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Wie können Christen wachsen? Kaum jemand stellt in Frage, dass die Bibel uns dazu aufruft, in unserem Glaubensleben zu wachsen. Aber die Erklärung, wie das genau vor sich gehen soll, ist oftmals vage.Dane Ortlund lenkt den Blick der Gläubigen auf Christus. Er macht deutlich, dass der Weg der Heiligung nicht darin besteht, mehr zu tun oder besser zu werden, sondern tiefer in die wunderbaren Wahrheiten des Evangeliums einzutauchen, die für uns gelten, seit wir mit ihm vereint wurden.Dabei stützt sich Ortlund auf den Erkenntnisschatz von Persönlichkeiten aus der gesamten Kirchengeschichte. Er ermutigt seine Leser, im Kampf gegen die Sünde auf Jesus zu sehen, sich auf seine Gnade zu stellen und ihre unbesiegbare Identität in Christus auszuleben.
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Seitenzahl: 248
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Wie können Christen wachsen? Kaum jemand stellt infrage, dass die Bibel uns dazu aufruft, in unserem Glaubensleben zu wachsen. Aber die Erklärung, wie das genau vor sich gehen soll, ist oftmals vage.
Dane Ortlund lenkt den Blick der Gläubigen auf Christus. Er macht deutlich, dass der Weg der Heiligung nicht darin besteht, mehr zu tun oder besser zu werden, sondern tiefer in die wunderbaren Wahrheiten des Evangeliums einzutauchen, die für uns gelten, seit wir mit ihm vereint wurden.
Dabei stützt sich Ortlund auf den Erkenntnisschatz von Persönlichkeiten aus der gesamten Kirchengeschichte. Er ermutigt seine Leser, im Kampf gegen die Sünde auf Jesus zu sehen, sich auf seine Gnade zu stellen und ihre unbesiegbare Identität in Christus auszuleben.
Tiefer
Wie Christen echte Veränderung erleben.
Dane C. Ortlund
Von Herzen dem Lehrerkollegium des Covenant Theological Seminary der Jahre 2002 bis 2006 gewidmet.
Ihr habt mir beigebracht, was die Bibel über echte Veränderung sagt, und es zugleich mit eurem Leben vorgelebt.
»Aslan«, sagte Lucy,
»du bist größer geworden.«
»Das kommt dir nur so vor, weil du älter bist, mein Kleines«, antwortete er.
»Nicht, weil du größer bist?«
»Das bin ich nicht. Aber du wirst mich mit jedem Jahr, das du älter wirst, größer finden.«
C. S. Lewis,
Prinz Kaspian von Narnia
Titel
Impressum
Vorwort zur Buchreihe
Einleitung
1.Jesus
2.Verzweiflung
3.Einheit
4.Geliebt
5.Freispruch
6.Ehrlichkeit
7.Schmerz
8.Atmen
9.Übernatürlich
Fazit: Und nun?
Danksagungen
Endnoten
Bibelstellenindex
Unsere inneren Überzeugungen und Werte formen unser Leben und unseren Dienst. Union – das Gemeinschaftswerk von Union School of Theology, Union Publishing, Union Research und Union Mission (www.theolo.gy) – will Männer und Frauen dabei unterstützen, sich an Gott zu erfreuen, in Christus zu wachsen, der Gemeinde zu dienen und die Welt zu segnen. Die Union-Buchreihe ist ein Versuch, diese Werte auszudrücken und weiterzugeben.
Es sind Werte, die sich von der Schönheit und Gnade Gottes ableiten. Der lebendige Gott ist so herrlich und freundlich, dass er nicht erkannt werden kann, ohne auch angebetet zu werden. Diejenigen, die ihn wirklich kennen, werden ihn lieben. Ohne diese von Herzen kommende Freude an Gott sind wir nichts als oberflächliche Heuchler. Die Anbetung Gottes nährt den Wunsch, in der Christusähnlichkeit zu wachsen. Sie bewirkt auch eine Liebe zu Christi kostbarer Braut, der Gemeinde, und das Anliegen, ihr demütig zu dienen – statt von ihr bedient zu werden. Schließlich bringt uns die Liebe zu Gott auch dazu, seine Ziele zu verfolgen – besonders das Ziel, dass seine lebenspendende Herrlichkeit die Erde erfüllt.
Es ist meine Hoffnung und mein Gebet, dass diese Bücher ein Segen für dich und deine Gemeinde sind. Sie sollen dabei unterstützen, eine tiefere Freude an Gott zu entwickeln, die in freudige Authentizität, Demut, Christusähnlichkeit, Liebe zur Gemeinde und eine Leidenschaft, alle Nationen zu Jüngern zu machen, mündet.
Michael Reeves
Herausgeber der Reihe
Wie können Christen wachsen? Diese Frage ruft sofort die unterschiedlichsten Gefühle in uns hervor. Einige fühlen sich schuldig. Wir wachsen nicht – und das wissen wir. Darum sind wir von anhaltenden Schuldgefühlen gelähmt, die nur noch mehr zu unserem geistlichen Stillstand beitragen. Bei anderen erwacht die Sehnsucht. Wir möchten von Herzen gern mehr wachsen als wir das derzeit tun.
Wieder andere unter uns – wenn wir ehrlich sind – werden bei der Frage nach dem geistlichen Wachstum selbstgefällig. Wir sind recht zuversichtlich, dass mit uns alles in Ordnung ist. Allerdings beruht diese Selbsteinschätzung hauptsächlich darauf, dass wir uns mit anderen vergleichen – und dass wir kaum verstehen, was uns in unserem Leben als Christ wirklich antreibt.
Bei anderen wiederum ruft diese Frage einen unterschwelligen Zynismus hervor. Wir haben es versucht – oder zumindest meinen wir das. Wir haben eine Reihe von Methoden ausprobiert, eine Menge Bücher gelesen und diverse Konferenzen besucht. Letztendlich haben wir allerdings immer noch das Gefühl, auf der Stelle zu treten. Beim Wachstum in der Gnade schaffen wir es einfach nicht, in die Gänge zu kommen.
Keiner von uns stellt infrage, ob es nötig ist, zu wachsen. Wir erkennen das klar in der Bibel: »Wachset aber in der Gnade und Erkenntnis unseres Herrn und Heilands Jesus Christus« (2 Petr 3, 18). »Lasst uns aber … wachsen in allen Stücken« (Eph 4, 15). Außerdem sehen wir nicht nur in der Bibel, dass wir Wachstum nötig haben, sondern auch in unserem eigenen Herzen. Wenn wir uns auf die schmerzliche Übung einer ehrlichen Selbstprüfung einlassen, entdecken wir überrascht, dass so vieles in unserem Leben auf subtile Weise der Quelle des Ichs entspringt – sogar vieles von dem, wodurch wir für die Welt um uns herum ein Segen sind. Wir spenden, wir setzen uns ein, wir bringen Opfer – aber nicht aus jenen großherzigen Motiven, die wir anderen Menschen (oder sogar Gott und uns selbst) präsentieren, sondern in selbstsüchtiger Absicht. Und bis jetzt haben wir nur über das nachgedacht, was vor den Augen der anderen geschieht. Was aber ist mit der hässlichen Seite unseres Lebens, die sich zeigt, wenn niemand uns sieht? Wie können wir die Sünden töten, die wir in der Finsternis begehen?
Daher ist die Frage nicht, ob wir wachsen müssen, sondern wie. Bei jedem wiedergeborenen Christen wird irgendwo zwischen all diesen unterschiedlichen Gefühlsreaktionen auch immer das Samenkorn eines aufrichtigen Wunsches nach Wachstum zu finden sein.
Doch wie geschieht es? Der grundlegende Ansatz dieses Buches lautet, dass Veränderung passiert, wenn wir tiefer gehen. Manche Christen denken, dass Veränderung durch äußere Verbesserung erreicht wird. Demgemäß müssen wir uns mehr und mehr so verhalten, dass wir mit einer moralischen Norm übereinstimmen – sei es das biblische Gesetz, die Gebote Jesu, das Gewissen oder was auch immer. Andere meinen, Veränderung geschieht hauptsächlich über den Verstand, durch die Anhäufung von Wissen und indem wir theologische Lehren immer umfassender und gründlicher verstehen. Wieder andere rechnen damit, dass Veränderung vor allem durch unser Fühlen und Erleben geschieht – wenn unsere Anbetung Gottes immer stärkere Emotionen in uns hervorruft.
Ich behaupte, dass alle drei Elemente zu einer gesunden christlichen Entwicklung dazugehören. Wenn eines davon fehlt, sind wir unausgewogen und werden nicht wachsen. Doch echtes Wachstum geht über all das hinaus. In Christus zu wachsen bedeutet nicht hauptsächlich Verbessern, Anhäufen oder Erleben, sondern Vertiefen. Die Vorstellung des Vertiefens bedeutet auch, dass du bereits hast, was du brauchst. Das Wachstum als Christ besagt also, dein Handeln, Reden und sogar deine Gefühle in Übereinstimmung mit dem zu bringen, was du in Wirklichkeit bereits bist.
So in etwa hat schon Henry Scougal das christliche Leben in seinem Büchlein Das Leben Gottes in der Seele des Menschen beschrieben. Scougal war Theologieprofessor an der Universität von Aberdeen und starb mit 28 Jahren an Tuberkulose. Er schrieb im Jahr 1677 einen ausführlichen Brief an einen entmutigten Freund, aus dem später jenes Büchlein wurde. Genau dieses war eines Tages der Auslöser für die Bekehrung des britischen Evangelisten George Whitefield, der darüber sagte: »Ich wusste nicht, was wahre Religion ist, bis Gott mir diese hervorragende Abhandlung schickte.«1 In seinem Buch stellt Scougal fest, dass unterschiedliche Christen meinen, wir würden entweder durch reineres Verhalten wachsen oder durch klarere Lehre oder durch eine größere Fülle an Gemütsbewegungen. Doch echte Veränderung geschieht durch diese Tatsache: das Leben Gottes in der Seele des Menschen.
Scougal und andere Heilige aus vergangenen Zeiten werden uns helfen, in die Bibel einzutauchen und die Reichtümer zu entdecken, die Gott in seinem Wort für uns und unser alltägliches Christenleben bereithält. Wir werden uns mit einigen Weisen früherer Zeiten zusammensetzen, damit sie uns dabei unterstützen, die Schrift zu verstehen. Der bei weitem überwiegende Teil der Weisheit, die uns heute verfügbar ist, ist bei den Verstorbenen zu finden. Auch wenn ihr Geist nun bei Christus im Himmel ist, besitzen wir noch die Bücher und Predigten von Augustinus, Gregor dem Großen, Luther, Calvin, Knox, Sibbes, Goodwin, Owen, Bunyan, Edwards, Whitefield, Ryle, Spurgeon, Bavinck, Lewis und Lloyd-Jones. Wenn wir nun darüber nachdenken, was die Schrift uns über das Wachstum in Christus mit auf den Weg gibt, werden wir weit mehr auf die Großen der Vergangenheit hören als auf die Berühmten unserer Zeit.
Wir wollen in diesem Buch darüber nachdenken, wie echte Sünder echte Veränderung erleben. Das steht im Gegensatz zu einer oberflächlichen Veränderung für theoretische Sünder. Es geht in diesem Buch nicht um Verhaltensänderung. Ich werde dich nicht dazu auffordern, deinen Wecker früher zu stellen oder weniger Kohlenhydrate zu essen. Wir werden uns noch nicht einmal Gedanken über den Zehnten, die Teilnahme am Gottesdienst, geistliche Tagebücher, Kleingruppen, die Sakramente oder das Lesen von Büchern der Puritaner machen. All das können wir auch mit verdorbenen Herzen tun. Wir reden hier jedoch über echte Veränderung – und wir reden über echte Veränderung für echte Sünder! Wenn du zwar an die Lehre der Erbsünde glaubst, aber zugleich der Meinung bist, dass du als Christ eigentlich ganz gut unterwegs bist, dann kannst du das Buch zurück ins Regal stellen. Dieses Buch ist für die Frustrierten, für die Erschöpften – für jene, die auf der Kippe stehen und kurz davor sind, die Hoffnung aufzugeben, dass es für sie jemals echten Fortschritt beim Wachstum als Christ geben wird. Wenn du jemand bist, der die Lehre von der Erbsünde nicht nur auf dem Papier unterschreibt, sondern der auch feststellt, dass er in seinem Leben täglich den Beweis dafür liefert, dann ist dieses Buch für dich.
Ein paar Dinge möchte ich jedoch vorausschicken.
Erstens: Ich werde dich nicht drängen – und das sollte auch niemand sonst tun. Wir sind komplizierte Sünder. Manchmal gehen wir zwei Schritte vorwärts und drei zurück. Wir brauchen Zeit. Hab Geduld mit dir selbst! Ein Gefühl der Dringlichkeit ist gut, jedoch nicht das Gefühl, gehetzt zu sein. Veränderungen über Nacht sind die Ausnahme, nicht die Regel. Auch langsame Veränderung ist echte Veränderung. Und das ist die Art und Weise, wie Gott meistens mit uns vorgeht. Nimm dir also die Zeit, die du brauchst.
Zweitens: Wenn du beginnst, dieses Buch zu lesen, dann öffne dein Herz für die Hoffnung, dass in deinem Leben echte Veränderung möglich ist. Einer der großen Siege Satans besteht darin, unsere Herzen mit dem Gefühl der Aussichtslosigkeit zu überfluten. Vielleicht ist sein größter Sieg in deinem Leben keine konkrete Gewohnheitssünde, sondern das Gefühl der Ohnmacht in Bezug auf echtes Wachstum.
Drittens: Ich ermutige dich, dieses Buch nicht einfach nur zu konsumieren, sondern es in Ruhe zu durchdenken. Vielleicht bedeutet das, dir nebenher Notizen zu machen. Vielleicht bedeutet es, es gemeinsam mit einem Freund zu lesen. Tu, was auch immer dir einfällt, um es langsam zu verarbeiten, es auf dich wirken zu lassen, um darüber nachzudenken und zuzulassen, dass die biblischen Wahrheiten dich zu den grünen Auen führen, nach denen du dich auf deinem Weg mit dem Herrn sehnst. Bei einem Buch wie diesem bedeutet schnelles Lesen, dass man nicht allzu viel behält.
Viertens: Dieses Buch ist von einem Mitpatienten verfasst, nicht von einem Arzt. Es ist nicht nur von mir, sondern auch für mich geschrieben. Es entstand gleichermaßen aus dem Scheitern heraus wie aus dem Erfolg.
In diesem Buch dreht sich alles um das Wachsen in Christus. Deshalb sollten wir uns zuallererst darüber klar werden, wer Jesus Christus ist. Unser Wachstum ist keine Persönlichkeitsentwicklung im luftleeren Raum – es ist Wachstum in Christus. Deswegen fragen wir uns: Wer ist er?
An dieser Stelle werden viele von uns meinen, wir wüssten schon ziemlich gut darüber Bescheid, wer Jesus ist. Immerhin hat er uns gerettet. Wir haben über die Jahre auch eine Menge Zeit mit Bibellesen verbracht. Außerdem haben wir einige Bücher über ihn gelesen und ein paar Leuten von ihm erzählt. Doch wenn wir ehrlich sind, ist unser Leben immer noch durchsetzt von Niederlagen, Sorgen, Problemen und Leere.
Warum wir es nicht schaffen, die Sünde hinter uns zu lassen, liegt nicht selten daran, dass wir einen gezähmten Jesus vor Augen haben. Nein, wir glauben keine Irrlehren. In unserer Christologie sind wir völlig rechtgläubig. Uns ist klar, dass er als Sohn Gottes vom Himmel herabkam, um das Leben zu leben, das wir nicht leben konnten, und um den Tod zu sterben, den eigentlich wir verdient haben. Wir halten an seiner herrlichen Auferstehung fest. Wir bekennen mit den historischen Glaubensbekenntnissen, dass er wahrer Gott und wahrer Mensch ist. Wir glauben nichts Irriges oder Falsches. Aber wir haben ihn handzahm gemacht. Trotz aller lehrmäßigen Präzision hat diese Sichtweise die Herrlichkeit Christi in unseren Herzen geschrumpft.
Wir müssen uns also zunächst darüber klar werden, wer diese Person ist, in der wir wachsen. Und wir beginnen genau hier: Er ist eine Person – nicht nur eine historische Gestalt, sondern eine im Hier und Heute lebendige Person. Man kann eine Beziehung zu ihm haben. Man kann ihm vertrauen, mit ihm sprechen und ihm zuhören. Jesus ist keine Idee, kein Ideal und keine Kraft. Wachstum in Christus erfolgt nicht gemäß einer Formel, sondern in einer Beziehung. Wer ist nun diese Person?
Im Epheserbrief ist die Rede vom »unausforschlichen Reichtum Christi« (Eph 3, 8). Das griechische Wort, das hier mit »unausforschlich« übersetzt wird, erscheint nur noch an einer weiteren Stelle im Neuen Testament, nämlich in Römer 11, 33: »O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege!« Römer 11 nennt Gottes Weisheit und Erkenntnis unerforschlich. Das leuchtet ein. Gott ist unendlich groß und allwissend. Natürlich sind seine Weisheit und seine Erkenntnis für uns unergründlich. Aber in Epheser 3 wird Christi Reichtum unausforschlich genannt. Wie kommt das? Was bedeutet es, dass es in Christus Reichtum gibt und dass dieser Reichtum unausforschlich ist? Ist gemeint, dass wir immer tiefer darin graben können und niemals unten ankommen?
Während du dich weiter in dieses Buch hineinwagst, möchte ich dir etwas vorschlagen: Denk darüber nach, ob deine momentane Vorstellung von Jesus möglicherweise nur die Spitze des Eisbergs sein könnte. Zieh in Erwägung, dass es in ihm erstaunliche Tiefen gibt – Wahrheiten über ihn, die noch darauf warten, von dir entdeckt zu werden. Damit möchte ich deine bisherigen Schritte der Nachfolge und deine früheren Entdeckungen der Tiefen Jesu Christi nicht kleinreden. Überlege dir dennoch, ob nicht ein Grund für das geringe Wachstum und die fortwährende Sünde in deinem Leben (falls das zutrifft) sein könnte, dass du einem Schmalspur-Jesus nachfolgst – einem unabsichtlich verkleinerten Jesus, einem vorhersagbaren, wenig überraschenden Jesus. Ich behaupte nicht, dass es so ist. Ich bitte dich nur, dich das selbst ehrlich zu fragen.
Als Christoph Kolumbus 1492 die Karibik erreichte, nannte er die Eingeborenen »Indianer«. Er dachte, er hätte die Gegend erreicht, die Europäer damals »Indien« nannten (China, Japan und Indien). Tatsächlich war er nicht einmal in der Nähe von Süd- oder Ostasien. Vor ihm lag ein riesiges, unerforschtes und unbekanntes Land, von dem Kolumbus nichts wusste. Er hielt die Welt für kleiner als sie war.
Haben wir vielleicht in Bezug auf Jesus Christus einen ähnlichen Fehler gemacht? Sind womöglich riesige Teile seiner Person gemäß der biblischen Offenbarung noch unentdeckt? Haben wir ihn unabsichtlich auf ein handliches und berechenbares Maß reduziert? Haben wir uns einen entkoffeinierten, eindimensionalen Schmalspur-Jesus der zweiten Liga vor Augen gemalt und dabei gedacht, wir sähen den wirklichen Jesus? Sind wir in seichten Gewässern herumgeschnorchelt und haben uns dabei eingebildet, den Boden des Pazifiks zu berühren?
In diesem Kapitel möchte ich uns sieben Facetten Christi vor Augen malen – sieben »Gegenden«, die in unserer Generation vielleicht zu wenig erforscht werden. Man könnte noch viele weitere nennen, aber wir werden uns auf diese sieben beschränken: Er ist der Herrscher, der Retter und der Freund. Er ist der Beständige und der Fürsprecher. Er ist der Wiederkommende und der Liebevolle. Bei diesem Unternehmen geht es darum, den lebendigen Christus höchstpersönlich in einen schärferen, stärkeren Kontrast zu stellen. Wir möchten ihn größer, strahlender und herrlicher als je zuvor sehen. Dazu werden wir sozusagen den Schnorchel und die Taucherbrille gegen eine echte Taucherausrüstung eintauschen, die uns in Tiefen hinabführt, die wir noch nie zuvor erblickt haben. Wir wollen christliches Wachstum anstreben durch eine präzise und immer tiefergehende Wahrnehmung des Christus, mit dem wir vereint sind.
Jesus besitzt die oberste Autorität über das gesamte Universum. Direkt vor seiner Himmelfahrt sagte er: »Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden« (Mt 28, 18). Er hofft nicht nur darauf, das Sagen zu haben. Er sitzt jetzt tatsächlich an höchster Stelle und regiert. Dass die Welt seine Autorität beiseiteschiebt und nicht anerkennt, tut der Realität seiner Autorität keinen Abbruch. Aus himmlischer Perspektive läuft alles nach Plan. Jesus Christus überblickt alles, was in der Kirche und der gesamten Weltgeschichte passiert. Unsere Fähigkeit, seine Herrschaft zu erkennen, mag zu- und abnehmen, aber das ist nur unsere Wahrnehmung. In Wirklichkeit ist seine Herrschaft beständig – alles überragend, allmächtig, allumfänglich und allsehend. Kein Drogenhandel geht über die Bühne, ohne dass er es wüsste. Kein politischer Skandal nimmt seinen Lauf, den er nicht im Blick hätte. Keine Ungerechtigkeit findet hinter seinem Rücken statt. Wenn die Mächtigen unserer heutigen Welt zusammenkommen, hält sie ein auferstandener Zimmermann aus Galiläa in der Hand.
Diese oberste Herrschaft gilt nicht nur für den Kosmos und die Weltgeschichte, sondern auch für dein kleines Leben. Er sieht dich. Er kennt dich. Nichts ist seinen Blicken verborgen. Du wirst eines Tages nicht für das gerichtet werden, was für andere sichtbar war, sondern dafür, wer du wirklich warst und was du getan hast. Jesus wird als Richter der Welt kommen, »der auch ans Licht bringen wird, was im Finstern verborgen ist, und das Trachten der Herzen offenbar machen wird« (1 Kor 4, 5). Nicht nur was wir im Geheimen getan haben, sondern sogar unsere Motive werden offengelegt und gerichtet werden.
Auch wenn wir Jesus nicht mit unseren Augen sehen, ist er die realste Sache des Universums. Die Bibel sagt, »es besteht alles in ihm« (Kol 1, 17). Nimmst du Jesus aus dem Universum weg, wird alles in sich zusammenfallen. Er ist kein uns zunickender Wackeldackel-Erlöser, dem ein nettes Lächeln von uns genügt und den man in unser ansonsten gut funktionierendes Leben reibungslos mit hineinnehmen kann. Er ist der mächtige Erhalter des Universums, vor dessen oberster Herrschaft wir die Knie beugen werden – sei es in diesem Leben oder im nächsten (vgl. Phil 2, 10).
Schauen wir uns an, wie er in Offenbarung 1 beschrieben wird. Es ist nicht zu übersehen, wie Johannes hier darum ringt, das in Worte zu fassen, was man nicht in Worte fassen kann. Er sah jemanden,
»einem Menschensohn gleich, der war angetan mit einem langen Gewand und gegürtet um die Brust mit einem goldenen Gürtel. Sein Haupt aber und sein Haar war weiß wie weiße Wolle, wie Schnee, und seine Augen wie eine Feuerflamme und seine Füße gleich Golderz, wie im Ofen durch Feuer gehärtet, und seine Stimme wie großes Wasserrauschen; und er hatte sieben Sterne in seiner rechten Hand, und aus seinem Munde ging ein scharfes, zweischneidiges Schwert, und sein Angesicht leuchtete, wie die Sonne scheint in ihrer Macht. Und als ich ihn sah, fiel ich zu seinen Füßen wie tot.« (Offb 1, 13–17)
Hast du Jesus, den Herrn, auf einen harmlosen, vorhersagbaren Erlöser reduziert, der deine Grenzen respektiert und nur dort einspringt und aushilft, wo du es für dein ansonsten glatt verlaufendes Leben benötigst? Hast du das, was geistliche Atomenergie ist, wie eine AA-Batterie behandelt? Könnte ein Grund für den Stillstand in unserem Wachstum in Christus sein, dass wir die umfassende Autorität und Herrschaft Jesu Christi über alle Dinge unbewusst gezähmt haben? Könnte es sein, dass es uns an der gebührenden Ehrfurcht vor dem Herrn Jesus Christus mangelt? Fehlt es uns an Staunen und Erzittern vor dem wirklichen Jesus, der eines Tages das Toben der Völker mit einem Hauch seines Mundes zum Schweigen bringen wird?
Jesus herrscht.
Es scheint offensichtlich zu sein, dass der wirkliche Jesus ein rettender Jesus ist. Ich meine jedoch etwas ganz Bestimmtes, wenn ich ihn als »Retter« beschreibe. Ich möchte damit sagen, dass er ein Retter ist und nicht nur ein Helfer. Als Sünder sind wir nicht nur verwundet, sondern in unseren Übertretungen tot. Wir brauchen nicht nur Unterstützung und Hilfe, sondern Auferweckung und vollumfängliche Erlösung (vgl. Eph 2, 1–6).
Unterschätzen wir, wie weit Gott in Christus gehen musste, um uns zu erretten, wenn wir über unser Wachstum in Christus nachdenken? Und wenn wir jetzt mit unserem Herrn auf dem Weg sind – leben wir im Grunde mit der Überzeugung, dass ein gesundes Christenleben im Wesentlichen eine Frage unserer eigenen Bemühungen ist, die durch einen kleinen, zusätzlichen Energy-Kick von Jesus gewissermaßen getauft werden?
Wissen wir, was gerettet zu sein bedeutet? Im Lukasevangelium erzählt Jesus ein Gleichnis, um das zu verdeutlichen:
»Es bat ihn aber einer der Pharisäer, mit ihm zu essen. Und er ging hinein in das Haus des Pharisäers und setzte sich zu Tisch. Und siehe, eine Frau war in der Stadt, die war eine Sünderin. Als die vernahm, dass er zu Tisch saß im Haus des Pharisäers, brachte sie ein Alabastergefäß mit Salböl und trat von hinten zu seinen Füßen, weinte und fing an, seine Füße mit Tränen zu netzen und mit den Haaren ihres Hauptes zu trocknen, und küsste seine Füße und salbte sie mit dem Salböl. Da aber das der Pharisäer sah, der ihn eingeladen hatte, sprach er bei sich selbst und sagte: Wenn dieser ein Prophet wäre, so wüsste er, wer und was für eine Frau das ist, die ihn anrührt; denn sie ist eine Sünderin. Jesus antwortete und sprach zu ihm: Simon, ich habe dir etwas zu sagen. Er aber sprach: Meister, sag es! Ein Gläubiger hatte zwei Schuldner. Einer war fünfhundert Silbergroschen schuldig, der andere fünfzig. Da sie aber nicht bezahlen konnten, schenkte er’s beiden. Wer von ihnen wird ihn mehr lieben? Simon antwortete und sprach: Ich denke, der, dem er mehr geschenkt hat. Er aber sprach zu ihm: Du hast recht geurteilt. Und er wandte sich zu der Frau und sprach zu Simon: Siehst du diese Frau? Ich bin in dein Haus gekommen; du hast mir kein Wasser für meine Füße gegeben; diese aber hat meine Füße mit Tränen genetzt und mit ihren Haaren getrocknet. Du hast mir keinen Kuss gegeben; diese aber hat, seit ich hereingekommen bin, nicht abgelassen, meine Füße zu küssen. Du hast mein Haupt nicht mit Öl gesalbt; sie aber hat meine Füße mit Salböl gesalbt. Deshalb sage ich dir: Ihre vielen Sünden sind vergeben, denn sie hat viel geliebt; wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig. Und er sprach zu ihr: Dir sind deine Sünden vergeben. Da fingen die an, die mit zu Tisch saßen, und sprachen bei sich selbst: Wer ist dieser, der auch Sünden vergibt? Er aber sprach zu der Frau: Dein Glaube hat dir geholfen; geh hin in Frieden!« (Lk 7, 36–50)
Jeder Mensch ist fünfhundert Silbergroschen schuldig. Die Pointe des Gleichnisses ist, dass wir dazu neigen, uns nur für fünfzig Silbergroschen schuldig zu fühlen. Wer in seiner Kultur als einer der offensichtlicheren Versager gilt, spürt seine Sündhaftigkeit leichter als andere. Er ist daher offener und sehnt sich nach einer Befreiung, die ihn mit einer umfassenden und vollständigen Erlösung aus dem Tod holt.
Ein Grund für das Nachlassen unseres geistlichen Wachstums ist, dass wir allmählich in unseren Herzen das Gefühl dafür verlieren, wie weit Jesus wirklich gehen musste, um uns zu retten. Uns zu retten! Wir rannten mit aller Kraft in die falsche Richtung, doch er holte uns ein, überwand unsere Rebellion und öffnete uns die Augen dafür, wie sehr wir ihn brauchen und dass er wirklich alles ist, was wir brauchen. Wir waren keine Ertrinkenden, denen er einen Rettungsring zuwerfen musste. Wir lagen mausetot auf dem Grund des Ozeans. Er zog uns heraus, hauchte uns neues Leben ein und stellte uns auf unsere Füße. Daher verdanken wir jeden Atemzug, den wir nun tun, seiner vollständigen und vollkommenen Erlösung, mit der er uns, die wir hilflos und tot waren, rettete.
Jesus rettet.
»Ich nenne euch hinfort nicht Knechte; … Euch aber habe ich Freunde genannt« (Joh 15, 15). Ein tiefempfundenes Bewusstsein der Freundschaft, die Jesus mit den Seinen verbindet, ist eine Facette seiner Allgenügsamkeit, ohne die es kein lebendiges Wachstum geben kann.
Manche von uns mögen ein ausgeprägtes Empfinden für die überragende Herrlichkeit Jesu haben, die ein überaus wichtiger Aspekt seiner Person ist. Wir erzittern bei dem Gedanken an ihn. Seine erhabene Größe ist uns stets vor Augen. Wir nahen ihm mit Respekt und Ehrfurcht. Und das sollten wir auch!
Doch er, der sowohl Löwe als auch Lamm ist, ist sowohl transzendent als auch immanent. Er ist sowohl fern als auch nah, sowohl mächtig als auch gut. Er ist sowohl König als auch Freund. Deshalb frage ich dich, ob der Retter auch dein bester und treuster Freund ist.
Was macht ein Freund? Ein Freund ist dann da, wenn du ihn brauchst. Ein Freund steht uns gern bei. Er trägt unsere Lasten und hört zu. Ein Freund ist für uns erreichbar und hält sich nicht für zu hochstehend oder zu wichtig, um mit uns Zeit zu verbringen.
Ein Freund vertraut uns seine tiefsten Gedanken und Empfindungen an. Genau darum geht es im obigen Zitat aus Johannes 15. Es lautet vollständig: »Ich nenne euch hinfort nicht Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Euch aber habe ich Freunde genannt; denn alles, was ich von meinem Vater gehört habe, habe ich euch kundgetan« (Joh 15, 15). Unglaublich! Der dreieinige Gott bezieht uns in seine Pläne zur Wiederherstellung des Universums mit ein. Er macht uns zu Mitgliedern seines inneren Kreises. Er informiert uns darüber, was er tut, und schätzt es, wenn wir uns daran beteiligen.
Jesus wurde beschuldigt, »ein Freund der Zöllner und Sünder« zu sein (Mt 11, 19; vgl. Lk 7, 34). Genau diese Anschuldigung, die vor Verachtung nur so triefte, ist ein starker Trost für diejenigen, die wissen, dass sie zur Kategorie der »Sünder« gehören. Deshalb nahten sich ihm exakt diese beiden Gruppen (Zöllner und Sünder) in Lukas 15, 1, um ihn zu hören. Bei Jesus fühlen sich jene sicher, die wissen, dass sie Sünder sind. Sie werden sowohl als solche erkannt, die Schuld auf sich geladen haben, als auch in Liebe angenommen – beides, nicht nur eines von beiden. Unser Gefühl der Beschämung zieht Jesus an. Er ist der mächtige Freund der Sünder.
Brauchen wir nicht genau solch einen Retter? Wer von uns bekäme denn neuen Antrieb für sein Leben, wenn wir einem Erlöser nachfolgen würden, der einen Sicherheitsabstand zu uns einhält? Der uns nicht wie Freunde, sondern wie Angestellte behandelt? Wir haben dagegen einen Erlöser, der uns nahekommt, der einzig von Selbstgerechtigkeit abgestoßen wird, aber niemals davon, dass wir unsere Scham und Schwäche zugeben. Deshalb gibt es kein Limit dafür, wie tief die Veränderung in uns gehen kann. Gerade am Punkt unserer tiefsten Schuld und Reue umschließt uns seine Freundschaft sicherer und unerschütterlicher als irgendwo sonst.
Wenn er der Freund der Sünder ist und du weißt, dass du ein Sünder bist, dann lass dich auf eine tiefere Freundschaft als je zuvor mit ihm ein. Öffne dich ihm so weit, wie du es bei keinem irdischen Freund tun würdest. Lass dich von ihm, dem Freund der Versager, dem unerschütterlichen Verbündeten aller Schwachen, lieben.
Jesus ist unser Freund.
Es liegt in der Natur zwischenmenschlicher Beziehungen, dass sie wechselhaft sind. Wir beteuern einander unsere unsterbliche Freundschaft und meinen das wirklich ernst. Aber wir Menschen sind wankelmütig. Eine Ehe beginnen wir kraft eines Bundes. Warum? Weil unsere Gefühle kommen und gehen. Wir brauchen ein Band, das tiefer geht als unsere Gefühle, um Mann und Frau aneinander zu binden.
Wer ist Jesus? Ein Freund, der nicht wetterwendisch ist. Er ist beständig. Über die letzte Woche seines irdischen Lebens berichtet das Johannesevangelium: »Wie er die Seinen geliebt hatte, die in der Welt waren, so liebte er sie bis ans Ende« (Joh 13, 1). Jesus bindet sich selbst an sein Volk. Es gibt kein Ablaufdatum und kein Ende der Fahnenstange. Unsere Seite der Übereinkunft mag wanken und ins Stocken geraten, doch seine Seite tut das niemals.
Wir werden nicht in Christus wachsen, wenn wir seine Gegenwart und Gunst wie eine tickende Uhr betrachten, bei der jederzeit der Alarm losgehen kann, sobald wir ihn oft genug enttäuscht haben. Wir können nur dann eine tiefere geistliche Gesundheit entwickeln, wenn sich in uns die Wahrheit festsetzt, dass Jesus, nachdem er uns erst einmal zu sich gebracht hat, niemals nach einer Möglichkeit suchen wird, aus der Sache wieder herauszukommen. Er wird bis zum Ende zu uns halten. In diesem Wissen können wir zur Ruhe kommen und aufblühen. Ein Theologe bezeichnete unser Wachstum in Christus zu Recht als »eine seltsam entspannte Art von Anstrengung«2. Wir strengen uns an, aber es ist eine Anstrengung, die zugleich entspannt ist, weil in unserem Herzen fest verankert ist, dass wir uns niemals aus den Armen Jesu heraussündigen können.
Das ist die Logik von Römer 5. Jesus starb für uns, »als wir noch schwach waren« (V. 6) und »als wir noch Feinde waren« (V. 10). Er wird uns jetzt ganz bestimmt nicht verwerfen, nachdem wir seine Brüder sind. Dass Jesus für uns ans Kreuz gegangen ist, als wir noch nicht zu ihm gehörten, ist der Beweis dafür, dass er bei uns bleiben wird, nachdem wir jetzt zu ihm gehören.
Jesus bleibt beständig an unserer Seite.
Ein weiterer und oft übersehener Teil unseres Wachstums in Christus ist die Erkenntnis, dass sein Werk nicht mit seiner Auferstehung von den Toten endete. In der Regel wird das Werk Christi fälschlicherweise eingegrenzt auf:
Geburt → Leben → Tod → Begräbnis →
Auferstehung → Himmelfahrt.
Aber dabei lässt man den Teil seines Werkes außen vor, den er jetzt tut:
Geburt → Leben → Tod → Begräbnis →
Auferstehung → Himmelfahrt → Fürsprache.
Die Bibel erklärt, dass niemand die Gläubigen verdammen kann, denn Christus Jesus ist es, »der zur Rechten Gottes ist und für uns eintritt« (Röm 8, 34). Er legt Fürsprache für uns ein. Jesus betet für uns.