Tibor (zweite Serie) 1: Die Spinnengöttin - Thomas Knip - E-Book

Tibor (zweite Serie) 1: Die Spinnengöttin E-Book

Thomas Knip

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Beschreibung

Diese werkgetreue Umsetzung als Roman umfasst den Inhalt des ersten Abenteuers der zweiten Serie aus den Piccolo-Großband Comicheften 1-23 von Hansrudi Wäscher. Tibor gerät in eine Falle der O'gogos. Sie fordern all seine Diamanten oder sie drohen damit, ihn sowie Kerak, Pip und Pop zu töten. Er fügt sich, um das Leben seiner Freunde nicht zu gefährden, doch er will herausfinden, wofür die O'gogos die Diamanten benötigen, denn er weiß, dass die Eingeborenen den Wert der Edelsteine nicht kennen. Als Kerak nach einem gescheiterten Angriff der Gorillas auf das Dorf der O'gogos von einer riesigen Spinne erzählt, die Feuer speit, mag Tibor seinem Freund nicht so recht glauben. Doch dann sieht er das Ungetüm mit eigenen Augen, das von einer Frau befohlen wird, die die O'gogos ehrfurchtsvoll als die Priesterin der ›Spinnengöttin‹ verehren …

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Seitenzahl: 217

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Impressum

Originalausgabe November 2020

Charakter und Zeichnung: Tibor © Hansrudi Wäscher / becker-illustrators

Text © Thomas Knip

Copyright © 2020 der eBook-Ausgabe Verlag Peter Hopf, Minden

Korrektorat: Andrea Velten, Factor 7

Redaktionelle Betreuung: Ingraban Ewald

Umschlaggestaltung: etageeins, Jörg Jaroschewitz

Hintergrundillustration Umschlag: © Binkski – fotolia.com

ISBN ePub 978-3-86305-266-9

www.verlag-peter-hopf.com

Hansrudi Wäscher wird vertreten von Becker-Illustrators,

Eduardstraße 48, 20257 Hamburg

www.hansrudi-waescher.de

Alle Rechte vorbehalten

Die in diesem Roman geschilderten Ereignisse sind rein fiktiv.

Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Begebenheiten, mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig und unbeabsichtigt.

Inhalt

EINS

ZWEI

DREI

VIER

FÜNF

SECHS

SIEBEN

ACHT

NEUN

THOMAS KNIP

Die Spinnengöttin

 

 

EINS

 

Brütende Hitze lag über Tibors heimatlichem Dschungel am Rande der ›Toten Sümpfe‹. Schon seit Tagen ging kein einziger Windhauch. Myriaden von Mücken hingen in Wolken über dem Wasser. Ihr leises Sirren war das einzige Geräusch, das die Luft erfüllte. Kein Tier zeigte sich, um seinen Durst zu stillen. Sie alle hielten sich im Schatten der Bäume verborgen. Es war, als sei der gesamte Dschungel in einen tiefen Schlummer gefallen.

Auch Tibor hielt nach einem erfrischenden Bad seinen Mittagsschlaf unter einem Sonnensegel. Das hieß, er versuchte es. Denn anders als er waren seine Begleiter, die Äffchen Pip und Pop und Kerak, der mächtige Gorilla, alles andere als ruhig.

»Gib mir sofort die Banane wieder!«, zeterte Pop und griff mit seinen kleinen Händen nach der reifen Frucht.

»Ich denke gar nicht daran!«, entgegnete Pip und hielt die Banane nur umso fester umklammert. Er pellte die Schale ab und riss das Fruchtfleisch mit einer schnellen Bewegung heraus. »Hier, die Schale kannst du zurückhaben«, meinte er gönnerhaft und grinste Pop frech an.

Dieser zeterte nun nur umso lauter und hüpfte wütend auf der Stelle. »So eine Frechheit! Na, warte!«

Mit einem Satz sprang er Pip an und schlang seine Finger um dessen Handgelenk, noch bevor er die Banane verzehren konnte.

»Hee, lass los!« Pip versuchte, sich aus dem Griff seines Bruders zu befreien. Zusammen kullerten sie über das ausgetrocknete Gras, ohne dass es einem von ihnen gelang, die Banane zu für sich zu ergattern.

Ein dumpfes Grollen erklang. Träge drehte sich Kerak, der dem Treiben bisher müßig zugesehen hatte, um, streckte seinen langen Arm aus und entriss den beiden Äffchen die Frucht mit einem kraftvollen Ruck.

»Ich weiß wirklich nicht, warum ihr euch streitet«, meinte er und grinste breit. »Die Banane habe ich jetzt, und …«, sie verschwand mit einem Bissen in seinem Maul, »… weg ist sie!«

Er kaute sie mit lautem Schmatzen und schluckte sie hörbar herunter.

»Das ist doch …«, ereiferte sich Pip.

Kerak strich sich die Reste aus den Mundwinkeln und leckte sie von seinen Fingern. »Damit wäre der Friede wieder hergestellt. Es gibt nichts mehr, worüber ihr euch streiten müsstet!«, meinte er mit einem zufriedenen Grinsen.

Tibor, der bei dem Lärm, den die Äffchen gemacht hatten, um seinen Schlaf gebracht worden war, sah zu ihnen herüber und lachte. »Gut gemacht, Kerak«, meinte er. »Das war geradezu weise von dir.«

Kerak nickte zufrieden und rieb sich seinen Bauch. Dann legte er sich wie Tibor wieder hin und döste in der Sonne.

Pip und Pop waren immer noch fassungslos und sahen sich um ihre schmackhafte Mahlzeit betrogen.

»Ob das wirklich weise war, wird sich noch herausstellen«, meinte Pip. »Komm!«, forderte er seinen Bruder auf.

»Übernehmt euch nicht!«, schickte Kerak ihnen hinterher und lachte auf.

Gemeinsam trollten sich die Äffchen vom Ufer und hüpften auf die Bäume zu. Binnen weniger Augenblicke hatte sie das Blattwerk verschluckt. Als Pip sicher war, dass sie der Gorilla nicht mehr hören konnte, hielt er an.

»Es wird Zeit, dass wir dem Dicken mal wieder zeigen, dass er mit uns nicht alles machen kann!«

»Ich bin ganz deiner Meinung«, grummelte Pop. »Kerak wird zu übermütig. Die Frage ist nur, was wir unternehmen können.«

»Hmmm …«, überlegte Pip, während er flink an einer Liane hochkletterte und sich mit ihr zum nächsten Baum schwang. Pop folgte, und zusammen turnten sie durch das Astwerk. Als sie eine Lichtung erreichten, hielt sich Pip an einem Ast fest und sah auf den Elefanten, der mit seinem Rüssel nach Nahrung in den Bäumen suchte.

»Was hältst du von unserem langnasigen Freund da drüben?«, fragte er Pop, der auf dem Ast neben ihm zum Halten kam.

»Ich … ich verstehe nicht«, entgegnete Pop und blickte verwundert auf den Elefanten, unter dessen mächtigen Schritten der Boden leicht erzitterte.

Pip drehte sich zu seinem Bruder um und neigte keck den Kopf. »Ich habe eine Idee … Geh schon an den Fluss zurück, damit du den Spaß nicht versäumst.«

Pop sah ihn fragend an und kratzte sich am Kopf. Als Pip eine Geste mit den Händen machte, die ihn verscheuchen sollte, folgte er der Anweisung und schwang sich zurück zum Lager. Pip sah ihm nach und drehte sich dann dem Elefanten zu. Er ließ sich auf den Boden fallen und blickte sich um. Es dauerte nicht lange, bis er fand, wonach er gesucht hatte.

Zufrieden umklammerte er den Stock, der deutlich länger war als er selbst, und zog ihn hinter sich her. Achtsam schlich er sich an den Dickhäuter heran, der, nichts Böses ahnend, die zarten Blätter von den Bäumen zupfte.

Pip wog den Stock in seinen Händen und sah die gewaltigen Hinterbeine des Elefanten hinauf. Er wusste, dass die Tiere in den Kniekehlen besonders empfindlich waren. Mit einem Satz sprang er in die Höhe …

 

*

Bulgro genoss den frischen Geschmack der Blätter, die er mit seinen Zähnen zermalmte. Er schloss gerade seinen Rüssel um ein weiteres Büschel, als er ein unangenehmes Stechen in der Kniekehle verspürte.

Unwillig machte er einen Schritt zur Seite, bevor er sich die Blätter in den weit aufgerissenen Rachen stopfte. Er musste sich wohl an einer hervorstehenden Wurzel gestoßen haben. Doch nur Augenblicke später war das Stechen erneut zu spüren, obwohl er nun auf der Stelle stand. Bulgro schwang seinen Kopf zur Seite, um zu erkennen, was ihm im Weg war.

Nun spürte er das pieksende Stechen auf der anderen Seite, und kurz darauf erneut.

Der Elefant schnaubte. Da trieb doch jemand seinen Schabernack mit ihm! Wiederholt sah er von einer zur anderen Seite nach hinten, ohne etwas erkennen zu können. Dafür folgte ein ums andere Mal das Stechen.

Ihm dämmerte es. Sicher waren das wieder Tibors nichtsnutzige Äffchen! Sie wähnten sich in dessen Gegenwart in Sicherheit und erlaubten sich allerhand Scherze, die sie sich ohne den Sohn des Dschungels an ihrer Seite nie trauen würden.

Bulgro stieß ein Tröten aus und drehte sich, so schnell er konnte, um. Dabei hörte er ein Knacksen und Rascheln im schattenverborgenen Unterholz. Mit stampfenden Schritten beschloss er, dem Geräusch zu folgen.

 

*

Pip konnte ein Keckern nur mit Mühe unterdrücken, um sich nicht zu verraten.

Wie gehofft, war sein Plan aufgegangen! Er achtete darauf, genug Abstand zu dem erzürnten Elefanten zu haben, damit dieser ihm nicht zu nahe kam. Gleichzeitig sollte er aber auch seine Witterung nicht verlieren, und so warf er immer wieder einen Blick über die Schulter, um sicherzugehen, dass dieser ihm folgte.

Doch alleine das Brechen und Krachen von Ästen und Zweigen hinter ihm ließ ihn deutlich vernehmen, dass Bulgro nach wie vor nach ihm suchte.

Der kleine Affe musste vor Anstrengung bereits deutlich nach Luft schnappen, als er endlich den Fluss erreichte. Pop saß im Gras und sah, wie sein Bruder an ihm vorbeihüpfte und direkt auf Kerak zuhielt, der durch den Lärm im Dschungel aufgesprungen war.

»Hier …«, meinte Pip völlig außer Atem und reichte Kerak den Stock. »Halte den ein Weilchen.«

Verdutzt griff der Gorilla zu. »Wie? Ja, aber wozu?«, wollte er wissen.

Der kleine Affe brauchte sich nicht mal mehr eine Ausrede einfallen zu lassen. In diesem Augenblick brach Bulgro aufgebracht durch das Uferdickicht und hielt auf die kleine Gruppe zu.

»Aha!«, grollte der Elefant mit lautem Tösen. »Da hätten wir ja den Witzbold! Und sogar noch mit dem Stock in der Hand!«

Kerak sah ihn völlig verwirrt an. »Wie?!«, stammelte er und hielt den Stock abwehrend vor sich.

»Dir soll die Lust vergehen, ehrwürdige Dickhäuter zu stören!«, ließ sich Bulgro in seiner Wut nicht unterbrechen. Kerak wusste nicht, wie ihm geschah, als sich der Rüssel des Elefanten um seinen Körper schlang. Mühelos hob Bulgro den schweren Gorilla an. Kerak schlug mit den Armen um sich, konnte aber nicht verhindern, wie ihn der Elefant mit einem kräftigen Schwung von sich schleuderte.

»Da, kühl dich ab!«, schickte Bulgro dem um Hilfe schreienden Gorilla hinterher, der durch die Luft flog. »Und vergiss nicht … nächstes Mal kommst du nicht so glimpflich davon!«

Mit einem lauten Platschen landete Kerak kopfüber im Fluss. Das Wasser spitzte meterhoch in die Höhe und schlug über ihm zusammen. Prustend kam der Gorilla wieder empor und schüttelte sein klatschnasses Fell.

Am Ufer keckerten und feixten die beiden Äffchen.

»Was sagst du nun?«, grinste Pip den Gorilla an.

»Das hast du großartig gemacht!« Anerkennend klopfte Pop seinem Bruder auf die Schulter.

»Ah, so ist das?«, grollte Bulgros Stimme in ihrem Rücken. Noch bevor er wusste, wie ihm geschah, wurde Pip von der Rüsselspitze des Elefanten gepackt und hochgehoben. Alles Zetern und Kreischen half nichts, als Bulgro ein weiteres Mal Schwung holte.

»Dann ist es das Beste, du leistest Kerak Gesellschaft! Du kannst ihn auch gleich für mich um Entschuldigung bitten …« Der Rüssel holte aus und warf das Äffchen hoch in die Luft. Mit einem quietschenden Geräusch landete Pip direkt neben dem Gorilla im Wasser und versank unter der Oberfläche.

Tibor hatte die ganze Zeit nur fassungslos zugesehen und sich gefragt, was hier eigentlich vor sich ging. Doch er hatte keinen Grund gesehen, einzugreifen, und so ließ er Bulgro gewähren. Dieser drehte sich nun um, neigte vor Tibor seinen Kopf und stapfte mit einem verhaltenen Schnauben zurück in den Dschungel.

Inzwischen war Pip um sich schlagend wieder aufgetaucht und sah sich einem wütenden Gorilla gegenüber. »Bitte, Kerak, ich will es auch nicht wieder tun!«, sagte er mit kläglicher Stimme.

Der Gorilla entblößte seine Zähne und grollte Pip an. »Ich glaube dir nicht. Ich …« Das Äffchen wirkte nun wie ein Häufchen Elend und sah seinen Freund aus großen Augen an. Kerak grummelte noch ein paar Augenblicke lang. »Na, guck nicht so ängstlich, sonst kommen mir noch die Tränen! Ich verzeihe dir …«

Er zog Pip aus dem Wasser und setzte ihn auf seine Schulter, dann watete er zurück zum Ufer. Laut schnaufend ließ er sich ins Gras fallen. Pip sprang von dessen Schultern und stakste triefend vor Nässe auf seinen Bruder zu.

Tibor seufzte und legte sich wieder unter das Sonnensegel.

»Ruhe jetzt«, erklärte er. »Ich will jetzt schlaf…«

Ein lauter Schrei gellte durch die Luft. Sofort war Tibor auf den Beinen. »Jemand ruft um Hilfe!«

»Ja, ein Zweibeiner«, antwortete Kerak und reckte die Schnauze vor.

Erneut hallte der Hilfeschrei durch den Dschungel. Diesmal konnte Tibor auch die Richtung feststellen, aus der er kam. Er rannte eine weit aus dem Erdreich ragende Wurzel empor, griff nach einer tief hängenden Liane und schwang sich durch den Urwald. Kerak folgte ihm, die beiden Äffchen auf seinen Schultern.

»Ah, ich sterbe!«, rief die Stimme verzweifelt aus.

»Schneller!«, trieb Tibor seine Freunde an. Sie brauchten nur wenige Augenblicke, um eine Lichtung zu erreichen. Inmitten der dicht wachsenden Gräser und Farne lag ein Eingeborener, der laut stöhnte und sich am Boden wälzte.

Tibor sprang wie Kerak von seinem Ast und eilte durch das Gras auf den am Boden Liegenden zu. Sie hatten ihn fast erreicht, als der Boden plötzlich unter ihnen nachgab.

Zweige brachen, Blätter und Farnwedel wurden durch die Luft gewirbelt. Unter sich sahen sie eine gähnende Öffnung. Die Äffchen kreischten, und Keraks wütendes Grollen erfüllte die Luft. Tibor blieb nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass er den Sturz abfedern konnte. Hart kam er auf dem Erdreich auf und ging in die Knie. Zu seinem Glück dämpften die Zweige und Büschel, die mit ihm in die Tiefe gerissen worden waren, seinen Aufprall.

Dennoch wurde ihm die Luft aus den Lungen gepresst, und er brauchte mehrere Augenblicke, um sich von dem Sturz zu erholen.

»Schnell, helft mir!«, hörte er die Stimme nun weit über sich. Er sah empor und erkannte als Silhouette vor dem Sonnenlicht den Eingeborenen auf zwei langen Stangen liegen, die quer über die Grube gelegt worden waren.

»Was hat das zu bedeuten?«, rief Tibor und streckte seine schmerzenden Glieder.

 

 

Zur Antwort zeigte sich ein Dutzend mit Speeren bewaffneter schwarzer Krieger am Rand der Grube, der gut sechs Meter über ihm lag. Zwei der Eingeborenen halfen ihrem Stammesbruder und zogen ihn zu sich her.

»Versuche nicht, deine Tiere zu rufen, Tibor!«, rief einer der Krieger mit erregter Stimme. »Wir müssten dich sonst töten!«

Tibor sah sich mit einem schnellen Blick nach seinen Freunden um. Erleichtert stellte er fest, dass Kerak den Sturz wie die beiden Äffchen, die auf seinen Schultern saßen, anscheinend unbeschadet überstanden hatte.

Er blickte nach oben. »Was wollt ihr von mir? Wer seid ihr?« Es fiel ihm schwer, seinen Ärger zu unterdrücken. Wobei er nicht sagen konnte, ob er wütend auf die Eingeborenen war, die ihm die Falle gestellt hatten, oder auf sich selbst, dass er so unbedacht vorgegangen war.

»Wir gehören zum Stamm der O’gogos«, antwortete der Eingeborene. »Wir haben schon viel von dir gehört.«

»Ja, und immer nur Gutes!«, ergänzte ein anderer. »Wir brauchen deine Hilfe!«

Tibor musste an sich halten, um nicht aufzulachen. »Ich muss schon sagen, ihr habt eine seltsame Art, um Hilfe zu rufen …«

»Verzeih uns, mächtiger Tibor«, antwortete der Krieger. In seiner Stimme klang eine Unsicherheit mit, als sei ihm selbst nicht recht, was sie getan hatten. »Aber wir wollten dir zeigen, dass wir entschlossen sind, dich zu töten, wenn du unsere Bitte ablehnst.«

Wie um die Worte zu unterstreichen, richteten sich mehrere Speere auf ihn.

Tibor atmete tief durch. »Ihr seid deutlich …«, entgegnete er. Seine Gesichtszüge verhärteten sich. »Was also soll ich für euch tun?«

Der Eingeborene senkte den Kopf und zögerte mit der Antwort. »Wir wissen, dass du verborgene Stellen im Dschungel kennst, an denen viele Diamanten zu finden sind. Wir brauchen viele davon, und zwar schnell!«, eröffnete er schließlich.

Tibor runzelte die Stirn. »Wozu wollt ihr die Edelsteine haben?«

»Darauf dürfen wir dir keine Antwort geben«, erwiderte ein anderer, der ebenfalls zögerte. »Wenn du zusagst, ist es gut. Ansonsten … sprechen unsere Speere das letzte Wort!«

»Wie lautet also deine Antwort?«, fragte ein weiterer, dessen Stimme angespannt klang.

Tibor wusste, dass ihm keine andere Wahl blieb. Die Speerspitzen machten deutlich, dass die Eingeborenen ihre Drohung wahrmachen würden. Und er war nicht bereit, das Leben von Kerak, Pip oder Pop zu gefährden.

»Ich muss schon sagen …«, schallte seine Stimme aus der Grube. »Ihr bittet mich, euch zu helfen, und stellt mir eine derart niederträchtige Falle! Ihr habt vorgetäuscht, ein Mensch befände sich in höchster Lebensgefahr …«

»Wir wussten uns keinen anderen Rat«, unterbrach ihn der Eingeborene, der der Anführer der Gruppe zu sein schien. »Und wenn man unser Verhalten im rechten Licht betrachtet … nicht nur einer von uns befindet sich in Lebensgefahr.« Er unterbrach sich, bevor er weitersprach. »Unser gesamter Stamm ist verloren, wenn du uns nicht hilfst!«

»Wir haben schon zu viel geredet«, fiel ihm ein anderer ins Wort. »Verschaffst du uns die Diamanten oder nicht?«, richtete er sich mit hastiger Stimme an den Sohn des Dschungels. »Wenn du ablehnst, töten wir dich auf der Stelle«, drohte er noch einmal.

Tibor bedachte ihn mit einem unbeeindruckten Blick.

»Ihr wisst, dass dann keiner von euch den Dschungel lebend verlassen wird. Meine Tiere kennen keine Gnade, wenn mir etwas zustößt!«

»Das wissen wir! Aber … wenn du ablehnst, sind wir ohnehin des Todes!«

Tibor erkannte die Verzweiflung der Eingeborenen, die ihnen offen ins Gesicht geschrieben stand. Aber er sah auch deren Entschlossenheit.

»Ihr lasst mir keine andere Wahl. Einverstanden, ich hole die Diamanten«, entgegnete er. Er streckte den Arm in die Höhe. »Helft uns aus der Grube!«

Ein Seil wurde herabgelassen, und Tibor griff danach.

»Nur dir!«, machte der Krieger klar. »Der Gorilla und die beiden Äffchen bleiben unten! Wir wissen, wie sehr du an deinen Freunden hängst. Sie bleiben so lange unter der Bedrohung unserer Speere, bis du uns die Diamanten übergeben hast!«

Tibor antwortete nichts darauf, sondern ließ sich nur stumm von den Eingeborenen aus der Grube helfen. Er zog sich über den Rand und erhob sich, umgeben von Speerspitzen, die auf ihn gerichtet waren.

»He, was wird aus uns?«, rief ihm Kerak aus der Grube zu, der die Unterhaltung der Menschen mitverfolgt hatte, ohne deren Sinn zu verstehen. Auch Pip und Pop reckten ihm ihre kleinen Arme entgegen.

»Ihr müsst leider in der Grube bleiben, bis ich zurückkomme«, konnte Tibor mit gutturalen Lauten nur antworten, bevor ihn die Krieger mit sich zogen. Er verfolgte, wie sie sich tuschelnd unterhielten, und dann lösten sich zwei aus der Gruppe.

»Wir begleiten dich«, erklärte einer von ihnen, während der andere seinen Speer stoßbereit hielt. Tibor sah nur kurz auf die Klinge und richtete seine Augen kühl auf das angespannte Gesicht des Kriegers.

»Wie ihr wollt«, antwortete er und ging los. Die beiden Krieger beeilten sich, dicht hinter ihm zu bleiben. Binnen einer Minute waren sie so tief in den Dschungel eingetaucht, dass von den übrigen Männern auf der Lichtung nichts mehr zu sehen war.

»Alleine käme ich schneller voran …«, meinte er zu seinen Bewachern und blieb kurz stehen.

»Das spielt keine Rolle. Wenn wir bei dir sind, kannst du uns nicht überlisten«, antwortete einer der beiden und wies Tibor mit seinem Speer an, weiterzugehen.

»Ich habe versprochen, euch die Diamanten zu geben – und wenn ich etwas verspreche, dann halte ich es auch«, antwortete der Sohn des Dschungels.

»Gilt das auch für ein Versprechen, das dir abgezwungen wurde?«, meinte der Krieger.

Tibor verzog die Lippen. »Ihr seid wirklich zu misstrauisch. Aber ich gebe zu, dass ich euch lieber helfen würde, wenn ihr mich darum gebeten hättet. Andererseits …«, dieser Gedanke beschäftigte ihn schon die ganze Zeit, »… müsst ihr in großer Bedrängnis sein, sonst hättet ihr diesen Gewaltstreich nicht gewagt.« Er blickte die Eingeborenen über die Schulter an. »Wollt ihr mir nicht doch sagen, wozu ihr die Diamanten so dringend haben müsst?«, hoffte er, die Männer zum Einlenken bewegen zu können.

»Nein!«

»Das dürfen wir nicht!«, kam die gepresste Antwort.

»Vertraut euch mir an!«, beharrte Tibor. »Ich meine es wirklich ehrlich mit euch.«

Einer der Männer senkte den Kopf, sah ihn dann aber wieder entschlossen an. »Das mag sein … aber wir verlassen uns doch lieber auf unsere Speere.«

»Wenn ihr euch darauf verlasst, seid ihr verlassen …«, antwortete Tibor düster.

»Wie … wie meinst du das?«, fragte der zweite Eingeborene. Er sah sich hastig um, als rechne er mit einem Angriff aus dem Unterholz, und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

Blitzschnell ließ sich Tibor nach hinten fallen. Er machte eine Rolle rückwärts über das Gras, noch bevor die Eingeborenen reagieren konnten, und stieß die Beine in die Höhe. Seine Füße trafen die Hände der O’gogos. Schmerzerfüllt schrien die Männer auf, stolperten zu Boden und ließen die Speere fallen.

Tibor wusste, dass er keine Sekunde verlieren durfte. Schon griff einer seiner Bewacher nach dem Speer im Gras, als ihn Tibor zurückstieß.

»Nicht doch … die beiden Speere nehme ich an mich!« Er packte die Waffen und hielt sie mit ausgestreckten Armen von sich. »Zurück!«, forderte er die Eingeborenen auf, die sich wieder erheben wollten, und schlug ihnen den Speerschaft gegen die Brust. Benommen sackten die Männer ins Gras.

»Ihr armen Narren!« Tibor schüttelte den Kopf. »Habt ihr geglaubt, mich in meinem Dschungel unter Druck setzen zu können?«

»Wir …«, stöhnte einer der beiden O’gogos und hielt sich den Kopf.

»Seht euch um!«, forderte Tibor sie mit ausgebreiteten Armen auf.

Die beiden Eingeborenen rissen die Augen schreckgeweitet auf. Um sie herum war mit einem Mal ein lautes Rascheln und Knacken zu hören. Entsetzt schrien sie auf, als sie sich einer Übermacht von Gorillas gegenübersahen, die sich wie Schatten aus dem Unterholz erhoben oder sich in den Ästen zeigten.

Einer der gewaltigen Menschenaffen stieß ein Grollen aus. »Wollten die Zweibeiner dir etwas antun? Sollen wir sie töten?«

»Nein, Tando!«, rief Tibor mit knurrenden Lauten zurück, die die O’gogos nur noch mehr zusammenzucken ließen. Die ersten Gorillas machten bereits einen Schritt auf die Eingeborenen zu, als Tibor sie mit einer Handbewegung aufhielt.

»Ihr könnt gehen. Die beiden bedeuten keine Gefahr für mich. Lasst auch die anderen Zweibeiner in Ruhe, die Kerak und die beiden Äffchen gefangen halten.«

Kurz war verhaltenes Murren unter den Gorillas zu hören, doch dann verschwanden sie so schnell wieder im Dschungel, wie sie erschienen waren. Tibors feine Sinne verrieten ihm, dass sie seiner Anweisung gefolgt waren.

»Hier!« Er richtete sich an seine Bewacher und streckte ihnen die Speere entgegen.

Die beiden O’gogos sahen ihn entgeistert an.

»Nun nehmt eure Speere schon, ihr Helden«, meinte er. »Wir wollen weitergehen. Das gerade eben sollte nur eine kleine Lehre dafür sein, dass Vertrauen mehr wert ist als euer Misstrauen.«

Die Eingeborenen nahmen die Waffen mit versteinerten Mienen entgegen und folgten ihm stumm.

 

 

 

ZWEI

 

Kurze Zeit darauf hatten sie einen breiten Fluss erreicht, der den Urwald zerteilte. Das Erdreich unter den Füßen der drei Männer war entlang des Ufers weich und gab bei jedem Schritt nach. Hohe Farne und Schilfrohre reichten den Männern bis zur Hüfte.

Tibor blieb stehen und blickte auf die Insel, die sich inmitten des Flusses erhob.

»Wartet hier«, sagte er zu den O’gogos. »Ich habe mir in einer Höhle auf dieser kleinen Insel einen Vorrat an Diamanten angelegt.«

Die beiden Krieger nickten nur stumm. Seit dem Vorfall mit den Gorillas sahen sie sich fortwährend nach allen Seiten nervös um und hielten ihre Speere fest umklammert. Tibor nahm es mit einem Lächeln zur Kenntnis, spannte seine Muskeln an und sprang mit einem weiten Satz in den Fluss. Kurz tauchte er unter, bevor er wieder an die Oberfläche kam und mit kraftvollen Kraulzügen auf die Insel zuschwamm.

Ihn beschäftigte nach wie vor die Frage, wozu die O’gogos die Steine benötigten. Er ging nicht davon aus, dass sie sie für sich selbst haben wollten. Ihr Stamm lebte so tief im Dschungel, dass sie höchstwahrscheinlich noch nie mit der modernen Zivilisation in Berührung gekommen waren. Sie dürften den Wert von Diamanten wohl nicht einmal kennen.

Tibor erreichte die Insel und stieg an einer flach abfallenden Stelle über die dunklen, nassen Steine, die mit Moos und Flechten bedeckt waren. Er wusste genau, wohin er sich wenden musste und kniete an dem wuchtigen Felsblock, der den größten Teil der Insel einnahm, nieder.

Ein Blick zur Seite zeigte ihm, dass die beiden O’gogos nach wie vor am gegenüberliegenden Ufer standen und zu ihm herübersahen.

Am Fuß des Felsbrockens lagen mehrere kleinere Steine scheinbar willkürlich verstreut. Tibor schob sie zur Seite und legte die Öffnung frei, die dahinter verborgen lag. Es war nicht mehr als eine kleine Nische, in der ein prall gefülltes Säckchen verborgen lag.

Tibor holte es hervor und wog es in seiner Hand. Die Diamanten, die darin verstaut waren, hatte er im Laufe der Jahre angehäuft. Sie waren ein Vermögen wert und hätten ihm ein Leben in Wohlstand bescheren können. Doch dafür interessierte er sich schon lange nicht mehr.

Er verschloss die Nische wieder mit den Steinen. Nachdenklich sah er auf das Säckchen. Sollten die O’gogos sie haben …

… zumindest vorübergehend, ergänzte er seinen Gedanken. Er dachte keine Sekunde daran, den Eingeborenen den Schatz zu überlassen, ohne herauszufinden, wofür sie ihn benötigten!

Er sprang zurück in den Fluss und schwamm durch die Strömung auf das andere Ufer zu. Noch bevor er aus dem Wasser gestiegen war, hob er das Säckchen in die Höhe und warf es seinen Bewachern zu.

»Fangt den Beutel auf!«, rief er. Einer der Krieger fing ihn mitten im Flug. Die beiden Männer knieten nieder und wurden vom hohen Gras verdeckt.

Tibor stemmte seine Arme auf eine knorrige Wurzel und stieg über die Böschung aus dem Fluss. Wie er erwartet hatte, besahen sich die O’gogos die Beute. Sie hatten das Säckchen geöffnet und hielten mehrere der matt schimmernden Steine ins Sonnenlicht.

»Das sind aber nicht viele Diamanten«, stellte einer von ihnen missmutig fest.

»Sind das wirklich alle, die du hast?«, fragte der zweite Krieger nach.

Tibor musste tief durchatmen.

»Nun schlägt es dreizehn!«, entfuhr es ihm. »Die Steine in diesem Beutel sind so viel wert, dass …« Er winkte ab und schüttelte den Kopf. »Ach, das versteht ihr doch nicht. Es sind alle Diamanten, die ich habe. Sucht doch selbst auf der Insel nach, wenn ihr wollt!«, beharrte er und wies auf die Erhebung im Fluss.

Einer der O’gogos hob abwehrend die Hände. »Schon gut …«

Die beiden Krieger erhoben sich und wiesen mit ihren Speeren zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Schweigsam traten sie den Rückweg an.

»Die Männer, denen ihr diese Diamanten geben müsst, werden mehr als zufrieden sein«, unterbrach Tibor die Stille. »Sie haben doch sicher die gleiche Hautfarbe wie ich?«

»Ich weiß nicht, wovon du sprichst«, murmelte einer der O’gogos. »Diese Steine sind für die große G…«

»Halt den Mund«, unterbrach ihn der andere und machte ein entsetztes Gesicht. »Willst du sterben? Du weißt doch, Sie sieht alles und hört alles!«

›Sie‹?!, durchzuckte es Tibor.

»Dringe nicht weiter in uns!«, wandte sich der Krieger an ihn. »Wir beschwören dich!«

»Ja, hab Erbarmen!«, fügte der andere an.

Tibor musterte die Männer. Die nackte Angst war ihnen buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Auch wenn er nun wusste, dass die Eingeborenen die Diamanten nicht für sich selbst haben wollten, musste er einsehen, dass sie es nicht wagen würden, sich ihm anzuvertrauen. Für den Augenblick musste er es dabei bewenden lassen.

Ohne ein weiteres Wort miteinander zu sprechen, setzten sie ihren Weg fort.

 

*