Things to do - Jacqueline Steinke - E-Book
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Things to do E-Book

Jacqueline Steinke

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Beschreibung

Zwei Fremde, eine Liste und Aufgaben, die unter die Haut gehen. . Nachdem Sam von ihrem Freund verlassen wird, ist sie nichts weiter als ein Häufchen Elend. Ihre beste Freundin will nicht weiter dabei zusehen, wie sie vor die Hunde geht, und fertigt eine Liste mit Aufgaben an, die Sam aus ihrem Loch holen sollen. Eine Liste führt zu einem Brief. Ein Brief zu einem Mann. Doch Fynn ist alles andere als begeistert davon, in diese Aufgaben hineingezogen zu werden.

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Inhaltsverzeichnis

Die Liste

Lass dir ein Tattoo stechen

Der Anfang vom Ende

Wenn Mr. Stranger an die Tür klopft

Mitgehangen, mitgefangen

zwei Fremde

Wenn man Dumpfbacken mit Mädchen allein lässt

Museumsbesuch

Vergangenheit

Pyjama-Party mit Sekt

Schrei!

Popcorn, Nachos und die Schlümpfe

Aufwachen in starken Armen

Fotoshooting mit Folgen

Kleine und große Ängste

Verhasste Ex

Tanz mit mir

Kleider machen Leute

Verdammte Gefühle

Schockierendes Geständnis

Glücklicher Morgen

Halt meine Hand

Lass dich fallen

Merkwürdiger Fremder

Ein Wiedersehen mit Folgen

Die Welt bleibt stehen

Kein Opfer mehr

Bleib bei mir

Ende des Albtraums

Epilog

GedankenReich Verlag

Denise ReichowHeitlinger Hof 7b30419 Hannover

www.gedankenreich-verlag.de

Things to do

Text © Jacqueline Steinke, 2019

Cover & Umschlaggestaltung: Kristina Licht

Lektorat: Marie Weißdorn

Korrektorat: Klaudia Szabo

Satz & Layout: Nadine ReichoweBook: Grittany DesignInnengrafiken: Shutterstock - wacomka

(eBook) ISBN 978-3-947147-67-0

© GedankenReich Verlag, 2019

Alle Rechte vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

„Sam, du musst hier mal raus!“

Gerade noch rechtzeitig zog ich mir die Decke über den Kopf, als das Zimmer von Licht durchflutet wurde. Der plötzliche Angriff stach schmerzhaft in meinen Augen. Kein Wunder, immerhin hatte ich mich in den letzten Wochen dauernd in der Dunkelheit verkrochen.

„Geh weg“, nuschelte ich schläfrig.

Meine Mitbewohnerin Luzie kümmerte das wenig. Ich hörte ihre Schritte näher kommen, dann riss sie an der Decke. Da ich mich an ihr festgeklammert hatte wie an einem Rettungsring, wurde ich aus dem Bett gezogen und landete hart auf dem Holzfußboden. Sie ließ die Decke los und stapfte durch das Zimmer zum Fenster. Ohne Rücksicht zerrte sie die Vorhänge zur Seite und öffnete es. Kalte, frische Luft strömte in den Raum und ließ mich frösteln. Ich lag einfach da wie ein nasser Sack und schlang die Decke enger um mich, um mich vor dem strahlend hellen Sonnenschein und dem eisigen Wind zu schützen.

„Ehrlich, Sam. So geht das nicht weiter“, sagte meine beste Freundin und fluchte plötzlich gereizt, vermutlich war sie über einen der Klamottenberge gestolpert. Kurz darauf flog ein längst getragenes T-Shirt an die Wand, die ich anstarrte, als wäre sie das Interessanteste, was ich in der letzten Zeit gesehen hatte. „Max hat vor über zwei Monaten mit dir Schluss gemacht. Komm drüber hinweg. Du kannst nicht für immer in deinem Zimmer liegen und vor dich hinvegetieren.“

„Kann ich wohl. Und sag das M-Wort nicht!“, motzte ich sie an. Der Plan klang doch verlockend. Einfach nur weiter liegen bleiben und mich nicht bewegen.

„Ach, ich bitte dich. So toll war der Typ jetzt auch wieder nicht. Er hat sich null für deine Hobbys interessiert und nur gezockt. Ehrlich, Sam. Du hast etwas Besseres verdient. Das wirst du allerdings nicht finden, wenn du hier in deinem Stinkezimmer weiter weggammelst. Mal im Ernst, wonach riecht das hier, verdammt?“

Ich schnupperte in der Luft und ein beißender Gestank stieg mir in die Nase. Das war mir vorher gar nicht aufgefallen, aber der Windzug wirbelte den Geruch um mein Gesicht und sorgte dafür, dass ich einen tiefen Zug des widerlichen Aromas einatmete. Ich hob einen Arm und schnüffelte unter meiner Achsel, nur um sicherzugehen, dass ich nicht die Ursache war. Aber leider irrte ich mich. „Nach mir, fürchte ich.“

Luzie trat neben mich und beugte sich über mich. Ihre roten Haare hingen ihr dabei wie ein Vorhang um das Gesicht. Sie rümpfte die Nase und hielt sie dramatisch mit zwei Fingern zu. „Halleluja, und wie das nach dir müffelt. Sieh zu, dass du unter die Dusche kommst. Unser Urlaub ist vorbei, wir müssen zur Arbeit. Und danach schauen wir, dass wir dich wieder geraderücken.“ Sie stemmte die Hände in die Hüften und starrte entschlossen zu mir herunter.

„Okay“, gab ich mich geschlagen und robbte über den Boden in Richtung Bad, das glücklicherweise direkt gegenüber von meinem Zimmer lag. Vermutlich machte ich einen sehr erbärmlichen Eindruck, aber das war mir egal.

„Guten Morgen, Dornröschen. Ist der Schönheitsschlaf vorbei?“, fragte Tabbi lachend, während sie im Flur über mich drüberstieg. Sie lehnte sich an die Wand, nippte an ihrem Kaffee und beobachtete mich, wie ich die letzten Zentimeter bis zur Badezimmertür zurücklegte.

„Klappe“, jammerte ich.

Tabea, die wir nur Tabbi nannten, und Luzie, Spitzname Lu, waren seit der Grundschule meine beiden besten Freundinnen. Ehrlich gesagt, waren sie auch meine einzigen Freunde. Und wären wir nicht schon so lang befreundet gewesen, hätten sie mich in der letzten Zeit sicherlich nicht ertragen. Die beiden wussten, wie man nach einer Trennung mit mir umgehen musste, immerhin hatten sie all meine Beziehungsenden miterlebt. Dabei hatte ich nicht wirklich einen hohen Männerverschleiß. Im Gegensatz zu Luzie, die schnell von einer großen Liebe zur nächsten sprang, war ich mit drei gescheiterten Beziehungen eher eine Heilige. Den ersten Mann in meinem Leben hatte ich in der sechsten Klasse kennengelernt und mit ihm nicht mehr gemacht als Händchen zu halten, bis der frühreife Typ mich zu mehr überreden wollte und ich ihm den Laufpass gegeben hatte.

Den Zweiten, Dennis, lernte ich nach dem Schulabschluss kennen. Er war anfangs verständnisvoll und drängte mich zu nichts, aber … diese Zeit schlug schnell um. Ich dachte, er wäre meine große Liebe. Mein „Für immer“, aber da hatte ich mich getäuscht. Sobald wir zusammengezogen waren, veränderte sich Dennis von Grund auf. Er hatte tiefe Narben auf meiner Seele und auf meinem Körper hinterlassen und wollte mich von allem isolieren, aber zum Glück ließen sich meine Freunde nicht so leicht aus meinem Leben verbannen. Sie halfen mir dabei, Dennis zu verlassen. Vermutlich war es mein großes Glück, dass er sich da schon ein anderes Mädchen gesucht hatte, das nach seiner Pfeife tanzte, ansonsten bezweifelte ich, dass er mich einfach so hätte gehen lassen.

Danach war ich eine Zeit allein gewesen und hatte das Erlebte verarbeitet.

Ich schaffte es ins Badezimmer, klammerte mich an den Badewannenrand und stemmte mich in die Höhe.

Hätte ich das mal lieber gelassen. Im Spiegel über dem Waschbecken blickte mir jemand entgegen, der wenig zu tun hatte mit dem hübschen Mädchen, das ich vor ein paar Wochen noch gewesen war. Ich will nicht eingebildet klingen und würde mein Aussehen eher auf eine gute Mittelnote beziehen. Nicht hässlich, aber auch kein Supermodel. Na ja, mein Spiegelbild zeigte jedenfalls eine Art auferstanden Zombie mit Vampircharme. Nennen wir es beim Namen: Ich war ein Haufen Elend. Tiefe, lilafarbene Augenringe, blass wie ein ungesundes Schneewittchen und meine Mundwinkel hingen traurig nach unten.

„Verdammte Scheiße“, entfuhr es mir und ich betastete mein Gesicht, um sicherzugehen, dass es sich bei dem Spiegelbild tatsächlich um mich handelte.

„Na, Sonnenschein? Hast du in den Spiegel gesehen?“, rief Lu aus dem Flur.

Sie schob die Hand durch die offene Tür und schwenkte eine halbvolle Tasse Kaffee. Da ich Kaffee liebte, ließ ich Lu eintreten.

„Liebes, ehrlich. Wir müssen zusehen, dass wir dich halbwegs wiederherrichten. In einer Stunde müssen wir auf der Arbeit sein.“ Sie musterte mich eindringlich und runzelte die Stirn, als stünde sie einer unmöglichen Aufgabe gegenüber. „Ich hole dir frische Klamotten.“

Sie stellte noch die Dusche an und verschwand.

Ich entledigte mich meiner Kleidung, stellte mich unter den warmen Duschstrahl und ließ die fallenden Wassertropfen meinen Körper massieren. Es war ein unglaublich entspannendes und wohltuendes Gefühl, bei dem sich sogar ein kleines Lächeln auf meine Lippen stahl. Ich gab mein Erdbeerduschgel auf den Luffaschwamm, schäumte mich ein und schrubbte den ganzen Dreck der letzten zwei Wochen von meiner Haut. Natürlich hatte Max sich gleich an meinem ersten Urlaubstag von mir trennen müssen. Dass ich nicht verhungert war, hatte ich einzig und allein meinen Mädels zu verdanken. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie mich auch zwangsernährt hätten, wenn es nötig gewesen wäre.

Max traf ich während meiner Ausbildung zur Arzthelferin. Er gab sich Mühe dabei, mich kennenzulernen und bedrängte mich zu keinem Zeitpunkt, aber ich konnte mich ihm nicht wirklich öffnen. Immer wieder quälte mich die Angst, dass es am Ende so laufen würde wie mit Dennis. Er zwang mich nicht zum Sex, aber man merkte ihm schnell an, dass es ihm nicht gefiel, darauf zu verzichten. Eines Abends stand er plötzlich mit gepackten Koffern vor meiner Haustür, weil sein Vermieter ihn rausgeschmissen hatte. Ich fühlte mich schuldig, da ich ihn nicht körperlich an mich heranlassen wollte, und gestand ihm deshalb zu, bei mir einzuziehen. Kurz darauf hatten wir einmal Sex miteinander und Max gab sich Mühe, auf mich einzugehen, aber meine Angst war zu groß. Ich konnte mich nicht fallen lassen und dadurch war es für mich zwar kein schmerzhaftes, aber ein unschönes Erlebnis, weswegen ich danach jeden Annäherungsversuch abblockte. Und vermutlich war genau deswegen auch diese Beziehung zum Scheitern verurteilt gewesen.

Als wir sieben Monate zusammen waren, hatte Max mir eiskalt ins Gesicht gesagt, dass er jetzt eine neue Freundin hätte, die er schon seit sechs Monaten vögelte, weil ich es im Bett nicht gebracht hatte. Daraus konnte ich ihm nicht einmal einen Vorwurf machen. Trotzdem schmerzte es. Ständig fragte ich mich, warum er mich nicht gleich abserviert hatte. Die Erklärung dazu war einfach: Er hatte bei mir umsonst gewohnt. Max musste weder Miete zahlen, noch den Einkauf erledigen. Vor zwei Monaten kam ich in meine Wohnung – ich betone das jetzt mal extra: es war meine Wohnung! –, da waren meine Sachen bereits in Kisten verpackt und Chantal, seine neue Freundin, war eingezogen. Da ich kein Mensch war, der Konfrontationen suchte, war ich in die WG meiner besten Freundinnen gezogen und hatte Luzie damit ihres zweiten Zimmers beraubt, das sie sonst als begehbaren Kleiderschrank genutzt hatte. Luzie hätte mich für meinen Rückzug am liebsten verprügelt und fragte mich tagelang immer wieder, was mit mir nicht stimmte. So genau konnte ich das leider auch nicht sagen. Seit ich Chantal in meiner Wohnung gesehen hatte, fühlte ich mich leer, müde und kaputt. Mein gutmütiges Herz war in tausend Teile zersprungen und es wollte einfach nicht wieder heilen. Luzie hatte zum Glück mitgedacht. Während ich mich verkroch, hatte sie mit meinem ehemaligen Vermieter gesprochen und mich ohne weitere Umstände aus dem Vertrag holen können.

Schon etwas zufriedener stieg ich aus der Dusche und wickelte mich in ein großes Handtuch. Ich ging zurück in mein Zimmer und betrachtete das Chaos, das sowohl von meinem Selbstmitleidstripp als auch von meiner Mitbewohnerin stammte, die gerade meinen Kleiderschrank auseinandernahm.

„Wir müssen shoppen gehen“, sagte Lu. Sie verschränkte trotzig die Arme vor der Brust und schnaufte wütend, scheinbar hatte sie nichts Passendes gefunden. „Tabbi?“, schrie sie, während sie mich auf einen Stuhl bugsierte.

„Ja?“ Tabbis blonder Lockenkopf tauchte in der Tür auf. „Was gibt’s?“

„Ich brauche Klamotten von dir. Wir müssen Sam ordentlich einkleiden und ihr Schrank ist voller Müll. Kannst du uns eine Hose und ein Oberteil von dir leihen? Am besten auch Unterwäsche, Socken … Weißt du was, stell ihr bitte einfach ein komplettes Outfit zusammen. Ich kümmere mich um ihre Haare und das Make-up.“

Tabbi salutierte vor Lu. „Jawohl, Ma’am.“

Lu schnappte sich meine Haarbürste und stellte sich hinter mich.

„Ich kann das auch allein“, sagte ich trotzig, weil ich das Gefühl hatte, wie ein kleines Kind behandelt zu werden.

„Ja, aber wenn du das jetzt allein machst, kommen wir zu spät zur Arbeit.“

Ohne weiter auf meine Nörgeleien einzugehen, kämmte und föhnte Luzie meine Haare. Sie schnappte sich ihr Make-up-Täschchen und trug ein wenig von der Foundation auf mein Gesicht auf, versteckte meine Augenringe unter einer weiteren Schicht Concealer, trug mit einem Pinsel Puder auf und tuschte mir die Wimpern.

Tabbi brachte mir eine dunkle Jeans, einen schwarzen Pullover und schwarze Unterwäsche. Als ich mich fertig umgezogen hatte, sah ich tatsächlich wieder akzeptabel aus. Wären da nicht diese herunterhängenden Mundwinkel gewesen, hätte man mich sogar wieder als offenen oder freundlichen Menschen einstufen können.

Auf der Arbeit brauchten wir zum Glück keine besondere Kleidung. Es gab nur zwei Regeln. Erstens: die Klamotten dürfen nicht zu freizügig sein, zweitens: Unser Namensschild muss immer zu sehen sein. Luzie und ich arbeiteten in einer Augenarztpraxis, ungefähr zehn Minuten mit dem Auto von unserer WG entfernt. Im Sommer zwang mich Lu sehr oft, mit dem Fahrrad zu fahren, weil das umweltschonender war. Damit hatte sie recht und es war toll, dass sie auf den Klimaschutz achtete, aber ich war faul. Dementsprechend war ich auch nie begeistert, wenn sie die Fahrräder aus dem Kellerabteil holte. Da ich aber – wie ich bereits erwähnt hatte – kein Konfrontationstyp war, gab ich mich jedes Mal geschlagen.

In der Praxis angekommen, fuhren wir erst alle Geräte hoch, bevor wir die Patienten, die schon um sieben Uhr morgens eine Schlange vor der Tür bildeten, hereinließen. Wie immer beschwerten sich ein paar, dass sie vor der Tür warten mussten, obwohl wir schon da waren – aber wir öffneten eben erst um halb acht. Lu und ich waren es gewohnt, sie lächelnd darauf hinzuweisen, dass wir den Empfang noch vorbereiten mussten.

Uschi, unsere gute Seele und die Älteste im Team, trudelte gerade noch rechtzeitig zur Öffnungszeit ein. „Sorry, Mädels. Oma hat verschlafen“, entschuldigte sie sich und verstaute ihre Jacke und Tasche in dem kleinen Raum, den wir liebevoll Kabuff nannten.

„Kein Problem.“ Lu lächelte ihr zu. „Bist ja noch rechtzeitig da.“

Uschi schielte in meine Richtung. „Sam, möchtest du heute die Anmeldung machen, oder kannst du dich mit den Geräten in unserer Dunkelkammer anfreunden?“

Subtiler hätte sie mir nicht sagen können, dass ich scheiße aussah. „Ich nehme die Dunkelkammer“, willigte ich seufzend ein.

In der kleinen Kammer standen die Geräte, die ohne Lichteinfluss betrieben werden mussten. Da konnte ich also noch so scheiße aussehen, die Patienten würden es nicht bemerken. Zum Glück hatten wir an einem Mittwoch angefangen zu arbeiten, was bedeutete, dass wir nur einen halben Tag hatten. Das machte den Stress leider nicht weniger. Gerade nach dem Urlaub hatten plötzlich alle Menschen Probleme.

Als wir Stunden später endlich Feierabend hatten, freute ich mich auf mein Bett. Allerdings war Lu mal wieder anderer Meinung als ich, und so landeten wir in der Shoppingmall. Sie zerrte mich von einem Geschäft zum nächsten, ließ mich unzählige Klamotten anziehen und spendierte mir am Ende zur Belohnung eine Schachtel mit chinesischen Nudeln, die ich mehr als alles andere liebte. Ehrlich, von den Dingern konnte ich mich tagelang ernähren und hätte nie das Gefühl, dass sie mir zum Hals heraushingen.

„Das sollten wir öfter machen“, wandte sich Lu an mich, mit einem hoffnungsvollen Schimmer in der Stimme.

„Ja, war ganz lustig“, räumte ich ein, was hauptsächlich meinem Lieblingsessen geschuldet war. Aber auch wenn mein Bett mir lieber gewesen wäre: Das hier war nicht schlecht. Ich war draußen, unter Menschen und fühlte mich relativ gut. Ich hatte sogar den Blödmann Max für eine kleine Weile vergessen.

„Na, siehst du.“ Meine beste Freundin strahlte mich an. Ich lächelte zurück und warf die Nudelverpackung in einen der Mülleimer. Als mein Blick auf die Bank daneben fiel, atmete ich erleichtert auf. Meine Füße schmerzten vom vielen Laufen, also setzte ich mich, ließ meine Tasche auf den Boden fallen und streckte die Beine aus.

„Ich geh noch kurz hier rein, ja? Wartest du auf mich?“, fragte Lu und schielte auf den Eingang des Geschäfts, vor dem die Bank stand.

„Klar, geh nur.“ Froh über die kurze Pause schloss ich die Augen, während sie verschwand.

Blöderweise hatte ich mir den falschen Platz für meine Pause ausgesucht. Ich war so in Gedanken vertieft, dass ich die Menschen um mich herum gar nicht mehr wahrnahm – bis etwas Kaltes auf mein Oberteil schwappte.

„Oh, verdammt!“, fluchte jemand und ich riss die Augen auf.

Irritiert sah ich mich um, bis ich bemerkte, dass ein Kerl zu meinen Füßen auf dem Boden lag. Er musste über meine Handtasche gestolpert sein, die zugegebenermaßen quer im Weg stand.

„Wie kann man so blöd sein, seinen Scheiß mitten in den Weg zu stellen?“, fauchte er und setzte sich auf. Dabei schaute er nicht mal in meine Richtung.

„Wie kann man so blind sein, eine Tasche zu übersehen?“, fuhr ich ihn an, während ich mein Oberteil inspizierte. Das Zeug war klebrig, roch süß und durchweichte den Stoff. Zum Glück hatten die Mädels mich in einen schwarzen Pullover gesteckt, sonst hätte der Kerl vermutlich jetzt einen perfekten Blick auf meinen BH bekommen.

Sein Kopf schnellte zu mir herum und er betrachtete mich einen Moment schweigend. Mein Herz setzte einen Schlag aus, als er mich aus blauen Augen anfunkelte. Während er aufstand, wanderte sein Blick an mir empor. Ein breites Grinsen stahl sich auf seine Züge und legte zwei süß aussehende Grübchen frei.

Schnell wandte ich mich von ihm ab und kramte in meiner Tasche nach einem Taschentuch. Leider war ich keines dieser Mädchen, die die typische Handtaschenausstattung mit sich führten, also suchte ich vergeblich.

„Hier.“ Ein weißes Papiertuch tauchte vor meiner Nase auf. Ich sah auf und blickte erneut in das blaue Augenpaar. Der Kerl war wahnsinnig attraktiv. Er hatte schwarze Haare und ein markantes Kinn, auf dem sich ein feiner Bartschatten abzeichnete. Und er hatte absolut heiße Lippen. Ich wusste bis jetzt nicht, dass Lippen heiß sein konnten, aber verdammt noch mal: Seine waren der Wahnsinn. Perfekt geschwungen und voll. Er war mit Sicherheit ein guter Küsser.

Als er bemerkte, dass ich seine Lippen anstarrte, verzog er sie zu einem frechen Grinsen. Ich spürte, wie meine Wangen heiß wurden. Vermutlich war ich so rot wie eine Tomate, darum drehte ich mich schnell von ihm weg.

Er lachte kurz auf, umrundete mich und hielt mir erneut das Taschentuch hin. Ohne aufzublicken, nahm ich es ihm ab.

„Danke“, nuschelte ich verlegen.

„Kein Problem“, erwiderte der Kerl. Er hatte eine freundliche und tiefe Stimme, die sofort einen Schauer über meinen Rücken laufen ließ.

„Hey, Sam. Was ist passiert?“, fragte Luzie alarmiert, als sie aus dem Laden auf mich zukam und die Flecken auf meinem Shirt bemerkte.

„Ich bin gestolpert und habe meinen Smoothie über deine Freundin geschüttet“, gestand der Kerl, bevor ich etwas sagen konnte.

„Kannst du nicht aufpassen, du Idiot?“, fuhr sie ihn an.

Zu meiner Überraschung grinste dieser nur breit und zuckte mit den Achseln.

Luzie überprüfte noch einmal mein Oberteil, bevor sie sich dem Typen zuwandte. „Bist du nicht der Kerl, der in der Herbie Werkstatt bei uns um die Ecke arbeitet?“, fragte sie.

„Wenn ihr die Mädchen seid, die in der Nähe unserer Autowerkstatt wohnen, dann ja“, antwortete er freundlich.

Luzie schüttelte den Kopf. „Gut, du kannst jetzt gehen“, entließ sie ihn.

Er lachte erneut auf. „Okay, vielen Dank. Dann wünsche ich euch noch einen schönen Tag. Und Sam: Es tut mir wirklich leid, dass du meinen Smoothie abbekommen hast.“

„Schon gut“, nuschelte ich.

„Der war heiß“, bewertete Luzie den Kerl, als er außer Hörweite war.

„Wenn du das sagst.“

„Ach, komm. Du hast ganz schöne Kulleraugen bekommen bei dem Sahneschnittchen“, zog sie mich auf.

„Habe ich gar nicht!“, verteidigte ich mich.

„Natürlich nicht.“ Meine beste Freundin seufzte und schüttelte lächelnd den Kopf. „Komm, wir sollten nach Hause gehen.“

***

Zu Hause werkelte Tabbi fleißig in der Küche.

„Da seid ihr ja endlich. Ich dachte schon, ich muss allein essen … Sam, was ist denn mit dir passiert?“

„Ein Kerl hat sie mit einem Smoothie bekleckert.“

„Was für ein Idiot!“

„Ja, aber ein ziemlich heißer Idiot“, weihte Lu Tabbi ein und wackelte verräterisch mit den Augenbrauen. „Und er ist quasi unser Nachbar.“

„Oh, jetzt wird es spannend.“ Tabbi stellte drei Teller auf den Tisch und sah mich erwartungsvoll an.

„Er war ganz nett“, gestand ich. Ich setzte mich an den Tisch und schaufelte eine Kelle der köstlich duftenden Suppe auf den Teller. Tabbi und Lu taten es mir gleich.

„Ganz nett ist untertrieben. Der war verdammt heiß!“

Tabea grinste und füllte ihr Glas mit Cola. „Und was für ein Nachbar soll er sein?“

„Er arbeitet in der Herbie Werkstatt“, verkündete Lou.

Die Herbie Werkstatt war in der Vergangenheit des Öfteren zu unserem Lebensretter geworden. Hubert, der Betreiber, hatte nie ein Problem damit, kurz bei uns vorbeizuschauen, wenn irgendetwas mit unserem WG-Auto nicht stimmte. Er machte immer gute Preise und erledigte kleinere Reparaturen oft auch ohne Bezahlung, was ihn umso sympathischer machte.

„Ach. Schwarze Haare, blaue Augen, unser Alter?“, fragte Tabbi. Als Lu überrascht nickte, grinste sie. „Ja, Fynn ist wirklich heiß.“

„Du weißt, wie er heißt?“, fragten Lu und ich im Chor.

Sie nickte. „Als ich das letzte Mal ein Problem mit dem Auto hatte, war Hubert nicht da. Fynn aber. Er hat das Auto repariert. Er ist genauso freundlich, wie er abweisend ist. Aber er ist heiß.“

„Können wir uns über etwas anderes unterhalten?“, fragte ich und rührte in meiner Suppe.

„Okay“, willigte Lu überraschenderweise ein. „Wie ich dir heute Morgen schon gesagt habe: Wir brauchen einen Plan, um dich wieder auf die Beine zu bekommen. Ich habe eine tolle Idee.“

Ah. Deshalb wechselte sie das Thema. „Bitte nicht“, flehte ich leise. Wenn Luzie eine Idee hatte, endete diese meist damit, dass ich mich fürchterlich blamierte.

Wie immer ließ Lu sich nicht davon abbringen, ihren Plan zu erklären. „Ich habe eine Liste mit 13 Aufgaben erstellt, die du dieses Jahr erledigen musst. So kommst du aus der Wohnung raus und erlebst mal wieder ein wenig mehr.“

Ich verdrehte die Augen. „Ich bin aber gerne hier.“

„Das weiß ich. Und ich weiß auch, dass du deine Kunst oder dein Buchprojekt, an dem du seit einem Jahr schreibst, als Ausrede benutzt“, sagte sie strafend.

Auch damit hatte Lu recht. Ich verkroch mich gern in meinem Zimmer und arbeitete an meinen Zeichnungen oder schrieb an meinem Buch. Wirklich Hoffnung, es irgendwann zu veröffentlichen, hatte ich nicht, aber es lenkte mich von meinem Alltag ab.

„Was steht denn so auf der Liste?“, fragte Tabbi neugierig.

Luzie zog ein Blatt Papier aus ihrer Hosentasche und hielt es ihr entgegen. Tabbi las die Zeilen sorgfältig durch, dann begann sie schallend zu lachen.

„Oh Mann, Sam, du tust mir jetzt schon leid.“ Sie reichte mir die Liste und ich überflog die Zeilen.

To-Do-Liste

1. Steig auf einen Berg und schreie.

2. Veranstalte eine Pyjama-Party mit Sekt.

3. Ahme in einem Museum die Ausstellungsstücke nach.

4. Mach ein sexy Fotoshooting.

5. Lass dir ein Tattoo stechen.

6. Konfrontiere dich mit deiner Angst.

7. Schreibe einen Brief an einen Fremden.

8. Sprich dich mit dem Menschen aus, der dir in deiner Kindheit am meisten wehgetan hat.

9. Lass dich von einem Fremden einkleiden.

10. Küsse einen Fremden.

11. Wage dich an ein Blind Date mit einem heißen Typen.

12. Singe und tanze vor fremden Leuten.

13. Trau dich, dich fallen zu lassen.

„Auf gar keinen Fall!“, schoss es sofort aus mir heraus.

„Komm schon. Gib dem Ganzem eine Chance“, bettelte Lu.

„Nein. Diese Dinge sind absolut dämlich.“

„Es sind Dinge, die du nie machen würdest. Das wäre eine tolle Übung, um über deinen Schatten zu springen“, meinte Tabbi, wofür sie sofort einen bösen Blick von mir kassierte.

„Siehst du, Tabbi denkt auch, dass das eine gute Idee ist“, wandte sich Lu an mich.

„Nein, Mädels. Ich werde diese Punkte definitiv nicht abarbeiten!“ Fest entschlossen erhob ich mich und knüllte das Papier zu einer Kugel zusammen. „Ich gehe jetzt schlafen.“

Auf dem Weg zu meinem Zimmer ließ ich den Papierball in den Mülleimer fallen.

„Das ist ein Fehler“, warnte mich Lu.

„Schön für dich!“, rief ich kopfschüttelnd durch den Flur und schloss meine Zimmertür.

***

Als ich am nächsten Morgen in die Küche kam, wartete Luzie schon mit einem breiten, sehr beängstigenden Grinsen auf mich.

„Was?“, fragte ich sofort genervt. Ich holte eine Tasse aus dem Hängeschrank, öffnete den Kühlschrank und nahm den Milchkarton raus.

„Ich habe die Liste aus dem Müll gefischt“, informierte mich Luzie, während ich mir ein Glas eingoss.

„Das ist toll für dich“, sagte ich schulterzuckend. Sollte sie die Liste doch behalten.

„Hängst du eigentlich an den ganzen Büchern in deinem Zimmer?“

Augenblicklich hatte sie meine uneingeschränkte Aufmerksamkeit. Ich fuhr zu ihr herum und runzelte die Stirn, als ich ihr unschuldiges Lächeln sah. Meine Bücher waren mein Heiligtum und ich verstand absolut keinen Spaß, wenn sie mir jemand wegnehmen wollte.

Mit einer bösen Vorahnung ließ ich die Milch stehen und rannte in mein Zimmer. Schnell schaltete ich das Licht ein. Auf den ersten Blick war alles wie immer. Mein Bücherregal war voll und es schien nicht so, als würde einer meiner Schätze fehlen. Als ich jedoch auf meinen Nachttisch spähte, bemerkte ich, dass mein neuster, von der Autorin signierter Liebesroman verschwunden war.

Wütend stapfte ich in die Küche zurück. „Wo ist es?“

„Was?“, fragte sie scheinheilig und klimperte mit den Wimpern.

„Mein Buch!“, fuhr ich sie an.

„Oh, meinst du das hier?“ Sie zog den Roman hinter ihrem Rücken hervor und wedelte damit vor meiner Nase.

„Gib es zurück!“, befahl ich barsch.

„Wenn du die Punkte von der Liste abgearbeitet hast, bekommst du es wieder“, verhandelte sie. „Ansonsten wirst du dich nicht nur von diesem einen Exemplar verabschieden müssen.“

„Luzie, ich mache mit meinen Büchern keine Scherze!“

„Sei eine brave Freundin und bearbeite die Liste, dann sind deine Schätze sicher.“

Einige würden jetzt bestimmt sagen Hey, das sind nur Bücher, kauf sie dir einfach neu, aber geschätzt vierhundert Bücher neu zu kaufen, geht ganz schön ins Geld, und da sie meine einzige Flucht aus dem Alltag waren, waren sie mir alle wichtig.

„Das ist fies“, mischte sich Tabbi mit ein. Sie rieb sich noch den Schlaf aus den Augen und gähnte herzhaft, bevor sie nach meinem Milchglas griff und einen großen Schluck daraus trank. „Du weißt genau, dass sie die Bücher mehr liebt als uns.“

Ganz so weit würde ich vielleicht nicht gehen, trotzdem nickte ich.

Luzie grinste. „Ja, es ist ein guter Anreiz für unsere liebe Sam.“

Ich knurrte sie an, was sie zum Lachen brachte.

„Ansonsten habe ich aber auch ein Video von dir, wie du in einer Karaokebar zu Whitney Houston singst. Weißt du noch, an meinem achtzehnten Geburtstag? Wäre blöd, wenn das auf Facebook veröffentlicht wird. Eigentlich fand ich das ein wenig zu heftig, aber wenn du mir keine andere Wahl lässt …“

Alle Farbe wich aus meinem Gesicht und ich stolperte erschrocken einen Schritt zurück.

„Das traust du dich nicht!“, flüsterte ich.

„Übertreib es nicht, Luzie“, mahnte Tabbi sie, aber sie ließ sich davon nicht abschrecken.

„Es tut mir wirklich leid und ich greife ungern zu solchen Methoden, aber Sam muss hier mal raus und diese Liste könnte ihr helfen. Ich sehe es als meine Pflicht, Sam ein wenig herauszufordern!“

„Das ist kein Herausfordern! Wenn du das Video veröffentlichst, ist das demütigend für deine Freundin! Das ist nicht in Ordnung, Luzie!“, rügte Tabbi sie, woraufhin sie seufzend kleinbeigab.

„Na schön. Ich werde das Video nicht mehr zur Sprache bringen, aber deine Bücher werden trotzdem daran glauben!“, sagte sie entschlossen.

Ehrlich gesagt reichte mir die Tatsache, dass Luzie dieses peinliche Video von mir hatte, aus, um fast alles zu tun, was sie von mir verlangte. Auch wenn sie es vermutlich nicht veröffentlichen würde, wollte ich auf keinen Fall riskieren, dass sie es sich anders überlegte.

„Schön! Ich mache es, aber sobald diese dämliche Liste abgearbeitet ist, löschst du das Video!“, forderte ich sie auf.

Grinsend nickte sie. „Wenn du die Aufgaben erfüllt hast, werde ich das Video für alle Zeiten aus meinem Speicher löschen.“

Das Tattoo-Studio, in das mich Luzie drei Tage später zerrte, war nicht besonders groß. Es bestand nur aus einem kleinen Eingangsbereich, einer Art offenen Küche und zwei Arbeitsräumen. An der Wand hingen unendlich viele Bilder von Skizzen und Tattoo-Vorlagen, auch ein paar Fotos der drei Angestellten waren vorhanden. Auf einem Regal standen mehrere Funko-Pop-Figuren von unterschiedlichen Superhelden.

„Also, ihr beiden. Was kann ich für euch tun?“, fragte der bärtige Studiobesitzer und nahm uns gegenüber auf einem klapprigen Stuhl Platz. Uns hatte er das bequeme Sofa überlassen. Seine Stimme war ein wenig rau und heiser, vermutlich rauchte der Kerl.

„Wir wollen uns ein Tattoo stechen lassen“, informierte Luzie ihn.

Der Tätowierer nickte. „Habt ihr schon eine Idee, in welche Richtung es gehen soll?“

„Also bei unserer Sam hier …“ Sie machte eine kurze Pause, um auf mich zu zeigen. Dabei grinste sie verschlagen. Sie kramte in ihrer Tasche herum und zog ein Blatt hervor, das sie sofort an den Tätowierer reichte. „… hatte ich an das hier gedacht. Sie hat es selbst gezeichnet und es vereint all ihre Hobbys.“

Mir schwante Böses, als ich die Hand ausstreckte. „Darf ich das mal gerade haben?“

Der Kerl betrachtete das Bild ganz genau. Als er den Blick hob und mich erstaunt und beeindruckt ansah, schoss mir die Hitze in die Wangen. „Das ist echt gut“, sagte er und gab mir die Skizze.

Es war das Bild mit dem Füllfederhalter, der in eine Federstruktur überging. An der linken Seite schoben sich ein Kompass und eine Rose in den Vordergrund und hinter dem Kompass durchquerte ein Pinsel das Bild. Als ich die Skizze damals beendet hatte, hatte ich Luzie gesagt, dass ich genau dieses Motiv wählen würde, wenn ich mir jemals ein Tattoo stechen lassen würde. Nicht nur, weil es meine Hobbys vereinte, sondern auch, weil ich es selbst gezeichnet hatte. Allerdings hätte ich nie geglaubt, eines Tages wirklich in einem Tattoo-Studio zu sitzen. Allmählich wurde mir klar, warum dieser Punkt auf der Liste gelandet war.

„Ich sehe selten Leute, die so gut zeichnen können. Machst du beruflich irgendetwas in die Richtung?“, wollte der Tätowierer von mir wissen.

„Nein, ich bin medizinische Fachangestellte.“

„Vielleicht solltest du dir mal Gedanken machen, doch etwas in dem Bereich zu lernen. Du hast Talent, es wäre schade, wenn es verkümmert.“

„Das sage ich ihr auch ständig, aber sie will ja nicht hören“, fiel mir Luzie in den Rücken. Sie rammte mir den Ellbogen in die Seite und lächelte mich breit an.

„Jo, Dad? Ich bin auf dem Weg zur Arbeit. Komme heute etwas später“, rief eine männliche Stimme von der Eingangstür aus in den Laden. Ich drehte mich um und sah an der Tür einen großen, gut gebauten Kerl stehen. Unter einer grünen Beanie-Mütze lugten ein paar blonde Strähnen hervor. Als er meinen Blick bemerkte, verzog er die Lippen zu einem Lächeln und hob zum Gruß kurz die Hand.

„Alles klar. Viel Spaß mit den Jungs und treibt es nicht zu wild“, antwortete der Tätowierer, bevor die Eingangstür klackend ins Schloss fiel. „Das war mein Sohn Ryan“, klärte er uns auf. „Ryan würde dir das Tattoo auch stechen. Er ist fantastisch, wenn es um Schattierungen geht. Und gerade die braucht man bei einem schwarzen Motiv. Es sei denn, du möchtest lieber Farbe miteinbringen.“

„Nein, schwarz ist toll“, sagte ich schnell. So weit kam das noch.

„Gut. Ryan hat erst im Juli wieder Termine frei, ich denke aber, dass das nicht weiter schlimm ist. Wenn ich dich so ansehe, bist du dir nicht wirklich sicher, ob du das Tattoo tatsächlich haben willst, stimmt’s?“

Damit hatte er voll ins Schwarze getroffen. Ich lächelte ihn erleichtert an.

„Ich trage dich mal am vierundzwanzigsten um 16 Uhr ein. Das ist ein Mittwoch, passt dir das?“

Ich nickte. „Mittwochs ist super.“

Er lächelte und trug meinen Termin in das Büchlein ein. „Du musst mir nur eine Anzahlung von fünfzig Euro geben, die wir dann vom Endpreis abziehen werden. Es ist so gesehen meine Versicherung, für den Fall, dass du den Termin nicht einhältst und ich deswegen ein Verlustgeschäft mache“, klärte er mich auf.

Ich nickte, kramte nach meinen Portemonnaie und reichte ihm das Geld. Er steckte den Schein in seine Brieftasche und notierte neben meinen Termin, dass ich die Anzahlung bezahlt hatte.

„Was ist denn mit dir?“, fragte er meine beste Freundin, nachdem er sich eine Tasse aus dem Hängeschrank über der Kaffeemaschine geholt hatte.

„Ich habe mir eine Vorlage von einem Schmetterling aus dem Internet gesucht. Er hat schwarze Umrandungen und Wasserfarbenelemente, was mir total gefällt.“ Luzie suchte die Vorlage heraus und zeigte sie dem Typen.

Er nickte fachmännisch. „Kein Problem. Wenn du 150 Euro dabeihast, könnten wir es sogar jetzt gleich machen. Mir ist jemand ausgefallen und ich habe ein wenig Zeit bis zum nächsten Termin.“

Lus Augen wurden groß. „Äh, ja klar! Ich müsste allerdings kurz zum Geldautomaten laufen.“

„Kein Problem.“

Luzie war innerhalb von Sekunden aus dem Laden gestürmt. Ich blieb allein mit dem Typen zurück, dessen Namen ich immer noch nicht kannte. „Wie heißen Sie eigentlich?“, fragte ich ihn deshalb direkt.

„Ach herrje. Ich habe mich gar nicht vorgestellt.“ Er lächelte entschuldigend und rieb sich den Nacken. „Mein Name ist Paul Summers, aber bitte nenn mich Paul. Ich mag es nicht, gesiezt zu werden. Da komm ich mir so alt vor.“

„Ich bin Samanta, aber alle nennen mich Sam“, stellte ich mich vor.

„Freut mich, dich kennenzulernen. Sag mal, das Tattoo ist die Idee deiner Freundin, oder?“

„Ja“, gestand ich.

„Und du willst das wirklich haben? Ein Tattoo kannst du nicht einfach wieder abwaschen, wenn es dir nicht mehr gefällt. Ich will nicht, dass du etwas machst, was du selbst nicht willst“, sagte er ehrlich.

„Ich weiß. Ich möchte es eigentlich schon länger, aber ich habe Angst“, gestand ich.

„Vor den Schmerzen?“

Ich schüttelte den Kopf. „Vor der Nadel.“

„Du bist eine Arzthelferin mit Angst vor Nadeln?“

„Deswegen arbeite ich bei einem Augenarzt. Da haben wir nichts mit Nadeln zu tun.“

„Verstehe.“ Er nickte ein paarmal. „Die Nadeln sind sehr klein. Das Geräusch ist schlimmer als das Stechen.“

„Ehrlich?“

„Ehrlich. Ich erkläre dir alles gleich, wenn wir deine Freundin tätowieren“, versprach er und nahm mir damit ein wenig meiner Angst.

Zehn Minuten später war Luzie zurück und durfte sofort auf einer Liege Platz nehmen. Paul hatte das Motiv bereits abgepaust und bat sie, ihr Shirt anzuheben. Sie folgte der Anweisung und der Tätowierer platzierte die Vorlage genau nach Luzies Wunsch auf der rechten Seite ihres unteren Rückens. Er platzierte es so, dass man das Motiv noch erkennen konnte, wenn Luzie einen Bikini trug. Paul ließ sie noch einmal in einem Spiegel die Position überprüfen und dann die Farben aussuchen. Sie entschied sich für ein helles und ein dunkles Blau sowie für ein knalliges Lila. Paul entfernte mit einem Rasierer die kleinen Haare an der Stelle und legte die Vorlage erneut auf ihre Haut. Dieses Mal drückte er sie fest auf die gewünschte Stelle und als er das Papier abzog, waren die Umrisse in einem blauen Ton auf Luzies Haut zu sehen.

„Komm her, Sam. Dann kann ich dir alles besser zeigen“, wandte sich Paul an mich. Ich umrundete die Liege und den kleinen Beistelltisch, auf dem mehrere kleine Farbdosen lagen. Er nahm die Tätowierpistole in die Hand und gab mir eine kleine, in Folie eingeschweißte Nadel, die ich für ihn auspacken sollte. Die Nadel war tatsächlich winzig. Er steckte sie auf die Pistole und schaltete das Gerät einmal kurz an, um zu testen, ob alles funktionierte. Das Geräusch erinnerte mich an die Geräte in einer Zahnarztpraxis.

Paul erklärte mir kurz jeden Schritt, bevor er mich wieder um die Liege herumschickte. Er stach erst die schwarzen Umrandungen und begann dann mit den Wasserfarbenelementen. Luzie zuckte nicht einmal mit der Wimper, ihr schien das Ganze überhaupt nichts auszumachen. Sie sagte zwar, dass es sich anfühlte wie eine Kugelschreiberspitze, die nach einer gewissen Zeit immer spitzer wurde, der Schmerz wäre aber nicht so schlimm, wie sie es sich vorgestellt hatte.

Nach knapp einer Stunde war Paul fertig. Er wischte ein letztes Mal die überschüssige Farbe und ein wenig Blut von Lus Haut, dann durfte sie endlich aufstehen und wir beide betrachteten das fertige Werk im Spiegel. Es war unglaublich. Die schwarzen Konturen harmonierten perfekt mit den Wasserfarben.

„Das ist der Wahnsinn“, jubelte Lu aufgeregt.

„Freut mich, dass es dir gefällt“, sagte Paul, der in der Zwischenzeit seinen Arbeitsplatz säuberte.

Er klebte noch eine Folie über das Tattoo und gab Luzie eine genaue Anleitung, wie sie es in der nächsten Zeit pflegen sollte.

„Vielen Dank noch mal“, bedankte Lu sich zum wiederholten Mal.

„Kein Problem. Sam, dich sehe ich im Juli wieder.“ Er lächelte mir zu.

„Ich freue mich schon.“ Das war die Wahrheit. Nachdem ich gesehen hatte, wie stolz Lu auf ihr Tattoo war, war ich ganz gespannt auf mein eigenes. Ich hatte zwar immer noch Angst vor den Schmerzen, aber ich war mir zumindest sicher, dass ich wirklich mein selbst gezeichnetes Motiv wollte. Und ich wusste auch genau, wohin.

Wir verabschiedeten uns von Paul und gingen zurück in unsere WG. Tabbi kam gerade von der Arbeit und wollte sofort das Resultat sehen. Im Gegensatz zu mir und Lu arbeitete sie als Einzelhandelskauffrau in einer kleinen Drogerie.

„Zum Glück ist heute Samstag. Was wollen wir drei Hübschen noch machen?“, fragte Lu in die Runde, nachdem sie ihr Tattoo voller Stolz präsentiert und von Tabbi bewundern lassen hatte.

„Keine Ahnung. Ins Kino gehen?“, schlug Tabbi vor.

„Das finde ich gut. Im Kino waren wir schon lange nicht mehr“, schloss ich mich dem Vorschlag an.

„Läuft denn irgendetwas Besonderes?“

Tabbi schnappte sich ihren Laptop und durchsuchte die Website. „Es läuft nur Schrott. Sorry, Mädels, aber das können wir vergessen.“

„Und was machen wir dann?“ Ich ging zum Kühlschrank, nahm eine Colaflasche heraus und stellte drei Gläser auf den Küchentisch.

„Ich habe eine Idee. Wo ist die Liste?“, fragte Lu, während Tabbi die Gläser füllte.

„Äh …“ Das war eine gute Frage. Ich tastete meine Hosentaschen ab, aber hier war sie nicht …

„Du hast sie verloren?“, fragte Luzie gespielt schockiert.

„Ähm … also weißt du, ich …“ Verdammt! Wo hatte ich diese doofe Liste hingelegt? Luzie würde mir das Leben zur Hölle machen, wenn es mir nicht schnell wieder einfiel.

„Schon gut. Du hast sie auf dem Tisch liegen gelassen und ich habe sie zur Seite gelegt, als ich gestern aufgeräumt habe“, erlöste mich Tabbi. Sie ging zu der braunen Kommode und holte den Zettel aus einer Schublade.

Luzie nahm ihr die Liste sofort ab und überflog sie. „Wie wäre es, wenn du dich um Punkt sieben kümmerst. Das ist relativ einfach.“

„Schreibe einen Brief an einen Fremden“, las Tabbi vor. „Stimmt, das ist nicht schwer. Aber du kannst nicht einfach einen Brief in einen fremden Briefkasten werfen.“

„Lass das mal meine Sorge sein. Sam muss nur den Brief schreiben, den Rest übernehme ich.“

„Ob das eine gute Idee ist?“, sprach Tabea meine Zweifel aus.

Ohne ein weiteres Wort eilte Luzie in ihr Zimmer und holte einen Block und einen Stift. „Bitte schön. Tob dich aus. Und denk dran, dass ich kontrollieren werde, ob du wirklich etwas auf das Papier geschrieben hast.“

Ich dachte an meine Lieblingsbücher und verzog mich widerwillig in mein Zimmer. Ich befreite meinen Schreibtisch von dem Unrat, der sich in meiner Depressionsphase angesammelt hatte, und setzte mich auf den Drehstuhl. Lange starrte ich auf das leere Blatt Papier und überlegte fieberhaft, was ich schreiben sollte. Was schrieb man einer fremden Person?

Hallo Fremder,

wie geht es dir?

Ich strich die beiden Sätze durch. Warum sollte ich ihn oder sie fragen, wie es demjenigen ging? Eine Antwort würde ich doch eh nicht bekommen. Immerhin hatte ich nicht vor, meine Adresse mit anzugeben.

Hallo Fremder,

du kennst mich nicht, aber ich dachte mir, ich schreibe dir mal.

Das war nicht viel besser.

Hallo Fremder,

ich schreibe Ihnen einen Brief, weil ich gezwungen wurde. Ich kenne Sie zwar nicht, aber weiß, wo Ihr Haus steht.

Toll. Jetzt klang ich wie irgendeine Psychopathin oder Serienkillerin. Das konnte doch nicht so schwer sein!

Ich warf unzählige Versuche in den Papierkorb. Schlussendlich beließ ich es bei dem letzten zu Papier gebrachten Zeilen. Es war schon spät und ich hatte einfach keine Lust, mir weiter Gedanken zu machen. Nachdem ich die Zettel in einem Umschlag verstaut hatte, übergab ich ihn Luzie, die das Kuvert freudestrahlend an sich nahm.

„Sehr schön. Ich bringe ihn am Montag weg“, sagte sie.

Irgendetwas an ihrem Lächeln hätte mich stutzig machen müssen.

Es war Montag. Der schlimmste Tag der Woche.

Für mich fehlte definitiv ein Tag zwischen Samstag und Sonntag. Das Wochenende war mal wieder zu kurz gewesen und zum Arbeiten war es noch viel zu früh.