The Darkness Within Us - Tricia Levenseller - E-Book

The Darkness Within Us E-Book

Tricia Levenseller

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Beschreibung

Der Nr.-1-New-York-Times Bestseller von TikTok-Sensation Tricia Levenseller endlich auf Deutsch!

Chrysantha Stathos hat gewonnen.
Jahrelang hat sie ihre Intelligenz und ihren Ehrgeiz versteckt und ist so eine reiche Herzogin geworden. Jetzt muss die Schwester der Königin nur noch ihren alten Ehemann überleben und die Freiheit, das Geld und die Sicherheit, die sie sich immer gewünscht hat, gehören ihr.
Zumindest denkt sie das, bis ein Mann auftaucht, der behauptet, der Enkel des Herzogs zu sein, und ihr das Erbe streitig machen will. Chrysantha ist klar: Er muss verschwinden. Obwohl er extrem gut aussieht und geheimnisvolle Kräfte besitzt, will sie Eryx Demos tot sehen. Und eine Stathos bekommt immer, was sie will.

Epische Enemies-to-Lovers-Romantasy von Bestsellerautorin Tricia Levenseller mit Morally Grey Characters, Forced Proximity und einer Heldin, die vor nichts zurückschreckt.
Mit einem exklusiven Bonuskapitel

Die Shadows-Between-Us-Reihe:
The Shadows Between Us (Band 1)
The Darkness Between Us (Band 2)
Die Bände können unabhängig voneinander gelesen werden

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 502

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Tricia Levenseller

Aus dem Amerikanischen von Doris Attwood

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© 2025 der deutschsprachigen Ausgabe

cbj Kinder- und Jugendbuchverlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

[email protected]

(Vorstehende Angaben sind zugleich

Pflichtinformationen nach GPSR.)

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

© 2024 Tricia Levenseller

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2024 unter dem Titel:

»The Darkness Within Us«

bei Feiwel and Friends, einem Imprint von Macmillan Publishing Group, LLC

120 Broadway, New York, NY 10271

Übersetzung: Doris Attwood

Umschlaggestaltung: Carolin Liepins, München

unter Verwendung einer Gestaltung von Liz Dresner & Meg Sayre

FK · Herstellung: AnG × SaVo

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-32638-8V001

www.cbj-verlag.de

Für Rachel und Holly,danke, dass ihr meine Träume wahr werden lasst.

Schlechte Ideen gibt es nicht,nur schlecht ausgeführte grandiose Ideen.

Damon Salvatore, Vampire Diaries, Staffel 2 Episode 15

KAPITEL 1

Mein Ehemann braucht viel zu lange zum Sterben.

Ich sitze an seinem Bett, ganz die pflichtbewusste Ehefrau, und sehe zu, wie er einen keuchenden Atemstoß nach dem anderen aus seiner Brust quält, während ich bei jedem bete, es möge sein letzter sein.

Um Himmels willen, der Mann ist fast vierundsechzig Jahre alt. Er leidet an allen möglichen Krankheiten nach einem Leben voller Ausschweifungen, Genuss und wissen die Teufel was noch. Und doch klammert sich Hadrian Demos, Herzog von Pholios, ans Leben, als hätte es ihm noch irgendetwas zu bieten – ein bettlägeriger, lüsterner alter Mann, dem das Leben nichts mehr zu bieten hat, außer dem Anblick meines Gesichts Tag für Tag.

Pholios regt sich, als hätten ihn meine Gedanken geweckt, und ich schaue über meine Schulter zurück, um mich zu vergewissern, dass Kyros noch immer auf seinem Posten hier im Zimmer steht, bevor ich meinen Stuhl zwei Zentimeter nach hinten schiebe. Ich senke den Blick zu Boden und warte.

»Chrysantha«, stöhnt der alte Mann.

»Ich bin hier, mein Gemahl.« Ich lehne mich vor und umschließe eine seiner fleckigen, haarigen Hände mit meinen.

»Du siehst heute wunderschön aus«, sagt er.

»Danke.«

Es gelingt mir, nicht mit den Augen zu rollen, obwohl er mich jeden Morgen so begrüßt. Als würde er, wenn er mir Komplimente macht, bekommen, was er wirklich von mir, seiner neunzehnjährigen Frau, will.

Pholios schmatzt. »Wasser.«

Ich drehe mich zu dem Krug auf dem Nachttisch um, muss jedoch feststellen, dass er leer ist.

»Du musst vergangene Nacht recht durstig gewesen sein, mein Liebster«, sage ich. »Ich fülle deinen Becher wieder auf.«

»Das kann Kyros machen.«

Mir stellen sich die Nackenhaare auf, aber ich zwinge mein Gesicht in eine Maske der Gleichgültigkeit. Mit dem Herzog zusammenzuleben, fühlt sich oft an, als läge ein eisernes Band um meine Lunge. Jedes Mal, wenn mir bewusst wird, dass ich gleich mit ihm allein sein werde, zieht es sich sofort zusammen.

Kyros, der attraktive junge Diener, sieht mich an. Mitgefühl und Bedauern sprechen aus seinem Blick, den ich mit einem subtilen aufmunternden Nicken erwidere. Das Letzte, was ich will, ist, dass ein Freund wegen Ungehorsams entlassen wird.

»Sofort, Mylord«, erwidert er. »Ich bin gleich wieder da.« Der letzte Satz gilt mir.

Im selben Moment, in dem er die opulenten Hauptgemächer von Schloss Pholios verlässt, befreit mein Mann seine Hand aus meinem Griff und grapscht nach meinen Brüsten.

Seit Langem an das Verhalten des Herzogs gewöhnt, springe ich auf und wende mich ab, um die Flucht zu ergreifen, jedoch nicht schnell genug. Es gelingt ihm, mir auf den Hintern zu hauen, bevor ich außer Reichweite bin. Ich halte den Blick auf den Boden gerichtet.

Es ist die beste Taktik, um zu verbergen, was ich wirklich denke.

»Soll ich dir heute vorlesen?«, frage ich.

Pholios grunzt. »Nicht noch mehr Bücher. Komm zurück.«

»Mehr Bücher, sagst du? Ich hole rasch eines.« Ich eile zur anderen Seite des Raumes, wo Bücherregale die Wand zieren.

»Dämliche Idiotin«, schimpft Pholios. »Ich habe deinem Vater siebentausend Necos für dich bezahlt. Rausgeschmissenes Geld.«

»Es tut mir leid, mein Gemahl.« Das Band zieht sich noch fester zusammen.

»Es soll dir nicht leidtun. Du sollst diese Röcke raffen, auf dieses Bett steigen und deiner ehelichen Pflicht nachkommen.«

Dank seiner Krankheit war er nicht in der Lage, mich dazu zu zwingen, diese sogenannte Pflicht zu erfüllen.

»Welche Pflicht könnte wichtiger sein, als mich um meinen Ehemann zu kümmern?«, erwidere ich.

Er hält mich nicht für dreist. Niemand tut das. Ich habe lange und hart daran gearbeitet, mir den Ruf eines Einfaltspinsels aufzubauen. Er hat mich schon öfter gerettet, als ich zählen kann. Dank ihm konnte ich meinen Vater so manipulieren, dass er mich mit einem sterbenden, wohlhabenden Herzog verheiratete. Wenn ich doch nur gewusst hätte, worauf ich mich einlasse. Pholios hat mir seinen wahren Charakter erst nach unserer Hochzeit offenbart. Vorher dachte ich, er sei nur auf der Suche nach einer Dame, die an seinem Bett sitzt und ihm Gesellschaft leistet, bis er sich den Teufeln in einer ihrer Höllen anschließt.

»Deine nächtliche Pflicht«, stellt der Herzog klar.

»Es ist Tag, mein Gemahl.«

»Das weiß ich!« Sein Husten hallt im Raum wider, aber ich ignoriere es und lasse mir reichlich Zeit, die Buchreihen zu betrachten. Ich weiß bereits, welches Buch ich wählen werde, aber ich habe es nicht eilig, mich wieder in seine Reichweite zu begeben. Nicht, bevor Kyros ins Zimmer zurückgekehrt ist.

Pholios mag ein wahrer Widerling sein, vor seinen Bediensteten erhält er jedoch gerne die Fassade aufrecht. Entweder ist ihm bewusst, dass, was er tut, falsch ist, und er will seinen Ruf nicht gefährden, oder er ist der Ansicht, was im Schlafzimmer passiert, ist Privatsache. So oder so, wenn jemand in der Nähe ist, lässt er die Finger von mir, auch wenn Kyros schon häufig in ungebührliche Szenen hereingeplatzt ist. In den letzten zwei Monaten wurde ich häufiger begrapscht, gezwickt und befummelt, als ich zählen kann – und rein zufällig entspricht dies genau der Dauer meiner Ehe.

Doch wenn Pholios erst tot ist, wird es sich mehr als gelohnt haben. Der Herzog hat keine eigenen Kinder und keine Verwandten, die seinen Titel erben könnten, was bedeutet, dass nach seinem Tod alles mir gehören wird: das Schloss, das Herzogtum, die Bediensteten, das Geld. Ich kann damit tun, was ich will, und kein Mann wird je wieder über mein Schicksal bestimmen können. Ich werde für immer eine Herzoginwitwe sein.

Für immer frei.

Diese Zukunft ist so nah, dass ich sie schon schmecken kann. Nur noch ein paar Wochen. Höchstens ein Monat. Mehr Zeit bleibt Pholios gewiss nicht.

Dann muss ich endlich nicht mehr verstecken, wer ich wirklich bin.

Als ich die leisen Schritte höre, die Kyros’ Rückkehr ankündigen, nehme ich den Gedichtband aus dem Regal. Der Diener wirkt erleichtert, mich auf der anderen Seite des Raumes zu sehen. Sein Mitgefühl ist unnötig – mit dem alten Mann komme ich schon zurecht –, aber es ist trotzdem nett. Ich gehe zu meinem Stuhl zurück, während Kyros dem Herzog dabei hilft, einen Schluck zu trinken. Pholios verschluckt sich beinahe, als er den Titel des Buchs in meiner Hand liest.

»Nein«, protestiert er. »Ich hasse Gedichte.«

Was genau der Grund ist, warum ich es ausgewählt habe. »Es wird deinen Kopf frei machen, mein Liebster. Poesie belebt die Seele.«

Er grummelt noch etwas, wird jedoch still, als ich zu lesen beginne. Ich glaube, er mag den Klang meiner Stimme, auch wenn er mir die meiste Zeit auf die Brüste starrt, während ich lese, deshalb halte ich das Buch ein wenig höher. Nach ungefähr zehn Minuten erfüllt Pholios’ Schnarchen erneut den Raum.

»Geht es Euch gut, Mylady?«, erkundigt sich Kyros bei mir, seine Stimme ein sanftes Murmeln, um den Herzog nicht zu wecken.

»Gut genug, Kyros, und dir?« Ich klappe das Buch zu und drehe mich auf meinem Stuhl herum, um den Mann richtig betrachten zu können. Selbst in seiner Livree ist er recht attraktiv. Er trägt ein traditionelles weißes Hemd, eine Strumpfhose, Handschuhe und Stiefel. Er ist immer makellos gekleidet, seine Haltung perfekt. In der Mitte seines ausgeprägten Kinns hat er ein entzückendes Grübchen und seine grünen Augen wirken stets strahlend hell. Das zurückgekämmte, von der Sonne geküsste Haar reicht über seine Ohren und mit seiner kräftigen Figur stellt er andere Diener weit in den Schatten.

Tag für Tag sitzen Kyros und ich allein in diesen Gemächern fest und kümmern uns um den Herzog und all seine Bedürfnisse. Gelegentlich taucht auch Kyros’ kleiner Sohn hier auf, weil er uns unbedingt die Frösche zeigen will, die er im Teich des Anwesens gefangen hat, oder die Steine, die er im Wald gefunden hat. Der Junge weiß, dass er leise sein muss, falls der Herzog schläft, und er uns vorsichtig aus dem Zimmer locken muss, damit wir einen kurzen Augenblick seine Schätze bewundern.

Ich koste jede dieser Gelegenheiten mit Freuden aus.

»Sehr wohl, Mylady.« Aus Höflichkeit spricht Kyros nicht über meine Ehe mit dem Herzog oder darüber, was ich aushalten muss. Er verfügt über genügend gesunden Menschenverstand, um zu wissen, dass ich nicht über diese Erniedrigungen reden will. »Nico hat heute Morgen ein neues Wort gelernt«, erzählt er mir stattdessen, um die Unterhaltung in angenehmere Bahnen zu lenken.

Ich muss lächeln. »Und welches Wort ist es?«

»Entrüstet.«

»Welch großes Wort für einen Vierjährigen.«

»Lassen Sie ihn das lieber nicht hören. Er ist viereinhalb, und nicht einen Tag jünger.«

In der Zeit, die wir gemeinsam in diesem Zimmer verbracht haben, habe ich einiges über Kyros und seine Vergangenheit erfahren. Er wurde mit siebzehn Jahren Vater. Er und die Mutter seines Sohnes waren nicht verheiratet, und als sie schwanger wurde, stellte sie unmissverständlich klar, dass sie kein Interesse daran hat, ein Kind großzuziehen. Und obwohl das Gesetz einen alleinstehenden Mann nicht dazu verpflichtet, übernahm Kyros die Rolle des alleinigen Elternteils.

»Wo ist Nico jetzt?«, frage ich.

»In der Küche, der Köchin helfen. Sie wissen ja, wie gerne er Süßes isst.«

»Ich werde später nach ihm suchen. Ich freue mich schon darauf, zuzuhören, wie er versucht, entrüstet in einem Satz unterzubringen.«

Doran, ein weiterer Diener, betritt das Zimmer, ein Tablett mit einem einzigen Brief darauf in der Hand.

»Ein Brief für Euch, Herzogin«, verkündet er mit lauter Stimme und weckt dadurch Pholios wieder auf. Am liebsten würde ich den Mann energisch tadeln, aber ich halte ein mattes Lächeln aufrecht.

»Danke, Doran«, erwidere ich, während ich aufstehe, um das zusammengefaltete Pergament an mich zu nehmen.

»Ich möchte jetzt Frühstück, Kyros. Geh und hol es«, befiehlt der Herzog, nun wieder hellwach.

Obwohl ich mir sicher bin, dass beide Diener das Zimmer verlassen, registriere ich es nicht. Ich bin zu sehr damit beschäftigt, auf die Handschrift des Briefs zu starren.

Sie gehört meiner Schwester.

Alessandra schreibt mir nie. Ich schreibe ihr selbst kaum – außer, wenn ich mich selbst damit amüsieren will, sie zu tadeln. Sie hält mich für eine aufgeblasene Vollidiotin, was mich nur umso mehr amüsiert. Alessandra war noch nie gut darin, zu verbergen, was sie wollte und wie sie es zu erreichen gedachte. Im Augenblick versucht sie, den Schattenkönig zu bezirzen.

Ich kichere leise in mich hinein. Da er mich nicht wollte, wird er sie ganz sicher auch nicht wollen. Es ist keine Frage der Eitelkeit. Ich mag vielleicht Mutters Aussehen geerbt haben, aber das spielt keine Rolle. Ein hübsches Gesicht allein bringt dich auch nicht überallhin. Das Entscheidende ist: Ich bin die bessere Schauspielerin. Ich kann vorgeben, das zu sein, was die Männer wollen. Und die meisten Männer wollen, wie ich festgestellt habe, eine Frau, von der sie glauben, sie könnten sie kontrollieren. Also gebe ich vor, fügsam zu sein. Gehorsam. Wenn Männer glauben, sie könnten dich kontrollieren, beobachten sie dich nicht allzu genau. Wenn sie dich für dumm halten, passen sie nicht so genau auf, was sie in deiner Anwesenheit von sich geben.

Aber Alessandra? Ich wusste schon immer genau, was sie dachte. Obwohl ich zugeben muss, dass ich nicht geglaubt hätte, dass sie zu einem Mord fähig ist. Als ans Licht kam, was mit ihrem ersten Liebhaber passiert ist, war ich überrascht. Und geschockt, als der König sie sofort begnadigte.

Es ist meine Schuld, dass wir beide uns nicht besonders nahestehen. Wir haben stets um die Aufmerksamkeit unseres Vaters gebuhlt. Mutter war seine ganze Welt. Als sie starb, war ich zwölf Jahre alt und Alessandra elf. Mir war klar, all seine Liebe würde entweder auf meine Schwester oder mich übergehen. In seinem Herzen war nur Platz für eine Frau auf einmal, deshalb habe ich ihn mir geschnappt, bevor Alessandra überhaupt wusste, was passierte. Sie hätte dasselbe getan, wenn sie gekonnt hätte.

Wir leben in einer Welt, in der Männer alles entscheiden. Wo wir wohnen. Wann wir Geld bekommen. Wen wir heiraten werden. Ich wusste, meine größte Chance, mein eigenes Glück zu finden, bestand darin, Vater um den Finger zu wickeln. Es hieß: sie oder ich.

Ich habe mich für mich entschieden.

Manchmal meldet sich deswegen das schlechte Gewissen bei mir, aber auch das wird keine Rolle mehr spielen, wenn ich endlich habe, was ich will. Wenn ich erst reich und unabhängig bin, kann ich tun, was immer ich will, auch eine Beziehung zu meiner Schwester aufbauen, sollte mir der Sinn danach stehen.

Ich falte den Brief auseinander und lese:

Liebe Chrysantha,

ich wollte dich unbedingt persönlich zu meiner Hochzeit einladen. Kallias und ich werden in sechs Monaten heiraten. Meine Krönung wird am selben Tag stattfinden, direkt im Anschluss an die Hochzeitszeremonie.

Du kommst doch, nicht wahr? Oder bist du zu sehr damit beschäftigt, die Krankenschwester für deinen verschrumpelten Ehemann zu spielen? Gewiss kannst du ein bisschen Zeit für den wichtigsten Tag im Leben deiner einzigen Schwester erübrigen? Sende mir schnell eine Antwort, dann halte ich dir einen Platz in der ersten Reihe frei, wenn dieses kleine Flittchen den Schattenkönig heiratet.

Mit besten Grüßen,

Alessandra

Ein Rauschen dröhnt in meinen Ohren, und ich bemerke erst, dass ich den Brief in meiner Hand zerknüllt habe, als es zu spät ist.

Den König.

Meine kleine Schwester heiratet den verdammten König.

Mich wollte er nicht, aber sie will er. Sie! Die Mörderin.

Die ganze Zeit habe ich intrigiert und taktiert und versucht, etwas zu erreichen. Ich wurde Tag für Tag belästigt, erniedrigt und verbal attackiert – und wofür? Bislang habe ich nichts vorzuweisen.

Und in der Zwischenzeit hat Alessandra mit so vielen Männern geschlafen, dass ich den Überblick verloren habe. Ich habe sie in der Vergangenheit viel Schlimmeres genannt als ein Flittchen. Es war meine Art, ihr zu sagen, sie soll vorsichtig sein. Sie durfte schließlich ihren Ruf nicht gefährden, wenn sie sich eine anständige Zukunft sichern wollte. Außerdem habe ich mich dadurch besser gefühlt, wenn meine Eifersucht mich beinahe überwältigt hätte, weil sie ständig neue Verehrer fand, während ich auf mich allein gestellt ums Überleben kämpfte. Weil ich dachte, wenn sie so weitermachte, würde sie am Ende verhindern, dass ich reich heiraten konnte.

Aber irgendwie hat sie den König für sich gewonnen. Sie wird tatsächlich Königin. Sie wird über unermessliche Reichtümer und Geld und alles verfügen. Niemand wird jemals an sie herankommen – nicht, wenn sie mit dem mächtigsten Mann der Welt verheiratet ist.

Meine Körpertemperatur rauscht in die Höhe, und Rot färbt die Welt.

Sie hat gewonnen.

Wie kann sie gewonnen haben? Sie hat überhaupt nichts dafür getan! Sie hat es nicht verdient. Sie wusste ja noch nicht mal, dass wir das gleiche Spiel spielen, also wie, wie, wie, verdammt?

In meine rasenden Gedanken vertieft, habe ich gar nicht bemerkt, wie ich mich langsam wieder dem Bett nähere. Pholios schlägt zu wie eine Schlange, packte mich durch mein Kleid an der Hüfte und versucht, mich zu sich heranzuziehen.

In meiner Wut schlage ich, ohne nachzudenken, seine Hand weg.

Der Herzog und ich erstarren beide.

»Hast du mich gerade geschlagen?«, fragt er.

»Es hat mich gejuckt, mein Liebster.«

Er grunzt und besitzt auch noch die Dreistigkeit, beleidigt dreinzuschauen, aber ich sehe, dass ein widerlicher Gedanke in seinem Geist Keim geschlagen hat, als er plötzlich ein Lächeln aufsetzt.

»Komm näher, meine Liebe, dann verzeihe ich dir.«

»Näher?«, wiederhole ich.

»Ja, lehn dich über mein Bett. Meine Decke ist auf der anderen Seite herausgerutscht. Du musst sie wieder richten.«

Mein Gesicht ist eine leere Maske und meine Seele brennt. Ich bin schon zu lange in diesem Haus gefangen, sitze in diesem Zimmer fest, während der Herzog mich angafft, sich dabei die Lippen leckt und versucht, mich näher zu sich zu locken. Und währenddessen führt meine Schwester ein perfektes Leben in Luxus und Freiheit. Am Arm des verdammten Schattenkönigs. Während meiner Zeit im Palast ist es mir nicht gelungen, ihn zu bezirzen, deshalb habe ich mich mit dem Nächstbesten zufriedengegeben.

Ich werde mich nie wieder mit etwas zufriedengeben.

Das eiserne Band um meine Lunge reißt. Mein Gehirn löst sich vom Rest meines Körpers, und meine Arme und Beine bewegen sich, ohne dass ich es ihnen bewusst befehle.

Ich tue, worum mich der Herzog vorhin gebeten hat. Ich raffe meine Röcke und setze mich rittlings auf ihn. Seine Augen treten aus ihren Höhlen hervor, doch nach einem Moment hat er sich wieder unter Kontrolle, streckt beide Hände aus und legt sie um meine Taille. Er versucht, mich in die Position zu zwingen, in der er mich haben will, bevor er sein Bestes versucht, seine Lenden nach oben und in mich rammt, auch wenn uns glücklicherweise noch immer mehrere Lagen aus Kleidung und Bettzeug trennen.

Doch mein Fokus liegt allein auf dem freien Kissen neben seinem Kopf. Ich beuge mich zu ihm hinunter, und Pholios Finger wandern aufwärts und umschließen meine Brüste. Er drückt so fest zu, dass es wehtut, aber ich richte mich erst wieder auf, als ich das Kissen habe. Und auch dann nur, um mich in die richtige Position zu bringen.

Dann drücke ich ihm das Daunenkissen aufs Gesicht.

Was eben unter mir steif wurde, erschlafft urplötzlich wieder. Pholios’ gequälte Schreie werden von dem Kissen verschluckt, und sein schwacher Körper bewegt sich kaum unter mir. Schließlich nimmt er die Hände von meiner Brust und tastet nach meinen Armen, um sie von sich wegzuschieben.

Aber ich drücke nur umso fester zu.

»Wolltest du das nicht, mein Liebster? Bin ich endlich zu etwas gut?«

Wenn Alessandra alles bekommt, was sie will, obwohl sie einen Mann ermordet hat, warum sollte ich das nicht auch tun? Ihr Gesicht taucht in meinem Kopf auf und ich verschließe meine Augen davor, um es nicht sehen zu müssen – ebenso wenig all die widerlichen Dinge, die dieser Mann mir jemals angetan hat.

Nie wieder.

Selbst als seine jämmerliche Gegenwehr schließlich nachlässt, stehe ich nicht sofort auf. Ich bleibe auf meinem toten Ehemann sitzen, verloren in einem dunklen Schwebezustand zwischen davor und danach.

Davor war ich nie ein gewalttätiger Mensch. Davor war ich die Geduld in Person.

Jetzt bin ich frei. Jetzt kann ich sein, was immer ich sein will.

Zunächst einmal eine Mörderin, genau wie meine Schwester. Ich habe mich auf ihr Niveau herabsinken lassen. Der Gedanke reißt mich schließlich wieder aus meiner Starre. Ich richte mich auf, lege das Kissen an seinen Platz zurück und streiche das Haar des Herzogs glatt. Im Tod sieht er so friedlich aus.

Ich hoffe, er findet keinen Frieden, wo immer ich ihn gerade auch hingeschickt habe.

Als ich mich wieder zu meinem Stuhl umdrehe, bemerke ich eine Gestalt in der Tür. Dort steht Kyros’ Sohn Nico mit Krümeln am Kinn.

Er blickt zwischen mir und dem Herzog hin und her.

Mir stockt der Atem.

KAPITEL 2

Nico legt die Finger an die Lippen, das Zeichen, das ich ihm normalerweise gebe, wenn der Herzog schläft. Ich entspanne mich sofort. Natürlich vermutet er nichts Ungewöhnliches.

Er flüstert: »Fang mich, wenn du kannst, Herzogin.« Dann saust er wieder zur Tür hinaus.

Ich jage ihm nach.

»Bist du gerade ernsthaft mit Krümeln am Kinn bei mir aufgetaucht, ohne mir was Süßes mitzubringen?«, rufe ich ihm hinterher.

Nico kreischt vor Lachen. Er ist überraschend schnell dafür, dass er noch so klein ist. Er rutscht das Treppengeländer hinunter, während ich die Stufen dank meiner schweren Röcke vorsichtig hinuntersteigen muss. Doch als ich unten ankomme, renne ich sofort wieder los und hole den Jungen endlich ein. Er schwingt seine kleinen Armen umher, und kurz bevor ich ihn erreiche, biegt Kyros mit dem Frühstückstablett des Herzogs um die Ecke. Ich fange den Jungen ein und wirble ihn durch die Luft. Von seinem Gekicher wird mein Herz ganz leicht, und ich lasse eine Hand sinken, um ihm den Bauch zu kitzeln, bevor ich ihn wieder auf dem Boden absetze. Sein Lachen kommt mir in diesem riesigen Schloss so richtig vor. Endlich ist es ein Ort, an dem wir alle glücklich sein können. Der Herzog ist tot.

Tot.

Tot.

Tot.

Ich glaube, es gibt kein Wort, das süßer klingt.

»Was treibt ihr zwei denn da?«, fragt Kyros.

»Vater, die Herzogin war entrüstet, weil ich ihr keine süßen Brötchen mitgebracht habe.«

»Na, für ein solches Versehen hätte ich dich ganz bestimmt auch gekitzelt«, erwidert Kyros.

»Ich hole noch mehr für uns alle!« Nico saust in Richtung Küche davon.

Aus Kyros’ Augen spricht nichts als Liebe, als er dem davonrennenden Kind nachsieht. »Wir sollten lieber schnell wieder zurück, bevor der Herzog noch wütend wird, Mylady.«

»Er ist wieder eingeschlafen«, entgegne ich. »Deshalb dachte ich, ich ergreife kurz die Flucht.«

Kyros nickt verständnisvoll, dann kehren wir gemeinsam in die Hauptgemächer zurück.

Es vergehen Stunden, bevor jemand bemerkt, dass der Herzog nicht mehr atmet.

–––

In den darauffolgenden Tagen passiert nichts Schlimmes. Niemand schöpft irgendeinen Verdacht. Der Mann lag ohnehin im Sterben. Warum sollte ein Verbrechen dahinterstecken? Davon abgesehen, halten mich alle für zu dumm, um auch nur an Mord zu denken. Dafür habe ich gesorgt.

Bei der Beerdigung trage ich Schwarz, verdrücke ein paar falsche Tränen um Pholios und verstecke mein Gesicht in einem seidenen, mit unseren Initialen bestickten Taschentuch, das mir der Verstorbene einst selbst geschenkt hat. Vater tröstet mich und schenkt mir Blumen. Er erkundigt sich sogar, ob er irgendetwas tun kann, um mir mit der Verwaltung des Anwesens zu helfen. Er ist recht zufrieden mit mir, da ihn mein Brautgeld vor dem Ruin bewahrt hat. Vater mag zwar ein Graf sein, aber er war bankrott. Ich war bankrott, bis ich Pholios heiratete.

Nun gehört sein Vermögen mir und ich kann damit tun, was immer ich will. Kein Mann kann mir vorschreiben, wofür ich es ausgeben soll. Noch nicht einmal mein eigener Vater.

Ich habe es geschafft.

Ich habe erreicht, was nur sehr wenigen Frauen gelingt.

Wahre Freiheit.

Und das Erste, was ich mit dieser Freiheit vorhabe, ist, das Anwesen zu erkunden und meine Angestellten kennenzulernen. Pholios hat nie zugelassen, dass ich mich allzu weit von ihm entferne. Ich musste sämtliche Mahlzeiten an seinem Bett einnehmen. Ich musste da sein, wenn er aufwachte und noch lange, nachdem er eingeschlafen war. Der Herzog wurde nie müde, zu betonen, dass er die Absicht hatte, das meiste aus dem Geld zu machen, das er für mich bezahlt hatte. Ich war sein Eigentum, erklärte er mir.

Ich glaube, am Ende wurde ihm schmerzlich bewusst, wie sehr er sich darin geirrt hatte, wer in Wahrheit über wen die Kontrolle hatte.

»Mylady, es ist so schön, Euch wiederzusehen«, sagt Mrs Lagos, die Haushälterin, als wir uns im Salon treffen. Ich bin ihr erst ein paarmal begegnet, seit ich dieses trostlose hochherrschaftliche Anwesen damals zum ersten Mal betreten habe und sämtliche Bedienstete mich am Eingang als ihre neue Hausherrin begrüßt haben.

Mrs Lagos wirkt mit ihren nicht ganz ein Meter fünfzig ungefähr so imposant wie ein Kätzchen, aber Gott stehe jedem bei, der versucht, ihr abzusprechen, sie wäre exakt eins fünfzig groß. (Ich wurde selbst schon unfreiwillig Zeugin einer besonders unangenehmen Unterhaltung zu diesem Thema.) Ihr Haar ist schwarz wie die Nacht und ihre Haut weiß wie Elfenbein. Sie hat ovale Augen und kein einziges Fältchen, weshalb es unmöglich ist, ihr Alter zu schätzen, und ich wage es nicht, sie danach zu fragen.

»Sie auch, Mrs Lagos. Danke, dass Sie sich Zeit für mich nehmen.«

»Selbstverständlich. Wie kann ich Euch zu Diensten sein?«

»Ich würde gerne einige Veränderungen auf dem Anwesen vornehmen und hatte gehofft, Sie könnten mir dabei helfen.«

»Natürlich. Was für Veränderungen?«

Ich will, dass meine Bediensteten mich anbeten. Ich will, dass sie wollen, dass ich ihre Herrin bin. Es ist der beste Weg, für einen reibungslosen Übergang zu sorgen, und ich will, dass niemand infrage stellt, dass ich nun das Sagen habe. Und es gibt ein sehr einfaches Mittel, um genau das von Anfang an zu garantieren.

»Ich möchte die Gehälter der Angestellten um zwanzig Prozent erhöhen.«

Mrs Lagos blinzelt langsam, als hätte sie mich nicht richtig verstanden. Dann grinst sie. »Wir beide werden sehr gut miteinander auskommen, Mylady.«

»Ausgezeichnet – ich habe nämlich vor, hier einiges umzugestalten …«

Angefangen mit dem Wichtigsten: den Hauptgemächern. Ich befehle, sie komplett leer zu räumen. Jeder einzelne Einrichtungsgegenstand wird eingelagert, vom Bett über die Vorhänge bis hin zum Teppich. Ich lasse den Raum komplett neu gestalten, damit er aussieht, als hätte Pholios nie auch nur einen Fuß hineingesetzt. Ich will mich von allem befreien, das mich in irgendeiner Weise an ihn erinnern könnte.

Ich mochte Rosa schon immer, und in Matildas Laden fällt mir sofort eine entzückende Tagesdecke in Altrosa ins Auge. Den Rest des Zimmers statte ich passend dazu aus. Eine weiße Tapete mit einem dezenten Muster aus Chrysanthemen, meinen Namensschwestern. Ein weißes Himmelbett aus Eichenholz mit Netzvorhängen. Ohrensessel mit filigranem Goldmuster und prallen weißen Kissen. Eine kunstvoll gearbeitete Frisierkommode, elfenbeinfarben gestrichen und mit Goldknöpfen. Die Decke lasse ich in zartem Himmelblau streichen, geschmückt mit rotwangigen Engeln, die durch die Wolken fliegen.

Während die Umgestaltung voranschreitet, bereitet Mrs Lagos die Renovierung des restlichen Schlosses vor. Nichts soll mehr an den grauenvollen Mann erinnern, der es zu einem so düsteren Zuhause machte, darum sorgt sie dafür, dass alle alten Gemälde, Vasen und anderen Familienerbstücke der Pholios’ auf den Dachboden gebracht werden, bis sie verkauft werden können. Bis die einjährige Trauerzeit, die die Gesellschaft für angemessen hält, vorüber ist, ist es mir nicht erlaubt, an Veranstaltungen teilzunehmen oder privaten Besuch zu empfangen.

Und dennoch vergeht nicht einmal eine Woche, bevor die ersten Briefe eintreffen. Ich überfliege sie nur flüchtig, bevor ich sie allesamt auf einen Haufen neben dem Kamin werfe.

Es stimmt mich zutiefst traurig, vom Tod Eures Mannes erfahren zu müssen, Mylady. Solltet Ihr Euch nach Trost sehnen, hoffe ich sehr, Ihr werdet Euch an mich wenden.

Schreibt der Graf von Barlas.

Verliert Euch nicht in Trauer, Mylady. Es ist stets am besten, voller Hoffnung in die Zukunft zu blicken. Darf ich Euch schon bald einen Besuch abstatten?

Der Graf von Varela.

Ich bewundere Euch schon so lange aus der Ferne. Dürfte ich nun, da Ihr frei seid, Euren eigenen Weg zu wählen, meinen Hut in den Ring werfen?

Der Herzog von Simos.

Und dann ein furchtbar peinlicher Absatz, bei dem meine Wangen erröten.

Eine Frau in Eurer Position hat jedes Vergnügen verdient, das das Leben zu bieten hat. Werdet meine Mätresse, Herzogin Pholios, und ich werde dafür sorgen, dass Ihr stets befriedigt seid.

Der Brief stammt vom Baron von Moros, der bereits verheiratet ist.

Ich habe nicht vor, die Mätresse von irgendjemandem zu werden. Ich bin fertig damit, mir von Männern sagen zu lassen, was ich tun soll, ob im Schlafzimmer oder sonst irgendwo. Ich ignoriere sämtliche Korrespondenz, auch wenn ich hin und wieder ein paar der Briefe lese, wenn ich ein wenig Aufheiterung brauche. Sie stärken das Selbstbewusstsein, auch wenn derartige Avancen vollkommen unerwünscht sind.

Zumindest von mächtigen Männern.

Jahrelang habe ich von dem Tag geträumt, an dem ich die Macht und die Freiheit habe, Beziehungen einzugehen, mit wem ich will. Ich war mein Leben lang allein, als Adelige waren mir die simplen Freuden romantischer Begegnungen verwehrt. Und ich habe die volle Absicht, dieser Einsamkeit sofort ein Ende zu bereiten, sobald meine Trauerzeit vorüber ist.

Ich werde mir einen Liebhaber nehmen.

Einen attraktiven, armen, aber bewanderten Liebhaber, der sich um mich kümmert und mich liebt und nichts von mir will, außer den irdischen Freuden, die ich ihm geben kann.

Männer nehmen sich ständig Mätressen, und als Herzoginwitwe mache ich es vielleicht genauso. Es ist unkonventionell, aber es wäre nicht das erste Mal. Ich verfüge über die nötige Macht und die entsprechende Stellung, um allen prüfenden Blicken standzuhalten, die sich deswegen womöglich auf mich richten. Und davon abgesehen werde ich mir selbstverständlich jemanden suchen, der weiß, was Diskretion bedeutet.

Aber das ist erst in elf Monaten und zwei Wochen eine Option. In der Zwischenzeit werde ich mich voll und ganz auf meine Pläne konzentrieren, die Villa und das gesamte Anwesen zu optimieren. Den ganzen Tag über ist das Hämmern und Sägen von Handwerkern zu hören. Maler, Zimmerleute und Steinmetze geben sich unter den wachsamen Augen von Mrs Lagos und meinen Bediensteten die Klinke in die Hand. Es wird Monate dauern, vielleicht sogar Jahre, bevor alles neu gestaltet ist, aber das war nicht anders zu erwarten, nachdem ich ein Anwesen geerbt habe, das in seiner Größe nur vom königlichen Palast in Naxos übertroffen wird.

Alessandras Palast.

–––

Mrs Lagos ist nur die erste der Bediensteten, die ich für mich einnehme. Kyros stellt mich allen anderen Dienern persönlich vor, und sie sind hocherfreut, als sie hören, dass ich unbedingt lernen möchte, wie man Kalkül spielt.

»Ihr müsst eine höhere Karte derselben Farbe ausspielen«, erklärt Doran mir, während Kyros mir über die Schulter schaut.

Ich greife nach der Rubinkönigin.

Kyros beugt sich zu meinem Ohr hinunter. »Nicht die, die ist zu hoch. Ihr solltet sie Euch für später aufsparen. Spielt diese hier aus.«

Er legt die Rubinsechs offen auf den Tisch und schlägt damit die zuvor in der Runde ausgespielte Fünf.

»Ich glaube, sie hat es verstanden«, knurrt Plutus, als ich seine Karte an mich nehme. »Du musst ihr nicht mehr helfen.«

»Sei nicht so ein schlechter Verlierer«, kontert Kyros. »Du spielst dieses Spiel schon seit Jahren. Sie hat es eben erst gelernt.«

»Du hast sie eingeladen. Wenn sie nicht hinterherkommt, ist das ihr Problem.« Als ihm bewusst wird, was er gerade gesagt hat, wird Plutus kreidebleich. »Verzeiht mir, Mylady, ich habe völlig vergessen …«

»Schon in Ordnung, Plutus. Wenn ich die ganze Sache ein wenig interessanter gestalte, hebt sich Ihre Stimmung vielleicht wieder.« Ich hole einen Necos aus meiner Tasche und lege ihn auf den Tisch.

»Da können wir nicht mithalten«, sagt Doran und starrt auf die Münze.

»Dann setzen Sie ein, so viel Sie können. Habe ich Ihnen allen nicht eben erst eine Gehaltserhöhung gegeben? Oder haben Sie Angst, ich könnte Ihnen Ihr ganzes Geld abnehmen?«

An diesem Abend gewinne ich kein einziges Spiel, aber ich fordere Revanche für den nächsten.

Kyros und Nico leisten mir bei Picknicks auf dem Rasen Gesellschaft, wenn die Sonne scheint. Der kleine Junge pflückt Wildblumen für mich, während Kyros und ich uns über alles und nichts unterhalten. Nico zeigt mir seine Lieblingskletterbäume, und ich zeige ihm, welche Früchte reif genug sind, um sie zu essen – und von welchen giftigen Pflanzen er sich fernhalten muss. Manchmal gebe ich dem Jungen auch Unterricht am Klavier. Ich habe es schon immer gerne gespielt und daher keine Kosten gescheut, um das Instrument zu restaurieren.

»Sie verwöhnen ihn«, wagt Kyros mich nach ein paar Wochen meines neuen Lebens als Herzoginwitwe zu ermahnen.

»Kindern Musik nahezubringen, heißt nicht, sie zu verwöhnen. Außerdem verbringe ich gern Zeit mit ihm.«

Eine dicke Wolke schiebt sich vor die Sonne und dämpft das leuchtende Grün der Bäume und der umliegenden Rasenflächen. Kyros lehnt sich auf unserer Picknickdecke zurück und stützt sich auf den Händen ab.

»Und haben Sie sich Ihre Tage als Herzoginwitwe so vorgestellt? Dass Sie dem Kind eines Bediensteten Klavierunterricht geben?«

»Ich hatte erwartet, der Vater dieses Kindes würde sich deutlich weniger darüber beschweren.«

Kyros zeigt mir ein schiefes Grinsen. »Aber mal ganz im Ernst: Sind Sie glücklich?«

»Ich kann mich nicht erinnern, jemals glücklicher gewesen zu sein.«

»Sie verlassen kaum das Anwesen. Ich hätte angenommen, Sie würden viel häufiger etwas mit Leuten Ihres eigenen Standes unternehmen oder sie zumindest hierher einladen. Aber stattdessen verbringen Sie Ihre Tage damit, mit der Köchin zu backen, mit den Dienern Karten zu spielen und Nico das Klavierspielen beizubringen.«

»Das ist noch längst nicht alles. Ich habe vor Kurzem einen Buchclub mit Damasus, Karla und Tekla gegründet. Wir tauschen Romane aus und lesen sie, bevor wir uns treffen, um darüber zu diskutieren.«

Kyros lacht. »Eine Herzogin, die mit ihrem Butler und ihren Zimmermädchen über Bücher diskutiert.«

»Lach, so viel du willst, aber das ist genau das, was ich will. Mein Vater hat mich gezwungen, an sämtlichen gesellschaftlichen Veranstaltungen teilzunehmen, perfekt herausgeputzt auf jedem Ball, und die Avancen jedes noch so widerlichen Mannes zu tolerieren. Nun verbringe ich meine Tage so, mit wem ich will, wann ich will. Meine Bediensteten sind die besten Menschen, die kennenzulernen ich je das Vergnügen hatte. Ich vermisse die falschen Schmeicheleien adliger Damen oder die unerwünschte Aufmerksamkeit edler Herren nicht im Geringsten. Ich lese, wann immer ich möchte. Ich bin draußen in der Natur, wann immer ich möchte. Ich genieße die Gesellschaft meines Pferdes, eines vierjährigen Jungen und ja, meines Butlers, genau wie die aller anderen auf diesem Anwesen. Es ist perfekt, und alles, was noch verbessert werden kann, lasse ich bereits renovieren. Also, würdest du jetzt bitte aufhören, mich zu tadeln, damit ich meinen schwer verdienten Komfort in Ruhe genießen kann?«

»Natürlich, Mylady.«

Kyros’ warmes Lächeln spiegelt mein eigenes, und ich strecke mich auf der weichen karierten Baumwolldecke aus. Da ist dieses Gefühl der Leichtigkeit in meiner Brust, und ich brauche einen Moment, um es einzuordnen.

So fühlt es sich an, glücklich zu sein.

Offen auszusprechen, was ich denke, und jemanden zu haben, der mir gerne dabei zuhört. Keine Männer um mich herum zu haben, die mich herumkommandieren oder kontrollieren. Dinge zu unternehmen, die mir tatsächlich Spaß machen. Ich selbst zu sein, in der Gesellschaft von Menschen, die mich mögen.

Das. All das hier war all die harten Zeiten wert, die ich seit Mutters Tod durchleiden musste.

Ich bin unantastbar, und es fühlt sich so gut an, als könnte ich fliegen.

–––

Wenn ich das Anwesen verlasse, sieht die Sache jedoch ganz anders aus.

In der Öffentlichkeit muss ich Schwarz tragen, als Zeichen meiner Trauer. Über ein Monat ist seit dem Tod des Herzogs vergangen und ich trage ein ebenholzfarbenes Kleid mit schlichtem Reifrock und enger Korsage. Lange Ärmel. Kein Schleier. Der ganze Aufzug sieht furchtbar deprimierend aus, doch so muss ich mich kleiden, wenn ich meine Besorgungen erledige. Nur noch zehneinhalb Monate, dann kann ich auch diese Scharade beenden.

Ich bin beim Kerzenmacher, um neue Kerzen für den Speisesaal auszusuchen, eine Reihe von Dienern im Schlepptau, die mir mit meinen Einkäufen helfen, als mich jemand von der Seite anspricht.

»Mylady?«

Ich drehe mich um und sehe Lady Evadne Petrakis vor mir, die Tochter eines Marquis, die ebenfalls ein paar Einkäufe tätigt. Wir verkehren in denselben Kreisen, daher sind wir uns natürlich schon unzählige Male begegnet, aber ich würde sie nicht als Freundin bezeichnen. Sie ist eher eine gute Bekannte. Nicht dass es einfach wäre, überhaupt Freunde zu finden, nachdem ich mein wahres Ich sieben Jahre lang vor der Welt versteckt habe.

»Lady Petrakis, wie geht es Ihnen?«

»Ausgezeichnet! Und Ihnen? Sie müssen ja so stolz auf Ihre Schwester sein. Eine Heirat mit dem König!«

Ich zwinge ein Lächeln auf meine Lippen. »Irgendwann musste der König wohl jemanden wählen. Was ist mit Ihnen? Hat sich irgendetwas Spannendes ereignet, seit ich bei gesellschaftlichen Anlässen durch Abwesenheit glänze? Ich habe seit meiner Hochzeit so viel Klatsch und Tratsch verpasst.«

»Einige Verlobungen wurden bekannt gegeben, ansonsten nichts Erwähnenswertes. Mit all den neuen Erlässen der zukünftigen Königin passiert überhaupt nichts Skandalöses mehr.«

»Erlässe?« Alessandra macht neue Gesetze? Sie?

»O ja. Frauen müssen nicht mehr warten, bis sie verheiratet sind, um … intime Beziehungen eingehen zu können. Väter dürfen nicht länger ein Brautgeld für ihre Töchter annehmen. Ganz im Gegenteil: Sie sind verpflichtet, ihren Töchtern eine Mitgift zu zahlen, wenn diese heiraten, wen immer sie wollen – eine an den jährlichen Verdienst des Vaters angepasste Summe.«

»Was?«

»O ja. Einige Gentlemen waren darüber alles andere als erfreut, aber der König hat sie köpfen lassen, nachdem sie der zukünftigen Königin gedroht hatten. Nun wagt es niemand mehr, auch nur ansatzweise gegen die neuen Gesetze zu protestieren.«

»Wie viele neue Gesetze wurden denn erlassen?«, erkundige ich mich.

»Um ehrlich zu sein, habe ich den Überblick verloren. Erst letzte Woche hat sie verfügt, dass Ländereien und Titel auf den ältesten Erben übergehen, ungeachtet des Geschlechts. Oh, und jüngere Töchter müssen nicht mehr warten, bis die älteren Töchter verheiratet wurden, und können ganz nach Belieben jederzeit an Veranstaltungen teilnehmen.«

Ich blinzle ein paarmal, während ich ihre Worte verarbeite. »Und der König hat das alles einfach erlaubt?«

»Er unterstützt es sogar. Sein Name steht auf jedem neuen Gesetz neben ihrem. Man erzählt sich, er sei seiner zukünftigen Braut regelrecht verfallen und würde ihr niemals irgendetwas abschlagen. Alle nennen sie bereits die Schattenkönigin.«

Neue Wut und Verbitterung schlagen ihre scharfen Krallen in mich. Alessandra sollte nur ein Mittel zum Zweck sein, wie ich. Eine Möglichkeit für Vater, sich aus seinen Schulden zu befreien und seine Ländereien zu retten. Aber nun erlässt sie Gesetze und gewinnt die Gunst sämtlicher Frauen am Hof. Sie hat ihre Freiheit und ihr Glück – im Gegenzug wofür? Was musste sie schon erleiden? Sie hat es sich nicht verdient. Nicht so wie ich.

Ich erinnere mich selbst daran, dass auch ich nun alles habe, was ich will. Ich bin glücklich. Das ist alles, was zählt. Ich atme tief durch, um mich wieder zu fassen, und fühle mich schon viel ruhiger.

»O weh«, sagt Evadne, »habe ich zu schnell gesprochen? Ich weiß, dass Ihnen dies hin und wieder Schwierigkeiten bereitet.«

Ja, weil mich alle für eine Idiotin halten. Ich bin eine Idiotin und Alessandra ist eine mächtige Monarchin.

»Es ist alles in Ordnung«, versichere ich. »Mir ist nur ein wenig schwindlig. Ich glaube, ich bezahle besser meine Einkäufe und mache mich auf den Weg.«

»In Ordnung. Es war sehr nett, mit Ihnen zu plaudern. Ich veranstalte in einigen Monaten übrigens ein Fest. Ich schicke Ihnen eine Einladung. Verwandte der Schattenkönigin sind in meinem Hause stets willkommen.«

»Danke«, erwidere ich, »aber solange meine Trauerzeit andauert, darf ich nicht an gesellschaftlichen Veranstaltungen teilnehmen. Der Herzog ist verstorben, wie Sie sich gewiss erinnern werden.«

»Oh, das gehört auch zu den Dingen, die die zukünftige Königin abgeschafft hat. Frauen müssen keine Trauerzeit mehr einhalten. Und auch kein Schwarz mehr tragen.« Sie betrachtet mitfühlend mein Kleid. »Es steht Ihnen selbstverständlich frei, in dieser Hinsicht Ihre eigene Entscheidung zu treffen, aber niemand erwartet, dass Sie einem Mann, der fast viermal so alt war wie Sie, auf diese Art Respekt erweisen. Einen schönen Tag noch, Herzogin.«

Als ich zu den zwei langen dünnen Kerzen in meiner Hand hinunterschaue, muss ich feststellen, dass ich sie beide entzweigebrochen habe.

Lady Petrakis verlässt den Laden, und ich starre ihr hinterher. Warum habe ich die Zeitung nicht gelesen? Wie konnte ich zulassen, dass mich all das so sehr überrascht? Als ich noch mit dem Herzog zusammenlebte, flüchtete ich mich stets in Literatur. In erfundene Geschichten, bei denen ich mir vorstellen konnte, ich würde große Abenteuer erleben oder zusammen mit meinen liebsten Heldinnen einem verzwickten Rätsel auf den Grund gehen.

Ich habe so viel verpasst. Alessandra hat mich eiskalt erwischt.

Es ist nicht so, als hätte ich mich jemals nach Macht gesehnt oder über irgendetwas herrschen wollen, nicht wirklich. Ich wollte immer nur meine Freiheit. Nun habe ich sie, aber sie fühlt sich … weniger bedeutend an. Weniger wert, wenn ich sie mit dem vergleiche, was meine Schwester hat.

Außerdem habe ich nun keine Ausrede mehr, nicht bei ihrer verdammten Hochzeit zu erscheinen.

Wenn ich einfach nicht auftauche, wird sie wissen, dass sie gewonnen hat. Dass ich mich zu sehr schäme oder zu eifersüchtig bin, um hinzugehen. Und ich kann auf keinen Fall zulassen, dass sie das denkt.

Und, ganz ehrlich: Was hat sie schon gewonnen? Die ständige Beobachtung derer, über die sie herrscht. Ein Leben, bei dem sich alles um ihren Ehemann dreht. Und all diese Verantwortung.

Ich bin froh, dass der Schattenkönig nicht mich erwählt hat. Herzoginwitwe zu sein, ist viel besser. Ich bin nicht wie Alessandra – kleinlich, eingebildet und selbstsüchtig. Ich brauche keine ständige Aufmerksamkeit und Hätschelei. Alles, was ich jemals wollte, war, in Ruhe gelassen zu werden, um mein Leben selbst in die Hand nehmen zu können. Und nun, da ich es erreicht habe, ist es an der Zeit, dies auch wirklich anzugehen. Mit noch mehr Veränderungen.

Ich werde die Bibliothek erweitern. Mehr Bücher, ja, das ist es, was ich brauche. Ich muss nicht mehr trauern? Schön. Gut. Großartig.

Dann werde ich auch nicht länger damit warten, mir einen Liebhaber zu suchen.

Alessandra hat ihren König – einen Mann, der ihrer Kapriolen schon bald überdrüssig sein und irgendwann doch versuchen wird, sie zu kontrollieren. Aber mal angenommen, ich tauchte bei ihrer Hochzeit mit einem eigenen Mann an meiner Seite auf. Einem, der mir gehorcht. Einem, der nur da ist, um mir Vergnügen zu bereiten. Einem, der viel attraktiver ist als Kallias Maheras.

Das dürfte ihre Aufmerksamkeit erregen.

Mit neuer Entschlossenheit gehe ich zur Kasse.

Der Mann hinter der Ladentheke fragt nach meiner Kundennummer und ich nenne sie ihm. Als er sie in seinem Kassenbuch gefunden hat, setzt er ein gezwungenes Lächeln auf.

Ich kenne diesen Blick. Er hat unangenehme Neuigkeiten für mich.

»Verzeiht mir, Mylady, aber wie es scheint, ist Euer Kredit bereits ausgeschöpft. Wir haben noch immer keine Zahlung für Eure letzte Bestellung erhalten.«

»Wie ist das möglich?«, frage ich ungerührt. Ich habe den Betrag erst vergangene Woche angewiesen.

»Es gab irgendein Problem mit Eurem Anwalt.«

Tatsächlich?

Kein einziger Muskel in meinem Gesicht zuckt, als ich meinen Dienern befehle, meine Einkäufe auf die Theke zu legen. »Ich bin gleich wieder da«, versichere ich dem Mann.

–––

»Kleine Planänderung, Kyros. Wir fahren als Nächstes zu Vander.«

»Sehr wohl, Mylady.« Er hilft mir in die Kutsche. Nach zehnminütiger Fahrt treffen wir vor dem Büro des Anwalts ein.

»Du darfst mich nach drinnen begleiten, Kyros.«

Mein Freund folgt mir, und obwohl ich ihn eigentlich nicht brauchte, ist es ein gutes Gefühl, jemanden zu haben, der mir den Rücken stärkt.

»Du wirst mich gleich von einer anderen Seite erleben«, warne ich ihn. »Mach dich auf was gefasst.«

»Klingt aufregend.«

Ich marschiere die Stufen zu dem Gebäude hinauf und rausche im Inneren an einem erschöpft wirkenden Sekretär vorbei, bevor ich geradewegs in Vanders Büro stürme.

Er blickt überrascht von seinem Schreibtisch auf.

»Mr Vander«, ruft der Sekretär und eilt hinter mir ins Zimmer, »Ihre Gnaden, die Herzogin von Pholios, ist eingetroffen.«

»Ja, das sehe ich. Bitte, nehmt Platz, Mylady. Die Tür, Alasdair.« Der hagere Mann hinter dem Schreibtisch rückt seine Brille zurecht.

Die Tür schließt sich hinter uns. Ich setze mich auf den mir angebotenen Stuhl, während Kyros hinter mir stehen bliebt. Ich verfalle in den üblichen Tonfall und dieselbe Haltung, die ich Männern gegenüber stets einnehme: gleichgültig und distanziert. »Mr Vander, es scheint irgendein Fehler passiert zu sein. Ich habe gerade versucht, beim Kerzenmacher meine Einkäufe zu bezahlen, was jedoch aufgrund einer überfälligen Zahlung unmöglich war. Haben Sie vielleicht vergessen, ihm das Geld zu schicken?«

Der Mann legt seine Finger auf dem Schreibtisch zusammen, während er mich beäugt wie einen Fisch, den er sich zum Abendessen gefangen hat.

»Oh, Mylady, Ihr habt schlicht zu viel ausgegeben. Mir ist nicht entgangen, dass Ihr einige Veränderungen im Schloss in Auftrag gegeben habt. Ihr habt Euer monatliches Budget mehr als ausgeschöpft. Ich habe die überfällige Zahlung für den kommenden Monat angewiesen, zusammen mit einem Verwaltungsaufschlag aufgrund der Gebühren, die durch Euren Fauxpas selbstverständlich anfallen.«

Als ich schweige, fährt der Mann fort: »Keine Angst, Mylady. Mathematik ist eine hohe Kunst. Ein gelegentliches Missgeschick ist absolut verständlich, aber deshalb habt Ihr ja mich, damit ich diese Dinge für Euch regle. Ich werde dafür sorgen, dass es Euch an nichts fehlt. Vielleicht würdet Ihr gerne ein neues Budget aushandeln? Oder ist es Euch lieber, wenn ich in Zukunft sämtliche Ausgaben vorab absegne?«

Kyros versteift sich hinter mir, als würde er am liebsten einschreiten. Ich erhebe mich von meinem Stuhl.

»Sind Sie jetzt fertig damit, mich so herablassend zu behandeln?«, frage ich ruhig.

Vander wirkt überrascht über die Frage. »Verzeiht mir, wenn mein Ton zu harsch war, Mylady. Ich möchte Euch nur helfen.«

»Helfen, sagen Sie? Vielleicht würden Sie mir gerne dabei helfen, einen neuen Anwalt zu finden?«

»My-Mylady?«

Ich stütze mich auf den Schreibtisch des Mannes und lehne mich vor, meine Stimme schärfer als ein Messer. »Sagen Sie mir, Mr. Vander, weiß Ihre Frau, in welchen Herrenclubs Sie abends verkehren?«

Er blinzelt. »Was meint Ihr …«

»Und was ist mit der Frau in der sechsten Straße? Sie wissen schon, die, die Sie jedes zweite Wochenende besuchen, wenn Sie angeblich einen wohlhabenden Klienten außerhalb der Stadt treffen?«

»Woher wisst Ihr …?«

»Verraten Sie mir doch die Lösung dieses mathematischen Problems: Wenn Sie Ihre Frau nehmen und ihr die Informationen hinzufügen, die ich mit ihr zu teilen gedenke, was kommt dann am Ende dabei heraus?«

Endlich ist er sprachlos.

»Und wie wäre es damit: Wenn ich meine Geschäfte aus Ihrer Kanzlei abziehe und meinen nicht unerheblichen Einfluss als Herzogin geltend mache, um den Rest des Adels davon zu überzeugen, sich ebenfalls einen neuen Anwalt zu suchen, was bleibt Ihnen dann noch?«

Er wird blass.

»Haben Sie mich für ein leichtes Opfer gehalten? Die arme, schlichte, frisch verwitwete Frau, völlig überwältigt von all ihrer neuen Verantwortung? Mein monatliches Einkommen würde den Schattenkönig beschämen, und Sie glauben, ich hätte meine Konten überzogen, weil ich das Anwesen neu einrichte? Mit meinem Vermögen könnte ich Dutzende Anwesen kaufen. Ich habe mir die Kassenbücher angesehen, die Einkünfte des Herzogtums und Pholios übliche Ausgaben. Und dann wären da noch die neuen Investitionen, die Sie in meinem Auftrag getätigt und durch die sich die Einkünfte des Anwesens fast verdoppelt haben.

Und Sie? Sie schreiben mir nicht vor, was ich mit meinem Geld tun soll. Pholios ist tot. Sein gesamtes Vermögen und sein ganzer Besitz gehören mir. Sie werden dem Kerzenmacher die komplette geschuldete Summe bezahlen – einschließlich eines großzügigen Aufpreises für den Fehler, den Sie aus Ihrer eigenen Tasche begleichen werden. Nicht aus meiner. Das wird nie wieder passieren. Ich will nicht noch einmal in dieses jämmerliche Büro kommen müssen, um Sie daran zu erinnern, was Ihnen zusteht und was nicht. Wenn Sie in Zukunft auch nur einen einzigen meiner Necos verlieren, werden Ihnen die Konsequenzen nicht gefallen. Haben Sie mich verstanden?«

Die Stille ist so durchdringend, dass ich Vander schlucken hören kann. »Verstanden.«

»Mylady.«

»Verstanden, Mylady.«

»Gut. Ich freue mich auf eine lange und für uns beide sehr profitable Zusammenarbeit. Einen schönen Tag noch, Mr Vander.«

Kyros öffnet schweigend die Tür für mich, und ich blicke mich nicht noch einmal um, als ich hinausgehe.

»Am liebsten hätte ich Beifall geklatscht«, sagt er, als wir draußen sind.

Ich schenke ihm ein flüchtiges Lächeln, als ich den Kopf drehe. Dann verbeuge ich mich, als hätte ich soeben eine große schauspielerische Leistung vollbracht und stehende Ovationen erhalten.

»Das war in der Tat eine andere Seite von Ihnen«, fügt Kyros hinzu. »Sie sind sensationell.«

Noch nie zuvor hat mich ein Mann erröten lassen, aber ich habe auch noch nie ein Kompliment für etwas bekommen, das wirklich von Bedeutung war. Es ist richtig berauschend.

Bevor ich etwas erwidern kann, fragt Kyros: »Warum halten Sie die geschäftliche Beziehung mit ihm weiter aufrecht? Warum machen Sie Ihre Drohung nicht wahr?«

»Weil ich ihn nun in seine Schranken gewiesen habe. Er wird nicht noch einmal versuchen, mich auszunutzen. Außerdem wird jeder neue Anwalt, den ich anheuere, genau das Gleiche versuchen. Und dann muss ich dieses ganze Theater noch einmal durchmachen.«

»Und woher hatten Sie all diese Informationen? Über seine Mätresse und die Herrenclubs?«

»Er hat mit Pholios darüber gescherzt, als er bei uns war, um die Hochzeitspapiere vorzubereiten.«

»Und er hat vergessen, dass Sie dabei ebenfalls anwesend waren?«

»Er hielt mich für irrelevant.«

»Wie ist das möglich?«

Ich überwinde die letzten Schritte bis zur Kutsche und Kyros greift nach der Tür. »Weil ich wollte, dass er mich dafür hält.«

Kyros schüttelt den Kopf, während ich einsteige. »Und wofür soll ich Sie halten?«

»Für deine mehr als fähige Arbeitgeberin.«

»Das tue ich bereits«, erwidert er und schließt die Tür.

KAPITEL 3

Als ich wieder zu Hause bin, klingle ich nach Medora, meiner Zofe.

»Ja, Mylady?«, fragt sie, als sie das Zimmer betritt. Mit ihren siebenundzwanzig Jahren ist sie älter als ich. Ihre Haut hat einen zarten Pfirsichton, während meine hellbraun ist. Medoras Oberweite ist üppiger als meine, aber ihre Taille ist viel schmaler.

»Würdest du mir aus diesem schrecklichen Kleid helfen?«, bitte ich sie.

»Natürlich.«

»Vielleicht könnten wir es heute Abend als Brennmaterial für den Kamin verwenden?«

Sie schnaubt. »Dann könnten Sie sein Gewicht auch gleich in Geldscheinen aufwiegen und stattdessen die verbrennen, so viel, wie es wahrscheinlich gekostet hat.«

»Das ist mir egal. Ich kann seinen Anblick keine Sekunde länger ertragen. Offenbar hätte ich die ganze Zeit überhaupt kein Schwarz tragen müssen.« Ich erzähle ihr von meiner Begegnung mit Lady Petrakis.

»Dann verbrennen wir dieses, aber dürfte ich vorschlagen, dass wir mit dem Rest der Kleider anders verfahren? Solch edle Stoffe könnten mehrere Familien für Wochen ernähren.«

»Von mir aus. Kümmere dich bitte darum, aber dieses hier will ich brennen sehen.«

Als ich aus dem Kleid steige, wirft Medora den schweren Stoff in den Kamin. »So. Was wollen Sie stattdessen tragen?«

Ich hüpfe zum Kleiderschrank hinüber, der zum Rest meines Zimmers passt: weiß gestrichen, goldene Griffe, ein üppiges Muster aus Blumenranken – noch mehr Chrysanthemen.

Ich schiebe ein Kleid nach dem anderen beiseite. Unvermittelt frage ich: »Medora, hattest du schon mal einen Liebhaber?«

Sie zögert keine Sekunde. »Ein paar, Mylady.«

»Ich spiele mit dem Gedanken, mir einen zu nehmen.«

»Wirklich? Wen?«

»Das weiß ich noch nicht, aber ich habe vor, einen zu finden. Und zwar schnell.«

Vor der Hochzeit meiner Schwester.

»Sich zu verlieben, kann eine Weile dauern, Mylady.«

Ich betrachte ein leuchtend grünes Tageskleid mit langen Ärmeln genauer, bevor ich es ebenfalls beiseiteschiebe und das nächste begutachte. »Du hast mich missverstanden. Ich habe nicht die Absicht, mich zu verlieben. Ich will nur einen Liebhaber.«

»Oh«, erwidert sie, als würde sie nicht verstehen, was ich meine.

Also helfe ich ihr auf die Sprünge. »Männer von meinem Stand dürfen sich eine Mätresse nehmen. Also warum sollte ich das nicht auch tun? Ich bin wohlhabend, trage einen Titel und habe es satt, meine Nächte allein zu verbringen. Ich will eine Mätresse. Oder besser gesagt: das männliche Pendant dazu. Wie nennt man so jemanden?«

»Ich glaube, dafür gibt es kein Wort.«

»Dann sollten wir vielleicht eins erfinden.«

Für einen Moment ist kein Geräusch zu hören, nur das Schaben der Kleiderbügel, die über die Stange in meinem Schrank gleiten.

»Nur, damit ich das richtig verstehe«, sagt Medora dann. »Sie wollen sich einen Mann nehmen, genauso, wie Männer sich traditionell eine Mätresse halten? Und Sex gegen ein Dach über dem Kopf, Kleidung und andere materielle Vorzüge tauschen? Ganz ohne Liebe?«

»Korrekt.« Ich meine, es würde natürlich nicht schaden, wenn sich mein Liebhaber Hals über Kopf in mich verlieben würde, aber ich selbst habe vor, eine gewisse Distanz zu wahren.

Ich trete vom Schrank zurück, in meiner Hand ein blassorangenes Kleid mit transparenten, bis zu den Ellenbogen reichenden Ärmeln und zarten Bändern, die auf dem Rücken zu hübschen Schleifen gebunden werden.

»Was hältst du davon?«, frage ich sie.

»Ich finde es genial, Mylady! Solange Sie vorsichtig sind, sehe ich keinen Grund, warum Sie sich nicht wie all die mächtigen Männer von Ihrem Stand verhalten sollten.«

»Vorsichtig?«, frage ich.

»Aus zwei Gründen. Erstens: Als Frau liegt die ganze Verantwortung bei Ihnen, falls Sie schwanger werden. Und zweitens: Auch wenn Sie ihm in Sachen Geld und Ansehen überlegen sein mögen, wird der Mann, den Sie auswählen, höchstwahrscheinlich stärker sein als Sie. Und ich möchte nicht, dass Ihnen irgendein Leid widerfährt.«

Es ist rührend, wie Medora sich um mich sorgt. Natürlich habe ich bereits selbst an diese Dinge gedacht. Ich habe es bis hierher geschafft, bin so weit wie möglich aufgestiegen und dennoch müssen wir als Frauen sämtliche Konsequenzen einer Schwangerschaft tragen, weil wir die Kinder bekommen. Nicht die Männer, die der Grund dafür sind, dass Frauen überhaupt schwanger werden.

Ich werde eine Bestellung für Verhütungsmittel aufgeben, bevor ich eine körperliche Beziehung eingehe.

Was Medoras zweite Sorge betrifft, so ist mir durchaus bewusst, dass ich, wenn ich diese Sache wirklich durchziehen will, einem Mann mein Vertrauen schenken muss. Und er wird anders als Pholios nicht aufgrund einer Krankheit schwächer sein als ich. Ich werde mir jemanden suchen müssen, der mich nicht misshandelt und meine Wünsche auch hinter geschlossenen Türen respektiert. Doch selbst dann könnte ich jemanden auswählen, der sanftmütig erscheint und sich dann doch als völlig anderer Mensch erweist, genau wie Pholios. Glücklicherweise findet sich unter meinen Angestellten eine ganze Reihe von Dienern mit beeindruckender körperlicher Statur – dank Mrs Lagos, die sie eingestellt hat. Ich werde dafür sorgen, dass sie stets in Hörweite sind, nur für den Fall, dass ich Hilfe brauche.

Es ist traurig, überhaupt über solche Dinge nachdenken zu müssen, aber wenn ich das hier wirklich tun will, dann muss ich es richtig anstellen.

Ich schlüpfe in mein Kleid und drehe mich um, damit Medora die Haken auf dem Rücken schließen kann. Ich stelle mir vor, wie sich bei Alessandras Hochzeit sämtliche Blicke auf mich richten, nicht auf die Braut. Auf mich, nicht auf die Königin.

»Ich verspreche, vorsichtig zu sein«, versichere ich meiner Zofe. »Aber es ist Zeit für die nächsten Schritte. Vermutlich sollte ich damit beginnen, geeignete Kandidaten zu suchen.«

»Vielleicht müssen Sie ja nicht direkt jemanden auswählen.«

»Wie meinst du das?«

»Darf ich offen sprechen, Mylady?«

»Ich bitte darum.«

Der Stoff schließt sich enger um meinen Rücken, als sie einen weiteren Haken schließt. »Vielleicht sollten Sie sich ein wenig Zeit nehmen, herauszufinden, was Ihnen gefällt. Männer beginnen nicht damit, sich eine Mätresse zu nehmen. Sie probieren sich vorher durch.«

»Probieren?«

»Ja, in Bordellen und dergleichen.«

»Oh.«

Ich denke für einen Moment darüber nach. Auch als mein Kleid komplett verschnürt ist, drehe ich mich nicht gleich wieder um. Ein Bordell besuchen. Mich durchprobieren. Herausfinden, was mir gefällt.

Die Idee ist gut.

Nervosität und Erregung vollführen einen Tanz in meinem Bauch. Ich werde es tun. Ich werde das wirklich tun.

Ich werde alles haben, was ich jemals wollte.

–––

Der perfekte Ort ist leicht gefunden. Alessandra hat nicht nur fleißig neue Gesetze erlassen, die Menschen in Naxos haben auch nicht gezögert, sich an diese neuen Regelungen anzupassen.

Frauen müssen nicht länger bis zur Ehe warten, um Sex zu haben? Warum dann nicht ein Bordell eröffnen, das sich an ein weibliches Publikum richtet?

Das Zanita’s wirbt in dem Zeitungsartikel, den Medora mir zeigt, mit einer »einladenden Umgebung, begeisterten, gesunden Angestellten und absoluter Diskretion für alle adligen Damen, die seine Dienste in Anspruch nehmen wollen«. Die feierliche Eröffnung fand erst vor zwei Wochen statt.

Ich rufe eine Kutsche, die mich noch am selben Abend dorthin bringt.

Alles ist von Kerzen erleuchtet statt von elektrischen Lampen, was dem Empfangssalon eine sinnliche Atmosphäre verleiht. Da ich noch nie in einem Bordell war, wusste ich nicht, was mich erwarten würde, aber irgendetwas sagt mir, dass dieses Etablissement deutlich mehr Klasse hat als die Läden, in denen die Armen verkehren.

Zum einen sind alle Prostituierten deutlich mehr bekleidet als erwartet. Die Männer tragen sehr enge Hosen. Bei ein paar von ihnen spannen sich Hosenträger über den nackten Oberkörper. Andere wiederum sind barfuß und haben ihr Hemd komplett aufgeknöpft. Es ist geschmackvoll, aber gleichzeitig ein wenig skandalös.

Zum anderen sind es deutlich mehr männliche als weibliche Prostituierte. Doch es mangelt auch nicht an Frauen. Viele adlige Damen bevorzugen weibliche Liebhaberinnen, daher überrascht es mich nicht, dass im Zanita’s alle möglichen Prostituierten arbeiten.

Die Angestellten fläzen sich auf Sesseln und gepolsterten Ottomanen, unterhalten sich oder spielen Karten. Man könnte das Ganze für einen gewöhnlichen Spielsalon halten. Alles ist völlig entspannt und betont normal – bestimmt, um die etwas zarteren Gemüter unter den Kundinnen zu beruhigen.

»Willkommen«, begrüßt mich die Madame und löst sich aus der Menge. Zumindest nehme ich an, dass sie die Madame ist, da sie ein wenig älter wirkt. »Ich bin Zanita. Wie kann ich Ihnen helfen?«

Ich reiche ihr einen prall gefüllten Geldbeutel. »Ich bin hier, um Ihre männlichen Angestellten durchzuprobieren.«

»Selbstverständlich, Mylady.«

»Euer Gnaden«, korrigiere ich sie.

»Bitte verzeiht mir diesen Fauxpas, Euer Gnaden. Es kommt nicht wieder vor.« Lady Zanita schnipst mit den Fingern. »Gentlemen, wenn ich bitten dürfte.«

Die Männer im Raum lassen sofort alles stehen und liegen und reihen sich Schulter an Schulter vor der hinteren Wand auf.

»In Ihrer Annonce versprachen Sie Diskretion«, sage ich und wende mich von den muskulösen Männern ab.

»Selbstverständlich, Euer Gnaden.«

»Ich würde gerne für Hausbesuche bezahlen.«

»Das ist überhaupt kein Problem. Wer darf Euch heute Abend nach Hause begleiten?«

Bei meinem ersten Mal? »Jemand Geduldiges, Sanftes.«

»Ihr müsst schon ein wenig präziser werden, Euer Gnaden. Diese Herren sind alle professionell und dafür ausgebildet, allein Eure Bedürfnisse zu erfüllen, nicht ihre eigenen. Jeder von ihnen kann Euch eine perfekte erste Erfahrung bieten.«

Tatsächlich? Na dann.

Ich trete ein paar Schritte näher und gehe an der Reihe der Männer entlang. Einige haben blasse Elfenbeinhaut, andere einen mittelbraunen Hautton so wie ich und wieder andere einen so dunklen, dass ihre Haut im Licht wunderschön glänzt. Ich blicke jedem der Männer direkt in die Augen. Ein paar von ihnen schenken mir ein keckes Lächeln, andere zwinkern mir zu, und wieder andere beißen sich auf die Unterlippe, während sie mich von oben bis unten betrachten und mir das Gefühl geben, sie wollten mich.

Professionell, in der Tat.

»Arbeitest du gern hier?«, frage ich willkürlich einen von ihnen, weil ich das seltsame Gefühl habe, mich vergewissern zu müssen.

»Für Sex bezahlt werden?«, fragt der Mann mit ebenholzfarbener Haut zurück. »Ist das nicht der Traum aller Männer? Obwohl es natürlich etwas ganz Besonderes ist, wenn jemand so Schönes wie du durch diese Tür kommt.«

Ich drehe mich wieder zu der Madame um. »Ich werde sie alle ausprobieren, angefangen mit dem hier.« Ich zeige auf den Mann, der gesprochen hat. »Wie heißt du?«, frage ich ihn.

»Sandros, Liebes, und wie soll ich dich nennen?«

Es gefällt mir, wie das Wort aus seinem Mund klingt, deshalb erwidere ich: »Liebes ist bestens.«

–––

Zwei Monate verfliegen in vollkommener Glückseligkeit. Zanita hatte vollkommen recht: All ihre Angestellten sind mehr als fähig. Ich stelle fest, dass es weniger ihr Aussehen ist, das mich beeindruckt – schließlich sind sie alle wunderschön –, sondern vielmehr das, was mir jeder Einzelne von ihnen zu bieten hat.

Thaddeus verwöhnt mich vor jeder Sitzung mit einer sinnlichen Massage und erklärt mir, wie sehr er es liebt, jeden Zentimeter von mir zu spüren, bevor wir anfangen. Kallen kuschelt gern, nachdem wir uns geliebt haben, und wiegt mich sanft in seinen Armen, während ich einschlafe. Soterios ist fest entschlossen, meinen Bedürfnissen dreimal nachzukommen, bevor er sich selbst verliert, und hält Frauen für wahre Wunder, weil sie in schneller Folge immer wieder zum Höhepunkt kommen können.

Aber Sandros entwickelt sich zu meinem Favoriten. Nicht nur, weil er mir ein perfektes, nahezu schmerzfreies erstes Mal beschert hat, sondern auch, weil er bei jeder Sitzung Stunden damit verbringt, mich zu küssen. So als würde er sich förmlich nach mir verzehren. So als wäre ich etwas ganz Besonderes für ihn.

Und ich zeige ihm, dass er etwas Besonderes für mich ist, indem ich ihm Geschenke mache: Manschettenknöpfe mit Saphiren, Seidenanzüge, teures Parfüm und alles andere, was ich an ihm sehen möchte. Doch am besten gefällt er mir nachts, wenn er gar nichts trägt.