Tief unten. Tief im Flughafen. Tief im BER. - Peter Kaiser - E-Book

Tief unten. Tief im Flughafen. Tief im BER. E-Book

Peter Kaiser

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  • Herausgeber: KUUUK
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2018
Beschreibung

Berühmter BER! Der never-ending „Flughafen Berlin Brandenburg“! Mit immer wieder ungewissem Eröffnungsdatum. Wieso? Warum? Sind da böse Machenschaften am Werk? Ein Fall für den „Hörfunk-Ermittler“ Adrian Schmith, freier Journalist, Ü50, arbeitet für den „Kultur-Jetzt-Sender“, muss aber für die Existenz zusätzlich noch ermitteln. Als Inhaber einer „Agentur für individuelle Lösungen“ in der einst größten Schokoladenfabrik der Welt, in der Tempelhofer Teilestraße, wohnt er – nach der Trennung von der Ehefrau Hannah und einer gemeinsamen Tochter – karg im eigenen Büro und giert nach Ermittlungsaufträgen. Daneben testet er mit den „Sitzweichen Sieben“ asiatische Massagematten und hat einmal den koreanischen Nationalkampfsport Taekwondo geübt. Ein widersprüchlicher Geist, der die Fälle mittels Hören und einer hochsensiblen Wahrnehmung löst, der verschroben ist, mitunter auch die berühmte „Berliner Schnauze“ ausfährt. Und wenn nötig, kann „Addi“ auch patzig, schroff und pampig werden. Das fast schon übersinnliche Hören sowie das Erspüren von Stimmungen und Wahrnehmungen braucht „Addi“ bei der Fahndung nach dem verschwundenen BER-Controller Itay Teichmann. Dessen Lebensgefährtin Regina Lobeck, die auch beim BER als Controllerin beschäftigt ist, hat den Hörfunk-Ermittler mit der Suche beauftragt. Doch Itay, der Regina Lobeck 250.000 Euro vor seinem Verschwinden noch gab, Geld, das mit dem BER zusammenhängt, ist weder beim jüdischen Bäcker, dem Friedhof in Weißensee, im Schachklub des TuS Makkabi noch sonstwo in der israelischen Community in Berlin. „Addi“ fliegt nach Tel Aviv. Hier häufen sich die Indizien, das etwas Großes, sehr Gemeines am BER läuft. Wer hat tatsächlich am BER das Sagen? Was wollen diese Koreaner, die immer mehr ins Blickfeld des Ermittlers treten? Und welche Rolle spielt bei allem die laszive Regina Lobeck, die irgendwie ein falsches Spiel um den BER mit Addi zu treiben scheint? Immer tiefer dringt Adrian Schmith in den BER-Sumpf ein, bald führen ihn diese Ermittlungen direkt zum Innenbereich der vermeintlichen BER-Baustelle. Und „Addi“ erkennt: Bloßer Pfusch am Bau regt in der deutschen Hauptstadt niemanden mehr auf. Hier aber geht es um weit mehr …

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Seitenzahl: 223

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INFO | TITEL

Peter Kaiser

:::

Tief unten. Tief im Flughafen.

Tief im BER.

Ein Fall für den

Hörfunk-Ermittler Adrian Schmith

aus der Tempelhofer Schokoladenfabrik

Kriminalroman

INHALT

Berühmter BER! Der never-ending „Flughafen Berlin Brandenburg“! Mit immer wieder ungewissem Eröffnungsdatum. Wieso? Warum? Sind da böse Machenschaften am Werk?

Ein Fall für den „Hörfunk-Ermittler“ Adrian Schmith, freier Journalist, Ü50, arbeitet für den „Kultur-Jetzt-Sender“, muss aber für die Existenz zusätzlich noch ermitteln. Als Inhaber einer „Agentur für individuelle Lösungen“ in der einst größten Schokoladenfabrik der Welt, in der Tempelhofer Teilestraße, wohnt er – nach der Trennung von der Ehefrau Hannah und einer gemeinsamen Tochter – karg im eigenen Büro und giert nach Ermittlungsaufträgen. Daneben testet er mit den „Sitzweichen Sieben“ asiatische Massagematten und hat einmal den koreanischen Nationalkampfsport Taekwondo geübt. Ein widersprüchlicher Geist, der die Fälle mittels Hören und einer hochsensiblen Wahrnehmung löst, der verschroben ist, mitunter auch die berühmte „Berliner Schnauze“ ausfährt. Und wenn nötig, kann „Addi“ auch patzig, schroff und pampig werden.

Das fast schon übersinnliche Hören sowie das Erspüren von Stimmungen und Wahrnehmungen braucht „Addi“ bei der Fahndung nach dem verschwundenen BER-Controller Itay Teichmann. Dessen Lebensgefährtin Regina Lobeck, die auch beim BER als Controllerin beschäftigt ist, hat den Hörfunk-Ermittler mit der Suche beauftragt. Doch Itay, der Regina Lobeck 250.000 Euro vor seinem Verschwinden noch gab, Geld, das mit dem BER zusammenhängt, ist weder beim jüdischen Bäcker, dem Friedhof in Weißensee, im Schachklub des TuS Makkabi noch sonstwo in der israelischen Community in Berlin. „Addi“ fliegt nach Tel Aviv. Hier häufen sich die Indizien, das etwas Großes, sehr Gemeines am BER läuft.

Wer hat tatsächlich am BER das Sagen? Was wollen diese Koreaner, die immer mehr ins Blickfeld des Ermittlers treten? Und welche Rolle spielt bei allem die laszive Regina Lobeck, die irgendwie ein falsches Spiel um den BER mit Addi zu treiben scheint?

Immer tiefer dringt Adrian Schmith in den BER-Sumpf ein, bald führen ihn diese Ermittlungen direkt zum Innenbereich der vermeintlichen BER-Baustelle. Und „Addi“ erkennt: Bloßer Pfusch am Bau regt in der deutschen Hauptstadt niemanden mehr auf. Hier aber geht es um weit mehr …

DER AUTOR

Peter Kaiser, 1957 geboren, wuchs in Berlin-Tempelhof auf. Nach einer Lehre als Speditionskaufmann und einem Abendstudium zum Industriefachwirt wurde er nach jahrelangen Tätigkeiten in der Industrie 1992 freiberuflicher Journalist. Seitdem verfasst er für alle ARD-Hörfunkanstalten sowie den SPIEGEL zu diversen Themen Kritiken, Features, Berichte und Reisereportagen.

IMPRESSUM

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek erfasst diesen Buchtitel in der Deutschen Nationalbibliografie. Die bibliografischen Daten können im Internet unter http://dnb.dnb.de abgerufen werden.

Alle Rechte vorbehalten. Insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen und Medien – auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere neuartige Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

HINWEIS: Deutsch ist überaus vielschichtig und komplex. Der Verlag versucht, nach bestem Wissen und Gewissen alle Bücher zu lektorieren und zu korrigieren. Oft gibt es allerdings mehrere erlaubte Schreibweisen parallel. Da will entschieden werden. Zudem ergeben sich immer wieder Zweifelsfälle, wozu es oft auch keine eindeutigen Antworten gibt. Schlussendlich haben auch die Autorinnen und Autoren ureigene Sprachpräferenzen, die sich dann bis in die Kommasetzung, Wortwahl und manche Schreibung wiederfinden lassen können. So werden, als Beispiel, hier die Tage mit Absicht in Großschreibung gezählt. Bitte behalten Sie das beim Lesen in Erinnerung.

Coverfotos: © Gerald Friedrich und © Peter Kaiser | Umschlag­entwurf, Coverdesign: © Klaus Jans & Peter Kaiser | Lektorat: KUUUK |

E-BOOK-ISBN 978-3-96290-004-5

Erste Auflage E-BOOK Mai 2018

HINWEIS: Es gibt auch ein Papierbuch.

KUUUK Verlag und Medien Klaus Jans

Königswinter bei Bonn

K|U|U|U|K – Der Verlag mit 3 U

www.kuuuk.com

Alle Rechte [Copyright] © KUUUK Verlag | [email protected] und © Peter Kaiser | [email protected]

...

INHALT

1. Wiedersehensfreude

2. Die „Sitzweichen Sieben“, Tag Eins

3. Tornadoaugen

4. Schokolade, Tag Zwei

5. Wer nicht hört ...

6. Verteidiger der Menschheit

7. Verfluchte Hundescheiße

8. Manna und Schach, Tag Drei

9. Pa und die anderen Jungs, Tag Vier

10. O Mio Babbino Caro

11. Die Insekten, Tag Fünf

12. Das Kimchi der Hölle

13. Regina und die Hungerharke

14. Franks Schrank

15. Gordon Beach, Tag Sechs

16. Ein guter Junge

17. Weiße Laken, Tag Sieben

18. Druckknöpfe, die aufspringen

19. Autofahren mit Frankie

20. Von der Wurzel bis zur Pulle, Tag Acht

21. Info mit Intro, Tag Neun

22. Dirty, dirty ...

23. Die Nachrichten, zwischen Tag Neun und Tag Zehn

24. Tschipp...tschipp

25. Die Trödel-Terminators

26. Der Regierende

27. Gangnam

Absage

1.

Wiedersehensfreude

Suchen müssen sie mich nicht mehr, sie haben mich schon gefunden.

Der Bewegungssensor unten an der Hoftür wurde von ihnen passiert, der Nachrichtenton im Smartphone klingt auf.

„Windspiel“.

Wer wohl dieses Mal kommt, an diesem frühen Abend?

Die erste Etage, farbige Klangtropfen.

„Vorahnung“.

Fünf Etagen sind es bis unter das Dach des Vollmilchnuss-Traktes.

Hier bin ich, hier warte ich auf sie, ruhig und gelassen im Glasbüro des ehemaligen Kakaomaschineneinrichters Franz Perbey.

Ob sie wie immer zu dritt sind, weil drei gegen einen todsicher ist?

„U-Boot-Echolot“ in der zweiten Etage, „Waldohreule“ in der dritten.

Jetzt schalte ich die Schreibtischlampe aus, auch den PC-Monitor, und ziehe leise die untere Schreibtischschublade auf.

Glock 34, das Magazin ist stets voll, man sollte immer vorbereitet sein.

Die vierte Etage: „Kyrieeleison“.

Von mir selbst gesungen und aufgezeichnet vor drei Jahren für einen 3-Minuten-Hintergrund-Radiobeitrag aus der Jerusalemer Grabeskirche.

Dann klickt es an der Treppenhaustür bei mir im fünften Stock.

Ich schüttle den Kopf.

Einen Dietrich darf man nicht hören, sie haben Anfänger also geschickt, Kadetten, die den Besuch üben.

Im Glasbüro sitze ich wie in einem leeren Aquarium. Daraus kann ich jetzt zusehen, wie sie in den Halbschatten des Türnotlichtes treten.

Einer groß, die anderen zwei breit, eher gedrungen, alle aber aufmerksam im diffusen Notlicht. Jetzt verteilen sie sich, trainiert und leichtfüßig, suchen dabei instinktiv, wie man es ihnen beigebracht hat, nach Deckungsmöglichkeiten.

Meine Hand wärmt die Glock.

Ich sehe ihnen vom Büro aus zu, wie sie sich jetzt tänzelnd – die Halle ist siebzig Quadratmeter groß – Meter um Meter mir nähern. Anschleichen scheint ihnen zu liegen. Gekonnt und sicher umgehen sie die tiefen Bodenlöcher, in denen einmal die Nusstrommeln, Förderbänder und Mischmaschinen montiert gewesen waren. Keiner der drei hält sich irgendwo fest, keiner muss sich orientieren.

Sie sind wie die Welle auf dem Weg zum Strand.

Kurz darauf stehen sie vor dem Glasbüro.

Einer im beigefarbenen Trenchcoat, aber ohne Bogart-Hut, sondern mit Wollmütze, die anderen im Brechtschen Werktätigenoutfit. Braune Lederjacken, ebenfalls Wollmützen, schwarzer Schal, Cordhosen, Lederschuhe.

Mit der sichtbaren Glock rechts verschränke ich die Arme vor der Brust, lehne mich im Bürostuhl zurück, betrachte sie.

Der im Trenchcoat, wohl heute der Befehlshabende, spitze Nase, silbergrauer Wochenbart, lächelt. Brecht Eins und Zwei, glattrasiert, und sich seltsamerweise wie Klone ähnlich, starren zugekniffen zu mir herein, die Hände haben sie in den Hosentaschen.

2.

Die „Sitzweichen Sieben“, Tag Eins

Heinz: „Wird ’ne echt harte Nummer!“

Ich: „Waren noch nie so viele …“

„Und die falschen Schuhe hab’ ich auch noch an!“

Der alte Geschichtslehrer dreht sich um.

„Hätte die Turborenner anziehen sollen.“

09:55 Uhr.

Jetzt drehe ich mich auch um.

Ein Blick, etwa vierzig Leute warten mit uns, wie Heinz und ich zum Teil schon seit einer Stunde. Und jetzt, da es bald so weit ist, drückt die Menge nach vorn, hin zum Absperrband, das vor dem Eingangsbereich des Elektronikfachmarktes aufgezogen ist.

Zeit: 09:56 Uhr, der 20. September 2017.

Ort: Das Hafencenter im alten Tempelhofer Binnenhafen.

„Francoise seh’ ich nicht“, brummt Heinz, „wollte aber kommen, unbedingt. Jörg auch, mit Rabea.“

Jörg, der Ex-Wal-Dokufilmer, und dessen venezianische Frau Rabea. Francoise ist die Pilateslehrerin, und ich, der Hörfunk-Detektiv, bin mit 55 Jahren der Benjamin unter den Endsechzigern. Fehlt nur noch das Khakipärchen, Mann, Frau, alterslos, stets in Anglerwesten, meist flüsternd, ohne Namen.

Alle zusammen sind wir die: Sitzweichen Sieben.

Im Computerbereich vorn springen jetzt die ausgestellten Monitore an. Leoparden auf der Pirsch, die Golden-Gate-Bridge von San Francisco im Morgenlicht, zwei wettkämpfende Sumoringer im Flat-Screen-TV, digitale Welten.

Zwischen den Regalen tauchen jetzt zwei Security-Männer in fliederfarbenen Firmen-Polo-Shirts auf, kommen auf uns zu. Einer groß, schlaksig, der andere quadratisch, praktisch. Beide mit gelglänzenden Navy-Seals-Frisuren, kreisenden Hüften. Der Schlaksige kaut Kaugummi, der Kompakte kneift ungläubig die Augen zusammen.

„Nee, ne, seid ihr doch nicht alle wegen der blöden Matte da, oder?“

„Doch“, ruft Heinz. „Mach mal auf jetzt!“

„Is’ nich’“, sagt der Kompakte, „sind jetzt noch drei Minuten, mein Herr, musst du wie alle warten!“

Dann dreht der Kompakte sich zu mir hin, zeigt auf mein Mikrofon, das ich in der rechten Hand halte. Der Finger bleibt in der Luft stehen, ein paar Sekunden später schwebt er zum Aufnahmegerät in meiner linken Hand, beim Kopfhörer, der schon auf meinem Kopf sitzt, bleibt der Finger wieder in der Luft stehen.

„Reporter, ja? Fernsehen?“

Der Finger schwebt näher auf mich zu, zwanzig Zentimeter vor meiner Brust steht er.

Wo er die Kamera vermutet?

Ich schüttle den Kopf.

„Radio! Kultur-Jetzt-Radio! Ich bin Journalist, mache einen Beitrag über die Matte.“

Der Kompakte glaubt es wieder nicht.

„Wie? Über die blöde Altweiber-Koreaner-Matte berichtest du? Was is’n so Besonderes an der? Gibt doch hunderte davon?“

Heinz schiebt sich vor mich.

„Hmm“, macht er, „Koryo hat zehn Vibrationsmotoren zu acht Jaderollen, drei Massageintensitäten, vier Körperzonen individuell einstellbar ...“

„Plus Heizfunktion zu den Massagearten“, sage ich, „kabellose Fernbedienung, Transport und Aufstellung gratis.“

„Hast du Koryo“, sagt Heinz, grinst und zitiert den Werbeslo­gan, „hast du einen Schatz, der dich täglich drückt.“

Der Kompakte stöhnt, als habe er Schmerzen. Dann wendet er sich zu mir.

„Genehmigung?“

Ich habe die schriftliche Dreh- und Aufzeichnungsgenehmigung vorher besorgt, und in der Jackentasche dabei.

„Von Chef direkt.“

„Müller?“

„Zentrale. Schulz! Über Müller!“

Während der Kompakte die Genehmigung schief ansieht, seinem Kollegen zunickt: „Les mal du …“, klingelt laut meine Hosentasche.

Tonart: „Klassisch“.

„Bevor die allgemeinen Feierlichkeiten nachher beginnen“, sagt der im Trenchcoat, den ich für mich den Offizier nenne, „wären noch für den Abschlussbericht ein paar Nachfragen, besonders von der militärischen Abwehr, mehr so für die Zukunft, potentielle Gefahrenabwehr. Außerdem gibt es noch Ungereimtheiten hinsichtlich des zeitlichen Ablaufs. Wann war der Beginn genau? Wann traten die Anderen konkret auf? Was genau war da in Israel gewesen? Gab es keine Hinweise zum Tod Itay Teichmanns? Also so, ja?“

Der Offizier öffnet den Trenchcoat, nimmt die graue Mütze ab, lockert den schwarzen Wollschal und fährt sich mit einer fast feminin wirkenden Geste durch die blonden Haare.

„Wenn es dem Herrn Schmith nicht allzu viel Mühe macht, erledigen wir das bei uns, nicht hier“, fügt jetzt eine der Brecht-Kopien scharf hinzu.

Der Offizier dreht sich zu ihm um.

„Halt sofort das Maul, Uwe“, empört sich der Offizier. „Hast du den Verstand verloren? Herr Schmith hat die Stadt gerettet, vielleicht die Welt. Mensch, allerhöchsten Respekt, sage ich dir, allerhöchsten Respekt. Sonst helfe ich dir auf die Sprünge.“

Uwe krümmt sich, fährt sich durch die blonden Haare.

„Verzeihung, der Verhörjargon ...“

Jetzt übernimmt der Offizier wieder.

„Könnten wir das alles vielleicht noch vor den Feierlichkeiten über die Bühne bringen? Jetzt? Wir fahren schnell in die Zentrale, da haben wir alles was wir brauchen, und Sie sehen uns hier nicht mehr so schnell wieder.“

Er grinst.

„Außer natürlich, Sie legen sich wieder mit Machthabern aus Fernost an.“

In meinem Ohr eine helle Frauenstimme.

„Adrian Schmith? Der Hörfunk-Ermittler?“

„Ja!“

„Ich bin die Regina, also Regina Lobeck. Können Sie mir helfen? Mein Mann ist verschwunden, und mit ihm eine Million Euro.“

Jetzt geht der Kompakte zum Schlaksigen, dabei hat er den Pfosten mitgenommen, dann stehen sie nebeneinander, sehen auf ihre Smartphones.

„Addi“, raunzt Heinz, der alte Geschichtslehrer, „mach fertig, geht los jetzt. Francoise, Jörg und Rabea sind auch eben gekommen. Da hinten stehen sie.“

Heinz dreht sich um, reckt den Arm in die Höhe.

„Huhu, ihr Lieben!“

Nun hebt der Schlaksige den Arm, als würde er einen Startschuss abfeuern.

„Jetzt!“, ruft er, „jetzt könnt ihr rein. Is’ offen, ja! Die Matten sind da!“

„Hallo?“, sagt Regina Lobeck wieder.

Im schwarzen Transporter mit WI-Kennzeichen sitze ich zwischen dem Offizier und der zweiten Brecht-Kopie. Uwe ist irgendwo im Laderaum.

Brecht Eins manövriert den Transporter durch den Verkehr unter Vermeidung jeglicher Auffälligkeiten. Er blinkt stets, fährt niemals mehr als 50 Stundenkilometer, hält stets gut Abstand, lässt andere in die Spur einfädeln, drängelt nicht, verzögert auch nicht.

Ein Geisterfahrer in der richtigen Richtung.

Im Ministerium für Inneres, einem vor wenigen Jahren erst fertiggestellten Gebäudeensemble mit Abertausenden Fenstern, und mit Fluren, wie ich jetzt sehe, die durchnummeriert sind, weil sie alle gleich beigegrau aussehen, fahren wir mit einem Fahrstuhl in den siebten Stock. Dort bleiben die drei vor einem Getränkeautomaten stehen.

„Könnte ein bisschen trocken werden, Cola?“, sagt der Offizier.

Und korrigiert sich.

„Nee, Cola mögen Sie nicht. Wir haben auch Apfelsaftschorle. Ist sicherlich besser, oder? Nicht, dass Sie mir hier im Haus noch dehydrieren?“

Er lässt ein paar Euro-Stücke in den Schlitz fallen, drückt auf einem Mini-Display Zahlen, dann poltern vier Flaschen ins Ausgabefach unten.

Im fensterlosen Büro steht ein Konferenztisch mit sechs Stühlen. Der Teppich, die Stuhlpolster grau, alle Wände weiß, an einer Wand ein Porträt der Verteidigungsministerin.

„Is’ kein Fenster, hinter dem einer sitzt und aufzeichnet“, sagt er, und zeigt mit dem Zeigefinger auf den Konferenztisch. „Machen wir hier am Tisch mit dem Recorder. Aufzeichnungsmäßig sind Sie ja vom Fach, ist der hier gut?“

Ein deutsches Fabrikat, sehe ich, MP3-Aufzeichnungen, fürs Studio nicht wirklich tauglich, eher ein Diktiergerät für den Büroalltag.

Wir nehmen am Tisch Platz.

Der Offizier öffnet eine kleine Mappe, holt Papiere raus, ich sehe gedruckte Excel-Tabellen, Zahlenreihen, eine Matrix mit Schrittfolgen, Matrix, der Film …

Ich taufe den Offizier um als Smith One, die Brechts als Smith Two und Three.

Wieder fällt mir auf, dass sie keinerlei andere Töne von sich geben als die unmittelbaren Emissionen ihrer Bewegungen. Kein innerliches Brummen also, kein nervöses Rutschen auf dem Stuhl, kein Klappern mit der Büroklammer, absolut nichts.

Hätte ich die Augen geschlossen, hätte ich nicht mehr gehört als mit geöffneten Augen.

Smith One sieht jetzt auf die Matrix, nickt kurz, dann schaltet er den Recorder an.

„Dann bringen wir’s jetzt hinter uns, und widmen uns danach angenehmeren Dingen, okay? Außerdem muss ja das ganze Feierbrimborium pünktlich losgehen, ist ja einiges an Politik dabei.“

Smith One tippt mit dem Finger auf der Matrix links oben auf eine Zahl.

„Also gut ... der erste Anruf von der Lobeck war exakt am 20. September in diesem Jahr um 10:01 Uhr gewesen. Ist das so richtig? Also, dass an diesem Morgen, und mit diesem Anruf von Regina Lobeck alles begann?“

„Weg, du!“

Ein heftiger Stoß von der Seite, ich falle, rutsche, bleibe bei den CD-Rohlingen, Game-Mäusen und PC-Lampen liegen. Das Mikrofon ist mir im Fallen aus der Hand geglitten, und unter einen Aufsteller gerollt. Wenigstens habe ich das Aufzeichnungsgerät im Fallen schützen können. Das Mikrofonkabel ist aus der Buchse herausgezogen.

„Hallo?“

„Bin grade im Einsatz“, sage ich keuchend, „Ihre Nummer habe ich im Display, in ein paar Minuten, ja?“

Ich finde das Mikrofon, verkable es wieder mit dem Aufnahmegerät, dann haste ich los.

Die Miete steht in zwei Wochen an.

Vorbei also an Bügeleisen, Körperfettwaagen, Epiliergeräten, Rotlichtlampen, dann ...

Ungläubig.

Fassungslos.

Gewaltbereit.

„Nee, ne! Und nu’?“

Zwei Promotionsmitarbeiterinnen mit grünen T-Shirts sehen betont deeskalierend alle an. Im Augenwinkel bemerke ich Fliederfarbenes versteckt hinter Waffeleisen und Toastern.

„Es gibt einen Extrastand für die Koryo, wenn Sie wegen der da sind.“

Süffisant die eine.

„Weil doch heute der erste Verkaufstag ist, Promo fürs Wunderteil.“

Nonchalant die andere.

Beide drehen sich, ich erwarte, dass sie jetzt synchron sprechen, was sie nicht machen.

„Da hinten, bei den gewölbten Panoramabildschirmen. Da ist auch wegen der Mattenpromo heute Ausschank mit grünem Tee.“

Der Run setzt augenblicklich ein.

3.

Tornadoaugen

Erster Schritt: früher da sein.

Immer.

Also bestelle ich eine halbe Stunde vor dem Termin mit Regina Lobeck beim Hereinkommen ins Ars an der Theke einen Latte macchiato.

Zweiter Schritt: Den am weitesten entfernten Platz vom Treffpunkt suchen, und ihn als eine Art Hochsitz nutzen.

Mit dem heißen Getränk setze mich also in eine Ecke des Cafés – weit, und damit hoch, vom Eingang weg. Vor hier aus werde ich Regina Lobeck, wenn sie das Café betritt, eher sehen … als sie mich.

Doch das ist nicht wirklich wichtig.

Wichtiger ist: Ich werde hören, wie sie hereinkommt, in welcher Lautstärke, in welcher Art, ich meine: in welcher Tonsorte.

Sucht sie vielleicht, indem sie beim Hereinkommen sich hektisch um sich selbst dreht, nervös, weil unsicher. Quietscht sie dabei mit den Schuhen, raschelt mit der Jacke?

Oder betritt sie still das Café, vorsichtig fast, fragt etwa flüsternd nach mir, hält Ausschau, wo ich bin.

All das habe ich in Sekundenbruchteilen nicht nur gesehen, um mir ein erstes Bild zu machen, wer der- oder diejenige ist, die einen Hörfunk-Ermittler beauftragt, ich habe vielmehr durch das Hören Zusätzliches erfahren. Nicht selten ist das mehr, als jemand von sich freiwillig preisgibt.

Also warte ich.

Das Ars am Tempelhofer Hafen war früher der untere Bereich eines Löschsilos. Wo jetzt Spiegel hängen, Bistrotische stehen, mit Vasen voller Plastikblumen darauf, ergoss sich einst Weizen oder Roggen, kubikmetertief. Jetzt ist das Silo ein Café im Stil eines klassischen Kaffeehauses mit Stuck, goldenen Spiegeln, in denen ich mich jetzt sehe.

Ein Glatzkopf, mit von Anfang an empfindlichen Ohren, die blauen Augen übermüdet von der seit nun drei Jahren dauernden Trennungsnacht mit Hannah. Kräftige Schultern, der Brustkorb sportlich im weißen Hemd.

Die Lippen schmal, seit vielen Jahren unberührt.

Ich sitze, warte, denke an heute Morgen zurück.

Vier Bänke mit jeweils zwei Koryo-Matten darauf, die Lehnen gegeneinander, im leeren Viereck, das die Banklehnen bildeten, ein Promoständer für die Matte.

Koryo leistete ganze Arbeit, die Sitzenden waren längst nicht mehr im Hier und Jetzt.

Der Kompakte und der Schlaksige sahen konzentriert auf ihre Smartphones, stoppten die Sitzzeiten, damit keiner seine Matte länger beanspruchte, als er durfte.

Ich zeichnete das feine Summen der Matten auf, die abgedimmten Wellensounds und Gebirgsatmos von den Monitoren, dann drehte ich mich zu den Anderen um, die mit mir auf eine frei werdende Matte warteten.

„Was ist Ihnen so wichtig an der Matte?“, fragte ich.

Ein älterer Herr mit Schnauzbart und Schiebermütze: „Hab’ Rücken, seit ich Mitte vierzig bin. Jetzt werden die Schmerzmittel immer mehr. Die Matte soll helfen, weniger davon einzunehmen.“

„Seit mein Mann tot ist, hat mich keiner mehr angefasst“, flüsterte eine attraktive Mittsechzigerin, und schüttelte die Locken. „Ich schließe die Augen und denke, es könnte Roland sein.“

Dann stand eine dicke Frau auf, stöhnte wohlig.

Der Schlaksige deutete zu mir hin auf die freie Matte.

„Bist du jetzt dran!“

Pünktlich poltert die Eingangstür, mit knarrenden Schritten steht Regina Lobeck auf dem Holzboden im Ars, erkennbar an der verabredeten roten Daunenjacke und der schwarzen Aktentasche in der Hand.

Einen Moment lang steht sie da, scannt souverän das Café, die Gäste ab.

Weder still noch laut.

Sie ist Anfang vierzig, sportlich, schlank, Joggerin vielleicht, der Mund leuchtend rot geschminkt, Faltenkranz um die Augenränder, lange, gelockte, aschblonde Haare, braune Augen, sehnige Händen mit langen Fingern, mit der linken Hand schiebt sie jetzt die Haare etwas zurück, ich sehe keinen Ehering.

Ich schließe die Augen, höre ihr verhaltenes Atmen, und auch, wie sie mit gedämpft raschelnder Tasche, sie hält die Hand auf die Tasche, zur Theke geht und nach einem Mann mit Glatze fragt, wie ich es ihr gesagt habe. Ihre Stimme ist klarer und voller als beim Telefonat, leicht nervös vibrierend. Ich öffne die Augen, sehe, wie Regina Lobeck einen Stuhl zurückzieht, sich hinsetzt, wartet.

Still … ganz still.

Sie lässt mich kommen, denke ich, sie steht am Saum des Feldes, das ich für sie beackern soll.

Ich stehe auf.

„Während meines BWL-Studiums war ich ein Jahr lang in Amerika. Dort habe ich auch einen Journalisten, so wie Sie, kennengelernt. Der war aber Wetterjournalist, wusste gar nicht bis dahin, dass es so was gibt, dessen Spezialität waren Tornados. Und mit dem bin ich hin und wieder mitgeflogen. Ne tolle Sache, Tornadofliegen, sollte man mal gemacht haben. Unheimlich dabei ist der Eyewall, der Wolkenwall an den Augenseiten, hohe Quellwolken, eine gewaltige, wabernde, weiße Wand um das Innere des Tornadoauges herum. Im Auge selbst ist es dann fast immer total windstill, oft sonnig und kalt.“

Sie macht kurz Pause, trinkt von ihrem Espresso, ihre rote Daunenjacke hat sie ausgezogen, und über den Stuhl hinter sich gehängt. Jetzt sitzt sie mir in einer weißen Leinenbluse gegenüber.

Warum erzählt sie mir das mit dem Tornado, denke ich, was ist mir ihr? Während ich mich das frage, spüre ich gleichzeitig Verwirrung, Taumeln, Vergangenheit ... dann weiß ich, es ist das Parfüm der Lobeck, es ist Ulrikes Parfüm, meine Jugendliebe, das die Jahrzehnte als nahezu einziges seiner Art am Parfümmarkt überdauert hat. Manchmal gehe ich in die Kaufhäuser, selbst jetzt noch, 30 Jahre später, und rieche an den offenen Flakons, versinke in den Bildern, denke daran, wie nahe ich dem Selbstmord als 28-Jähriger gewesen war, als ich Ulrike verließ.

Doch die Lobeck bietet noch mehr.

Unter ihren Worten liegt ein Drängen, die Notwendigkeit, mich unbedingt von dem, was sie sagt, zu überzeugen, Druck, mein Nicken, meine Zustimmung zu erreichen.

Dazu laszives Rascheln ihres BHs an der weißen Bluse …

„Ich bin nicht verheiratet“, sagt sie, „wenigstens noch nicht. Seit gut 20 Jahren bin ich mit Itay Teichmann zusammen. Er stammt aus einer deutschen Familie, die 1936 vor den Nationalsozialisten nach Palästina damals, also ins heutige Israel fliehen konnte. Er ist in Tel Aviv aufgewachsen, Controller von Beruf, wie ich. Wir haben uns hier in Berlin während des Studiums auf der Uni getroffen. Er ist ein Zahlenmensch, ich auch, er durch und durch. Wir arbeiten beide am BER, dem dortigen Finanzzentrum. BER, Sie wissen schon, der weltweit einzige Flughafen, der nie fertig wird.“

„Und was hat das alles mit dem Wirbelsturm-Auge zu tun?“

Regina Lobecks Parfüm streichelt mich.

„Itay kam vor einem Monat zu mir …“, sie denkt nach, ihr Parfüm küsst mich, „… ja, wohl vor sechs Wochen schon, und fing mit diesem Tornadoaugengerede an. Ich hatte ihm einmal von meiner Zeit in den USA erzählt.

,Du weißt ja, im Zentrum eines Wirbelsturmes ist es sehr still‘, sagte er. Ich erinnere mich noch genau, mit diesem Satz begann es.

,So ist es auch beim Scheitern. Im Zentrum des Scheiterns ist es still, wie bei einem Tornado, wie bei einem Tornado, Regi...‘

Das hat er mehrmals wiederholt. Dann kam lange Zeit nichts mehr davon. Bis er vor einem Monat mir abends einen Umschlag auf den Tisch legte.

,Hol um Gottes willen nicht die Polizei‘, sagte er. ,Sprich mit keinem darüber. Egal, was passiert. Sprich mit keinem darüber. Und geh zu Rainer, und lass dir für mich eine Krankschreibung ausstellen. Die schick dann in die Firma.‘

Rainer ist sein langjähriger Arzt-Freund.

,Ich bin gescheitert‘, erklärte Itay, ,ich konnte nicht widerstehen.‘

Ich öffnete den Umschlag.

Darin 250.000 Euro.

Zehn Minuten später ging er aus dem Haus, in der Hand den anscheinend schon vorher gepackten Koffer.

Seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört.“

Regina Lobeck trinkt wieder einen Schluck Espresso, dann schließt sie die Augen für einen Moment, danach sieht sie mich ernst an.

„Einen Tag, nachdem Itay weg war, begann es mit den Anrufen nachts. Ausländische Stimmen in einer noch nie gehörten Sprache, die mich brutal anschrien. Legte ich auf, wurde sofort wieder angerufen, manchmal ging das so zwanzig Mal in der Nacht. Und mehrmals, seitdem Itay mir das Geld gegeben hatte, klingelte es gegen drei Uhr morgens an der Haustür. Itay und ich haben ein Häuschen im Tempelhofer Fliegerviertel. Ging ich herunter, um aufzumachen, so war niemand da. War ich wieder im Schlafzimmer, klingelte es erneut. Und manchmal glaube ich, ich werde auf der Straße am helllichten Tag verfolgt. Gestern, das war der Anlass, an dem ich Sie angerufen habe, hielt mich an einer Ampel am Tempelhofer Damm plötzlich eine junge Asiatin am Arm fest.

,Bitte‘, sagte sie, ,warum hat Ihr Mann das gemacht? Bringen Sie sich doch nicht in Gefahr, um Gotteswillen. Wissen Sie denn, mit wem Sie es zu tun haben? Wo ist er? So helfen Sie sich doch selbst.‘

Die junge Frau verschwand, bevor ich etwas sagen konnte. Was hat das zu bedeuten?

Was ist das für Geld? Woher kommt es? Selbst wenn Itay es gestohlen hat, ich könnte das Geld noch nicht einmal zurückgeben, Herrgott, ich wüsste ja noch nicht einmal wem?“

Sie macht eine Pause, holt ein Taschentuch aus der Tasche, schnäuzt sich.

Ich habe sofort Fragen.

Etwa, warum sie nicht gemerkt hat, dass ihr Mann den Koffer schon vorher gepackt hatte? So was merkt man doch, wenn man zusammenwohnt. Auf was für ein Verhältnis zueinander lässt das schließen? Und wo ist das Geld jetzt? Und warum ist sie nicht zur Polizei gegangen, gerade wegen Itays Verbot und Warnung? Wer so bedroht und attackiert wird, muss sich wehren, die Polizei hätte sie natürlich schützen können, jederzeit und umfassend.

Also sage ich: „Eigentlich, Frau Lobeck, suche ich nur nach verschwundenen Personen im Rahmen einer unerledigten Zahlung vielleicht, oder auch, wenn einer mal seine Jugendliebe wieder auffrischen möchte, so. Ich bin eher so der Mann für die kleineren Misslichkeiten im Leben, die man manchmal allein nicht geregelt bekommt. Etwa wenn der Nachbar unter einem aus lauter Böswilligkeit den Briefkasten leert, und wichtige Briefe so nicht ankommen. Oder der Ex-Freund einen partout nicht in Ruhe lassen will, ja, so! Das hier aber ist eine deutlich andere Hausnummer. Das ist nicht wirklich so meine Sache.“

Sie nickt.

Dann laufen ihr Tränen über das Gesicht, eine glänzende Spur vom Kajalstift entsteht, die zu ihrer Not führt.

Ich sehe hin, fühle mit ihr, doch plötzlich denke ich: Die Zeichnung in ihrem Gesicht ist nicht echt, kein Original, etwas stimmt mit den Tönen nicht. Da ist kein ersticktes inneres Heulen, wie ich das von verzweifelten Auftraggeberinnen kenne, keine echte Not, die im Schluchzen, in der Enge einer nicht freien Atmung zu hören ist. Was ich höre, ist das, was man von einer Situation wie dieser zu erwarten hat: Angst, die man riecht, Ohnmacht, die sich in kurzen, tonlosen Pausen ausdrückt, das Gefühl von Ausgeliefertsein, von Wehrlosigkeit, die sich im leichten Vorschieben von Regina Lobecks Schultern, dem Rascheln der Bluse darstellt.

Aber alles ist eher still, verhalten, wie geübt.

„Und generell“, sage ich, „wie sind Sie auf mich gekommen? Es gibt erheblich größere Ermittlungsagenturen als mich.“

„Ich habe Ihre Nummer von Frau Biluschek, die vom Spreewald mit dem Leinöl. Itay und ich haben da manchmal in der Pension ein Wochenende verbracht, und Frau Biluschek hat einmal von Ihnen erzählt.“