Theologie in Übersetzung? -  - E-Book

Theologie in Übersetzung? E-Book

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Beschreibung

"Fremdsprache" Religion, religiöse Sprache in der Krise, Sprachlosigkeit der Kirche und abnehmende religiöse Sprachfähigkeit in der Gesellschaft – diese Formulierungen aus der aktuellen Diskussion zeigen, dass die religiöse und sprachliche Heterogenität kommunikativer Kontexte für die theologische Wissenschaft und Didaktik zu den zentralen Herausforderungen der Gegenwart gehört. Dabei wird immer wieder auf die Metapher der "Übersetzung" zurückgegriffen, um die scheinbar notwendige Transformationsleistung zu beschreiben. Der Band diskutiert die Frage nach der theologischen Sprachfähigkeit aus der Perspektive theologischer Ethik und Religionspädagogik. Theology in Translation? Religious Language and Communication in Different ContextsReligion as "foreign language", the crisis of religious language, speechlessness of the church and a diminishing religious ability to speak in society – these current discussions show that the heterogeneity of communicative contexts is a central challenge for Christian theology and its didactic. In these discussions the metaphor of "translation" is widely used to describe the necessary transformation of religious language. The volume discusses the question of theological language and its transformation from the perspective of theological ethics and religious education.

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ÖFFENTLICHE THEOLOGIE

Herausgegeben von

Heinrich Bedford-Strohm, Wolfgang Huber und Torsten Meireis

Band 36

Theologie in Übersetzung?

Religiöse Sprache und Kommunikation in heterogenen Kontexten

Herausgegeben von Frederike van Oorschot und Simone Ziermann

Gefördert von:

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2019 by Evangelische Verlagsanstalt GmbH · Leipzig

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Cover: Kai-Michael Gustmann, Leipzig

Satz: 3W+P, Rimpar

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2019

ISBN 978-3-374-05820-4

www.eva-leipzig.de

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

Frederike van Oorschot und Simone Ziermann

Einführung

Hermeneutische Perspektiven

Frederike van Oorschot

Hermeneutische Grundfragen zur Übersetzbarkeit religiöser Überzeugungen

Übersetzung und gegenseitiges Vertrautwerden

Florian Höhne

Öffentliche Theologie als Modus ethisch-theologischer Übersetzung?

Thomas Wabel

Übersetzung als Einladung und Unterbrechung

Ein theologisch-ästhetischer Einwurf zur Übersetzungsmetapher

Simone Ziermann

»Hier stock ich schon!«

Überlegungen zu den Bruch- und Leerstellen der Übersetzungsmetapher

Religionspädagogische Perspektiven

Manfred L. Pirner

Öffentliche Religionspädagogik

Religionspädagogik als Übersetzungsaufgabe?!

Andrea Schulte

Religion übersetzenim Kontext religiöser Sprachbildung und Kommunikation im Religionsunterricht

Religionspädagogische Konkretionen

Georg Langenhorst

Das Wort Gott – ein »Wirkwort« (Andreas Knapp)

Literarische Sprach-Schulungen für Theologie und Religionspädagogik

Stefan Altmeyer, Julia Baaden und Andreas Menne

Übersetzen im Religionsunterricht

Von Bruno Latour und Jürgen Habermas zu einer Didaktik der Leichten Sprache

Autorenverzeichnis

Endnoten

Vorwort

»Übersetzung« – unter diesem Leitbegriff setzen sich unterschiedliche theologische Disziplinen mit einer zentralen Herausforderung der Gegenwart auseinander: Wie können religiöse Sprache und Kommunikation, wie religiöse Inhalte und Grundideen unter den Bedingungen der Gegenwart verständlich und plausibel gemacht werden? Einen Teil dieser Auseinandersetzung zu dokumentieren und unterschiedliche theologische Diskurse ins Gespräch zu bringen, ist Anliegen des vorliegenden Bandes. Im Hintergrund des Buches steht eine interdisziplinäre Tagung zum Thema, die im Februar 2018 an der Universität Augsburg stattfand. Dass die Erkenntnisse der Tagung nun auch in einem Tagungsband vorliegen und so nachhaltig in den Diskurs eingehen können, freut uns sehr. Bei allen Personen und Institutionen, die das möglich gemacht haben, bedanken wir uns herzlich.

Für alle Unterstützung bei der Organisation der Tagung und der Vorbereitung des Tagungsbandes gilt unser Dank dem LeHet-Team der Universität Augsburg, insbesondere Frau Dr. Astrid Krummenauer-Grasser, sowie dem Team am Institut für Evangelische Theologie der Universität Augsburg rund um Prof. Dr. Elisabeth Naurath (Lehrstuhl für Religionspädagogik und -didaktik) und Prof. Dr. Bernd Oberdorfer (Lehrstuhl für Systematische Theologie).

Für die engagierte und zuverlässige Unterstützung während der Tagung und beim Lektorat des Tagungsbandes bedanken wir uns bei den Hilfskräften Dennis Kremer und Vincent Rudolf.

Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm, Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Wolfgang Huber und Prof. Dr. Torsten Meireis danken wir herzlich für die Aufnahme des Bandes in die Reihe »Öffentliche Theologie«. Auch den Mitarbeitern der Evangelischen Verlagsanstalt, insbesondere Frau Dr. Annette Weidhaas und Frau Sina Dietl, sei für die freundliche und kompetente Betreuung herzlich gedankt.

Unser Dank für die finanzielle Unterstützung richtet sich an die Evangelischen Kirche in Deutschland, die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern, den Masterstudiengang »Ethik der Textkulturen« (Universitäten Augsburg/Erlangen-Nürnberg) und das LeHet-Projekt der Universität Augsburg (»Lehrerprofessionalität im Umgang mit Heterogenität«), das im Rahmen der »Qualitätsoffensive Lehrerbildung« von Bund und Ländern und aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert wird.

Ein besonderer Dank gebührt freilich den Referentinnen und Referenten, die die Tagung mit ihren Beiträgen bereichert und ihre Überlegungen für diesen Tagungsband zur Verfügung gestellt haben.

Frederike van Oorschot (Heidelberg) und Simone Ziermann (Augsburg), Oktober 2018

Einführung

Frederike van Oorschot und Simone Ziermann

Die zunehmende religiöse und sprachliche Heterogenität in unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten fordert die theologische Fachwissenschaft und -didaktik heraus. Wie kann theologische Sprachfähigkeit entstehen und gelingen? Welche Sprachebenen bzw. »Sprachspiele« sind in der theologischen Wissenschaft und den jeweiligen Referenzkontexten zu unterscheiden und was ist vor diesem Hintergrund jeweils unter »Sprachfähigkeit« zu verstehen? Welche Chancen und welche Grenzen bietet die Metapher der »Übersetzung«? Welche Konsequenzen und welche Herausforderungen ergeben sich für und aus dem professionellen Umgang mit sprachlicher und religiöser Heterogenität?

Rund um diese Fragen gibt es in den verschiedenen theologischen Disziplinen ebenso viel Diskussion wie Klärungsbedarf. Dies gilt insbesondere für diejenigen Disziplinen, die von ihrer Ausrichtung her einen engen Bezug auf gesellschaftliche Themen und Praktiken aufweisen, und so werden diese Fragen namentlich in der Religionspädagogik und der theologischen Ethik breit traktiert.

Ziel des vorliegenden Bandes ist, in diesem weiten Feld der Übersetzungsdebatte einen Beitrag zum Austausch und zur Vernetzung zu leisten. Dazu dient eine multiperspektivische Auseinandersetzung mit dem Begriff »Übersetzung« als Ausgangs- und Gravitationspunkt, um den herum eine Vielzahl von Anschlussfragen und Theoriekonzepten in den Blick zu nehmen sind. Dabei werden vier übergreifende Linien deutlich.

Erstens zeigt der interdisziplinäre Austausch sehr schnell, dass vielfach ähnliche Fragen aus unterschiedlichen Perspektiven virulent werden. Dies spiegelt sich in der Gliederung des vorliegenden Bandes: Das gemeinsame Anliegen einer hermeneutischen Erhellung der Übersetzungsmetapher wird mit verschiedenen Zugängen verfolgt. Der erste Teil vereint Beiträge aus Öffentlicher Theologie und Religionspädagogik, die Chancen, Grenzen und Facetten der Übersetzungsmetapher in hermeneutischen Perspektiven erkunden. Ihm folgt ein zweiter Teil, in dem das Potential der »Übersetzung« in Hinsicht auf religionspädagogische Fragestellungen spezifiziert wird. Der dritte Teil schließlich verbindet konzeptionelle Überlegungen mit der Frage nach konkreten Konsequenzen für den Religionsunterricht.

In dieser Ausdifferenzierung wird bereits der zweite Punkt deutlich: Die zum Teil bis ins Unspezifische hineinreichende Breite des Begriffes »Übersetzung«. Während die Perspektiven aus der theologischen Ethik den Begriff als Metapher für die Vermittlung zwischen gesellschaftlichen und theologischen Sprachspielen verwenden, kommt in der religionspädagogischen Reflexion auch die – keineswegs metaphorische – Pluralität real existierender Sprachen als Herausforderung des Religionsunterrichts in den Blick. Entsprechend wird auf sehr unterschiedlichen Ebenen und im Blick auf differente Bezugsdiskurse, wie Linguistik, Übersetzungswissenschaft, politische Theorie oder Hermeneutik, auf den Begriff der »Übersetzung« reflektiert. Diese unterschiedlichen Zugänge zum gemeinsamen Leitbegriff und die entsprechenden Bezugsdiskurse zu markieren, ist ein Anliegen des Bandes. Zugleich bringt er diese verschiedenen Perspektiven miteinander ins Gespräch und ermöglicht so die Auseinandersetzung mit den breiten und differenzierten Diskursen um den Begriff »Übersetzung« innerhalb der Theologie.

Angesichts dieser Breite stellen sich die Beiträge drittens der Aufgabe, die Leistungskraft der Rede von »Übersetzung« insgesamt zu reflektieren und zu schärfen. So thematisieren die Beiträge – insbesondere im Abschnitt zur hermeneutischen Grundlegung – mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen die Möglichkeit einer allgemein verständlichen Sprache als regulativer Idee im gemeinsamen Diskurs, aber auch die Tragfähigkeit der Annahme eines gemeinsamen Interesses an gelingender Kommunikation als notwendige Voraussetzung der Überlegungen. Schließlich wird immer wieder der fundamentale Einwand erkennbar, dass die »Fremdheit« der religiösen Sprache christlicher Prägung konstitutiv ist und in der Beobachtung gründet, dass sich der »Kern der Sache« jeder menschlichen Übersetzungsbemühung entzieht. Hier treten auch benachbarte Metaphern wie die »Zweisprachigkeit« und die »Fremdsprache« ins Blickfeld.

Die in der theologischen Ethik verbreitete Metapher von der »Zweisprachigkeit« verweist viertens auf eine Engführung, die in der interdisziplinären Perspektivierung besonders zu Tage tritt: Viele Entwürfe politischer Theorie unterscheiden – ausgehend von Rawls – v. a. zwischen religiöser und nicht-religiöser Rede; die in der theologischen Ethik verbreitete Metapher von der »Zweisprachigkeit« ist hierfür symptomatisch. Demgegenüber zeigt die religionspädagogische Reflexion, dass religiöse Rede nur eine Redeform unter vielen anderen darstellt, zwischen denen zu vermitteln ist. Die Frage nach Vermittlung zwischen heterogenen Diskursen kann folglich nicht bipolar gedacht werden. Soll religiöse Rede in die pluralen Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen Eingang finden, spielen vielmehr sehr unterschiedliche Kommunikationsräume und Sprachwelten eine Rolle. Diese Herausforderung verschärft sich noch einmal, kommt die religiöse Praxis und die Praktiken anderer Lebensvollzüge mit in den Blick. Die hier zusammengeführte interdisziplinäre Debatte macht somit deutlich, dass die Übersetzung religiöser Rede zukünftig noch stärker in den Kontext von konstitutiver Mehrsprachigkeit gestellt und in diesem diskutiert werden muss.

Die benannten verbindenden und zugleich untergründigen Linien werden in den Beiträgen des vorliegenden Bandes in unterschiedlicher Weise und mit unterschiedlichen Fragerichtungen entfaltet.

Der erste Teil bietet eine Reflexion auf grundlegende hermeneutische Fragen aus interdisziplinärer Perspektive.

Hier verortet zunächst Frederike van Oorschot die Frage nach der Übersetzbarkeit religiöser Überzeugungen in der Öffentlichen Theologie im Kontext der politik- und sozialwissenschaftlichen Debatte ausgehend John Rawls und Jürgen Habermas. Dabei zeigt sie enge Korrelationen des Selbstanspruches der Öffentlichen Theologie auf, die sie systematisch-theologisch problematisiert. Erstens kommt das zugrunde liegende Verständnis von Religion als »Objekt« der Übersetzung in den Blick, das theologisch als kognitives und praktisches Geschehen verstanden werden muss. Van Oorschot schlägt daher das gegenseitige Vertrautwerden als Ziel von Übersetzung vor. Zweitens problematisiert sie das Verständnis von allgemeiner Vernunft, öffentlicher Vernunft und der Rationalität des Glaubens. Hier kommt die Frage nach der Metapher der Übersetzung als regulativer Idee des Diskurses in den Blick. Sie schließt drittens mit zwei Randbemerkungen zur Anthropologie.

Ausgehend von dem prominenten Vorwurf Erik Flügges, die Kirche verrecke an ihrer Sprache, problematisiert Florian Höhne Sinn und Grenzen der Übersetzungsmetapher. Dazu klärt er zunächst den Bezugsrahmen von Übersetzung. Im Kontext der Öffentlichen Theologie wird die Übersetzungsforderung im Anschluss an Jürgen Habermas von der Forderung der Zweisprachigkeit bei Heinrich Bedford-Strohm unterschieden. Höhne führt die Konzepte und ihre impliziten Voraussetzungen vergleichend vor Augen. Anhand der Entwürfe von Robert W. McElroy und Robert Benne geht Höhne der Frage nach, ob und wie Öffentliche Theologie als (implizite) Theorie der Übersetzung gelten kann. Im Anschluss an Barths Überlegungen zur Analogie arbeitet Höhne dabei heraus, inwiefern diese als Ergänzung zu Übersetzung gelten muss, und votiert daher für die Rede von der Zweisprachigkeit, die er theologisch und insbesondere christologisch grundiert.

Thomas Wabel versteht seine Auseinandersetzung mit der Übersetzungsmetapher als ein hermeneutisches Unterfangen: Ziel ist die sprachliche Vermittlung des theologischen Anliegens. Wabel unterscheidet dazu drei Modelle – Übersetzung, lingua franca und Zweisprachigkeit – um vor diesem Hintergrund die Unabschließbarkeit des Übersetzens herauszuarbeiten. Die vielgestaltigen Prozesse des Zur-Sprache-Kommens legen für Wabel ein Verständnis der Übersetzung als Unterbrechung und Einladung nahe. Diese Reformulierung des Übersetzungsbegriffs reflektiert er abschließend in fundamental-theologischer Perspektive.

Schließlich geht Simone Ziermann den diskursiven Leer- und Bruchstellen rund um die »Übersetzung« nach. Dabei stehen drei Themenfelder im Mittelpunkt: Die innere Vielstimmigkeit als zentrale Bedingung aller Übersetzungsprozesse, die konstitutive Bedeutung der »Fremdheit« im Bereich der religiösen Kommunikation und schließlich die – häufig vorausgesetzte – grundsätzliche Offenheit aller Beteiligten für Übersetzungsbemühungen. Vor diesem Hintergrund plädiert sie dafür, das Konzept der »Übersetzung« stärker in die Vielstimmigkeit der Metaphern einzubinden, die zur Beschreibung spezifisch christlicher Kommunikation zur Verfügung stehen.

Im zweiten Teil erfahren die hermeneutischen Überlegungen eine erste Zuspitzung; die Beiträge lenken den Blick auf das Potential der Metapher der Übersetzung für religionspädagogische Aufgaben und Fragestellungen.

In seinem Beitrag zur Öffentlichen Religionspädagogik stellt sich Manfred Pirner der Frage, ob und wie Religionspädagogik als Übersetzungsaufgabe zu begreifen ist. Das Potential der Metapher führt er sowohl als analytische als auch als konzeptionelle Kategorie vor Augen. Dazu dient in einem ersten Schritt ein Überblick über die soziologisch-kulturwissenschaftliche Debatte im Anschluss an Gabriele Cappai, Joachim Renn und Armin Nassehi um den Begriff und seine Leistungskraft als differenzsensible Kategorie. In einem zweiten Schritt diskutiert Pirner Übersetzung als Medium sozialer Integration. Dies führt ihn zu der Frage nach Übersetzung als Medium interdisziplinärer Vernetzung: Gerade die in ihrer Anlage bereits interdisziplinäre Religionspädagogik profitiert nach Pirner von einer solchen Kategorie. Aber auch in der religionspädagogischen Praxis ist Übersetzung zwischen Lebenswelten und Kommunikationskontexten von zentraler Bedeutung. Um diese zu reflektieren entwickelt Pirner abschließend ein Modell von Kompetenzniveaus dieser Reflexions- und Übersetzungskompetenz.

Angesichts der gegenwärtigen Herausforderungen im Religionsunterricht geht Andrea Schulte der Bedeutung der Übersetzungsmetapher für die vielfältigen Dimensionen religiöser Sprachbildung nach. Diese entfaltet sie in verschiedenen Themenfelder: So hilft die Metapher der Übersetzung zum einen, das Kommunikationsgeschehen im Religionsunterricht besser zu verstehen und damit von falschem Leistungsdruck zu befreien. Zum anderen ermöglicht es die »Übersetzung«, nicht nur Sprache, sondern auch soziale Praxis und Lebenswelten im Blick zu behalten. Auch die Bedeutung der Metapher im Bereich von Mehrsprachigkeit und interreligiösem Lernen wird von Schulte entfaltet und mit ihrer Expertise für konkrete Übersetzungsangebote in Religionsbüchern verbunden. Bei all den Chancen gilt es für Schulte freilich festzuhalten: »Sprache lernen« ist nicht identisch mit »Religion lernen«. Die Übersetzungsmetapher hat im Kontext religiöser Bildungsprozessen ihre Chancen – und ihre Grenzen.

Im weiten Feld, das die religionspädagogische Theoriebildung eröffnet, schlagen die Beiträge aus dem dritten Teil des Tagungsbandes die Brücke von Konzeption zu Konkretion und fragen nach möglichen Konsequenzen für die Praxis des Religionsunterrichtes.

So hat der Beitrag von Georg Langenhorst zwei Brennpunkte, das »Theotop« und den »Möglichkeitssinn«: Das »Theotop« versteht er als den Nährboden für die »Ohnmachtsspirale religiöser Rede«, denn Kirche und Theologie bewegen sich in diesem ganz eigenen (schrumpfenden) Lebensraum. Die Vorstellung, man müsse nur besser »übersetzen« greift deshalb in seinen Augen zu kurz. Demgegenüber gelte es, in die »Sprachschule der Dichtung zu gehen«, denn dort werde der »Möglichkeitssinn« (Musil) geschult, mithin das menschliche »Organ« für die religiöse Dimension von Poesie und Erzählung. Für Langenhorst bildet die Poetik der Ordensfrau Silja Walter beispielhaft die Brücke zwischen den beiden Schlüsselbegriffen. Er legt dar, dass diese »(Theo-)Poesie« – ebenso wie die Narration – der Lehre von der analogen Erkenntnis entspricht und zur Urform biblischer Rede von Gott gehört. Nicht zuletzt wird sie dem Charakter des Gottesnamen als »Wirkwort« gerecht, das uns in das Glaubensgeschehen mit hinein nehmen will. Langenhorst konkretisiert seine Überlegungen am Gedicht »Ecce homo« von Hilde Domin.

Stefan Altmeyer, Julia Baaden und Andreas Menne schließlich stellen die Frage nach der Konkretion der konzeptionellen Überlegungen in den Mittelpunkt. Das Autorenteam entfaltet das (in sich heterogene) Konzept der Leichten Sprache als Möglichkeit der praktischen Umsetzung zentraler Kriterien gelingender Übersetzung, namentlich der Gegenwärtigkeit (Latour) und der Verständlichkeit (Habermas). Immerhin – so merken die Autoren kritisch an – geht manche Theorie der Übersetzung von allzu idealen Voraussetzungen aus; denn aktuelle Zahlen belegen, dass Sprache für nicht wenige Menschen ein Hindernis für die gesellschaftliche Teilhabe darstellt. Hier setzt die »Leichte Sprache« an. Ihr Potential entfaltet sie nicht nur im inklusiven Religionsunterricht, sondern auch als Methode, mit der religiöse Sprachfähigkeit grundsätzlich gefördert werden kann. Die Autoren illustrieren ihre Überlegungen anhand der Ergebnisse eines Studienabschlussprojektes.

Die Beiträge eröffnen vielfältige Perspektiven auf ein komplexes Diskussionsfeld. Dabei ist die »Übersetzung« nicht nur Gegenstand der Reflexion. Vielmehr stellt sich der vorliegende Band auch selbst der Herausforderung der Verständigung zwischen den verschiedenen theologischen Disziplinen – und dem Anliegen, eben diese Verständigung in die verschiedenen Diskurse hinein zu »übersetzen«. Wenn der Band Leserinnen und Leser zur differenzierten Auseinandersetzung mit den Herausforderungen der zunehmenden religiösen und sprachlichen Heterogenität in unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten anregt, hat er sein Anliegen erfüllt.

Hermeneutische Perspektiven

Hermeneutische Grundfragen zur Übersetzbarkeit religiöser Überzeugungen

Übersetzung und gegenseitiges Vertrautwerden

Frederike van Oorschot

Die Möglichkeit und Notwendigkeit der Übersetzung der eigenen religiösen Überzeugung wird in der Theologie seit Jahrzehnten diskutiert.1 Einen Schritt hinter die Anwendung und Ausprägung der Metapher zurückgehend, möchte ich im Folgenden aus der Perspektive einer Fundamental-Ethik die der Übersetzungsmetapher zugrunde liegenden hermeneutischen Annahmen und die damit verbundenen Herausforderungen und Probleme für die christliche Ethik aufzeigen und zur Diskussion stellen.

Als Ausgangspunkt dient die im Hintergrund der sozialethischen Debatten stehende politiktheoretische und -philosophische Debatte um die Frage nach der Beteiligung und möglichen Selbstbeschränkung religiöser Argumente im öffentlichen Raum.2 Anschließend zeige ich die damit verbundenen hermeneutischen Annahmen und Herausforderungen auf. Diese betreffen erstens das Verständnis einer »religiösen Überzeugung«, zweitens den Vernunftbegriff und drittens die zugrunde liegende Anthropologie. Abschließend skizziere ich Grundzüge einer Hermeneutik des gegenseitigen Vertrautwerdens.

1.Die Selbstbeschränkung religiöser Argumente im öffentlichen Raum und ihre Übersetzung

1.1Die Grundlage der Übersetzungsforderung bei Rawls und Habermas

Ausgangspunkt der sozialethischen Debatte ist die sog. Forderung der Selbstbeschränkung religiöser Aussagen im öffentlichen Raum. Sie wurde am profiliertesten von John Rawls in die Debatte eingebracht, der eine Übersetzung religiöser Aussagen in Gründe der öffentlichen Vernunft fordert, wenn diese in öffentliche Debatten eingebracht werden sollen.

Hintergrund dieser Forderung ist seine Gesellschaftsanalyse. Die moderne Gesellschaft sei wesentlich durch ihren pluralen Charakter, in seinen Worten »das Faktum eines vernünftigen Pluralismus« (fact of reasonable pluralism) gekennzeichnet.3 Rawls formuliert daher eine der Grundfragen des politischen Liberalismus folgendermaßen: »How is it possible that there may exist over time a stable and just society of free and equal citizens profoundly divided by reasonable though incompatible religious, philosophical, and moral doctrines?«4 Ein Teil der Lösung dieser Frage ist für ihn die Idee der öffentlichen Vernunft. Deren Ziel ist die Sicherung der Stabilität einer pluralistischen Gesellschaft durch die Schaffung eines Gesprächs- und Handlungsmodus, den alle Bürger akzeptieren können. Dieser ist allein durch den Bezug auf die allen Bürgern gemeinsame politische Konzeption der Gerechtigkeit gekennzeichnet, welche ihren Ausdruck in der gemeinsamen Verfassung findet.5 Durch den Bezug auf diesen allen Bürgern gemeinsamen politischen Inhalt ermöglicht die öffentliche Vernunft eine Verständigung zwischen Anhängern verschiedener religiöser, philosophischer und moralischer Lehren, in Rawls’ Terminologie »umfassende Lehren« (comprehensive doctrines). Die Idee der öffentlichen Vernunft bietet nach Rawls für diese Themen einen für alle Bürger zugänglichen Beratungsmodus, der von Bindungen an die Vielfalt der umfassenden Lehren absieht und somit Stabilität garantiert.6

In Auseinandersetzung mit Rawls entwickelt Jürgen Habermas den Vorschlag der Übersetzung religiöser Überzeugungen, um die gesellschaftlichen Potentiale der Religionen in den öffentlichen Diskurs einspeisen zu können.7 Religiöse Bürger sollen demnach – zumindest im Bereich der politischen Institutionen – auf religiöse Argumentation verzichten und stattdessen auf säkulare Argumente zurückgreifen. Um eine gelingende Übersetzung zu garantieren, müsse diese Aufgabe gemeinschaftlich erfüllt werden: Im Vertrauen auf die »kooperativen Übersetzungsleistungen ihrer Mitbürger«würden so auch »›einsprachige‹ Bürger« unter Anerkennung dieses Vorbehalts nicht von politischen Entscheidungsprozessen entfremdet.8 Der gemeinschaftliche Charakter der Übersetzung bewahrt zudem vor der asymmetrischen Belastung religiöser Bürger durch die Forderungen der öffentlichen Vernunft: Während die religiösen Bürger gehalten sind, ihre Überzeugungen in säkulare Argumente zu übersetzen, liege die Herausforderung für säkulare Bürger ihrerseits im Umgang mit den religiösen Bürgern.9 Habermas präzisiert: »Im Folgenden geht es nicht um das respektvolle Gespür für die mögliche existentielle Bedeutung der Religion, die auch von den säkularen Bürgern erwartet wird, sondern um die selbstreflexive Überwindung eines säkularistisch verhärteten und exklusiven Verständnisses der Moderne.«10 Der Selbstaufklärung des religiösen Glaubens stehe somit die Selbstaufklärung des säkularen Bewusstseins in einer »postsäkularen Gesellschaft« zur Seite, welche Habermas als komplementäre Lernprozesse beschreibt.11

1.2Die Bedeutung der Übersetzungsforderung für die (Öffentliche) Theologie

Die Idee der öffentlichen Vernunft und die Forderung nach der Übersetzung der eigenen religiösen Überzeugung stellt die Theologie vor eine Herausforderung: Wenn sie die Forderung einer wie immer gearteten Selbstbeschränkungen ihrer Argumente im öffentlichen Raum annimmt und in Folge auf die Übersetzung ihrer Überzeugungen abzielt, folgt auf dem Fuß die Frage, wie diese theologisch verantwortlich geschehen kann. Der Wunsch nach der Verstehbarkeit der eigenen Aussagen ist zwar kein neues theologisches Anliegen, gewinnt in Auseinandersetzung mit der öffentlichen Vernunft jedoch an Brisanz.12

Die Bedeutung dieser Forderung nach Verstehbarkeit zeigt sich z.B. in der Entwicklung der Öffentlichen Theologie: Während die Begriffsschöpfung »public theology« im Kontext der Debatte um die civil religion verortet werden muss, nehmen die Vertreter in den 1990er Jahren mit der Aufnahme des Adjektivs »public« explizit den öffentlichen Charakter ihrer eigenen Theologie in Abgrenzung zur öffentlichen Vernunft in Anspruch.13 Auch in der öffentlichen Theologie in Deutschland zeigen sich Auswirkungen der von Rawls entwickelten Forderung nach Selbstbeschränkung. So nennt beispielsweise Heinrich Bedford-Strohm die Zweisprachigkeit Öffentlicher Theologie als eines von fünf Merkmalen: Öffentliche Theologie müsse ein »klares theologisches Profil [tragen], das aber bewusst die Plausibilisierung seiner Inhalte im säkularen Diskurs einschließt (›Zweisprachigkeit‹)«.14 Diese erschließe Expertenwissen zu einem bestimmten Raum der gemeinsamen Kultur und bilde daher ein wesentliches Merkmal Öffentlicher Theologie.15 Sie definiere sich zwischen »biblischer Begründung« und »Vernunftbegründung«, daher sollen religiös begründete Beiträge in der Öffentlichkeit vereinbar sein mit der öffentlichen Vernunft.16 Die Zweisprachigkeit Öffentlicher Theologie markiert für Bedford-Strohm jedoch nicht nur Offenheit, sondern grenzt die Öffentliche Theologie in ihrer Unterschiedenheit von der Zivilreligion und einer Vorstellung des »christian occident« ab.17 Mit Bezug auf Habermas plädiert er daher für ein Diskursmodell, das »religiösen Analphabetismus« zu überwinden sucht.18 Wie diese Zweisprachigkeit gestaltet werden kann, führt Bedford-Strohm jedoch nicht aus.

Ein Ansatz dazu findet sich bei Christiane Tietz. Auch sie betont im Anschluss an Bedford-Strohm die Verbindung zwischen eigener Tradition und rationaler Präsentation, um die Identität des Sprechenden zu wahren.19 Zudem verweist sie auf die Unübersetzbarkeit einiger Elemente der Religion, welche einer Übersetzung religiöser Gehalte jedoch nicht grundsätzlich entgegensteht.20 Die Transformation religiöser Überzeugungen müsse darauf abzielen, dass sie »dem anderen nicht in einer sein eigenes Urteil und seine freie Zustimmung verunmöglichenden Autorität entgegentreten, sondern ihm eine eigenständige Beurteilung ermöglichen. […] Ich nenne eine solche Transformation im Folgenden eine ›Übersetzung‹, weil sie es Menschen, die nicht das gleiche religiöse Sprachspiel spielen und auch nicht spielen wollen, ermöglicht, dieses Sprachspiel zu verstehen. Sie ist keine Übersetzung in ein neutrales Weltbild. Sie ist schlicht eine Übersetzung in Rationalitäten und Plausibilitäten«.21 Für Tietz zielt die Übersetzung religiöser Überzeugungen daher zunächst darauf ab, den Sinngehalt und die Kohärenz der eigenen Überzeugung herauszuarbeiten.22 Erst in einem zweiten Schritt solle »die Angemessenheit der ethischen und politischen Konsequenzen aus diesem Weltbild auch für andere transparent« gemacht werden.23

2.Systematisch-theologische Problemfelder der Übersetzung religiöser Überzeugungen

Die Vorstellung der Übersetzbarkeit religiöser Argumente im öffentlichen Raum ist aus systematisch–theologischer Perspektive nicht unproblematisch. Im Anschluss an die umfangreiche philosophische und theologische Diskussion zur Idee der öffentlichen Vernunft werden im Folgenden zwei hermeneutische Problemfelder skizziert. Es handelt sich erstens um eine Anmerkung zum Religionsbegriff zwischen sprachlicher Deutung und Lebenspraxis und zweitens um eine Problematisierung der unterschiedlichen Begriffe der Vernunft, die der Debatte zu Grunde liegen. Ich schließe die Diskussion mit zwei anthropologischen Anmerkungen.

2.1Religion als Sprache? Kognition, Praxis und Entzogenheit

Grundlegend für die Übersetzbarkeit religiöser Überzeugungen ist die Frage, was genau eigentlich übersetzt werden soll. Zunächst muss also das Verständnis einer religiösen Überzeugung selbst geklärt werden.24 Ausgangspunkt der Übersetzung religiöser Überzeugungen in Argumentationen der öffentlichen Vernunft ist Rawls’ Verständnis der »umfassenden Lehren« (comprehensive doctrines). Mit diesem Begriff beschreibt er Überzeugungen, die eine Erklärung für das Gesamte der Welt bieten wollen.25 Sie enthalten immer den Anspruch auf die »ganze Wahrheit« (the whole truth) und sind daher für die politische Sphäre problematisch, die sich auf den Bereich des Rechten beschränken muss.26 Sie möchten Orientierung über Gründe der eigenen Überzeugungen und des eigenen Handelns bieten, von der die Reichweite ihrer Legitimationskraft abhängt. Rawls’ Konzeption liegt folglich eine kognitivistische Auffassung religiöser Überzeugungen zu Grunde. Dies wird auch in der Begrifflichkeit deutlich: Religiöse Überzeugungen werden als »Lehre« (doctrine) bezeichnet, was einen kognitiven Gehalt, nicht jedoch eine existentielle Betroffenheit anzeigt.

Diese Beschreibung ist aus vier Gründen eine theologisch – und religionsphilosophisch – problematische Engführung.27

Erstens verkennt Rawls’ Beschreibung die konstitutive Durchdringung der kognitiven und existentiellen Dimension des Glaubens.28 In den Evangelien bedeutet πίστις Nachfolge Christi, welche nicht nur im Annehmen seiner Lehre besteht, sondern vor allem in der Ausrichtung des gesamten Lebens.29 Diese Verbindung in Unterscheidung von kognitiver und existentieller Bedeutung des Glaubens kommt in der Unterscheidung von fides qua creditur und fides quae creditur treffend zum Ausdruck.30 Im Anschluss an Luther beschreibt z.B. Eberhard Jüngel den Glauben grundsätzlich als Erfahrung, bei der der Mensch seinen »Existenzort in Christus« entdeckt.31 Historisches Wissen ist dabei ein Aspekt des Glaubensinhalts, jedoch nicht der Glaubensgrund. Glaube wird somit zum »Grundakt menschlicher Existenz«.32 Rawls’ Beschreibung der umfassenden Lehren greift daher in Bezug auf den christlichen Glauben zu kurz und führt zu weiteren Anfragen.

Im Blick auf die kognitive Dimension einer religiösen Überzeugung ist zweitens zu fragen, inwiefern sich ein Teil des Glaubensinhalts unabhängig von seinem Kontext plausibilisieren lässt. Tietz’ Formulierung der »Transformation« christlicher Inhalte weist bereits auf dieses Problem hin, wenn diese auf eine »Übertragung in Rationalitäten und Plausibilitäten« ohne »Übersetzung in ein neutrales Weltbild« abzielen.33 Jedoch ist fraglich, ob eine solche Übertragung möglich ist, ohne das Weltbild im Sinne der gesamten Wirklichkeitsdeutung zu berücksichtigen.34

Im Blick auf die existentielle Dimension des Glaubens verschärft sich – drittens – eine weitere Frage: Jede religiöse Überzeugung ist nicht nur eine Form der Lebensdeutung, sondern auch der Lebenspraxis. Dalferth präzisiert in diesem Zusammenhang die bleibende Rationalität des Glaubens: Religionen sind »komplexe Lebensweisen, nicht ohne vernünftige Gründe, aber weder allein auf Vernunft reduzierbar noch durch nur eine Art von vernünftigen Gründen zu begründen«.35 Kann ein Konzept der Übersetzbarkeit religiöser Überzeugungen die Einbettung derselben in gemeinschaftliche kultische Praktiken und in eine gewachsene historische Praxis mit reflektieren? So wenig die Rationalität einer Sprache ohne ihren kulturellen Kontext und ihre Praxis erfasst werden kann, so wenig ist eine Übersetzung ohne kulturelle religiöse Bildung als Grundlage denkbar.

Während diese ersten drei Aspekte auch aus religionsphilosophischer Perspektive diskutiert werden, möchte ich – viertens – noch eine spezifisch theologische Anmerkung ergänzen: Rawls nimmt an, dass die Bürger frei über ihre umfassenden Lehren verfügen.36 Innerhalb der umfassenden Lehren bestehe zwar eine starke Bindung an moralische Überzeugungen, trotzdem entscheiden Menschen selbst über ihren Glauben, d. h. sie können diesen wechseln und verändern. Diese Beschreibung ist eine Folge der Betonung des kognitiven Aspekts des Glaubens und als Beschreibung einer Dimension des Glaubens richtig. Im Blick auf die komplexe Durchdringung von kognitivem und existentiellem Geschehen ist aus christlich-theologischer Perspektive jedoch zu ergänzen, dass der Glaube als passives Erleben erfahren wird.37 So nennt Johannes Fischer das »Erleben der Wirklichkeit« als entscheidende Erkenntnisform des Glaubens, da der Glaube letztlich Handeln Gottes am Menschen ist.38 Dieses Erleben kann anderen Menschen gegenüber nicht umfassend begründet als Wirklichkeit ausgewiesen werden. Daher können nicht alle Inhalte des Glaubens rational einsichtig und in Folge übersetzt werden.39

Angesichts dieser Spannungen verwundert es nicht, dass die Vereinbarkeit der Idee der öffentlichen Vernunft mit dem Selbstverständnis religiöser Bürger einen der wichtigsten Kritikpunkte an der Idee der öffentlichen Vernunft bildet.40 Es finden sich daher verschiedene Vorschläge zur Begrenzung des öffentlichen Vernunftgebrauchs in der Debatte.41 Diese lösen jedoch das eben skizzierte Problem mit dem Glaubensbegriff nicht, sondern verschieben es in Teile der gesellschaftlichen Öffentlichkeit. Ich möchte daher eine andere Perspektive einnehmen und den Übersetzungsbegriff selbst überdenken: M.E. ergibt sich aus dem bisher Gesagten, dass die Übersetzung religiöser Einsichten keine bloße Übertragung religiöser Inhalte in Argumentationsmuster der öffentlichen Vernunft darstellen kann, sondern nach einer kulturellen religiösen Bildung und Vertrautheit mit der religiösen Praxis verlangt. Übersetzung religiöser Überzeugungen wäre dann kein rein kognitiver Prozess, sondern vielmehr ein Vertrautwerden mit den Überzeugungen und Praktiken der anderen.42 So verstanden lässt sich mit Habermas von komplementären Lernprozessen zwischen gläubigen und nicht-gläubigen Bürgern sprechen. Ob solche Prozesse noch treffend als Übersetzung bezeichnet sind, oder ob im Anschluss an Habermas von einer Transformation zu sprechen ist, ist offen.

2.2Allgemeine Vernunft, öffentliche Vernunft und die Rationalität des Glaubens

Wenn man diesem Vorschlag folgt, ist die Grundlage solcher Prozesse noch ungeklärt. Diese besteht nach Rawls in einer gemeinsamen Form der Vernunft – gewissermaßen als Grammatik gemeinsamer Übersetzungen. Zwischen vernünftigen religiösen Überzeugungen und öffentlicher Vernunft bestimmt Rawls die »allgemeine Vernunft« (common human reason) als verbindendes Glied: Diese kennzeichne die gemeinsamen Elemente aller Formen des Vernunftgebrauchs, i. e. den Begriff vom Urteil, Grundsätze des Schlussfolgerns, Regeln für die Verwendung empirischer Befunde u. a.43 Ohne diese Elemente würde es sich nicht um vernünftige Argumentation, sondern um Rhetorik oder Überredung handeln. Diese formale Beschreibung der Vernunft kennzeichnet nach Rawls alle Formen des Vernunftgebrauchs, d. h. den öffentlichen und nicht-öffentlichen Vernunftgebrauch. Im Bereich des nicht-öffentlichen Vernunftgebrauchs unterscheidet Rawls zwischen säkularen und religiösen vernünftigen umfassenden Lehren, die ihren Ort in Kirchen, Universitäten oder anderen Vereinigungen der Hintergrundkultur haben können.44 Die öffentliche Vernunft muss nach Rawls sorgfältig von der säkularen Vernunft unterschieden werden.45

Zu dieser Beschreibung möchte ich fünf Punkte zu bedenken geben.

Erstens resultieren viele Kritikpunkte an Rawls’ Konzept daraus, dass die unterschiedlichen Arten der Vernunft, insbesondere die Unterscheidung zwischen öffentlicher und säkularer Vernunft zu wenig beachtet wurde.46 So liegt eine wesentliche Schwäche von Habermas’ Weiterführung m.E. eben in der Identifikation der öffentlichen mit der säkularen Vernunft. Es geht Rawls nicht um eine Übersetzung religiöser Überzeugungen in säkulare Aussagen oder Begründungsstrukturen, sondern um die Übersetzung in Gründe der öffentlichen Vernunft, d. h. um aus der Verfassung ableitbare Argumente, die daher allen dieser Verfassung verpflichteten Bürgern einsichtig sind. Inwiefern diese verfassungsgemäße – und nur in diesem Sinne öffentliche – Rechtfertigung selbst eher aus religiösen oder aus säkularen Gründen gefüllt ist, lässt er offen. Es besteht daher kein Vorrang säkularer vor religiösen Gründen: Denn auch säkulare Weltanschauungen entsprechen nicht per se der öffentlichen Vernunft, sondern nur insofern sie mit dem in der Verfassung zur Geltung kommenden übergreifenden Konsens aller Bürger übereinstimmen.

Zweitens führt Rawls nicht aus, ob den umfassenden Lehren auch über ihre Zustimmung zum übergreifenden Konsens hinaus inhaltliche Rationalität zu eigen ist. Für die gemeinsame Übersetzung ist es jedoch entscheidend, dass nicht nur die Art, wie geglaubt wird, sondern auch die Inhalte des christlichen Glaubens vernünftig dargelegt werden können. Hier berührt sich Rawls’ Forderung mit einem zentralen Selbstverständnis wissenschaftlicher Theologie. Wie oben ausgeführt, konstituiert sich der Glaube zwischen den Polen der fides qua creditur und der fides quae creditur. Erstere ist als kontingentes Geschehen der menschlichen Vernunft nur bedingt zugänglich. Letztere kann jedoch rational durchdrungen werden und ermöglicht so die gemeinsame Übersetzung. Die verschiedenen Rationalitätsbereiche müssen dabei jedoch im Anschluss an Dalferth klarer unterschieden werden: Neben der persönlichen Rechtfertigung vor dem eigenen Gewissen gebe es öffentliche Rechtfertigung vor Dritten und politische Rechtfertigung vor allen Bürgern.47 Für die unterschiedlichen Bereiche gelten unterschiedliche Argumentationsmuster. Im politischen Raum müsse von Rechtfertigungen abgesehen werden, die nicht öffentlich begründbar sind. Mit steigender Zahl der Adressaten in den Bereichen solle die allgemeine Verständlichkeit zunehmen. Durch die davon nicht abtrennbare Unverfügbarkeit des Glaubensaktes ist der Übersetzung jedoch immer eine dem Glauben innewohnende Grenze gesetzt.48 Aus reformatorischer Perspektive sei hier nur angedeutet, dass eine weitere Grenze in der Leistungsfähigkeit der allgemeinen natürlichen Vernunft des Menschen insgesamt besteht – dies müsste an anderer Stelle ausführlich erörtert werden.49

Woran lässt sich aber nun drittens die Rationalität öffentlichen und nichtöffentlichen Vernunftgebrauchs bemessen? Rawls hält fest, dass sich die Rationalität der Glaubensinhalte allein an den formalen Bestimmungen der allgemeinen Vernunft messen lassen muss und nicht an der inhaltlichen Übereinstimmungmit der öffentlichen Vernunft. Die notwendigen formalen Bestimmungen der allgemeinen Vernunft sind bislang jedoch kaum Gegenstand der Debatten um die Übersetzbarkeit religiöser Überzeugungen.50 Ein weiterführender Vorschlag findet sich bei Tietz. Sie legt ihren Überlegungen Luthers Ansicht zugrunde, dass »in der menschlichen Vernunft […] bereits alles zu finden [sei], was zu einer angemessenen und gottentsprechenden Politik nötig ist«.51 Die bei Luther vorausgesetzte Annahme des Naturrechts möchte Tietz angesichts der damit verbundenen Probleme durch einen prozeduralen Vernunftbegriff umgehen: »Schon durch eine ›prozedurale Vernunft‹, d. h. durch einen vernunftgeleiteten, argumentativen Austausch zwischen Gliedern der Gesellschaft, lässt sich ein rationaler Konsens über ethisch sinnvolle Positionen herstellen. Vernunft wird dann verstanden als ›kommunikatives Prinzip der Verständigung in konkreten geschichtlichen Kontexten‹, das genau dadurch seine – freilich nur einstweilige – Richtigkeit gewährleistet.«52 Dieses Verständnis sei auch von Luther unterstützt, da dieser Vernunft nicht als ontologisches Prinzip, sondern als praktische Größe begreife. In diesem Sinn kann die allgemeine Vernunft als prozedurale Größe der Verbindung zwischen den Rationalitätsbereichen der umfassenden religiösen und säkularen Lehren und der öffentlichen Vernunft dienen.53

Viertens sei darauf hingewiesen, dass diese unterschiedlichen Rationalitäten bei Rawls relativ unverbunden nebeneinanderstehen. Die verschiedenen Rationalitäten berühren sich nur in den einzelnen Bürgern. Die für religiöse Bürger entstehende Spannung zwischen dem von Rawls formulierten Anspruch an Bürger liberaler Gesellschaften und ihrem religiös geprägten Selbstverständnis, ist ein zentraler Kritikpunkt von Habermas.54 Im Anschluss an die eben dargestellte Unterscheidung von öffentlicher und säkularer Vernunft, muss – mit und gegen Habermas – festgehalten werden, dass diese Spannung für alle Bürger besteht, deren Weltanschauung sich nicht vollständig mit den Gründen des öffentlichen Vernunftgebrauchs deckt.55 Diese Präzisierung stärkt wiederum gerade Habermas’ anschließende Forderung komplementärer Lernprozesse für eine gemeinsame Übersetzung: Alle Bürger – religiöse wie nicht-religiöse – können ihre vernünftigen weltanschaulich gebundenen Gründe in solchen Diskursen äußern, um sie in der Diskussion mit Anderen in Gründe der öffentlichen Vernunft zu überführen. So werden die verschiedenen Rationalitäten verbunden und die Spannung zwischen Gründen der persönlichen Rechtfertigung und der öffentlichen Vernunft wird auf alle Beteiligte übertragen und damit entschärft. Verbindendes Element ist dabei die allgemeine Vernunft, gewissermaßen als Grammatik der Übersetzung.

Mit diesem Punkt eng verbunden ist eine letzte Anmerkung: Wird ein solches Modell der Übertragung von unterschiedlichen Rationalitäten über die allgemeine Vernunft angenommen, liegt es nah, die Idee der öffentlichen Vernunft prozessual zu reformulieren. Bei Rawls klingt dieser Gedanke in der engen Verbindung von public reason und dem »ideal of democratic citizenship« bereits an, sodass Rawls auch vom »ideal of public reason« sprechen kann.56 Ausgeformt findet sich dieser Gedanke in dem Verständnis der öffentlichen Vernunft als einem Ideal der Debatte, die Maeve Cooke und Rainer Forst beschreiben.57