Burn-Out für Fortgeschrittene - Peter Kaiser - E-Book

Burn-Out für Fortgeschrittene E-Book

Peter Kaiser

3,1

Beschreibung

Das Buch handelt vom selbst- und fremdbestimmten Umgang mit Freiheit und Freiräumen. Und den sich hierdurch ergebenden Pflichten, Belastungen und Zwängen. Der Burn-Out-Anfänger hat keine oder kaum Freiheiten. Der Fortgeschrittene schon. Aber er muss lernen, damit umzugehen. "Burn-Out für Fortgeschrittene" richtet sich an Menschen, welche selbstbestimmt in den Burn-Out geraten sind. An Menschen, welche die Geister, die sie riefen, nicht mehr loswerden, sondern sich von ihnen beherrschen lassen. Ein Buch für die, welche an Veränderung glauben, sie lieben oder brauchen. Und natürlich für diejenigen, welche das größte Wandlungspotenzial in sich selbst sehen. Dies ist kein wissenschaftliches Buch, noch ein Ratgeber im eigentlichen Sinne. Es ist der Bericht eines Arztes und Therapeuten, der sich aus dem Burn-Out-Sumpf gerade noch befreien konnte. Coverbild: "Tracks" Acryl auf Leinwand, 2015. David Kaiser. Private Sammlung.

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Seitenzahl: 239

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Inhalt

Vorwort

Einleitung

Auf der Couch

Der Fall K aus der Opfer-Perspektive

Der Fall K aus der Täter-Perspektive

Was darf´s denn sein: Depression oder Burn-Out

Burn-Out: Symptome

Depression: Symptome

Fluch der Postmoderne: Geschichte des Burn-Out

Helden der Arbeit

Postmoderne Risikogesellschaft

Der Protagonist – das sind Sie

Erfahrungen

Selbstwirksamkeit

Persönlichkeit und Risikofaktoren

Wo stehen Sie?

Fremdbewertung versus Selbstbewertung

Pflicht und Kür

Bilanz

Setting und Interaktion

Setting – die Umgebungsbedingungen

Interaktion und Kommunikation

The way out – my way out

Spannungsregulation und Achtsamkeitsförderung

Flüchtlingsszenario

Reflektion, Ein-Blick und Aus-Blick

Prioritäten setzen

My way out

Eine Woche im Leben eines Chefarztes

Literaturempfehlung

Über den Autor

Vorwort

„Gut, dass Sie den Burn-Out schon heute haben, dann denken Sie schon heute über Ihr Leben nach, und nicht erst wenn Sie in Rente gehen.“ (Verfasser dem Autor bekannt)

Dies ist kein wissenschaftliches Buch mit entsprechenden Referenzen und Literaturhinweisen, noch ein Ratgeber im eigentlichen Sinne. Sie werden in diesem Buch nicht die klassischen Tipps finden, welche kochbuchartig übernommen werden können und dann zu einem besseren Leben führen. Diese Bücher gibt es schon - im Kapitel: Weiterführende Literatur sind einige - meiner Meinung nach geeignete-aufgelistet.

Der vorliegende Text hat starke autobiografische Züge. Und trotzdem soll versucht werden, vom Einzelfall durch die Veränderung der Blickwinkel und Interpretationen auf allgemeine Rahmenbedingungen zu schließen, auf welche man in seiner Umgebung und bei sich selbst stößt und welche die Entstehung eines Burn-Out begünstigen.

Ziel des Buches soll es sein, über sich selbst und die Situation dahingehend zu reflektieren, dass am Ende dieser Reflexion eine größere Akzeptanz des eigenen So-Seins den Umgang mit den zuvor als unerträglich wahrgenommenen Lebensbedingungen erleichtert.

Das Buch richtet sich an diejenigen, welche nur vermeintlich - aus der eigenen Perspektive heraus - glauben davon ausgehen zu müssen, dass die gegenwärtigen Rahmenbedingungen nicht verändert werden können. Aber motiviert sind, sich vom Gegenteil überzeugen zu lassen. Ob diese Bedingungen tatsächlich unveränderbar sind, lässt sich im Voraus nicht immer eindeutig beurteilen. Denjenigen, welche alle Hoffnung haben fahren lassen, empfehle ich dringend die Konsultation eines fähigen Psychotherapeuten.

Ich weiß, wovon ich rede.

Ein Buch für die, welche an Veränderung glauben, sie lieben oder brauchen oder hassen oder fürchten. Und für diejenigen, welche das größte Wandlungspotenzial in sich selbst sehen.

Zum Aufbau des Buches:

Im Kapitel „Einleitung“ wird beschrieben, was mit dem Titel “Burn-Out für Fortgeschrittene“ gemeint ist und an wen sich das Buch schwerpunktmäßig richtet.

Im Kapitel „Auf der Couch“ wird der Chefarzt aus zwei Perspektiven heraus befragt: Die eine stellt ihn als Opfer der Umgebungsbedingungen dar, die andere hinterfragt kritisch die Rolle des Autors und seinen Anteil bei der Entwicklung des Burn-Out und möchte den Betroffenen nicht nur als den verstanden wissen, mit welchem etwas passiv geschieht, sondern dessen Verhalten wiederum das Verhalten seiner Umgebung beeinflusst.

Im folgenden Kapitel „Was darf´s denn sein: Depression oder Burn-Out“ werden die medizinisch/psychologischen Gemeinsamkeiten von Depression und Burn-Out, aber auch die Unterschiede beleuchtet.

Einen kurzen historischen Überblick gibt das Kapitel „Fluch der Postmoderne – Geschichte des Burn-Out“.

Das Kapitel „Der Protagonist - das sind Sie“ beschreibt die klassischen persönlichkeitsbezogenen Risikofaktoren, welche die Voraussetzungen für die Entwicklung eines Burn-Out-Syndroms darstellen. Daran anschließend wird im Kapitel „Setting und Interaktion“ auf die Umgebungsbedingungen eingegangen.

Auch dieses Buch kommt nicht ganz ohne Ratschläge aus - im Kapitel „The way out - my way out“ - werden mögliche Wege skizziert.

Das Buch schließt mit einem Tagebuch, welches eine Woche lang den beruflichen Alltag eines psychiatrischen Chefarztes beschreibt.

Zur Verortung des Ausdrucks Burn-Out in Deutschland und um die Bandbreite diesbezüglicher Wahrnehmungen und Meinungen etwas transparenter zu machen, wurde jedem Kapitel die persönliche Stellungnahme zweier Personen vorangestellt, welche von mir zum Thema Burn-Out befragt wurden. Acht Frauen und vier Männer im Alter zwischen 40 und 60 Jahren stimmten einer Veröffentlichung zu. Sie waren ausgewählt worden, da sie aufgrund ihrer Tätigkeit entweder selbst der Gefahr der Entwicklung eines Burn-Out ausgesetzt sind oder mit solchen Menschen zu tun haben. An biographischen Daten wurden Informationen zu Alter, zu Anzahl und Alter möglicher Kinder, zum Beruf bzw. zur aktuellen Tätigkeit und zu Hobbies erhoben.

Hier die Fragen im Wortlaut:

Beschreiben Sie kurz Ihre persönliche berufliche und private Situation. Sind Sie damit zufrieden?

Was ist für Sie Burn-Out?

Ist Burn-Out ein typisch deutsches Phänomen?

Wer ist Ihrer Meinung nach eher gefährdet, ein Burn-Out zu entwickeln, Männer oder Frauen, oder kann man das so nicht sagen?

Die Antworten der befragten Personen wurden im Wortlaut übernommen, lediglich die Initialen wurden anonymisiert.

Dass dieses Buch überhaupt geschrieben werden konnte, verdanke ich dem Umstand, dass ich gezwungen war, zumindest für eine gewisse Zeit meinen Arbeitsplatz gegen eine erträglichere Arbeitsumgebung einzutauschen. Erträglich im Sinne des Arbeitsumfanges, erträglich aber insbesondere bezüglich der allgemeinen Arbeitssituation. Und diese Situation hat mich erst in einen Zustand versetzt, welcher landläufig mit Burn-Out-Syndrom umschrieben wird und Anlass gab, dieses Buch zu schreiben.

Mein besonderer Dank gilt meiner Frau Elisabeth und meinen Kindern Maya und David. Dafür, dass sie mich in diesen 3 Jahren gefühlter Fronarbeit unter- und gestützt haben und mit meinen Launen verständnisvoll und wenn nötig korrigierend umgegangen sind.

Im April 2016

Einleitung

„Die Perspektive im Hamsterrad ist einseitig und langweilig und ungerecht.“

(Verfasser ist dem Autor bekannt)

B. C., weiblich,

48 Jahre, verheiratet, keine Kinder.

Beruf, aktuelle Tätigkeit: Direktionsassistentin / Automobilgroßkonzern.

Hobbys: Schwimmen, Laufen, Lesen.

Beschreiben Sie kurz Ihre persönliche berufliche und private Situation. Sind Sie damit zufrieden?

Beruflich sehr eingespannt in einem großen Automobilkonzern Aufgabenumfeld Sekretariat Konzernorganisation; privat glücklich verheiratet und zufrieden.

Was ist für Sie Burn-Out?

Erschöpfungszustand; berufliche Überbeanspruchung.

Ist Burn-Out ein typisch deutsches Phänomen?

Nein kein typisch deutsches Phänomen.

Wer ist Ihrer Meinung nach eher gefährdet, ein Burn-Out zu entwickeln, Männer oder Frauen, oder kann man das nicht so sagen?

Beide, Männer und Frauen.

S.W., männlich,

47 Jahre, geschieden, mit Partnerin lebend, 4 Kinder, 2, 6, 12 und 15 Jahre Beruf, aktuelle Tätigkeit: als angestellter Arzt und als Honorararzt.

Hobbys: Werkeln, jedoch nicht möglich auszuführen, da keine Zeit.

Beschreiben Sie kurz Ihre persönliche berufliche und private Situation. Sind Sie damit zufrieden?

Sowohl in der beruflichen, wie auch in der privaten Situation bin ich nicht zufrieden. Ich bin mittlerweile ein sehr erfahrener Arzt. Beruflich kann es durchaus vorkommen, dass ich nach einer 12-Stundenschicht 6 Stunden unterwegs bin, um anschließend noch 6 Stunden zu arbeiten. Die Zeit für die Familie beschränkt sich auf Telefonate aus dem Auto. Schlafen ist in 15 min. Phasen zwischendurch möglich. Diese Form der Arbeitsgestaltung ist zwar extrem, kann aber durchaus vorkommen. Entspanntes Arbeiten heißt für mich meist 12-Stunden-Schicht, gekoppelt an 4 Stunden Fahrt zur/von der Arbeit. Auch wenn die Arbeit durchaus Befriedigung bereitet, ist jedoch sehr wenig Zeit da für die wirklich wichtigen Sachen im Leben, nämlich die Familie. Ich bin geschieden, habe aus meiner 1. Ehe 2 Töchter und mit meiner Partnerin einen Sohn und eine Tochter. Ich bin unglücklich darüber, dass ich für alle Kinder nicht der Vater sein kann, wie ich mir selber vorstelle.

Was ist für Sie Burn-out?

Ausgebrannt sein, am Rande der Möglichkeiten und völlig erschöpft.

Ist Burn-Out ein typisch deutsches Phänomen?

Sicher nicht, vollkommen ausgebrannt sein, ist nicht was Neues. In anderen Ländern und Kontinenten wird diesen Zustand anders genannt. In ursprünglichen Sprachen in Mittel- und Südamerika gibt es sogar Begriffe für diesen Zustand.

Wer ist Ihrer Meinung nach eher gefährdet, ein Burn-Out zu entwickeln, Männer oder Frauen, oder kann man das nicht so sagen?

Ich denke, dass Männer eher dazu neigen, da sie häufiger Raubbau an den eigenen Kräften betreiben. Frauen sind eher vernünftiger und weniger „extremistisch“.

Ich habe mir lange überlegt, wie dieses Buch genannt werden soll, und immer wieder Titel verworfen. Angelehnt an ein Kochbuch stand zur Debatte: „Ein Chefarzt empfiehlt“. Dann wollte ich betonen, dass ich mich in einer Krise befand, als ich damit begonnen hatte, das Buch zu schreiben. Es hätte dann heißen sollen: „ein Noch-Chefarzt“ oder „ehemaliger Chefarzt empfiehlt“, denn damals stand mein Entschluss fest, wieder leben zu wollen und es war mehr als unklar, ob ich weiterhin diese Position bekleiden wollte und konnte.

Ich hatte sehr viel Glück. Nach Monaten der Auseinandersetzung und des Kampfes am Ende meiner Kräfte angelangt, waren Suizidgedanken immer wieder latent vorhanden gewesen. Diese allerdings immer vor dem Hintergrund, dass mir klar war, Selbsttötung wäre verantwortungslos gegenüber meiner Familie und ein schlechtes Vorbild denen gegenüber, für die mich verantwortlich fühlte - Stichwort protestantische Ethik. Und - das wäre die Sache nicht wert gewesen. Man hätte mir postum vorwerfen können, „er habe es halt nicht geschafft“, „man habe es schon immer gewusst“ und damit einen Schuldigen gefunden. In einer persönlich als absoluten Tiefpunkt empfundenen Situation kam einer von mir intendierten Kündigung ein Stellenangebot zuvor, welches auf den ersten Blick wenig reizvoll erschien, aber einen Rettungsanker darstellte. Im Nachhinein entpuppte es sich als ein Geschenk der Götter. Erst durch das örtliche, emotionale und kognitive „Heraus-treten“ aus der subjektiv als aussichtslos wahrgenommen Situation, konnte ich wieder zu mir finden. Am längsten benötigte es, den emotionalen Abstand herzustellen. Erst nachdem ich das Hamsterrad verlassen hatte, konnte ich die Perspektive meines Gegenübers reflektieren und seine Wahrnehmungen verstehen lernen.

Man kann sich die Frage stellen, warum jemand der tagtäglich beruflich mit Burn-Out zu tun hat, internationale Firmen als auch Kleinunternehmer berät, Vorträge vor Laien und Profis hält, diesbezüglich was die eigene Person angeht auf beiden Augen blind zu sein scheint. Das Buch des niederländischen Psychiatrieprofessors Piet Kuiper „Seelenfinsternis“, welcher retrospektiv seine eigene schwere Depression thematisiert, und der ohne die Hilfe seiner sozialen Umgebung aus dieser existentiellen Krise nicht mehr herausgefunden hätte, hat mich seinerzeit schwer beeindruckt. Wie kann jemand die Zeichen einer Erkrankung, welche er regelmäßig Studenten im Vorlesungssaal nahezubringen versucht, an sich selbst nicht wahrnehmen? Und sich dann bei vorliegender Diagnose nicht zumindest ansatzweise selbst ausreichend medikamentös behandeln oder sich helfen lassen? Es ist möglich - ich habe es selbst vor einem anderen Hintergrund erlebt.

Warum nun ein Buch für Burn-Out-Fortgeschrittene?

Wenn es Fortgeschrittene gibt, was sind dann Anfänger? Das klingt auf den ersten Blick überheblich. Soll es nicht. Ich habe bei den „Fortgeschrittenen“ allerdings eine ganz spezielle Zielgruppe im Blick. Eine Zielgruppe, welche trotz ihrer Unterschiedlichkeit – Herkunft, Geschlecht, Tätigkeitsbereich – bestimmte Persönlichkeitseigenschaften teilt. Und auch spezifische, nicht selten selbst ausgewählte, selbst-„bestimmte“ Rahmenbedingungen. Dieser in ihrer besonderen Heterogenität sich ähnelnde Gruppe kann eine zweite gegenüber gestellt werden: Das betrifft Menschen, welche unter nicht selbst gewählten Umständen und Bedingungen leben müssen und tätig sind - sei es die überlastete Ehefrau, die neben einer aus finanziellen Gründen aufgenommenen beruflichen Teilzeittätigkeit, die Kinder versorgt, den Mann bekocht und bespasst, und sich noch um ihre dementen (Schwieger)-Eltern kümmern muss. Oder die Eltern, die ein behindertes Kind zu betreuen haben. Aufgaben und Belastungen, welche sich keiner der Betroffenen gewünscht hat und deren Umfang anfänglich oft nicht absehbar gewesen war. Der Tierpfleger, welcher gezwungen ist, ungezählte Überstunden machen zu müssen, weil Mitarbeiter fehlen und andere nicht einfach die Betreuung seiner Tiere übernehmen können. Die professionell Pflegenden in den Heimen und Krankenhäusern und in den ambulanten Diensten, die aufgrund des Fachkräftemangels ebenfalls regelmäßig Mehrarbeit leisten, da sonst die Versorgung der Patienten nicht mehr sichergestellt wäre. Oder aber das Geld für die Familie nicht reicht. Nun kann man einwenden, dass bei den letzten genannten Beispielen das Tarifrecht der Selbst- und Fremdausbeutung klare Grenzen setzt. Ein weiteres Beispiel, welches ich aus eigener Erfahrung kenne, ist der Assistenzarzt, der – zwar tariflich nicht erlaubt – eine Überstunde nach der anderen leisten muss, nach dem Nachtdienst nicht - wie vorgeschrieben - nach Hause geht, sondern auf Station, um nochmals nach seinen Patienten zu sehen, von denen er weiß, dass sie ohne seine Visite an diesem Tag keinen Arzt mehr sehen werden. Einfach weil der Kollege krank ist, oder im Urlaub oder es ihn oder sie gar nicht gibt. Stichwort Ärztemangel. Alle diese Mehr-Arbeitenden machen dies aus einer Verpflichtung heraus, welche eine Notwendigkeit darstellt, diktiert von den Rahmenbedingungen.

Menschen, welche die Rahmenbedingungen weder selbst ausgewählt haben, noch einen größeren ideellen Nutzen davon haben, und die Symptome des Burn-Outs aufweisen, würde ich als Menschen bezeichnen, welche Burn-Out-Anfänger sind. Diese würden wahrscheinlich bei sich verändernden Rahmenbedingungen rasch wieder gesund werden. Einfach dadurch, dass die zusätzlichen Belastungen - Mehrarbeit, Sorgen etc. wegfallen. Natürlich ist nicht ausgeschlossen, dass auch ein Burn-Out-Anfänger sich zusätzlich Bedingungen schafft, welche die ursprünglichen Schwierigkeiten weiter verstärken. Die überlastete berufstätige Alleinerziehende, welche sich selbst oder durch die Verwandtschaft induziert, die Bürde der Zubereitung eines aufwendigen Weihnachtsmenüs für die Großfamilie auflädt oder aufladen lässt: „Du machst das einfach immer so toll“. Unnötig – würden die einen sagen. Wichtig für das Selbstgefühl – die anderen. Notwendig, da schon immer so gemacht – die Dritten. Häufig lässt sich keine klare Grenze zwischen „Anfängern“ und „Fortgeschrittenen“ ziehen. Oft sind es gerade die ungeplanten zusätzlichen Belastungen, wie die neu eingetretene Pflegebedürftigkeit eines Angehörigen oder der zusätzliche Ausfall eines Mitarbeiters, welcher dann das Fass zum Überlaufen bringt, und den Burn-Out manifest werden lässt.

Somit sind die letzten beiden Beispiele schon an der Grenze zum fortgeschrittenen „Burn-Out-ler“: Niemand zwingt den Tierpfleger und die Pflegekraft mehr zu arbeiten als tarifrechtlich vorgeschrieben ist. Und trotzdem wird es gemacht. Stichwort Committment und Handlungsethik. Doch dazu später.

Mit „fortgeschritten“ soll hier dem Umstand Rechnung getragen werden, dass manche Menschen sich teilweise über Jahre in eine Situation - anfänglich sicher auch selbstbestimmt - hineinmanövriert haben, in welcher sie nun die Geister, die sie riefen nicht mehr loswerden. Was zu Beginn der Tätigkeit oder der Beschäftigung angenehm und interessant war, ist ihnen irgendwann über den Kopf gewachsen, ist ihnen zu viel geworden. Häufig durch die Kombination verschiedener Aktivitäten, verschiedener „Baustellen“ die bedient werden müssen. Die hierzu notwendige durchdachte und disziplinierte Organisation erfordert eine extrinsische (durch äußere Faktoren verursachte) und intrinsische (Selbst)-Motivation. Voraussetzungen hierfür sind zum einen eine Umgebung, welche diese Gestaltungs- und Handlungsfreiräume bietet, meist auch eine entsprechende Ausbildung und schließlich auch eine entsprechende Motivation.

Es geht mir um den Umgang mit Freiheiten und den sich hierdurch ergebenden Pflichten und Belastungen. Für die Umgebung und für sich selbst. Der Anfänger hat keine oder kaum Freiheiten. Der Fortgeschrittene schon. Und er kann damit wohl nicht in der Weise umgehen, dass er gesund bleibt.

Für Fortgeschrittene heißt es auch: Wahrzunehmen, dass in einem anderen Job nicht alles besser sein muss. Dass man sich selbst zu einer anderen Arbeitsstelle mitnimmt. Dass man weiter mit sich selbst leben muss, wie man mit einem Risikofaktor leben muss. Doch gilt es hier zu differenzieren: Habe ich eine Mangelmutante der sogenannten Brustkrebs-Gene BRCA in meiner Familie, dann werde ich ein Leben lang eine erhöhte Wahrscheinlichkeit haben, einen Brustkrebs zu entwickeln. Ähnliches trifft auf das familiäre Alzheimer-Gen zu. Nun gibt es hier jedoch einen bedeutsamen Unterschied: Die Diagnose des Brustkrebsgens führt heutzutage dazu, dass die betroffenen Frauen sich deutlich häufiger eine Mammographie unterziehen, und somit mögliche Tumorentwicklungen früher diagnostiziert werden können als bei Frauen, die diesen Risikofaktor nicht besitzen, und nicht zur Vorsorgeuntersuchung gehen. In diesem Fall bedeutet das, dass der Risikofaktor unter bestimmten Bedingungen protektive Wirkung haben kann. Anders verhält es sich zumindest momentan bei Varianten des ApoE, des „Alzheimer-Gens“. Das Wissen über diesen familiären Risikofaktor führt zu keiner Prophylaxe oder spezifischen Therapie. Es erhöht lediglich die Wahrscheinlichkeit sehr früh an der Alzheimer-Demenz zu erkranken, ohne dass der Betroffene gegenwärtig diesbezüglich Schutzmaßnahmen ergreifen könnte.

Burn-Out kann als Folge von verschiedenen Risikofaktoren, auf welche noch näher einzugehen ist, betrachtet werden. Durch verbesserte Selbstwahrnehmung (Introspektion), könnte der Betroffene aufmerksamer werden bezüglich Parametern, welche die Entwicklung eines Burn-Out, gegebenenfalls eines erneuten Burn-Out, fördern. Wie ein Diabetiker, welcher Schwarzwälder Kirschtorte nur in homöopathischen Dosen zu sich nehmen sollte, sollte ein Burn-Out-Gefährdeter mit den Umgebungsbedingungen ebenfalls anders umgehen, als „Normale“. Am Beispiel der „zickigen“ und der „netten“ Sekretärin1 sei dies demonstriert: Für die Zickige stellen Aktenberge auf dem Schreibtisch, eine überquellende Email-Postbox, Anrufer oder Kundschaft keinerlei Risikofaktoren dar, da diese ab einem individuell definierten Belastungspunkt mehr oder weniger ignoriert werden. Die Betroffene hat diesbezüglich eine Resistenz, positiv gesprochen - eine Intelligenz - entwickelt oder ist für diesen Risikofaktor (der Überlastung) noch nie anfällig gewesen. Die Nette, welche die Arbeit und Kundschaft geradezu magisch anzieht – insbesondere, wenn die Alternative die oben beschriebene, weniger zugängliche Kollegin darstellt - muss lernen, ihren Umgang mit diesen Risikofaktoren in ihrem eigenen Interesse und ihrer Gesundheit zuliebe zu verbessern. Und damit leben zu müssen, weniger „geliebt“ zu werden. Doch auch dazu später.

1 Sollte das Beispiel dem Leser bzw. der Leserin nicht politisch korrekt genug erscheinen, ist es ihm respektive ihr natürlich freigestellt, alle Parameter dahingehend zu ändern, dass die Aussage den subjektiv notwendigen Erfordernissen der Gleichberechtigung entspricht. Also beispielsweise: Ersetzen von „zickig“ durch das geschlechtsneutrale „reserviert“; sowie „Sekretärin“ durch „der Assistent/die Assistentin“. Es sei darauf hingewiesen, dass die Termini Sekretär/in bzw. Assistent/in für den Autor wertneutral sind.

Auf der Couch

„Nicht die Tatsachen selbst beunruhigen, sondern die Meinungen darüber.“

Epiktet (um 50 – um 138 n. Chr.)

Dieses Interview mit dem Autor hat in vergleichbarer Form zumindest zum Teil stattgefunden. Genau genommen handelt es sich um einen Dialog zwischen zwei Psychotherapeuten, wobei beide nicht im engeren Sinn im Gespräch therapeutisch tätig werden. Der Ausdruck „Beratung“ würde zu weit gehen, denn das Gespräch gibt keine Beratung wieder, sondern den Versuch, am Beispiel des Autors die Entwicklung eines Burn-Outs aufzuzeichnen. Eines Burn-Outs, welcher durch verschiedene Faktoren verursacht wurde. Faktoren die sich beim Burn-Out-Betroffenen nachweisen lassen, sowie Faktoren der Umgebung – seien es spezifische Personen oder Arbeitsbedingungen im Allgemeinen. Das Gespräch zeigt, dass für die Entwicklung eines Burn-Outs maßgeblich eben nicht nur die Rahmenbedingungen, sondern eben auch spezifische Denk- und Verhaltensmuster der Betroffenen verantwortlich gemacht werden können. Auch an dieser Stelle sei nochmals betont, dass diese Art von Burn-Out sich auf der Grundlage von anfänglich selbst gewählten Konditionen entwickelt.

Dieser Dialog ist allerdings nicht nur eine Aneinanderreihung von Fragen und Antworten.

Der Interviewer stellt zu Beginn einige allgemeine Fragen zum beruflichen und privaten Hintergrund. Diese Informationen sind notwendig, um die sich daran anschließenden beiden Gesprächsverläufe besser verstehen zu können.

Anschließend soll versucht werden auf der Grundlage derselben Hintergrundinformationen zwei gänzlich unterschiedliche Perspektiven zu eröffnen. Geführt durch die Fragen und verbalen Reaktionen des Interviewers - nennen wir ihn wertneutral und bezüglich der Qualität indifferent - einfach Coach, verläuft der erste Teil des Gespräches so, wie typische Gespräche mit Burn-Out-Betroffenen verlaufen. Der Betroffene ist das Opfer, welches nicht verstanden wird und dem teilweise Übles geschieht oder widerfahren ist. Denn Burn-Out-Betroffene neigen häufig dazu, sich entweder als Opfer des Systems zu sehen („wenn man mich nur ließe“, „wenn ich die Ressourcen zur Verfügung gestellt bekommen würde / hätte, dann...“ / „wenn der Chef mich gelassen hätte / ließe...“ etc.) oder sie machen sich Selbstvorwürfe. Und nicht selten ist es eine Mischung aus beiden Wahrnehmungen und Interpretationen.

Im zweiten Teil des Gespräches wird versucht, einen anderen Ansatz zu wählen, welcher darauf abzielt, die „Schuld“ nicht nur beim Gegenüber - also beispielsweise bei Vorgesetzten und Kollegen - oder den Umgebungsbedingungen zu suchen. Das zweite Gespräch soll sich allerdings nicht darin erschöpfen, dass die eigenen Risikofaktoren erkannt werden, sondern dass die Perspektive des Gegenübers eingenommen wird. Aus dieser Perspektive soll das eigene Verhalten wahrgenommen und so weit wie möglich Verständnis für das Verhalten des Gegenübers entwickelt werden. Während der erste Teil des Gespräches in dieser oder ähnlicher Form typisch für die (therapeutische) Bearbeitung von Burn-Out-Problemen gelten kann, ist der theoretische Hintergrund des zweiten Gesprächs in der so genannten Naikan-Therapie zu finden. Diese wird weiter unten beschrieben.

Zur Information: Der „Coach“ in diesem Gespräch ist ausgebildeter Psychotherapeut mit schwerpunktmäßiger Weiterbildung in kognitiver Verhaltenstherapie sowie systemischer Therapie. Er integriert auf Achtsamkeit (engl. Mindfulness) basierende therapeutische Elemente sowie Aspekte der Naikan-Therapie. Dass psychodynamische Überlegungen ebenfalls mit in die Behandlung einfließen, darf bei einer Behandlung, die verschiedene psychotherapeutische Schulen berücksichtigt, als selbstverständlich gelten.

Coach: Herr K, bevor wir zu Ihrer jetzigen Situation kommen, würde ich gerne mehr über Ihren Werdegang erfahren. Erzählen Sie doch kurz, wie Sie Psychiater geworden sind.

K: Das war im Jahr 2000. Damals landete ich in der Psychiatrie. Nachdem es mir bis zu diesem Zeitpunkt nicht gelungen war, eine Facharztausbildung abzuschließen - damals gab es mehr oder weniger eine Ärzteschwemme und es war schwierig Facharzt zu werden, insbesondere nachdem man die Klinik verlassen hatte.

Coach: Warum haben Sie die Universitätsklinik damals verlassen?

K: Ich habe mein Studium 1991 abgeschlossen, dann begann ich an der Uni in der Neuropathologie zu arbeiten, und als mir das Thema zu trocken und zu tot war, in der Inneren Medizin und Tropenmedizin gearbeitet. 1993 bin ich dann mit meiner späteren Frau nach Thailand, um dort meine tropenmedizinische Ausbildung abzuschließen. Nach Rückkehr war die mir versprochene Stelle an der Universität weg, durch den Kauf eines renovierungsbedürftigen Hauses und die Geburt unserer Tochter fühlte ich mich räumlich gebunden, so dass ich eine Stelle bei einem niedergelassenen Dermatologen annahm. Die Arbeit dort war angenehm, ich blieb dort mit Unterbrechungen bis 1999, zwischenzeitlich war ich bei einem niedergelassenen Allgemeinmediziner tätig. In der ganzen Zeit gab es lediglich drei Stellenangebote in der Hautmedizin, das Fach, das ich mir erwählt hatte, nachdem ich in Kambodscha in der Leprabekämpfung ein wenig Erfahrung sammeln konnte und die Eröffnung einer Hautarztpraxis meinen finanziellen Möglichkeiten - nämlich eigentlich keinen - mir am ehesten entgegen kam. Allerdings gelang es mir nicht, eine Stelle für die fehlenden zwei Ausbildungsjahre in der Klinik zu bekommen. In der Zeit zwischen 1994 und 2000 war ich regelmäßig als Tropenmediziner insbesondere in Afrika und Asien, dort häufig in Flüchtlingslagern tätig. 2000 bekam ich dann ein Jobangebot beim Malteser Auslandsdienst, ich sollte für diese Organisation von Nairobi aus das südliche Afrika betreuen. Das war für mich ein sehr reizvolles Angebot. Allerdings konnte ich mir nicht vorstellen, das unsere beiden Kinder, damals fünf und sechs Jahre alt, hinter hohen Mauern bewacht in einer aus meiner Perspektive nicht ungefährlichen Großstadt aufwachsen sollten, und meine Frau ihre Praxis und Tätigkeit als Physiotherapeutin aufgeben sollte. Ich wäre mir dann doch „sehr“ egoistisch vorgekommen. Gerade zu diesem Zeitpunkt, als der Malteser Auslandsdienst auf eine Zuoder Absage wartete, las ich eine Anzeige, dass in der benachbarten Kreisstadt in einer großen psychiatrischen Klinik eine Stelle für einen Arzt zur Weiterbildung in Psychiatrie und Psychotherapie frei war. Die Einladung zum Vorstellungsgespräch erfolgte zeitnah, und das Vorstellungsgespräch wurde von einem Chefarzt und einer Chefärztin in einer so herzlichen und offenen Art geführt, dass man sich schnell einig war. Im September 2000 habe ich dann mit meiner Weiterbildung zum Psychiater und Psychotherapeuten begonnen und habe diesen Entschluss nie bereut.

Coach: Da kann man auch von Glück sprechen. Das heißt Sie gehen davon aus, ohne diese Stelle in der Psychiatrie wären Sie nicht einmal Facharzt geworden?

K: Ich wäre wohl Allgemeinmediziner mit einer Reihe von Zusatzbezeichnungen geworden. Dies war mir bezüglich der Medizin immer ein wenig zu allgemein, ich hätte immer Angst gehabt, auf einem Gebiet der Allgemeinmedizin keine Ahnung zu haben. Einige Zeit war ich Weiterbildungsassistent in einer allgemeinmedizinischen Praxis. Einmal konsultierte mich notfallmäßig ein Patient mit Herzrhythmusstörungen, welcher bisher beim Praxisinhaber, einem Praktischen Arzt, behandelt worden war, Während ich das EKG ableitete, meinte der Patient, dass ihm bisher sein neues Herz keine Schwierigkeiten gemacht habe. Ich habe den Transplantierten dann an das Zentrum geschickt, an welchem er operiert worden war. Was der Praxisinhaber nicht verstehen konnte. Er teilte meine Ansicht nicht, dass ein Herztransplantierter in die Hände eines Kardiologen gehört. Sie haben Recht, es war Glück, dass ich in der Psychiatrie gelandet bin.

Coach: Wie ging es dann weiter, Sie haben in der Klinik, in welcher Sie als Assistenzarzt begonnen hatten, doch so etwas wie Karriere gemacht, oder wie würden Sie das bezeichnen?

K: Wenn man unter Karriere das Zusammentreffen glücklicher Umstände und persönlicher Leistung versteht, ja. Wobei ich eher sagen würde, ich hatte massiv Glück gehabt. Nach Abschluss der Facharztausbildung 2005 räumte mir der damalige Chefarzt der Alterspsychiatrie viele Freiräume ein und machte mich zum Oberarzt. Ich habe sehr viel von ihm gelernt, und hätte auch gut bei ihm Oberarzt bleiben können. Ambitionen Chefarzt zu werden, hatte ich damals nicht. Aber ich musste mir eingestehen, dass ich bei der Arbeit mit älteren Menschen zunehmend Angst vor dem eigenen Altwerden bekommen hatte. Abhängigkeit ist ein Gefühl, mit welchem ich erst noch umgehen lernen muss.

Coach: Warum haben Sie Probleme sich vorzustellen, älter und / oder abhängig von anderen zu werden? Das ist doch ein natürlicher Vorgang.

K: „Natürlich“ heißt nicht, dass es einfach ist. Meine Mutter ist 1933 geboren, mit 40 Jahren, also 1973, hat sie dann eine ungünstige Verlaufsform der Multiplen Sklerose entwickelt, etwa ab 1978 bis zu ihrem Tod 1982 lag sie mehr oder weniger gelähmt bei uns zuhause im Bett. 1981 versuchte sie sich mit zur Seite gelegten Schlaftabletten das Leben zu nehmen, sie wurde jedoch frühzeitig gefunden. Mir gab sie damals immer wieder die Schuld an ihrem Leiden- psychoneuroimmunologisch betrachtet mag sie zum Teil recht gehabt haben. Als Pubertierender war ich ein personifizierter Stressor. Meine Jugend war somit geprägt von einer vorwurfsvollen und verständlicherweise mit ihrem Unglück hadernden bettlägerigen Mutter. Mein Vater, zu dem mein Verhältnis in meiner Jugend eher mäßig war, sich dann aber zunehmend besserte, als ich seine bescheidene Art immer mehr schätzen lernte, war mit der Situation ebenfalls überfordert. Er sollte dann ab 1987 zunehmend vergesslich werden, spätestens 1990 konnte man von einem präsenilen Morbus Alzheimer sprechen. So war auch er mit knapp 60 Jahren auf fremde Hilfe angewiesen.

Ich wollte mich also wieder mit jüngeren psychisch Kranken beschäftigen, im Jahr 2008 wurde ich Leitender Arzt einer Tagesklinik für Allgemeinpsychiatrie, also für Erwachsene zwischen 18 und 65 Jahren. 2010 wurde dann im selben Ort, an welchem sich bisher die Tagesklinik befand, eine Satellitenklinik des Haupthauses eröffnet, mit zwei zusätzlichen Stationen und einer großen Ambulanz. Es bot sich an, dass ich dort die Leitung übernahm, ich möchte das nicht irgendeiner Leistung zuschreiben. Als dann überraschenderweise der Chefarzt der Klinik für Allgemeinpsychiatrie und gleichzeitig ärztliche Direktor aus unterschiedlichen Gründen, aber wohl auch weil er die ermüdenden administrativen Auseinandersetzungen satt hatte, 2011 seine Stelle kündigte und sich niederließ, hatte ich eigentlich nicht vor, mich auf die vakant werdende Chefarztstelle zu bewerben.

Coach: Aber hatten Sie sich nicht auch auf eine andere Chefarztstelle beworben?

K: Stimmt, zwei Jahre zuvor war die Stelle für Suchtmedizin frei geworden, der ehemalige Stelleninhaber wünschte sich mich als Nachfolger. Auf sein Drängen hin habe ich mich dann beworben, bezüglich einer Rückmeldung wurde ich seitens der Verwaltung so lange hingehalten, dass ich schließlich die Bewerbung zurückzog. Es war mir einfach nicht wichtig genug gewesen.

Coach: Das wurde sicher nicht positiv wahrgenommen?

K: Davon gehe ich aus, allerdings gehört sich das nicht, Bewerber zu lange im Unklaren zu lassen. Jedenfalls war ich ambivalent bezüglich einer erneuten Bewerbung auf einen Chefarztposten.

Coach: Aber Sie haben sich dann doch beworben?

K: Stimmt, aus drei Gründen: Ich ging davon aus, als Chefarzt mehr therapeutische und planerische Freiheiten zu haben; ich dachte, bevor ich einen Vorgesetzten bekomme, welcher mir das Leben schwer macht, werde ich lieber selbst Vorgesetzter. Und dann hat mich der Geschäftsführer angesprochen, ich solle mich doch bewerben.

Coach: Das kann aber zumindest dahingehend bewertet werden, dass der Geschäftsführer Ihnen eine solche Tätigkeit zutraute. Ich möchte das Thema gleich nochmals aufgreifen. Mich würde zuvor jedoch noch interessieren: Gab es aus Ihrer Sicht noch andere Einflussgrößen, welche Sie geprägt haben, welche dazu führten, dass Sie geworden sind, wie Sie jetzt sind? Schule oder ähnliches?

K: Was mich sicher geprägt hat war meine Lehrzeit. Ich komme aus einer nicht-akademischen Familie, irgendwie hatte ich das Gefühl, dass meine Mutter - sie war die Dominante bei uns in der Familie - die Auffassung vertrat, dass das, was sie selbst nicht hatte haben können, auch andere - beispielsweise ihre Kinder - nicht haben sollten. Sie selbst wurde nach Abschluss der 9. Gymnasialklasse von der Schule genommen, um in der Versicherungsfirma, in welcher auch der Vater tätig war, eine Ausbildung zu beginnen. Nur durch die nachhaltige Fürsprache meines Klassenlehrers durfte ich aufs Gymnasium, eigentlich wäre die Realschule vorgesehen gewesen. Und mir wurde, ebenfalls in der 9. Klasse, ein Brief an meinen Klassenlehrer mitgegeben, dass man bitte meine Schulzeit zum Ende des Schuljahres als beendet zu betrachten habe. Es gelang dann meine Eltern davon zu überzeugen, dass zumindest die mittlere Reife einen sinnvollen Schulabschluss darstellt. Mein Vater betonte - nicht ganz zu Unrecht - dass eine Berufsausbildung nicht schadet. Bezüglich der Berufswahl wurden mir keine Auflagen gemacht.

Coach: Warum sind Sie Koch geworden?