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Bist du bereit, die Glut zu entzünden? Düstere Romantasy mit Drachen und eine Fast Burn Love Story!
Für ihren Clan würde die Leibwächterin Mei alles opfern. Doch als Raven, der charismatische Erbe eines Fürsten, sie vor einem drohenden Angriff warnt, muss sie ausgerechnet ihm – ihrem Feind – vertrauen. Indes stehen die Kraftlinien von Valtherra vor dem Kollaps und die Fürsten rüsten für den Krieg. Mei und Raven bleibt bloß ein Ausweg: die seit Langem verschwundenen Drachen finden. Nur ihre Magie kann die Kraftlinien bändigen und die Fehde der Clans beenden. Während ihre Welt auf den Abgrund zusteuert, brennt die Leidenschaft zwischen Mei und Raven immer heißer. Loyalitäten werden auf die Probe gestellt und eine uralte Macht erwacht, die Frieden bringen könnte oder Mei und Raven alles kosten wird …
Feurig, sinnlich und absolut unvorhersehbar – die perfekte Mischung für eine unvergessliche Romantasy-Reise. Mit den Tropes #EnemiesToLovers 🔥, #ForcedProximity 🔒, #DeadlySecrets⚡️, #HighStakes ⚔️💥, #DragonsAreReal 🐉
"These Ancient Flames"
"Awake" ist der erste Band der epischen und spanennden Drachen Romantasy-Dilogie von "Infernas"-Autorin Melanie Lane. Moderne Welt trifft auf magische Kreaturen. Hier sind Drachen keine Freunde oder zahme Reittiere, sondern echte Götter. Perfekt für Fans von Lauren Roberts und Kerri Maniscalco.
Alle Romane der "These Ancient Flames"-Dilogie im Loomlight Verlag:
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Für ihren Clan würde die Leibwächterin Mei alles opfern. Doch als Raven, der charismatische Erbe eines Fürsten, sie vor einem drohenden Angriff durch seinen Vater warnt, muss sie ausgerechnet ihm – ihrem Feind – vertrauen. Indes stehen die Kraftlinien von Valtherra vor dem Kollaps und die Fürsten rüsten für den Krieg. Mei und Raven bleibt bloß ein Ausweg: die seit Langem verschwundenen Drachen finden. Nur ihre Magie kann die Kraftlinien bändigen und die Fehde der Clans beenden. Während die Welt auf den Abgrund zusteuert, brennt die Leidenschaft zwischen Mei und Raven immer heißer. Loyalitäten werden auf die Probe gestellt und eine uralte Macht erwacht, die Frieden bringen könnte oder Mei und Raven alles kosten wird …
Band 1 der These Ancient Flames-Dilogie
© Caroline Pitzke
Melanie Lane stammt aus der schönen Stadt Hamburg, wo sie lebt und in ihrem eigenen Designstudio schockverliebt arbeitet. Sie ist begeisterungsfähig, laut, trinkt gerne Vino und verabscheut Schubladendenken. Als bekennende Feministin lebt sie Themen wie Gleichberechtigung und Diversität, was sich auch stets in ihren Büchern wiederfindet. Sie liebt Sarkasmus, das Meer und ist eine absolute Tierliebhaberin.
Für mehr Informationen zu Melanie Lane, folgt ihr auf:Instagram @melanielane_autorinTikTok @melanielaneschreibt
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MELANIE LANE
Loomlight
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Für alle, die die Grauzonen zwischen hero und villain in einer Geschichte genauso faszinierend und unwiderstehlich finden wie ich. Ich sehe euch. Ich fühle mit euch.Denn wie Shakespeare einst sagte:»The prince of darkness is a gentleman.«Oder eine lady. ☺
Der Berg Vel Ora, Feyara98 Jahre n.VD (nach Verschwinden der Drachen)
MEILING
»Sie sind hier«, fiel Chen mit der Tür ins Haus. Leicht außer Atem stand er vor mir. Die Augen weit aufgerissen.
»Fürstin Kaiwen?«
»Bereits anwesend mit Xhi und Mian.«
Gut, das war gut.
»Tao?«, fragte ich, obwohl ich die Antwort bereits kannte.
Chen verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Na, wunderbar. Ich erhob mich von meinem Schreibtisch und sah zu einem der zahlreichen Haarbänder auf meinem Tisch. Kurz bevor ich nach einem davon greifen konnte, erinnerte ich mich daran, dass man heute von mir erwartete, meine Haare offen zu tragen. So verlangte es die Tradition. Innerlich seufzend ließ ich die Haarbänder, wo sie waren, schnappte mir meine Maske, und umrundete den Schreibtisch.
»Er soll in fünf Minuten anwesend sein«, orderte ich. »Präsentabel.«
Chen war ein guter Mann. Ein guter Leibwächter, allerdings sah er in diesem Moment so aus, als wäre er überall lieber, nur nicht hier. Bloß, dass er keine Wahl hatte, denn in der internen Rangordnung der Leibwache stand nur Mian über mir. Niemand sonst.
»Chen«, rief ich ihn zur Ordnung, als er keine Anstalten machte, sich zu bewegen.
»Du weißt, wie er ist, Mei. Wenn er gestern saufen war, und verkatert ist, bist du die Einzige, die zu ihm durchdringt.«
Seine Mutter und ich. Nur hatte sie aktuell Wichtigeres zu tun. Und eher würde dieser Berg einstürzen, als dass ich Kaiwen mit der neusten Eskapade ihres Sohnes belästigte. Nicht heute. Auf keinen Fall heute.
»Nimm Rafe mit«, wies ich an, bereits im Gehen.
»Mei …«
»Hör auf zu jammern, Chen, und bring den Sohn der Fürstin in den Ratssaal. Sofort!«
Chen nahm Haltung an. »Zu Befehl, shou.« Wächterin. Die respektvolle Ansprache für einen Wächter oder eine Wächterin mit einem höheren Rang.
Augenrollend ließ ich ihn stehen und eilte Richtung Ratssaal. Meine Schritte hallten in dem hölzernen Korridor so laut wider, als würde ich rennen. Alles hier war aus Holz. Der Boden, die Wände, die Decke über unseren Köpfen, und die geschwungenen Dächer darüber.
Vel Ora, benannt nach dem Berg, auf dem wir uns befanden, war eine Festung aus Holz. Dunkle und auf Hochglanz polierte Kirsche dominierte. Das, und die ausladenden Grünpflanzen, die jeden Raum schmückten.
Der Frühling war vor Kurzem hereingebrochen und das Klima angenehm, dennoch begann ich in meiner Festtagsuniform zu schwitzen. Meine übliche Garderobe bestand aus robusten Hosen, luftigen Blusen und Tuniken sowie dem ein oder anderen Lederaccessoire – hauptsächlich für meine Waffen. Heute aber hatte ich die formelle Uniform der Leibwache aus dem Schrank holen müssen. Meine Zhiyi bestand aus einer engen Hose und einem fast knielangen, schmal geschnittenen Blazer mit hohem Kragen. Beides war von einem tiefen Weinrot, aufwendig verziert mit der Gestalt eines Drachen, der sich um meine Taille nach oben schlang. Sein Kopf ruhte auf meiner linken Schulter. Die sorgfältig verarbeiteten Silberfäden waren mit einer Kunstfertigkeit eingenäht worden, die mich jedes Mal staunen ließ. Eine Mischung aus Handfertigkeit und Magie. Aus Tradition und Moderne. Ohne Zweifel ein wunderschönes Kleidungsstück, dennoch mochte ich nicht, wie es an meinen Kurven klebte. Der Kragen schnitt mir in den Hals und mit den hohen Schuhen würde ich im Notfall nicht einmal hundert Meter sprinten können.
Wie jedes Mitglied der Leibwache trug ich ein Kurzschwert um die Hüfte und ein Messer in meinem Stiefel. Die feingliedrige Kette um meinen Hals, eine goldene Münze mit dem Kopf eines Drachen, wies mich als Mitglied des Augurenclans von Feyara aus. Der Stern, der hinter der Münze aufblitzte, als würde er sich verstecken, kennzeichnete mich als Leibwächterin.
Der »Stern«, über den ich wachte, tigerte aktuell inmitten ihres Ratssaals nervös auf und ab. Ein seltener Anblick für Kaiwen Li Yao.
Xhi und Mian, ebenfalls in ihren Uniformen, standen kerzengerade neben ihr und warteten. Einer jung, mit pink gefärbten Haaren und einem freundlichen Gesicht, der andere – Mian – älter und reifer, mit geschorenem Haar und einer Narbe auf der linken Wange. Seine Wangenknochen standen leicht hervor und unterstrichen seine meist finstere Miene. Er war groß und schlank, eher drahtig denn muskulös. Der Körper trainiert, die Haltung stets wachsam. Als ich eintrat, betrachtete Mian mich prüfend. Kaiwen blieb stehen, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Ihr stechender Blick aus flussgrünen Augen fand meinen.
»Tao?«, fragte sie knapp.
»Wird gleich hier sein«, erwiderte ich lässig, als hegte ich keinen Zweifel. Sollte er das verpassen, würde ich meinem besten Freund eigenhändig in den Hintern treten. Wobei Kaiwen mir sicherlich zuvorkam.
»Chen sagte mir, dass sie eingetroffen sind«, wechselte ich das Thema und sprach damit den eigentlichen Grund unserer Zusammenkunft an.
Kaiwen schmunzelte. Von jetzt auf gleich war ihre Nervosität verschwunden und sie sah aus, als hätte sie alle Zeit der Welt. Unbeeindruckt strich sie über die Schöße ihres Mantels. Als Fürstin des ersten Kantons war Kaiwens Gewand weitaus opulenter als unsere. Strahlend weiß und verziert mit zwei goldenen Drachen, deren Köpfe auf ihren Brüsten ruhten, während sich die gezackten Schwänze ihren Rücken hinaufwanden. Der Gürtel um ihre Hüfte war mit Juwelen besetzt. Ebenso der Griff ihres Kurzschwertes. Die langen schwarzen Haare hatte man ihr kunstvoll aus dem Gesicht gekämmt und sie zu einem kleinen Turm auf ihrem Kopf frisiert. Zwei elfenbeinfarbene longfeishi, Haarnadeln mit dem klangvollen Namen »fliegende Drachennadel«, hielten den Turm an Ort und Stelle. Ihr hübsches Gesicht mit den zarten Zügen war stärker geschminkt als sonst, die Lippen blutrot. Im Gegensatz zu Tao war ihre Haut heller, noch heller als meine, wodurch der Lippenstift wie Blut glänzte.
»Lassen wir sie noch ein wenig schmoren«, erwiderte sie, ihr Schmunzeln wirkte diabolisch.
»Hältst du das für eine gute Idee?«
Xhi versteifte sich und Mian warf mir einen warnenden Blick zu. Obwohl er wusste, dass ich unter diesem Dach aufgewachsen war, hatte er sich in all den Jahren nicht daran gewöhnt, wie informell wir miteinander umgingen. Oder eher, wie informell ich mit den Mitgliedern der Fürstenfamilie umging. Solange wir unter uns waren. Ich würde eine Frau, die mich an den Ohren aus dem Teich im Garten gezogen und mir Hausarrest gegeben hatte, nicht mit »Fürstin« ansprechen. Nicht, solange wir allein waren.
»Sie haben um dieses Treffen gebeten. Nicht wir.«
»Wir wollen einen Krieg jedoch ebenso sehr verhindern wie sie. Vielleicht wäre es gut, ihnen … ich weiß nicht«, ich tippte mir gespielt nachdenklich ans Kinn, »entgegenzukommen. Meinst du nicht?«
Kaiwens Augen verengten sich zu Schlitzen. Das taten sie immer, wenn sie der Meinung war, ich sei zu weit gegangen. Ihr Gebaren beeindruckte mich jedoch nur mäßig.
»Tao?«, presste sie erneut hervor. »Bei allen Geistern, ich schwöre dir, Mei, wenn –«
»Hier, Mutter. Ich bin hier.«
Mein bester Freund, Sohn der Fürstin des ersten Kantons, Erbe des Augurenclans von Feyara, Herzensbrecher und Unruhestifter, gab sich endlich die Ehre. Mit noch nassen Haaren und offenem Mantel rauschte er in den Raum. Er trug kein Hemd, und die bunten Tattoos auf seiner Haut leuchteten. Ich unterdrückte ein unpassendes Schmunzeln. Das war so typisch Tao.
Während er sich zuknöpfte, gab er erst seiner Mutter, dann mir einen Kuss auf die Wange.
»Meimei.«
Ich seufzte. »Tao.« Dann traf mich seine Fahne. »Du stinkst.«
»Du sagst die nettesten Sachen zu mir, Mei.«
»Sie hat recht«, warf seine Mutter ein. »Trockne deine Hare und tu etwas gegen diesen …« Sie wedelte mit der Hand durch die Luft. »… diesen Gestank nach Fusel und Parfum.«
Tao zwinkerte mir zu. Unbeeindruckt vom harschen Ton seiner Mutter oder meinem grimmigen Gesichtsausdruck, schloss er die Augen und nahm seine Magie zu Hilfe. Seine Aura leuchtete auf, hellblau und klar, und binnen eines Wimpernschlags waren seine Haare trocken und er roch nach Männershampoo und Räucherstäbchen und Tao. Den Kraftlinien sei Dank. In all den Jahren hatte Mian schon oft gewitzelt, wie dankbar wir im ersten Kanton dafür sein konnten, dass wir zwei Kraftlinien hatten, so oft, wie Tao eine davon beanspruchte. Er tat es gern und oft und »solange es noch ging«.
»Du siehst bezaubernd aus, Meimei.«
Tao wusste, dass ich Veranstaltungen wie diese hasste. Leider konnte ich mir nicht die Kante geben, um meinen Gefühlen Luft zu machen. Stirnrunzelnd blickte ich ihn an, er grinste.
»Masken«, befahl Mian, und rettete mich so vor einer sarkastischen Antwort.
In einer geübten Bewegung stülpte ich die dünnen Kettenglieder über meinen Kopf. Wie ein Kranz lagen sie auf meinen glatten schwarzblauen Haaren. Eine Kette verlief über meine Nase, bis hin zum Mund und hielt so die silberne Maske an Ort und Stelle, die meine untere Gesichtspartie wie ein Kettenhemd bedeckte.
Die Masken waren Tradition für die Leibwache der Fürsten und Fürstinnen. Sie verliehen uns Anonymität und gleichzeitig eine geheimnisvolle und bedrohliche Aura. Es machte etwas mit einem, wenn man nur die Augen seines Gegenübers sah. Das ganze Gesicht veränderte sich, die gesamte Mimik. Sehr nützlich bei Verhandlungen, oder Angriffen. Zugleich konnte die Fürstenfamilie glänzen, wenn wir Leibwächter in den Hintergrund traten.
Ich hatte Dutzende solcher Masken im Schrank. Silber und Gold, aus feinen Kettengliedern, wie diese, oder aus einer festen Fläche, verziert mit Steinen oder Gravuren.
Viele Leibwächter mochten die Masken nicht, ich hingegen hatte sie schon immer als angenehm empfunden. Insbesondere in Momenten wie diesem, wo ich nicht wollte, dass man mir meine Emotionen vom Gesicht ablas. Da man mich sowieso kaum erkennen konnte, schenkte man mir in der Regel nicht viel Beachtung und das gab mir wiederum Zeit, mich auf die, manchmal lebenswichtigen, Details zu konzentrieren.
Kaiwen und Tao nahmen ihre Plätze inmitten des Ratssaals ein. Sie standen auf einem riesigen Mosaikabbild eines Drachen, wir hinter ihnen. Um uns herum befanden sich gleich mehrere Logen mit Sitzplätzen. Terrassenförmig arbeiteten sie sich nach oben, bis unter das Dach. Ein paar Stufen führten in die jeweiligen Logen, alles aus Holz – selbstredend. Nun aber war der Saal leer. Neben Kaiwen und Tao waren lediglich Xhi, Mian und ich anwesend. Von unserem Statusmeeting heute Morgen wusste ich, dass eine Vielzahl an Leibwächtern vor den jeweiligen Eingängen des Saals wartete. Ebenso hatte man die magischen Barrieren von Vel Ora verstärkt und diverse Schutzzauber mit Opfergaben an Evona, den ersten Drachen, bereitgestellt.
Fürs Erste würden wir unter uns bleiben und Fürst Ignació sowie seinen Sohn Raven und zwei seiner Wachen begrüßen. Heute Abend war ein großes Dinner geplant, nun mussten wir jedoch dieses Treffen hinter uns bringen, ohne dass einer den anderen umbrachte. Zuletzt waren die Kantone und deren Clans zunehmend unter sich geblieben. Ein Treffen zu erbitten war, gelinde gesagt, selten. Das weckte gleichzeitig Neugier und Skepsis.
Kaiwen drehte sich zu uns um. Es war mein Blick, den sie fand und hielt.
»Strebe nach Frieden, aber sei bereit, in den Krieg zu ziehen.«
Diese Worte kannte ich in- und auswendig. Ich hörte sie bereits seit meinem achten Lebensjahr und ich hatte sie verinnerlicht, denn ich war mies in einem Ratssaal, aber verdammt gut auf einem Schlachtfeld. Solange es nicht politischer Natur war. Genau das war einer der Gründe, warum ich trotz meines Temperaments und meines, wie Mian es nannte, »losen Mundwerks«, anwesend war. Meine Verbindung zu den Kraftlinien war ungebrochen und stark und ich eine verflucht gute Kämpferin. Nicht umsonst war ich Mians Stellvertreterin. Dennoch hatte man mich angewiesen, zu schweigen und damit hatte ich absolut kein Problem.
Ich nickte und Kaiwen drehte sich wieder um. Mit einer simplen Bewegung ihrer Hand öffnete sie die Tür. Die großen Doppeltüren schwangen auf und krachten lautstark gegen die Wände links und rechts vom Eingang. Der Ratssaal erzitterte.
»Dramatisch, Mutter.«
»Sei still, Tao. Lass mich deine Anwesenheit nicht bereuen.«
Tao sah über die Schulter zu mir und rollte mit den Augen. Ich schüttelte kaum merklich den Kopf.
Zwischen den vier Kantonen Valtherras hatten die Spannungen in letzter Zeit zugenommen. Seit vor fast hundert Jahren die Drachen verschwunden waren, waren die Auguren in Aufruhr. Der erste Kanton galt als Geburtsstätte der Drachen und damit der Magie. Feyara, um genau zu sein. Hier hatte Evona sich gezeigt, die Linien waren erwacht und hatten Valtherra in vier Teile gespalten. Die vier Kantone waren geboren worden und genau hier, auf diesem Berg, war damals aus Menschen und Auguren ein Volk geworden. Das war viele Jahrhunderte her. Seitdem lebte man in Einklang, in Harmonie, und profitierte voneinander. Sowohl Menschen als auch Auguren gaben und nahmen. Magie und moderne Technik. Zusammen schufen sie einen nicht aufzuhaltenden Fortschritt. Die Kantone wurden in enger Absprache mit den Regierungsvertretenden der Menschen, von einem Fürsten oder einer Fürstin regiert. So gut das auch klang, es gab ein Aber. Ein ziemlich großes sogar, denn die Kraftlinien verloren an Magie und das machte nicht bloß uns nervös. Auguren und Menschen richteten ihren Blick zunehmend auf den ersten Kanton, als hielten wir die Antwort in den Händen und weigerten uns nur, sie preiszugeben. Dabei waren wir ebenso ratlos wie sie. Der einzige Unterschied war: Die meisten von uns hatten den Glauben an die Drachen noch nicht verloren.
Taos Familie war die mächtigste Augurenfamilie in ganz Tianlong und es hieß, dass seine Ahnin Nguyen eine der ersten war, die eine Seelenverbindung mit einem Drachen eingegangen war.
Die Yaos waren eine stolze und gefürchtete Familie. Allerdings galt das auch für die Andronas, die genau in diesem Augenblick den Raum betraten.
Schwere Schritte ertönten und ich richtete meine Aufmerksamkeit auf Fürst Ignació und seine Entourage.
Der Fürst selbst war ein großer, schlanker Mann mit welligen dunklen Haaren. Sein Teint war dunkel, und sein Gesichtsausdruck wirkte auf den ersten Blick freundlich und einladend, seine Augen aber waren wachsam. Kalkül verbarg sich in ihnen und mir gefiel die Art und Weise nicht, in der er Kaiwen musterte. Mit einem Hauch von milder Belustigung. Als wäre er besser als sie. Als wäre er mehr wert. Außerdem meinte ich Gier in seinem Blick zu erkennen. Eine gefährliche Mischung.
Neben ihm ging sein Sohn, Raven. Ich kniff die Augen zusammen und taxierte ihn. Aus meiner Recherche wusste ich, dass ich mit meinen siebenundzwanzig etwa zwei Jahre älter als Raven war. Seine Haare waren wellig wie die seines Vaters, sein Gesicht war … ich wusste nicht, wie ich es nett formulieren sollte, aber, es war ausdruckslos. Eine Maske aus Desinteresse. Er wirkte nicht einmal so, als wolle er nicht hier sein, er wirkte einfach gar nicht. Die dunklen Augen blickten leblos geradeaus und seine Züge waren jungenhafter als erwartet.
Ich nahm eine aufrechtere Haltung an, während mein Daumennagel in die Fingerkuppe meines Zeigefingers stach. Ein simpler Trick, um mich zu fokussieren, den ich mir bereits in jungen Jahren antrainiert hatte.
Niemals war das der Rabenprinz, über den in den Kantonen so gerne getratscht wurde und den selbst Tao das ein oder andere Mal erwähnt hatte. Raven hatte den Ruf, ruhig, aber tödlich zu sein. Seine Waffe war sein Verstand. Man sprach über ihn hinter vorgehaltener Hand. Außerdem war mir zu Ohren gekommen, dass er recht gut aussehend sein sollte.
Der junge Mann, den ich hier vor mir hatte, und den Fürst Ignació so stolz präsentierte, war nicht sein Sohn. Darauf würde ich die Kette um meinen Hals und alles, wofür sie stand, verwetten. Die beiden maskierten Männer hinter dem angeblichen Prinzen, seine Leibwächter, passten schon eher zu dem Bild, das sich von Raven Androna in meinem Kopf geformt hatte.
Beide hatten sie tief gebräunte Haut, waren groß und trainiert. Sie bewegten sich mit einer ruhigen Präzision, die ihre Kampferfahrung bewies. Ihre Masken waren anthrazit, fast schwarz. Einer von beiden besaß helles, lockiges Haar, das er in einer Art Undercut trug. Auf der einen Seite abgeschoren. Die strahlendblauen Augen waren ein netter Kontrast zu seiner dunklen Haut. Ihre Farbe erinnerte mich an das Blau der Bucht bei Sonnenaufgang. Stark ausgeprägte Lachfältchen bestätigten mir, dass er hinter der Maske lächelte. Der zweite Mann war schlichtweg … dunkel. Dunkle Haut, dunkle Haare und – soweit ich erkennen konnte, – dunkle Augen. Ein tiefes, sattes Braun, vermutete ich. Da sie nicht so leuchteten wie die des anderen Wächters, konnte ich ihre Farbe nicht ganz ausmachen. Ich wusste jedoch instinktiv, dass sie dunkel waren. Seine Haare waren kurz, lediglich vorne hing ihm eine widerspenstige Strähne ins Gesicht, die sich minimal gelockt hatte. Statt eines Lächelns trug er ein Stirnrunzeln.
Die Männer kamen zum Stehen und Fürst Ignació verneigte sich vor Kaiwen.
»Fürstin Kaiwen, welch eine Freude.«
Die Arme hinter dem Rücken verschränkt, nahmen die beiden Leibwächter hinter ihm – und seinem angeblichen Sohn – die gleiche Haltung ein wie ich. Der blonde Mann schaute starr geradeaus. Es war der dunkelhaarige, der seine Augen nicht unter Kontrolle halten konnte – oder wollte. Emotionslos glitt sein Blick durch den Raum. Kein Leibwächter, der eine gute Ausbildung genossen hatte, würde seinen Fürsten oder dessen Sohn in einem Moment wie diesem aus den Augen lassen.
Raven, dachte ich, und unterdrückte ein triumphierendes Lächeln. Es war klug, den Erben des Clans innerhalb der Entourage zu verstecken, allerding hätten sie sich mit der Auswahl ihres Ersatzes ein wenig mehr Mühe geben können. Auch wenn Ravens Gesicht durch eine Maske verdeckt war, verrieten seine wandernden Augen ihn. Das, und die allgemeine »Leck mich am Arsch«-Ausstrahlung.
»Fürst Ignació, Raven«, erwiderte Kaiwen die Begrüßung. »Mein Sohn Tao sowie Mian, Xhi und Meiling. Meine Leibwache.«
Bei der Erwähnung meines Namens richtete Raven seinen dunklen Blick auf mich. Als würde er mich erst jetzt bemerken, wanderten seine Augen über meine Uniform, die Kette um meinen Hals und schließlich über meine Maske und das, was von meinem Gesicht zu erkennen war.
Überrascht, eine Frau zu sehen, Kumpel?
Oder er hatte bereits von mir gehört. Beides war möglich. Wenn nicht die Auguren über mich getratscht hatten, dann womöglich die Menschen.
Ravens Stirnrunzeln vertiefte sich und ich erlaubte mir ein minimales Zucken der Mundwinkel. Es konnte ein Lächeln sein, oder eine simple Muskelzuckung. Es würde sowieso keiner sehen.
Ähnlich wie ich trug auch er eine Uniform. Nur dass sein Mantel kürzer war, der Kragen flach und asymmetrisch geformt und nicht nur der Stoff, auch seine Stickereien waren tiefschwarz. Man erkannte sie lediglich, wenn das Licht darauf fiel. In der Dunkelheit würde man ihn nicht ausmachen können. Vermutlich Absicht. Während Fürst Ignació ihn als Javi – das ich nicht lachte – und den anderen Leibwächter als Cole vorstellte, gestattete ich mir einen ausgiebigeren Blick.
Ravens Augenbrauen waren gerade und voll, die Augen lagen tief in den Höhlen und die Wangenknochen, sofern ich es mit Maske erkennen konnte, waren hoch und kantig. Ich vermutete eine scharfe Kieferlinie, die Nase war gerade, sah jedoch so aus, als wäre sie schon mindestens einmal gebrochen gewesen. Ecken und Kanten, dachte ich. Maskulin schön, so würde Tao ihn beschreiben. Ich persönlich würde Adjektive wie gefährlich und geheimnisvoll wählen. Leider waren auch genau dies Attribute, die ihn für mich viel interessanter machten.
Ich hatte schon immer eine Schwäche für die bösen Jungs gehabt, das ließ sich nicht verleugnen. Dieser hier war jedoch mehr als tabu. Meine letzte Eroberung hatte versucht, Tao zu bestehlen, und mich mit einem Messer bedroht. Davon erholten wir uns alle noch. Außer Henry. Der erholte sich auf dem Meeresgrund der Bucht.
»Es ist mir eine Ehre, euch in meinem Heim begrüßen zu dürfen. Sicherlich möchtet ihr euch ein wenig frisch machen und zur Ruhe kommen, bevor wir uns zusammensetzen. Das Bankett heute Abend findet zu euren Ehren statt.«
Als wäre dies nicht genau das, was von ihm erwartet würde, nickte der Fürst erfreut. Normalerweise hätten er und seine Entourage direkt durch die Linie zu uns springen können, doch sie waren über das Meer gekommen. Warum? Um Kraft zu sparen? Um die Linie nicht weiter zu schwächen? Aus Angst, sich in ihr zu verlieren?
»Eine hervorragende Idee.« Er legte dem falschen Prinzen eine Hand auf die Schulter. »Raven brennt schon darauf, mehr von Vel Ora zu sehen. Immerhin ist dies die Geburtsstätte des ersten Drachen.«
Der falsche Raven rang sich ein Lächeln ab. »Ich habe gehört, dass noch heute Löcher in Häuser gebaut werden, um den Drachen den Weg von den Bergen zum Meer zu ermöglichen.«
Häuser, dachte ich und rollte innerlich mit den Augen. Die Stimme dieses Jungen war viel zu hoch, und zu weinerlich.
»Das ist korrekt«, erwiderte Kaiwen. Freundlich, für jene, die sie nicht kannten. Angespannt für uns, die wir sie gut kannten.
»Die Menschen kennen und achten unsere Traditionen und unseren Glauben und berücksichtigen dies bei ihrer Infrastruktur.«
»Wie großmütig von ihnen.«
Fürst Ignaciós Tonfall sorgte dafür, dass ich meinen Blick vom echten Raven losriss. Die Miene des Fürsten war starr, die Knöchel seiner Hand, die auf der Schulter des Ersatz-Ravens lag, traten weiß hervor. Ich versuchte mich daran zu erinnern, ob der dritte Kanton Probleme mit den hiesigen menschlichen Vertretern der Regierung hatte, oder womöglich mit ihrer eigenen, aber mir war nichts bekannt. Die einzigen Konflikte, die die Auguren aktuell hatten, waren miteinander. Jedoch hatte Mian mir während meiner Ausbildung oft genug eingebläut, dass nicht alle Auguren den Menschen gegenüber so wohlgesonnen waren – und umgekehrt. Einige von uns sahen die Menschen als Hindernisse und bezeichneten sie als schwach, während die Menschen es nicht guthießen, dass ihre Welt sich nach uns und unserer Magie richtete. Insbesondere jetzt, wo es keine Drachen mehr gab, und die Kraftlinien schwächelten. Unsere Koexistenz musste um jeden Preis geschützt werden. Sie mochte oftmals chaotisch anmuten, und es gab stets neue Herausforderungen – insbesondere in Bezug auf Technologie – aber alles war besser als ein Haufen Auguren, die beschlossen, die Menschen auszulöschen. Der Schaden wäre enorm, das Leid unvorstellbar.
Also rissen wir uns zusammen und machten das Beste daraus.
»Mein Sohn Tao wird euch mit Freuden mehr über unseren Kanton und die Geschichte des ersten Drachen erzählen.«
»Ich brenne darauf«, antwortete er, und fing sich mit dieser Wortwahl einen bösen Blick seiner Mutter ein. Tao räusperte sich leise. »Mit dem größten Vergnügen, Fürst.«
.
MEILING
Das gesamte Dinner über warf ich Raven verstohlene Blicke zu. Ich war sicher, dass er es war. Jetzt, ohne die Maske, wurde es noch deutlicher. Man bemerkte es an der Haltung. Gerade und stolz, arrogant sogar. Und seine Miene. Freundlich, diplomatisch und dezent gelangweilt. Zuletzt erkannte man es an dem Raum, den er einnahm. Er war nicht einfach nur da, Raven war präsent. Und seine Anwesenheit erlaubte keinen Widerspruch. Ich selbst galt nicht unbedingt als bescheiden oder zurückhaltend, aber keine Leibwache würde sich so lässig in Gegenwart der Fürstenfamilie geben, die sie geschworen hatte zu beschützen. Nicht einmal ich und Tao war mein bester Freund. Seine Mutter hatte mich mit aufgezogen und dennoch wusste ich, wo meine Grenzen lagen. Ich akzeptierte sie nicht nur, ich respektierte sie.
Obwohl der blonde Mann neben Raven mit seinem ansteckenden Lachen und den funkelnden Augen die Aufmerksamkeit auf sich zog, war es Raven, der auffiel. Zumindest mir. Denn niemand sonst schien ihn anzustarren und niemand sonst saß so kerzengerade am Tisch wie ich. Aber irgendwas an Raven und diesem Schauspiel versetzte mich in höchste Alarmbereitschaft. Es war mein Job, die Yao-Familie zu beschützen, und Raven wirkte wie jemand, der nichts Gutes im Schilde führte.
»Mei?«
»Mhm?«
Tao klopfte mir mit seiner Gabel auf den Handrücken, fest.
»Aua, verdammt. Spinnst du?«, zischte ich.
»Meimei, Meimei …« Er seufzte theatralisch. »Kannst du für eine Minute damit aufhören, die Leibwache des Rabenprinzen mit Blicken zu erdolchen und dich mit mir unterhalten?«
Des Rabenprinzen? Ernsthaft?
Tao grinste, sein Lächeln war unbeschwert, wie gewohnt ein wenig verschmitzt und nur für mich reserviert. Seit wir Kinder waren, schenkte er mir diese Art von Lächeln, und meistens brachte sie uns in Schwierigkeiten.
»Willst du mir ernsthaft weismachen, du siehst das nicht?«
»Was?« Der neckische Ausdruck verschwand. »Was meinst du?«
»Das da«, raunte ich und nickte unauffällig Richtung Raven. Diesmal erwiderte er den Blick und für einen kurzen Moment blieb die Welt stehen. Die Bewegungen um mich herum erschienen langsamer, die Geräusche dumpfer, die Farben nicht so strahlend, und dann, plötzlich, drehte sich alles viel rasanter als zuvor weiter. Ich blinzelte. Augen in der Farbe von dunkler Schokolade hielten mich gefangen, und da war sie wieder, die Falte zwischen Ravens Augenbrauen.
»Du meinst den grimmigen Leibwächter?«
»Er ist kein Leibwächter«, wisperte ich angestrengt, ohne den Blickkontakt zu brechen.
»Das ist Raven Androna.«
Tao gab einen erstaunten Laut von sich. »Auf keinen Fall.«
Ravens rechter Mundwinkel hob sich verräterisch.
»Auf jeden Fall«, erwiderte ich, nun mehr als überzeugt.
»Aber –«
»Schau dir den angeblichen Prinzen an und sag mir, was dir auffällt.«
»Was wird das?«, murrte Tao. »Eine Unterrichtsstunde?«
»Nun mach schon.«
Er seufzte. »Der Prinz ist groß und schlank. Athletisch, aber nicht sonderlich muskulös oder trainiert. Er ist ein wenig blass, wenn du mich fragst, und nicht so hübsch wie ich.«
»Ich rede von seiner Aura, Tao. Was sagt dir dein Instinkt? Deine Magie?«
Tao zögerte kurz, dann erwiderte er: »Mein Instinkt sagt mir, dass ich ihn in weniger als einer Minute im Trainingsring schlagen würde. Egal ob mit Fäusten oder mit Magie.«
Ich nickte, zufrieden mit seiner Antwort. »Und was weißt du über Raven Androna?«
»Im Allgemeinen wird er als clever beschrieben. Einige nennen ihn brillant. Es ist sein Verstand, der ihn auszeichnet. Er soll scharfsinnig und –«
Ein Klirren ertönte. Der falsche Prinz hatte seine Gabel fallen gelassen. Direkt auf Kaiwens feines Porzellan.
Niemand reagierte. Niemand, außer dem wirklichen Raven, der sich von Tao und mir abwandte und seinem Doppelgänger einen genervten Blick zuwarf. Die Geste kam so schnell und selbstverständlich, ich würde wetten, es geschah unbewusst. Er sah seinen Doppelgänger an wie jemand, der vergessen hatte, den Müll rauszubringen. Wobei ziemlich deutlich wurde, wer in seinen Augen der Müll war.
»Leck mich am Arsch«, murmelte Tao und lehnte sich dichter zu mir. »Ich hasse es, wenn du recht hast.«
Taos Mutter, die am Ende des opulenten Banketttisches saß, Fürst Ignació neben sich, warf uns einen strengen Blick zu und wir verstummten. So lange, bis sie sich wieder ihrem Gespräch widmete. »Das da ist der Rabenprinz?«
Ich folgte Taos Blickrichtung.
»Jepp«, murmelte ich leise.
»Warum dieses Schauspiel?«
»Um ihn zu schützen, falls jemand, zum Beispiel wir, ihn angreifen sollten?«
»So was haben wir noch nie gemacht«, murmelte er, fast beleidigt. »Wieso werde ich nicht versteckt?«
Ich warf ihm einen ungläubigen Blick zu. »Hast du in letzter Zeit mal in den Spiegel geguckt?«
Taos Grinsen kehrte zurück. Breit und selbstgefällig wie eh und je. »Jeden Morgen, Babe, und ich liebe diesen Anblick.«
Ich rollte die Augen. »Nenn mich nicht Babe«, erwiderte ich automatisch, so wie immer, wenn er Kosenamen für mich benutzte. »Und was ich meine, ist deine Körperkunst«, formulierte ich diplomatisch. Taos Körper war übersät mit Tattoos. Die dominierenden Farben waren Schwarz und Rot. Der große Drache, der sich von seinem Brustkorb über die Schulter bis zum Rücken zog, wurde von seiner Kleidung verdeckt. Ebenfalls die Sigillen und Memorias der letzten Jahre. Was man sah, waren die Sigillen auf seiner Hand und einen Teil des Drachenschwanzes auf seinem Hals und dem Nacken, da er sich die langen schwarzen Haare heute im Laufe des Tages zu einem Zopf gebunden hatte. Außerdem trug er ein Septum und so viele Ohrringe, dass ich sie gar nicht mehr zählen konnte. Zusammen mit der athletischen Figur, den grünen Augen und dem Lächeln, das einem stets signalisierte, dass er für jede Art von Abenteuer zu haben war, war er der perfekte Bad Boy. Wären wir nicht zusammen aufgewachsen, hätte ich eine Schwäche für ihn gehabt. Tao war wie ein Bruder für mich und dafür war ich dankbar, denn diese Tatsache half mir dabei, auch seine Fehler zu sehen. Ansonsten wäre ich ihm wahrscheinlich wie halb Feyara ins Netz gegangen.
»Dich zu verstecken ist etwas schwieriger.«
»Weil ich nicht so langweilig aussehe wie er.«
Er musterte den echten Raven wenig begeistert. Sah er nicht, was ich sah? Spürte er nicht, was ich spürte? Wahrscheinlich nicht, denn obwohl Tao mächtig war, der Sohn der Fürstin, besaß er nicht das ruhige, rationale Gemüt eines Leibwächters. Wir wurden darauf trainiert, jedes noch so kleine Detail zu bemerken. Ihm war beigebracht worden, die Augen geradeaus und das Kinn hoch zu halten. Vielleicht ergänzten wir uns deshalb so gut.
Scharfsinnig, hatte Tao gesagt. Ravens und meine Blicke trafen sich erneut. Aber diesmal war es keine einfache Begegnung, es war eine Kollision. Eine Kollision aus Willenskraft. Ein Kräftemessen und unter all dem eine leise Drohung. Ich sehe dich.
Was ich sah, war klar, aber was sah er in mir? Ich war die, die ich vorgab zu sein. Meiling Yolanda Ang. Zweite Offizierin der Leibwache von Kaiwen, in Feyara geboren. Mein Vater starb bei einer Auseinandersetzung zwischen verfeindeten Auguren, meine Mutter lebte noch immer in Feyara und betrieb ein erfolgreiches Geschäft mit Kräutertinkturen und Heilzaubern aller Art. Meine Eltern waren angesehene Mitglieder des hiesigen Augurenclans und meine Mutter eine Freundin der Fürstin. Als ich mit sieben Jahren, kurz nach dem Tod meines Vaters, verkündet hatte, dass ich zur Leibwache wollte, hatte Mom geantwortet: »Wenn du es in einem Jahr noch immer willst, dann wird es geschehen, Meiling.«
Ich hatte es gewollt und es war geschehen. Seitdem lebte ich auf Vel Ora, unter der Aufsicht von Kaiwen Li.
Ich war nicht direkt ihr Mündel, aber ich gehörte zur Familie – irgendwie.
Vielleicht war Raven schlicht überrascht, wie freundschaftlich Tao und ich miteinander umgingen. Vielleicht fragte er sich, wieso ich neben dem Sohn der Fürstin saß, während Xhi und Mian hinter Kaiwen Stellung bezogen hatten. Manchmal war es herausfordernd, das gab ich zu, denn es war ein schmaler Grat zwischen Verpflichtung und Freundschaft. Die letzten Jahre aber war uns dieser Drahtseilakt gut gelungen und mittlerweile erkannte Mian die Vorteile, die es mit sich brachte, wenn jemand aus der Leibwache der Fürstenfamilie so nahestand wie ich.
Raven saß neben dem blonden Wachmann mit dem einnehmenden Lachen, während ein Fremder neben seinem Vater hockte und es nicht einmal zustande brachte, vernünftig mit Messer und Gabel zu essen. Etwas von meinen Gedanken schien sich auf meinem Gesicht widerzuspiegeln, denn auf einmal lächelte er. Der Mistkerl lächelte und bei Evona und allen Drachen – das war kein übler Anblick.
Dieser böse Junge ist tabu, Mei, erinnerte ich mich, und blickte hinab auf mein Essen.
»Isst du das nicht?«
Taos Gabel fand ihren Weg auf meinen Teller.
»Hey!«
»Du stocherst seit einer halben Stunde in deinem Essen rum, Mei. Gleich kommt das Dessert, also gib schon her, bevor es weggeworfen wird.«
Seufzend schob ich ihm meinen Teller hin. Ich hatte tatsächlich keinen Hunger.
»Wie war dein Spaziergang mit Raven?«
»Eintönig«, erwiderte Tao kauend. »Hab’ mich schon gefragt, wo all die spannenden Gerüchte herkommen.«
Von ihm, dachte ich, und widerstand dem Drang, den Blick zu heben.
»Und deine Mutter?«, flüsterte ich. »Hat sie gesagt, was Fürst Ignació hier will?«
Er schüttelte den Kopf. »Mian?«
»Weicht Kaiwen nicht von der Seite. Seit heute Morgen hat niemand ihn mehr gesprochen.«
»Habt ihr morgen früh nicht sowieso ein Statusmeeting?«
Das hatten wir, aber das war morgen früh. Jetzt war … nun, ja. Jetzt.
Ich wollte wissen, warum die Fürstenfamilie des dritten Kantons hier war.
»Meinst du –« Tao brach ab. Bei dem merkwürdigen Tonfall in seiner Stimme hob ich den Kopf. Eine leichte Röte überzog seine Wangen. »Glaubst du, er will meiner Mutter eine Ehe vorschlagen?«
»Du meinst, wie ein Handelsabkommen?« Ein politischer Schachzug? Darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht.
»Der Fürst ist verwitwet, ebenso wie sie. Er hat Ambitionen, sie ist Fürstin des ersten und mächtigsten Kantons. Vielleicht wollen sie an unsere Kraftlinie und unsere Handelsbeziehungen.«
Oder aber an die Drachen. Ich wusste nicht einmal, wo der Gedanke herkam. Die Drachen waren fort. Und dennoch …
Mein Nacken kribbelte und ich spürte einen dunklen, intensiven Blick auf mir ruhen.
Raven.
»Eine Heirat würde beide Kantone stärken, nicht wahr? Sie könnte die Position meiner Mutter sichern und jene Auguren, die ihre Fühler nach uns ausstrecken, erst einmal zurückdrängen. Es wäre von Vorteil für beide Kantone und könnte die Gemüter besänftigen, unsere und die der Menschen. Ich meine, machen wir uns nichts vor, sind wir verunsichert, sind sie es ebenfalls.«
»Das ist …« – kein übler Gedanke – »durchaus eine Möglichkeit. Wenn auch eine weit hergeholte, meinst du nicht? Es gab keinerlei Anzeichen.«
Tao schnaubte leise. »Als ob sie mit mir darüber reden würde. Ich kann froh sein, dass Fürst Ignació keine Tochter hat, sonst wäre womöglich ich derjenige, der heiraten müsste. Verschachert wie ein Stück Vieh auf einer Auktion.«
Ein Laut, der viel zu sehr an ein Lachen erinnerte, entfuhr mir.
»Wer ist jetzt dramatisch, Tao?«
»Du kennst meine Mutter. Dramatik liegt uns im Blut.«
Vermutlich. Dennoch spürte ich, dass er sich aufrichtig Gedanken machte, also griff ich unter dem Tisch nach seinem Oberschenkel und drückte ihn. Leider genau in dem Moment, in dem ich wieder zu Raven sah. Dieser bemerkte meine Geste und hob eine Augenbraue.
»Er ist ganz schön gruselig«, raunte Tao und trank von seinem Wein.
»Gruselig, ja«, wiederholte ich automatisch. Dabei war das Wort, das mir soeben durch den Kopf geschossen war, intensiv. Raven Androna war intensiv. Und er starrte uns so offensichtlich an, dass es unhöflich war.
Jemand räusperte sich und ich brauchte eine Weile, um zu registrieren, dass es Mian war. Mein Kopf ruckte herum. Mian strafte mich mit einem finsteren Blick und schüttelte kaum merklich den Kopf.
Also hatte er bemerkt, was ich bemerkt hatte. Und er hieß es nicht gut, dass Raven und ich uns niederstarrten. Wobei ich es war, die gerügt werden würde, denn Raven war ein Fürstensohn. Unsere Teller wurden abgeräumt. Fürst Ignació lachte über etwas, das Kaiwen gesagt hatte, während ein kleines Gläschen mit orangem Inhalt vor mir auf den Tisch gestellt wurde. Ein silberner Dessertlöffel folgte.
»Mangomousse?«, jammerte Tao leise. »Ich hatte auf irgendwas mit ordentlich Sahne gehofft.«
Innerlich seufzend griff ich nach dem Löffel und schielte auf die unfassbar teure Uhr an Taos Handgelenk. Eine Drakon Priorat. Handgefertigt von Menschen, verfeinert durch die Magie von Auguren. Anstatt eines normalen Ziffernblatts flog ein kleiner silberner Drache darin herum. Sein Kopf und Schwanz zeigten die Uhrzeit an. Ein hässliches Ding. Meiner Meinung nach hätte er das Geld wesentlich besser ausgeben können. Halb acht. Wundervoll. Das würde ein langer Abend werden.
MEILING
»Hast du noch Lust auf einen Schlummertrunk?«
Arm in Arm mit Tao schritt ich in Richtung meines Zimmers. Wir hatten das Essen und die anschließende Soiree lebend überstanden. Mein Bedarf an Small Talk war nun für die kommenden Jahre gedeckt, aber Kaiwen hatte sich mit einem Lächeln bei mir verabschiedet und auch Mian hatte nicht mehr ganz so grimmig ausgesehen. Der Abend schien ein voller Erfolg gewesen zu sein. Morgen würden sich Fürst Ignació und Kaiwen zum Frühstück treffen und vielleicht griffen wir tatsächlich bald zu den Blumenbouquets anstatt zu den Waffen. Wenn sich der erste und der dritte Kanton offiziell verbündeten, würde das alle Clans erst mal zum Schweigen bringen. Tianlong und Marviento waren die beiden größten Kantone in Valtherra. Das bedeutete, viele Auguren und viele Menschen – und viele Waffen. Zudem würden wir dann über drei Kraftlinien verfügen, schwächelnd oder nicht, wäre es dennoch ein Vorteil Drakfjord und Aotuaran gegenüber. Innerlich seufzend löste ich mich von Tao. Es widerstrebte mir, in welche Richtung meine Gedanken wanderten. Sosehr ich einen guten Kampf schätzte, auf einen Krieg konnte ich verzichten.
»Nein, danke. Ich gehe ins Bett. Aber lass dich nicht aufhalten.«
»Seit wann lasse ich mich denn aufhalten?«
Er zog mich eng an sich und pflasterte mir einen Kuss auf die Stirn. Das schmatzende Geräusch hallte in dem ansonsten leeren Korridor wider. »Schlaf gut, Süße.«
»Tao …«
Lachend ließ er mich los.
»Früher warst du witziger.«
»Früher warst du nicht so verdorben.«
»Stimmt. Früher warst du die Verdorbene von uns«, konterte er breit grinsend. »Ich vermisse diese Mei.«
Ich gab es auf, zu müde für weitere Wortgefechte. »Nun geh schon, bevor Mian mich wieder anmeckert, dass du zu viel vor meinem Zimmer herumlungerst.«
»Dann sollte er mich anmeckern. Ich lungere herum.«
»Aber du bist du.«
»Stimmt.« Er grinste und sein leicht glasiger Blick sagte mir, dass er ein wenig zu viel Wein hatte. »Und das ist ziemlich phänomenal. Ich zu sein, meine ich.«
»Geh«, befahl ich streng, »oder ich rufe Chen, damit er dich zu deinem Zimmer begleitet.«
Mein Zimmer lag im Ostflügel des Hauses. Taos im Westflügel, neben dem seiner Mutter. Tag und Nacht bewacht.
Leise vor sich her summend schlenderte Tao den Korridor entlang.
»Gute Naaaacht, Meimei.«
Kopfschüttelnd öffnete ich die Tür und betrat meine eigenen vier Wände.
Mein Zimmer war deutlich größer als das der anderen Leibwächter. Das verdankte ich der Freundschaft zwischen meiner Mutter und Kaiwen. Ich brachte es jedoch nicht über mich, mich darüber zu ärgern, denn ich hatte nicht nur ein eigenes Bad mit Dusche und Wanne, meine Räume lagen an der äußersten Nordseite des Hauses und ermöglichten mir so einen spektakulären Blick auf die Bucht. Mein Wohnzimmer war klein, aber gemütlich und das Bett stand direkt gegenüber dem bodentiefen Fenster mit Schiebetür, die auf einen beschaulichen Balkon hinausführte. Noch im Gehen entledigte ich mich meines Mantels und atmete auf, als der Kragen nicht mehr in meinen Hals schnitt und nicht nur ich, sondern auch meine Brüste wieder frei atmen konnten. Ich hasste es, so eingeschnürt zu werden. Es sei denn, es handelte sich um Kampfleder.
Der Gürtel samt Kurzschwert folgte. Ich zog das Messer aus meinem Stiefel und kickte mir die Schuhe von den Füßen. Mit einem leisen Seufzer grub ich meine geschundenen Zehen in den weichen Teppich vor meinem Bett. In Hose und Seidentop tat ich ein paar beruhigende Atemzüge. Ich hatte die Balkontür offen gelassen und ein leichter Wind verteilte den vertrauten Geruch nach Meer in meinem Zimmer. Salzig und frisch und beinahe so, als könne ich die Brise schmecken, die die Bucht zu mir hinauftrug. Herrlich.
Ich liebte alles an diesem Geruch. Am Wind, dem Meer, Feyara. Es roch nach zu Hause. Nicht alle Auguren waren ihrem Kanton so verbunden wie Tao oder ich. Neben den sehr ortsbezogenen Clans gab es Auguren, die ein Nomadenleben bevorzugten. Es hieß, sie suchten den Ursprung der Kraftlinien, um deren Schwinden zu verhindern. Es hieß, sie waren auf der Suche nach Evona und den Drachen, und das ihnen dabei alle Mittel recht waren. Aber das waren lediglich Gerüchte.
Seit Jahren gab es Gerede und Spekulationen, dass die anderen Kantone sich zusammentun würden, um uns anzugreifen. Kaiwens Stellung – sowohl in unserer als auch in der Gesellschaft der Menschen – war einmalig. Obwohl alle Kantone gleichberechtigt waren, galt unser Kanton als der mächtigste, denn die meisten Drachen hatten bei uns in Tianlong gelebt. Abgesehen davon, war unser Kanton auch einfach wunderschön. Grün und lebendig. Vielfältig und geprägt vom Glauben an Evona. Ein letzter tiefer Atemzug, dann wandte ich mich vom Balkon und der Bucht ab.
Vielleicht sollte ich ein Bad nehmen, um meine verspannten Muskeln zu lockern. Mian erwartete uns morgen um acht zum Statusmeeting. Hoffentlich würde ich dann erfahren, wieso Fürst Ignació hier war. Ich griff nach einem der zahlreichen Haarbänder auf meinem Nachttisch und band mir einen hohen Pferdeschwanz – endlich! Dabei blieb mein Blick an dem Bild über meinem Bett hängen. Evona, der weiße Drache. Der erste Drache. Wir alle verehrten ihn wie eine Gottheit, denn er war es gewesen, der unserer Welt die Magie gebracht hatte. Seither vererbten die Auguren ihre Magie sowie ihr Wissen über viele Generationen weiter. Zu gern hätte ich die Zeit der Drachen miterlebt. Weder meine Mom noch Kaiwen oder Mian hatten es erlebt. Das war weit vor ihrer Zeit gewesen und es gab kaum noch Auguren, die sich erinnerten und wenn, waren sie so klein gewesen, dass die Erinnerungen nur schemenhaft waren. Theoretisch konnte sich jeder Augur mit einem Drachen verbinden und seine Magie nutzen. Praktisch waren es die Drachen, die auswählten, wen sie für würdig erachteten. Die Auguren des ersten Kantons hatten damals über viele, sehr viele Drachen verfügt. Ob es daran lag, dass unsere Heimat die Geburtsstätte von Evona war, oder zwei Kraftlinien unseren Kanton durchliefen, wusste niemand, aber es sicherte uns auch heute unseren Status. So langsam schwand die Ehrfurcht jedoch nach und nach. Eventuell wäre eine Heirat zwischen Fürst Ignació und Kaiwen gar keine so üble Idee.
Kurz überlegte ich, den Fernseher anzuschalten und mich berieseln zu lassen, verwarf die Idee allerdings gleich wieder. Ein Bad würde mich mehr entspannen. Meine Finger glitten zum Knopf meiner Hose.
»Das würde ich mir noch einmal überlegen«, sagte eine tiefe Stimme.
Ich zuckte zusammen. Mit einem großen Satz war ich zurück am Bett und griff nach meinem Kurzschwert. Im gleichen Moment verband ich mich mit der Kraftlinie.
Es war schummerig, fast dunkel im Zimmer, dennoch gab es ausreichend Lichtquellen, sodass ein Eindringling mir hätte auffallen müssen.
»Gib dich zu erkennen«, befahl ich und zog kräftiger an der Linie. Magie vibrierte durch meine Adern und klärte meine Sicht. Ein Schleier lichtete sich vor meinen Augen und dort, im Sessel vor dem Fenster, verborgen durch die Schatten und seine Magie, saß Raven Androna. Ohne Maske, völlig entspannt und mit einem beunruhigenden Halblächeln auf den Lippen. Ich hatte ihn weder gesehen noch gespürt. Verdammt.
Sofort ging ich in den Angriffsmodus über. Ich zog an der Kraftlinie und katapultierte mich regelrecht durch den Raum, das Kurzschwert erhoben. Bevor ich jedoch bei Raven ankam, war der Mistkerl verschwunden.
»Du hast Nerven …«, murmelte ich, während mein Herz raste. Dennoch blieb ich ruhig und wachsam, so wie ich es etliche Male geübt hatte. Das Kurzschwert auf Höhe meines Schulterblatts erhoben, meine Arme geschmeidig, meine Hände ruhig.
»Ich bin nicht hier, um zu kämpfen.«
Irritiert und wütend drehte ich mich im Kreis. Ich konnte nicht einmal ausmachen, wo die Stimme herkam. Und wenn ich etwas hasste, dann war es, zum Narren gehalten zu werden. Ich zog stärker an der Linie und atmete tief und gleichmäßig. Beide Füße fest auf dem Boden, erdete ich mich und zählte innerlich bis zehn. Dankbar dafür, dass die Linie mich noch nie im Stich gelassen hatte. Jede Magie hinterließ eine Spur, insbesondere dann, wenn er eine unserer Kraftlinien anzapfte und nicht die, die er gewohnt war.
»Welch unerwarteter … Besuch«, sagte ich, voll konzentriert auf jede noch so kleine Abweichung in der Aura meines Zimmers.
»Bloß unerwartet oder auch unwillkommen?«
Er war gut. Sehr gut. Dennoch spürte ich eine kleine Vibration direkt vor mir, am Fenster.
Ich sprang vor und meine Waffe sauste durch die Luft, ehe sie an Ravens Unterarm abprallte. Es blitzte silbern auf. Akuistahl. Natürlich. Er trug ein Stück Rüstung am rechten Arm.
Der Aufprall sorgte dafür, dass Raven erneut sichtbar wurde. Konfrontiert mit seinem Antlitz erstarrte ich. Wobei erstarren nicht das richtige Wort war. Es gab kein Wort für das, was mich gerade überkam. Das plötzliche Einfrieren meiner Gliedmaßen. Oder, wie jeder rationale Gedanke mich für einen Moment verließ, als würde er aus meinem Körper fliegen, nur um sich dann zu verflüchtigen, wie Rauch in der Luft. Was bei allen Drachengöttern tat er?
Schwer atmend starrte ich ihn nieder. Mein Schwert verharrte nur wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt. Unsere Körper einander zugewandt. Dunkle Augen blitzten mich herausfordernd an.
»Sosehr ich ein gutes Vorspiel zu schätzen weiß, wir haben keine Zeit dafür.«
Sein Tonfall war eindringlich und löste etwas anderes in mir aus als Gereiztheit. Gänsehaut breitete sich auf meinen Armen aus. Ich kannte das Gefühl. Alarm. Etwas stimmte nicht.
Das Schwert erhoben und die Kraftlinie fest im Griff, trat ich zurück, während er jede meiner Bewegungen genauestens verfolgte. Gut. Er sollte nervös sein. Nur weil ich es für den Moment aufgab, hieß das nicht, dass ich ihn nicht in Stücke hacken konnte.
»Solltest du nicht in der Stadt sein? Zusammen mit deinem Vater?« In einem verfluchten Fünf-Sterne-Hotel und nicht in meinem Zimmer!
Ravens Arm sank herab. »Du hast beeindruckend schnell reagiert.«
»Das ist mein Job«, sagte ich und musterte den Unterarmschutz. Aufwendig verziert, das Silber auf Hochglanz poliert. Rechts trug er keinen. Dafür war sein Hemd hochgekrempelt und ich erkannte die schwarze Tinte einer Tätowierung.
»Scheint so.«
»Was willst du?«
Raven ließ die Kraftlinie los und der Zauber verschwand. Sofort konnte ich ihn glasklar erkennen. Er hatte sich umgezogen und trug nun schlichte schwarze Kleidung. Eine Hose, ein Anzughemd und eine … war das eine Weste?
Eine widerspenstige Locke fiel ihm in die Stirn und an seinen Händen glänzten gleich mehrere silberne Ringe. Mein Blick wanderte zurück zu dem Tattoo auf seinem Unterarm. Hochgekrempelte Hemdsärmel hatte ich schon immer als anziehend empfunden. Sie waren eines meiner Laster – leider. Und Raven, er rockte diesen Look total. Äußerlich entspannt stand er da und wartete. Viel zu attraktiv und – wie bereits beim Essen – viel zu präsent.
Tabu, Mei. Dieser böse Junge ist tabu.
Meine unpassenden Gedanken verschlechterten meine Laune um ein Vielfaches.
»Was du willst, habe ich dich gefragt«, blaffte ich, und trat noch einen Schritt zurück.
Er ließ sich von meiner groben Art nicht aus der Ruhe bringen.
»So gern ich dir weiter beim Ausziehen zugesehen hätte …« – er machte eine effektvolle Pause – »Ihr werdet angegriffen.«
»Was?«
Raven sah auf die digitale Uhr auf meinem Nachttisch. Mein kleiner old school Wecker, den ich so schätzte.
»In genau dreiundzwanzig Minuten.«
Das konnte nicht sein. Was redete er da? »Angegriffen? Von wem?«
»Von meinem Vater und ein paar Dutzend Auguren, die über die Kraftlinien hergesprungen sind.«
»Das wäre uns aufgefallen«, antwortete ich automatisch. So viel Kraftlinienaktivität, so viel Magie, fiel auf.
»Nicht, wenn sie vor Wochen damit begonnen haben.«
»Wieso warnst du mich und nicht Kaiwen?«, fragte ich.
»Um direkt von Mian aufgespießt zu werden? Nein, danke. Du erschienst mir als die … angenehmere Wahl.« Raven sah sich in meinem Zimmer um. »Nett. Ein bisschen viel Holz für meinen Geschmack.« Sein Blick blieb an meiner geblümten Couch hängen. Das Möbelstück stach heraus, denn es war ein Erbstück meiner Großmutter. Mom hatte es mir bei meinem Umzug mitgegeben. ›Ein Stück Heimat‹ hatte sie es genannt.
»Das ist interessant«, kommentierte er das blumige Monstrum. »Es passt so gar nicht zu dir.«
»Du kennst mich nicht«, erwiderte ich automatisch.
»Meiling Yolanda Ang. Stellvertreterin der Leibwache mit siebenundzwanzig. Eine beeindruckende Leistung. Man sagt dir nach, du wärst gut.«
»Dir sagt man nach, du wärst clever. Aktuell zweifle ich daran. Ein paar Fakten zu zitieren, heißt nicht, dass du mich kennst.«
Sein Amüsement brachte seine Augen zum Leuchten. »Noch nicht.«
Die Worte klangen herausfordernd, doch sein Blick verharrte auf meinem Gesicht und das, obwohl das dünne Seidentop nicht viel verhüllte.
»Niemals«, konterte ich.
Raven lachte leise. Das Geräusch verstärkte das ungute Gefühl in meinem Magen.
Ich atmete tief durch, bemüht um Selbstbeherrschung. »Was meinst du mit: Wir werden angegriffen?«
»Ich glaube, die gängige Definition lautet: Den Kampf gegen jemanden oder etwas beginnen.« Sein intensiver, dunkler Blick durchbohrte mich nahezu. »Du hast meine Magie durchschaut.«
»War nicht schwer«, erwiderte ich. Und dann: »Jetzt sag mir endlich, was hier los ist!«
Raven seufzte. Wobei das Geräusch eher einem genervten Schnauben glich.
»Mein Vater und seine Leute werden euch in Kürze angreifen, Meiling.« Er deutete zum Wecker. »In exakt achtzehn Minuten.«
»Wieso?«
Er zuckte mit den Schultern. »Was weiß ich … Macht, noch mehr Macht.« Er fixierte mich. »Drachen.«
»Es gibt keine Drachen. Nicht mehr. Weder bei uns in Tianlong noch im Rest von Valtherra.«
»Es existieren einige Fraktionen unter den Auguren, die euch diese Geschichte nicht glauben. Während die Magie andernorts schwindet, sind eure Linien stärker als die in den anderen Kantonen. Tianlong ist riesig, ihr könntet sie vor uns verbergen.«
»Wir haben keine Drachen«, erwiderte ich fest. »Dein Vater wird uns umsonst angreifen und damit einen Krieg zwischen unseren Kantonen beginnen!« Womöglich einen zwischen allen Kantonen. Und damit würde er jenes Szenario auslösen, vor dem wir uns seit Jahren fürchteten.
»Dann solltest du dich beeilen«, erwiderte Raven unbeeindruckt. »Die Uhr tickt.«
»Ich –« Oh, verdammt. Was sollte ich tun? Log er oder sprach er die Wahrheit? Wieso sollte er lügen, wenn er jetzt und hier in meinem Zimmer war, um mich zu warnen? Was erhoffte er sich davon? Meine Gedanken rasten. Mit wild schlagendem Herzen sah ich zur Uhr. Fünfzehn nach zwölf. Wenn Raven die Wahrheit sprach, dann hatten wir noch genau fünfzehn Minuten.
In diesem Moment traf ich eine Entscheidung. Ich würde Raven vertrauen. Besser, er log und ich musste mich bei Mian – und Kaiwen – entschuldigen, als dass ich eine aktive Bedrohung missachtete, weil mir der Überbringer der schlechten Nachrichten missfiel.
Ich wirbelte herum, hob das Schwert und schnitt mir in die Handfläche. Dann eilte ich zur Tür und presste meine blutende Haut auf die Stelle direkt unter dem Jadeanhänger in Form einer Träne. Mian hatte dieses Sicherheitssystem vor einer Ewigkeit installiert. Jeder, der auf Vel Ora wohnte, wusste, wie es funktionierte. Ein Warnsignal ausgelöst von mir, von meinem Blut, ging direkt durch alle Quartiere der Leibwache. Als Mians Stellvertreterin erwartete man von mir, dass ich Gefahrensituationen einzuschätzen wusste und diesen Weg nur in einer absoluten Notsituation wählte. Nun, denn …
In dem Moment, als der Zauber auf mein Blut reagierte, ging ein stiller Alarm in jedem Zimmer dieses Stockwerks los. Der Kristall auf meinem Nachttisch leuchtete auf und begann, hektisch zu flackern. Obwohl es mucksmäuschenstill blieb, hatte ich das Gefühl, in meinen Ohren klingelte es. Eine Aura von Gefahr lag auf einmal in der Luft. Die Kraftlinien unseres Kantons pulsierten regelrecht.
»Beeindruckend«, hörte ich Raven hinter mir sagen. »Wenn du den Angriff überlebst, sollten wir uns unterhalten.«
»Ich wüsste nicht, worüber«, rief ich, ohne mich zu ihm zu drehen.
»Über die Drachen natürlich.«
Ich wollte etwas erwidern, als ich jedoch über die Schulter blickte, war er fort.
Verflucht!
Vierzehn Minuten. Hektisch öffnete ich die Schublade der Kommode neben der Tür, griff nach dem voll aufgeladenen Mobiltelefon und steckte es mir in die Gesäßtasche. Das Kurzschwert in der Hand, nur in Hose und Seidentop gekleidet, betrat ich den Flur und wäre beinahe mit Mian zusammengeprallt. Chen, Xhi und ein paar der anderen Leibwächter kamen ebenfalls gerade aus ihren Zimmern. Unter uns, im ersten Stock, waren noch mehr Quartiere. Sollte Mian – oder ein weiteres Mitglied der Leibwache sowie Tao oder Kaiwen – den zweiten Alarm auslösen, würde der sich auf die gesamte Festung und die Häuser in den Hängen darunter ausbreiten. Es würde nicht lange dauern, und nicht nur das ganze Haus, sondern der ganze Berg wäre wach.
»Wieso löst du Alarm aus?«
»Raven«, sagte ich, das Schwert fest im Griff, »er war in meinem Zimmer. Er sagt, sein Vater wird uns angreifen. Um halb eins.«
»Das ist in zwölf Minuten!«, rief Chen aufgebracht.
Mian musterte mich eingehend. Als er bei meinem Top ankam, zog er fragend eine Augenbraue hoch. »Und du glaubst ihm?«
Er zweifelte und das machte mich ehrlich gesagt wütend. »Ich war gerade dabei, mich auszuziehen. Ich wollte ein Bad nehmen und er ist aufgetaucht und hat mich gewarnt.«
Mian trat vor und packte mich grob am Handgelenk. Er zog mich ein paar Meter von den anderen weg und sah mir prüfend ins Gesicht.
»Ihr konntet das ganze Essen über nicht die Augen voneinander lassen.«
Wa-as?
»Mian! Ich habe ihn angestarrt, weil ich ihn durchschaut habe!«
Sein Blick wurde stechender.
»Was hatte er in deinem Zimmer zu suchen? Unsere Alarmsysteme sind auf dem höchsten Niveau, Mei, wie –«
»Er hat mich gewarnt!«, unterbrach ich ihn und riss mich los. »Bei Evona, Mian! Für so einen Mist haben wir jetzt keine Zeit! Was wenn er recht hat?«, flüsterte ich eindringlich. »Wir können nicht untätig rumstehen und abwarten. Das Risiko ist zu groß.« Schnell erzählte ich ihm, was Raven über die Auguren und die Kraftlinien gesagt hatte.
Mian fluchte. In dem Moment rief Chen: »Zehn Minuten!«
»Wie lauten unsere Befehle?«, mischte sich nun auch Xhi ein, sichtlich nervös.
Mian ließ mich los, dann brüllte er: »Bewaffnet euch und weckt das gesamte Haus. Ich will mindestens drei Dutzend Wächter im Ostflügel bei der Fürstin. Ich löse den zweiten Alarm aus. Du«, richtete er das Wort an mich, »lauf und beschütze Tao.«
»Mit meinem Leben«, versprach ich und rannte.
Sollten wir das hier überleben, und das würden wir, würden Mian und ich ein ernstes Wörtchen miteinander reden. Ich war seine Stellvertreterin, keine Novizin, und nur weil ich wusste, wie man Spaß hatte, hieß das noch lange nicht, dass ich sofort mit Raven ins Bett hüpfte. Und wenn dem so wäre, dann war dies meine Sache. Mian hatte mein Verhalten nicht zu interessieren, solange es die Leibwache nicht tangierte.
Als wären die Drachengötter persönlich hinter mir her, sprintete ich durch das Haus. Die Kraftlinie pulsierte, der zweite Alarm war ausgelöst worden. Ich lief schneller und wich dabei zahlreichen irritierten und ängstlichen Bewohnern aus. Die ein oder andere Grünpflanze und Porzellanvase gingen zu Boden. Vor Taos Zimmer bremste ich ab und informierte knapp die dortigen Wachen, die mich bereits mit großen Augen und erhobenen Schwertern erwarteten, ehe ich die Tür beinahe aus den Angeln riss.
»Tao!«
»Meimei?«, murmelte mein bester Freund verschlafen.
»Steh auf! Sofort!«
Als ich das Licht anmachte, wurde mir klar, wieso er den Alarm nicht registriert hatte. Der Kristall, der wie ein Traumfänger über seinem Bett hing, verbreitete ein grelles, flackerndes Licht. Tao trug jedoch eine Schlafmaske. Etwas, was wir ihm etliche Male untersagt hatten. Aufgebracht trat ich ans Bett und riss ihm das verdammte Ding vom Gesicht.
»Wir werden angegriffen«, rief ich. »Beweg dich! Sofort!«
»Angegriffen?« Er schoss in die Höhe, bereits dabei, seine Beine über die Bettkante zu schmeißen. »Von wem?«
»Dem dritten Kanton«, erwiderte ich düster.
»Aber –« Er blickte sich um, sichtlich verwirrt. »Es ist doch alles okay. Ich hab’ nichts Ungewöhnliches bemerkt, woher weißt du –«
»Du hast nichts mitgekriegt, weil du noch immer betrunken bist!« Ich atmete tief durch. »Raven war bei mir.«
Seine Augen weiteten sich und eine tiefe Furche bildete sich auf seiner Stirn.
»Raven war bei dir?«, wiederholte er leise und musterte mein Outfit. Vielleicht hätte ich mir doch die Mühe machen sollen, einen BH anzuziehen. Offensichtlich waren sichtbare Nippel etwas, wofür man in diesem Haus verurteilt wurde.
»In deinem Zimmer? Mitten in der Nacht?«
»Verdammte Scheiße, Tao, ich schwöre dir, wenn du mich jetzt auch noch so anschaust, als wäre ich mit dem Feind im Bett gewesen, vergesse ich mich! Er hat mich gewarnt!«, rief ich. »Sein Vater wird uns jeden Moment angreifen, also zieh dir etwas an und bewaffne dich. Sofort!«
MEILING
Wie sich herausstellte, war meine Warnung gerade noch rechtzeitig gekommen. Kaum war Tao aus dem Bett und hatte sich etwas übergezogen, da wurde das Haus von einer gewaltigen Explosion erschüttert.
»Mei!« Taos erschrockenes Keuchen bestätigte meine eigenen Gedanken. Der Bastard griff uns tatsächlich an. Obwohl ich Ravens Warnung ernst genommen hatte, hatte bis eben die Möglichkeit bestanden, dass er log und –
Ein lauter Knall! Das ganze Haus, der ganze beschissene Berg bebte.
»Verfluchte Scheiße, spinnt er? Weiß er überhaupt, was er damit auslöst?«
»Raven sagt, sein Vater denkt, wir haben noch immer Drachen. Und Drachenmagie.«
»Raven geht mir gerade gehörig auf den Sack!«, rief Tao. »Was glaubt sein Vater denn, wo wir Drachen versteckt halten? Unter meinem Bett? Außerdem würden die Kraftlinien doch reagieren!«
»Das habe ich auch gesagt, aber offenbar nimmt man uns das nicht ab.« Oder hegte zumindest Zweifel.
Natürlich wussten wir, dass unsere Kraftlinien stärker waren als die der anderen Kantone, aber … ehrlich gesagt hatte ich – hatten wir – immer angenommen, es hinge damit zusammen, dass zwei Kraftlinien unser Land kreuzten und dies die Geburtsstätte der Drachen war.
Ich bediente mich bei Tao und warf mir ein T-Shirt über, bevor ich eines seiner Katanas ergriff.
In seinem Waffenschrank entdeckte ich noch eine Axt, diverse Messer und Schwerter sowie zwei Schusswaffen. Kugeln prallten an Kraftlinienschilden ab, Akuistahl nicht. Unsere Katanas schnitten durch Zauber wie durch Butter.
Das war auch der Grund, warum wir hart trainierten und in Kampfkunst ausgebildet wurden. Wir konnten nicht sinnlos umherballern. Gegen Auguren zu kämpfen erforderte nicht nur Macht, sondern auch Wissen und Raffinesse.
Eine weitere Explosion ließ mich schwanken. Im Korridor vor Taos Zimmer hörten wir aufgeregte Stimmen. Und dann, lauter als alle, die Stimme seiner Mutter.
»Was geht hier vor?«, donnerte Kaiwen.
»Wir werden angegriffen, meine Fürstin.«
»Angegriffen? Von wem?«
Tao und ich traten aus seinem Zimmer. Es wimmelte nur so vor Wachen. Schulter an Schulter, schwer bewaffnet standen sie da und sahen uns abwartend an.
»Fürst Ingnació«, sagte Mian, der sich einen Weg durch die Menge kämpfte. »Auguren aus dem dritten Kanton haben das Haus umzingelt. Sie feuern auf unsere Schutzzauber. Es wird nicht mehr lange dauern, und sie fallen. Es sind zu viele.« Sein Blick fand den meinen. »Wir müssen sie hier rausbringen.«
Ich nickte und packte Tao am Handgelenk.
»Moment.« Kaiwen hob gebieterisch eine Hand. »Ich werde Vel Ora nicht verlassen. Weder die Festung noch den Berg.«
»Ihr seid die Fürstin!«, brauste Mian auf. »Es ist unsere Pflicht, Euch lebend hier herauszubringen.«
»Kaiwen –«
»Nein, Mei«, unterbrach sie mich und wandte sich an Mian. »Ich habe höchsten Respekt vor eurer Arbeit und eurem Pflichtgefühl, doch ich bin die Fürstin und ich entscheide. Ich bin nicht umsonst Anführerin unseres Clans. Ich werde bleiben und kämpfen. Verwechsle mich nicht mit einem wehrlosen Monarchen, Mian.«
»Verzeiht, Shanyi.« Mein Berg. Mein Felsen. Kaiwen war unser aller Fels in der Brandung.
»Mei«, wandte sie sich wieder an mich und ignorierte Mians formelle Anrede. »Bring Tao hier raus.«
»Nein, Mutter, ich –«