The Law of Fate - Jessica Raczkowski - E-Book

The Law of Fate E-Book

Jessica Raczkowski

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Beschreibung

Jules und Aiden kennen sich seit ihrer Kindheit, verbunden durch Jahre voller Lachen, Geheimnisse, Schmetterlinge im Bauch und Blicke, die mehr verraten als Worte. Doch bevor aus der leisen Verbundenheit mehr werden kann, geschieht etwas, das alles zerstört. Ein einziger Moment – und plötzlich herrscht schmerzliches Schweigen. Unerklärt. Unausgesprochen. Unvergessen. Fünf Jahre lang. Als sie sich auf einer Hochzeit unerwartet wieder gegenüberstehen, genügen wenige Sekunden – und alles ist wieder da. Blicke, die unter die Haut gehen. Gefühle, die sie längst verdrängt glaubten. Die unbändige Sehnsucht. Und eine Frage, die sie nicht mehr loslässt: Was wäre gewesen, wenn …? Zwischen alten Gefühlen, neuen Wahrheiten und einer Vergangenheit, die nicht ruhen will, fordern alte Wunden ihren Raum. Jules und Aiden stehen vor einer Entscheidung, die mehr verlangt als Herz oder Verstand. "The Law of Fate" ist ein Roman über das, was bleibt, wenn Worte fehlen. Über Liebe, Verzweiflung und das stille Wissen, dass wahre Seelenverwandtschaft ein unvermeidliches Schicksal ist.

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Seitenzahl: 520

Veröffentlichungsjahr: 2025

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The Law of Fate

Jessica Raczkowski & Nadine Lenski

Wortverwandt

Titel: The Law of Fate

Autorinnen: Jessica Raczkowski & Nadine Lenski

Verlag: Wortverwandt GbR

Verlagsadresse: Pfaffenhofstr. 6, 61130 Nidderau, Deutschland

E-Mail: [email protected]

 

Herstellung: epubli - ein Service der neopubli GmbH,

Köpenicker Straße 154a, 10997 Berlin

Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung: [email protected]

Die Wortverwandt GbR ist für Inhalt, Layout und Veröffentlichung verantwortlich.

 

Cover: Michael Holch

Lektorat & Korrektorat: Anja Jefremow | korrektureule.de

Buchsatz & E-Book-Produktion: Lektorat Jungierek | lektorat-jung.de

 

Alle Rechte vorbehalten.

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung der Rechteinhaber unzulässig.

Inhaltlicher Hinweis / Sensitivity Note

In diesem Roman werden Themen behandelt, die bei manchen Leserinnen und Lesern sensible Reaktionen auslösen oder belastende Erinnerungen wachrufen können.

Da wir vermeiden möchten, zentrale Inhalte und Wendungen der Geschichte vorwegzunehmen, findest du eine ausführliche Übersicht zu möglichen Triggern am Ende des Buches.

Wenn Worte nicht ausreichen:

 

Alec Benjamin – Water Fountain

Hurts – Stay

Labrinth – Jealous

Calvin Harris – Feel So Close

Swedish House Mafia, The Weeknd – Moth to a Flame

Matt Hansen – Something to Remember

Chandler Leighton, Lo Spirit – Let It go

Beck, Bat for Lashes – Let’s Get lost

Alex Band – Only One

MIIA – Dynasty

Carter Ryan – Wishes

RAIGN – Don’t Let Me Go

Keane – Somewhere only we know

 

 

Aidens Song: Arctic Monkeys – Do I wanna know?

Jules’ Song: Bellah Mae – 2053

Für die eine Verbindung, die keine Erklärung braucht.

Nur Mut.

~.~

»Was ist der Unterschied

zwischen der Liebe deines Lebens

und deinem Seelenpartner?"

»Das eine ist deine Entscheidung

– das andere Bestimmung.«

(Unbekannter Autor)

~.~

Inhalt
Kapitel 1: Mai 2015
Jules
Aiden
Jules
Aiden
Jules
Aiden
Jules
Aiden
Jules
Aiden
Jules
Kapitel 2: Mai 2016 – 1 Jahr später
Jules
Aiden
Jules
Kapitel 3: Januar 2019 – 2 Jahre und 8 Monate später
Aiden
Jules
Aiden
Jules
Kapitel 4: Juli 2019 – 6 Monate später
Jules
Aiden
Jules
Kapitel 5: Oktober 2019 – 3 Monate später
Aiden
Jules
Aiden
Jules
Aiden
Jules
Aiden
Jules
Kapitel 6: Mai 2020 – 7 Monate später
Aiden
Kapitel 7: August 2020 – 3 Monate später
Aiden
Kapitel 8: Dezember 2020 – 4 Monate später
Jules
Kapitel 9: Februar 2021 – 2 Monate später
Aiden
Jules
Epilog: Februar 2026 – 5 Jahre später
Trigger-Warnungen

Kapitel 1: Mai 2015

Jules

Im alten Griechenland gab es eine faszinierende Legende, die von Wesen erzählte, die einst in vollkommener Einheit existierten. Diese Menschen waren anders, als wir sie heute kennen: kugelförmig, mit vier kräftigen Armen und vier muskulösen Beinen, und ihre Köpfe trugen zwei Gesichter, die in perfekter Harmonie miteinander sprachen. Ihre Stärke und Anmut beeindruckten selbst die Götter. Doch diese Überlegenheit erregte auch den Zorn des mächtigen Zeus, der beschloss, sie zu zerschneiden. Eine Strafe für ihr Übermaß an Macht und Selbstbewusstsein. Mit einem einzigen Schlag seines Blitzes teilte Zeus die Kugelmenschen in zwei Hälften. Die einst so starken Wesen wurden zu verletzlichen Menschen, gefangen in einem tiefen Gefühl der Traurigkeit. Jeder Einzelne fühlte sich unvollständig, und viele von ihnen machten sich auf die Suche nach ihrer anderen Hälfte.

Die Zeit verging, doch das Verlangen nach dieser verlorenen Einheit blieb bestehen. In Dörfern und Städten flüsterten die Menschen von einer Liebe, die mehr war als bloße körperliche Anziehung. Es war ein Streben nach Wiedervereinigung, ein tiefes Bedürfnis nach Ganzheitlichkeit. Durch einen inneren Kompass geleitet, reisten sie durch Wälder und an Küsten, überzeugt davon, dass irgendwo da draußen ihre Seelenverwandten warteten – jene, die ihre Seele vervollständigen konnten. In den Augen eines Geliebten suchten sie den Funken des Vertrauten, in einer Berührung spürten sie das Echo ihrer verlorenen Einheit. Doch trotz aller Bemühungen blieben viele einsam zurück. Einige fanden ihre andere Hälfte nie und lebten in stiller Trauer. Andere erlebten flüchtige Begegnungen voller Leidenschaft, die jedoch selten von Dauer waren. Diese unerfüllte Sehnsucht prägte das menschliche Dasein – ein ständiges Streben nach etwas Unbekanntem, das tief im Herzen verankert war. 

Jules wurde abrupt aus ihren Gedanken gerissen, als ein Kellner unabsichtlich gegen ihre Schulter stieß.

»Oh, bitte verzeihen Sie, Miss …« Der junge Mann schien mit einer harschen Reaktion gerechnet zu haben, doch Jules hob beschwichtigend die Hand und schenkte ihm ein sanftes Lächeln. »Alles gut, kein Problem«, sagte sie.

Die Erleichterung, die ihm übers Gesicht huschte, brachte sie zum Schmunzeln. Er nickte dankbar und verschwand in der Menge. Wie hatte sie nur so tief in ihren Gedanken versinken können, mitten in all diesem Trubel? Der Lärmpegel um sie herum war beachtlich: Stimmen, Gelächter und das Klirren von Gläsern vereinten sich zu einem fröhlichen Durcheinander, das den gesamten Ballsaal erfüllte. Sie musste gestehen, das letzte Manuskript, das sie im Büro gelesen hatte, hatte sie vollkommen in ihren Bann gezogen. Wer hätte gedacht, dass die griechische Mythologie als Grundlage für einen Liebesroman so fesselnd sein könnte? Der Autor hatte sie definitiv überrascht. Seufzend nahm sich Jules vor, sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren.

Sie ließ ihren Blick durch den festlich geschmückten Saal schweifen, der mit seiner üppigen Dekoration und den elegant gekleideten Gästen den Rahmen für ein unvergessliches Wochenende bildete. Die Luft war aufgeladen von Emotionen. Menschen umarmten sich überschwänglich, einige trafen sich nach langer Zeit wieder, andere waren Fremde, die sich durch die bevorstehende Hochzeit bereits jetzt wie eine große Familie fühlten. Jules stand am Rand des Geschehens, was sie jedoch nicht davor bewahrt hatte, von dem Kellner angerempelt zu werden. Unbewusst strich sie über das zarte roséfarbene Kleid, das sie ausgewählt hatte. Vielleicht wäre eine auffälligere Farbe klüger gewesen? Doch als sie den Saal erneut überblickte, erkannte sie, dass es ohnehin kaum möglich war, in diesem Trubel herauszustechen. Die Braut – ihre beste Freundin – war schließlich für ihre Liebe zu pompösen Feiern bekannt, und Jules ahnte bereits, dass dieses Wochenende nicht weniger als extravagant werden würde. Sie nippte an ihrem Champagner und verzog kaum merklich das Gesicht. Sie konnte dem Geschmack immer noch nichts abgewinnen.

Während sie sich an der kurzen Atempause erfreute, fiel ihr Blick auf ihren Lebensgefährten, der – im Gegensatz zu ihr – inmitten des Getümmels aufblühte. Er war in ein Gespräch mit zwei Herren vertieft und gestikulierte wild, was Jules zu der Annahme verleitete, dass es um Geschäftliches gehen müsse. Die Art, wie die beiden Männer an seinen Lippen hingen, zeugte von Faszination für seine Ausführungen über den Markt und die Börse. Die Menschen liebten Ethan, egal, wohin er kam. Er konnte jeden mit seinem Charme oder seinen Fachkenntnissen fesseln. Jules hatte jedoch im Augenblick keinerlei Interesse an einem weiteren Gespräch über Aktienkurse oder Wirtschaftslagen in anderen Ländern und beschloss daher, ein wenig frische Luft zu schnappen. Sie hatte ihr Glas gerade auf das Tablett eines vorbeigehenden Kellners gestellt und wollte nach draußen gehen, als die Braut vor ihr aus der Menge auftauchte.

»Jules, da bist du ja!« Kate war an jedem Tag des Jahres eine atemberaubende Frau. Doch das dunkelgrüne Abendkleid, für das sie sich in letzter Sekunde entschieden hatte, betonte ihre weiblichen Kurven und optischen Vorzüge unverschämt gut, wie Jules freimütig anerkannte. Kates Mutter stammte aus Puerto Rico. Von ihr hatte sie den warmen, olivfarbenen Ton ihrer Haut geerbt, der vermutlich sehr viele Engländerinnen noch blasser vor Neid werden ließ. Die zahlreichen Tattoos und das Piercing, welches die Mitte ihrer Unterlippe zierte, vervollständigten das Bild einer exotischen Schönheit. Diese Schönheit stand nun direkt vor ihr und betrachtete sie von oben bis unten.

»Du siehst umwerfend aus, Jules«, sagte sie bewundernd und schlang ihre Arme um ihre Freundin. In Kates honigfarbenen Augen schimmerte ein sanftes Leuchten, das an den warmen Glanz eines Topases erinnerte und nur von ihrem strahlenden Lächeln übertroffen wurde. Jules ließ sich davon mitreißen, grinste zurück und brachte eine der langen schwarzen Haarsträhnen, die sich aus dem Zopf ihrer Freundin gelöst hatte, wieder in Ordnung.

»Danke, aber du stiehlst uns heute allen die Show.«

In Jules’ Worten lag nichts als Wärme und Aufrichtigkeit, doch ihre Freundin schnaubte nur und winkte ab.

»Papperlapapp.«

Jules war schon immer eher schüchtern gewesen, kleiner und zierlicher als Kate und beschenkt mit der so gar nicht exotischen englischen Blässe. Äußerlich wie charakterlich unterschieden sich die beiden Frauen grundlegend und ergänzten sich dadurch perfekt. Sie kannten sich schon seit der Grundschule und verbrachten seither fast jede freie Minute miteinander. Jules liebte Kate wie eine Schwester und war an diesem ganz besonderen Wochenende vermutlich genauso glücklich und aufgeregt wie Kate selbst. Jules hätte nie gedacht, dass ihre Freundin vor ihr heiraten würde – und erst recht nicht mit vierundzwanzig. Kate hatte es immer geliebt, frei zu sein, durch die Welt zu reisen, mit den Männern zu flirten und wie ein Wirbelwind durch deren Leben zu rauschen. Als sie jedoch zwei Jahre zuvor Nicolás auf einer ihrer Reisen durch Argentinien kennengelernt hatte, änderte sich das alles schlagartig. Würde man Jules nach dem perfekten Paar fragen, würde sie, ohne zu zögern, die beiden nennen. Kate unterbrach sie in ihren Gedanken, umfasste ihren Unterarm und manövrierte sie zielstrebig durch die Menge.

»Nicolás’ Eltern sind angekommen, ich möchte euch bekannt machen.« Eigentlich war Jules’ Bedarf an Begrüßungen und Small Talk für heute gedeckt, doch das behielt sie für sich und folgte ihrer Freundin. Der Braut durfte man ohnehin keinen Wunsch abschlagen, schon gar nicht, wenn die Braut Kates Temperament besaß und Jules zudem noch ihre Trauzeugin war.

Nachdem sie sich ihren Weg quer durch den Saal gebahnt hatten, blieb Kate vor einem älteren Paar stehen, das genauso verloren wirkte wie Jules vor wenigen Minuten.

»Isabella, Thiago, darf ich vorstellen? Das ist Jules, meine beste Freundin und Trauzeugin«, erklärte sie Nicolás’ Eltern auf Spanisch. Aus Nicolás’ Erzählungen wusste Jules, dass seine Eltern in Argentinien lebten und bis auf ein paar wenige Sätze kein Englisch sprachen. Und so begrüßte sie die beiden ebenfalls auf Spanisch, froh, sich damals in der Schule und später an der Uni genau für diese Sprache entschieden zu haben. Isabella und Thiago strahlten sie freudig an, schüttelten ihr liebevoll die Hand und erzählten aufgeregt über die ersten Tage, die sie außerhalb von Argentinien verbracht hatten. Jules schloss diese beiden Menschen – ebenso wie Nicolás vor zwei Jahren – sofort in ihr Herz. Während sie noch damit beschäftigt war, dem enthusiastischen Reisebericht zu folgen, hatte Kate bereits zwei Gläser organisiert. Eines davon reichte sie an Jules weiter. Diese hob eine Augenbraue und schnupperte verstohlen daran.

»Apfelsaft«, flüsterte ihr Kate verschwörerisch zu und zwinkerte. Jules grinste. Das hätte sie sich eigentlich denken können. Ihre Freundin trank schon seit Jahren keinen Alkohol mehr.

Die Konversation zwischen Kate und ihren zukünftigen Schwiegereltern plätscherte ausgelassen dahin, und Jules hörte aufmerksam zu, als plötzlich eine Stimme aus der allgemeinen Geräuschkulisse hervortrat und in ihr Bewusstsein drang. Sie erstarrte. Während sie nach außen hin völlig regungslos dastand, verwandelte sich ihr Inneres in einen Schwarm von Schmetterlingen, die aufgebracht mit den Flügeln schlugen und umeinander kreisten. Unwillkürlich krampften sich ihre Finger um das Glas, und sie blickte Hilfe suchend zu Kate. Das konnte unmöglich sein. Ihre Freundin hätte es doch bestimmt erwähnt. Jules’ Herz schlug heftig in ihrer Brust, und noch bevor sie der Stimme zugewandt war, wusste sie, wen ihr Blick finden würde. Ein Lachen bestätigte schlagartig ihre Befürchtung. Sein Lachen, das sie nie vergessen konnte, so sehr sie sich auch darum bemüht hatte. »Aiden.« Sein Name war nur ein Flüstern, das beinah lautlos über ihre Lippen huschte. Er konnte es unmöglich gehört haben, und doch richteten sich seine Augen genau in diesem Moment auf sie – und ihre Blicke fanden sich. Wie vom Blitz getroffen erstarrte auch Aiden, und für einige Wimpernschläge lang sahen sie sich einfach nur an. Das Atmen fiel ihr schwer, und Jules hätte schwören können, dass auch ihr Herz jeden Moment den Dienst versagen und entweder einfach aufhören zu schlagen oder endgültig zerspringen würde.

Aiden entschuldigte sich bei seinen Gesprächspartnern und kam auf sie zu. Unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, folgte ihr Blick seinen anmutigen Bewegungen und den kraftvollen Schritten, bis er schließlich direkt vor ihr stehen blieb. Er war noch größer und muskulöser, als sie ihn in Erinnerung hatte. Langsam hob sie den Blick und sah direkt in seine warmen, braunen Augen.

»Hey.« Seine tiefe Stimme hallte wie ein Echo durch ihren Körper. Bevor sie die Kontrolle über ihre Reaktion darauf wiedererlangen konnte, umarmte er sie vorsichtig. Er roch nach einem Hauch von Kaffee. Nach all den gemeinsamen Sommertagen voller Herzklopfen und nach etwas, das sie nicht benennen konnte, aber schrecklich vermisst hatte.

»Hey«, hauchte sie leise und erwiderte die Umarmung zaghaft. Hastig trat sie einen Schritt zurück und hoffte inständig, dass er das wilde Schlagen ihres Herzens nicht gespürt hatte. Sie blickte verlegen auf das Glas in ihren Händen und wünschte sich nun doch, es wäre Champagner statt Apfelsaft. Sie war sich ihrer Unbeholfenheit nur allzu schmerzlich bewusst und rang verzweifelt nach Fassung, als Kate sich zu ihnen gesellte und Aiden überschwänglich umarmte.

»Aiden, ich dachte schon, du kommst zu spät.« Sie sah ihn gespielt böse an, und Aiden hob sofort lachend die Hände.

»Das würde ich mich niemals trauen, ich bin doch nicht lebensmüde!« Er zwinkerte ihr zu, sichtlich bemüht, die Stimmung aufzulockern, fuhr sich aber gleichzeitig nervös durch sein dunkles Haar, das ihm immer wieder in die Stirn fiel.

»Jules, ich hatte dir doch erzählt, dass Aiden netterweise Nicolás’ Trauzeuge ist, weil er hier noch kaum jemanden kennt, oder?« Jules entging das schelmische Blitzen in Kates Augen nicht. Nein, Kate hatte ihr nichts dergleichen erzählt, und das wusste sie auch ganz genau. Was sie ihr stattdessen ein paar Monate zuvor erzählt hatte, war, dass Aiden zum Zeitpunkt der Hochzeit beruflich im Ausland sein würde. Seit Jahren lag Kate ihr schon in den Ohren und drängte Jules, ihr endlich zu erzählen, was zwischen ihr und Aiden geschehen war, warum sie keinen Kontakt mehr hatten. Doch Jules hatte das Thema beharrlich gemieden, obwohl sie ihrer Freundin sonst nichts verschwieg. Aiden war eben nicht nur ein Freund oder Bekannter von Jules. Sie alle drei waren seit Kindertagen miteinander befreundet, von dem Zeitpunkt an, als Aiden mit seiner Familie nach Greenwich gekommen und in das Haus nebenan gezogen war. In den ersten Tagen an der Grundschule hatte Aiden sich einen Spaß daraus gemacht, Kate zu ärgern. Als er ihr an den Haaren gezogen hatte, hatte sie ihm kurzerhand ins Gesicht geboxt. Seine Lippe hatte geblutet und er war völlig schockiert davongerannt. Am nächsten Tag entschuldigten sich beide kleinlaut, und aus dem bisherigen Zweiergespann wurde ein Trio. Sie wuchsen zusammen auf und hatten viele Jahre lang so gut wie alles miteinander geteilt.

Jules wandte sich Kate zu.

»Das musst du wohl vergessen haben«, antwortete sie mit neutraler Stimme, funkelte ihre Freundin dabei aber böse an. Kate sollte ruhig wissen, dass sie ihren Plan durchschaut hatte. Jules würde sich davon nicht weiter aus der Fassung bringen lassen. An Aiden gewandt räusperte sie sich leise und lächelte leicht.

»Schön dich zu sehen, Aiden«, sagte sie.

Für einen Moment dachte Jules, etwas in seinen Augen gesehen zu haben. War er etwa gekränkt? Doch es verschwand so schnell, dass sie es nicht weiter ergründen konnte. Kate sah von einem zum anderen, sichtlich unzufrieden mit der immer noch leicht angespannten Situation. Was auch immer hinter Kates Plan steckte, Jules wusste, dass ihre Freundin nicht so leicht aufgeben würde. Letzten Endes bekam Kate meistens ihren Willen, und ihr Umfeld hatte sich damit arrangiert.

»Hach, das Wochenende wird fantastisch«, sagte Kate, klatschte in die Hände und grinste von einem Ohr zum anderen.

Gemeinsam mit Aiden zog Kate von dannen, um ihn ebenfalls mit Nicolás’ Eltern bekannt zu machen. Jules blieb unschlüssig zurück. In Gedanken mit der Frage beschäftigt, in welche Richtung sie am besten flüchten sollte, spürte sie plötzlich einen Arm um ihre Taille.

»Ich habe dich schon vermisst«, raunte die bekannte Stimme in ihr Ohr. Jules drehte erleichtert den Kopf und drückte Ethan lächelnd einen Kuss auf die Lippen.

»Wirklich? Ich hatte schon Angst, dass mir jetzt auch grauhaarige Männer über fünfzig Konkurrenz machen.« Sie grinste frech und schmiegte sich leicht an seine Seite. Ethan schlang den Arm enger um sie, lachte und küsste sie aufs Haar.

»Es war knapp, aber du hast gewonnen.«

Sie kniff ihm in den Oberarm und war dankbar, ihn wieder an ihrer Seite zu haben. Sie fühlte sich gleich wohler, auch wenn sie lieber noch etwas mehr Distanz zwischen sich und Aiden gebracht hätte. Ethan sah sich im Raum um.

»Ich hoffe, es gibt bald etwas zu essen. Man sollte doch meinen, dass ein Yachtclub seine Gäste nicht verhungern lassen will.«

Jules kicherte, und die Anspannung fiel mit jeder Sekunde in Ethans Gegenwart weiter von ihr ab.

»Ich bin mir fast sicher, dass in Southampton noch nie jemand verhungert ist«, gab sie mit einem belustigten Unterton zurück und nahm seine Hand.

»Komm, da drüben habe ich, glaube ich, einen Kellner mit Canapés gesehen.«

Hand in Hand schoben sie sich vorsichtig an den anderen Gästen in der Empfangshalle vorbei, und Jules widerstand dem inneren Drang, sich noch einmal umzudrehen.

Applaus erfüllte den Saal, als Nicolás seine Begrüßungsrede beendete und das Dinner eröffnete. Er sprach zwar nach wie vor mit einem starken spanischen Akzent, aber Jules mochte, wie er die Worte betonte. Während seiner Ansprache hatte Nicolás Kate immer wieder verliebt angeschaut, und es war so vertraut und ehrlich, dass Jules’ Herz jedes Mal einen Sprung machte.

Kate hatte beschlossen, nach dem Studium erst mal eine Auszeit zu nehmen und Südamerika zu bereisen, bevor sie eine Stelle als Lehrerin annehmen würde. Das hatte Jules nicht sonderlich überrascht, sie war mit Kates Reisefieber bestens vertraut. Allerdings hatte es sie schockiert, als Kate verkündete, sie würde länger in Argentinien bleiben als geplant, weil sie jemanden kennengelernt habe. Aus »länger« wurde über ein Jahr. Als Kate dann schlussendlich nach London zurückkehrte, war Nicolás an ihrer Seite. Jules konnte sich nicht helfen, aber Kates und Nicolás’ Geschichte kam ihr fast so vor, als sei sie einem Liebesfilm entsprungen – zu schön, um wahr zu sein.

Jules spürte Ethans Hand auf ihrem Bein. Sie musterte für einen Moment seine graublauen Augen und sein charmantes Lächeln und bemerkte, dass auch er von der romantischen Atmosphäre im Saal nicht unberührt geblieben war. Sie seufzte leise und zupfte an seiner hellgrauen Krawatte, die perfekt zur Farbe seiner Augen passte. Und natürlich ebenfalls auf den hellgrauen Maßanzug abgestimmt war. Jules neckte ihn manchmal, er sei zu eitel und lege zu viel Wert auf sein Äußeres. Auch zog sie ihn hin und wieder bezüglich der schieren Menge an Anzügen auf, die seine Seite des Kleiderschranks füllte, und witzelte, seine blonden Haare und der Bart seien viel zu akkurat geschnitten. Doch sie musste zugeben, dass er einen sehr guten Geschmack hatte und einer der attraktivsten Männer im Raum war. Ethan fing ihren Blick auf, lächelte sie an, drückte seine Lippen auf ihre Handfläche und erhob sich.

»Kann ich dir etwas mitbringen?«, fragte er sie und deutete mit dem Kopf auf das Buffet, welches bereits mit Vor- und Nachspeisen eingedeckt war.

»Nur etwas Salat und Brot, danke.« Sie lächelte ihm zu und sah ihm noch eine Weile nach.

Für einen Moment saß sie allein an ihrem Tisch, der für die Trauzeugen sowie deren Partner und Familien gedacht war. Die beiden Plätze neben ihr blieben heute frei, da ihre Eltern erst morgen anreisen würden. Southampton war etwas mehr als zwei Stunden von den Wohnorten der meisten anwesenden Gäste entfernt, und weil Kate mit allen ein entspanntes Wochenende verbringen wollte, hatte sie den Yachtclub für drei Tage gemietet. Wer wollte, konnte beide Nächte hier verbringen. Kates Vater übernahm sämtliche Kosten für die Hochzeit, und er war ebenso wenig dezent wie seine Tochter.

Heute stand nur das Dinner zum Kennenlernen auf dem Programm. Morgen würde der Tag mit einem gemeinsamen Frühstück im engsten Familienkreis beginnen. Anschließend würden sie alle zur Trauung in die Kirche fahren und danach zur Hochzeitsfeier wieder hier zusammenkommen. Am Sonntag würden alle abreisen. Aidens Eltern hatte Jules bereits begrüßt. Nicht nur Aiden, Kate und Jules hatten sich damals angefreundet, auch ihre Eltern verstanden sich so gut, dass es viele gemeinsame Abende und sogar Urlaube gegeben hatte. Sie lebten in derselben Nachbarschaft und pflegten den Kontakt zueinander, auch nachdem ihre Kinder erwachsen geworden waren.

Gedankenverloren ließ Jules ihren Blick durch den Raum schweifen. Dann entdeckte sie Aiden an der Bar. Er hielt einen Drink in der Hand und unterhielt sich mit Kates Vater. Er lachte, und obwohl sie es durch das Stimmengewirr im Raum nicht hören konnte, wusste sie genau, wie es sich anhörte. Bei der Erinnerung an den Klang seines Lachens zog sich ihre Brust schmerzhaft zusammen. Es war, als würde eine alte Wunde in ihrem Herzen wieder aufreißen, und Sehnsucht und Leid quollen daraus hervor. Sie wollte sich nicht so fühlen, hatte alles darangesetzt, die Erinnerungen an ihn so tief wie möglich zu vergraben. Das letzte Mal hatte sie Aiden vor fünf Jahren gesehen. Danach hatte es Monate gedauert, bis sie wieder halbwegs sie selbst war, lächeln konnte und nicht jeden verfluchten Tag diesen nun wieder aufkeimenden Schmerz spürte. Jules zuckte zusammen, als es den Anschein hatte, dass Aiden sich zu ihr umdrehen würde. Hastig wandte sie den Blick ab. In der nächsten Sekunde wurde ein Teller mit Salat und zwei Scheiben Baguette vor ihr abgestellt. Ethan nahm wieder neben ihr Platz, während die Kellner verschiedene Getränke in die Gläser der Gäste füllten. Jules war dankbar über diese Ablenkung und nickte, als ihr Wein angeboten wurde – sie musste sich dringend zusammenreißen. Ethan war vielleicht nicht der emphatischste Mensch, aber auch er würde merken, wenn sie weiterhin derart neben der Spur sein würde.

Nach und nach füllte sich der Tisch. Die Stimmung war ausgelassen, Geschichten wurden ausgetauscht, und es wurde viel gelacht. Jules war inzwischen bei ihrem zweiten Glas Wein angelangt, und auch wenn es ihr nicht entging, dass Aidens Stuhl immer noch leer war, schaffte sie es, den pochenden Schmerz langsam wieder nach unten zu drücken: zurück in die tief verborgene Kiste in ihrem Herzen. Ethan hatte inzwischen verschiedene kleine Schälchen mit Desserts an ihren Tisch balanciert und zwei davon direkt vor ihr abgestellt. Sie lächelte ihm dankend zu, während sie der Geschichte von Aidens Mutter Mary lauschte, die angeregt von ihrem Garten erzählte. Jules war gerade dabei, den Löffel in eines der beiden Schälchen zu tauchen, als eine Hand blitzartig danach griff und es quer über den Tisch wegzog. Irritiert sah sie auf und blickte direkt in Aidens Gesicht. »Das solltest du lieber lassen«, ermahnte er sie mit ruhiger Stimme und einem fürsorglichen Gesichtsausdruck.

Immer noch sichtlich verwirrt und auf erklärende Worte wartend, starrte sie Aiden einfach nur weiter an. Ethan sah zwischen den beiden hin und her.

»Was zum–«, setzte er an, wurde aber von Aiden unterbrochen, dessen Blick beharrlich auf Jules ruhte. Ihr Puls beschleunigte sich.

»Das ist Pistaziencreme«, sagte Aiden. Langsam löste Jules ihren Blick von seinen Augen und sah zu der Schale, die er noch immer in der Hand hielt, dann wieder in sein Gesicht.

»Oh, danke«, kam es endlich etwas zu leise über ihre Lippen. Da Ethan immer noch aussah, als könne er das eben Geschehene nicht einordnen, fügte sie schnell hinzu:

»Ich bin allergisch gegen Pistazien, wie du weißt.«

Ethan räusperte sich und sah sie entschuldigend an. Sie konnte sehen, was hinter seiner Stirn vorging, wie er sich fragte, woher Aiden das wissen konnte und wer der Typ eigentlich war. Doch Ethan würde all seine Fragen vorerst für sich behalten und sie nicht hier vor den anderen Gästen stellen, dessen war sie sich sicher.

»Natürlich weiß ich das«, sagte er schließlich. »Ich hatte nur nicht darauf geachtet, welche Sorten ich mitgebracht hatte. Tut mir leid.« Er strich sanft über ihren Handrücken und schob eines der Schälchen mit Schokomousse näher zu ihr. »Die anderen sind ungefährlich, versprochen.« Er zwinkerte ihr zu, und Jules musste schmunzeln. Als sie wieder zum gegenüberliegenden Platz aufschaute, konnte sie gerade noch sehen, wie Aiden den Saal verließ. Seine Eltern tauschten einen langen Blick aus, bevor Mary das Gespräch wieder aufnahm und Ethan ausfragte, ob seine Mutter auch ein Händchen für den Garten habe. Höflich, wie er nun mal erzogen worden war, ließ er sich in die Konversation verwickeln.

Jules löffelte schweigend ihr Dessert, das mit einem Mal ziemlich fad schmeckte, und versank in ihren Gedanken. Warum war Aiden so plötzlich gegangen? War es ihm unangenehm, mit ihr zu reden? Befürchtete er, sie würde ihm eine Szene machen? Er sollte wissen, dass sie diese alte Geschichte nicht auf Kates Hochzeit ansprechen würde, schon gar nicht vor seinen Eltern. Er hatte an diesem Abend kaum ein Wort mit ihr gesprochen, weshalb sie nicht wusste, was sie empfand. Und trotzdem hatte er nach all den Jahren nicht aufgehört, darauf zu achten, dass sie in seiner Gegenwart nichts mit Pistazien aß. Als sie Kinder waren, hatte er miterlebt, wie sie keine Luft mehr bekam und ein Notarzt kommen musste. Seit diesem Tag passte er sehr akribisch auf, dass sie sich von Pistazien fernhielt. Seine Fürsorge bezüglich ihrer Allergie verunsicherte sie. Sie passte nicht zu dem Verhalten, mit dem er ihr vor fünf Jahren das Herz gebrochen hatte. Um keinen Preis wollte Jules an diesen Ort in ihren Erinnerungen zurückkehren! Also riss sie sich selbst aus ihren Gedanken und beteiligte sich wieder am höflichen Small Talk, der am Tisch dahinplätscherte. Sie ertappte sich allerdings mehrmals dabei, wie ihr Blick immer wieder zur Tür huschte. Doch Aiden kam an diesem Abend nicht mehr zurück.

Aiden

In seinem Kopf rauschte es so laut, dass er keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Kaum öffneten sich die Türen des Fahrstuhls, da stürmte Aiden auf den Flur hinaus und in sein Hotelzimmer. Er musste sich beruhigen, aber das konnte er unmöglich, während er dort unten im Saal war. Mit ihr. Selbst hier oben spürte er noch immer etwas in seinem Inneren ziehen, etwas, das ihn wieder zurück zu ihr bringen wollte. Jules war Kates beste Freundin. Er wusste, dass sie an diesem Wochenende hier sein würde. Doch dass ihr Anblick ihn derart aus der Fassung bringen würde – damit hatte er nicht gerechnet. Sie wirkte erwachsener als damals, war aber immer noch so strahlend und wunderschön, wie er sie in Erinnerung hatte. Ein einziger Blick in ihre tiefgrünen Augen hatte gereicht, und sein Herz hatte für einen Schlag lang ausgesetzt. Schon damals hatte er leicht darin versinken können, hatte die goldbraunen Flecken gezählt, die an manchen Stellen das Grün durchbrachen und in der Sonne leuchteten.

Aiden warf seine Klamotten achtlos auf den Boden und drehte das Wasser in der Dusche auf. Wenig später prasselte es heiß über seinen Rücken. Der Wasserdampf hüllte ihn vollständig ein und schirmte ihn von der Realität ab. Er strich sich die nassen Haare aus der Stirn und hielt sein Gesicht in den Wasserstrahl – in der Hoffnung, seine Gedanken einfach wegspülen zu können. Doch stattdessen versank er noch tiefer in ihnen und wanderte durch seine Erinnerungen – sie alle handelten nur von ihr. Er konnte alles ganz klar vor sich sehen, auch diese eine Nacht vor fünf Jahren, die er nie vergessen würde.

Ihre Lippen, sanft und süß auf seinen, ihr zierlicher Körper, der unter ihm bebte, ihr braunes Haar, das sich wie ein dunkler Fächer auf dem Kissen ausbreitete.

Aiden schloss die Augen und lehnte die Stirn an die kühle Glaswand. Fast konnte er ihr Seufzen, ihr wohliges leises Stöhnen hören, das ihn damals fast um den Verstand gebracht hätte.

Ihre Haut war makellos, jede ihrer Berührungen hinterließ brennende Spuren, ihre Körper verschmolzen zu einem. Niemals würde er den Moment vergessen, als er sich vollends in ihr verlor. Wie sie die Augen schloss und seinen Namen leise stöhnte, während sie sich unter ihm wand und ihre Schenkel enger um ihn schloss. Er glaubte, dass sein Herz zerspringen würde. Er war so erfüllt von reiner Liebe, Leidenschaft und brennendem Verlangen nach ihr, dass es seine Seele bis ins Mark durchdrang. Er verschränkte seine Hände mit ihren – und die Welt verblasste. Er sah und spürte nur noch sie.

Aiden keuchte und konnte den Schauer nicht unterdrücken, der ihm trotz des heißen Wassers über den Rücken kroch. Er war in dieser Nacht der glücklichste Mann der Welt gewesen und hatte sich noch nie vollständiger gefühlt als in diesem Moment. Doch am nächsten Morgen hatte ihm ein Anruf den Boden unter den Füßen weggerissen.

Seine Mutter war zusammengebrochen. Im Krankenhaus wurde schnell eine erschütternde Diagnose gestellt: Krebs. Ohne zu zögern, hinterließ er Jules eine Nachricht und fuhr ins Krankenhaus. Die Stunden dort vergingen wie in einem dumpfen Nebel aus Angst und Hilflosigkeit. Als er schließlich völlig erschöpft in die Wohnung zurückkam, war Jules bereits verschwunden. Kein Zettel, keine Nachricht. Auch kein Anruf auf seinem Handy. Nichts. Sein Mitbewohner zuckte nur mit den Schultern und erwähnte, dass sie die Wohnung beinah fluchtartig verlassen habe. Aiden hatte sich den Morgen auch anders vorgestellt, aber er hätte Jules niemals zugetraut, so wenig Verständnis für seine Situation zu haben.

Tage später, als sich die Verzweiflung in ein schmerzhaftes Vermissen verwandelte, versuchte er, sie zu erreichen. Immer wieder wählte er ihre Nummer, doch sie nahm nie ab. Er sprach nicht mit Kate darüber, weil er selbst nicht wusste, was er davon halten sollte. Er verbrachte jeden Tag am Bett seiner Mutter. Ständig in der Hoffnung, Jules würde ganz plötzlich doch auftauchen. Doch sie kam nicht. Stattdessen quälten ihn Fragen: Hatte er etwas falsch gemacht? War das, was er in dieser Nacht gefühlt hatte, nur einseitig gewesen?

Als seine Mutter ein paar Tage später operiert wurde, übermannten ihn erst Enttäuschung und schließlich Wut. Sie hatten seit Kindertagen fast jede freie Minute miteinander verbracht, seine Mutter liebte Jules beinah wie eine eigene Tochter. Und sie rief ihn nicht einmal zurück, um zu fragen, wie es ihm oder seiner Mutter ging?! Zu diesem Zeitpunkt begrüßte er zum ersten Mal den Umstand, dass sie an verschiedenen Universitäten studierten und sich nicht zufällig über den Weg laufen konnten.

Die Operation verlief erfolgreich, und während sich seine Mutter davon erholte, schloss er das Kapitel mit Jules ab und stürzte sich in sein Studium, in Partys und in ein Leben ohne sie.

Aiden drehte das Wasser ab. Kalte Realität durchbrach die Hitze der Erinnerung. Er hatte sich immer eingeredet, dass er sie vergessen und hinter sich gelassen habe. Mit mäßigem Erfolg, denn wenn er ehrlich zu sich selbst war, war sie immer irgendwie da gewesen. In einem verborgenen Winkel seiner Seele verankert. Sie heute zu sehen, war schmerzhaft, vor allem, weil sie mit diesem Kerl hier war. Trotz allem, was vorgefallen war, hatte er immer daran geglaubt, dass sie irgendwann wieder zusammenfinden würden. Aber die Sache mit ihrem Freund sah ernst aus. So, wie er sie ansah. So, wie sie ihn ansah. Aiden schlang das Handtuch um seine Hüften und umklammerte den Rand des Waschbeckens mit beiden Händen so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Als er sie vorhin umarmt hatte, hätte er sie am liebsten gar nicht mehr losgelassen. Doch sie war so höflich distanziert gewesen. Hatte sie je an ihn gedacht? Nur ein einziges Mal in den letzten Jahren?

Er hatte sich absichtlich von ihrem Tisch ferngehalten, obwohl dort auch seine Eltern saßen. Nach unbeschwertem Small Talk mit Jules und ihrem Partner war ihm nicht zumute, das wäre zu viel gewesen. Dennoch hatte er die ganze Zeit geglaubt, ihre Blicke auf sich zu spüren, und er musste sich zwingen, nicht zu ihr zu sehen. Er schüttelte den Kopf über seine kruden Fantasien. Zum Glück hatte er sich aber entschieden, zum Dessert kurz vorbeizuschauen. Dieser Idiot hätte sie fast ins Krankenhaus gebracht! Er seufzte und wischte mit der Hand über den beschlagenen Spiegel. Dann fasste er einen Entschluss: Er würde dieses Wochenende so gut wie möglich hinter sich bringen, das hatte Kate verdient. Seine Altlasten sollten ihre Hochzeit nicht überschatten. Heute war er einfach überrumpelt worden, aber das würde ihm nicht noch einmal passieren. Er musste einfach nur seine Erinnerungen wegsperren. In zwei Tagen war alles vorbei, und er konnte all das hinter sich lassen.

Jules

Jules und Ethan hatten sich relativ schnell nach dem Essen verabschiedet, um sich in ihr Hotelzimmer zurückzuziehen. Es war ein endloser Tag gewesen: erst die Arbeit, dann die Fahrt nach Southampton und kaum Zeit zum Ankommen, bevor sie sich schon wieder umzogen und in den Festsaal stürzten.

Nach einigen Gläsern Wein war Jules nun endgültig erschöpft. Das Programm für den nächsten Tag würde bereits früh am Morgen mit einem gemeinsamen Frühstück beginnen. Jules sehnte sich nach Schlaf.

»Nicolás’ Eltern scheinen sehr nett zu sein«, sagte sie zu Ethan, während sie ihre Ohrringe abnahm und im Spiegel beobachtete, wie er Jackett und Krawatte auszog.

»Da ich kaum ein Wort von dem verstehe, was sie sagen, muss ich dir da wohl vertrauen.« Er grinste schelmisch und begann, sein Hemd aufzuknöpfen. »Da wir gerade von ‚netten Leuten‘ reden: Wer war der Typ mit der Pistaziencreme?«

Der misstrauische Unterton in seiner Stimme entging ihr nicht.

»Das war Aiden«, sagte sie. »Mary, mit der du dich so angeregt über Rosen und Lilien unterhalten hast, ist seine Mutter.«

Sie versuchte, ihre Gesichtszüge so neutral wie möglich zu halten. »Er ist Kates bester Freund, und seine Eltern sind mit ihren und meinen Eltern befreundet.«

Ethan zog die Vorhänge zu und nickte langsam.

»Er scheint nicht der geselligste Typ zu sein«, bemerkte er mit einem spöttischen Grinsen und trat hinter sie, um den Reißverschluss ihres Kleides zu öffnen. Jules blickte über ihre Schulter und schaute Ethan an.

»Es kann nicht jeder so unverschämt charmant sein wie Sie, Mr. Collins«, sagte sie frech und grinste, wenn auch halbherzig. Sie hoffte, dass das Thema Aiden damit erledigt war.

Jules hatte ihn Ethan gegenüber noch nie namentlich erwähnt. Wenn sie Geschichten aus ihrer Vergangenheit erzählte, in denen auch Aiden vorkam, hatte sie immer einen Weg gefunden, das Thema zu umgehen oder zumindest keine Namen zu nennen. Zu Beginn ihrer Beziehung mit Ethan wollte sie Aidens Namen nicht aussprechen, weil sie Angst hatte, der Schmerz käme zurück, sobald sie ihn erwähnte. Eigentlich hatte Jules keine Geheimnisse vor Ethan, aber nachdem sie es anfangs nicht über sich gebracht hatte, über Aiden zu sprechen, konnte sie es später irgendwie auch nicht mehr, ohne dass es seltsam geklungen hätte. Außerdem hatte Ethan sie damals gefragt, ob er der erste Mann gewesen sei, mit dem sie geschlafen habe. Ohne weiter darüber nachgedacht zu haben, hatte sie mit Ja geantwortet. Im Nachhinein konnte sie nicht einmal sagen, ob sie von der Frage überrumpelt worden war oder sich einfach nur wünschte, die Nacht mit Aiden hätte nie stattgefunden.

Zu Jules’ Erleichterung ging Ethan lächelnd auf ihr Kompliment ein und schob die Träger ihres Kleids über ihre Schultern, während er die Stelle unter ihrem Ohr küsste.

»Das will ich doch hoffen, Miss Davis«, raunte er leise.

Aiden

Die Nacht war kurz und unruhig. Aiden hatte sich viel zu lange hin und her gewälzt, bis er schließlich frustriert aufgab und einfach in die Dunkelheit starrte, bemüht, seine Gedanken nicht schon wieder eigensinnig wandern zu lassen. Irgendwann musste er wohl eingeschlafen sein, denn sein Wecker riss ihn unsanft aus einem Traum, den er bereits vergessen hatte, als er die Augen öffnete.

Heute fand die Hochzeit statt, und der Gedanke, dass er den ganzen Tag beschäftigt sein würde, munterte ihn auf. Keine Zeit zum Grübeln. Nachdem er sich frisch gemacht hatte, schlüpfte er in legere Hosen und ein Polo-Shirt, schnappte seine Kamera und ging nach unten in den Frühstückssaal. Er hatte Kate versprochen, echte Erinnerungen festzuhalten – Momente, die ungestellt und lebendig waren. Aiden liebte die Fotografie schon seit seiner Kindheit, doch lange blieb sie nur ein Hobby. Erst in den letzten Jahren, als er anfing, herumzureisen und Artikel für verschiedene Zeitungen zu schreiben, wurde die Kamera auch aus beruflichen Gründen zu einem ständigen Begleiter.

Aiden trat hinaus auf die Terrasse, wo der Tisch für die Hochzeitsgesellschaft bereits gedeckt war. Er war einer der Ersten, nur Kate, Nicolás und ihre Eltern saßen schon, ins Gespräch vertieft, am Tisch. Unauffällig schoss er ein paar Fotos, bevor er sich dazusetzte und die anderen begrüßte. Kate hatte bereits einen dampfenden Tee vor sich und grinste Aiden über den Rand der Tasse hinweg an.

»Guten Morgen. Gut geschlafen?«, fragte sie. »Wie fandest du den Abend gestern?«

Aiden griff nach einer der Kannen auf dem Tisch und schenkte sich selbst eine Tasse Kaffee ein.

»Wundervoll. Wie nett, dass du fragst.« Er prostete ihr zu, schwieg schmunzelnd und schaute seine beste Freundin amüsiert an. Er wusste ganz genau, worauf sie hinauswollte, und sie wusste, dass er ihr keine befriedigende Antwort geben würde. Er hatte Kate schon damals gesagt, es sei an Jules, ihr zu erzählen, warum sie nicht mehr befreundet waren. Er hatte schon früh gelernt, dass es besser war, nicht zwischen die beiden zu geraten, und ehrlich gesagt hatte er auch nicht gewusst, wie er ihr alles erklären sollte. Zu seinem Glück schaltete sich Kates Mutter ein und wechselte das Thema, indem sie ihre Tochter fragte, wann Haare und Make-up gemacht werden sollten.

Aiden lehnte sich entspannt in seinem Stuhl zurück und trank seinen Kaffee, während sich der Tisch um ihn herum langsam füllte. Obwohl es nur der engste Kreis war, kamen dennoch einige Leute zusammen, unter anderem seine Eltern. Er unterhielt sich gerade mit seinem Vater über einen Artikel, den er vor Kurzem veröffentlicht hatte, als er das vertraute Ziehen in seinem Magen spürte. Er musste nicht aufsehen, um zu wissen, dass Jules die Terrasse betreten hatte.

»Du weißt, was ich von deinem Beruf halte, Aiden, aber dieser Artikel hat mich wirklich positiv überrascht. Aiden? Hörst du mir überhaupt zu?« Sein Vater hatte seinen abwesenden Blick registriert und unterließ es daher, weiter über seinen Beruf als Journalist zu urteilen, wie er das sonst so gern tat.

»Tut mir leid, sagtest du gerade wirklich, dass dir ein Artikel von mir gefällt?« Aiden versuchte scherzend, den Faden wieder aufzunehmen, während er absichtlich ignorierte, dass Jules und Ethan schräg gegenüber von ihm Platz nahmen.

»Ja, er war gut recherchiert, nicht zu reißerisch, aber trotzdem lesenswert. Das hätte ich dir auch schon früher gesagt, wenn du mal an dein Telefon gehen würdest.«

Aiden lächelte entschuldigend und erhob sich.

»Tut mir leid, du weißt doch, wenn ich unterwegs bin, vergesse ich gern die alltäglichen Dinge. Dazu gehört auch mein Handy. Soll ich dir etwas vom Buffet mitbringen?«

Sein Vater lehnte dankend ab, und so verließ Aiden die Runde und ging zielstrebig auf die Tische zu, auf denen bereits allerlei Speisen angerichtet waren.

Während seiner Reisen als Journalist kam er an viele Orte. Ein Yachtclub zählte allerdings bis heute nicht dazu, was er beim Anblick des verlockenden Buffets fast schon bereute. Verschiedene Brot- und Brötchensorten, Müsli, Obstsalate, Aufschnitt, Käse in allen Variationen, Würstchen und Eier, Bohnen – er wusste gar nicht, wo er anfangen sollte. Während er seinen Teller füllte, bemerkte er aus dem Augenwinkel, dass auch Jules am Buffet stand. Obwohl er versuchte, sie nicht zu beachten, erlaubte er sich einen kurzen Blick auf ihren Teller und musste unweigerlich schmunzeln, als er sah, was sich dort türmte: zwei Croissants, mehrere kleine Schälchen Marmelade, Ananas und Trauben. Wie früher. Auf dem Teller in ihrer anderen Hand lagen Eier, Speck und Toast, was Aiden zu der Annahme verleitete, dass dieser Teller für ihren Freund sein musste. Oder war sie womöglich gar keine Vegetarierin mehr?

Anscheinend hatte Jules gerade in diesem Moment die Muffins bemerkt, ihn jedoch noch nicht. Obwohl sie jetzt fast neben ihm stand, war sie voll und ganz darauf konzentriert, die beiden Teller zu balancieren und gleichzeitig zu versuchen, zwei Schokoladenmuffins aus dem Korb zu angeln. Der Mann, der gerade noch zwischen ihr und Aiden am Buffet gestanden hatte, machte einen Schritt zur Seite und stieß dabei leicht gegen ihren Arm. Der Teller in ihrer rechten Hand wankte gefährlich. Um ihn nicht fallen zu lassen, machte sie einen hastigen Schritt nach vorne – und stolperte. Reflexartig trat Aiden einen Schritt auf sie zu und schlang den Arm um ihre Taille. Ihre Blicke trafen sich. Sie wirkte ebenso überrascht und geschockt wie er. Die Härchen in seinem Nacken stellten sich auf, und sein Mund wurde trocken. Sie balancierte immer noch beide Teller in den Händen, und wie durch ein Wunder war nichts heruntergefallen. Aiden atmete tief ein. Sein Arm verweilte einen Augenblick länger um ihre Taille, als es nötig gewesen wäre. Schließlich löste er sich langsam von ihr und machte einen halben Schritt zurück.

»Das war knapp«, murmelte er, während seine Augen noch kurz auf ihren ruhten. Ohne auf eine Antwort zu warten, brach er den Blickkontakt ab, wandte sich um und ging zurück zu seinem Platz.

Sie hatte sich überhaupt nicht verändert. Sie war immer noch so leicht, fast schon zerbrechlich in seinem Arm, immer noch so tollpatschig, sie aß viel zu viel für so eine kleine, zierliche Person, und sie roch immer noch nach Lilien. Er hatte sie nur für einen kurzen Augenblick berührt, aber es hatte gereicht, um wieder daran erinnert zu werden, wie richtig es sich anfühlte. Wie ein vertrauter Schmerz, der nie ganz verheilt war, schlich sich alles Vergangene wieder in seine Gedanken.

Aiden widmete sich hoch konzentriert seinem Frühstück und sprach mit Nicolás über eine Reise nach Argentinien. Er vermied jeden weiteren Blick in Jules’ Richtung. Zu Aidens Erleichterung herrschte schon bald Aufbruchstimmung, vor der Trauung gab es schließlich noch einiges zu tun. Kate betonte, dass alles perfekt werden würde an diesem Tag. Aiden schenkte ihr daraufhin ein schiefes Lächeln und schoss ein Foto von ihr, wie sie ihn mit einer Gabel bedrohte. Kurze Zeit später waren alle Damen verschwunden, und auch die Männer machten sich langsam auf, um die letzten Vorbereitungen zu treffen.

Jules

Im Spiegel beobachtete Jules, wie die Stylistin einige Strähnen ihres dunkelbraunen Haares flocht und dieses am Hinterkopf zu einem Zopf zusammensteckte. Die übrigen Haare blieben offen und fielen in leichten Wellen über ihre Schultern. Als Blickfang wurde zu guter Letzt eine weiße Rose kunstvoll am Zopf befestigt, genau wie bei Kates beiden Cousinen, die während der Trauung ebenfalls vorne am Altar stehen würden. Kate, deren Haare und Make-up gerade das Finish erhielten, erzählte lachend eine ihrer Geschichten aus den »guten alten Zeiten«, als sie noch durch die Clubs gezogen war, um Männer aufzureißen. Jules stimmte in das Gelächter ein, auch wenn sie die meisten Geschichten schon kannte, weil sie sie gemeinsam mit ihrer Freundin erlebt hatte. Doch während ihr Blick wieder auf ihr eigenes Spiegelbild fiel, wanderten ihre Gedanken zurück zu dem Vorfall am Frühstücksbuffet.

Aiden hatte sie vorsätzlich ignoriert, als sie am Tisch Platz genommen hatten, dessen war sie sich sicher. Und obwohl sie es nicht wollte, kränkte sie seine Ignoranz. Er war so viele Jahre Teil ihres Lebens gewesen, und nun konnten sie sich noch nicht einmal mehr einen guten Morgen wünschen?! Die Erinnerung daran, was wenig später am Buffet passiert war, trieb ihr die Röte ins Gesicht. Sie musste völlig idiotisch gewirkt haben, wie sie mit weit aufgerissenen Augen und in beiden Händen einen Teller balancierend halb in seinem Arm hing. Früher hätte er darüber gelacht und die Gelegenheit genutzt, sie damit aufzuziehen, dass sie ohne ihn nicht mal unfallfrei frühstücken konnte. Heute hatte er sie jedoch einfach stehen lassen, während sie noch ein paar Sekunden wie angewurzelt dastand und ihm hinterhergestarrt hatte. Vielleicht war es besser so. Warum sollte man einer Jugendliebe nach so langer Zeit hinterhertrauern? Und doch konnte Jules sich noch sehr genau an ihr erstes verliebtes Herzklopfen erinnern. Sie war damals gerade mal zwölf Jahre alt gewesen.

»Oh bitte, jetzt hab dich nicht so! Geh einfach zu ihm hin und sag ihm, dass du ihn magst. Was soll schon passieren?«

Kate runzelte verärgert die Stirn.

»Pssst!« Jules sah sich nervös auf dem Spielplatz um, besorgt, jemand könnte sie gehört haben. Aiden war mit ein paar Freunden hier, sie spielten Fußball und waren zum Glück zu weit von ihnen entfernt. Sie saß mit Kate auf einer Art Burg und beobachtete das Gekicke. Langsam wurde es spät, und sie musste bald nach Hause.

»Er wird mich auslachen. Er ist mit uns beiden nur befreundet, verliebt ist er wahrscheinlich in Mia«, sagte sie und seufzte.

Kate rollte mit den Augen. »Das kannst du doch gar nicht wissen«, sagte sie genervt. »Er ist ganz bestimmt nicht in diese blöde Pute verliebt.«

Jules seufzte erneut und schüttelte den Kopf.

»Ist auch egal. Ich traue mich sowieso nicht, etwas zu sagen.« Sie stand auf und nahm den Weg über die Rutsche nach unten. Zusammen mit Kate schlenderte sie über den kleinen Spielplatz, der nicht weit entfernt von ihrem Zuhause lag. Kate ging zielstrebig zu einem kleinen Holzpodest am hinteren Ende, von dem aus man über die Felder am Stadtrand blicken konnte.

Kaum hatten sie es sich gemütlich gemacht, da tauchte Aiden auf. Seine Freunde hatten sich bereits verabschiedet.

»Habt ihr gesehen, wie ich das Tor von Thomas verhindert habe?«, fragte er grinsend und setzte sich zu ihnen. »Nein, aber es war bestimmt sehr heldenhaft, wie du im Staub lagst«, neckte ihn Kate und lachte.

»Hör auf zu lachen, ich habe mir dabei sogar eine schwere Verletzung zugezogen.« Er präsentierte seinen Ellenbogen, der jedoch lediglich ein paar nicht ernst zu nehmende Kratzer aufwies.

»Das blutet ja nicht mal«, gab Kate unbeeindruckt zurück. Jules kicherte ebenso ungerührt über den Fußballhelden. Doch bevor Aiden etwas erwidern konnte, erhob sich Kate und sprang vom Podest.

»Ich muss los, wir sehen uns morgen in der Schule.« Sie winkte beiden zu, schenkte Jules einen verschwörerischen Blick und war verschwunden. Jules stellte entsetzt fest, dass mittlerweile alle gegangen und nur noch sie und Aiden übrig waren. Augenblicklich spürte sie ein nervöses Ziehen in der Magengegend und vermied es, Aiden anzusehen. Für ein paar Minuten, die sich wie eine Ewigkeit anfühlten, saßen sie einfach schweigend nebeneinander.

»Musst du nicht auch nach Hause?«, fragte Aiden irgendwann in die Stille hinein. Jules schaute zögerlich zu ihm hinüber und lächelte leicht.

»Ja, gleich.« Sie wünschte, sie hätte einen schlagfertigen Spruch parat, so wie Kate immer, aber ihr Kopf war vollkommen leer. Nur weißes Rauschen war geblieben.

»Also, raus mit der Sprache, was sollst du mir sagen?« Erschrocken starrte sie ihn an. Hatte er doch etwas von ihrer Unterhaltung mitbekommen?

»Was? Wie kommst du darauf, dass ich dir etwas sagen soll?« Sie war nicht sonderlich geschickt darin, aber immerhin versuchte sie, die Katastrophe abzuwenden. Aiden legte den Kopf schief und musterte sie argwöhnisch.

»Ihr geht sonst immer zusammen nach Hause. Also wird es einen Grund geben, warum sich Kate vorhin so schnell aus dem Staub gemacht hat, als ich hier aufgetaucht bin.«

Jules biss sich auf die Unterlippe und verfluchte Kate und ihre unauffälligen Manöver innerlich.

»Ach, deswegen … ja … also … ähm …« Fieberhaft dachte sie nach, aber ihr wollte einfach nichts einfallen, was auch nur halbwegs plausibel klingen würde. Aiden schien ihre Misere zu bemerken.

»Ist eigentlich auch egal, ich bin auch gern mal mit dir allein.«

Jules’ Blick schnellte ruckartig zu ihm. Hatte sie sich gerade verhört? Aiden lächelte, und ihr Herz machte mehrere unrhythmische Sprünge. Bevor sie sich wieder sammeln konnte, beugte sich Aiden nach vorne und küsste sie. Auf den Mund. Es war nur eine unschuldige, leichte Berührung ihrer Lippen, aber sie reichte, um ihr den Atem zu rauben. Sie blinzelte ein paarmal verwirrt und starrte ihn dann einfach nur noch an. So saßen sie eine Weile schweigend da, bis Jules bewusst wurde, dass sie nun wirklich nach Hause gehen musste.

»Ich mag dich, Aiden«, sagte sie leise, sprang vom Podest und eilte nach Hause. Sie traute sich nicht, sich noch mal umzudrehen. Doch ihr Gang wurde federleicht, als sie um die Ecke bog und aus Aidens Sichtfeld verschwand. Den restlichen Weg nach Hause hüpfte sie beinah vor Freude.

»Jules?« Kate riss sie aus ihren Gedanken. Die Braut war fertig und sah umwerfend aus. Die Stylistin hatte Kate mehrere Blüten und Perlen in die Haare geflochten, passend zu den Perlen auf ihrem Hochzeitskleid, welches noch immer von Folie geschützt an einem Kleiderhaken an der Wand hing.

»Ja?«, antwortete Jules leise und lächelte entschuldigend. Sie war so tief in Erinnerungen versunken, dass sie nicht mitbekommen hatte, wie Kate sie angesprochen hatte.

»Ich habe dich gefragt, ob du auch ein Glas Sekt möchtest.« Sie deutete auf ihre beiden Cousinen, die just in diesem Moment die erste Flasche öffneten und sich einschenken wollten. Für Kate gab es eine alkoholfreie Variante. Jules nahm das Angebot dankbar an. Da ihre Haare nun auch fertig waren, stand sie auf, um zusammen mit den anderen anzustoßen. Kate grinste in die Runde. »Auf uns – und auf die Liebe!«, flötete sie. »Und darauf, dass der Tag unvergesslich wird!« Jules und die anderen stimmten lachend mit ein und ließen die Gläser klirren.

»Auf die Braut!«, gaben sie gemeinsam zurück.

Wenig später hatten sie sich in einem kleinen Nebenraum in der Kirche eingefunden, um die letzten Vorbereitungen zu treffen. Jules’ bewundernder Blick ruhte auf der Braut. Kate war ein Traum in weißer Spitze und Perlen. Doch das mit Abstand schönste Accessoire war ihr umwerfend strahlendes Lächeln. Jules musste mit den Tränen kämpfen, als sie den Schleier zurechtzupfte.

»Du siehst aus wie eine Prinzessin«, sagte sie liebevoll.

Kate lächelte ihr im Spiegel zu, dann drehte sie sich um und nahm Jules’ Hände.

»Vielleicht werde ich gerade ein bisschen emotional, weil ich in wenigen Minuten heiraten werde, aber ich wollte dir noch sagen, wie lieb ich dich habe.« Sie drückte Jules’ Hände noch etwas fester und sah ihrer Freundin direkt in die Augen, bevor sie mit leicht zittriger Stimme weitersprach: »Danke, dass du alles hier mitorganisiert hast und dass du immer für mich da bist.« Jetzt musste auch Kate ein paar Tränen wegblinzeln. Jules schlang die Arme um sie und drückte sie an sich.

»Das ist doch selbstverständlich. Du bist mein Lieblingsmensch, und das wird sich auch niemals ändern.«

Sie schniefte leise und ließ Kate dann wieder los.

»Aber wir müssen beide akzeptieren, dass Nicolás nun auch dazugehört.« Jules zwinkerte ihr lächelnd zu und trat dann ein paar Schritte zurück.

»Bist du bereit?« Kate nickte, und Jules öffnete die Tür und trat als Erste nach draußen.

Nicolás wartete bereits sichtlich aufgeregt im großen Altarraum darauf, dass die Zeremonie begann. Kates Cousinen warteten zusammen mit Aiden und zwei weiteren jungen Männern im Vorraum. Jules und Kate gesellten sich zu ihnen. Kate hatte dafür gesorgt, dass Nicolás ebenfalls drei Begleiter am Altar haben würde, so wie sie. Einer war Aiden, die beiden anderen waren Arbeitskollegen von Nicolás. Da Kate eine Perfektionistin war, passten die blassblauen Kleider der Damen farblich perfekt zu den dunkelblauen Anzügen der Herren. Eine kleine weiße Rose zierte die Brusttaschen der Jacketts. Um das makellose Bild zu vervollständigen, hielten die Brautjungfern eine kleine und dezente Variante von Kates prächtigem Brautstrauß aus weißen Rosen in den Händen. Jules holte einmal tief Luft, ermahnte sich, einen kühlen Kopf zu bewahren, und ging dann auf die Gruppe zu. Sie wünschte sich, Ethan wäre jetzt an ihrer Seite, aber Kate hatte ihn nie als Trauzeugen für Nicolás vorgeschlagen, und Jules hatte nicht nachfragen wollen. Sie vermutete schon länger, dass Kate Ethan nicht sonderlich leiden konnte, auch wenn sie nie auch nur eine Andeutung in diese Richtung gemacht hatte. Ethan saß also mit allen anderen Gästen bereits hinter diesen Türen, die sich in wenigen Sekunden öffnen würden.

Jules nahm ihren ganzen Mut zusammen, hob den Blick zu Aiden, an dessen Seite sie sich eingefunden hatte, und schenkte ihm ein höfliches Lächeln. Er sah unverschämt gut aus in diesem Anzug. Und sein Lächeln, als Kate durch die Tür getreten war, hatte seine Gesichtszüge erhellt. Bei diesem Anblick stockte ihr beinah der Atem. Doch davon wollte sie sich nicht beirren lassen. Sie würden gleich den Gang entlanggehen, und dann würde Kate ihre große Liebe heiraten. Nur darauf wollte Jules sich in diesem Augenblick konzentrieren.

Aiden

Als die beiden Frauen aus dem Brautzimmer traten, verschlug es allen im Vorraum die Sprache. Kate sah einfach umwerfend aus. Wahrscheinlich träumten viele Mädchen davon, einmal so bezaubernd in ihrem Brautkleid auszusehen. Es verwunderte Aiden nicht, dass sie von der kleinen Gruppe mit Komplimenten überhäuft wurde. Doch sein Blick fand unweigerlich den Weg zu Jules. Das blassblaue Kleid floss wie ein Wasserfall an ihrem Körper herab, und obwohl die beiden Brautjungfern das gleiche Kleid trugen, wirkte sie einzigartig. Dann stand Kate vor ihm und strahlte ihn an.

»Nicolás wird seinen Augen nicht trauen können«, flüsterte er, als er sie kurz in seine Arme schloss. Aiden hatte für einen Moment vergessen, welche Aufgabe ihm nun bevorstand. Er würde mit Jules nach den beiden anderen Paaren den Gang entlanggehen müssen. Als sie neben ihm stand und ihn leicht anlächelte, spürte er einen Anflug von Nervosität. Trotzdem bot er ihr seinen Arm an.

»Dann mal los«, sagte er. Ihre Hand lag federleicht auf seinem Arm, und ein warmes Prickeln durchströmte ihn, als ob eine unsichtbare Verbindung wieder zum Leben erwacht wäre. Es fiel ihm schwer, den Blick nach vorne zu richten.

Als sich die Türen öffneten und sanfte Pianoklänge den Raum erfüllten, setzte sich die Hochzeitsgesellschaft in Bewegung. Die ersten Paare gingen voraus, und schließlich betraten auch Aiden und Jules den Saal. Der Weg zum Altar schien sich vor ihm auszudehnen, und jeder Schritt zog sich in die Länge. Erst als er ihre leichte Anspannung spürte, wurde ihm bewusst, wie viele Augen auf ihnen lagen. Automatisch rückte er ein Stückchen näher an sie heran, um ihr wortlos Mut zuzusprechen. Er würde nicht zulassen, dass sie auch nur im Entferntesten ins Straucheln geriet. Ihre Nähe, ihr Duft – all das zog ihn unwiderstehlich an.

Kurz vor dem Altar wagte er einen Blick zu ihr – zu diesen Augen, die ihn schon sein ganzes Leben lang verfolgten. Dann löste er sich zögernd und trat an Nicolás’ Seite, während sich Jules zu den Brautjungfern auf der anderen Seite gesellte. Die sanften Pianoklänge wechselten zum Brautmarsch, Köpfe drehten sich, Hälse wurden gereckt, und ein Raunen erfüllte den Raum, als Kate endlich über die Schwelle trat. Ihr Gesicht leuchtete mit der einzigartigen Freude, die nur eine Braut an ihrem Hochzeitstag ausstrahlen kann. Nicolás verlagerte nervös sein Gewicht von einem Bein auf das andere und blinzelte gegen die Tränen an. Das Glück und die Liebe der beiden war in diesem Moment nahezu greifbar. Aiden bemerkte, wie sämtliche Blicke einzig auf Kate ruhten. Als sie jedoch neben ihrem Bräutigam stand und sich beide dem Priester zuwandten, war Jules die Einzige, die er wirklich wahrnahm. Die Worte des Priesters drangen nur gedämpft an sein Ohr. Erst als die Frage nach den Ringen erklang, schaffte es Aiden, seinen Blick von Jules zu lösen und sich Nicolás zuzuwenden, um ihm die Ringe zu überreichen.

Als sich das Brautpaar küsste, als Mr. und Mrs. Cantero, erschallte Applaus in der Kirche. Aiden konnte sehen, wie Jules sich ein paar Tränen von der Wange wischte, bevor sie Kate ihren Brautstrauß zurückgab. Die Gäste wurden nun nach draußen vor die Kirche gebeten, das Hochzeitspaar folgte mit Trauzeugen, Brautjungfern und Brautführern. Aiden wusste, dass dort bereits die Autos warteten, die sie zurück zum Yachtclub bringen würden. Während die Gäste die Kirche verließen, tauschten Kate und Nicolás verliebte Blicke aus und dankten dem Priester für die wundervolle Rede. Aiden überkam ein schlechtes Gewissen, weil er die meiste Zeit nicht richtig zugehört hatte. Sein Blick fiel erneut auf Jules. Ungewollt nagte der Gedanke an ihm: Könnten sie heute hier als Paar stehen? Die Liebe ihrer besten Freundin gemeinsam feiern? Was wäre gewesen, wenn sie damals geblieben wäre?

»Aiden?« Jules blickte ihn besorgt an, ging einen Schritt auf ihn zu, stoppte dann aber wieder, sichtlich verunsichert. Er bemühte sich schnell um einen halbwegs heiteren Ausdruck und deutete eine Verbeugung in Richtung der Türen an.

»Nach dir«, murmelte er und folgte ihr mit gebührendem Abstand nach draußen. Die Gäste empfingen das Brautpaar mit erneutem Applaus, Jubelrufen, Konfetti und Ballons. Glückwünsche wurden ausgesprochen, Umarmungen verteilt, Taschentücher gezückt.

Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis alle in den Autos saßen und sich die Hochzeitsgesellschaft endlich in Bewegung setzte. Aiden rieb sich die Schläfen und atmete hörbar aus. Den ersten Teil des Tages hatte er hinter sich gebracht. Bevor sich das Fahrzeug, in dem nur er saß, ebenfalls in Bewegung setzen konnte, wurde die Tür neben ihm geöffnet. Jules schlüpfte mit vier Handtaschen in den Armen auf die Rückbank.

»Ich dachte schon, ihr lasst mich jetzt hier stehen«, begann sie lachend, unterbrach sich jedoch abrupt, als sie sah, dass außer Aiden niemand im Auto saß. Aiden hob fragend die Augenbrauen.

»Oh … ähm … wir … wir hatten die hier im Brautzimmer vergessen«, verkündete sie mit einem Blick auf die Handtaschen in ihrem Arm. »Ich bin schnell zurückgerannt. Das war das letzte Auto, das noch vor der Kirche stand.«

Er konnte nicht anders und schmunzelte. Das erklärte zumindest, warum sie so außer Atem war.

»Dann komme ich wenigstens nicht allein als Letzter an«, versuchte er zu scherzen.

Der Fahrer fuhr los, und eine peinliche Stille machte sich breit. Aiden wusste nicht, ob sie überhaupt mit ihm reden wollte, aber er wollte auch nicht unhöflich wirken. Wann war das alles so schwierig geworden? Früher konnte er stundenlang mit ihr reden oder auch stundenlang schweigen, ohne dass es unangenehm war.

»Die Zeremonie war wundervoll«, sagte er, ohne sie direkt anzusehen.

»Ja, sie war traumhaft«, erwiderte Jules zögerlich.

»Ich hätte alles darauf gewettet, dass du vor Kate heiraten würdest.« Aiden bereute die Worte, bevor er sie zu Ende gesprochen hatte. Es wäre wohl besser gewesen, das peinliche Schweigen auszuhalten, als unüberlegten Unsinn von sich zu geben. Er spürte ihren Blick auf sich und erwiderte diesen nur widerwillig. Er rang um Fassung, da sie so nah war, dass er sie mit allen Sinnen wahrnehmen konnte. Trotz der räumlichen Nähe waren sie sich weiterhin so fern, wie er es niemals für möglich gehalten hätte. Nur für den Bruchteil einer Sekunde war er nachlässig, und schon übermannten ihn die Erinnerungen. Er wagte nicht, sich zu bewegen oder den Blick von ihr zu nehmen. Er war sich sicher, dass er die Spannung zwischen ihnen greifen könnte, wenn er nur die Hand ausstrecken würde. Sie musste endlich aufhören, ihn so anzustarren.

Vielleicht hatte sich sein innerliches Flehen in seinen Augen widergespiegelt, denn Jules wandte plötzlich den Blick von ihm ab und sah aus dem Seitenfenster.

»Das hätten wohl viele gewettet«, sagte sie. Es klang bitter und – verletzt? Es folgte ein weiterer Moment erdrückender Stille. Er konnte diese unsichtbare Mauer nicht mehr ertragen.

Er musste es wissen – jetzt!

»Warum? Bitte sag mir, warum du damals einfach gegangen bist.« In seiner Stimme lag kein Vorwurf. Er wollte einfach nur den Grund von ihr hören. Er wollte endlich eine Antwort auf die Frage bekommen, die ihn seit Jahren quälte. Sie war gegangen – nicht nur aus seiner Wohnung, sondern auch aus seinem Leben. Er wappnete sich und war bereit, jede Antwort zu ertragen und zu akzeptieren. Sie starrte ihn wieder an, öffnete den Mund, schloss ihn jedoch wieder, ohne etwas zu sagen. Schließlich zog sie wütend die Augenbrauen zusammen, und die Kälte ihrer Stimme zerschnitt abrupt die Spannung zwischen ihnen.

»Ist das ein schlechter Witz, Aiden?« Noch nie zuvor hatte er gehört, dass sie seinen Namen so aussprach. Es wirkte fast verächtlich. »Du fragst, warum ich gegangen bin?« Jules lachte sichtlich entrüstet auf. »Denkst du … Hast du …« Sie brauchte mehrere Anläufe, um die richtigen Worte zu finden, und Aiden konnte nur zusehen, wie die Lawine ihrer Wut auf ihn zurollte.

»Du bist unglaublich«, schnaubte sie, riss die Tür auf und sprang aus dem Auto. Erst da bemerkte Aiden, dass sie längst am Yachtclub angekommen waren. Es fühlte sich an, als würde er nur ganz langsam und wie in Zeitlupe aus seiner Starre erwachen. Als auch er schließlich aus dem Taxi stieg, war sie schon fast an der Eingangstür.

»Jules!«, rief er, obwohl er wusste, dass es sinnlos war. Sie würde nicht stehen bleiben. Er konnte nichts tun, außer ihr dabei zuzusehen, wie sie hinter der Tür verschwand, hinter der nicht nur die anderen Gäste warteten, sondern auch Ethan. Verzweifelt strich er sich durchs Haar und ließ den Blick umherwandern. Hoffentlich hatte niemand diese Szene beobachtet.

Jules