Tierisch beste Freunde (Wissen & Leben) - Christoph Jung - E-Book

Tierisch beste Freunde (Wissen & Leben) E-Book

Christoph Jung

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Beschreibung

Zwischen keinen Spezies ist die Beziehung so "tierisch gut" wie zwischen Mensch und Hund. Wie kam es dazu? Die "Dienstleistungen" unseres besten Freundes wie Wachen, Schützen, Schlitten ziehen, Menschenleben retten können dies nicht hinreichend erklären. Was macht diese besondere Bindung aus? Was liegt ihr auf biologischer, psychologischer und neurobiologischer Ebene zu Grunde? Wie konnte aus dem wehrhaften wilden Wolf unser Freund und Partner, der Hund unserer Zeit, entstehen? Das Buch gibt neue und spannende Einblicke in die Geheimnisse dieser über 30.000 Jahre alten und zugleich lebendigen Partnerschaft. Die Autoren zeigen, dass Mensch und Hund enger miteinander verbunden sind und dass wir unsere Hunde mehr brauchen als bisher gedacht. Wissenschaftliche Studien beweisen, was Hundebesitzer schon immer fühlten: In Anwesenheit unserer Hunde sind wir Menschen weniger gestresst, weniger krankheitsanfällig, ausgeglichener und lernfähiger. Hunde machen uns gesünder, sozialer und die Welt einfach ein Stück besser und lebenswerter. Ein Buch über Hunde – und vor allem über Menschen.

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Seitenzahl: 345

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Christoph Jung / Daniela Pörtl

Tierisch beste Freunde

Mensch und Hund – von Streicheln, Stress und Oxytocin

Mit einem Geleitwort von Andreas Kieling

Dipl.-Psych. Christoph Jung und Daniela Pörtl

Obschützer Str. 17

06667 Weißenfels

E-Mail: [email protected]

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Besonderer Hinweis:

In diesem Buch sind eingetragene Warenzeichen (geschützte Warennamen) nicht besonders kenntlich gemacht. Es kann also aus dem Fehlen eines entsprechenden Hinweises nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

Das Werk mit allen seinen Teilen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert werden.

© 2016 by Schattauer GmbH, Hölderlinstraße 3, 70174 Stuttgart, Germany

E-Mail: [email protected]

Internet: www.schattauer.de

Lektorat: Dr. Sandra Schmidt

Umschlagabbildung: © javier brosch – Fotolia.com; Abbildung 3-5: © Dogs – Fotolia.com

ISBN 978-3-7945-6958-8

Widmung

Für Raphael und Araceli sowie Bruno, Mary und Zander.

Geleitwort

Hunde begleiten mich schon seit meiner Kindheit. Bereits als kleiner Junge übten sie eine sehr große Faszination auf mich aus, als meine besten Begleiter und unschätzbare Kameraden. Ich hatte immer eine tiefe emotionale Bindung zu ihnen. Es ist eine besondere Beziehung. Was ich als Kind bereits emotional gespürt hatte, hat sich später bei mir rational gefestigt. Bei Hunden kann ich immer ehrlich sein, da brauche ich nie flunkern. Und meine Hunde sind, von wenigen Momenten abgesehen, auch ehrlich zu mir. Wenn sie einmal nicht ehrlich waren, habe ich es sofort gemerkt. Tieren gegenüber verstellt sich der Mensch fast nie. Im täglichen Leben ist man höflich und benutzt zuweilen kleine Notlügen. Darauf basiert unsere Kommunikation. Immer die Wahrheit zu sagen, kann unser menschliches Gegenüber bisweilen verstören. Wenn meine Schweißhündin Cleo etwas falsch macht, lasse ich sie das spüren. Wenn ich etwas falsch mache, zeigt sie mir das, indem sie mich kurzzeitig missachtet. So entsteht eine enorme Vertrautheit. Ich glaube, wir blicken uns gegenseitig ein Stück in die Seele und dadurch besteht ein extrem tiefes emotionales Verhältnis zwischen Mensch und Hund.

Ich bewundere und beneide den Hund um die Überlegenheit seiner Sinne. Cleo ist meine Spürnase, sie macht mich auf verschiedene Dinge aufmerksam, an denen ich vorbei gegangen wäre. Ich besitze nicht die Sensibilität ihres Geruchs- und Gehörsinns, außerdem hat sie eine viel bessere Wahrnehmung. Sie kann Situationen auch emotional viel schneller erfassen als ich. Ich würde fast behaupten, dass Cleo mehr über mich und meine Seele weiß, als meine Frau. Ich denke, ich kann mit Cleo fast telepathisch kommunizieren.

Bedingt durch meine Arbeit als Tierfilmer und Abenteurer schätze ich die Begleitung des Hundes als Kameraden in der Wildnis ganz besonders. Ich schätze seine scharfen Sinne und seine Freundschaft - gerade wenn man lange, sehr lange Zeit alleine, nur gemeinsam mit seinem Hund in der Wildnis lebt. Da spürt man die spirituelle Verbindung zwischen Tier und Mensch, man spürt die Seelenverwandtschaft zwischen Mensch und Wolf. Ich denke dann an die steinzeitlichen Jäger und den Wolf. Die werden sich bei der Jagd oft begegnet sein, der Wolf hat eine ganz ähnliche gemeinschaftliche Art der Jagd wie der Mensch mit zuweilen aufgeteilten Rollen der Individuen. Wahrscheinlich waren Wolf, wie auch Bär oder Hyäne, anfangs erfolgreicher bei der Großwildjagd als der Mensch. Der kam oft erst an den Riss, wenn sich diese bereits bedient hatten. Bei meinen Besuchen bei Naturvölkern habe ich ein spirituelles Verhältnis zum Wolf erleben können; besonders gegenüber Tieren, die dem Menschen ein Stück weit überlegen sind, gibt es eine solche Beziehung.

Ich bin auch fasziniert von der Vielfalt der Typen von Hunden, die aus dem Wolf entstanden sind. Wahrscheinlich werden Hunde bereits seit tausenden von Generationen nach ihrer Eignung für ihre speziellen Aufgaben ausgewählt. So entstand eine enorme Palette an Leistungen. Es ist erstaunlich, welche Leistungen Blindenführhunde, Hütehunde oder Herdenschutzhunde bringen. Es gibt eine große Vielfalt an unterschiedlichen Hunden – sowohl vom Aussehen als auch vom Wesen. Gerade bei der Auswahl des eigenen Hundes, insbesondere des ersten, sollte man daher ganz genau auf diese Unterschiede achten.

Der Hund ist wohl das Tier, zu dem der Mensch die emotionalste Beziehung hat. Und umgekehrt. Es ist spannend, sich tiefergehende Gedanken über diese faszinierende Beziehung zu machen. Mit „Tierisch beste Freunde“ wird hierzu ein grundlegender Beitrag geleistet. Die einzigartige Beziehung zwischen Mensch und Hund wird hier auf sachlich und fachlich tragfähige Füße gestellt. Ich hoffe, dass dieses Buch viele Hundefreunde und andere Menschen erreicht. Ich jedenfalls kann mir ein Leben ohne Hund nicht vorstellen. Meine Hunde sind auch meine engsten Vertrauten, sie begleiten mich durch mein ganzes Leben. Es lohnt sich, sich mit dem Thema tiefer zu befassen.

Andreas Kieling

Naturfotograf, Tier- und Dokumentarfilmer, Autor,

Gewinner des Panda-Awards

Vorwort

Was hat es mit der besonderen Freundschaft zwischen Hund und Mensch auf sich?

Dieser und vielen weiteren Fragen wollen wir in diesem Buch nachspüren. Was ist dran an den vielen Geschichten rund um den Hund, der angeblich unsere Gedanken lesen kann, der unseren Gesprächen am Kaffeetisch lauscht und schlagartig verschwindet, wenn man dabei eine ihm unangenehme Unternehmung, wie etwa den Gang zum Tierarzt, bespricht? Ist die Beziehung zwischen Mensch und Hund wirklich etwas Besonderes oder doch nur – nüchtern betrachtet – eine vom Menschen lediglich hochstilisierte, im Grunde aber ganz „banale“ Angelegenheit? Etwa genauso „banal“ wie die Beziehung zu einem der vielen Haustiere, die sich in menschlicher Obhut mehr oder weniger wohl fühlen? Ist der Hund „glücklich“ mit seinem Leben in einer ansonsten nur aus Menschen bestehenden Familie, und was braucht er, um „glücklich“ zu sein? Was brauchen seine Menschen, um ebenso glücklich zu sein? Wir werden diese Fragen mit diesem Buch nicht im Einzelnen erschöpfend klären können. Aber wir werden einige Gedanken und Informationen anführen, um die Beziehung zwischen Mensch und Hund sowie die Bedürfnisse beider Seiten besser verstehen zu können.

Von den Hintergründen dieser sehr besonderen Partnerschaft wollen wir hier berichten. Wir werden sehen, was Mensch und Hund verbindet und auf welcher Grundlage die Partnerschaft Mensch-Hund steht. Wir werden zeigen, warum wir Hunde lieben und wie wir die Mensch-Hund-Beziehung richtig gestalten sollten. Und wir werden sehen, dass man nicht über den Hund sprechen kann, ohne auch über den Menschen zu sprechen. Vielleicht ist es auch umgekehrt: Man kann nicht über den Menschen sprechen, ohne auch über den Hund zu sprechen – und damit über unsere archaisch fundamentale gemeinsame Geschichte und Schicksalsgemeinschaft. Neben den vielen wissenschaftlichen Aspekten wollen wir aber auch Mut machen, unseren eigenen „Instinkten“ stärker zu vertrauen – solange und soweit sie noch lebendig sind.

Die Fähigkeit und das Bedürfnis, mit unserem Hund eine wirklich gute Partnerschaft zu pflegen und gemeinsam viele glückliche Jahre zu verbringen, ist mit großer Wahrscheinlichkeit in unserem genetischen Erbe begründet. Eigentlich brauchen wir keine Wissenschaft, um unseren Hund zu verstehen und mit ihm das Sofa zu teilen. Das konnten Generationen vor uns schon ganz gut, vielleicht sogar besser.

Nach der Lektüre dieses Buches sollten wir jedoch besser verstehen können, wer mit uns das Sofa teilt oder teilen will und warum; und auch, wer dieser Vierbeiner ist, von dem viele sagen, er sei „unser bester Freund“. Der Hund ist es wert, dass wir uns genauer mit ihm und den Wurzeln seines und auch unseres Seins beschäftigen.

An dieser Stelle möchten wir denjenigen danken, ohne die unser Buch nicht zu dem geworden wäre, was es jetzt ist. Zuerst danken wir unseren zwei- und vierbeinigen Familienmitgliedern; denn sie waren es, die unser emotionales Gehirn am meisten prägten und so unsere Motivation bestärkten, die Beziehung zwischen Mensch und Hund zu ergründen. Danken wollen wir auch denen, die uns unsere kognitive akademische Ausbildung ermöglichten beginnend bei den Eltern, über unsere wissenschaftlichen Lehrer bis hin zu unseren derzeitigen wissenschaftlichen Mitstreitern, die uns mit ihren Forschungsergebnissen inspirierten und unterstützten. Last but not least gilt unser Dank vor allem dem Schattauer Verlag. Dem Herausgeber Dr. Wulf Bertram danken wir für sein offenes und fachkundiges Interesse am Thema der Mensch-Hund-Bindung und sein Engagement, unser Buch in seiner Reihe „Wissen & Leben“ herauszugeben. Ebenso danken wir Dr. Sandra Schmidt, die uns als Lektorin stets hilfreich und geduldig betreut hat, für ihre fachkundigen und hilfreichen Anmerkungen, die dazu beitrugen unser Buch nochmals deutlich zu verbessern.

Weißenfels, im August 2015

Christoph Jung undDaniela Pörtl

Inhalt

1 Tierisch gute Freunde?

1.1 Alles nur Gefühlsduselei?

1.2 Theorien zur Entstehung des Hundes

1.3 Die natürliche Umgebung des Hundes

2 Kinder der Eiszeit

2.1 Kreative Großwildjäger

2.2 30.000 Jahre in derselben ökologischen Nische

3 Auf den Hund gekommen

3.1 Der Rassehund

3.2 Klassische und moderne Hundezucht

3.3 Arbeitspartner und Sozialpartner

4 Kommunikation und Kooperation

4.1 Evolutionäre Kontinuität

4.2 Menschenmuttis und Hundekinder

4.3 Schuldbewusste Hunde und lachende Ratten

4.4 Mitfühlen – Mithandeln

4.5 Bruder Wolf

5 Was uns zusammenschweißt

5.1 Das Farm-Fuchs Experiment

5.2 Stress – wofür?

5.3 Säugetiere – von Emotion, Motivation und Lernen

5.4 Das Säugetiergehirn

5.5 Freunde und Feinde

5.6 Streicheln macht glücklich

5.7 Dopamin – der Motor des Verlangens

6 Ein zahmer Wolf ist kein Hund – Genetik und Epigenetik

6.1 Epigenetik – der Schalter der Gene

6.2 Epigenetik und Hundwerdung des Wolfes

7 Der Anteil des Hundes an der Menschwerdung des Affen

7.1 Zahme Wölfe, zahme Menschen

7.2 Kultursponsor Hund

7.3 Cave Canem

7.4 Vom Helfer in der Produktion zum Couch-Potato

8 Warum der Hund auf dem Sofa schläft

8.1 Bedingungslose Entschleunigung – zurück im hier und jetzt

8.2 Hunde machen Freude und Freunde

8.3 Archaische Wurzeln

8.4 Hunde- und Katzenhaltung schont die Gesundheitsbudgets

9 Unser Erbe der Steinzeit

Literatur

1 Tierisch gute Freunde?

Die Freude ist groß. Wegen Eis und Schnee fällt heute die Schule aus. Schüler Christian und sein Kumpel ziehen mit ihrem neun Monate alten Labrador Blacky zum zugefrorenen Stichkanal in Hannover-Linden. Es kommt, wie es kommen muss. Christian bricht auf dem zu dünnen Eis ein und fällt in das eiskalte Wasser. Kumpel Fabio, noch am Ufer, reagiert schnell und alarmiert per Handy die Rettungskräfte – mehr kann der Junge in diesem Moment für seinen Freund nicht tun. Doch für Christian, hilflos im Eiswasser, geht es nun um jede Sekunde. Der junge Labrador zögert nicht. Er packt Christian fest an der Jacke und zieht ihn unter Aufbringung all seiner Kraft ans rettende Ufer. Die eingetroffenen Rettungskräfte versorgen den Schüler. Durch das sofortige Eingreifen des Hundes wurde Christian vor Schlimmerem bewahrt. Der Hund handelte instinktiv richtig, so berichtet es die „Hannoversche Allgemeine“.

„Durch stundenlanges Bellen hat ein Hund in Diedorf sein gestürztes Frauchen gerettet“ titelt die Augsburger Allgemeine; „Bellender Hund rettet bewusstloses Frauchen“, so der Münchner Merkur oder „Hund rettet Frauchen vor Flammen“, so die Westdeutsche Allgemeine – alles reale Meldungen, wie man sie schon häufig im Lokalteil der Tageszeitungen gelesen hat. In der Regel sind es Berichte über Taten von Hunden, die keine besondere Ausbildung hatten. Trotzdem wurde Frauchen oder Herrchen in den unterschiedlichsten Situationen nicht selten das Leben gerettet.

Es gibt aber genauso unzählige Berichte, in denen Hunde sogar wildfremden Menschen das Leben retteten. Die Neue Westfälische berichtet vom dreijährigen Labrador-Mischling Timo, der einer depressiven Frau das Leben rettete, weil er durch anhaltendes Bellen auf deren missliche Lage in der Weser, wo sie vermutlich Suizid begehen wollte, aufmerksam machte. Oder der Golden Retriever, der sein Herrchen gegen dessen Willen zu einer Stelle zog, an der eine, beim Joggen verunglückte Frau lag, mit 26° Körpertemperatur bereits lebensgefährlich unterkühlt, wie die Badische Zeitung berichtet. Die Frau konnte noch gerettet werden. Hunde helfen, Hunde beschützen. Auch heute noch behüten Hunde immer wieder ihre Familien vor Straftätern. Sie stellen sich entschlossen gegen Räuber oder Einbrecher. Außerdem hat die bloße Anwesenheit eines Hundes allein schon eine präventive Wirkung, die potenzielle Straftäter von ihren Plänen Abstand nehmen lässt.

1.1 Alles nur Gefühlsduselei?

Wir sind geneigt, unseren Hunden gute und große Taten zuzusprechen. Wir neigen im Innersten dazu, ihnen Gefühle wie Treue oder Eifersucht und viele weitere menschliche Tugenden zuzugestehen.

Und wir kennen große Hundepersönlichkeiten. So zum Beispiel Walli, eine weiße stammbaumlose Mittelspitz-Hündin. Sie kannte keine Leine, sie begleitete ihr Frauchen durch die Bombennächte des Zweiten Weltkriegs und die zerstörte Innenstadt von Mönchengladbach. Wie selbstverständlich fuhr sie mit in der Straßenbahn. Dort hatte sie ihren Stammplatz am Fahrerpult. Nebenbei war Walli eine hervorragende Mäuse-, Ratten- und Marderjägerin. Selbst zum Nachbarn wurde sie zuweilen gerufen, um eine Ratte zu beseitigen, vor der die Katze kapituliert hatte. Auch soll sie den Kaninchenstall zuverlässig vor zweibeinigen Dieben bewacht haben. Wenn bei der Hausmusik Mozart intoniert wurde, hörte Walli andachtsvoll vom Sofa aus zu. Trotz durchaus kritischer Nachfragen unsererseits steht die Behauptung, Walli habe sprachlich formulierte Anweisungen verstanden und prompt ausgeführt.

Blacky war ein schwarzer Mittelspitz-Rüde, ebenfalls stammbaumlos. Er lebte um die Jahrtausendwende in einem dörflich geprägten Stadtteil am Rande von Halle an der Saale. Auch er kannte keine Leine. Das Dorf war sein Revier, dort kannte er jeden Hund und jede Katze aber keine Zäune oder Mauern. Man konnte ihn losschicken, um am anderen Ende des Dorfes etwas ganz Bestimmtes zu holen. Das gelang schnell und zuverlässig. Auf dem Traktor war der Beifahrersitz stets für Blacky reserviert. Auf dem Hof wachte er nachts, sorgte für Ordnung, und die Kinder der Familie wurden jeden Tag exakt zum Schulschluss von ihm abgeholt. Dazu brauchte er keinerlei Anleitung.

Der Hund als intelligenter Begleiter, als Sinnbild für Treue, als Retter in der Not ist legendär. Glaubwürdige Berichte können Bücher füllen und inspirierten zu filmischen Überzeichnungen in TV-Serien. Hunden wurden Denkmale errichtet. Hachiko ist in Japan ein Sinnbild für Treue; ebenso Greyfriars Bobby in Schottland. In Moskau stiftete man Maltschik, einem der 35.000 Moskauer Streuner, der von einer psychisch kranken Passantin erstochen worden war, eine Bronzestatue. In Weißenfels (Sachsen-Anhalt) wurde am Schlosshang ein 2,30 Meter hohes, in Stein gemeißeltes Denkmal für einen Mops errichtet. Zahllos sind die Denkmale für den treuen Freund auf den Gräbern ihrer Menschen oder auf den Gutshöfen adeliger Jagdherren. Wie beispielweise bei Otto von Bismarck, der die Rassehundezucht in Deutschland mitbegründete und später der erste Reichskanzler werden sollte. Bismarck bekannte sich offen zu der Liebe zu seinen Doggen. Sie wurden in einem Grab auf dem Bismarckschen Schloss beerdigt. Bismarck war ein Bewunderer der Fähigkeiten der Hunde und soll gesagt haben: „Ich habe große Achtung vor der Menschenkenntnis meines Hundes – er ist schneller und gründlicher als ich.“

„Alles nur Anekdoten und vermenschlichende Gefühlsduselei“, so die wissenschaftliche Meinung. Noch vor Kurzem war es Mehrheitsmeinung der Wissenschaft, Tieren Gefühle abzusprechen. Damit lag man lange Zeit „auf der sicheren Seite“. Eine solche Auffassung war auch ökonomisch nicht ganz unpraktisch angesichts des weit verbreiteten Tierelends in der industriellen Massentierhaltung. Heute ist für Fische und selbst Schalentiere wie dem Hummer nachgewiesen, dass sie Gefühle haben. Aber wie ist das mit Hunden? Was ist dran an den ganzen Geschichten von der besonderen Freundschaft von Hund und Mensch? Hat Voltaire, der große Philosoph der Aufklärung, recht, wenn er dem Hund in seinem Dictionnaire philosophique ein ganzes Kapitel widmet und notiert: „Es scheint, dass die Natur dem Menschen den Hund geschenkt hat für seinen Schutz und seine Freude. Er ist von allen Tieren das Treueste: Er ist der beste Freund, den der Mensch je haben könnte.“

Trauer um den treuen Freund

Der Mensch zählt zu den besonders langlebigen Säugetieren. Hunde und Katzen, seine ihm liebsten Haustiere, werden sehr viel weniger alt. Viele Hunde erreichen heute kaum mehr als zehn Jahre. So hinterlässt selbst die glücklichste und erfüllteste Beziehung zwischen Hund und Mensch fast immer einen trauernden Menschen. Wenn wir etwas verloren haben, erkennen wir im Verlust oft erst wirklich die Bedeutung des Verlorenen. Um den Verlust des Hundes wird nicht selten kaum weniger getrauert als um einen verstorbenen, lieben Menschen. Wir haben zugleich erlebt, wie wenig diese Trauer um ein Tier in weiten Teilen unserer Gesellschaft akzeptiert ist. „War doch nur ein Hund“, sind da durchaus gut gemeinte Ratschläge. Haben diese Leute vielleicht doch Recht mit ihrer Ansicht?

Um seinen Begleiter Hund zu trauern, gilt in vielen heutigen Kulturen als tabu. Es sei kein Mensch, eben nur ein Tier, lautet die Argumentation. Die Schweizer Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross beschreibt den großen Gewissenskonflikt, dem besonders religiöse Menschen ausgesetzt sein können, wenn sie um ihr geliebtes Tier trauern. Sie beschreibt die zuweilen als real so empfundene tiefere Trauer um einen verlorenen Hund, denn um einen nahestehenden Menschen. Und sie beschreibt die schweren Vorwürfe, die sich viele Menschen deswegen machen, im Bewusstsein eines damit begangenen Sakrilegs. Um einen Hund zu trauern ist in weiten Teilen der Welt des 21. Jahrhunderts ein gesellschaftliches „No-Go“.

Das war nicht immer so. Hundefriedhöfe sind keine neumodische Erscheinung. Bereits 1899 wurde im Pariser Vorort Asnières-sur-Seine der erste neuzeitliche Hundefriedhof eröffnet. Und auch dieser ist nur eine sehr späte Neuauflage uralter Traditionen. In den antiken Kulturen aller Kontinente wurde um den Hund getrauert. Archäologen fanden zahlreiche Hundefriedhöfe aus dem präkolumbianischen Amerika ebenso wie aus dem steinzeitlichen Europa. Gemeinsame Gräber von Hunden und Menschen findet man in nahezu allen antiken, früh- und vorgeschichtlichen Kulturen. Anhand des Umgangs mit den Toten kann man deren Bedeutung und Anerkennung zu Lebzeiten erahnen. Es scheint fast so, dass unsere Vorfahren über viele tausend Jahre hinweg eine bessere Meinung vom Hund hatten als wir heute.

Arme und reiche Hunde

Es lebten sehr wahrscheinlich noch nie so viele Hunde unter uns wie gerade heute. Allein in den USA sollen mehr als 80 Millionen Hunde leben. 45% aller Haushalte der Vereinigten Staaten leben gemeinsam mit Hund. Die Haltung des Hundes als Haustier oder Familienmitglied ist zu einem potenten Wirtschaftsfaktor geworden. In Deutschland hat der Markt um das Heimtier Hund ein Volumen von 4,6 Milliarden Euro pro Jahr, wie Göttinger Wirtschaftsforscher herausfanden. Knapp 100.000 Arbeitsplätze seien allein in Deutschland vom Hund als Wirtschaftsfaktor abhängig, so die Professorin für Wirtschaftspolitik Renate Ohr. Dabei sind die zahlreichen halb-legalen und illegalen Umsätze mit und um den Hund, z.B. aus dem Hundehandel, noch nicht berücksichtigt. Die milliardenschweren Geschäfte der hiermit verwobenen Charity-Industrie rund um das Tier und speziell um den Hund sind ebenfalls nicht berücksichtigt. Praktisch alle großen Nahrungsmittelkonzerne haben den Hund als Konsumenten entdeckt. Bei jedem Discounter findet man Regale mit dem angeblich Besten für unsere Lieblinge. Beim Branchenprimus der Heimtierindustrie Mars mit 33 Milliarden Umsatz ist die Petcare Sparte zum Hauptumsatzträger avanciert. Hunde- und Katzenleckerli haben die bekannten Schokoriegel vom Thron gestoßen. Auch die Veterinäre erzielen Umsätze, ebenso, wie auch die Produktion von Hunden und die unzähligen Dienstleistungen rund um den Hund. Der Hund ist in einigen Regionen der Erde also ein gewichtiger Wirtschaftsfaktor geworden.

Der Großteil aller Hunde weltweit lebt allerdings nicht als behütetes Heimtier in unseren Haushalten. Vielmehr fristen die meisten ihr Leben mehr oder weniger geschätzt oder auch nur geduldet als Streuner inmitten der menschlichen Siedlungen. 300 Millionen sollen es sein, so die Schätzungen. In Indien, Afrika oder Lateinamerika sind solche, Dorf-, Paria- oder Schensihunde genannten Streuner selbstverständlicher Teil des sozialen Lebens. Oft sieht man sie tagsüber dösend im Schatten, zuweilen tollen Welpen mit den Kindern. Erst nachts werden die Hunde aktiv, ernähren sich von Abfällen der Menschen und stellen Nagern, Schlangen, Eidechsen und anderem Getier nach, das der Mensch als nicht nützlich empfindet. Bemerkenswert ist, dass den von Menschen gehaltenen Hühnern, Enten oder Kaninchen kein Haar gekrümmt wird. Bemerkenswert auch, dass dieses Zusammenleben offenbar ausgesprochen harmonisch abläuft. Übergriffe von Hunden auf Menschen sind kaum bekannt. Auffallend ist ferner, dass diese Hunde überall in etwa gleich aussehen. Sie zeigen ein sehr ähnliches Exterieur: schlank, mittelgroß, kurzes, meist bräunliches Fell, ohne Übertreibung in einem körperlichen Merkmal (Abb. 1-1 und Abb. 1-2). Sie zeigen ein sehr ähnliches Wesen, sind gegenüber Menschen distanziert freundlich und leben in lockerer Bindung zu Artgenossen. Das Ganze gelingt ohne Rassestandard, Zuchtbuch oder gar Inzucht und obwohl diese Hunde tausende Kilometer voneinander entfernt leben und unter ihnen seit Jahrhunderten kaum ein Genaustausch stattgefunden haben kann.

Abb.1-1 Podenco-Mix „Zander“. Hunde mit seinem Exterieur gibt es weltweit, ohne dass unter ihnen eine nähere genetische Verwandtschaft besteht…

Abb.1-2 … und man findet sie bereits in der Antike, hier eine Zeichnung von Richard Strebel (1905) nach altägyptischer Vorlage. (aus: Strebel, Die Deutschen Hunde und ihre Abstammung, Kynos Verlag 1986)

1.2 Theorien zur Entstehung des Hundes

Der Biologie-Professor Raymond Coppinger vom Hampshire College in den USA sieht in den streunenden Dorf-, Paria- oder Schensihunde den Ursprung des Hundes. Mit der Sesshaftwerdung des Menschen seien die ersten Müllberge der Geschichte entstanden. Hieran hätten sich Wölfe bedient. In der ökologischen Nische „Müllplatz des Menschen“ sei es zu einem Prozess der Selektion auf Zahmheit gekommen. Zahmere Exemplare würden von den Menschen eher geduldet und hätten einen Überlebensvorteil, da sie die Ressource „menschliche Abfälle“ besser nutzen konnten. Aggressivere Wölfe seien von den Menschen vertrieben worden und hätten entsprechend Nachteile gehabt. Über diese Selektion auf Zahmheit habe sich der Wolf quasi selbst zum Hund domestiziert. Als die Coppingers ihr Modell der Entstehung des Hundes entwarfen, wusste man noch nicht, dass der Hund den Menschen bereits seit über 30.000 Jahre begleitet, also etwa 20.000 Jahre vor der Entstehung der ersten Bauern- und Viehzüchter-Kulturen und damit der Sesshaftwerdung des Menschen. Es stellt sich außerdem die Frage, ob die Theorien des „Müllplatzes“ oder des „Streunens“ das passende Modell für den Ursprung der Entstehung unseres „besten Freundes“ darstellen. Denn es erscheint eher als unwahrscheinlich, dass sich Steinzeitmenschen die Mühe gemacht hätten, für einen Müllverwerter und Mäusekiller mühsam ein Grab auszuheben.

Der schwedische Kynologe Erik Zimen sieht den Ursprung des Hundes an der Brust der Frau. Es sei immer wieder vorgekommen, dass steinzeitliche Jäger verwaiste Wolfswelpen mit ins Lager genommen hätten. Diese seien dann von den Frauen neben den eigenen Kindern gesäugt worden. Kinder und Wolfswelpen hätten zusammen gespielt, die zahmen Wölfe hätten sich – ähnlich Coppingers Modell – um Müll und ungebetene Gäste gekümmert und so sei schließlich der Hund entstanden. Zimen verweist auf die, noch bis in die heutige Zeit lebendigen Traditionen von Naturvölkern, wie beispielsweise die des Volks der Turkana in Afrika, wo die Frauen gelegentlich Hundewelpen an der Brust säugen. Zimen sieht bereits in der Zusammenarbeit Mensch-Wolf einen Motor für den Fortschritt der Menschheit.

Konrad Lorenz, der als einer der Begründer der vergleichenden Verhaltensforschung gilt und 1973 zusammen mit Niklaas Tinbergen den Nobelpreis erhielt, stellt den einzelnen handaufgezogenen Welpen in den Mittelpunkt. Dieser habe sich später erwachsen als nützlicher Jagdpartner des Menschen revanchiert und avancierte so zu Stammvater oder -mutter aller Hunde.

Nur – selbst ein einzelner, auch noch so zahmer Wolf braucht, um sich fortzupflanzen, einen Partner. Es ist kaum anzunehmen, dass eine Wölfin ihre noch blinden Welpen in das Lager der Menschen gebracht hätte, damit sie dort unter Menschen aufwachsen und somit zahm werden könnten. Ebenso scheint es eher unwahrscheinlich, dass Frauen in der Steinzeit neben ihren Kindern auch noch mehrere Wolfswelpen gesäugt hätten. Und selbst wenn – Wölfe, besonders Rüden, neigen mit der Pubertät dazu, ihre Kräfte zu messen und Rangordnungskämpfe nach Wolfsart auszufechten. Dabei geht es zuweilen äußerst rabiat zu. Kaum anzunehmen, dass Menschen aus diesen Rangordnungskämpfen herausgehalten worden wären. Und noch weniger ist anzunehmen, dass sich die Steinzeitmenschen so etwas lange angeschaut hätten. Sie hätten es sich im harten Überlebenskampf auch gar nicht leisten können, Verletzungen ihrer Clanmitglieder zu riskieren oder gar zu dulden.

Die Wiener Verhaltensbiologinnen Friederike Range und Zsófia Virányi meinen, der Hund sei nicht nur durch Selektion auf Zahmheit entstanden. Die menschliche Selektion habe die Hunde primär zu hörigen Befehlsempfängern gemacht. Aus kooperativen Wölfen seien durch den Menschen fügsame Hunde entstanden, da sie in erster Linie hinsichtlich ihrer Bereitschaft, sich den menschlichen Strukturen unterzuordnen, selektiert worden seien. Dadurch sei ein hierarchisches, submissives Verhalten bei Hunden untereinander viel ausgeprägter als beim Wolf, der sich innerhalb seines Rudels toleranter und kooperativer verhalte.

Eine Gruppe renommierter Genetiker um Pang und Savolainen veröffentlichte 2009 eine Untersuchung, nach der der Hund vor 16.000 Jahren südlich des Jangtse-Flusses in China aus wilden Wölfen gezüchtet worden sei. Die Menschen hätten Wölfe gezüchtet, um sie als Nahrungsquelle zu nutzen. Möglicherweise liegt in dieser Region ein Hotspot der Entstehung des Hundes. Aber es mutet schon etwas skurril an, dass sich Steinzeitmenschen gerade Wölfe ausgesucht haben sollen, um sie als Vieh – und damit zugleich als das erste Vieh der Menschheitsgeschichte – zur Fleischgewinnung zu halten. Es gibt wohl kaum ein Tier, das schwerer eingepfercht zu halten wäre, als ein so intelligentes, aufmerksames und wehrhaftes Tier wie der Wolf. Tierpfleger von Zoos und Wolfparks können ein Lied davon singen, wie geschickt Wölfe im Knacken selbst komplizierter Verschlussmechanismen sind. Hätten Wölfe den Menschen als tödliche Bedrohung wahrgenommen, hätten sie sich ihm kaum angenähert und wären zahm geworden. Zumal auch der rein ökonomische Sinn kaum darstellbar ist, selbst wenn man unterstellen wollte, dass Wolfs- respektive Hundefleisch besonders schmackhaft oder nahrhaft sei. Um ein paar Kilo Wolfsfleisch zu erhalten, hätten die Steinzeitmenschen eine viel größere Menge tierischer Nahrungsreste oder Fleisch heranschaffen müssen, um damit ihre Wölfe oder Hunde zu mästen. Jedenfalls seien auf diese Art die Wölfe gezähmt worden und der Hund entstanden, so die im Wissenschaftsjournal „Molecular Biology and Evolution“ veröffentlichte Studie.

Zahmheit ist nicht Domestikation

Es gibt viele Geschichten von zahmen Wölfen. Dabei ist es keineswegs einfach, einen Wolf zu zähmen. Das gelingt den Berichten zufolge nur, wenn die Welpen spätestens am neunten Lebenstag, noch vor Öffnen der Augen, der Wolfsmutter weggenommen werden und in menschliche Obhut kommen. Man muss sich intensiv mit den Welpen beschäftigen und dann auch noch deren Pubertät überstehen. Danach wird es oft recht still mit den Berichten vom zahmen Wolf. Zumeist bedarf es bei erwachsenen zahmen Wölfen erfahrener Fachleute und intensiver Betreuung einschließlich des Spielens mit der Macht über die Nahrungsversorgung. Selbst von ausgewiesenen Experten bereits vom sechsten Tag an von Hand rund um die Uhr aufgezogene Wölfe sind – im Gegensatz zu gleichartig betreuten Hunden – spätestens mit Beginn der Pubertät kaum noch in einer Wohnung haltbar. Eine Erfahrung, die das Team um Josef Topál im Zusammenhang mit einer vergleichenden Studie 2005 machen musste.

Zahmheit bedeutet, dass sich ein Tier in gewissem Rahmen der Lebensweise des Menschen anpasst. Im Konkreten sind die Vorstellungen von Zahmheit hinsichtlich der einzelnen Tierarten unterschiedlich. Allen gemein ist: Das Tier muss ein Stück der wildtierhaften Scheu und des Fluchtreflexes verlieren. Wie wir später detailliert ausführen werden (s. Kap. 5.2), muss sich die Stressachse verschieben. Zahmheit beinhaltet ferner grundlegend den Verzicht des Tieres auf unkontrollierte Angriffe gegen Menschen, wie auch den Verzicht auf das Zerstören menschlichen Hab und Guts. Die Zahmheit eines einzelnen Wildtiers darf aber nicht mit der Domestikation einer Tierart verwechselt werden. Von der Zahmheit zur Domestikation ist es ein langer Weg, der grundlegend die genetische Isolation der zahmen von der wilden Population voraussetzt. Erst über die genetische Isolation von der Wildtierpopulation können sich die vom Menschen gewünschten, für ein Leben im oder am Rande des menschlichen Gesellschaftssystems kompatibel machenden Eigenschaften festigen und richtig herausbilden. Hierbei wirken genetische, epigenetische und soziale Prozesse eng verwoben miteinander, die wir in späteren Kapiteln darlegen werden.

Warum fing der Mensch dann gleich beim Wolf – Canis lupus, im Amerikanischen auch Grauwolf genannt – an? Warum domestizierte er nicht erst einmal Hasen oder Kaninchen, Enten oder Hühner? Hühner hätte man problemlos mit auf Wanderungen nehmen können. Sie suchen ihre Nahrung weitgehend selbst und legen auch noch regelmäßig Eier bevor sie schließlich geschlachtet werden. Doch das Bankivahuhn wurde, vermutlich in China, erst vor etwa 5.000 Jahren domestiziert. Zu diesem Zeitpunkt begleitete uns der Hund jedoch schon seit mehr als 25.000 Jahren. Warum domestizierte der Mensch also gleich den Wolf, der doch zu den wenigen Beutegreifern zählte und auch heute noch zählt, die dem Menschen gefährlich werden können? Ein einzelner Wolf ist einem einzelnen Menschen kräftemäßig locker überlegen. Steinzeitmenschen und Wölfe waren als Gruppen Gegner auf Augenhöhe, Jäger-Clan gegen Wolfsrudel. Der Wolf war zudem unmittelbarer Nahrungskonkurrent des Steinzeitmenschen. Und als Nahrung taugte der Wolf eher kaum. Da boten die Kaltsteppen der Eiszeit mit Mammuts, Wisenten oder Riesenhirschen sehr viel üppigere Fleischportionen. Trotzdem: Der potenziell gefährliche Beutegreifer Wolf sollte das mit Abstand erste Haustier des Menschen werden. Der Wolf sollte schließlich der einzige große Beutegreifer bleiben, der je domestiziert wurde. Später kamen als Beutegreifer nur noch zwei kleinere hinzu, die Falbkatze und eine Unterart des Iltis, aus dem das Frettchen entstand. Weitere Versuche zur Domestikation eines Beutegreifers schlugen fehl. Die Jagd mit zahmen Geparden war schon im antiken Ägypten und Mesopotamien verbreitet und genoss einen hohen Status. Man nannte ihn deshalb auch „Jagdleopard“. Eine Domestizierung des Geparden gelang jedoch nie. Den Berichten zufolge verweigerten die Geparden in der Obhut des Menschen die Fortpflanzung. Möglicherweise blieb hierfür der Stresslevel der schnellen Katzen in der unmittelbaren Nähe des Menschen zu hoch. Der Wolf war, und das gilt heute als gesichertes Wissen, das erste domestizierte Tier überhaupt und das mit großem Abstand. Es sollten etwa 20.000 Jahre Menschheitsgeschichte vergehen, bis schließlich mit Ziege und Schaf aus weiteren wilden Spezies domestizierte Formen geschaffen wurden.

Evolutionsmotor Haustier

Die Domestikation von Tieren gilt Kulturhistorikern wie Alfred Crosby oder Andrew Isenberg als Schlüsseltechnologie des evolutionären Erfolgs. Das Modell des „Columbian Exchange“ sieht gar die Überlegenheit der Europäer bei der Eroberung des amerikanischen Kontinents wesentlich in der Zahl und Qualität der domestizierten Tiere begründet. Tatsächlich ist der wirtschaftliche und technologische Fortschritt der Menschheit ohne die Rolle seiner Haustiere nicht zu erklären. Aus Sicht der Autoren ist die historische Bedeutung der Haustiere in ihrer Arbeitsfunktion wesentlich höher anzusetzen, als die in der Ernährung durch Viehhaltung. Ein großer Anteil der Infrastruktur wurde von der ausgehenden Steinzeit bis in die Neuzeit hinein wesentlich auf Haustiere begründet. Mit dem Aufbau und Ausbau dieser, auf der Arbeit von Tieren begründeten Infrastruktur entwickelten sich Handel wie auch Austausch von Wissen und Kultur unter den Völkern.

Zahlreiche Spezies wurden im Transportwesen eingesetzt, allen voran das Pferd. Die Überlegenheit ganzer Völker und Armeen gründeten auf dem Pferd. Auf Pferden wurde Weltgeschichte gemacht. In den Wüsten und Halbwüsten bewährte sich das Kamel, das auch heute noch nicht vollständig durch modernste Technik ersetzt werden kann, wie auch der Esel oder das Maultier im Hochgebirge. Im Norden ziehen domestizierte Hirsche, Rentiere oder Karibu den Schlitten. Und ohne Schlittenhunde hätten weite Regionen des Polarkreises erst gar nicht besiedelt werden können. In den Industriestaaten ist fast schon vergessen, welche Transportleistungen von Rindern erbracht wurden und auch heute noch werden. Zugochsen waren zusammen mit sogenannten Kaltblut-Pferden der LKW und Traktor alter Zeiten und noch heute sind Wasserbüffel überall auf den Feldern Südostasiens anzutreffen. Ohne die Arbeit der Rinder vor Pflug und Wagen hätte die Entwicklung unserer Zivilisation bei weitem nicht so schnell voranschreiten können; schon alleine durch das Fehlen einer hinreichenden Nahrungsgrundlage von den Feldern ohne die Arbeit der Zugtiere. Auch der Austausch an Waren hätte sich nicht so schnell entfalten können. Noch in der Mitte des 20. Jahrhunderts galt die Technisierung der Landwirtschaft als volkswirtschaftliche Schlüsselaufgabe, was zugleich beschreibt, dass bis dahin hauptsächlich Tiere mitunter die schwersten Arbeiten verrichtet hatten.

Der Mensch hat eine Vielzahl unterschiedlichster Spezies domestiziert: Unzählige Vogelarten von der Wachtel bis zum Truthahn, Säugetiere vom Meerschweinchen bis zum Auerochsen, Fische wie Karpfen, aus denen Koi oder Goldfisch entstanden und sogar Insekten wie die Honigbiene oder den Seidenspinner. Nur ganz wenige Tierarten galten lediglich der Nutzung durch den Menschen als Nahrung über Fleisch, Milch, Eier und Lieferant von Wolle oder Häuten. Die meisten Spezies hatten Doppelfunktionen. Zum einen dienten sie der Ernährung des Menschen, zum anderen hatten sie Arbeitsfunktionen im Dienste der Menschen zu verrichten. Fast alle domestizierten Tiere hatten nur eine spezielle oder einige wenige Arbeitsfunktionen zu verrichten. Rind, Esel, Kamel und Pferd waren wertvolle Arbeitskräfte im Transport oder etwa beim Antrieb einer Mühle oder Pumpe. Unschätzbar groß ist auch die Bedeutung von Ochsen wie Pferden vor dem Pflug. Erst wenn sie ihre schwere Arbeit nicht mehr verrichten konnten, wurden sie oft genug als Nahrung verwertet. Nur wenige Kulturen und Besitzer konnten es sich leisten, altgedienten und dabei ans Herz gewachsenen Arbeitstieren das Gnadenbrot zu gewähren. Oder man denke an die berühmten Gänse Roms, die 387 vor unserer Zeitrechnung das Kapitol vor der Eroberung durch die Gallier bewahrten. Gänse galten neben Hunden als hervorragende Wächter. Zugleich wurden sie als Nahrung gehalten. Der Hund wurde in erster Linie als Arbeitstier gehalten, doch – über alle Kulturen und Zeiten hinweg – wurde er im Zweifelsfall auch als Nahrung genutzt. Selbst noch mitten im Europa des 20. Jahrhunderts, in den Hungerjahren durch den II. Weltkrieg, verschwanden viele Hunde irgendwann still und leise in den Kochtöpfen.

Die Arbeitsfunktionen praktisch aller domestizierten Tiere entsprechen unmittelbar deren Instinkten, etwa das Wachen und Warnen bei den Gänsen. Meist wurden Instinkte, etwa einem Leittier zu folgen, ausgenutzt, um den Tieren durch stringente Führung Leistungen abzutrotzen, wie z.B. das Ziehen schwerer Lasten durch einen Ochsen. Kein Haustier erreicht allerdings auch nur annähernd die Vielzahl der Funktionen, die der Hund erfüllte und bis heute erfüllt. Kein Tier kann auch nur annähernd so komplexe Aufgaben für den Menschen bewältigen wie der Hund. Und kein Tier erfüllt seine Aufgabe für den Menschen mit einer solchen inneren Bereitschaft und Leidenschaft. Den meisten Hunden sind ihre Aufgaben zu einem inneren Bedürfnis geworden, die selbstbefriedigend ausgeführt werden. Praktisch die gesamte Palette an Arbeitsfunktionen der anderen Haustiere erfüllt der Hund ebenso. Und er kann noch viel mehr. Der Hund muss ein Meilenstein für die Entwicklung der Menschheit gewesen sein. Doch bei all diesen offensichtlichen Leistungen des Hundes im Dienste des Menschen bleiben seine wichtigsten noch verborgen. In späteren Kapiteln (v.a. Kap. 2, 5 und 7), werden wir sehen, dass der Hund durch seine stressreduzierende Wirkung auf uns Menschen, durch seine Wirkung auf unsere psychischen, sozialen und letztlich auch kognitiven Fähigkeiten einen noch viel tieferen Einfluss auf uns Menschen hatte und auch heute noch hat.

1.3 Die natürliche Umgebung des Hundes

Erstaunlich, wie wenig Aufmerksamkeit die Wissenschaft der Neuzeit der Mensch-Hund-Beziehung lange Zeit widmete. Wissenschaftliche Veröffentlichungen zur Geschichte und Rolle des Hundes kann man über das ganze 20. Jahrhundert hinweg quasi an der Hand abzählen. Das hat sich seither geändert. Seit der Jahrtausendwende haben sich auch Genetiker diesem Thema intensiv gewidmet. Zahlreiche Untersuchungen wurden veröffentlicht, die anhand von Analysen der Gene, zumeist der mitochondrialen DNA aus der mütterlichen Linie, der Abstammung des Hundes nachspürten. In Verbindung mit den Beiträgen der Archäozoologen wissen wir heute recht zuverlässig, dass der Hund vom Wolf – und nur vom Wolf – abstammt und seine Entstehung mehr als 30.000 Jahre zurückreicht. Ebenfalls um die Jahrtausendwende begann man besonders in Deutschland, Ungarn und Österreich mit der wissenschaftlichen Untersuchung der Eigenschaften des Hundes. Die vergleichende Verhaltensforschung (Ethologie) als auch die Verhaltensbiologie nahmen sich dieses Themas an. So entstanden die heute schon klassischen Versuchsaufbauten mit Zeigegesten und Auswahlboxen. Ein Mensch zeigt auf einen Gegenstand und man notiert penibel, wohin der Kandidat, meist ein Hund, zuweilen auch ein Wolf, dann schaut oder geht. So konnten einige Alltagserfahrungen aufmerksamer Hundehalter wissenschaftlich verifiziert werden. Es gilt heute als wissenschaftlich gesichert, dass der Hund sehr genau auf die Zeigegesten des Menschen, und werden sie auch nur per Augenbewegungen ausgeführt, achtet und sich danach richtet. An der Eötvös Loránd Universität in Budapest und dem Max-Planck-Institut (MPI) für evolutionäre Anthropologie in Leipzig wurde seit den späten 1990er Jahren Pionierarbeit geleistet. Vilmos Csányi und Michael Tomasello belegten erstmals wissenschaftlich, dass Hunde Zeigegesten von Menschen folgen. Später fand man heraus, dass bereits Hundewelpen problemlos die Zeigegesten des Menschen verstehen (Abb. 1-3). Die Forscher werten dies als Hinweis darauf, dass die Fähigkeit, den kommunikativen Gesten des Menschen zu folgen, von Hunden nicht erlernt werden müsse, sondern vielmehr im Zuge der Domestikation genetisch gefestigt wurde.

Abb.1-3 Der inzwischen klassische Versuch mit Zeigegesten. Hunde verstehen sogar Signale mit den Augen oder durch die Sprechrichtung des Menschen (Mit frdl. Gen. vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, Leipzig)

Dabei fand Forschung an Hunden zunächst kaum wissenschaftliche Anerkennung. Juliane Bräuer vom MPI erklärt, weshalb Hunde erst einmal aus dem „blinden Fleck der Forschung“, wie sie es nennt, herausgeholt werden mussten: „Für Hunde interessierte sich einfach kaum jemand. Man hielt sie für ungeeignet, weil sie in einer unnatürlichen Umgebung leben, und die Ergebnisse solcher Versuche deshalb nicht ihre wahre Natur widerspiegeln würden“. Juliane Bräuer spricht hier ein grundlegendes Problem der Hundeforschung und des ganzen Verständnisses vom Hund an. Denn: Was ist die natürliche Umgebung des Hundes, was ist die „wahre Natur“ des Hundes? Sind der Wald, die wilde Natur, Tundren oder Flusslandschaften, also die natürliche Umgebung des Wolfs, auch die des Hundes? Es liegt eigentlich auf der Hand, dass hier nicht die natürliche Umgebung des Hundes liegen kann. Der Hund ist ein domestizierter Wolf. Ohne den Menschen gäbe es keinen Hund und ohne den Bezug zum Menschen kann man den Hund nicht verstehen.

Die natürliche Umgebung des Hundes, wenn wir es denn so nennen wollen, ist der Mensch, dessen soziale Struktur, dessen Umgebung. Der Mensch ist wesentlicher Teil der „wahren Natur“ des Hundes. Der Hund braucht für seine natürliche Entwicklung notwendigerweise den Menschen. Der Wolf braucht ihn keineswegs. Selbstverständlich kann auch einmal ein Wurf von einer Hündin ohne Zutun des Menschen in der wilden Natur durchgebracht werden. Das gelingt aber nur im Einzelfall, wenn viele günstige Umstände zusammenkommen. Es gibt kaum einen Bericht von Hunden, die ohne menschliches Zutun in der freien Natur überleben. Dort, wo Wölfe leben, haben Hunde ohnehin keinerlei Chance. Selbst verwildert aufgewachsene Hunde suchen instinktiv die Nähe zu menschlichen Siedlungen, eben ihrer vermeintlich „unnatürlichen Umgebung“. Günther Bloch zeigte, wie sich solche „Pizza-Hunde“ in locker kooperierenden Gruppen als Müllverwerter eine Zeit lang halten können. Von den Dingos in ihrem spezifischen Biotop Australiens – von dessen Beuteltieren keine Gefahr droht – abgesehen, gibt es keine wild lebenden ehemaligen Haushunde. Das ist im Grunde erstaunlich, sehen wir doch in praktisch allen klimatischen Zonen der Erde große Populationen an Straßen- oder Paria-Hunden, oft sogar in Dörfern in unmittelbarer Nähe zur „wilden“ Natur lebend. Trotzdem sind in der Literatur keine Fälle beschrieben, wo Hunde Rudel bilden und sich losgelöst vom Menschen in der Natur behaupten würden. Sie haben offenbar auch die Fähigkeit, sich als Rudel effektiv zu organisieren, weitgehend verloren.

Gehege-Wölfe und Gehege-Hunde

Im Wolf Science Center bei Ernstbrunn legen die Forscher der Universität Wien um Friederike Range, Kurt Kotrschal und Zsófia Virányi bewusst Wert auf ein exakt anderes Verständnis der natürlichen Umgebung von Hunden und Wölfen. Hunde und Wölfe werden unter möglichst gleichen Bedingungen aufgezogen und gehalten. Die Hunde kommen in der Regel als Welpen aus ungarischen Tierheimen und werden danach ausschließlich in großen Gehegen unter Hunden als Rudel gehalten. Ähnlich ergeht es den Wölfen, die als Welpen der Mutter weggenommen und dann von menschlicher Hand aufgezogen werden. Die verschiedenen Hunderudel wie auch die verschiedenen Wolfsrudel haben jeweils abgetrennte, großzügig bemessene Gatter in einem landschaftlich schönen, von Eichen bewachsenen Gelände. Hunde wie Wölfe werden von klein an täglich und unter standardisierten Bedingungen durch Menschen kontaktiert und trainiert. Futter wird dabei zur Motivation und Disziplinierung eingesetzt. Das schafft die Voraussetzungen für die Teilnahme an den wissenschaftlichen Tests. Die Wiener Forscher sind stolz darauf, nach ihren Angaben weltweit die einzige Forschungseinrichtung zu sein, die Hunde wie Wölfe unter nahezu gleichen Bedingungen aufziehen und halten. Nur so sei eine vergleichende Forschung wirklich möglich, so der Standpunkt des Wolf Science Center.

Hunde, die ohne Sozialisierung zum Menschen nur unter ihresgleichen aufwachsen und leben müssen, kann man nach Verständnis der Autoren nicht als typische Vertreter ihrer Art bezeichnen. Wir tendieren eher dazu, so aufgezogenen Hunden eine psychische oder soziale Deprivation zu unterstellen. Vor allem dann, wenn diese Hunde nicht aus einer über viele Generationen als Straßenhunde in einer mit den Menschen vergleichsweise nur locker verbundenen Population stammen. Mögen die Individuen auch rein genetisch als Wölfe beziehungsweise Hunde anzusprechen sein, so fehlen ihnen die jeweils arttypische epigenetische Genexpression sowie Sozialisation und Entfaltungsmöglichkeit artgerechten Lebens. Auf die hervorgehobene Stellung des Sozialkontaktes von Hunden zu Menschen weist auch die Kieler Kynologin und Verhaltenswissenschaftlerin Dorit Urd Feddersen-Petersen hin. Der Verhaltensbiologe und Genetiker John Paul Scott dokumentierte bei seinen Versuchshunden bereits 1964 Deprivationserscheinungen, wenn Hunde ohne engere menschliche Kontakte blieben.

Als problematisch gilt vielen Experten gleichfalls die Arbeit mit Gehege-Wölfen. Gehege-Wölfe kann man nur bedingt als typische Vertreter ihrer Art bezeichnen. Sie stammen in der Regel aus Zuchten, die bereits seit Generationen in Gehegen leben. Diese Wölfe kennen den Überlebenskampf als Rudel in der freien Natur nicht mehr. Sie werden seit Generationen vom Menschen gefüttert, meist als Belohnung für eine ausgeführte Anweisung des Menschen. Die Forschung an Wölfen hat inzwischen konstatiert, dass man anhand von Gehege-Wölfen zu falschen Bildern über das Sozialleben der Wölfe gekommen war, wie es unter anderem David Mech und Günther Bloch nach langjährigen Beobachtungen von Freiland-Wölfen zeigen konnten. Das bekannte Konzept des Alpha-Wolfs stammt aus Forschungen an Gehege-Wölfen und hat sich als Irrglaube erwiesen. Bei „in ihrer natürlichen Umgebung“, wild lebenden Wölfen gibt es keinen autoritären Alpha-Wolf. Wölfe bilden unter der Bedingung eines eingeschränkten Lebens im Gehege und zudem eines Aufwachsens ohne Mutter und ohne adultes Rudel, ohne die Notwendigkeit des Überlebenskampfs und ohne die Option, sich vom Rudel entfernen zu können, ein nicht-natürliches Sozialleben aus. Die Beobachtungen an wild lebenden Wolfsrudeln zeigen hingegen ein flexibles Bild der Rudelstellungen und kooperativ orientierte Führungsmethoden der Leittiere, die sich nur situationsbezogen autoritärer Methoden bedienen. Nur sind Feldforschungen an Wölfen, wie sie von Mech und Bloch seit vielen Jahren in Nordamerika betrieben werden, sehr aufwendig, langwierig und die wissenschaftliche Aufarbeitung recht komplex.

Verhaltensforschung an Hunden stellt sich nicht weniger als komplexe Herausforderung dar. Hier muss sogar noch ein weiterer, für sich genommen bereits hochkomplexer Faktor mit einkalkuliert werden: Der Mensch und seine soziale Ordnung. Mit Vergleichen im Black-Box-Stil des Behaviorismus kann man dieser Herausforderung nicht gerecht werden. Dort versucht man in unzähligen Experimenten den Hund letztlich über simple Ja-Nein-Statistiken zu erklären und seine Komplexität auf eine einfache binäre Antwort zu reduzieren. Versuchsaufbauten der Verhaltensbiologen im Labor als taugliche Methode zur Erforschung des Hundes sollen keineswegs pauschal infrage gestellt werden. Nur sollten diese nicht isoliert betrachtet, sondern vielmehr als ein wichtiges Stück im großen Puzzle der Hundeforschung eingeordnet werden.

Der Blick in die Black-Box