The Grandmaster of Demonic Cultivation – Light Novel 05 - Mo Xiang Tong Xiu - E-Book

The Grandmaster of Demonic Cultivation – Light Novel 05 E-Book

Mo Xiang Tong Xiu

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Beschreibung

Nach all dem Chaos, den Intrigen und der Sehnsucht haben Wei Wuxian und Lan Wangji endlich zueinandergefunden. Doch ihre Reise ist noch nicht zu Ende. In vier Kurzgeschichten erfahren wir, wie das Leben der zwei sich fortan gestaltet, bekommen aber auch Einblick in die Erlebnisse aus ihrer Jugend. Erfreuen wir uns noch ein letztes Mal an einer Liebe, die alle Zeiten überdauert. Der perfekte Abschluss des Light-Novel-Bestsellers aus China!

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Cover

Impressum

Extrakapitel: Gewaltsames Eindringen

Alles hatte in der Nacht vor drei Tagen begonnen. Der junge Herr Qin war gerade von einer Veranstaltung zurückgekommen. Müde und angetrunken wollte er sich hinlegen, als er ein lautstarkes Klopfen am Haupttor seines Anwesens vernahm. Irgendjemand hämmerte gegen das Tor, wieder und wieder.

Schlaftrunken fragte der Diener, der für die Nachtwache eingeteilt war, wer der Ankömmling sei. Dann stand er auf und ging mit einer Laterne in der Hand zum Tor. Gerade als er ein weiteres Mal nachfragen wollte, schien der Ankömmling dem Wahnsinn zu verfallen. Wie von Sinnen schlug er gegen das Tor. Der Türriegel knackte, während unentwegt zehn eiserne Krallen das Tor zerkratzten.

Es war so laut, dass sich kurze Zeit darauf all die vom Lärm aufgeschreckten Diener im Hof versammelten. Mit Öllampen, Knüppeln und Laternen in der Hand tauschten sie Blicke aus.

Endlich trat der Hausherr, lediglich in eine Jacke gehüllt, mit einem Schwert in der Hand in den Hof. Klirrend zog der junge Herr Qin das Schwert und rief: »Wer ist da?«

Augenblicklich wurde das Kratzen an der Tür noch lauter.

Der junge Herr Qin zeigte auf einen Diener, der mit einem Besen in der Hand in der Ecke kauerte. »Klettere auf die Mauer und schau nach, wer dort draußen ist.«

Der Diener wagte es nicht zu widersprechen. Leichenblass begann er seinen Aufstieg. Verzweifelt schaute er zum jungen Herrn Qin hinab, der ihn jedoch nur ungeduldig drängte weiter hochzuklettern. Zitternd wie Espenlaub kam er schließlich ganz oben an, legte seine beiden Hände auf das Ziegelsteindach und streckte den Kopf vor.

Ein Blick genügte und er fiel ohnmächtig zu Boden.

»Er meinte, ein Monster im Totenhemd mit wirrem Haar und voller Blutflecken habe an das Tor geklopft. Das war sicher kein Mensch«, schlussfolgerte der junge Herr Qin.

Bei diesen Worten tauschten Wei Wuxian und Lan Wangji einen Blick aus.

Lan Sizhui fragte: »Junger Herr Qin, habt Ihr keine genauere Beschreibung?«

Der junge Herr Qin kannte sich in der Kultivierungswelt nicht aus, hatte sich aber zufällig an die Richtigen gewandt. Er wusste, dass es sich bei den Anwesenden um Kultivierer handelte, kannte aber weder ihre Identität noch ihre Namen.

Lan Wangjis eiskalte Ausstrahlung war außergewöhnlich, Wei Wuxian wirkte überaus aufgeweckt und Lan Sizhuis Bewegungen waren trotz seines jungen Alters von Anmut geprägt. Der junge Herr Qin wagte es daher nicht, nachlässig zu sein und erwiderte: »Nein, aufgrund seines ängstlichen Naturells ist dieser törichte Diener sofort vor Schreck in Ohnmacht gefallen. Ich habe ewig gebraucht, um ihn wieder wach zu bekommen. Als hätte er da etwas Genaueres erkennen können.«

»Erlaubt mir bitte eine Frage«, warf Wei Wuxian ein.

»Bitte.«

»Junger Herr Qin, habt Ihr selbst keinen Blick auf das Wesen geworfen?«

»So ist es.«

»Schade.«

»Was ist daran schade?«

»Eurer Schilderung nach ist es ein bösartiger Untoter gewesen. Und diese haben es in neun von zehn Fällen auf eine bestimmte Person abgesehen. Hättet Ihr einen Blick auf ihn geworfen, hättet Ihr eventuell einen alten Bekannten entdeckt«, erklärte Wei Wuxian.

»Vielleicht ist er ja die eine Ausnahme. Und selbst wenn er es auf eine bestimmte Person abgesehen hatte, so muss das ja nicht unbedingt ich gewesen sein.«

Lächelnd nickte Wei Wuxian. »Stimmt.«

Der junge Herr Qin fuhr fort: »Das Wesen hat bis zum Morgen am Tor gekratzt. Als ich bei Tagesanbruch nachgesehen habe, war das Holz bis zur Unkenntlichkeit verunstaltet.«

Wei Wuxian und Lan Wangji drehten eine Runde am Tor. Lan Sizhui ging hinter ihnen und inspizierte alles gewissenhaft.

Das Haupttor des Qin-Anwesens war übersät mit Hunderten sich wild überlappenden Kratzern. Je fünf bildeten eine Einheit. Die längsten unter ihnen waren über einen Meter lang, die kürzesten nur einige Zentimeter. Das Tor war tatsächlich enorm beschädigt worden.

Die Kratzer stammten zwar zweifellos von einer menschlich anmutenden Hand, doch wie man es auch betrachtete, ein Lebender wäre mit seinen Fingernägeln zu einer solchen Tat kaum in der Lage gewesen.

»Zurück zum eigentlichen Thema. Da Ihr beiden jungen Herren ja Kultivierer seid, könnt Ihr die bösartige Kreatur doch sicher vertreiben?!«, fragte der junge Herr Qin.

Doch Wei Wuxian erwiderte: »Das ist nicht nötig.«

Lan Sizhui war sehr verwundert, sagte jedoch nichts. Auch der junge Herr Qin fand diese Antwort merkwürdig und vergewisserte sich, ob er richtig gehört hatte. »Nicht nötig?«

»Ja, es ist nicht nötig«, bestätigte Wei Wuxian.

»Ab dem Zeitpunkt ihrer Fertigstellung schützen Häuser ihre Bewohner vor Wind und Regen und genauso auch vor Eindringlingen. Das Tor des Hauses dient dabei als eine natürliche Barriere, die nicht nur Menschen, sondern auch nicht menschliche Wesen aufhalten kann. Da Ihr der rechtmäßige Besitzer dieses Anwesens seid, kann keine böse Kreatur hier eindringen, solang Ihr sie nicht durch Worte oder Taten dazu einladet. Der verbliebenen bösartigen Energie nach zu urteilen handelt es sich auch nicht um ein seltenes Geschöpf, wie es nur einmal in hundert Jahren vorkommt, junger Herr. Ein Tor reicht aus, um es am Eindringen zu hindern.«

Der junge Herr Qin hatte noch seine Zweifel. »Und da seid Ihr Euch auch wirklich sicher?«

»Ja«, antwortete nun Lan Wangji.

Wei Wuxian trat mit einem Fuß auf die erhöhte Türschwelle. »Wirklich. Und außerdem ist die Türschwelle eine weitere Barriere. Durch die Adern von Untoten fließt kein Blut und somit enthalten sie auch keinen Sauerstoff. Um sich vorwärts zu bewegen, können sie nur starr springen. Der Untote müsste zu Lebzeiten eine erschreckende Beinkraft besessen haben und einen Meter hoch springen können, andernfalls wäre er nicht einmal in der Lage, hier einzudringen, wenn das Tor weit offen stehen würde.«

Der junge Herr Qin war immer noch beunruhigt. »Gibt es nichts, das ich anschaffen muss? Etwa Talismane zum Schutz des Hauses oder Schwerter, um dunkle Kreaturen auszutreiben? Ich bin durchaus bereit, tief in die Tasche zu greifen. Geld spielt keine Rolle.«

»Wechselt den Türriegel aus«, schlug Lan Wangji vor.

»…«

Als Wei Wuxian das ungläubige Gesicht des jungen Herrn Qins sah, der wohl annahm, dass sie ihn mit diesem Vorschlag nur ruhigstellen wollten, meinte er: »Es liegt bei Euch, ob Ihr ihn auswechselt. Das müsst Ihr selbst entscheiden, junger Herr Qin. Falls noch etwas passieren sollte, seid Ihr willkommen, uns erneut aufzusuchen.«

Nachdem sie das Qin-Anwesen verlassen hatten, gingen Wei Wuxian und Lan Wangji eine Weile im Gleichschritt. Und während sie gemütlich umherspazierten, wechselten sie gelegentlich einige Worte.

Die beiden hatten sich mittlerweile halb in den Ruhestand zurückgezogen. Wenn nichts Dringliches anstand, wanderten sie ziellos in der Gegend herum, wobei der Zeitraum von wenigen Tagen bis hin zu einem Monat reichen konnte.

Als Wei Wuxian erfuhr, dass man Lan Wangji nachsagte, immer dort zu erscheinen, wo Hilfe benötigt wurde, hatte er nicht damit gerechnet, dass dies eine Herausforderung für ihn darstellen würde. Jetzt aber, wo er zusammen mit Lan Wangji unterwegs war, stellte er fest, dass es wirklich nervtötend war. Nicht etwa, weil es schwierig war, ganz im Gegenteil: Es war zu einfach.

Was er an den Nachtjagden so geliebt hatte, war die Wahl merkwürdiger und sonderbarer Orte. Solche, die mit allerlei unvorhergesehenen, spannenden Abenteuern verbunden waren. Doch Lan Wangji war nicht wählerisch. Er tat, was getan werden musste. Daher war es unvermeidlich, dass ihre Zielorte teils sehr gewöhnlich waren. Zum Beispiel war der bösartige Untote, der das Tor zerkratzt hatte, im Vergleich zu den Wesen, die Wei Wuxian früher gejagt hatte, überaus langweilig. Andere würden wahrscheinlich sogar sagen, dass er damit seine Fertigkeiten vergeudete und sein Eingreifen die Mühe nicht wert war.

Doch auch wenn die Fälle nicht sonderlich aufregend waren, so verbrachte er dennoch eine entspannte und erfreuliche Zeit, weil er mit Lan Wangji zusammen war.

Lan Sizhui führte still und leise Kleiner Apfel hinter ihnen her. Die ganze Zeit über dachte er nach, bis er es schließlich nicht mehr aushielt. »Hanguang-Jun, Wei Qianbei 1, verlassen wir das Anwesen des jungen Herrn Qin wirklich, ohne uns weiter damit zu befassen?«

»Ja«, bestätigte Lan Wangji.

Wei Wuxian lächelte. »Sizhui, denkst du etwa, dass ich gerade Unsinn geredet und ihn reingelegt habe?«

Hastig widersprach Lan Sizhui: »Aber nein! Das wollte ich damit nicht sagen. Ich meine nur, dass auch wenn das Tor tatsächlich eine abwehrende Wirkung auf böse Kreaturen hat, es doch fast schon auseinanderfällt. Wir haben ihm nicht einmal einen Talisman gegeben. Wird wirklich nichts passieren?«

Wei Wuxian war verwundert. »Musst du das noch fragen?«

»Ah …«, erwiderte Lan Sizhui.

»Natürlich wird etwas passieren«, bestätigte Wei Wuxian seine Befürchtungen.

»Was? Wieso?«

»Na, weil der junge Herr Qin gelogen hat«, erklärte Wei Wuxian.

Lan Wangji nickte leicht.

Lan Sizhui hingegen erschrak ein wenig. »Woran hast du das erkannt, Wei Qianbei?«

»Ich habe diesen jungen Herrn Qin zum ersten Mal getroffen, daher kann ich es nicht mit Sicherheit sagen, doch dieser Mann ist …«

»Stur und gefühllos«, beendete Lan Wangji seinen Satz.

»So ungefähr«, bestätigte Wei Wuxian dies und führte weiter aus: »Jedenfalls ist er kein Feigling. Die Ereignisse in jener Nacht waren zwar sonderbar, seiner Schilderung zufolge aber nicht so seltsam, dass es einen derart erschrecken würde. Wäre es denn so schwer für ihn gewesen, selbst auf das Mauerdach zu steigen und nachzuschauen?«

Lan Sizhui begriff. »Aber er behauptet felsenfest, nicht mal einen Blick auf das Wesen geworfen zu haben …«

»So ist es. Wenn etwas mitten in der Nacht wie verrückt gegen ein Tor hämmert, wäre doch jeder neugierig. Und wenn man kein Feigling ist, wäre es doch ganz normal, heimlich einen Blick zu riskieren. Ist es nicht eher seltsam, dass er behauptet, er hätte dies nicht getan?«, analysierte Wei Wuxian.

»Ich stimme zu«, meinte Lan Wangji.

Wei Wuxian war begeistert. »Wir denken nun mal das Gleiche!« Dann lächelte er und strich sich über das Kinn. »Und außerdem sahen die Kratzspuren am Haupttor zwar furchterregend aus, doch die Rückstände der grollenden Energie waren nicht sonderlich stark. Er wollte niemanden töten oder sich rächen, da bin ich mir sicher. Also warten wir ab, um zu sehen, was dahintersteckt.«

»Wenn das so ist, warum lockst du den bösartigen Untoten nicht zu dir und fragst ihn, Wei Qianbei?«, fragte Lan Sizhui.

»Mach ich nicht.«

»Warum nicht?«

Stur beharrte Wei Wuxian: »Um eine Yin-Anziehungsflagge zu bemalen, braucht man ja wohl Blut?! Dieser Körper ist schwach.«

Lan Sizhui ging davon aus, dass er einfach nur zu faul war, um sein eigenes Blut dafür zu opfern. »Wei Qianbei, du kannst mein Blut benutzen.«

Wei Wuxian prustete. »Sizhui, das ist eigentlich überhaupt nicht das Problem. Wir sind hier, damit du Erfahrungen sammelst, oder?«, fragte Wei Wuxian.

Lan Sizhui erschrak, und Wei Wuxian sprach weiter: »Natürlich kann ich den bösartigen Untoten rufen und direkt vertreiben. Aber kannst du das auch?«

Bei diesen Worten begriff Lan Sizhui sofort.

Nach einer Reihe von Ereignissen waren er und die anderen Sprösslinge des Gusu-Lan-Clans etwas zu abhängig von Wei Wuxian geworden. Seelen zu rufen und zu befragen und Untote einzusetzen waren tatsächlich oft die schnellsten Methoden, um ans Ziel zu kommen. Doch nicht jeder konnte sie nutzen, und Lan Sizhui beschritt auch nicht den dämonischen Pfad der Kultivierung. Daher war es auch nicht angebracht, viel über diese Methoden zu lernen. Wenn Wei Wuxian wieder seine alten Tricks anwenden und mit wenigen Kniffen die Angelegenheit regeln würde, würde Lan Sizhui dadurch keine Erfahrungen sammeln. Diesmal wollten Wei Wuxian und Lan Wangji ihm zeigen, wie man den Fall konventionell lösen konnte.

Lan Sizhui vergewisserte sich: »Hanguang-Jun und Wei Qianbei, ihr meint also, dass wenn der junge Herr Qin nicht die Wahrheit sagen möchte, wir uns erst einmal nicht mit ihm befassen und ihn ein wenig erschrecken sollten?«

»So ist es. Warte ab. Der Türriegel hält höchstens noch zwei Tage. Hanguang-Jun hat ihm den praktischen und gut gemeinten Rat gegeben, sich einen neuen zu besorgen. Der junge Herr Qin schien ihn aber nicht ernst genommen zu haben. Und wenn er wirklich etwas Wichtiges geheim hält, dann würden auch zehn neue Türriegel nichts bringen. Früher oder später wird das Wesen wiederkommen.« Davon war Wei Wuxian überzeugt.

Doch der Türriegel hielt nicht einmal eine weitere Nacht.

Mit finsterer Miene suchte der junge Herr Qin Wei Wuxian und Lan Wangji am nächsten Tag erneut auf.

Renommierte Clans hatten mehrere Sitze. Die drei waren gerade in einem davon angekommen und machten nun Rast in der Kleinen Bambushütte, einem eleganten, bescheidenen Gebäude des Lan-Clans. Der junge Herr Qin kam äußerst früh vorbei und traf auf Lan Sizhui, der gerade am Seil des Esels zerrte. Der arme Junge bemühte sich mit aller Kraft, Kleiner Apfel aus der Hütte zu schaffen, doch der hatte sich am Bambus festgebissen.

Als Lan Sizhui sich umdrehte, sah er den jungen Herrn Qin mit verzerrten Mundwinkeln vor sich stehen. Leicht errötend ließ Lan Sizhui das Seil los und bat den jungen Herrn hinein.

Ganz vorsichtig klopfte er an der Schlafzimmertür seiner Qianbei, um ihnen Bescheid zu geben. Lautlos öffnete der ordentlich angezogene Lan Wangji die Tür und schüttelte verneinend den Kopf.

Lan Sizhui verstand: Wei Qianbei würde nicht so schnell aufwachen.

Er wusste nicht, was er tun sollte. Schließlich rang er sich dazu durch, dem jungen Herrn Qin gegenüber zu behaupten, dass seine Qianbei sich aufgrund einer Krankheit noch ausruhen mussten.

Damit verstieß er ganz klar gegen die Clanregeln, denn Lügen war verboten. Aber er konnte ihm ja schlecht die Wahrheit sagen und offenlegen, dass Wei Wuxian noch schlief und Lan Wangji ihn so lange warten ließ, bis sie ihn zusammen empfangen konnten.

Wei Wuxian schlief so lange, bis die Sonne weit oben am Horizont stand, und er richtete sich auch nur gezwungenermaßen auf, weil Lan Wangji ihn wieder und wieder umarmte und streichelte. Da er sich mit geschlossenen Augen das Gesicht wusch und ankleidete, zog er versehentlich Lan Wangjis Oberbekleidung an. Unter der Überjacke, deren Saum er mehrfach umschlagen musste, schauten die Hemdärmel um einige Zentimeter hervor. Er sah wirklich unangemessen gekleidet aus.

Glücklicherweise hatte der junge Herr Qin überhaupt keine Zeit, Wei Wuxians Erscheinungsbild Beachtung zu schenken. Ungeduldig zerrte er die drei mit.

Das Haupttor des Qin-Anwesens war fest verschlossen. Mit dem Türklopfer hämmerte der junge Herr Qin an das Tor und verzichtete dabei auf Smalltalk.

»Nach Euren gestrigen Instruktionen war ich zwar ein wenig beruhigt, konnte aber dennoch nicht einschlafen. Daher habe ich nachts in der Haupthalle hinter verschlossenen Toren gelesen und Wache gehalten.«

Es dauerte nicht lange und ein Diener öffnete das Haupttor und bat die drei hinein. Als sie die Treppen in den Hof hinabstiegen, war Wei Wuxian leicht verdutzt.

Überall im Hof waren rote Fußabdrücke verteilt. Es war ein erschreckender Anblick.

»Gestern Nacht kam das Wesen erneut hierher«, erzählte der junge Herr Qin besorgt. »Es hat wieder gegen das Haupttor gehämmert und es zerkratzt. Fast eine Stunde lang hat es einen Höllenlärm veranstaltet. Und gerade als ich mich beruhigt hatte, hörte ich plötzlich, wie der Türriegel zerbrach.«

Als der junge Herr Qin dieses Geräusch vernommen hatte, hatten sich bei ihm sämtliche Nackenhaare aufgestellt. Er war zum Holztor der Haupthalle gerannt und hatte dort durch einen Spalt nach draußen gelinst.

Das Mondlicht schien schwach und er sah von Weitem, dass die beiden Torflügel offen standen. Er entdeckte die Umrisse des Untoten, der vor dem Haupttor des Qin-Anwesens lauerte. Wie ein Holzpflock, an dessen Ende man eine Sprungfeder befestigt hatte, sprang er wild vor dem Tor hin und her.

Auch nach einer ganzen Weile gelang es der Kreatur nicht, über die Türschwelle zu gelangen.

Der junge Herr Qin atmete erleichtert auf und dachte sich, dass Wei Wuxian recht behalten hatte. Durch die Adern der Kreatur floss kein Blut und ihr ganzer Körper war starr. Sie konnte die Beine nicht krümmen und somit garantiert nicht über die hohe Türschwelle springen.

Doch noch bevor er sich vollkommen in Sicherheit wägen konnte, sah er, wie die Gestalt plötzlich mit Schwung hoch in die Luft und mit einem Satz ins Innere schnellte!

Der junge Herr Qin drehte sich ruckartig um und presste seinen Rücken gegen das Tor der Haupthalle.

Nachdem das bösartige Wesen die Türschwelle überwunden hatte, trat es in den Hof und hüpfte schnurstracks nach vorn.

Platsch, platsch, platsch, platsch!

Mit nur wenigen Sprüngenwar es beim Tor der Haupthalle angelangt.

Der junge Herr Qin hatte das Beben des Holzes in seinem Rücken gespürt. Mit Schrecken war ihm bewusst geworden, dass nur noch dieses Tor ihn von diesem Wesen trennte, sodass er hastig die Flucht ergriffen hatte.

»Die Kreatur wurde vom Mondlicht erhellt und ich sah ihre Silhouette durch die Papierfenster«, berichtete der junge Her Qin. »Sie betrat die Halle nicht, sondern umrundete sie nur einige Male. Die Fußabdrücke im Hof stammen alle von ihr! Werte Herren, es ist nicht so, als würde ich Euren Worten keinen Glauben schenken, aber Ihr habt ganz klar gesagt, dass das Wesen hier nicht eindringen könnte.«

Wei Wuxian begab sich zu der Türschwelle. »Junger Herr Qin, normalerweise können starre Untote wirklich nicht über so etwas springen. Durch die Adern von Untoten fließt kein Blut, sodass sie ihre Knie nicht beugen können. Das könnt Ihr jeden beliebigen Kultivierungsclan fragen, sie würden Euch alle das Gleiche sagen.«

Der junge Herr Qin breitete seine Hände aus und deutete auf die roten Fußspuren im Hof. »Und wie erklärt Ihr dann das?«

»Das kann nur bedeuten, dass das Wesen, welches Euer Anwesen betreten hat, kein gewöhnliches Exemplar ist. Junger Herr Qin, bitte versucht Euch zu erinnern, ob Ihr gestern Nacht irgendetwas Merkwürdiges an dem bösartigen Untoten entdeckt habt?!«

Mit wenig erfreuter Miene dachte der junge Herr Qin einen Moment nach, bis ihm etwas einfiel. »Jetzt, wo Ihr es erwähnt: Die Haltung des Wesens war beim Springen ein wenig eigenartig.«

»Inwiefern?«, wollte Wei Wuxian wissen.

»Es schien …«, begann der junge Herr Qin.

Lan Wangji, der eine Runde im Hof gedreht hatte, kehrte an Wei Wuxians Seite zurück und meinte monoton: »Zu humpeln.«

»Genau!«, rief der junge Herr Qin sofort.

Augenblicklich fragte er skeptisch: »Woher wusstet Ihr das, junger Herr?«

Lan Sizhui interessierte das auch. Doch da Hanguang-Jun seit jeher immer alles wusste, war er zwar neugierig, aber nicht irritiert, sodass er ruhig die Antwort abwartete.

»Die Fußabdrücke auf dem Boden«, erklärte Lan Wangji.

Wei Wuxian beugte sich hinab und auch Lan Sizhui hockte sich hin, um sie zu inspizieren.

Nachdem Wei Wuxian sie kurz betrachtet hatte, hob er den Kopf und fragte an Lan Wangji gewandt: »Ein einbeiniger Untoter?«

Lan Wangji nickte.

Wei Wuxian stand auf. »Kein Wunder, dass er über die Türschwelle gelangen konnte. Von all diesen Fußabdrücken ist immer einer tief und einer nicht so tief. Eines seiner Beine ist gebrochen.«

Er dachte einen Moment nach und fragte dann weiter: »Was meinst du, hat er es sich vor oder nach seinem Tod gebrochen?«

»Davor«, meinte Lan Wangji.

Wei Wuxian stimmte zu. »Ja. Nach seinem Tod hätte es keine Auswirkung gehabt, egal welches Körperteil er sich gebrochen hätte.«

Und so fingen sie angeregt an zu diskutieren. Lan Sizhui kam nicht mehr mit und unterbrach sie hastig. »Hanguang-Jun, Wei Qianbei, einen Moment bitte. Ich sortiere das mal. Ihr meint, dass dieser bösartige Untote ein gebrochenes Bein hat und humpelt, und dass er deswegen leichter über die hohe Türschwelle springen konnte als ein zweibeiniger … ah, als ein körperlich unversehrter Untoter?«

Offensichtlich fragte der junge Herr Qin sich das auch gerade und meinte: »Ich habe mich doch wohl nicht verhört?«

»Habt Ihr nicht«, bestätigte Lan Wangji.

Der junge Herr Qin fand das absurd. »Sagt Ihr damit nicht auch, dass ein Mensch mit einem Bein schneller rennen kann als einer mit zwei Beinen?«

Die beiden hatten gerade konzentriert diskutiert und doch nahm Wei Wuxian sich einen Moment und grinste ihn an. »Das habt Ihr missverstanden. Aber wenn ich es anders erkläre, versteht Ihr es vielleicht. Es gibt Menschen, die auf einem Auge blind sind und das gesunde daher umso sorgsamer pflegen. Obwohl sie nur ein Auge haben, ist ihre Fähigkeit zu sehen nicht unbedingt schlechter als die von Personen, deren beide Augen noch gesund sind – sie kann sogar noch besser sein. Dieser Logik folgend kann jemand, dessen linker Arm gebrochen ist, nur noch seinen rechten Arm benutzen. Und es wäre denkbar, dass sein rechter Arm mit der Zeit eine enorme Stärke entwickelt. Die Kraft seines einen Arms würde vielleicht sogar die einer Person mit zwei Armen übersteigen …«

Lan Sizhui begriff. »Und weil dieser bösartige Untote sich zu Lebzeiten das Bein gebrochen hat und auch nach seinem Tod nur einbeinig herumgesprungen ist, ist seine Sprungkraft größer als die anderer Untoter?«

»Genauso ist es«, bestätigte Wei Wuxian freudig.

Lan Sizhui fand das äußerst interessant und merkte es sich.

Der junge Herr Qin war unruhig. »Das ist nur passiert, weil ich mich gestern mit meiner Frau gestritten habe und mich nicht mehr um die Reparatur des Tors kümmern konnte. Ich bin einfach nicht mehr dazu gekommen. Ich verstärke es jetzt, sodass das Tor so hart wie Eisen wird!«

Doch Lan Wangji schüttelte den Kopf. »Das bringt nichts. Dafür ist es jetzt zu spät.«

Der junge Herr Qin erschrak und spürte, dass das nichts Gutes heißen konnte. »Was soll das bedeuten?«

Wei Wuxian erklärte: »Es bedeutet, dass einige Abwehrmethoden gegen bösartige Kreaturen nur einmal verwendet werden können. Beim zweiten Mal erzielen sie keine Wirkung mehr. Hättet Ihr das Tor gestern repariert, hättet Ihr das Wesen noch eine Weile in Schach halten können. Doch jetzt, wo es bereits einmal das Haupttor passiert hat, wird dieses kein Hindernis mehr darstellen.«

Erschrocken und reuevoll fragte der junge Herr Qin: »Dann … Was soll ich dann jetzt machen?«

»Es aussitzen«, riet ihm Lan Wangji.

»Kein Grund zur Panik. Auch wenn die Kreatur das Haupttor überwunden hat, so hat sie noch nicht das zweite Tor passiert. Euer Anwesen gleicht im Aufbau einer Stadt. Momentan hat sie erst das erste Tor durchbrochen, es gibt aber ja noch zwei weitere«, beruhigte ihn Wei Wuxian.

»Es gibt noch zwei weitere? Welche?«

»Das Gästetor und das private Tor«, antwortete Lan Wangji.

»Den Zugang zur Haupthalle und den zu Eurem Schlafgemach«, übersetzte Wei Wuxian.