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Christina Hiemer

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Beschreibung

**Die dunkle Seite der Krone** Auf der Vulkaninsel St. Lucien herrscht die mächtige Dynastie der Bell-Frauen. Seit Jahrhunderten wird die Krone an die älteste Prinzessin weitergegeben. Doch hinter der glamourösen Fassade der Königsfamilie lauern düstere Geheimnisse, die nur die zweitälteste Prinzessin zu hüten weiß. Saphina war immer die jüngste und damit unbedeutendste von drei Schwestern. Nun rückt sie durch unerwartete Ereignisse in der königlichen Thronfolge auf und tritt vollkommen unvorbereitet ein dunkles Erbe an. Und ausgerechnet Dante, der undurchschaubare Adelssohn, soll ihr dabei helfen … Magisch, romantisch, königlich! Leserstimmen zum Buch: »Wer sprachlos durch die Seiten fliegen, mittendrin im Geschehen sein und jegliche Emotionen hautnah miterleben möchte, sollte sich nicht entgehen lassen, welche Geheimnisse auf der Vulkaninsel St. Lucien lauern.« »Absolute Leseempfehlung. Mich hat das Buch voll und ganz überzeugt.« //»The Second Princess. Vulkanherz« ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.//

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Christina Hiemer

The Second Princess. Vulkanherz

**Die dunkle Seite der Krone**Auf der Vulkaninsel St. Lucien herrscht die mächtige Dynastie der Bell-Frauen. Seit Jahrhunderten wird die Krone an die älteste Prinzessin weitergegeben. Doch hinter der glamourösen Fassade der Königsfamilie lauern düstere Geheimnisse, die nur die zweitälteste Prinzessin zu hüten weiß. Saphina war immer die jüngste und damit unbedeutendste von drei Schwestern. Nun rückt sie durch unerwartete Ereignisse in der königlichen Thronfolge auf und tritt vollkommen unvorbereitet ein dunkles Erbe an. Und ausgerechnet Dante, der undurchschaubare Adelssohn, soll ihr dabei helfen …

Wohin soll es gehen?

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Vita

Danksagung

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© privat

Christina Hiemer lebt in einer kleinen Stadt in Nordrhein-Westfalen. Sie veröffentlichte mehrere Kurzgeschichten in Anthologien, ihr Debütroman „Mentira – Stadt der Lügen“ stand auf der Longlist zum SERAPH. Wenn sie nicht gerade an neuen Geschichten schreibt, dann streunt die Autorin durch ihre Lieblingsbuchhandlung oder sitzt vor der heimischen Spielekonsole.

Für all die wundervollen Prinzessinnen, die immer schon mutige Kriegerinnen und entschlossene Heldinnen sein wollten:

Ihr könnt verdammt noch mal alles sein, was ihr wollt.

Lasst euch nie etwas anderes erzählen …

Prolog

Manchmal frage ich mich, ob ich wirklich eine echte Bell bin. Seit unzähligen Generationen herrschen wir nun schon über St. Lucien. Eine Dynastie von mächtigen Frauen, die – so heißt es in unserer Familie immer – stets weise und voller Anmut regierte, seit meine Vorfahrin Aramea Bell vor einigen Jahrhunderten die kleine Karibikinsel eroberte. Sie war eine englische Lady, eine Frau von Welt, die sich schon damals zwischen all den Männern behauptete und eine mächtige Flotte anführte. Sie ließ sich mit ihrer Gefolgschaft auf St. Lucien nieder und legte den Grundstein für die Bell-Dynastie.

In der Bevölkerung ranken sich die verschiedensten Geschichten um die Entdeckung der Insel. Manche stellen Aramea als Heldin dar, die den Menschen Wohlstand und Sicherheit brachte. Doch einige der Bewohner verteufeln bis heute den Tag, an dem ihr Schiff anlegte. Denn die Erde von St. Lucien wurde mit Blut getränkt. Doch seit den letzten Aufständen vor fast zweihundert Jahren gab es keine Kämpfe mehr und auch die Einheimischen haben mittlerweile ihren Zorn verloren. Zumindest die meisten.

Meine Mutter wird nicht müde zu betonen, dass unser Geschlecht geboren sei, um zu herrschen. Es liege uns im Blut, die Menschen anzuführen. Aber wenn ich mir meine älteste Schwester so angucke, bin ich mir da nicht so sicher. Noch ist meine Mutter die Königin von St. Lucien. Aber das wird sich schon sehr bald ändern …

Kapitel 1

»Saphina! Hör auf, in der Gegend rumzuträumen. Komm her und hilf mir gefälligst mal.«

Ertappt schreckte ich hoch und sah in Livias wütendes Gesicht. Ihr sonst so makelloser heller Teint war einer leicht rötlichen Gesichtsfarbe gewichen und ihre kalten blauen Augen bohrten sich förmlich in mich hinein. Meine älteste Schwester war mit vielen guten Eigenschaften gesegnet, doch Geduld gehörte ganz sicher nicht dazu. Ich erhob mich von meinem Stuhl und trottete zu ihr hinüber.

»Halt die Schleppe«, wies mich Livia schnippisch an. Als ich nach dem dünnen Tüll griff, schnalzte sie missbilligend mit der Zunge. »Was ziehst du denn für ein Gesicht? Kannst du dich nicht für mich freuen? Fällt es dir so schwer, mir mein Glück zu gönnen?«

Ihr herablassender Tonfall ließ mich innerlich mit den Augen rollen. Seit Monaten drangsalierte Livia nun schon den gesamten Palast mit ihren ausufernden Hochzeitsvorbereitungen. Nichts, aber auch wirklich gar nichts konnte man ihr recht machen. Meine Schwester hatte bereits drei der besten Schneider der Insel in die Flucht geschlagen, indem sie deren Kleiderentwürfe als »Bettlerlumpen« betitelt hatte. Sie mutierte mit jedem Tag, der ins Land zog, mehr zu einem Monster, das jeder dunklen Kreatur aus den alten Insel-Legenden Konkurrenz machen konnte.

Vorsichtig zog ich die Schleppe glatt, während meine Schwester sich auf dem kleinen Podest hin- und herdrehte und sich selbstgefällig im Spiegel betrachtete. Die üppig verzierte goldene Erhebung befand sich direkt in der Mitte des Anprobezimmers und bildete das Herzstück des Raumes.

»Das Kleid ist einfach perfekt«, rief Livia. Als sie mir einen scharfen Seitenblick zuwarf, setzte ich schnell ein Lächeln auf.

»Ja, es ist wirklich ein absoluter Traum.«

Livia lächelte selig und wandte sich wieder ihrem Spiegelbild zu. Erleichtert atmete ich aus.

Sag ihr einfach, was sie hören will. Wenn man das schafft, ist sie leicht zufriedenzustellen. Genau das waren die Worte meiner anderen Schwester gewesen. Maylin, die Mittlere von uns dreien, war schon immer die Klügste gewesen. Sie las in Menschen wie in Büchern und durchschaute einfach alles und jeden. Manchmal ertappte ich mich bei dem Wunsch, sie würde die neue Königin werden. Aber die Regeln auf St. Lucien waren streng und in all der Zeit, in der die Bells nun schon über die Insel herrschten, hatte noch niemand die festgelegte Ordnung infrage gestellt. Die älteste Prinzessin suchte sich als Erste einen Mann und wurde direkt im Anschluss an die Hochzeit zur Königin gekrönt. Egal, ob sie des Amtes würdig war oder nicht.

Anders als in vielen anderen Monarchien wählten die Prinzessinnen auf St. Lucien ihren Gemahl selbst aus. Nicht die Männer entschieden, sondern die Frauen. So hatte es Aramea Bell beschlossen und so war es seit jeher Brauch. Ob diese Wahl jedoch immer die richtige war, stand auf einem völlig anderen Blatt.

»Saphina! Pass auf, du zerreißt noch den Tüll«, kreischte Livia. Erschrocken ließ ich die Schleppe los und fing mir erneut einen wütenden Blick ein. »Wo ist eigentlich Maylin, wenn man sie mal braucht? Mit dir kann man hier wirklich nichts anfangen. Jeder Besenstiel hat mehr Modegeschmack als du.«

Ich holte tief Luft, ehe ich mir auf die Zunge biss. »Du hast Maylin vor zwei Stunden zum Blumenladen geschickt.«

Livia wedelte abweisend mit der Hand vor meinem Gesicht herum und stieg dann von dem kleinen Podest. Der Stoff ihres Kleides raschelte leise und der breit ausgestellte Rock wogte bei jeder ihrer Bewegungen wie eine sanfte Welle um ihren Körper.

»Was macht sie dann so lange? Sie wollte doch bei der Anprobe dabei sein. Und wo ist die Schneiderin schon wieder?« Mit hektischen Bewegungen strich sie ihr Kleid glatt und ich spürte deutlich, wie die Stimmung mit jeder Sekunde weiter kippte.

Zugegebenermaßen beneidete ich Maylin um ihre Aufgabe. Ich wäre gerade überall lieber gewesen als mit Livia in diesem viel zu kitschigen Anprobezimmer. Die Wände waren in einem dunklen Lila gestrichen und mit einer weißen Bordüre verziert. Überall standen halb angezogene Kleiderpuppen.

»Maylin kommt sicher gleich«, versuchte ich meine Schwester zu beruhigen. Aber so wie ich Maylin kannte, würde sie sich extra viel Zeit lassen, um diesem Martyrium hier zu entgehen.

»In dieser Familie ist wirklich auf niemanden Verlass. Eine Braut sollte so kurz vor ihrem großen Tag mit etwas mehr Herzensgüte umsorgt werden. Aber nein, stattdessen muss ich mich um alles allein kümmern. Glaubt ja nicht, dass ich mir bei eurer Hochzeit mehr Mühe gebe.«

Livia verschränkte die Arme vor der Brust und sah mich erwartungsvoll an. Beinahe hätte ich laut losgelacht. Maylin und ich würden ganz sicher nicht so bald heiraten. Denn anders als Livia mussten wir nicht regieren. Zwar waren Maylin und ihr Freund Dante schon einige Zeit zusammen, doch irgendwie wirkten die beiden in letzter Zeit seltsam distanziert. Aber wie sollte man unter diesen Umständen auch eine normale Beziehung führen? Maylin wollte die Welt erkunden, etwas erleben, nicht in einem gläsernen Palast versauern und den lieben langen Tag neben dem Thron ihrer Schwester sitzen. Vielleicht fühlte sie sich durch die vielen Regeln und die Etikette wieder einmal eingeengt. Wäre ja nicht das erste Mal.

»Ich werd draußen mal nachsehen, ob ich die Schneiderin finde, okay? Und du ziehst dein Kleid aus, nimmst dir ein Gläschen Champagner und entspannst dich. Alles wird gut, du wirst sehen.«

Livias Blick wurde weicher, sie nickte und verschwand kurz darauf hinter einem Vorhang. Ich nahm mir einen Keks von dem kleinen Tisch mit dem Champagnerkühler, ehe ich leise den Raum verließ. Als ich die Tür hinter mir ins Schloss zog, stieß ich ein Seufzen aus.

»Brautzilla hält euch ganz schön auf Trab, was?« Dantes Gesicht zierte ein breites Grinsen. Seine Gegenwart machte mich immer ein klein wenig nervös und ich vermied es, ihm in die dunkelbraunen Augen zu schauen. Zweifelsohne sah er gut aus – und das wusste er-, aber er wirkte weder überheblich noch selbstgefällig.

»Mann, bin ich froh, wenn die blöde Hochzeit endlich vorbei ist und sie aufhört, uns herumzukommandieren wie auf einem Schlachtfeld.« Demonstrativ biss ich ein großes Stück von dem Keks ab und kaute genüsslich. »Hast du zufällig Maylin gesehen? Oder die Schneiderin? Gehetzter Blick, hat immer ein Maßband über den Schultern hängen, man kann sie eigentlich gar nicht verwechseln.«

Dante musterte mich belustigt, während er sich lässig an die Wand lehnte und mir dabei zusah, wie ich mir das letzte Keksstück in den Mund schob. »Tut mir leid. Ich hab weder die eine noch die andere gesehen.«

»Wäre ja auch zu schön gewesen. Dann werd ich mich mal auf die Suche machen.«

Dante nickte mir kurz zu, dann schritt er den Flur entlang und verschwand um die nächste Ecke. Da er offensichtlich nicht zu Maylin wollte, war er sicherlich wegen Regierungsangelegenheiten hier. Vermutlich geisterte sein Vater, Baron De Lacey, auch irgendwo herum.

»Phh, weiß nicht mal, wo sich seine Freundin rumtreibt«, murmelte ich, während ich in Richtung Eingangshalle lief.

Unterwegs begegnete ich allerlei Bediensteten, die geschäftig dabei waren, den Palast zu dekorieren. Alles musste glitzern und funkeln, denn schon in zwei Tagen würden die Hochzeit und die anschließende Krönung stattfinden. Suchend lief ich die lange Treppe zur Halle hinunter, in der hektische Betriebsamkeit herrschte. Alle, die mich bemerkten, knicksten, bevor sie sich wieder ihrer Aufgabe zuwandten. Es war für mich nach wie vor ziemlich befremdlich, dass sich die Menschen im Schloss jedes Mal verbeugten, wenn ich ihnen begegnete. Die meisten kannte ich seit meiner Kindheit, sie waren für mich wie ein Teil meiner Familie. Aber leider sahen meine Mutter und Livia das nicht so entspannt. »Nur wer Respekt einflößt, hat wahre Macht«, war einer ihrer Lieblingssätze.

Meine Mutter war seit dem Tod meines Vaters vor beinahe fünf Jahren nicht mehr dieselbe. Zu seinen Lebzeiten hatte er sich für so vieles engagiert und war dem Volk immer nah gewesen. Er liebte den bunten Markt in der Hauptstadt und ich erinnere mich noch gut daran, wie er mich einmal dorthin mitnahm und wir jede Menge Obst und Gewürze kauften. Mutter war ganz krank vor Sorge gewesen, doch Vater hatte nur müde gelächelt. Er war ein gutherziger Mann gewesen und hatte stets alles darangesetzt, das Leben der Menschen zu verbessern. Er war beliebt und geschätzt gewesen, weil er sich nie etwas aus Reichtum und Macht gemacht hatte. Doch er war von uns gegangen und in das Herz meiner Mutter hatte sich eisige Kälte gefressen. Sie lachte kaum noch und sah in allem nur das Schlechte. Es schien, als hätte Vater das letzte bisschen Frohsinn mit sich genommen, denn auch Livia litt sehr unter seinem Tod und sperrte jegliche Gefühle in eine Kiste, die sie in den hintersten Winkel ihres Herzens schob. Einzig Maylin brachte in diesen Palast noch etwas Sonne.

»Saphina, was machst du denn hier unten? Solltest du nicht bei Livia sein und ihr bei der Anprobe helfen?«

Beim Klang der tadelnden Stimme zuckte ich erschrocken zusammen. Als ich mich umdrehte, entdeckte ich meine Mutter auf der Treppe. Sie stand einige Stufen über mir und sah auf mich herab.

»Ich bin auf der Suche nach Maylin und der Schneiderin. Livia braucht beide dringend.«

Meine Mutter stieg anmutig die Treppe herunter und blieb vor mir stehen. »Maylin sollte doch längst zurück sein. Wo treibt sie sich nur wieder herum?«

»Ich weiß es nicht. Deshalb suche ich sie ja.«

»Lass Livia bitte nicht zu lange allein. Du weißt doch, wie nervös sie ist. Und bitte denk daran, dich für später angemessen herzurichten. Ich schätze diesen saloppen Kleidungsstil in meinem Hause nicht besonders.« Ihr Blick wanderte missbilligend über mein dunkelblaues, leicht zerknittertes Kleid und ihre Lippen kräuselten sich beim Anblick meines unsauber geflochtenen blonden Zopfes.

Bevor ich etwas entgegnen konnte, kam sie näher und drückte mir einen Kuss auf die Wange. Jedes Mal, wenn sie von diesem Palast als »ihrem Haus« sprach, musste ich innerlich lachen. In diesem riesigen Schloss konnte man problemlos wochenlang nebeneinanderher leben, ohne sich auch nur ein einziges Mal zu begegnen. Allein im Haupttrakt befanden sich neben drei Festsälen und einer riesigen Kapelle eine Bibliothek, ein Salon und mehrere Sitzungssäle.

Ich sah Mutter nach, wie sie durch die Eingangshalle schritt und routiniert Anweisungen gab. Dann drehte ich mich um und lief in Richtung Salon.

In der Hoffnung, Maylin zu begegnen, huschte ich durch die verlassenen Flure. Hier war kaum jemand unterwegs. Der dunkelrote Teppich, der auf dem Marmorboden ausgelegt war, dämpfte meine Schritte. Wenn Mutter mich so hastig umhereilen gesehen hätte, hätte sie wohl nur den Kopf geschüttelt.

Eine Prinzessin muss sich auch wie eine Prinzessin verhalten. Das beginnt beim Gang und hört bei der Sprache auf.

Ich konnte ihren anklagenden Tonfall förmlich hören. Vater hatte mich immer als seinen kleinen Wildfang bezeichnet. Als jüngste Prinzessin hatte ich das Glück, mehr oder weniger normal aufzuwachsen. Natürlich musste auch ich ein bestimmtes Maß an Etikette einhalten, aber ich würde nie ein Königreich regieren. Deshalb musste ich mich nicht mit Politik oder Wirtschaft herumschlagen. Wie viele Gabeln und Löffel es bei einem Staatsbankett gab, wusste ich leider dennoch.

Ein angenehmer Geruch ließ mich innehalten. Süßlich, gleichzeitig aber auch fruchtig und ein bisschen säuerlich stieg er mir in die Nase. Sofort begann mein Magen zu knurren. Seit man mich heute Morgen unsanft aus dem Bett geholt hatte, hatte ich keine Zeit gehabt, etwas zu essen. Elouise, meine Kammerzofe, war sonst die Erste, die mir zu einem ausgiebigen Frühstück riet. Doch jetzt, so kurz vor der Hochzeit, war sie der Ansicht, ich müsste auf meine Figur achten, damit mein Kleid bei der Zeremonie perfekt saß. Ich folgte dem Duft den Flur entlang und blieb vor einer der kleineren Küchen stehen. Der Palast besaß neben der Hauptküche, in der momentan alle Vorbereitungen für das baldige Hochzeitsessen auf Hochtouren liefen, zwei kleinere, die zum Teil die Bediensteten versorgten. Neugierig öffnete ich die Tür und linste hinein. Auf einem alten Ofen mitten im Raum saß eine Gestalt, die mir nur allzu bekannt vorkam.

»Maylin! Hier steckst du also. Livia schickt bald ein Killerkommando nach dir los. Was machst du hier?«

Ich zog die Tür hinter mir zu und umrundete eine ausladende Arbeitsplatte, auf der einige Schüsseln mit Teig standen.

»Anscheinend hat sie das Killerkommando bereits losgeschickt«, antwortete meine Schwester lachend. In den Händen hielt sie eine Rührschüssel, aus der sie sich unentwegt Teig in den Mund schaufelte.

»Sie ist kurz vor einem …«

»… Nervenzusammenbruch«, beendete sie meinen Satz. »Ich weiß. Ich kenne unsere Schwester genau wie du schon mein ganzes trostloses Leben lang. Sie übertreibt mal wieder maßlos und sollte sich nicht so anstellen. Sie heiratet diesen aufgeblasenen Giftmolch, das wäre ein sehr guter Grund für einen Zusammenbruch. Nur ist sie sich dessen leider nicht einmal bewusst.«

»Wenn Livia erfährt, dass du Tyr diesen Spitznamen verpasst hast, dann ist ihr drohender Nervenzusammenbruch dein kleinstes Problem.«

»Ich finde ihn noch überaus schmeichelhaft, wenn man bedenkt, wie schleimig und heuchlerisch er sich immer bei den Familienessen gegeben hat. Aber er kann mit noch so vielen falschen Komplimenten um sich werfen, für mich bleibt er ein Giftmolch.«

Maylin tunkte erneut den Löffel in die Schüssel und hielt ihn mir hin. Ich griff danach und schleckte genüsslich den Teig ab.

»Wir könnten uns einfach gemeinsam hier verstecken. Im Ofen da drüben sind Blaubeermuffins. Das sollte als Argument doch wohl ausreichen, oder?«

»Du weißt, das geht nicht. Wir müssen zurück. Mutter hat mitbekommen, dass du nicht da bist, wo du eigentlich sein solltest. Ihre Laune ist mal wieder vortrefflich. Die beiden flippen komplett aus, wenn wir uns nicht blicken lassen.«

Maylin ließ sich vom Ofen gleiten und strich ihr dunkelgrünes Kleid glatt. Mit ihren langen, leicht gewellten braunen Haaren und dem herausfordernden Blick wirkte sie nicht wie eine Prinzessin. Eher wie eine Amazone. Sie betrachtete mich amüsiert, während ich den letzten Rest Teig aus der Schüssel kratzte.

»Ich hab tierischen Hunger, aber bis zum Essen dauert es noch eine Ewigkeit. Und wenn ich an dieses blutrote, viel zu enge Kleid denke, das ich tragen soll, vergeht mir sofort wieder der Appetit.«

»Blaubeermuffins, Schwesterchen«, entgegnete sie zwinkernd. »Es liegt ganz bei dir.«

Maylins Blick wanderte erneut zum Ofen. Die Verlockung war wirklich gigantisch, aber wenn wir diese Feierlichkeiten ohne Familienfehde überstehen wollten, mussten wir uns dem Schicksal wohl oder übel beugen.

»Müsstest du nicht die Vernünftigere von uns beiden sein?«

Maylin lachte, während sie sich einen Lappen von der Anrichte schnappte und mir damit übers Gesicht wischte. »Wer sagt das? Außerdem hab ich dir gerade einen fetten Teigfleck aus dem Gesicht gewischt. Du könntest dich ruhig für diese schwesterliche Wohltat bedanken.«

Gemeinsam machten wir uns auf den Weg zum Ankleidezimmer. Als wir die große Halle durchquerten, entdeckte ich Dante, der mit seinem Vater, Baron de Lacey, zusammenstand.

»Willst du Dante kurz Hallo sagen? Ich kann ja schon mal vorlaufen.«

Doch Maylin schüttelte den Kopf. »Schon gut, lass uns gehen.«

Ihr Tonfall klang plötzlich abweisend. Ob die beiden wohl Probleme hatten? Sie sollten das schnell in den Griff bekommen, immerhin war Dante Maylins Begleiter für die Hochzeit. Natürlich würden die meisten Blicke auf Braut und Bräutigam gerichtet sein, aber auch uns beobachtete man mit Argusaugen. Wir durften Livia zwar nicht die Show stehlen, die Familie aber auch nicht mit irgendwelchen Dramen bloßstellen.

Ich zuckte mit den Schultern und stieg die Treppenstufen empor. »Wie du meinst. Er war aber vorhin echt nett.«

Maylin griff nach meinem Arm und ich drehte mich zu ihr herum. »Hat er irgendwas gesagt?« Ihre sonst so treuen braunen Augen wirkten mit einem Mal seltsam gehetzt.

»Nein, was hätte er denn sagen sollen? Ich war auf der Suche nach dir und dachte, er wüsste vielleicht, wo du dich herumtreibst. Immerhin seid ihr ein Paar.«

Maylin ließ mich los und schob sich ohne ein weiteres Wort an mir vorbei. Mein Blick wanderte erneut zu Dante, der offensichtlich in ein ernstes Gespräch mit seinem Vater vertieft war. Die tiefen Furchen auf der Stirn des Barons waren selbst von hier aus zu erkennen. Dante gestikulierte wild, doch sein Vater schien ihm gar nicht zuzuhören. Plötzlich sah Dante direkt in meine Richtung. Es waren nur wenige Sekunden, in denen sich unsere Blicke trafen und ein kleines Lächeln über seine Lippen zuckte. Dann verschwand es wieder und er diskutierte mit seinem Vater weiter.

»Kommst du endlich?«, rief Maylin mir vom obersten Treppenabsatz aus zu.

Schweigend folgte ich ihr. Doch den ganzen Weg über fragte ich mich, was zwischen ihr und Dante wohl vorgefallen war.

Kapitel 2

Zwei Stunden später saßen wir alle auf Frisierstühlen und ließen uns für das Probe-Essen aufhübschen. Ursprünglich wäre der Termin bereits vor zwei Wochen gewesen, aber Mutter hatte zu dem Zeitpunkt mit einer hartnäckigen Erkältung gekämpft, sodass das traditionelle Festessen vor der Hochzeit erst heute stattfand. Und weil die Königin nicht mit Traditionen brach, war jegliche Argumentation, dass dieses Fest aufgrund der morgigen Hochzeit eigentlich überflüssig war, absolut sinnlos.

Maylin hatte nichts mehr zu ihrem Streit mit Dante gesagt und vor Livia wollte ich sie auf gar keinen Fall dazu befragen. Dante war der einzige Mann, den Mutter für ansehnlich und standesgemäß genug für Maylin erachtete. Das lag nicht nur an seinem attraktiven Erscheinungsbild, sondern auch an seinem selbstbewussten Auftreten, mit dem er sein Gegenüber schnell für sich einnehmen konnte. Mutter und Baron de Lacey kannten sich gut, unsere Familien waren seit vielen Generationen eng miteinander verbunden.

Verstohlen warf ich einen Blick nach links. Maylin war in ein Buch vertieft, während Livia zu meiner Rechten unentwegt vor sich hin plapperte.

»Diese Schneiderin gehört eigentlich auf der Stelle gefeuert. Diese einfältige Gans hat nur Glück, dass ich sie noch für die letzten kleinen Änderungen brauche. Aber wer konnte schon ahnen, dass ich so kurz vor der Hochzeit noch mal so viel abnehme?«

Als keiner reagierte, lehnte sie sich leicht nach vorn, um einen Blick auf Maylin zu erhaschen. Die hob kaum merklich das Buch ein Stück weiter an. So war es zwischen den beiden schon immer gewesen. Livia, die sich, wann immer sie konnte, in den Vordergrund drängte, Maylin, die viel zu schlau und gerissen war, als dass sie darauf ansprang, und ich, die jüngste Prinzessin, die zwischen den Fronten stand und nicht wusste, wo ihr Platz war.

»Hauptsache ist doch, dass dir dein Kleid an deinem großen Tag passt«, entgegnete ich versöhnlich.

»Da hast du auch wieder recht«, flötete Livia. Ihre langen blonden Haare wurden gerade von einer zierlichen Bediensteten hochgesteckt. Einzelne Locken fielen ihr über die nackten Schultern. Sie sah bildschön aus.

»Wann geht das Probe-Essen eigentlich los?« Maylin legte das Buch beiseite. Ihre dunkelbraunen Haare waren bereits zum Teil geflochten worden.

»In weniger als einer Stunde, oder?«, fragte ich an Livia gewandt.

Sie nickte. »Genau. Aber die meisten Gäste sind ohnehin schon unten und warten nur noch auf uns.«

Die Friseurin begann mein Haar zu bürsten und ich versuchte mich dabei ein wenig zu entspannen. Aber mein leerer Magen und die seltsame Stimmung im Raum ließen mich nicht zur Ruhe kommen. Immerhin, als ich wenig später in den Spiegel schaute, war ich mehr als zufrieden. Während Livia und Maylin aufwendige Hochsteckfrisuren trugen, zum Teil mit geflochtenen Zöpfen und glitzernden Haarspangen verziert, war meine eher schlicht gehalten. Ein kleiner geflochtener Zopf, der sich von der Mitte meines Kopfes bis zu meinen Haarspitzen zog. Meine langen Haare waren leicht gewellt und das Blond glänzte vom Bürsten. Eine schlichte silberne Haarspange war der einzige Haarschmuck, den man mir zugestand.

Nachdem die drei Bediensteten den Raum verlassen hatten, betraten unsere Zofen das Zimmer, um uns beim Ankleiden zu helfen.

Maylin trug ein dunkelblaues Kleid, das dem Nachthimmel über St. Lucien Konkurrenz machen konnte, Livia war in zartes Rosa gekleidet und ich trug Rot. Auffälliges, sattes Rot. Livia schien meinen kritischen Blick zu bemerken.

»Mutter ist der Meinung, das passt perfekt zu deiner hellen Haut.« Livia strich über den glänzenden Stoff ihres Kleides, während sie mich dabei beobachtete, wie ich mich ungläubig im Spiegel betrachtete. Dieses Kleid an mir zu sehen war noch einmal etwas völlig anderes, als wenn es auf dem Bügel hing.

»Die Farbe ist sehr … auffällig.«

Ich drehte mich ein wenig hin und her. Über dem roten Stoff befand sich eine dünne schwarze Tüllschicht. Das Kleid war bodenlang und die Korsage mit vielen kleinen schwarzen Perlen bestickt. Es war wunderschön, aber es passte ganz und gar nicht zu mir, und das wusste Mutter ganz genau. Denn wenn es eine Sache gab, die ich hasste, dann war es, im Mittelpunkt zu stehen.

Maylin trat hinter mich und strich mir übers Haar.

»Du siehst toll aus, mach dir keine Sorgen. Bringen wir’s einfach hinter uns, okay?«

Ihr liebevoller Tonfall beruhigte mich ein wenig. Maylin war da, sie würde direkt neben mir am Tisch sitzen. Die Sitzordnung stand seit Wochen fest und mit ihr an meiner Seite würde ich diesen Abend heil überstehen. Es war schließlich nur ein Probe-Essen. Ich atmete tief ein und spürte, wie eng sich die Korsage an meinen Körper schmiegte. Als ich wieder ausatmete, knurrte mein Magen erneut.

»Wir sollten langsam runtergehen, sonst verhungert Saphina womöglich noch«, sagte Maylin lächelnd.

***

Nach der Begrüßung der Gäste wurden wir in den großen Festsaal geführt. Heute war der Tisch nur für die Hälfte der geladenen Gäste gedeckt. Zu einem Probe-Essen schickten die Adeligen oftmals ihre heiratsfähigen Söhne als Vertretung, wenn es mehr als eine Prinzessin gab. Denn immerhin konnte man auf diesem Wege ebenfalls Teil der Königsfamilie werden. Dieses Festmahl war daher eine Mischung aus Kuppel- und Verhandlungsbankett, das die meisten Gäste auch dazu nutzten, ihre Kontakte zu pflegen. Die Frauen hingegen tauschten dort den neuesten Klatsch und Tratsch aus.

Ein großer Mann führte Maylin und mich zu unseren Plätzen. An der Stirnseite des langen Tisches nahm Livia Platz, der rechte Stuhl neben ihr blieb frei. Es war Tradition, dass der Bräutigam beim Probe-Essen nicht mit anwesend war, sondern das Schloss erst am Tag der Hochzeit wieder betrat. Nachdem ich mein ausladendes Kleid halbwegs gerichtet hatte, fiel mir Dante auf. Er trug einen schwarzen Anzug mit goldenen Fäden, die im Licht der Deckenlampen funkelten. Sein dunkles Haar war streng nach hinten gekämmt und auch sonst wirkte er seltsam steif. Selbst als er Maylin und mich bemerkte, blieb seine Miene ernst. Der Kellner führte ihn auf die gegenüberliegende Seite des Tisches, sodass Dante mir direkt gegenübersaß. Wieso um Himmels willen saßen die beiden nicht nebeneinander? Rechts neben Maylin saß stattdessen ein schlaksiger Kerl, den ich nicht näher kannte. Das konnte ja heiter werden.

Wenig später betrat Mutter den Saal. Alle Anwesenden erhoben sich und verbeugten sich vor ihrer Königin. Bedächtig schritt sie voran, ein falsches Lächeln auf den Lippen. Sie trug ein dunkelgrünes Kleid, das sie gleichzeitig elegant, aber auch erhaben wirken ließ. Meine Mutter entschied sich oft für Grün. Maylin hatte ihr im Streit einmal vorgeworfen, dass ihr Grün so gut stehen würde, weil es nicht nur die Farbe des Neids, sondern auch die der giftigsten Schlangenart auf St. Lucien war. Mutter hatte ihr daraufhin in all ihrer Theatralik eine Kristallvase vor die Füße geworfen. Eine tiefe Kerbe im Marmorfußboden erinnerte bis heute an diesen Streit. Unsere Mutter ging majestätisch am Tisch entlang und berührte Maylin kurz an der Schulter, ehe sie bei mir stehen blieb.

»Das Kleid steht dir vorzüglich, Saphina«, säuselte sie mir ins Ohr.

Ich nickte ihr kurz zu, ehe sie sich abwandte und sich letztlich auf dem freien Platz direkt links neben Livia niederließ. Alle starrten in ihre Richtung und erwarteten die Begrüßung durch die noch amtierende Königin, Rowina Bell.

Meine Mutter ließ den Blick bedächtig über die Anwesenden schweifen, ehe sie sich erhob, um so auf ihre Gäste hinabblicken zu können. Sie genoss die Aufmerksamkeit und ich fragte mich schon jetzt, wie sie damit zurechtkommen würde, wenn Livia bald ihre Position einnehmen würde. Dann wäre es ihre älteste Tochter, die die Menschen erwartungsvoll anblicken würden.

»Herzlich willkommen in unserem wunderschönen Astørcia-Palast. Meine Familie und ich begrüßen Sie ganz herzlich zu diesem wundervollen, ganz besonderen Anlass. Es freut uns sehr, dass Sie unserer Einladung gefolgt sind, und wir wünschen Ihnen allen einen angenehmen Abend. Essen Sie jedoch nicht zu viel, das richtige Festmahl findet ja erst noch statt.«

Ich spürte einen leichten Tritt gegen mein Schienbein und drehte mich zu Maylin. Die Gäste klatschten und lachten über den vermeintlichen Scherz. Als Maylin kaum merklich die Augen verdrehte, musste ich mir ein Kichern verkneifen. Wir beide wussten nur zu gut, dass Mutter diesen Satz todernst gemeint hatte. Aber die Gäste schienen sie nicht halb so gut zu kennen, wie sie vorgaben.

»Ihre Mutter ist ja ein richtiger Spaßvogel.«

Verwundert drehte ich mich zu meinem anderen Sitznachbarn herum. Erst jetzt nahm ich den schwarzhaarigen Mann richtig wahr, der im Gegensatz zu den meisten anderen Gästen nicht in übertriebenen Applaus und gekünsteltes Lachen ausgebrochen war.

»Ja, an ihr ist wahrhaft eine Komikerin verloren gegangen«, sagte ich.

Er lächelte mich verschwörerisch an und seine leichten Grübchen ließen ihn auf Anhieb sympathisch wirken.

»Darf ich fragen, mit wem ich das Vergnügen habe? Ursprünglich sollte ich nämlich neben einem entfernten Onkel namens Mortimer Cruz sitzen. Sie sehen jedoch weder wie mein Onkel noch wie ein Mortimer aus.«

Der Fremde grinste erneut. »Das haben Sie wirklich ganz fabelhaft erkannt. Anscheinend hat Ihre Mutter die Sitzordnung noch einmal kurzfristig zu meinen Gunsten verändert. Glauben Sie nicht, dass ich der bessere Sitznachbar bin?«

Er beobachtete mich aufmerksam und versuchte offensichtlich jede noch so kleine Gefühlsregung auf meinem Gesicht abzulesen. Der Fremde sah gut aus, keine Frage. Seine stechend grünen Augen zogen mich an und ich konnte keineswegs abstreiten, dass er wirklich charmant und wortgewandt war. Allerdings war ich nicht so naiv anzunehmen, dass diese neue Bekanntschaft ein bloßer Zufall war. Livia und Mutter tüftelten schon seit Tagen daran herum und mir war allzu bewusst, dass hinter dieser kurzfristigen Änderung pure Berechnung stecken musste.

Ich sah nach vorn zu Mutter, die mich neugierig musterte. Als sich unsere Blicke trafen, konnte ich erkennen, wie sich ein leichtes Lächeln auf ihren Lippen abzeichnete. Das hier war also auf ihrem Mist gewachsen. Deshalb das neue, viel zu auffällige Kleid – sie wollte mich mit diesem Typen verkuppeln! Garantiert war er ein hoher Lord oder Baron von Schlagmichtot.

»Das mag wohl sein«, antwortete ich beherrscht. »Sie haben mir jedoch immer noch nicht Ihren Namen verraten.«

Der junge Mann warf Mutter ebenfalls einen kurzen Blick zu, ehe er antwortete. »Sie hat mich schon vorgewarnt, dass Sie schwer zu bändigen sind. Ich denke, da hat sie nicht übertrieben.«

Er griff nach dem leeren Glas vor ihm und hob es leicht an. Sofort trat eine Kellnerin näher heran und füllte das Glas.

»Danke sehr«, flüsterte er der Kellnerin zu, die sich zügig wieder entfernte.

Es war selten, dass Menschen unseres Standes dieses Wort kannten, geschweige denn, dass sie es gegenüber Bediensteten laut aussprachen. Ungläubig starrte ich ihn an.

»Mein Name ist Theodor, aber Theo ist mir weitaus lieber. Und du bist Saphina, richtig? Sollen wir das nervige Siezen nicht besser bleiben lassen? Immerhin müssen wir diesen Abend irgendwie gemeinsam überstehen.«

Theo sah mich herausfordernd an. Ich wollte ihn nicht mögen, schon aus Prinzip. Meine Mutter hatte kein Recht, mir ausgerechnet heute einen Mann vor die Nase zu setzen. Andererseits schien er ganz nett zu sein und flüchten war ohnehin keine Option. Dennoch würde ich mich nicht verkuppeln lassen, weder von ihr noch von sonst irgendwem.

»Na gut, einverstanden.«

Er hielt mir sein Glas hin und ich griff nach meinem. Dann schüttete er mir die Hälfte seines Champagners ins Glas. Dabei kleckerten wir die weiße Tischdecke voll. Ich konnte die pikierten Blicke meiner Mutter förmlich spüren. Doch ich dachte gar nicht daran, zu ihr zu sehen. Gut gelaunt stieß ich mit Theo an.

»Mutter tötet dich und deinen neuen Freund gerade fünffach mit ihren Blicken«, flüsterte mir Maylin zu.

»Man erntet, was man sät«, entgegnete ich schulterzuckend.

***

Nachdem wir die ersten zwei Gänge halbwegs gut überstanden hatten, bemerkte ich, wie Theo belustigt auf meinen Teller starrte.

»Isst du eigentlich auch was oder guckst du dir das Essen lediglich an?«

Während er sich eine weitere Garnele in den Mund schob, stocherte ich auf meinem Teller herum. Natürlich hatte ich Hunger und mein Magen knurrte schon seit dem Morgen. Aber das Kleid war mir so eng auf den Leib geschneidert, dass ich wirklich Angst hatte, die Korsage würde aufplatzen, wenn ich mir auch nur einen Happen zu viel gönnte. Normalerweise waren mir die Ratschläge von Livia wirklich egal, die der Ansicht war, eine Prinzessin dürfe sich nie satt essen. Dennoch wollte ich heute nicht als Gesprächsthema des Abends enden, weil ich mir zu viele Häppchen gönnte und dadurch die Nähte meines Designerfummels sprengte.

»Ich würde sehr gern mehr essen, ich fürchte nur, das halten die Nähte nicht aus«, antwortete ich Theo hinter vorgehaltener Hand.

Er verschluckte sich beinahe an seiner Riesengarnele und spülte den Hustenanfall schnell mit einem großen Schluck Champagner hinunter. »Du machst Scherze, oder?«

Ich schüttelte leicht den Kopf. »Ich verhungere wirklich, aber wenn ich meiner Schwester heute mit einem Kleider-Fauxpas die Show stehle, werde ich enterbt.«

Theo sah mich noch immer belustigt an. »Bist du nicht sowieso nur die Dritte in der Thronfolge? Wir Jüngeren genießen doch quasi Narrenfreiheit.«

»Okay, jetzt machst du mich neugierig, Theo. Von welchem hochrangigen Adelsgeschlecht stammst du denn ab? Keine falsche Bescheidenheit.«

Theo probierte eine der Blüten, die sicherlich nur als Tellerdeko dienen sollten.

»Theodor August Smith, jüngster Sohn von Gregory Elton Smith, besser bekannt als der Goldbaron von St. Lucien.«

Beinahe wäre mir die Kinnlade heruntergeklappt. Baron Smith war ein guter Freund unseres Vaters gewesen. Die Smiths waren vor langer Zeit gemeinsam mit den de Laceys die ersten Unterstützer von Aramea Bell gewesen. Wenn ich mich recht erinnerte, hatte einer von Theodors Brüdern vor einigen Monaten geheiratet.

»Ja, ich weiß, man kennt in der Regel nur meine zwei großen Brüder. Ich bin bisher immer erfolgreich unter dem gesellschaftlichen Radar geflogen.«

»Du Glücklicher. Also haben sich meine Mutter und dein Vater gedacht, es wäre doch perfekt, uns beide nebeneinanderzupflanzen, jetzt, wo zwischen Maylin und Dante offensichtlich Eiszeit herrscht.«

Theo sah schräg über den Tisch zu Dante, der sich wieder einmal angeregt mit seinem Vater unterhielt und Maylin bisher, soweit ich es mitbekommen hatte, keines Blickes gewürdigt hatte.

»Ja, so in etwa haben sie sich das wohl gedacht. Mein Vater meinte nur zu mir, ich solle mich benehmen und ihm keine Schande machen. Er selbst wird erst bei der Hochzeit anwesend sein. Ich befürchte, er misstraut meiner Erziehung. Wieso nur?«

Erneut funkelten Theos hellgrüne Augen herausfordernd. Er wusste sicherlich, welche Wirkung seine außergewöhnlichen Augen auf die Frauenwelt hatten. Aber wenn er glaubte, ich würde ihm allein deswegen zu Füßen liegen, dann hatte er sich eindeutig getäuscht.

»Meine Mutter ist es mittlerweile gewohnt, dass ich ihre Pläne durchkreuze. Sie wird es überleben, dass wir zwei nicht bis an unser Lebensende glücklich und zufrieden Regenbögen pupsen. Nichts für ungut, aber wie du schon sagtest: Ich bin nur die Dritte in der Thronfolge. Wenn du hättest König werden wollen, hättest du dich wohl eher an Livia oder Maylin halten sollen.«

Ich pikste mit der Gabel weiter auf der Garnele herum, entschied mich dann aber doch, sie zu essen. Sollte das Kleid doch platzen. Wenn ich stattdessen verhungerte, wäre damit auch niemandem geholfen.

***

Als wir endlich alle Gänge durchhatten und ich zumindest halbwegs satt war, verlagerte sich die Gesellschaft in einen der kleineren Säle. Dort gab es noch mehr zu trinken und musikalische Untermalung durch einen Pianisten. Während ich mit Maylin den Saal betrat, erzählte ich ihr von Mutters Verkupplungsaktion. Theo hatte während des restlichen Essens nicht mehr viel mit mir gesprochen.

»Langsam geht sie entschieden zu weit.« Ich konnte förmlich spüren, wie wütend Maylin war. »Dass sie das mit mir versucht hat, ist schlimm genug. Aber dich da auch noch mit reinzuziehen, wird ein Nachspiel haben. Genug ist genug!«

Bevor ich ihr erhitztes Gemüt beruhigen konnte, löste sie sich von mir und stürmte davon. Verloren blickte ich mich im Saal um.

»Hat sie dich einfach so stehen gelassen? Da sind wir ja schon zu zweit.«

Überrascht blickte ich in Dantes Gesicht. Er hielt mir ein Glas Champagner hin und prostete mir mit seinem zu.

»Scheint wohl so. Aber danke für das Glas. Ohne fühlt man sich auf diesen Empfängen immer so unvollständig.«

Er nickte wissend und trank einen Schluck.

»Was … was ist eigentlich los bei euch beiden?«

Auf Dantes Stirn bildete sich eine kleine Denkerfalte und er blickte kurz zu Boden. »Nichts, worüber du dir Sorgen machen müsstest. Ich werd mich mal unter die Leute mischen, sonst steht deine Schwester den restlichen Abend an der Bar und starrt mich böse an.«

Er strich mir mit der Hand kurz über die nackte Schulter und verschwand. Eine feine Gänsehaut huschte über meinen Rücken. Wenig später kam Maylin zurück.

»Was wollte der denn von dir?«, fragte sie ungewohnt kühl.

»Nichts, er hat mir nur was zu trinken mitgebracht, nachdem du einfach abgerauscht bist. Was ist denn los mit dir? Jetzt sag doch endlich, was zwischen euch vorgefallen ist.«

Maylin verzog leicht das Gesicht. »Ich will nicht drüber reden, okay? Lass uns lieber Mutter suchen und sie fragen, ob sie ihre beiden übrigen Töchter verschachern möchte wie Kühe auf dem Viehmarkt.«

Maylin griff nach meinem Arm und hakte sich bei mir unter. Gemeinsam schlenderten wir betont langsam durch den Saal. Wann immer jemand von Weitem so wirkte, als würde er uns ansprechen wollen, taten wir so, als wären wir in ein angeregtes Gespräch vertieft. Es funktionierte erstaunlich gut. Als ich den Blick durch den Saal schweifen ließ, entdeckte ich Mutter an der Bar. Sie sprach mit Dantes Vater, der gerade ein tiefes, herzhaftes Lachen ausstieß. Wir setzten uns unauffällig auf eine der Chaiselongues und beobachteten die beiden.

»Ob er nur so tut, als fände er Mutters Witze witzig, oder ob er tatsächlich einen so unterirdischen Humor besitzt?«

Maylin prustete leicht in ihr Glas. Ich spürte, wie der Champagner meine Zunge gelockert hatte. Den Rest des Abends sollte ich besser nur noch Wasser trinken. Mutter tätschelte dem Baron die Schulter, als sie sich langsam, aber mit Nachdruck aus dem Gespräch löste. Sie kam direkt auf uns beide zu, und auch wenn sie die Gäste unentwegt anlächelte, konnte ich ihr ansehen, dass sie ganz und gar nicht zufrieden mit dem Ablauf des Probedinners war.

»Findet ihr es nicht unhöflich, dass ihr hier in der Ecke herumlungert, während unsere Gäste sich gern mit euch unterhalten würden? Saphina, wo ist denn dein charmanter Sitznachbar? Ich hoffe, du hast ihn nicht mit deiner ungezogenen Art in die Flucht geschlagen. Die Familie Smith steht unserer wirklich nahe. Es wäre schade, wenn du unsere langjährige Freundschaft durch dein Verhalten schädigen würdest.«

Ungläubig starrte ich in das Gesicht unserer Mutter. Dass sie mich vor aller Augen maßregelte wie ein kleines Kind, war eine unfassbare Bloßstellung. Ich straffte die Schultern, sodass ich kerzengerade auf der Chaiselongue saß, und atmete tief ein. Der Geruch von schwerem Parfüm, gemischt mit dem Rauch von Zigarren, drang mir in die Nase. Ich hasste ihn.

»Möchtest du Saphina wirklich hier und jetzt eine Szene machen, Mutter? Ich dachte eigentlich, du wüsstest am besten, wie man sich bei derartigen Anlässen benimmt.«

Schockiert blickte ich in Maylins Gesicht. Selbstsicher lächelte sie Mutter entgegen, während sie die Hände in den Schoß legte und aussah wie ein Engel. Auf Außenstehende musste die Königin wie ein aufgebrachter Drache wirken, der kurz davor war, zwei unschuldige Lämmchen mit Haut und Haar zu verschlingen.

»Das ist nicht deine Angelegenheit, Maylin«, zischte Mutter, während sie uns verbissen anlächelte.

Suchend sah ich mich um, bis mein Blick an Dante hängen blieb. Er beobachtete uns, so wie die meisten im Saal. Das Stimmengemurmel war fast völlig verstummt. Wortlos flehte ich ihn an, irgendetwas zu tun. Ich kannte diesen Mann kaum, aber ich wusste, dass er Jahre seines Lebens damit zugebracht hatte, bei unseren langweiligen Banketten und Feierlichkeiten an Maylins Seite zu sein. Er kannte die angespannte Situation, die seit dem Tod des Königs in unserer Familie herrschte. Sein Blick war durchdringend, intensiv. Mein stummes Flehen erhörend, stellte er sein Glas ab und schritt auf uns zu. Wenn er Maylin erst einmal hier weggeschafft hätte, würde ich Mutter beruhigen und schon bald wäre diese Szene vergessen. Natürlich war ich wütend auf sie. Aber dennoch war das heute Livias Abend. Wir sollten unsere Streitigkeiten für uns behalten. Später war noch mehr als genug Zeit, sich gegenseitig in Vorwürfen zu ertränken.

Kurz bevor Dante unsere kleine Runde erreichte, setzte er ein charmantes Lächeln auf. »Königin Rowina, Ihr seht wie immer bezaubernd aus«, begrüßte er Mutter.

Er nahm ihre Hand, beugte sich leicht nach vorn und küsste sie.

»Eure Töchter machen Euch mit ihrer Schönheit alle Ehre. Ich habe mich gefragt, ob ich Eure Tochter zu einem kleinen Tanz auffordern dürfte. Mir ist bewusst, dass der heutige Abend eigentlich keinen beinhaltet, aber der Pianist ist ein wahrer Virtuose und ich kann einfach nicht an mich halten.«

Mutter erlag augenblicklich Dantes plumpem Charme und ihr eben noch starrer Gesichtsausdruck wich einem mädchenhaften Lächeln. »Aber selbstverständlich dürfen Sie. Es freut mich zu sehen, dass ihr eure kleine Zankerei überwunden habt. Nur zu, tanzt!«

Dante lächelte Mutter verschmitzt an, ehe er sich zu uns wandte. »Darf ich bitten?«

Für einen Moment hörte die Welt auf, sich zu drehen. Ich starrte in Dantes braune Augen, aus denen er mir auffordernd entgegensah. Mein Blick wanderte weiter nach unten zu seiner Hand. Selbstsicher streckte er sie mir entgegen, um mir aufzuhelfen. Ich war völlig perplex. Er wollte mit mir tanzen? Hier, vor all diesen Leuten, die fest davon ausgingen, dass er früher oder später meine ältere Schwester heiraten würde? Er zwinkerte mir verschwörerisch zu und wie in Zeitlupe ergriff ich seine Hand. Sie fühlte sich warm an, ganz im Gegensatz zu meiner, die eiskalt war.

»Ich wünsche Euch noch einen angenehmen Abend«, verabschiedete er sich von Mutter und Maylin und führte mich festen Schrittes an das andere Ende des Saals, wo sich der Pianist am Flügel befand.

»Was zur Hölle sollte das?«, flüsterte ich ihm aufgebracht zu, während wir uns durch die Schar der Gäste schlängelten. Ich bildete mir ein, dass tausend stechende Blicke uns verfolgten, dass hinter meinem Rücken über die Frechheit getuschelt wurde, dass ausgerechnet ich, die jüngste der drei Prinzessinnen, mit Dante de Lacey tanzte, wo er doch mit meiner Schwester zusammen war.

»Du hast so verloren ausgesehen. Ich dachte, dein stummes Flehen war eine indirekte Aufforderung, dir zur Rettung zu eilen. Et voilà, hier bin ich. Zwar ohne Pferd und schillernde Rüstung, aber ich denke, bei dem Sturm, der sich da drüben gerade aufbaut, darfst du nicht wählerisch sein.«

Als wir die kleine Ecke vor dem Flügel erreichten, umfasste er meine Taille und zog mich näher an sich heran.

»Du solltest Maylin wegbringen, nicht mich, du Dummkopf!«

Der Pianist blickte uns überrascht an, stimmte dann aber sogleich ein Stück an, das wesentlich tanzbarer klang als das vorige. Kurze Zeit später tauchten weitere Musiker mit Violinen und Geigen auf, die ihn unterstützten. Dante und ich glitten elegant über die Tanzfläche und ein kleiner Teil von mir war tatsächlich froh, Mutter und Maylin entkommen zu sein. Ich liebte sie beide, aber sie trugen ihre Machtkämpfe immer unverhohlener aus. Und ich wollte nicht zwischen ihnen stehen, denn anders als Livia war ich nicht bereit, eine Seite zu wählen. Als ich aufblickte, hatten sich die Gäste um uns herum versammelt. Dantes Hand an meiner Taille machte mich nervös. Auch wenn es nur ein Tanz war, die Einzige, mit der er so tanzen sollte, war Maylin.

»Jetzt guck doch bitte nicht so erschrocken. Die Aufmerksamkeit liegt immerhin nicht mehr bei deiner sich zerfleischenden Familie. Das ist doch das, was du wolltest, oder?«

Starr blickte ich geradeaus. Ich traute mich kaum, in die Gesichter der Umstehenden zu blicken. Dante hatte recht: Ich hatte die Aufmerksamkeit vom Streit ablenken wollen. Selbst im Mittelpunkt der Veranstaltung zu stehen war ganz sicher nicht mein Plan gewesen. Dennoch konnte ich Dante keinen Vorwurf machen. Immerhin hatte er überhaupt etwas getan, hatte versucht, mir zu helfen.

Der Klang der Musik trieb mich hinweg. Dante führte mich sicher, sodass ich sogar kurz die Augen schloss, um all die vielen Menschen auszublenden, die uns anstarrten. Doch dann hörte ich das Gemurmel. Sofort riss ich die Augen wieder auf. Die meisten Gäste hatten sich umgedreht, sodass ich auf eine Reihe fein frisierter Hinterköpfe starrte.

»Was ist passiert?«, flüsterte ich Dante zu, während er mich immer noch im Arm hielt und mich sanft im Takt wiegte.

»Ich befürchte, unser Ablenkungsmanöver hat nicht ganz funktioniert.«

Kapitel 3

So war das definitiv nicht geplant gewesen. Schockiert blickte ich auf die aufgerissene Flügeltür, durch die Maylin den Saal vor wenigen Minuten fluchtartig verlassen hatte. Dante und ich hatten den Tanz abrupt abgebrochen, als wir den Aufruhr bemerkt hatten. Auch die Gäste blickten noch immer verstohlen in diese Richtung, dabei war meine Schwester schon längst verschwunden. Mutter und Livia standen an einem der kleinen Tische und taten so, als wäre nichts passiert. Dante unterhielt sich in Sichtweite mit einem hochgewachsenen schwarzhaarigen Mann, den ich nicht näher kannte. Dabei warf er mir jedoch immer wieder vereinzelte Blicke zu.

Ich beobachtete einen Diener, wie er die schwere Tür wieder schloss und so das letzte Überbleibsel von Maylins Verschwinden beseitigte.

»Eure Familie liebt Dramen, oder?«

Theo lehnte sich gegen den Holztresen der alten Bar, an die ich mich zurückgezogen hatte. Mein Kopf dröhnte, dabei hatte ich doch gar nicht so viel Champagner getrunken.

»Das ist ein schlechter Moment für solche Witze«, entgegnete ich tonlos.

Theo genoss offenbar den Anblick, der sich ihm bot. Eine verlorene Prinzessin, die gestrandet wie ein Wal in der Ecke saß und die niemand mehr groß beachtete.

»Ich denke, du hattest recht.« Er lehnte sich zu mir herüber und fixierte mich belustigt. Theo wirkte nicht länger charmant und sympathisch, sondern seltsam abgeklärt und kaltschnäuzig. Als ich ihn fragend anblickte, genoss er es, mich warten zu lassen. »Weißt du, mein Vater hat eine der edelsten Pferdeaufzuchten, weit über alle Grenzen bekannt. Er sagt immer, ein gutes Pferd zeichnet sich nicht durch sein glänzendes Fell oder wache, intelligente Augen aus. Ein exzellentes Pferd erkennt man an seinem starken Willen, an seinem schier unbändigen Temperament. Schade nur, dass du nicht das eine und erst recht nicht das andere besitzt. Deine Schwester hingegen hat von beidem mehr als genug. Vielleicht sollte ich mein Glück wirklich eher bei ihr versuchen. Zumal sie ja offensichtlich wieder auf dem Markt zu sein scheint.«

Er nickte dem Barmann zu, der daraufhin ein Flasche Whiskey zückte und ein Glas zwei Finger breit befüllte. Theo kippte den gesamten Inhalt in einem Zug hinunter, warf mir noch einen abfälligen Blick zu und verschwand inmitten der anderen Gäste.

***

Als sich der Raum endlich leerte und die meisten Gäste sich auf den Weg nach Hause machten, verließ ich ebenfalls den Saal. Dieser Abend war so viel schlimmer gewesen, als ich befürchtet hatte. Der Stoff meines Kleides raschelte verräterisch, als ich die vielen Treppenstufen emporstieg. Es war plötzlich seltsam ruhig. Die ganze Zeit über hatten mir das Gemurmel und das gekünstelte Lachen der Gesellschaft in den Ohren gedröhnt. Nun waren sie endlich alle verstummt. Auf dem Weg zu Maylins Zimmer gingen mir immer wieder Theos beleidigende Worte durch den Kopf. Er hatte mich allen Ernstes mit den Zuchtstuten seines Vaters verglichen!

Wenig später hielt ich vor der Zimmertür meiner Schwester und atmete erleichtert auf. Ich klopfte leise und wartete auf ein Geräusch von drinnen, doch es blieb still. Eigentlich konnte ich mir schlecht vorstellen, dass Maylin bereits schlief, aber vielleicht war sie doch so erschöpft gewesen, dass sie einfach eingeschlafen war. Für einen kurzen Augenblick überlegte ich, ob ich dennoch einen Blick ins Zimmer werfen sollte. Letztlich entschied ich mich aber doch dagegen. Wäre ich an Maylins Stelle gewesen, hätte ich für heute auch meine Ruhe haben wollen. Vielleicht war sie ja sauer auf mich, weil ich Dantes Aufforderung zum Tanz angenommen hatte?

Müde schritt ich den verlassenen Flur entlang zu meinem Zimmer. Ich ging hinein und hätte diesen Raum am liebsten nie wieder verlassen. Aber bereits in wenigen Stunden würden wir alle wieder an einer Tafel sitzen und so tun, als wäre nichts geschehen.

***

Am nächsten Morgen öffnete ich die Augen und blinzelte verschlafen die Sonnenstrahlen fort, die mir grell ins Gesicht schienen. Irgendjemand hatte die schweren dunkelblauen Vorhänge beiseitegezogen, sodass der gesamte Raum sonnendurchflutet dalag.

»Was soll das?«, murmelte ich genervt.

»Prinzessin, Sie sind schon ziemlich spät dran«, drang die kindliche Stimme meiner Zofe zu mir herüber.

Sie war bereits dabei, mir ein Glas Orangensaft einzuschenken, und kam damit auf mich zu. Lächelnd reichte sie mir das Glas, das ich nur widerwillig entgegennahm. Meine Mutter hatte mir vor einigen Wochen nahegelegt, jeden Tag mit einem Glas Saft zu beginnen. Das würde meinem Teint guttun, der für ihren Geschmack viel zu blass und kränklich war. Dafür, dass ich die Prinzessin einer sonnigen Karibikinsel war, sei ich viel zu farblos. Doch an diesem Morgen stand mir der Sinn ganz und gar nicht nach irgendeinem Saft. Deshalb stellte ich das Glas auf dem kleinen Nachttisch ab und drehte mich auf die andere Seite. Die Decke zog ich mir bis zum Kinn, während ich verbissen die Augen zukniff, um die Helligkeit auszusperren.

»Tot stellen bringt auch nichts. Sie müssen in einer Stunde beim Brunch sein und nach dem gestrigen Abend war die Laune Ihrer Mutter alles andere als blendend. Sie sollten sie nicht noch einmal verärgern. Die Leute reden schon.«

»Die Leute reden immer«, nuschelte ich in die Federkissen.

»Aber sie reden in aller Regel nicht über Sie, Prinzessin. Ihre Tanzeinlage mit dem Sohn von Baron de Lacey hat für ein ganz schönes Aufsehen gesorgt. Und der plötzliche Wutanfall Ihrer Schwester lässt Sie in keinem guten Lichte dastehen.«

Wutanfall? Was denn für ein Wutanfall? Ich hob den Kopf aus den Kissen und richtete mich auf.

»Was ist gestern eigentlich genau passiert?«

Elouise musterte mich nachdenklich. »Nun, Sie haben mit dem Freund Ihrer Schwester getanzt und kurz darauf hat Prinzessin Maylin Ihrer Mutter und der zukünftigen Königin eine Szene gemacht. Die Königin hat versucht, sie zu beruhigen, aber Maylin hat Livia beiseitegestoßen und ist wie ein trotziges Kind verschwunden. Seitdem hat sie niemand mehr gesehen.«

Seitdem hat sie niemand mehr gesehen.

Hastig strampelte ich die Decke zur Seite und sprang auf die Beine. Elouise griff schnell nach meinem Morgenmantel und hielt ihn mir hin. Ich schlüpfte hinein, zog ihn eng um meinen Körper und lief barfuß zur Tür.

»Prinzessin! Sie können doch so nicht vor die Tür gehen. Sie haben ja gar nichts an.«

Bevor Elouise weiter mit mir diskutieren konnte, hastete ich bereits zu Maylins Zimmer. Ohne zu klopfen, stieß ich die schweren Türen auf und blickte auf ein perfekt gemachtes, unangetastetes Bett. Suchend blickte ich mich um, aber es gab keinerlei Anzeichen dafür, dass sie nach dem gestrigen Abend überhaupt noch einmal hier gewesen war. Wohin war Maylin nur gegangen? War sie wirklich so wütend auf mich gewesen, weil ich mit Dante getanzt hatte? Sie wusste doch, dass ich ihr nie hatte schaden wollen. Ich blickte auf die Uhr direkt über Maylins Kommode. Elouise hatte recht, ich war wirklich spät dran. Eigentlich wollte ich Maylin unbedingt noch vor dem Brunch sprechen, um mich zu versichern, dass alles okay zwischen uns war. Allerdings konnte sie nahezu überall sein und ich durfte es mir keinesfalls mit Mutter verscherzen, indem ich zu spät kam.

Niedergeschlagen trottete ich zurück und ließ mich widerwillig von Elouise einkleiden. Schon wieder ein Essen. Mir hing es jetzt schon zum Hals raus.

»Diese Farbe schmeichelt Ihrer Haut wirklich außerordentlich«, säuselte Elouise, während sie sich daranmachte, die aufwendige Schnürung am Rücken enger zu ziehen. Das Kleid für den Brunch war in strahlend hellem Blau gehalten, das den Karibischen Ozean symbolisieren sollte. Auch dieses Kleid hatte Mutter ausgesucht, aber es gefiel mir wesentlich besser als das vom Vorabend. Auf die Vorderseite der Korsage waren kleine glitzernde Steine genäht, die aussahen wie Wassertropfen. Sie flossen förmlich das Kleid hinab und bei jeder Bewegung reflektierten sie das Sonnenlicht. Der glänzende Stoff fiel sanft bis auf den Palastboden und der Rock war weniger ausladend und bei Weitem nicht so schwer wie der des roten Kleides.

»Uff, bitte nicht so fest, sonst kann ich das Essen wieder nur anstarren«, keuchte ich.

»Entschuldigen Sie bitte, meine Hoheit.«

Ihre plötzliche Distanziertheit verwunderte mich, doch als ich zur Tür sah, blickte ich in Mutters zufriedenes Gesicht. In ihrer Gegenwart musste Elouise aufpassen, dass sie nicht zu vertraut mit mir sprach.

»Saphina, du siehst fantastisch aus! Elouise, zieh die Korsage bitte etwas fester, es soll ruhig jeder sehen, was für eine wunderschöne Figur meine Tochter hat.«

Sie schritt langsam auf mich zu und strich mit der Hand über den weichen Saum des Kleides.

»Hast du Maylin heute schon gesehen? Sie ist nicht in ihrem Zimmer. Allmählich hab ich ihre Kindereien satt. So, wie sie sich benimmt, könnte man meinen, sie ist völlig von Sinnen.«

Ich schüttelte leicht den Kopf, während ich die Luft anhielt. Die Korsage schloss sich wie eine Würgeschlange um meinen Körper.

»Nach der Farce, die sie unserer Familie und vor allem Livia gestern angetan hat, verwundert mich dieses alberne Verhalten nicht mal. Aber solltest du sie sehen, sag ihr, wir erwarten sie dennoch zum Brunch. Sie hat ihre Pflichten genauso zu erfüllen wie wir anderen auch. Ob sie will oder nicht.«

»Natürlich, Mutter«, sagte ich.

Sie nickte Elouise kurz zu, ehe sie aus der Tür verschwand.

»Bitte mach die Korsage wieder lockerer, sonst ersticke ich, bevor ich überhaupt am Tisch sitze.«

***

Nachdem man mich vorzeigbar hergerichtet hatte, geleiteten mich zwei Soldaten zum Brunch. Mutter hatte sie offenbar vor meiner Tür abgestellt. Als ich den Saal erreichte, saßen die meisten Gäste schon am Tisch, unter ihnen auch Theodor und sein Vater. Angewidert verzog ich das Gesicht, riss mich jedoch zusammen, als ich Livias mahnenden Blick bemerkte.

Der Raum war über Nacht noch einmal komplett anders dekoriert worden. Direkt neben dem imposanten Familiengemälde am Ende des Saals waren zwei goldene Kerzenständer aufgestellt worden und ein weißer Teppich führte die Gäste von der Flügeltür bis zum Tisch. Die Saaldecke hatte man mit hellen, rosafarbenen Tüchern abgehängt und durch die Beleuchtung wirkte der Saal nun wesentlich gemütlicher. Eine Bedienstete war sogar noch dabei, die letzten Blumengestecke zurechtzuzupfen.

Auf der festlich gedeckten Tafel fanden sich unzählige Leckereien, die keiner von uns jemals aufessen konnte. Auch hier hatte man nicht mit Dekoration gegeizt, beleuchtete Gestecke mit blassrosa Blüten vollendeten das Bild.

Suchend blickte ich nach den Tischkärtchen, auf denen in schnörkeliger Schrift Namen standen. Erleichtert stellte ich fest, dass ich diesmal nicht neben Theodor saß, sondern direkt zwischen den noch nicht anwesenden Dante und Maylin – wie passend. Wenn es noch ein weiteres Indiz gebraucht hätte, dass die beiden eine ernsthafte Krise hatten, dann war es dies.

Ein Kellner schob sofort den Stuhl beiseite, sodass ich mich setzen konnte. Die große Standuhr in der Ecke des Saals zeigte beinahe elf Uhr an. Viel Zeit blieb Maylin also nicht mehr, um Mutter zu besänftigen.

Aber Maylins Platz blieb leer. Genauso wie der von Dante. Das Gemurmel war zwar bei Weitem nicht so laut und drängend wie am Vorabend, aber die geladenen Gäste blickten immer wieder zu mir und den zwei leeren Plätzen, die mich von allen anderen Gästen separierten wie eine Aussätzige, als wäre es meine Schuld, dass keiner von beiden anwesend war. Theodor, der mir schräg gegenübersaß, sah mich mit einer Mischung aus Genugtuung und Verachtung an und auch sein Sitznachbar warf mir einen komischen Blick zu. Mein Appetit war mir zwar bereits vergangen, dennoch biss ich in ein Croissant. Je schneller dieser Brunch beendet war, desto eher konnte ich mich auf die Suche nach Maylin machen.

Mutter und Livia scherzten derweil betont locker mit den Gästen. Es schien beinahe so, als würden sie die neugierigen Blicke der Adligen in meine Richtung bewusst ignorieren. Ein Kellner war gerade dabei, mir etwas Orangensaft in ein Glas zu füllen, als der Eingang zum Saal geräuschvoll aufgerissen wurde. Die schwere Tür knallte gegen die Wand und Livia sprang erschrocken auf.

»Was hat diese unerhörte Störung meiner Feierlichkeiten zu bedeuten?«, herrschte sie den Mann an, der nun mitten im Saal stand.

Er würdigte Livia jedoch keines Blickes, sondern sah direkt zu unserer Mutter.

»Entschuldigt die plötzliche Störung, meine Königin«, sprach er sie an und verbeugte sich sogleich.