-Book

C.M. Marin

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Beschreibung

BLANE Lana ist wieder zu Hause. Sie ist so schön wie vor fünf Jahren, als sie ohne Abschied verschwand. Ihre Augen strahlen jetzt eine Zuversicht aus, die früher nicht da war. Und verdammt, wenn sie nicht sexier ist, als ich sie je in Erinnerung hatte. Aber sie ist nicht für ein paar Nächte voller Spaß zurückgekehrt, sondern Lana ist auf einer Mission, die sie in eine Welt eintauchen lässt, in der die Gefahr an jeder Ecke lauert. Ich wünschte, sie würde nicht auf Abstand zu mir gehen, aber ich weiß, dass es das Beste ist. Ich will nicht noch einmal jemanden verlieren, der mir wichtig ist. Doch als Lana mir erlaubt, ihr näher zu kommen, fällt es mir schwer, ihr fernzubleiben. Oder eher unmöglich. LANA Ich bin wieder zu Hause. Ich dachte, das Schwierigste wäre, meiner Familie Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, aber es stellt sich heraus, dass es noch schwieriger ist, mich von dem Freund fernzuhalten, den ich vor Jahren zurückgelassen habe. Der trauernde College-Student, den ich damals kannte, wurde zu einem bulligen Biker mit einer Härte, die seinen Ausdruck verdunkelt. Und doch nehme ich ihn wahr wie einen Regenbogen, der Farbe in meine tristen, einsamen Tage bringt. Ich wollte ihn auf Distanz halten, aber die Chemie zwischen uns lässt dies nicht zu. Alles wird immer unklarer - das Einzige, was ich mit Sicherheit weiß, ist, wie sehr ich Blane in meinem Leben haben möchte. Teil 5 der spannungsgeladenen Reihe rund um den Chaos Chasers Motorcycle Club.

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C.M. Marin

The Chaos Chasers MC Teil 5: Blane

Aus dem Amerikanischen ins Deutsche übertragen von Svenja Ohlsen

© 2021 by C.M. Marin unter dem Originaltitel „Blane (The Chaos Chasers MC Book 5)“

© 2023 der deutschsprachigen Ausgabe und Übersetzung by Plaisir d’Amour Verlag, D-64678 Lindenfels

www.plaisirdamour.de

[email protected]

© Covergestaltung: Sabrina Dahlenburg

(www.art-for-your-book.de)

ISBN Print: 978-3-86495-608-9

ISBN eBook: 978-3-86495-609-6

Alle Rechte vorbehalten. Dieses Buch oder Ausschnitte davon dürfen ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung des Herausgebers nicht vervielfältigt oder in irgendeiner Weise verwendet werden, außer für kurze Zitate in einer Buchbesprechung.

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Epilog

Autorin

Prolog

Blane

Gegenwart

Vor sechseinhalb Jahren beschloss ich, einen anderen Weg einzuschlagen als den, den ich mir immer vorgestellt hatte. Bevor ich dem Club beitrat, bestand mein Leben aus zwei Dingen: einem Angestelltenjob, der mich den ganzen Tag an einen Schreibtischstuhl fesselte und mir nicht das geringste Gefühl der Erfüllung vermittelte, und Trauer. Beides war erdrückend, aber die Trauer war bei weitem überwältigender als die Arbeit.

Seit einem Jahr fehlte etwas in meinem Leben. Es hatte eine spürbare Wunde in mir hinterlassen. Tief und klaffend. In meiner Brust herrschte eine solche Leere, dass selbst der Versuch, sie zu ignorieren, aussichtslos war. Bis ich in meinen Brüdern eine neue Familie fand. Diese Leere wird nie ganz gefüllt werden, aber sie ist im Laufe der Jahre erheblich zurückgegangen.

***

Vor sechseinhalb Jahren

Ich bin am Ersticken.

Kaum sind meine Schlüssel und die heutige Post auf der glatten Anrichte neben der Eingangstür meiner Wohnung gelandet, fällt mir das Atmen schwer. Es ist das gleiche Gefühl, das ich habe, wenn ich jeden Morgen hinter meinem Schreibtisch sitze.

In den letzten sechs Wochen habe ich für eine Sicherheitsfirma gearbeitet. Mein Chef hat sich lautstark über meine großartigen Fähigkeiten ausgelassen, und die Mitarbeiter dort waren sehr freundlich, aber es fühlt sich alles einfach nur öde an. Einfach alles. Angefangen bei den langweiligen Aufgaben, mit denen ich betraut bin, bis hin zu der verdammten Krawatte, die ich allabendlich lockern muss, bevor ich es überhaupt zu meinem Auto schaffe.

Aber im Grunde ist der Job nicht das Problem. Ich neige dieser Tage dazu, viele Dinge zu verabscheuen. Ich verachte sogar diese verdammte Anrichte, neben der ich immer noch stehe. Weiß und makellos, so wie es meinen Eltern gefallen würde, wenn sie jemals die Zeit fänden, mich zu besuchen. Aber wenn man bedenkt, dass sie diese Möglichkeit während meiner vier Jahre auf dem College nicht ein einziges Mal in Erwägung gezogen haben, bezweifle ich, dass sie es jetzt tun werden, da ich meinen Abschluss gemacht habe und offiziell in die Welt der Erwachsenen geworfen wurde. Meine Eltern und ich standen uns nie nahe, aber ich frage mich, wann wir uns völlig fremd geworden sind. Als ich nach Texas zog? Als ich in die Highschool kam? Oder sogar schon vorher? Das ist schwer zu sagen. Ich weiß nur, dass sie schon lange kein Teil meines Lebens mehr sind. Als Lionel vor etwas mehr als einem Jahr starb, wurde ihre Abwesenheit noch deutlicher spürbar. Ich nehme an, ich sollte um sie trauern, so wie ich um Lionel und die Pläne, die wir für die Zukunft hatten, trauere. Der Gedanke, das Unternehmen, das wir zusammen aufbauen wollten, allein zu führen, schoss mir nach dem Abschluss des Studiums nur kurz durch den Kopf. Es hatte einfach nicht mehr den gleichen Reiz. Geld war kein Thema, aber die Motivation schon. Motivation scheint in letzter Zeit immer das Problem zu sein.

Als ich in mein Zimmer gehe, habe ich bereits meine Krawatte abgenommen und die Knöpfe meines gestärkten weißen Hemdes geöffnet, bevor ich überhaupt dort ankomme. Als Nächstes entledige ich mich meiner schwarzen Hose, die ich in den Wäschekorb in der Ecke meines Badezimmers werfe, und dann steige ich unter die Dusche, um mir den faden Tag von der Haut zu waschen. Danach halte ich mich nicht lange auf und schlüpfe in weniger als fünf Minuten in eine bequeme, dunkle Jeans und ein weißes T-Shirt. In noch kürzerer Zeit habe ich meine Lederjacke auf dem Rücken und mache mich auf den Weg zum Tiefgaragendeck, wo mein Motorrad auf mich wartet.

Mein Bike ist der einzige Ort, an dem ich in letzter Zeit richtig durchatmen kann, und das, obwohl meine Gedanken immer wieder abschweifen. Jedes Mal, wenn ich unterwegs bin, überkommen mich die Erinnerungen an die wenigen Fahrten mit Lana auf dem Rücksitz meines Motorrads. Ich kann nichts für den Mist, der mir durch den Kopf geht. Vielleicht liegt es daran, weil das Einzige, was noch besser ist, als auf meinem Bike zu sitzen, das Fahren mit ihr ist. Lana und ich waren nie mehr als Freunde, aber als sie vor ein paar Monaten aus heiterem Himmel aus meinem Leben verschwand, war das ein harter Schlag, den ich nicht hatte kommen sehen.

Lana war etwas Besonderes. Sie trat in mein Leben, als ich in meinem Kummer ertrank, und ihr strahlendes Lächeln und ihre sanften grünen Augen hatten die Kraft, die Kälte meines Herzens zu erwärmen. Ihre Freundschaft bedeutete mehr, als sie je wissen wird, denn jetzt kann ich es ihr nicht mehr sagen. Nach ein paar Monaten und Fahrten verschwand sie und nahm unsere Freundschaft mit sich.

Das war kurz nach meinem Abschluss. Eine Zeit lang hielt mich die Sorge nachts wach. Sie schrieb keine SMS mehr, und wenn ich versuchte, sie anzurufen, ging direkt die Mailbox an. Es ist jetzt ein paar Monate her, dass sie buchstäblich verschwunden ist. Manchmal mache ich mir immer noch Sorgen, aber nur so lange, bis ich mich daran erinnere, dass sie ihren Job in dem Café in der Nähe des Colleges gekündigt hat und dass ich zu ihrem Haus gegangen bin, um festzustellen, dass sie es verkauft hat. Sie ist weitergezogen; so sieht es aus. Und ich schätze, so spielt das Leben, oder? Man trifft Leute, lernt sie kennen, hängt eine Weile mit ihnen ab, und dann verliert man den Kontakt. Ist das Ende des Studiums nicht die beste Zeit dafür? Obwohl ich derjenige bin, der das College beendet hat, nicht sie. Aber das spielt keine Rolle. Das Wichtigste ist, dass sie weitergezogen ist. Zumindest glaube ich das lieber als die Alternative. Vielleicht war Lana nicht die, die sie vorgab zu sein. Vielleicht hat sie ein Spiel gespielt. Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass Menschen manchmal nicht die sind, die sie vorgeben zu sein. Ich weiß aber, dass das unwahrscheinlich ist. Sie hat nie etwas von mir verlangt. Sie hat nie etwas von mir genommen. Aber die Wahrheit ist, was wissen wir schon über Menschen? Nicht das Geringste.

Trotzdem, das Gefühl, Lana zu verlieren, ist beschissen. Es tut verdammt weh. Als Mann darf ich das nicht laut sagen, und schon gar nicht über einen Freund. Als Lionel starb, sagte sogar meine eigene Mutter, dass es ja nicht so sei, als hätte ich meine Frau verloren. Andererseits war meine Mutter schon immer unsensibel. Vielleicht hat sie nie gewusst, was eine echte Freundschaft bedeutet, oder vielleicht war sie immer so egozentrisch, dass sie nie gemerkt hat, dass Lionel und ich eher wie Brüder waren. Ich weiß es nicht. Es ist mir auch egal. Lionel war mein Bruder, und ohne ihn durch das Leben zu gehen, ist verdammt trostlos.

Die späte Julisonne strahlt auf mich herab und erhellt die friedliche Landschaft vor mir. Frieden. Das ist alles, was ich in diesen Tagen wirklich will. Wenn eine Fahrt mich zu einem neuen Lebenssinn führen könnte, würde ich das gerne annehmen. Wenn ich an Schicksal glauben würde, würde ich beten, dass am blauen Horizont ein Zeichen auftaucht. Etwas, das mir den Weg zeigen würde, den ich jetzt gehen soll. Denn der, auf dem ich mich gerade befinde, ist sicher nicht der richtige.

Aber es gibt nirgendwo ein Zeichen, und meine unsinnigen Gedanken werden von einem plötzlichen Geräusch unterbrochen, das von meinem Bike herrührt. Mein Gehirn konzentriert sich nun darauf, und ich fluche in meinen Helm, denn dieses unbekannte, tickende Geräusch stand heute Abend nicht auf meinem verdammten Plan.

Mist.

Hoffentlich gibt es keinen Unfall, aber da ich mich mit Motorrädern nur wenig auskenne, würde ich mein Leben nicht darauf verwetten. Die beste Idee ist, umzudrehen und nach Hause zu fahren. Das Motorrad kann morgen im Parkhaus stehen bleiben, und dann kann ich gleich am Samstagmorgen eine Werkstatt suchen.

Na toll.

Ich werde langsamer und will umkehren, als mir in der Ferne ein kleines Gebäude ins Auge fällt. Ich kann nicht viel erkennen, aber die Autos und Motorräder, die in dem eingezäunten Bereich hinter dem Gebäude stehen, deuten darauf hin, dass ich das Glück habe, genau zum richtigen Zeitpunkt auf eine Werkstatt zu stoßen.

Wenigstens etwas scheint gut für mich zu laufen.

Als ich näher an den Ort herankomme, bestätigt sich das, und ich parke, ohne zu zögern, vor dem Garagenplatz. Ein Mann, der Ende sechzig zu sein scheint, ist gerade dabei, ein Eisengitter herunterzuziehen. Seine Bewegungen erstarren, und er lässt das Gitter wieder hochfahren, bevor er auf mich zugeht.

„Was führt dich hierher, Junge?“, ruft er, nachdem ich das Motorrad abgestellt und meinen Helm abgenommen habe. „Das Geräusch, das ich gerade gehört habe?“

„Ja, Sir. Tut mir leid, ich wollte Sie nicht vom Feierabend abhalten.“

„Kein Problem.“ Er deutet mit dem Kinn auf mein Motorrad. „Könnten die Zündkerzen oder die Ventile sein. Wann hast du das letzte Mal das Öl gewechselt?“

„Vor ein paar Wochen.“

Er brummt. „Wann hat das Geräusch angefangen?“

„Gerade vor einer Minute, um genau zu sein. Ich wollte schon umkehren und nach Hause fahren, als ich Ihr Gebäude sah.“

Er nickt. „Willst du sie hierlassen, damit ich morgen einen Blick darauf werfen kann? In welche Werkstatt gehst du normalerweise?“

„Ich bin vor kurzem beruflich ein paar Städte weiter gezogen und habe noch nicht nach einer gesucht. Wenn es Ihnen recht ist, lasse ich sie hier stehen.“

„Kein Problem.“

Er zeigt mir den Weg, und ich schiebe meine Maschine hinein, folge seinen Anweisungen und stelle sie neben eine aufgebockte weiße Limousine.

„Perfekt. Warte kurz“, fordert er mich auf, und nachdem er für ein paar Sekunden hinter einer Glastür verschwindet, durch die ich einen Blick in ein Büro werfen kann, ist er wieder da.

„Hier“, reicht er mir eine Visitenkarte. „Ich habe meinen Namen auf die Rückseite geschrieben. Ruf mich morgen um die Mittagszeit an. Ich glaube nicht, dass es etwas Ernstes ist, aber wenn es größerer Arbeiten bedarf, warte ich, bis du mir grünes Licht gibst, bevor ich es repariere.“

„Klingt gut. Ich rufe mir ein Taxi und störe Sie nicht weiter. Danke“, erwidere ich und reiche ihm meine Hand.

Er nimmt sie mit einer festen Geste, während er spricht. „Mach dir keine Mühe mit dem Taxi. Ich fahre dich. Ich wollte sowieso gerade los.“

Er verlässt die Garage, ohne zu warten, dass ich zustimme oder widerspreche.

„Also, danke. Ich weiß das zu schätzen“, sage ich und folge ihm nach draußen.

Sobald die eiserne Front heruntergelassen ist und er den Alarm eingestellt hat, zeigt er mir einen roten Pick-up, der auf einem kleinen Parkplatz neben der Garage steht, und wir steigen ein.

„Wie lange fährst du schon?“, fragt er mich, während er den Rückwärtsgang einlegt und losfährt.

„Dein Motorrad scheint in einem guten Zustand zu sein.“

„Ich habe es vor etwa einem Jahr gekauft, aber bevor ich meinen Abschluss gemacht habe, war es nicht leicht, an den Wochenenden mehr als ein paar Stunden zu fahren. Es ist nicht mehr ganz neu, also muss ich sicher irgendwann etwas daran machen. Bevor ich wegen meines Jobs hierhergezogen bin, habe ich es für gelegentliche Reparaturen in eine Werkstatt in Austin gebracht.“

„Gut. Diese Schmuckstücke brauchen gute Pflege. Was für ein Job hat dich hierhergeführt?“, fragt er, offenbar in der Stimmung für Smalltalk.

Ich bin eigentlich nie in der Stimmung für Smalltalk, aber da der Mann die Schließung seines Geschäfts für mich aufgeschoben hat und mich nach Hause fährt, ist das Mindeste, was ich tun kann, es zu ertragen.

„Ich arbeite für eine Sicherheitsfirma. Ich bin in deren IT-Abteilung.“

Er reißt seinen Blick kurz von der Straße los und sieht mich an, bevor er nickt. „IT, hm? Klingt nach einem tollen Job.“

Nicht im Geringsten.

„Ich habe schon immer gerne mit meinem Computer herumgespielt. Aber ich hatte nie vor, so einen Job zu machen. Na ja, jedenfalls nicht als etwas anderes als der Chef. Obwohl es mehr Spaß gemacht hat, sich mit meinem besten Freund in Social-Media-Konten zu hacken und harmlosen Scheiß zu posten“, kichere ich und erinnere mich an Lionels und meine Teenagerzeit.

Sein Lachen dröhnt durch den Pick-up, ich schaue ihn an und sehe, wie sich die Falten um seine grauen Augen verziehen.

„Ist der Job so schlecht?“, kichert er und zeigt mir, dass er die Bitterkeit in meinem Tonfall erkannt hat.

Da mir nichts mehr einfällt, schweige ich, und eine Stille, an die ich inzwischen gewöhnt bin, erfüllt das Auto.

Lange Zeit nach Lionels Tod war mir die Stille recht. Ich wollte lieber gar nichts hören als etwas, das keiner seiner Scherze war. Dann änderte sich das langsam. Die Stille wurde quälend. Da lernte ich Lana kennen. Sie war ein Hauch frischer Luft. Süß trotz der Erinnerungen, die sie verfolgten, und freundlich trotz der Verluste, die sie erlitten hatte. Jetzt kann ich die Stille nicht einmal mehr definieren. Sie ist nicht so quälend wie vor ihr, aber ich empfinde sie auch nicht als angenehm.

Der Mann, dessen Namen ich nicht kenne, durchbricht die Stille, um mich nach dem Weg zu fragen, und wir halten bald vor meinem Haus.

„Ich warte auf deinen Anruf“, sagt er mir. „Und falls du jemals daran denkst, das Ruder herumzureißen, wir brauchen ein paar IT-Spezialisten und Mechaniker.“

Mit der Hand an der Türklinke halte ich inne und schaue ihn an, überrascht von seinem Angebot.

„Ich bin mir nicht sicher, welche IT-Kenntnisse eine Reparaturwerkstatt braucht, aber das wäre alles, was ich Ihnen anbieten könnte“, gebe ich zu. „Meine Fähigkeiten als Mechaniker beschränken sich auf Ölwechsel, mehr nicht.“

„Du scheinst mir ein schlauer Kerl zu sein. Ich bin sicher, du kannst Mechanik genauso leicht lernen wie jeder andere. Die IT-Kenntnisse heben wir uns für den Fall auf, dass du mal deinen Nine-to-Five-Job aufgeben willst. Einen schönen Abend noch, Kleiner.“

Ich bin immer noch fassungslos über sein Angebot und brauche eine Sekunde, um zu nicken.

„Danke für die Fahrt. Das weiß ich zu schätzen“, bedanke ich mich.

„Kein Problem“, antwortet er, bevor ich die Tür schließe.

Er fährt weg, während ich in Richtung meines Hauses gehe, immer noch ein bisschen verärgert, dass ich meine Spazierfahrt abbrechen musste.

Widerstrebend betrete ich die Wohnung, die ich nur ungern als meine bezeichne. Nachdem ich meine Jacke von den Schultern geschoben und auf den Küchentisch gelegt habe, nehme ich die Visitenkarte aus meiner Tasche. Mein Blick fällt auf die Telefonnummer der Garage, aber was meine Aufmerksamkeit erregt, ist das, was der Mann auf die Rückseite der Karte gekritzelt hat.

Isaac Vales. Präsident des Chaos Chasers MC.

Der Chaos Chasers MC. Ein Biker-Club.

Die Sekunden vergehen, während die Worte in unordentlicher Handschrift zu mir zurückstarren. Damit habe ich definitiv nicht gerechnet. Wollte er, dass ich in sein Geschäft oder in seinen Club einsteige? Beides? Es ist ein seltsames Gefühl, so etwas angeboten zu bekommen, aber noch seltsamer ist, dass ich hier stehe und darüber nachdenke, wie es wohl wäre, meine Tage in einer Werkstatt zu verbringen. Es wäre eine drastische Veränderung, das ist verdammt sicher. Aber vielleicht ist das eine Überlegung wert. Vielleicht ist es das Zeichen, auf das ich gehofft habe.

***

Ich habe das nicht geplant, aber in den letzten Tagen hat diese Leere wieder mehr Platz in meiner Brust eingenommen. In den letzten paar Wochen sogar schon. Ein weiteres fehlendes Stück hat ein weiteres Loch gerissen. Vielleicht nicht ganz so groß, aber ebenso unüberwindbar. Die Leere ist unverkennbar, selbst jetzt, wo meine Brüder und ich alle im Club abhängen, etwas trinken und im Grunde nur chillen.

Irgendetwas fehlt.

Irgendjemand fehlt.

Lana.

Nachdem sie vor all den Jahren aus meinem Leben verschwunden war, kam sie zurück. Sie kam nicht meinetwegen zurück, aber unsere Wege kreuzten sich dennoch. In den letzten anderthalb Jahren war sie in der Nähe, und ich wurde von Gedanken an sie und von Angst um sie heimgesucht. Beides ist seit unserer ersten und einzigen gemeinsamen Nacht zu Beginn des Sommers nur noch schlimmer geworden. Unsere erste Nacht und das letzte Mal, dass ich ihr Gesicht gesehen habe. Wir haben uns SMS geschrieben, aber das war auch schon alles, was wir an Kontakt hatten. Etwa vier verdammte Monate, in denen wir nicht mehr als ein paar Worte hier und da auf dem Bildschirm getippt haben.

Lana konzentriert sich auf die Mission, die der einzige Grund ist, warum sie überhaupt hier in Texas ist, und sie lässt sich durch nichts davon abbringen. Sie musste sich erst aus ihrem eigenen Bett und Haus schleichen, ohne mich an diesem Morgen zu wecken, damit es mir endlich bewusst wurde. Ich wünschte, sie hätte sich nicht zurückgezogen, aber die Wahrheit ist, dass der Club damals seine eigene Scheiße am Laufen hatte. Am selben Tag, an dem Lana mich in ihrem Haus zurückließ, wurde Liam eine Falle gestellt. Es ist eine lange Geschichte, die vor einer Woche endete, aber die Art und Weise, wie sie zu Ende ging, hat mich seither nicht mehr losgelassen.

Liam hätte fast sein Mädchen verloren. Es war so verdammt knapp, dass alles, woran ich jetzt denken kann, ist, dass Lana sich vielleicht jederzeit in noch größerer Gefahr befinden könnte. Sie begibt sich ständig in Gefahr. Freiwillig. Sie bewegt sich auf einem schmalen Grat zwischen Anonymität und Enttarnung. Sie könnte jederzeit erwischt werden, und das hält mich nachts wach. Selbst wenn sie auf eine meiner SMS antwortet und mir damit bestätigt, dass sie am Leben ist, ist die Erleichterung immer nur von kurzer Dauer. Sie könnte eine SMS schreiben und im nächsten Moment verschwunden sein, und ich kann von hier aus nichts dagegen tun. Nicht das Geringste.

Ich habe ihr die Hilfe des Clubs angeboten. Viele Male. Aber sie hat mich genauso oft abblitzen lassen. Kein Mädchen hatte jemals die Macht, mich so zu frustrieren wie sie, aber das mag nur daran liegen, dass es noch nie ein anderes Mädchen gab, das mir so wichtig war, dass es irgendeine Art von Macht über mich gehabt hätte. Doch sie hat diese Wirkung auf mich, das ist verdammt klar. Es geht so weit, dass ich nicht weiß, was mich mehr aufregt: dass sie meine Hilfe ablehnt oder dass ich seit Monaten nicht mehr über die weiche Haut ihres sexy Körpers streichen konnte.

Diese Nacht hat mich seitdem nicht mehr losgelassen. Episch wäre eine Möglichkeit, es zu beschreiben, aber selbst dieses Wort ist nicht stark genug. Noch nie habe ich eine Frau in einer Nacht so oft gefickt, und noch nie habe ich ihr so viele Orgasmen geschenkt. Jedes Mal, wenn sie meinen Namen schrie, während sich die Glückseligkeit über ihre Züge legte, erfüllte mich das mit Ehrfurcht. Sie war atemberaubend. Ich wünschte, ich hätte sie noch tausendmal kommen sehen können, aber Stunden später, als die Sonne aufging, war sie weg. Und jetzt muss ich mich mit dem erdrückenden Gefühl herumschlagen, sie aus meinem Leben verschwinden zu sehen, genau wie sie es vor Jahren schon einmal getan hat. Nur, dass ich dieses Mal weiß, warum sie gegangen ist, und ich weiß jetzt schon, dass die Trauer genauso tief und zerstörerisch sein wird wie die Trauer, die der Verlust von Lionel verursacht hat. Lionel war für mich eher ein Bruder als ein bester Freund, aber Lana … Lana ist nicht nur eine Freundin. Sie ist so viel mehr als das.

„Er schläft.“

Lilly schlendert zu Cody und Melvin hinüber, die mir gegenüber auf der Couch sitzen, und reißt mich aus meinen Gedanken, die sich wieder einmal um Lana drehen. Lilly war vor etwa zwanzig Minuten nach oben gegangen, um Max ins Bett zu bringen. Offenbar werden sie alle die Nacht hier verbringen.

„Danke, Lilly“, sagt Melvin zu ihr.

Sie lächelt ihn an. „Das ist kein Problem. Du weißt, dass ich gerne Zeit mit ihm verbringe.“

Lilly ist Codys Frau. Sie sind vor etwa einem Jahr wieder zusammengekommen, nachdem sie fünfundzwanzig Jahre getrennt waren. Auch das ist eine lange Geschichte, aber zum Teufel, fünfundzwanzig verdammte Jahre. Und wenn man den Blick in Codys Augen sieht, wenn er sie anschaut, ist es offensichtlich, dass der Mann nie über sie hinweggekommen ist. Sein Leben ohne sie fortzuführen, muss die Hölle gewesen sein, aber seltsamerweise gibt es mir Hoffnung in der Brust. Vielleicht gibt es auch für mich und Lana noch Hoffnung. Dass wir mehr haben als diese Fernfreundschaft, wenn man das überhaupt so nennen kann.

Was sind wir denn? Ich bin mir nicht sicher. Wir sind Freunde, ja, aber unsere gemeinsame Nacht hat in mir eine Unruhe hinterlassen. Ich brauche sie. Körperlich. Ich muss sie berühren. Ich brauche ihre Freundschaft und ihre Nähe. Ich brauche alles. Alles von ihr. Ich will, dass sie sich wie die Göttin fühlt, die sie unter meiner Berührung geworden ist, und ich will Glück in ihre Augen und ein Lächeln auf ihre Lippen zaubern. Ich will sie bei mir haben. Tag und Nacht. Aber dafür muss ich erst einen Weg finden, sie zu überzeugen, die Hilfe anzunehmen, die ich ihr anbiete. Damit sie aufhört, das zu machen, was sie gerade allein durchzieht.

„Wie kommt es, dass die letzten beiden Singles hier wie faule alte Männer an einem Samstagabend auf der Couch liegen?“

Ben lässt sich auf die gegenüberliegende Seite meiner Couch fallen und ist wie immer gut gelaunt, als er mich und Melvin anspricht.

Ich sage es ihm nicht, aber wenn ich sehe, wie Colleen sich so leicht an ihn lehnt, während er sie auf seinen Schoß zieht, ist das der Grund, warum ich nicht in irgendeiner Bar bin und irgendein Mädchen aufreiße, das bereit ist, die Beine für einen Biker zu spreizen. Seit ich dem Club beigetreten bin, habe ich nie daran gedacht, sesshaft zu werden, und die Mädchen, die ich gefickt habe, waren immer nur eine Möglichkeit, einen warmen Körper an meinem zu spüren. Eine warme Pussy um meinen Schwanz. Sie waren ein Mittel zum Zweck. Das Vergnügen des Körperlichen, aber immer frei von Gefühlen. Und das war für mich in Ordnung. Ich habe nie mehr gebraucht. Nicht, bevor Lana sich mir hingab. Monate später ist sie immer noch alles, wonach ich mich sehne. Die Aussicht, jemand anderen zu schmecken, hat nicht den geringsten Reiz für mich. Der einzige Körper, den ich berühren und küssen möchte, ist Lanas. Die einzigen Lustschreie, in denen ich mich verlieren möchte, sind ihre. Sie ist die Einzige, die ich jetzt noch ficken will, aber je mehr ich meine Brüder beobachte, wie sie mit ihren Frauen kuscheln und sich an sie schmiegen, wenn sie in der Nähe sind, desto mehr will ich das auch mit Lana. Ich will mit ihr auf der Couch chillen, anstatt irgendeinem Mädchen hinterherzujagen, das ich ficken will, und ich will mit ihr zusammen auf Spritztour gehen, wie ich es ihr eines Tages versprochen habe. Ich will eine Menge Dinge, die ich bisher nicht hatte.

„Ich habe keine Lust auszugehen“, murmelt Melvin knapp, wobei sein Blick allen ausweicht.

Wenn der Junge nicht vorsichtiger ist, werden ihn alle durchschauen, so wie ich es getan habe. Melvin ist ein wahrer Hüne, der jemanden mit bloßen Händen umbringen könnte, und er hat eine außergewöhnliche Selbstbeherrschung in den kritischsten Situationen, aber sein Pokerface ist beschissen. Und das umso mehr, wenn es um ein bestimmtes Mädchen geht. Wenn er nicht eines Tages von einem gewissen Bruder verprügelt werden will, muss er so schnell wie möglich daran arbeiten. Aus ganz anderen Gründen als ich, will auch Melvin etwas, das er nicht haben kann.

„Was ist mit dir?“, fragt mich Ben, der Melvins Unbehagen entweder nicht bemerkt oder einfach ignoriert. „Alles in Ordnung?“

„Klar. Warum?“ Ich runzle die Stirn und bin mir nicht sicher, warum in seinem ernsten Tonfall eine unterschwellige Besorgnis mitschwingt.

„Weil du so still bist. Zumindest mehr als sonst“, beantwortet Liam die Frage, während er auf uns zugeht.

Überraschenderweise ist er allein. Seit dem ganzen Schlamassel mit Erin vor einer Woche ist er so selten von ihrer Seite gewichen, dass ich schon befürchtet habe, er würde ihr sogar beim Pinkeln zusehen, wenn sie ihn lässt.

„Was er meint, ist, dass du grüblerischer geworden bist“, grinst Ben und beobachtet, wie ich einen Schluck von meinem Bier nehme und die leere Flasche auf den Couchtisch stelle.

Er hat nicht unrecht. Die letzten Monate waren aus mehreren Gründen beschissen, und ich bin mit einer unbeständigen Stimmung durch die Tage getrieben.

„Mir geht es gut“, beteuere ich trotzdem. „Wie geht es Erin?“, frage ich Liam, als er sich einen Stuhl vom nächsten Tisch holt und sich setzt.

Ich wechsle instinktiv das Thema. Meine Brüder wissen, dass ich nicht der Typ bin, der über seine Gefühle redet, also lassen sie es dabei bewenden.

„Sie hat sich gut geschlagen, denke ich. Es war schwer, das alles hinter sich zu lassen, aber sie hat es geschafft. Sie ist wieder bei der Arbeit.“ Wenn man hört, wie er diese letzte Information brummt, ist klar, dass er darüber nicht glücklich ist. „Ich wünschte, sie hätte sich wenigstens ein paar Wochen frei genommen“, fügt er hinzu und bestätigt damit mein Gefühl.

„Sie ist stark. Sie wird schon wieder“, versuche ich ihn zu beruhigen, obwohl ich nicht glaube, dass irgendjemand das erreichen kann. Nur die Zeit wird ihm helfen, lockerer zu werden. Ich stehe auf und klopfe ihm im Vorübergehen fest auf die Schulter. „Die Arbeit hält sie auf Trab. Das könnte helfen.“

„Wenn es darum geht, beschäftigt zu bleiben, braucht sie nur zu fragen. Ich habe ein paar gute Ideen“, sagt er mit einem Grinsen in der Stimme.

Ich muss lachen, als ich zur Bar gehe, um mir einen Drink zu holen.

Erin mag ein schüchternes Mädchen sein, aber sie ist auch stark. Sie hat Liam monatelang beigestanden, obwohl er sich während seines ungerechtfertigten Gefängnisaufenthalts geweigert hat, sie auch nur zu sehen oder mit ihr zu sprechen. Sie hatte eine harte Zeit, aber sie hat nie aufgegeben. Sie wird es schaffen.

Ich gieße mir einen Whiskey ein und kann nicht verhindern, dass mir wieder Gedanken an Lana durch den Kopf geistern. Noch nie hatte ich so sehr das Gefühl, einen Gedanken unbedingt fortführen zu wollen und gleichzeitig Abstand gewinnen zu müssen, damit ich eine verdammte Minute lang durchatmen kann. Aber an Lana zu denken, bewirkt genau das bei mir. Die Erinnerung an ihre Augen, die mich ansehen, die Erinnerung an ihren exotischen Duft, an das Gefühl ihrer Haut unter meinen Fingern, das sind Erinnerungen, die ich immer wieder in meinem Kopf abspielen und von denen ich mich gleichzeitig losreißen möchte.

„Schenkst du mir einen ein?“

Ich sehe auf, während der große Schluck Alkohol, den ich genommen habe, meine Kehle hinunterläuft, quittiere Jayces Frage mit einem Nicken und hole ihm ein Glas.

„Geht’s dir gut?“, fragt er mich, sobald er auf einem Hocker mir gegenübersitzt.

Ich ziehe eine Augenbraue hoch und stelle sein Glas vor ihn hin.

„Denken alle, ich sei selbstmordgefährdet? Warum so besorgt?“

Er zuckt mit einer Schulter, seine grauen Augen sind auf mich gerichtet.

„Du scheinst in letzter Zeit nicht gut drauf zu sein. Machst du dir immer noch Vorwürfe wegen Liams Zeit im Gefängnis?“

Unser Präsident ist keiner, der um den heißen Brei herumredet, und er hat auch nicht ganz unrecht. Liam hat Monate im Gefängnis verbracht für etwas, das er nicht getan hat, und wenn ich den Richter, der den Haftbefehl gegen ihn unterschrieben hat, genauer untersucht hätte, wäre er nicht einmal eine Woche hinter Gittern gewesen. Aber jetzt, wo er wieder zu Hause und in Sicherheit ist, nagt dieser Fehler nicht mehr so sehr an mir, wie zuvor.

„Ich glaube, ich hadere immer noch damit, aber das ist nicht der Grund, warum ich in letzter Zeit so abwesend bin“, sage ich ihm. „Erinnerst du dich an Lana?“

Ein paar Wochen vor unserer gemeinsamen Nacht hat Lana dem Club den Rücken gestärkt, als es um die Spiders ging, also weiß ich, dass er sich an sie erinnert.

Erstaunen durchfährt seine Augen, denn er hat offensichtlich nicht erwartet, dass das Gespräch auf sie kommen würde. „Ja, natürlich. Ist sie in Schwierigkeiten?“

„In diesem Moment, verdammt, wenn ich das wüsste.“ Ich seufze, Frustration fließt schnell durch meine Adern. „Wenn sie es nicht ist, ist es nur eine Frage der Zeit, bis es so weit sein wird. Sie versucht, einen ehemaligen Klienten ihres Vaters, der sein Buchhalter war, für den Mord an ihrer Familie zur Strecke zu bringen, und …“

Ich seufze erneut und erzähle, was ich weiß, was nicht viel ist. Ich weiß, was Lana auf diesen Weg geführt hat, aber nicht viel darüber, was genau sie getan hat, um die Rache zu bekommen, nach der sie sich sehnt. Ich weiß, wo sie gearbeitet hat, weil sie es mir gesagt hat, aber ich habe immer noch keine Ahnung, wen sie unbedingt zur Strecke bringen will.

„Es gibt nicht viel, was ich weiß“, gebe ich schließlich zu. „Aber wen auch immer sie im Visier hat, er scheint tief in den Drogenhandel verstrickt zu sein. Möglicherweise auch in andere Machenschaften wie Menschenhandel. Und es sind auch Politiker beteiligt, die bis auf die Knochen korrupt sind. Wenn man all diese Drecksäcke ausspioniert …“

Ich schüttle den Kopf. „Sie ist nicht hilflos. Sie hat sich auf das, was sie tut, vorbereitet, aber sie wird leichtsinnig. Ich glaube, sie hat den Überblick verloren, und sie wird sich in große Schwierigkeiten bringen, wenn sie sich nicht selbst eine Grenze setzt. Vor allem, weil sie niemanden hat, der ihr den Rücken stärkt. Sie hat meine Hilfe schon mehrmals abgelehnt. Ich fürchte, sie wird schon bald nicht mehr Herrin ihrer Lage sein. Sie geht schon jetzt Risiken ein, und sie wird noch mehr Gefahren eingehen, wenn sich die Dinge nicht schnell genug entwickeln. Wie ich schon sagte, sie weiß, was sie tut, aber …“

„Das spielt keine Rolle, wenn man sich mit solchen Leuten anlegt. Und verdammt, ich mache mir fast mehr Sorgen wegen der Politiker als wegen der anderen Kriminellen. Diese Männer haben verdammt noch mal zu viel zu verlieren.“

Er hat recht. Politiker sind mächtig. Sogar noch mächtiger als jeder Menschenhändler, egal wie groß ihr Einflussbereich ist.

„Sie will also nicht mehr nur den Kerl von der Bildfläche verschwinden lassen, weil er ihre Familie umgebracht hat, weil er versucht hat, sie zu töten, und weil sie ihr Leben zurückhaben will, ohne sich zu verstecken, sondern sie will jeden Abschaum, dem sie über den Weg läuft, zur Strecke bringen?“

„Das bringt es auf den Punkt. Das denke ich jedenfalls, denn sie erzählt mir nichts. Ich habe im letzten Jahr versucht, sie dazu zu bringen, meine Hilfe anzunehmen, aber sie will verdammt noch mal nicht nachgeben.“

„Unsere Hilfe“, verdeutlicht er. „Versuch noch einmal mit ihr zu reden. Sag ihr, dass wir miteinander gesprochen haben. Wir werden einen Weg finden, das in Ordnung zu bringen. Und in der Zwischenzeit können wir ein Auge auf sie werfen.“

„Ich kann es versuchen, aber wenn sie mich nicht einbeziehen will, um mich nicht zu gefährden, wird sie auch den Club nicht involvieren wollen.“

„Mutig und selbstlos“, nickt er, wobei sich seine Lippen nur zu einem halben Lächeln verziehen.

„Langsam glaube ich, dass das Synonyme für dumm sind“, murmle ich, bevor ich an meinem Whiskey nippe.

„Hast du versucht, herauszufinden, wer der Typ ist, hinter dem sie her ist?“

„Ich habe ihr versprochen, dass ich ihr das überlasse, aber ich glaube, ich kann keine Versprechen mehr halten, wenn sie diesen Weg einschlagen will. Sie arbeitet in einem Country Club, etwa fünfundvierzig Minuten entfernt, und ich weiß, dass sie dort angestellt ist, weil der Typ Mitglied ist. Der Club hat Hunderte Mitglieder, aber vielleicht finde ich ihn, indem ich die Mitgliederliste mit den ehemaligen Kunden ihres Vaters abgleiche. Aber was würde es letztlich ändern, wenn sie mir nicht mitteilt, was sie herausgefunden hat? Was sie weiß, ist nichts, was ich durch das Hacken von ein paar Computern erfahren könnte.“

„Nicht einmal ihren Computer?“

„Wie ich schon sagte, sie ist gut in dem, was sie tut. Sie hat nichts auf ihrem Computer gespeichert.“

Er nickt. „Wenn du den Kerl findest, können wir damit anfangen, ihn im Auge zu behalten. Es ist nicht viel, aber besser als nichts.“

„Richtig. Ich werde es versuchen. Ich kann sowieso nicht ständig nichts tun“, gebe ich murmelnd zu, bevor ich den letzten Schluck meines Drinks nehme.

„Läuft da etwas zwischen euch beiden?“, fragt er ganz unvermittelt.

Ich überlege, ob ich darauf antworten soll, aber schließlich stöhne ich. „Das weiß ich auch nicht, verdammt. Sie ist seit über einem Jahr zurück, aber es fühlt sich an, als wäre der Zeitpunkt nie richtig. Die Scheiße mit den Spiders, CJ, Liam … Und jetzt wird ihre Mission zu einer echten Obsession. Das Timing ist beschissen. Es fühlt sich an, als hätten wir seit über einem Jahr keine Pause mehr gehabt.“

„Mach dein eigenes Timing“, sagt er. „Dein Terminkalender ist in diesen Tagen recht übersichtlich, und verdammt, ich hoffe, wir können uns eine kleine Atempause gönnen. Wir haben es uns verdient“, gluckst er.

„Das stimmt. Aber es ist nicht …“ Ich fahre mir mit der Hand über das Gesicht. „Es ist nicht nur das. Ich glaube wirklich, dass ihr Mut eher zu Leichtsinn geworden ist. Es fühlt sich an, als könnte sie in einem verdammten Wimpernschlag verloren sein“, gebe ich laut zu, was ich nicht einmal mir selbst einzugestehen wage.

„Und für den Fall, dass das passiert, willst du ihr nicht zu nahekommen“, stellt er fest und versteht, was in meinem Kopf vorgeht.

Ohne seine Worte zu beachten, sage ich: „Es ist sowieso egal. Sie hält mich auf Distanz.“

„Distanz kann man brechen“, sagt er und kippt einen Schluck seines Schnapses hinunter.

„So einfach, hm?“

„Für mich war es nicht einfach, auch wenn die Situation mit Alex eine andere war. Aber wenn niemand den ersten Schritt macht, wird sich nichts ändern. Und wenn sie schon so weit ist, dass sie die Gefahr um sich herum nicht mehr erkennen kann, dann ist sie nicht diejenige, die die Initiative ergreifen wird.“

Nein, das wird sie nicht. Und ich werde nicht in der Lage sein, mich von ihr fernzuhalten.

Als ich einen Blick über Jayces Schulter werfe und sehe, wie meine Familie zusammen abhängt, wünsche ich mir nichts sehnlicher, als dass sie hier wäre. Aber vor allem würde ich alles dafür geben, dass sie auch hier bei mir sein möchte.

„Ich werde mit ihr reden“, erkläre ich und stelle mein leeres Glas auf den Boden des Spülbeckens.

„Jetzt?“

Kapitel 1

Lana

Vor fünfzehn Monaten

Mit ein paar Mausklicks schließe ich alle Seiten, die den ganzen Tag über auf dem Bildschirm vor mir geöffnet geblieben sind, und schalte den Computer aus. Nachdem ich geduldig gewartet habe, bis der Bildschirm schwarz wird, stemme ich mich aus meinem bequemen Ledersessel.

Wie immer habe ich mich kaum gerührt, bis Desmond zu meiner Linken aus dem Sprechzimmer tritt. Ich brauche meinen Blick nicht auf die Uhr an der Wand des Wartezimmers zu richten, um zu wissen, dass es Punkt neunzehn Uhr ist. In all den etwa fünf Jahren, in denen ich Desmond kenne und für ihn als Empfangsdame in seiner Tierklinik gearbeitet habe, hätte man jeden Tag die Uhr nach ihm stellen können. Heute Abend ist nur eine Sache anders. Anstatt mir ein Lächeln zu schenken und mir einen guten Abend zu wünschen, bevor er in den hinteren Teil der Klinik geht, um nach unseren pelzigen Mitbewohnern zu sehen, schlendert er auf den Empfangstresen zu, während ich ihm entgegenkomme.

Als wir voreinander stehen, streckt er seine großen Hände nach meinen Schultern aus und umschließt sie fest.

„Gibt es wirklich nichts, was ich sagen könnte, damit du deine Entscheidung noch einmal überdenkst und hierbleibst?“

In seinen dunkelbraunen Augen, die von leichten Krähenfüßen umgeben sind, stehen Besorgnis und Zuneigung gleichermaßen. Desmond ist Anfang fünfzig, aber wenn man von den wenigen Falten und den Silbersträhnen in seinem dunklen, kurzen Haar absieht, könnte man meinen, er sei zehn Jahre jünger.

„Es ist an der Zeit, dass ich nach Hause zurückkehre“, sage ich ihm mit ebenso viel Bedauern wie Entschlossenheit. „Ich habe es versucht. Das weißt du doch. Ich habe versucht, die Vergangenheit hinter mir zu lassen, aber ich kann sie nicht loslassen. Ich kann es einfach nicht.“

Ein paar Sekunden lang scheint er in Gedanken versunken zu sein, doch dann nickt er. „Vor zwanzig Jahren steckte ich in deinen Schuhen. Ein bisschen älter, aber trotzdem. Kaum dreißig Jahre alt, aus der Armee entlassen und ohne einen Ort, den ich mein Zuhause nennen konnte, außer der Heimatstadt, die ich zwölf Jahre zuvor zurückgelassen hatte. Also kam ich hierher. Die beste Entscheidung, die ich je getroffen habe. Aber ich bin nicht mit den gleichen Absichten wie du nach Hause zurückgezogen“, sagt er.

„Ich habe dir bereits gesagt, dass das hier kein Himmelfahrtskommando ist. Ich werde vorsichtig sein, und falls ich in Schwierigkeiten gerate, werde ich bereit sein. Das verdanke ich dir.“ Ich lächle ihn an, obwohl die Luft emotionsgeladen ist.

Desmond war für mich mehr als nur ein Chef. Er war ein Freund. Er war auch ein Mentor, der mir genug Selbstvertrauen gegeben hat, um das, was ich tun muss, durchzuziehen.

„Ich wünschte immer noch, du würdest zurück nach Texas gehen, um die Liebe deines Lebens zu finden. Aber wer weiß, vielleicht wirst du das ja?“ Er hebt eine Augenbraue und lächelt mich an.

Ein Schnauben entfährt mir prompt. „Die Liebe zu finden, ist nicht gerade meine oberste Priorität.“

„Das war es bei mir auch nicht“, kichert er. „Aber ob du nun einen Mann findest oder nicht, melde dich mal bei mir. Ich möchte mindestens einmal im Monat von dir hören, um sicher zu sein, dass es dir gut geht. Verstanden?“

„Verstanden, Boss.“

Er lächelt über den Spitznamen. „Gut. Jetzt geh, und pass gut auf dich auf.“

„Du auch. Ich danke dir, Desmond. Für alles. Und sag Susan, dass ich sie und die Welpen im Tierheim vermissen werde.“

Ihn zu treffen und den angebotenen Job anzunehmen, war der beste Glücksgriff, den ich mir erhoffen konnte, als das Leben mich dazu zwang, nach Montana zu ziehen. Ich verdanke ihm und Susan meine geistige Gesundheit, und dafür werde ich ihnen immer dankbar sein.

Er nickt mir fest zu. „Du kannst mich jederzeit besuchen kommen. Vergiss das nicht. Und ich bin nur einen Telefonanruf entfernt. Jederzeit, aus jedem Grund. Und jetzt verschwinde, bevor ich dich an deinen Stuhl fesseln muss“, scherzt er und zieht mich zu sich heran.

„Danke“, flüstere ich noch einmal, und nach einer kurzen, aber engen Umarmung löst er sich von mir und lächelt mich ein letztes Mal an, bevor er geht.

Das war’s. Dies ist der Anfang vom Ende der fünf Jahre in Montana. Ich muss mich noch um meine Wohnung kümmern, aber in ein paar Tagen werde ich mich auf mein Motorrad setzen, nach Texas fahren und diesen Teil meines Lebens hinter mir lassen. Die Aussicht darauf ist irgendwie traurig. Natürlich weiß ich, warum ich meinen Job gekündigt habe. Ich weiß, warum ich die Stadt verlasse. Und ich weiß, dass die Entscheidung, die ich getroffen habe, die richtige ist. Die einzig mögliche. Ich habe lange und gründlich darüber nachgedacht, und die Rückkehr in das Leben, vor dem ich mich die ganze Zeit versteckt habe, ist die einzige Option für mich. Ich habe versucht, die Vergangenheit loszulassen. Ich habe wirklich probiert, mit ihr fertig zu werden. Obwohl ich aus freien Stücken nach Montana gezogen bin, hatte ich nicht wirklich eine Wahl. Vielleicht kann ich deshalb die Vergangenheit nicht loslassen. Also, ja, ich weiß, dass es richtig ist, nach Texas zurückzugehen. Aber es fällt mir immer noch schwer, nicht in Tränen auszubrechen, als ich meine Handtasche unter dem Schreibtisch hervorhole, an dem ich jahrelang gesessen habe. Oder als ich zum letzten Mal zur Eingangstür gehe. Ich vermeide es, einen Blick zurück in den Warteraum mit seinen makellosen Wänden und den perfekt aufgereihten grauen Stühlen zu werfen. Als ich den vertrauten Tiergeruch wahrnehme, der immer in der Klinik herrscht, muss ich tief durchatmen, um die Emotionen in Schach zu halten.

Als die Eingangstür hinter mir zufällt, atme ich langsam aus und schlucke den Kloß hinunter, der sich in meinem Hals gebildet hat. Erneut erlaube ich mir nicht einmal einen kurzen Blick nach hinten, während ich schnellen Schrittes in Richtung meiner Wohnung gehe. Zum Glück ist der Weg zu meinem Apartment nicht weit.

Als ich zum ersten Mal im Nirgendwo von Montana ankam, wohnte ich in einem Haus am Rande der Stadt. Genau wie der Umzug war auch das Haus nicht meine Wahl. Ich hielt es gerade einmal drei Wochen aus, bevor ich mich entschloss, in eine kleinere Wohnung im Herzen des winzigen Ortszentrums zu ziehen. Wer zum Teufel braucht schon drei Schlafzimmer und ein großes Wohnzimmer, wenn er nicht einmal ein Haustier hat? Nicht einmal Familienmitglieder konnten mich besuchen. Ich habe keine Familie, Punkt. Meine Ein-Zimmer-Wohnung über dem Friseursalon war mehr als genug für mich.

Ich jogge die Treppe hinauf, während ich in meiner Handtasche nach meinen Schlüsseln krame. Als ich die Tür aufschließe und eintrete, bin ich froh, dass ich mich für eine kleine Wohnung entschieden habe. Jetzt, wo die Zeit zum Packen gekommen ist, könnte ich nicht zufriedener sein, dass ich nicht in jeder Ecke eines großen Familienhauses einen Haufen unnützes Zeug angesammelt habe. Obwohl, wenn ich von Packen spreche, sollte ich wohl eher Entrümpeln sagen. Das entspricht eher dem, was ich gerade tue. Jedes Möbelstück, das ich besitze, wird morgen abgeholt und zusammen mit meinen Küchengeräten und dem Großteil meiner Kleidung zur Wohltätigkeitsorganisation Goodwill gebracht. Ich werde ein paar Dinge kaufen, wenn ich wieder in Texas bin. Ich besitze nur eine Sache, die ich nicht zurücklassen kann. Mein Motorrad. Und natürlich würde ein Koffer voller Kleidung und Schuhe nicht darauf passen – nicht, dass ich von beidem viel hätte, aber trotzdem. Ich packe nur das Nötigste ein und fahre mit dem Gefühl der Leichtigkeit und Freiheit los.

Wenn ich nur wirklich frei wäre.

Ich lege meine Tasche auf den Wohnzimmertisch und schaue mich lange in der Wohnung um. Ich fürchte mich vor dem Packen genauso sehr, wie ich mich darauf freue, alles zu erledigen und mich auf den Weg zu machen. Nervosität und Ungeduld liegen mir im Magen, seit ich mich entschlossen habe, wieder in meine Heimat zurückzukehren, das ist also nichts Neues. Es wäre nicht verwunderlich, wenn mich diese gemischten Gefühle bald in eine Nervenheilanstalt bringen, bevor ich mein Leben wieder in den Griff bekomme. Denn genau darum geht es hier. Mein Leben zurückzubekommen. Darauf warte ich nun schon seit über fünf Jahren. Es sollte nicht meine Aufgabe sein, dafür zu sorgen, aber die Leute, die das, was mein Leben ruiniert hat, in Ordnung bringen sollten, haben versagt. Vor drei Monaten schmolzen meine Hoffnungen dahin, und ich stand vor zwei Optionen. Es zu akzeptieren und mir hier in Montana ein neues Leben aufzubauen oder mein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Manchmal denke ich immer noch, dass ein vernünftiger Mensch sich für die erste Option entschieden hätte, also muss ich verrückt sein. Denn obwohl bei mir die Alarmglocken läuteten – und oft noch immer – entschied ich mich für Option Nummer zwei.

Es war sowieso immer die einzig mögliche Entscheidung. Denn egal wie man es betrachtet, ich lebe nicht. Nicht wirklich. Ich warte darauf zu leben. Ich habe Desmond gesagt, dass ich versucht habe, meine Vergangenheit hinter mir zu lassen, und das war die Wahrheit. Aber ich hatte nie eine Chance, es zu schaffen, weil ich es tief im Inneren nie wollte. Ich wollte mein Leben zurück. Und wenn mir niemand helfen kann, dann muss ich mir selbst helfen. Und dafür habe ich einen Plan. Ich habe diese Entscheidung nicht aus einer Laune heraus getroffen. Ich weiß, was ich vorhabe. Ich weiß, dass ich es kann, sonst hätte ich nicht einmal daran gedacht, zurück nach Texas zu gehen. Ich bin bereit. So bereit wie ich es nur sein kann. Na ja, fast. Es gibt noch eine letzte Sache, die ich tun muss, bevor ich die Straßen von Montana verlasse.

Ein Telefonat.

Aber zuerst gibt es Tiefkühllasagne. Ich habe gerade genug Essen für heute Abend und morgen Mittag. Ich habe gestern Abend den Kühlschrank geleert und aufgeräumt. Alles, was übrig ist, ist die Lasagne für heute Abend und eine Pizza für morgen.

Ich nehme die Lasagne aus dem Gefrierschrank und schiebe sie für fünfundzwanzig Minuten in den Ofen. Dann gehe ich zurück ins Wohnzimmer und steuere auf mein bequemes, beigefarbenes Zweisitzer-Sofa zu, während ich mein Handy aus der Tasche hole und die Nummer wähle, die ich vor einer Woche problemlos herausgefunden habe.

Dank Desmonds produktivem Unterricht konnte ich hier an meinen Nahkampftechniken und Schießkünsten arbeiten. Es war harte Arbeit, aber mit den Grundlagen, die ich bereits hatte, und viel Disziplin konnte ich beides gut erlernen. Hoffentlich muss ich nie auf etwas anderes als eine Übungsscheibe oder Glasflaschen schießen, aber sagen wir mal, lieber auf Nummer sicher gehen. Was das Sammeln von öffentlichen und geheimen Informationen über den Mann angeht, der mein Leben ruiniert hat, so war das etwas, das ich leicht selbst tun konnte. Gefälschte Ausweise besorgen? Auch einfach, dank Desmonds Kontakt.

Jetzt fehlen nur noch ein paar Dinge, die ich brauchen werde. Mikrofone, versteckte Kameras und etwas, um Fotos machen zu können, ohne eine riesige Kamera mitzuschleppen oder ein Handy zu benutzen. Erstklassige, diskrete Ausrüstung. Und natürlich kann man heutzutage einen Haufen Leute im Internet finden, die einem das verkaufen wollen, aber ich brauche jemanden, der nicht seine eigene Mutter für ein paar Dollar vor den Bus werfen würde. Ich brauche jemanden, der vertrauenswürdig ist, aber das ist eine Herausforderung für eine Person, die nicht leicht Vertrauen fasst. Ein Gesicht ist mir in den Sinn gekommen, als ich vor drei Monaten darüber nachdachte. Ein alter Freund mit den richtigen Fähigkeiten und jemand, dem ich vertraue. Zumindest konnte ich ihm schon vor Jahren vertrauen, als ich die schwerste Zeit meines Lebens durchmachte. Das war, bevor ich mich in Luft auflösen musste. Hoffentlich kann ich ihm immer noch trauen. Wenn er immer noch so ist wie der junge Mann, den ich kennengelernt habe, bevor ich die Überreste meines Lebens hinter mir lassen musste, dann glaube ich, dass er zumindest versuchen wird mir zu helfen. Aber während ich dem Tuten des Telefons lausche, schießt mir nur eine Frage durch den Kopf:

Kapitel 2

Blane

Es ist gerade mal neunzehn Uhr, aber man könnte meinen, es sei mitten in der Nacht, wenn man meine Brüder und die Mitglieder unserer Arizona-Charter sieht, die sich amüsieren. Einige von ihnen sind noch unterwegs, aber sie sollten bald zur Party stoßen. Aus dem großen Hauptraum dröhnt Musik, während Melvin, unser Prospect, Getränke ausschenkt. Ein paar Stripperinnen sind hier und da zu sehen und unterhalten einige unserer Gäste. Normalerweise wären hier Club-Girls, die sich auf Partys herumtreiben, um sich mit einem Biker zu vergnügen, aber Nate, unser Präsident, hat beschlossen, unsere Türen heute Abend nur für die Stripperinnen zu öffnen, und nur für unsere Stammgäste.

Wir stecken gerade mitten in einem Konflikt mit einem rivalisierenden Club, der ein Auge auf Nates neues Mädchen geworfen hat, also ist es nicht der richtige Zeitpunkt, zu viele Außenstehende einzuladen. Es ist sicherer, das Risiko zu begrenzen, dass jemand mit einer zwielichtigen Absicht hier reinkommt. Und da ich jede Stripperin, die hierher will, gründlich überprüfe, sind das die einzigen Externen, die heute Abend hier sein dürfen. Außerdem hatten wir noch nie irgendwelche Probleme mit den Stripperinnen. Die Mädchen sind hier, weil sie dafür bezahlt werden, unsere Gäste mit ihren Tanzkünsten zu unterhalten. Aber wenn sie ihre Nacht in einem der Betten der Brüder verlängern wollen, wird sie niemand daran hindern.

„Jetzt, da ich mich mit Pizza vollgestopft habe, ist es an der Zeit zu sehen, ob ich die kleine brünette Sofia vernaschen kann“, sinniert Ben von der Couch aus, die rechtwinklig zu der steht, auf der ich sitze. Seine Augen verschlingen bereits das halbnackte Mädchen, das auf dem Couchtisch auf der anderen Seite des Raumes tanzt und zweifellos bereit ist, den freizügigen gelben Rock und den schwarzen Spitzen-BH auszuziehen, die sie trägt.

Er wirft den Rand seiner Pizza in einen leeren Karton, steht auf und nimmt einen Schluck von seinem Bier, während er sich auf den Weg zu seiner Beute macht.

„Viel Glück, Bruder“, gluckst Liam neben mir.

Seine aufmunternden Worte entlocken Ben ein Kichern, während er ihm einen Blick über die Schulter zuwirft: „Du brauchst kein Glück, wenn du Charme hast, Bruder. Sieh einfach zu und lerne.“

„Ja, das werde ich tun“, lacht Liam zurück, gerade als Nate Bens Platz auf der Couch einnimmt. „Bist du allein? Ist sie okay?“, fragt er ihn in Anspielung auf Camryn, Nates Freundin.

Sie sind heute Nachmittag im Einkaufszentrum ein paar Spiders begegnet, aber die Scheißer haben sich ihnen nicht genähert. Sie waren wohl nur da, um Nate wissen zu lassen, dass sie nicht abgehauen sind.

„Ja. Sie wird gleich da sein.“ Er kippt einen Schluck Alkohol runter, bevor er knurrt. „Ich werde nicht zulassen, dass sie sie anfassen.“

Er starrt geradeaus, sodass ich nicht sicher bin, ob er zu uns oder zu sich selbst spricht. Wie auch immer, keiner von uns wird sie in ihre Nähe kommen lassen. Camryn ist ein nettes Mädchen, das in Schwierigkeiten geraten ist. Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass die Spiders sie für ihr Sexgeschäft wollen, weswegen Nate sie wie ein Falke beobachtet. Tag und Nacht, verdammt.

Verfluchte Spiders. Diese Typen sind nichts als mieser Abschaum. In diesen Tagen lebe ich nur für eines: jeden einzelnen von ihnen zur Strecke zu bringen. Diese Arschlöcher gehen uns schon viel zu lange auf die Nerven, aber mein Zorn auf diese schäbigen Bastarde eskalierte, als sie vor einem Jahr unseren ehemaligen Präsidenten und seine beiden Söhne töteten. Jayces Großvater, Vater und Onkel waren nicht mit mir verwandt, aber sie waren meine Familie. Meine Hände werden jedes Mal unruhig, wenn ich mir vorstelle, dass ich im selben Raum mit den Wichsern wäre, die sie ermordet haben. Meine jüngste Fantasie ist es, jede Faser meines Körpers zu nutzen, um jede Zelle, jeden Knochen und jeden Blutstropfen der Spiders von diesem verdammten Planeten zu tilgen. Und es wird mir ein Vergnügen sein, so viel steht fest.

„Sie werden bekommen, was sie verdient haben. In der Zwischenzeit ist sie hier in Sicherheit“, sage ich ihm und gebe mein Bestes, um ihn zu beruhigen, denn er sorgt sich eindeutig um das Mädchen.

Als er das Versprechen, das wir hoffentlich einhalten können, mit einem Nicken quittiert, stehe ich auf und gehe zur Bar.

Melvin ist damit beschäftigt, sich um alle Brüder zu kümmern, die mehr Schnaps brauchen. Ich warte, bis sich sein Blick auf mir niederlässt, um ihm zu sagen: „Schenk mir einen Whiskey ein. Pur.“

Melvin ist ein guter Junge. Er hat vor etwa einem Jahr als Prospect angefangen, nachdem er die Tochter einer meiner Brüder vor einer Gruppenvergewaltigung gerettet hat. Er ist kaum neunzehn, aber seine Statur entspricht der meinen. Und die Gelassenheit und das ruhige Selbstvertrauen, die er ausstrahlt, lassen ihn zehn Jahre älter erscheinen als sein Äußeres.

Ohne ein Wort zu sagen, tut er, worum ich ihn gebeten habe, und in weniger als fünfzehn Sekunden steht ein volles Glas vor mir. Ich bedanke mich mit einem leichten Nicken, als sich eine Hand sanft auf meinen Unterarm legt und ich den Blick von ihm abwende.

Das Lächeln der Frau, die mich anschaut, ist sanft, aber selbstbewusst, genau wie ihre Berührung. Ihr Mund öffnet sich, aber bevor sie den Satz sagen kann, der ihr vorschwebt, neige ich meinen Kopf zur gegenüberliegenden Seite des Raumes, wo die Sofas an der Wand aufgereiht sind. Sie stimmt meiner stillen Bitte zu und folgt mir.

Der Name der Stripperin ist Kira. Sie war außer heute Abend erst ein paar Mal hier, aber da ich sie überprüft habe und mein Gedächtnis mich selten trügt, erinnere ich mich an ihren Namen.

Sobald ich einen freien Platz auf einer Couch gefunden habe und mich dort fallen lasse, schweift mein Blick an ihrem sexy Körper auf und ab. Kiras Kleiderwahl für heute Abend ist ein enges, trägerloses schwarzes Kleid, das sich wie ein Handschuh an jede ihrer Kurven schmiegt. Ich betrachte die Wölbung ihrer Brüste und die Rundungen ihrer Hüften, während ich etwas Alkohol hinunterkippe, und stelle das Glas auf die Armlehne neben mir. Ich lehne mich auf der Couch zurück und warte darauf, dass meine verführerische Begleitung den ersten Schritt macht, und sie vergeudet nicht mehr als ein paar Sekunden, bevor sie sich rittlings auf mich setzt. Ihre Bewegungen führen dazu, dass ihr Kleid an den durchtrainierten Oberschenkeln hochrutscht, während ihre Hüften im Takt der Musik zu schwingen beginnen. Und als sie nach vorne wippen, um meinen Schritt absichtlich mit ihrer Mitte zu streifen, weiß ich, dass sie nicht nur auf einen Lapdance aus ist. Mein Schwanz scheint mit an Bord zu sein. Meine Hände finden ihre nackten Knie und bahnen sich einen Weg zu ihren halb bedeckten Seiten. Aber meine Handflächen haben kaum die Kurven gestreift, als mein Handy in meiner Vordertasche summt.

Meistens habe ich mein privates Telefon und ein Wegwerfhandy bei mir. Diesmal ist es mein privates Telefon, das vibriert. Da meine Brüder heute Abend alle hier sind und meine Eltern die einzigen sind, die diese Nummer haben, frage ich mich, wer das sein könnte. Es ist Samstagabend, und meine Eltern rufen mich samstagabends nie an. Zugegeben, sie rufen mich kaum an, aber sicher nicht an einem Tag, der für ein Abendessen in einem schicken Restaurant oder eine Wohltätigkeitsveranstaltung vorgesehen ist. Samstage sind nicht dazu da, ihren einzigen Sohn anzurufen. Aber auch wenn wir uns nicht weniger nahestehen könnten, sind sie immer noch meine Eltern. Also werde ich abheben.

Das heißt aber nicht, dass ich nicht verdammt genervt bin.

Ich reiße mein Handy aus der Tasche und gebe dem sexy Mädchen auf meinem Schoß ein paar sanfte Klapse auf den Hintern. „Ich muss da rangehen“, fordere ich sie auf, mir etwas Platz zu machen.

Trotz ihres enttäuschten Blicks kommt sie der Aufforderung nach und steht ziemlich schnell auf, wenn man bedenkt, wie eng ihr Kleid ist und wie hoch ihre Absätze sind. Innerhalb von Sekunden kann ich ebenfalls aufstehen.

Als ich die Treppe hinaufgehe, um in meinem Zimmer etwas Ruhe zu finden, schaue ich stirnrunzelnd auf den Bildschirm meines Handys. Es sind nicht meine Eltern, die anrufen. Zumindest nicht von einem ihrer Telefone.

Ich hebe ab, während ich die letzte Treppe in den zweiten Stock hinaufjogge. „Ja.“

Die Musik dröhnt immer noch von allen Wänden, aber als ich eine weibliche Stimme am anderen Ende der Leitung höre, schließe ich gerade die Tür zu meinem Schlafzimmer auf.

„Hallo“, sagt die Frau, bevor sie hinzufügt: „Ist da Blane?“

Die Stimme kommt mir irgendwie bekannt vor, aber ich versuche gar nicht erst, ihr ein Gesicht zuzuordnen, als ich die Tür hinter mir schließe.

„Wer will das wissen?“, frage ich stattdessen selbst und antworte nicht auf ihre Frage.

„Lana“, antwortet sie sofort. „Lana Conant. Erinnerst du dich …“

„Lana“, wiederhole ich und unterbreche sie, ohne es zu wollen.

„Ja“, bestätigt sie, obwohl ich eigentlich nicht nach einer Bestätigung gefragt hatte.

Ich schweige nur, während ich auf meinem Bett sitze und versuche, den Schock zu verarbeiten, während meine Gedanken mehr als fünf Jahre zurückspringen.

„Ist es ein schlechter Zeitpunkt?“, fragt sie besorgt, als ich stumm bleibe.

Mehr braucht es nicht, um die Verwunderung zu überwinden. „Nein. Ich muss schon sagen, es überrascht mich, von dir zu hören.“

Das ist so untertrieben, dass ich lachen würde, wenn es denn lustig wäre. Die Wahrheit ist, ich hätte nie gedacht, dass ich jemals wieder von ihr hören würde. Es ist, als würde ich die Stimme eines Geistes hören, der direkt aus einem anderen Leben kommt.

In ihrer Stimme schwingt Bedauern mit, als sie seufzt: „Es tut mir leid. Wie ich gegangen bin, meine ich. Das tut mir leid. Ich weiß, es ist nicht viel, aber mehr kann ich dir nicht sagen.“

Zu behaupten, es sei alles in Ordnung, wäre eine Lüge. Zu sagen, dass ich es ihr nicht übelnehme, dass sie verschwunden ist, wäre auch gelogen. Aber die Wahrheit ist auch, dass ich ihr erst dann etwas übelnahm, als ich aufhörte, mir Sorgen um sie zu machen und mir einredete, sie sei noch am Leben und es gehe ihr gut. Als ich mir vorstellte, dass sie nur die Stadt verließ und mit allem und jedem aus ihrer Vergangenheit, der sie entfliehen wollte, Schluss machte, setzte der Groll ein.

Himmel, diese Zeit fühlt sich an, als gehöre sie zu einem anderen Leben. Es war, bevor ich dem Club beitrat. Neben meinem besten Freund, mit dem ich buchstäblich aufgewachsen bin und der jetzt nicht mehr da ist, war Lana die einzige Person, der ich jemals nahestand. Bis mein Weg Isaacs kreuzte. Die Trauer hat meine und Lanas Freundschaft aufgebaut, aber es spielte keine Rolle, was uns verbunden hat. Sechs Monate lang war sie meine Freundin. Sie war alles, was ich hatte.

Dann verschwand sie.

„Wo bist du gewesen?“

Diese Frage habe ich mir im Laufe der Jahre ein paar Mal gestellt. Wo war sie? Warum ist sie gegangen, ohne sich auch nur zu verabschieden? Mit den Jahren rückten die Fragen in weite Ferne und die Antworten waren nicht mehr so wichtig, aber ich habe sie nie ganz vergessen. Ich habe mich das immer wieder gefragt.

„Ich wünschte, ich könnte das beantworten, aber das ist eine lange Geschichte. Ich kann am Telefon nicht darüber sprechen“, sagt sie.

Ihr Ton ist immer noch bedauernd, und das Letzte, was ich jetzt hören will, sind weitere Entschuldigungen, aber mein Rücken versteift sich bei ihren Worten. Der einzige Grund, den ich mir vorstellen kann, warum sie nicht am Telefon sprechen will, wäre, wenn sie Angst hat, dass jemand zuhören könnte.

„Ich würde es verstehen, wenn du auflegen willst“, fährt sie fort, während meine Gedanken verwirrt und misstrauisch durcheinanderwirbeln. „Ich hätte wahrscheinlich nicht anrufen sollen. Es ist nur so, dass ich jemanden brauchte, dem ich vertrauen kann, und ich denke, du hast die Fähigkeiten, die ich im Moment dringend suche. Du musst mir einen Gefallen tun, und ich hätte dich nach all der Zeit nicht angerufen, wenn ich eine andere Wahl gehabt hätte.“

In ihrer Stimme liegt keine Angst, aber das hält mich nicht davon ab, meine Faust zu ballen. Ich spüre eine Vorahnung, die ich zwar nicht verstehe, aber dennoch empfinde. Nachdem sie fünf Jahre lang Funkstille gehalten hat, sollte ich nicht länger besorgt sein. Aber hier bin ich und mache mir Sorgen über das, was sie gerade gesagt hat, und, was noch entscheidender ist, ich fürchte mich davor, zu wissen, was sie nicht sagen kann.

„Bist du in Schwierigkeiten, Lana?“, frage ich sie mit fester Stimme.

„Im Augenblick nicht. Vielleicht werde ich es sein, wenn ich wieder zurück in Texas bin, aber ich werde vorsichtig sein. Ich hatte gehofft, dass wir uns in ein paar Tagen irgendwo treffen könnten. Etwas trinken und reden.“