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Können Märchen wahr werden? Ritter Lancelot ist im Auftrag des legendären König Arthurs auf der Suche nach dem Heiligen Gral. Dabei landet er ausgerechnet in der Gegenwart und trifft in Gettysburg auf Helena Benson, die seine Geschichte absurd findet. Zeitreisen? Eine Sagenfigur, die lebendig vor ihr steht? Unvorstellbar. Nicht zuletzt ihrem besten Freund Louis zuliebe, versucht sie der Möglichkeit offen gegenüber zu sein, dass so etwas wirklich passieren kann. Irgendwie fasziniert Helena der attraktive Unbekannte. Spätestens wenn sie selbst erlebt, dass fantastische Geschichten Wirklichkeit werden können, verliert sie ihr Herz an den attraktiven Ritter. Aber können sie überhaupt zusammen sein? Haben sie eine Zukunft, oder eine Vergangenheit miteinander? Und Lancelot ist als Ritter der Tafelrunde vollkommen seinem König verpflichtet, der ihm einen Auftrag gegeben hat. Hat er versagt oder ist der Heilige Gral vielleicht nicht das Gefäß, für das es gehalten wird? Ein Roman über Liebe, unbekannte Zeiten und Umstände, die der Fantasie freien Lauf lassen. Alles mit einem Hauch von Humor.
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Seitenzahl: 342
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Thru the times
ein Roman von
Madison McCall
Thru the times
Impressum
Texte: © Copyright by Madison McCall
Umschlaggestaltung: © Copyright by Madison McCall
Verlag:
Selfpublishing
Madison McCall
Lauenburg / Elbe
Ladungsfähige Anschrift über:
www.madisonmccall-autorin.dcom
Erscheinungsdatum: 17. Februar 2024
Vertrieb: epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin
WerdiesesSchwertausdem Stein zu ziehen vermag,
istderrechtmäßigeKönigBritanniens!
-Excalibur-
Eswarendrei,
dieallezeitmitdemHerrnwandelten:
Maria, seine Mutter und ihre Schwester undMariaMagdalena,
diemanseineGefährtinnannte
-PhilippusevangeliumSpruch32-
ThePresent
„GehdirruhigdieRedevonPräsidentLincolnansehen“,sagte HelenazuihrerstudentischenAushilfeFrances,mitdersie zusammen im American Civil War Museum arbeitete. Die Augen der 19jährigen jungen Frau leuchteten auf.
„Bistdusicher?“
„Ja.Wirsindhierfertig.Ichräumezusammenunddanngehe ich. – Viel Spaß!“
Frances raffte ihren Rock und lief davon. Helena sah ihr lächelndnach.Siekonntesichnochdaranerinnern,wieihre Eltern sie das erste Mal zur Nachstellung der Schlacht von Gettysburgmitgenommenhatten.DamalswarsiefünfJahrealt gewesen.IhreMomundsiewarenüberdenPlatzgeschlendert und hatten sich die Reden von General Lee und Präsident Lincolnangehört.Helenahattesichschrecklichgelangweilt unddennochhattesiediesesSpektakelinseinenBanngezogen und von da an war sie jedes Jahr am ersten Juli-Wochenende hiergewesen.AlsTeenagerwarsiedannselbstdasersteMal alsSoldatmitaufdemSchlachtfeldgewesen.DieGeschichte ihrer kleinen Heimatstadt prägte natürlich jeden Bewohner hier,aberHelenahatteseitKindertageneinebesondersenge Verbindung zur Geschichte des Bürgerkrieges aufgebaut. Für siehatteaußerFragegestanden,AmerikanischGeschichtezu studieren.UndsiehatteGlückgehabtundanderGeorgetown UniversityeinStipendiumerhalten.Jetztarbeitetesiefür dasCivilWarMuseum,welchesTeildesGettysburgAnniversary Committee war. Sie war vom Teilnehmer an der Nachstellung einer der entscheidenden Schlachten des Bürgerkrieges zu einer der Veranstalter geworden. Helena liebte es, an drei TagenimJahrregelrechtinsneunzehnteJahrhundertzureisen und wunderschöne Kleider mit Reifröcken zu tragen. Das war jedoch alles an Romantik. Viel zu tragisch waren die Ereignisse gewesen, die an diesem ersten Juli-Wochenende 1863 im Rahmen des Bürgerkrieges passiert waren. Zu viele Menschen hatten ihr Leben an diesen drei Tagen gelassen, unabhängig, ob sie zur Nord- oder Südstaatenarmee gehört hatten.
Helena holte unter dem Tisch, hinter dem sie stand, einen großen Weidenkorb hervor. Langsam schob sie die Übersichtskarte des Veranstaltungsgeländes und der SchlachtfelderzusammenundlegtesieordentlichindenKorb. GleichwürdensiefürdienächstenelfeinhalbMonatewieder ihren Stammplatz im Museum einnehmen. Eine Lichtreflexion ließsieaufsehenundkurzwurdesiegeblendet.Schmerzhaft kniffsiedieAugenzu.Alssiesiewiederöffnete,erblickte sie einen Mann, der, die Wiese überquerend, auf sie zukam. Suchend sah er sich um. Er trug einen roten Wappenrock und am Gürtel so etwas, das von Weitem wie die Attrappe eines Schwertes aussah, dessen Verzierungen am Griff vermutlich die Ursache für die Blendung gewesen waren. Helena zog die Stirn in Falten.
„Hey Lancelot! Du bist auf der falschen Veranstaltung!“, rief Helena ihm lachend entgegen, als er nur noch wenige Meter von ihr entfernt war. Der Fremde kam auf sie zu. Gut zwei Meter vor ihr blieb er stehen und verbeugte sich.
„Milady.Ihrhabtmicherkannt?“ Helena lachte laut auf.
„Wiebitte?“
Er trat einen Schritt näher, ergriff ihre Hand und deutete einen Handkuss an.
„LancelotoftheLake,zuEurenDiensten,Milady.“
HelenasahineinPaarunwiderstehlichegrau-blaueAugen.
„Hi. Ich bin Helena. Helena Benson. – Du weißt schon, dass das….“ Helena deutete mit dem Zeigefinger auf seine Erscheinung. „…nicht mit den Kostümregeln konform geht.“
„Was für Kostümregeln? Was meint Ihr?“ Er sah sie verwirrt an.
„DieRegelndesAnniversaryCommitteesfürdiesesWochenende besagen,dassmandenVeranstaltungsplatznurinderEpoche entsprechender Kleidung betreten darf.“
„UndIhrsehtwahrhaftbezauberndaus.“SeineAugenblitzten beinahe schelmisch auf, als er sie bewundernd musterte. Helena erwiderte seinen Blick aus karamellfarbenen Augen.
„Vielen Dank. Nichtsdestotrotz sind wir hier nicht bei irgendwelchenRitterspielen.Undaußerdemläuftjetztgerade die Abschlussrede. Sie sind also ohnehin zu spät.“
„Ich verstehe nicht, wovon Ihr da sprecht. Ich bin ganz gewiss nicht hier, um an einem Ritterspiel teilzunehmen. Aber vielleicht könnt Ihr mir helfen, Milady.“
„Klar. Sehr gern. Wenn ich kann. Dafür bin ich da.“
„Ich suche etwas“, deutete er an.
„Mhm.Undwas?“
„Nun…“, er sah sich kurz auf der Wiese um, an dessen Rand sie standen, wie, um sich zu vergewissern, dass sie nicht belauschtwürden.„VermutlichsucheichnacheinemHinweis. Es sieht nicht so aus, als würde hier das Objekt zu finden sein.“
HelenaverdrehtekurzdieAugenundseufzteinnerlich.„Und um was für ein Objekt der Begierde handelt es sich wohl? Wenn Sie es mir nicht sagen, kann ich nicht helfen.“
„Ich suche nach einem Hinweis, wo ich den Heiligen Gral finden kann.“
Helenalachteerneut.DerTypmachteihrSpaß.Wasredeteer da nur? Der Heilige Gral? Was hatte die Schlacht von Gettysburg mit dem Heiligen Gral zu tun?
„DerHeiligeGral?“,fragtesieschmunzelnd.
„Ja.Merlinhatmichgeschickt,denHeiligenGralzufinden.“
„Ichdachteimmer,daswäreParcivalgewesen.“
„Ihr kennt Parcival?“ Der Mann, der sich ihr als Lancelot vorgestellt hatte, sah sie überrascht an.
„Jeder kennt wohl die Sage über Arthur und die Ritter der Tafelrunde.“
„Sage?WasfüreineSage?“
Helena richtete für einen Moment den Blick gen Himmel. Was war nur los mit diesem Mann? Wie kam man auf solche Ideen? Aberirgendwiewaresauchamüsant.Siespieltealsovorerst mit.
„Eskonnteschließlichnieeinwandfreibewiesenwerden,dass König Arthur und die Ritter der Tafelrunde je existiert haben, aber die Geschichte hält sich bis heute.“
„WasmeintIhrmitbisheute?“
„Hörzu:Wirwissendochbeide,dassdunichtLancelotbist. Dann wärst du schließlich schon etwa eintausendfünfhundert Jahre alt. Und das bist du ganz offensichtlich nicht.“ Helena musterte den Mann ihr gegenüber unverhohlen und war sicher, dass er nur wenige Jahre älter war als sie selbst. Während sie sprach veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Erschrocken, schockiert. Es war nicht ganz einzuordnen.
„Eintausendfünfhundert Jahre? Das würde ja bedeuten, wir hätten….“ Erst jetzt sah er sich wirklich aufmerksam um. Aber hier gab es hauptsächlich Wiesen und Waldstücke.
„2019“,beendeteHelenadenSatz.„Ganzgenau.“
„Das ist nicht möglich! Ihr lügt! Wir schreiben das Jahr 528!“, empörte er sich. Helena zog überrascht fragend die Augenbrauen nach oben.
„Wie bitte? Warum sollte ich das tun? Ganz offensichtlich trage ich andere Kleidung, als es 528 üblich war.“ Helena deutete auf das Kleid aus dem neunzehnten Jahrhundert, welches sie trug. „Und selbst dieses Kleid gehört zu einer Zeit, die einhundertfünfzig Jahre her ist.“
Er besah wieder ihre Umgebung, nun vollständig verwirrt. Eintausendfünfhundert Jahre? Was bedeutete das? Als sein Blick wieder Helena traf, wirkte er geknickt und entschuldigtebei ihr für seinen Ausbruch.
„Ich weiß nicht, warum du glaubst, du wärst Sir Lancelot, aber das ist vollkommen unmöglich.“
„ICHBINSIRLANCELOT!Merlinhatmichgeschickt.“
Helenawusstenicht,wassiesagensollte.Vielleichtsollte sie ihn einfach ignorieren und stehen lassen. Sie fand den Mann ihr gegenüber durchaus attraktiv, aber sein Beharren darauf,Lancelot of the Lake zu sein, war mehr als sonderbar. Hatte er vielleicht einen Unfall gehabt und war daherdavonüberzeugt,einePersonzusein,vondermannicht mal wusste, ob sie wirklich gelebt hatte oder nur der Fantasie von ein paar Minnesängern entsprungen war?
„Okay. Ich mache dir einen Vorschlag: Du fährst mit mir in dieStadtunddannsehenwirweiter.Ichmussmichnurrasch umziehen.“
„Ichbinsicher,auchinReisekleidungwerdetIhrentzückend aussehen.“
„Ähm.. ja. Warte bitte hier. Ich bin in ein paar Minuten zurück.“
Lancelotverbeugtesichknapp.HelenarafftedenRockihres Kleidesundbeeiltesich,umzudenprovisorischenBarracken zulaufen,dieeigensfürdiesesWochenendeaufgebautworden waren. Dort hatte sie einen Spind, in dem ihre privaten Sacheneingeschlossenwaren.DasKleidmitReifrock,welches sie bis vor wenigen Minuten getragen hatte, hängte sie auf eine Kleiderstange, auf der schon andere Kleider von Kolleginnen und den vorherigen Tagen, hingen. Diese würden amfolgendenTagabgeholtundzurReinigunggebrachtwerden, damit sie bis zum nächsten Sommer im Keller des Museums verschwinden konnten.
SogernsiedieRobendesneunzehntenJahrhundertstrug,in ihrem Jeansrock, Chucks und einem Shirt fühlte sie sich entschieden wohler. Mit der Tasche, die sie sich quer über ihren schlanken Oberkörper gehängt hatte, ging sie zurück zum Veranstaltungsfeld. Sie sah Lancelot, der immer wieder ein paar Schritte in die eine und andere Richtung marschierte, seine rechte Hand auf dem Knauf seines Schwertes. Helena lächelte. Wie er da so auf und ab ging: selbstsicher, stolz, souverän. Man konnte fast glauben, er wäre wahrhaftig ein Ritter. Mit großen Schritten ging sie aufihnzu.SeinBlickfielaufsie,alssienurnochwenige Meter entfernt war und seine Augen weiteten sich entsetzt.
„Wasistpassiert,Milady?EuerKleid!“
„Nichts.DasistmeineAlltagskleidung.“
„Dasistabsolutunangemessen.MankannEureBeinesehenund EureFigur.“Währenderdassagte,wussteernicht,wohiner sehen sollte und versuchte kläglich, ihr ausschließlich in die Augen zu sehen. Das fiel ihm allerdings bei so viel nackter Haut unglaublich schwer. Und der Ausschnitt ihres engen Tops, gab den Blick auf ein wohlgeformtes Dekolleté frei. Das fiel ihm allerdings bei so viel nackter Haut unglaublichschwer.ErbewundertedasAussehenderhübschen jungenFrauvorsich.HelenaschmunzelteobseinerAussage. Ja,mankonnteihreFigursehen.Dahatteernichtunrecht.
„Dasistin2019ganznormalbeifastdreißigGrad.–Gehen wir?“
Helena ging los und Lancelot holte sie mit zwei schnellen Schritten ein.
„Es ist normal, wenn man nahezu unbekleidet in der Öffentlichkeit ist?“
„ManmachtnichtmehrsoeinAufhebendarum,wassichschickt und was nicht“, versuchte sie zu erklären, ohne allzu tief ins Detail zu gehen.
SiedurchquerteneinenschmalenFeldwegundlandetendirekt aufdemParkplatz.UrplötzlichdrängteLancelotsiemiteinem Arm hinter sich, zog mit der linken Hand sein Schwert aus derScheideundstandwieeinFelsvorihr.Kampfbereittrat ervor.HelenarisserschrockendieAugenaufundspähtean ihm vorbei.
„Whuow, whouw. Moment! Ist das Schwert etwa echt?“, schrie sie auf. Ihre Stimme klang ein wenig höher als normal.
„Wie soll ich Euch sonst beschützen und gegen die Drachen kämpfen?“, antwortete er über die Schulter hinweg, ohne seinen Blick von der vermeintlichen Gefahr vor sich zu wenden.
„Drachen?“ Helena zog die Stirn in Falten und verstand nur Bahnhof. Wieder spähte Helena an ihm vorbei. Beinahe enttäuschtmusstesiefeststellen,dasskeinDrachezusehen war. Wo sollten diese auch plötzlich herkommen?
Bedächtig schlich Lancelot ein paar Schritte weiter voran. UnderstjetztwurdeHelenaklar,wasermeinteundverkniff sich ein lautes Lachen. Nichtsdestotrotz war da noch immer das Schwert. Dieser Kerl hatte ein echtes Schwert, eine scharfeKlinge.EineWaffe.HelenaschlugeinenHakenund liefumihnherum.InangemessenemAbstandstelltesiesich ihm gegenüber und hob beschwichtigend die Hände.
„Das sind keine Drachen! Und beschützen musst du mich auch nicht.“
Lancelot war nicht überzeugt, denn er rührte sich keinen Millimeter.
„Das,wasduhiersiehst…“,siedeuteteaufdieAutoshinter sich,„…sindsoetwaswieKutschen.Duweißtdoch,waseine Kutsche ist, oder?“
„Natürlichweißichdas.Siesindzwarnichtweitverbreitet, aber auf Camelot gibt es ebenfalls welche.“
„MittlerweilehatfastjedererwachseneMenscheinemoderne Kutsche. Bitte. Nimm das Schwert runter.“
Statt ihrer Bitte zu folgenden deutete er mit der Schwertspitze zum Nummernschild.
„WarumstehenaufdenmodernenKutschensovieleverschiedene BuchstabenundZahlen?“ErformtedieLippen,alsversuchte er, aus dem Kauderwelsch ein Wort zu formen.
„DassindNummernschilder.Mankönntesagen,esistsoetwas wie ein Namensschild für Kutschen. Da es heutzutage sehr vieledavongibtundsieoftähnlichaussehen,kannmansie durch diese Buchstaben-Zahlenfolge auseinanderhalten.“
Er ließ das Schwert sinken behielt es aber noch weiterhin festumklammertinderHand.DieSkepsiswarihminsGesicht geschrieben.HelenatratlangsameinpaarSchritterückwärts unddeuteteLancelotan,ihrzufolgen.IhrNissanstandnur wenigeMeterentfernt.MitderFernbedienungöffnetesieden Kofferraum. Die Klappe schwang auf und Lancelot riss augenblicklich wieder sein Schwert hoch, bereit für einen Kampf.
„Ganz ruhig. Es ist alles in Ordnung. Nimm das Schwert runter.–Gibesmir.Bitte.Wennwireinsteigen,wirdes dich nur behindern. Wir legen es hier hinten rein.“ Sie zeigte auf den Kofferraum. Lancelot sah sie fragend an und zogdieAugenbrauenhoch.Erschiennichtüberzeugt.Helena hatte die Arme ausgestreckt und deutete an, dass Lancelot ihr das Schwert übergeben sollte. Einen Augenblick lang passiertenichts.DochdannsteckteerdasSchwertzurückin dieScheideundschnalltedenWaffengurtvonseinerHüfteab. Lancelot überbrückte die Distanz zwischen ihnen mit zwei großen Schritten und legte das Schwert behutsam wie einen SchatzinihreHände.UmgehendschlossHelenaihreHändeum den Stahl und legte es in den Kofferraum. Sie konnte nicht schnell genug die Klappe schließen, damit Lancelot nicht mehrandasSchwertgelangenkonnte.Waffenwarenihrnicht geheuer. Auch, oder vielleicht gerade deshalb nicht, weil sienahezutäglichmitaltenWaffenzutunhatteundwusste, was sie anrichten konnten. Helena öffnete die Beifahrertür und bat Lancelot einzusteigen. Mit kritischem Blick setzte er sich auf den Sitz, aber dann strahlte sein Gesicht.
„Das ist unglaublich bequem“, staunte er und sah sich im InnerendesWagensum.HelenasetztesichaufdenFahrersitz und sah Lancelot an.
„Du musst dich anschnallen“, wies sie Lancelot an. Mit hochgezogenen Augenbrauen sah er sie fragend an.
„Neben deiner rechten Schulter ist eine Schnalle. Fass sie mit der linken Hand und ziehe sie quer über deine Brust. Schau... so wie ich auf dieser Seite.“
Helena zog den Gurt aus der B-Säule. Demonstrativ steckte siedieSchnalleindasGurtschlossunddeuteteLancelot,es ihr nachzutun.
„Ich werde gleich den Motor des Autos starten. Moderne KutschenwerdenAutosgenannt.UnddaswirdetwasLärm machen. Das ist aber nicht schlimm. Und uns werden andere Autos entgegenkommen. Auch das ist ganz normal.“
SiedrehtedenZündschlüsselunderwarteteeineReaktion.Es kamimerstenMomentkeine.AlswenigeSekundenspäterjedoch dieMusikanlageziemlichlautertönte,sprangervorSchreck beinaheausdemAuto,wennderGurtihnnichtinderBewegung behinderthätte.HelenahatteamMorgen,alssieausgestiegen war, vergessen, die Lautstärke runterzudrehen. Und nun dröhnten die Klänge von ACDCs ‚Hells bells‘ durch das Wageninnere. Mit einem entschuldigenden Lächeln drehte sie rasch die Lautstärke auf ein angenehmes Maß, bei dem man sich noch unterhalten konnte.
„Oops.Entschuldigebitte.“
„Was ist das?“, fragte er verwirrt. „Es klingt ein wenig nach Musik, allerdings auf äußerst merkwürdige Art. Und wo sind die Musikanten?“
Er drehte sich um und sah Richtung Rücksitz. Aber da war nirgends etwas, oder jemand.
„Ja,dasistMusik“,bestätigteHelena.„Diekommthieraus derMusikanlage.“SiezeigteaufdasAutoradio.Interessiert betrachteteLancelotdaskleineBedienfeld,weilmehrkonnte man nicht sehen.
„DieMusikkommtdaraus?“ErdeuteteaufdasRadio.
„Nichtdirekt.EigentlichkommtdieMusikausdenBoxen,die in den Türen verbaut sind, aber im Grunde: Ja.“
Lancelot betrachtete die Autotür neben sich und schüttelte den Kopf.
„WenndieMusikantendadrinsind,dannsindesalsoZwerge. Besonders kleine Zwerge.“
HelenakonntesicheinLachennichtverkneifen.
„Nein. Die sind da nicht drin. Die Musik kommt von da. Sie wurde vorher aufgenommen, damit man sie immer wieder hören kann, ohne dass die Personen anwesend sein müssen.“ Lancelot sah sie an, als wäre sie verrückt geworden. Aber vorerst beließ er es dabei.
WährendderFahrtsahLancelotsichinteressiertimAutoum. Er drehte an der Lüftung, drückte auf den Knopf für die elektrischenFensterheberunderschrak,alssichdieScheibe plötzlich in die Tür senkte.
„Ichglaub,ichhabewaskaputtgemacht.“
„Nein. Hast du nicht. Du hast einfach nur das Fenster geöffnet.“
„Fenster?“
„Ja, das ist wie eine Mauer, durch die man durchsehen und diemanöffnenundschließenkann,umLuftineinenRaumzu lassen.NimmdeineHändebitterunter,dannschließeiches wieder.“
Sie drückte den Fensterheber auf ihrer Seite und Lancelot sah fasziniert, wie das Fenster ich schloss. Kurz darauf öffnete er das Handschuhfach und kramte dort in den Sachen herum. Er zog ein Kleenex aus der darin befindlichen Box. Direktdaraufsahesauswievorher.Erzogandemnächsten Tuch,wiederamnächstenundamfolgenden.EsnahmkeinEnde. Helena sah es lediglich im Augenwinkel. Erst als er gerade dasletzteTuchausderBoxzogundenttäuschtfeststellte, dass nichts weiter darin war, konnte sie den Kopf zu ihm wenden.
„DassindTaschentücher“,kommentiertesie.
ErhielteinesausgebreitetinbeidenHändenundsahessich ganz genau an.
„Dassiehtnichtsehrhaltbaraus.“
„Istesauchnicht.ManbenutztesnureinMalunddannwirft man es weg.“
„Oh.“ Er sah auf seinen Schoß und den Fußraum, auf dem diverse Tücher verstreut lagen. Schnell sammelte er alle wiederzusammenundversuchte,siedurchdieschmaleÖffnung zurück in die Box zu stopfen. Dabei riss jedoch die Pappe auf.
„Lassruhig.Wirwerfenesnachherweg“,beschlossHelena.
„Aber die sind doch noch gar nicht benutzt.“ Lancelot verstand diese Verschwendung nicht.
„DerSinndieserSchachtelist,dassdieTaschentüchersauber sind und man immer nur das anfasst, welches man rauszieht. Du hast jetzt alle angefasst. Und wenn man sich damit die Nase putzt, ist das nicht sonderlich sauber.“
„Diesindaberallenochganzweiß.“
„Stimmt. Bakterien oder auch Viren kann man auch nicht sehen.“
„Bakterien?Viren?Wassolldassein?“
„DassindUrsachenfürKrankheiten.“
SolltesiejetztwinzigeMikroorganismenerläutern?Aberdie Antwort genügte ihm für den Moment. Er zuckte mit den Schultern und dachte an das Taschentuch, welches er in der Hose hatte. Es war auch mal weiß gewesen. Damals. Seine Aufmerksamkeit richtete sich auf einen kleinen, länglichen Gegenstand. Er nahm ihn heraus und hielt ihn zwischen zwei Fingern.
„Was ist das?“, fragte er und sah Helena von der Seite an. Helena sah zu ihm und riss überrascht die Augen auf. Kurz warsieversucht,ihmdenTamponausderHandzureißen. Aber warum? Es musste ihr nicht unangenehm sein. Er wusste ja nicht mal, was er da in der Hand hielt.
„Dasbenutztman,wennmanNasenblutenhat“,logsie.Naja, gelogenwaresnicht.Natürlichwardasmöglich.Undeswar definitiv die einfachere Erklärung, als ihn in die Geheimnisse der weiblichen Hygieneartikel zu erläutern. Es hatteihnschonschockiert,alsersieimJeansrockgesehen hatte,weilmanihrenacktenBeinebiskurzübersKniesehen konnte. Wie würde er wohl reagieren, wenn sie ihm darlegen würde, wie und wofür man einen Tampon benutzte? Helena verkniffsichdasLachen,dassiebeiderVorstellungdaran überkam. Kurzzeitig war sie versucht, es ihm doch zu erläutern.
„PackesbittewiederzurückinsHandschuhfach.“Helenawäre esliebergewesen,erhätteausdemFenstergesehenundihr FragenzurUmgebunggestellt.Wennerdochangeblichausdem Jahr528stammte,hätteersichdochüberdieStraßen,Häuser oderandereDingewundernmüssen.Erschiensichjedochnur für ihr Handschuhfach zu interessieren.
„Handschuhfach?AberdasindkeineHandschuhedrin.Nurjede Menge andere Dinge“
„Da hast du wohl recht. Ich habe es ein wenig zweckentfremdet. Wobei ich mir vorstelle, dass bei den wenigsten Menschen wirklich Handschuhe im Handschuhfach sind.“
Zehn Minuten später parkte sie den Nissan vor dem Polizeirevier.LancelottratdichtandasGebäudeundlegte eine Hand auf die Backsteine. Langsam hob er den Kopf und sah die Häuserwand hinauf.
„Diese Steine sind so gleichmäßig. Wie kann das sein?“ Helenatratnebenihn.„SiesindausTonundLehm hergestellt.MangießtsieineineFormundsiewerden gebrannt, damit sie aushärten.“
„Genial.“ Sein Blick fiel auf die Häuser rechts und links vom Polizeirevier und auch dort war alles ebenmäßig.
„Komm.Wirgehenhinein.“
Lancelotwandtesichnachlinksundsteuertezielstrebigauf den Eingang des Polizeigebäudes zu. Helena wollte ihn zurückhalten, aber es war schon zu spät. Schwungvoll lief Lancelot gegen die Glastür.
„Oh, mein Gott! Es tut mir leid! Hast du dich verletzt?“ LancelothieltsichdieHändevordieNaseundgab unartikulierte Geräusche von sich.
„Lassesmichsehen,bitte.“ObwohlsorgenvollmussteHelena sicheinSchmunzelnverkneifen.OberjetztwohleinenTampon benötigte?
VorsichtigließLancelotdieHändesinkenundgewährteHelena einen Blick auf seine Nase. Sie war rot, aber immerhin bluteteesnicht.AndernfallshättesieihrekleineLügevon eben wahrmachen und ihm einen Tampon in die Nase stecken müssen.
„Es scheint nichts weiter passiert zu sein“, kommentierte sie und hielt ihm die Glastür auf.
„EsgibtalsoauchTürenalsdurchsichtigeMauern“,stellte er fest.
„Warte kurz“, bat sie ihn und deutete auf die Stühle, die einemTresengegenüberanderWandstanden,ehesiesichan den diensthabenden Sergeant wandte.
„Hi. Ist zufällig ein gewisser Lancelot als vermisst gemeldet?“, flüsterte sie so, dass Lancelot es nicht hören konnte. Der Polizist sah sie an, als wäre sie nicht ganz richtig im Kopf. Und sie musste zugeben, dass sie sich genauso fühlte.
„Entschuldigung.Ichweiß,dasklingtabsurd.–DieserMann dorthintenaufdemStuhlglaubt,erwäreSirLancelot.Ich dachte, Sie könnten mal checken, ob jemand vermisst wird, auf den seine Beschreibung passt. Er muss ja irgendwohin gehören.“
DerPolizistlehntesicheinStücknachrechts,umanHelena vorbeizusehen. Mit einer hochgezogenen Augenbraue begutachtete er den Mann. Dieser saß auf einem der Plastiksitze. Sechs Stück waren miteinander verbunden, an der Wand befestigt. Mit einer Hand strich er über den Sitz neben sich.
„WartenSiekurz.“
Er drehte sich um und ging an einen der Schreibtische im hinterenBereich.ImStehentippteeretwasindenComputer und kam kurz darauf zurück an den Tresen.
„Nein. Auf diese Beschreibung passt keine Vermissten- anzeige.“
„Undwasmacheichjetztmitihm?“ DerSergeantzucktemitdenSchultern.
„SolangeerkeinVerbrechenbegangenhatodervermisstwird, ist er nicht unser Problem.“
HelenaverdrehtegenervtdieAugen.
„Vielen Dank auch. Die Polizei, dein Freund und Helfer. Schönen Tag noch. – Komm, Lancelot. Wir gehen.“
ErschrockenhobLancelotdenKopf.Erwargeradetiefindie Betrachtung des Linoleums versunken. Wütend verließ Helena dasPolizei-Department.Lancelotfolgteihrlangsam,weiter die Umgebung in sich aufnehmend. Auf dem Bürgersteig blieb sie abrupt stehen und stieß ein frustriertes Stöhnen aus.
„GehtesEuchgut,Milady?“
„Was? Ja.“ Helena hatte absolut keine Ahnung, was sie tun sollte.„GibmireinfacheineMinute“,batsieLancelot.
„Ichmussnachdenken.“
SielegtedenKopfindenNackenundschlossfüreinenMoment die Augen.
„Gut.IchhabeineIdee.Wirfahrenweiter.“
Helena schloss vollbepackt mit drei Einkaufstüten die Tür ihres Apartments auf.
„Hey Buttercup!“, begrüßte sie ihr Mitbewohner und bester Freund Louis. Sein Blick riss sich gerade so lange vom Fernseher los, um ihr ein strahlendes Lächeln zuzuwerfen.
„Hi. – Lass mal. Du brauchst mir nicht helfen! Ich schaff dasschon.“SiewarfihmeinenLuftkusszuundgingmitden großen Papiertüten, die sie zusätzlich zu ihrer Tasche bei sich hatte, in Richtung Küchentresen.
„IchhabeunsAbendessenmitgebracht.“
Innerhalb einer Sekunde war Louis vom Sofa gesprungen und beiihrinderKüche.HelenawarfihmeinenungläubigenBlick zu.
„Ernsthaft? Sobald es ums Essen geht, kannst du dich bewegen?“
LouiswarfihrseinumwerfendesLächelnentgegen.
‚Dieser Mann könnte jede Frau kriegen’, dachte sie gefühlt zum millionsten Mal, seit sie sich kannten.
Eifrig riss Louis einen Küchenschrank auf stockte dann jedoch, bevor er zwei Teller herausnahm.
„BrauchenwirTeller?“
„Nope.MexikanischausderSchachtel.“
LouiszogdieBesteckschubladeaufundwarumgehendmitzwei Gabelnbewaffnet.HelenapacktediegroßePapiertütemitden Leckereien aus und sie fläzten sich auf die Couch.
„Und Buttercup, wie war dein Wochenende?“ Er stopfte sich die volle Gabel in den Mund und sah sie erwartungsvoll an.
„Ich bin total kaputt, aber es war wieder wirklich toll. – Ichverstehenochimmernicht,warumduimmerUrlaubnimmst, statt selbst dabei zu sein.“
LouisrissverständnislosdieAugenauf.
„Hallo? In diesem Krieg ging es um Sklavenhaltung. Warum sollte ausgerechnet ich dabei sein wollen, wenn man es nachspielt?“
„WeildeineVorfahrenzudenerstenSchwarzengehörten,die für die Unionstruppen im Krieg gekämpft haben. Es ist Teil deiner Geschichte.“
„Genau deshalb will ich es nicht machen. Meine Familie hat genug Leid ertragen.“ Dramatisch schlug er sich mit der flachen Hand auf die Brust.
HelenaverdrehtegespieltübertriebendieAugen.
„Ja,dubistwirklichzubemitleiden.“
Louiszeigtekauend,mitderleerenGabelaufsieundnickte zustimmend.
„Achja.UndichhabediesenWochenendeLancelotoftheLake kennengelernt“, bemerkte Helena nebensächlich und biss von einer Enchilada ab.
Louisverschlucktesichundhustete.
„Duhastwas?“
„Naja,daistplötzlichdieserTypaufgetaucht.Ertrugeinen WappenrockundeinSchwert.Undersagtemir,seinNamewäre Lancelot und Merlin hätte ihn geschickt.“
HelenagluckstewieeinkleinesMädchen,währendLouislaut lachte.
„Ich habe ihm erklärt, dass ein Auto kein Drache ist. Wir sindzusammenzumPolice-Departmentgefahren,aberdieCops meinten, dass er mein Problem ist, wenn er sich nicht strafbar gemacht hat oder vermisst wird.“
„UndwoistdeinProblemjetzt?“
„InderObdachlosenunterkunft“,schlossHelenaschlicht.
„Siehtergutaus?“
HelenalächelteihrenbestenFreundverschmitztan.
„Er hat eine große Ähnlichkeit mit Alexander Skarsgard.“ Entschuldigend zeigte sie die Zähne.
LouisnahmabruptdieFüßevomTischundsetztesichaufrecht hin.
„MOMENT!!Duerzählstmir,dassdueinenKerlkennengelernt hast, der behauptet, er wäre Sir Lancelot und aussieht wie Alexander Skarsgard. Und du hast ihn in die Obdachlosen- unterkunft gebracht? Ist das in etwa die Zusammenfassung deines Tages?“
SeineStimmewurdevonWortzuWortschriller.
„Er sagt, er kommt aus dem Jahr 528 und Merlin hätte ihn geschickt,damiterdenHeiligenGralfindet“,erzähltesie weiter, ohne auf Louis Einwurf zu reagieren. Ihr wurde bewusst, wie absurd es klang und schüttelte den Kopf.
„Warum schüttelst du den Kopf? Seit wann glaubst du nicht mehr an Märchen?“
„Dein Ernst, Louis? Ein Spinner behauptet, er käme etwa eintausendfünfhundert Jahre aus der Vergangenheit. Glaubst du das etwa?“
„Warum nicht? Du sagst doch immer, dass, nur weil man die Existenz von etwas bisher nicht beweisen konnte, es nicht bedeutet, dass es nicht existiert.“
HelenaverdrehtedieAugen.
„Hm.Duhastwohlrecht.Aberdasklingtdocheinwenigweit hergeholt, findest du nicht?“
„VielleichtgibteseineganzplausibleErklärung,warumer sich für Lancelot hält.“
„Dumeinstalso,ichsollihnnichteinfachfürverrückt halten?“
LouisantwortetemiteinemKopfschütteln.
„WarumhastduihnindieObdachlosenunterkunftgebracht, statt ihn mit zu uns zu bringen?
„WassagtdirdasStichwort‚Axtmörder‘?“ Er wiegelte ihre Antwort kurz ab.
„Aberduhastmirdochebenerzählt,dassereinSchwertbei sich hatte, das du ihm abgenommen hast. Er wird wohl kaum beides gehabt haben. Schwert und Axt. Und du hast ihn trotzdem in dein Auto gelassen.“
HelenaverdrehtedieAugenobseinerWortklauberei.
„Ohverdammt!DasSchwertliegtnochinmeinemKofferraum.“
„DuhasteinechtesRitterschwertindeinemKofferraum?“ Louis hätte kaum begeisterter klingen können.
„EsisteinechtesSchwert“,schränkteHelenaein.Siewollte es nicht als Ritterschwert titulieren.
„Naja,duhättest es ihm auch kaum mit in die Obdachlosenunterkunft geben können.“
„Stimmt.“
„DannhabenwiralsofolgendenPlan:…“,unterbrachsie.
„WirhabeneinenPlan?“
„Auf jeden Fall. Morgen fahren wir zur Obdachlosenunterkunft, holen diesen Sir Lancelot ab, gehen mitihmfrühstückenundnehmenihndannmitzuuns.Unddann lassen wir uns auf eine kleine Zeitreise ein.“
„Was?“Helenasahihnverständnislosan.„NichtdeinErnst.“
„Buttercup.“ Seine Stimme klang, als würde er mit einem kleinenKindsprechen.„Was,wennerniemandenhat?Wenner ganzalleinist,ineinergroßenangsteinflößendenmodernen Welt.“
„Wenn Lancelot tatsächlich aus der Vergangenheit gekommen ist,dannhatergarantiertniemandenaufderWelt.Diewären nämlich alle längst tot.“
„Siehst du. Er hat keine Menschenseele, außer uns. Oder besser dich.“
HelenahobdieAugenbrauen.
„GlaubewiederanMärchen,Buttercup.“
„Wir können nicht einfach einen Fremden mit zu uns nehmen, auchwennichgernanMärchenglaubenmöchte.Erbehauptet, er käme aus der Vergangenheit. Er macht uns was vor.“
„Warumsollteer?“
„KeineAhnung,Louis.Ichweißesnicht.Aberichweiß,dass ichnichtmeineSchlafzimmertürabschließenmöchte,weilich Angst in meinem eigenen Apartment habe.“
„Esklingtabersowahnsinnigromantisch.“
„Dass ich Angst in meinem Apartment habe?“ LouisschlugihrfreundschaftlichaufdenArm.
„DieVorstellung,dasswireinemgestrandetenZeitreisenden helfen.“
ResigniertverdrehteHelenadieAugen.Wassolltesiegegen die unschlagbaren Argumente ihres besten Freundes tun?
„In Ordnung. Wir machen es so: Du rufst deinen Freund vom College an. Wie heißt er noch? Jason?“
„Ernsthaft?“Louissahsiegequältan.
„Ja.Wennduwillst,dasswirunsumLancelotkümmern,dann lassen wir ihn von einem Psychiater untersuchen. Oder wir bringen ihn in eine Klinik.“
LouisrisserschrockendieAugenauf.
„Dasbedeutet,manwürdeihnfür72Stundeneinweisen.“
„Und genau deshalb, rufst du Jason an und wir fahren mit Lancelotzuihm.Wennduwillst,kannstdujaimAutowarten. Denk dran, du willst eine verlorene Seele retten.“
Louis zog eine Grimasse und nickte, während er sein Mobiltelefon vom Couchtisch angelte.
ObwohlHelenavonderVorbereitungszeitunddemvergangenen Wochenendeüberausmüdegewesenwar,konntesienichtlange schlafen.LouisundsiehattenbisMitternachtaufderCouch
gesessen und gequatscht und dennoch erwachte sie schon um acht Uhr am folgenden Morgen. Sie streckte sich ausgiebig undlächeltevorsichhin.DasRauschenderDuschedrangan ihrOhr.Louiswaralsoschonauf.AufnacktenFüßentapste sie in die offene Küche und freute sich, als sie sah, dass die Kaffeemaschine bereits durchgelaufen war. Ihr Becher stand, wie gewohnt, neben der Maschine. Ein Schluck der starken, schwarzen Flüssigkeit weckte sofort ihre Lebensgeister. Mit dem Kaffeebecher in der Hand, ging sie RichtungBad.NacheinemkurzenKlopfen,welcheseinfachder Höflichkeit halber stattfand, öffnete sie die Tür und trat ein. Es störte beide nicht, zeitgleich das Badezimmer zu nutzen. Louis war an manchen Tagen mehr Mädchen als sie selbst. Das war unter Umständen seiner sexuellen Orientierung zuzuordnen.
Während Louis unter der Dusche mit der Enthaarung seines Körpers beschäftigt war, putzte Helena ihre Zähne. Der Kaffeebecher hatte derweil einen Platz im Handtuchregal gefunden. Sehr zum Leidwesen von Louis. Es war eine regelmäßige Unart von Helena, mit Kaffeebecher ins Bad zu kommenunddiehalbvolleTassedortstehenzulassen.Under wares,derdafürsorgte,dasssiesauberamnächstenMorgen neben der Kaffeemaschine stand. Im fliegenden Wechsel tauschten sie kurz darauf die Plätze und Helena genoss das Rieseln des warmen Nass auf ihrem Körper. Als sie nach einigen Minuten wieder die Dusche verließ, stand Louis mit ihremKaffeebecherinderHandundeinemvorwurfsvollenBlick vor ihr. Sie grinste breit und schlängelte sich an ihm vorbei.
„Duwärstenttäuscht,wennesplötzlichanderswäre,oder?“
„Dubistunmöglich,Buttercup.–Beeildich,ichhabHunger.“ MiteinemverschmitztenLächelnimGesichtkehrteerihrden Rücken.
„FünfMinuten,maximal.“
„Okay. In einer halben Stunde stehe ich neben der Wohnungstür.“
„Blödmann!“
Es dauerte tatsächlich fast eine halbe Stunde, bis Helena abmarschbereit neben Louis die Wohnung verließ. Er kannte sie einfach viel zu gut.
„Du bist fest dazu entschlossen?“, fragte sie, während sie zu ihrem Auto gingen.
„Unbedingt. Wir sind offene Menschen und wollen an Märchen glauben.“
Die Fahrt zur Obdachlosenunterkunft dauerte nur wenige Minuten. Die Konstruktion, die als eine Art Empfangstresen diente war aktuell nicht besetzt. Nur am Abend saß hier jemand,wenndieObdachlosenindieUnterkunftströmtenund die freien Betten verteilt werden mussten. Sie gingen zum großen Schlafsaal und sahen sich um. Eine Menschentraube hatte sich über mehrere Betten hinweg gebildet. Neugierig schlenderten sie auf die Gruppe zu und betrachteten die MännerundFrauen,diedortaufdenBettenundStühlensaßen. Unvermittelt blieben beide stehen, als sie die Person im Zentrum der Gruppierung ausmachen konnten.
„Isterdas?“,fragteLouisstaunend.
EigentlichwardieFragelediglichreinrhetorisch.Eskonnte niemand anders sein. Lancelot saß auf einem der Betten und hatteunzähligeMenschenumsichversammelt.Allesahenihn gebannt an.
„Komm. Wir gehen etwas näher“, flüsterte Helena und fragte sich, warum sie flüsterte. Als sie ein paar Schritte nähergetreten waren, wusste sie, was sie schon geahnt hatte. Lancelot sprach zu den Leuten.
„DerTypistderHammer!“
„Sscht.Seileise.Ichwillhören,wasersagt.“
Währendsielauschten,nähertensiesichnachundnachimmer mehr den Zuhörern, bis sie mit der Gruppe verschmolzen. Lancelot berichtete von diversen Abenteuern, die er erlebt hatte. Jetzt gerade erzählte er, wie er als Ritter der Tafelrunde aufgenommen wurde. Im Laufe der Geschichte fiel Helenaauf,dasssieselbsteinverträumtesLächelnaufden Lippenhatte.UndsiesahdasgleicheLächelnaufdemGesicht vonLouis.Siewarenscheinbarwirklichoffen,anMärchenzu glauben.
Lancelots Blick fiel auf sie. Zügig beendete er seine Geschichte.
„IchmussmeineAnekdotennunleiderbeenden“,verkündeteer und erhob sich von dem Bett. Ein allumfängliches ‚Oooooh‘ erklang aus der Menge, als er ihre Richtung anstrebte und dieZuhörereinenGangbildeten,denerdurchquerenkonnte.
‚JetztwarerauchnochMoses,derdasMeerteilte‘,dachte Helena.
„Milady.Wieschön,Euchzusehen.“
LancelotergriffihrerechteHandunddeuteteeinenHandkuss an. Louis griff sich übertrieben theatralisch an die Brust und schmolz regelrecht dahin.
„Lancelot.Ichhoffe,duhastgutgeschlafen.“
„Das Lager war famos. Vielen Dank, dass Ihr Euch darum gekümmert habt.“
Er bedankte sich allen Ernstes für eine Nacht in der Obdachlosenunterkunft.
„Ich würde dir gern einen Freund vorstellen: Lancelot, das hier ist mein lieber Freund Louis. Louis, Sir Lancelot of the Lake.“
Helenamussteeinwenigschmunzeln,alssieseinenangeblich vollen Namen aussprach. Es klang absolut unwirklich. Lancelot sah sie verwirrt an, aber er reichte dem Mann ihm gegenüber die Hand zur Begrüßung.
„SeidIhreinMohroderwarumistEureHautsodunkel?“
„IchbinafroamerikanischerAbstammung“,erklärteLouis,als er Lancelot wieder seine Hand entzog.
„Washeißtdas?“
„Man sagt nicht Mohr. Das setzt einen Menschen herab“, versuchte Helena zu erläutern. „Es ist beleidigend.“
„Ich habe noch nie einen Menschen mit Eurer Hautfarbe gesehen.“
„Esisteinfach,alswürdejemandKleidungineineranderen Farbe tragen. Nichts anderes“, kommentierte Helena und Lancelot nickte zustimmend.
„Kommt. Wir gehen etwas frühstücken“, schlug Louis vor. Er nahm ihm die Frage nicht übel.
„Ähm, bevor wir gehen“, wandte Helena ein. „Lancelot, könntestdubittedenWappenrockablegen?“IhreBitteerntete einen entsetzten Blick.
„Ichweiß“,sagtesiebeschwichtigend.„AberderWappenrock ist als Kleidungsstück in der heutigen Zeit doch sehr auffällig.“
Sie steuerten das nächstgelegene Diner an. Auf dem Weg vom Auto erklärte Helena Lancelot, wie ein Restaurant funktionierte.
„JederbekommtdorteineAuflistungmitdenSpeisen,dieman wählen kann.“
Einige Minuten später starrte Lancelot gespannt auf die Speisekarte.DortstandensovieleSpeisenundGetränke,von denenernochnieetwasgehörthatte.ErhattekeineAhnung, was er bestellen sollte, weil er sich unter vielen Namen nicht mal etwas vorstellen konnte.
LouisschickteEve,ihreKellnerin,zweimalweg,dasienoch nicht bereit waren, zu bestellen. Jetzt kam sie erneut an den Tisch und fragte, ob sie nun bestellen wollten.
„Ich übernehme das“, entschied Helena und gab eine Großbestellungfüralledreiauf.Nurwenigspäterquollder TischgeradezuübervorgefülltenTellern.Louisbeobachtete LancelotwährenddesEssensundspätestensjetztwarerdavon überzeugt,dassdasUnmöglichemöglichseinkonnte.Lancelot betrachtetefasziniertdieGabelnundLöffel,dasiesoviel graziler waren, als er es kannte. Bei ihm zu Hause waren Gabeln und Löffel aus Holz geschnitzt und die einzelnen ZinkenderGabelbeinahesobreitwiediegesamteGabel,die er gerade in Händen hielt. Louis hätte erwartet, dass er schlingt, wie man es sich bei einer Fressorgie vorstellte. AberdasGegenteilwarderFall.Nicht,dassLouisvermutet hätte, dass Lancelot keine Manieren hätte. Es war wohl einfach die Art, wie man sich das frühe Mittelalter vorstellte. Lancelot genoß jeden einzelnen Bissen. Er ließ sich das Frühstück regelrecht auf der Zunge zergehen. Intensiv nahm er die Geschmäcker wahr, die er vorher noch nicht gekannt hatte. Diese Art und Weise, wie Lancelot aß, wieerdieneuenGeschmäckeraufnahm,konntenichtgespielt sein. Er hatte keine Ahnung, wie, aber Louis war davon überzeugt, dass Zeitreisen möglich waren.
„ObdasderHeiligeGralseinkönnte?“,fragteLancelotund hieltdaswassergefüllteGlashoch,welchesvorihmgestanden hatte.
„Probieresaus“,schlugHelenavor.
„Daskannichnichttun.WennesderGralist,danngebührt meinem König der erste Schluck daraus. Ich kann doch nicht dasEwigeLebenaufnehmen,bevorArthurdieMöglichkeitdazu hatte.“
„Gut“,stimmteHelenazu.„DannimAusschlussverfahren.Alle Materialien,dieesnochnichtzuZeitenderKreuzigungJesu gab, können ausgeschlossen werden. Dementsprechend ist das hier…“SiedeuteteaufdasGlasinseinerHand.„…nichtder Heilige Gral. Es ist aus dem gleichen Material wie die Fensterscheiben.EsistGlas.Dasgabesdamalsnochnicht.“ Lancelot dachte kurz nach.
„Dannkannichdasalsoallesaußenvorlassen.“Ertrankdas Glas in einem Zug leer und hielt es hoch.
„HeyWeib,fülledenBeckererneut!“,rieferlautdurchdas Diner.
Helena und Louis sahen einander entsetzt an. Louis drückte mit seiner Hand auf Lancelots Arm, damit er ihn senkte und Helena sah sich verlegen nach der Kellnerin um, die gerade auf sie zusteuerte.
„SolltestdualsMagdnichtdaraufachten,dassunsereBecher stets gefüllt sind?“ Lancelots Stimme klang bestimmend.
Eve, die Kellnerin, hob gerade zu einer Erwiderung an, als Helena die Situation übernahm.
„BitteentschuldigenSie.MeinFreundhier,hatesnichtso gemeint.“Unddannsetztesiemitleisem,verschwörerischem Tonnach:„ErhateineKopfverletzung,wissenSie.Wirfahren gleich mit ihm zum Arzt.“
EvenickteundverließdenTischwieder.
„SokannstdunichtmitdenLeutensprechen“,belehrteHelena ihn.
„AbersieistdochhierdieMagd“,beharrteer.
„SieistdieKellnerinunddafürzuständig,unsdieSpeisen und Getränke zu bringen. Aber möchtest du, dass man in so einem Ton mit dir spricht?“
„IchbineinRitter.Niemandwagtessomitmirzusprechen.“
„UnddasmöchteEveebensowenig.Wennmannichtnettzuden Leuten ist, könnten sie einem auch ins Essen spucken. Das wollenwirschließlichnicht.–Louis,kümmerstdudichbitte um die Rechnung. Und gib der Kellnerin bitte ein dickes Trinkgeld.“
LouisnickteundgingzumTresen.
KurzdaraufbetratensiediepsychologischePraxisvonJason Monnahan.LouishatteihnamVorabendangerufen.Siehatten einenTerminaußerhalbderSprechzeiten,inderMittagspause erhalten. Louis fühlte sich nicht wohl, als sie die Praxisräume betraten. Die Beziehung zwischen ihnen hatte nicht gerade einvernehmlich geendet. Die beiden Männer begrüßten sich höflich distanziert.
„Danke, dass du Zeit für uns hast“, betonte Louis und versuchte seine Stimme lässig klingen zu lassen, was ihm gänzlich misslang.
„KeinProblem.Worumgeht’s?“
„Vielleicht können wir uns kurz unter vier Augen unterhalten“,schlugHelenavor.Jasonnickteundsiegingen in das angrenzende Zimmer. Lancelot und Louis blieben im Wartebereich zurück.
„WennLouissichbeimirmeldet,musstetdudeineFingerim Spiel haben“, schlussfolgerte Jason. „Niemand ist ihm wichtiger als du.“
„Der Mann, mit dem wir hier sind,...“, begann Helena ihre Erzählung. „Ich habe ihn gestern kennengelernt. Er behauptet, Lancelot of the Lake zu sein. Er trug einen Wappenrock und ein Schwert. Die Art wie er spricht, ist altmodischunderscheintnichtszukennen,waswirkennen. Ich muss gestehen, ich fand ihn vom ersten Moment an sympathisch. Louis ist bereit ihm zu glauben, dass er tatsächlich aus der Vergangenheit stammt und nicht ein Spinner ist, der uns vielleicht töten könnte. Er sagt, wir solltenihmeineChancegebenundihmhelfen.Aberichkann ihnnichteinfachinunserLebenundunserApartmentlassen, wennichnichtsicherbin,dasserunsnichtetwasvorspielt, uns täuschen will.“
Jasonnicktebedächtig.
„Ich verstehe, was du meinst. Gebt uns anderthalb Stunden. Ich werde mit ihm reden. Und dann sehen wir weiter.“
„Danke,Jason.“
WährendJasonLancelotuntersuchte,gingenHelenaundLouis KaffeetrinkenunddannimSupermarkteinpaar