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Schon wieder ein Toter in dem idyllischen Ottenbach! Der junge Kommissar Joska Kiss wird mit diesem neuen Fall betraut und kann es natürlich nicht verhindern, dass seine Freundin, die Messermacherin Nora Angerer, Wind davon bekommt. Als sie erfährt, dass neben der Leiche auch ein entkräfteter Schäferhund gefunden wurde, mischt sie sich wieder mal in die Ermittlungen ein und kümmert sich auch um den verstörten Hund. Während die Kripo den Fall bald als Selbstmord zu den Akten legen will, entdecken Nora und ihr Bruder Felix ein paar ungewöhnliche Eigenheiten an dem Hund. Auf eigene Faust ermitteln die Geschwister unter anderem auch im Paintball-Milieu und geraten dadurch in große Gefahr. Werden Joska Kiss und sein Kollege Sascha Clemens rechtzeitig zur Stelle sein?
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Seitenzahl: 282
Veröffentlichungsjahr: 2015
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Impressum
Petra Mehnert, »Ohne Beweis«
www.edition-winterwork
© 2015 edition-winterwork
Alle Rechte vorbehalten
Covergestaltung: Robin Mehnert
Druck/E-BOOK: winterwork Borsdorf
Foto: Robin Mehnert
ISBN Print 978-3-86468-871-3
ISBN E-BOOK 978-3-86468-883-6
TIERISCHER TOD
Der dritte Regionalkrimi aus dem "Tal der Liebe"
Er raste mit wahnwitziger Geschwindigkeit über die sechsspurige Autobahn. Ab und zu geriet sein schwarzer Luxusschlitten ins Schlingern, doch er schaffte es jedes Mal mühelos, das PS-starke Monstrum wieder in seine Gewalt zu bringen. Mit spielerischer Leichtigkeit schlängelte er sich durch die anderen Wagen und genoss dabei das Gefühl von zu viel Adrenalin im Blut. Dieses herrliche Feeling wollte er so lange wie möglich aufrechterhalten. Inzwischen kannte er fast alle Straßen auswendig, er wusste, auf welchen Abschnitten er mit dreihundert Sachen brettern konnte, erahnte die Kurven, bei denen Vorsicht geboten war und welche Ausfahrten er nehmen musste, um nach Hause oder zu seinen vielen Freunden zu gelangen. Nach Hause zu seiner wunderschönen Frau – bei diesen Gedanken schlug sein Herz sofort höher, das Kribbeln im Bauch war einfach wunderbar und einer plötzlichen Eingebung folgend schoss er die nächste Abfahrt hinaus. Beinahe hätte er die scharfe Kurve nicht gekriegt, er riss sich an der Leitplanke die gesamte Seite seines Flitzers auf, aber das war ihm egal. Er dachte nur noch an das Schmuckstück, das er seiner Liebsten gleich kaufen wollte und raste mit viel zu hoher Geschwindigkeit in die Innenstadt. Vor dem Juwelier legte er einen Fullturn hin und schleuderte gekonnt in eineParklücke. Behände schwang er sich über die Türe seines Cabrios und ließ dabei die stahlharten Muskeln seiner Oberarme spielen. In dem angesagtesten Juwelierladen der Stadt schubste er einen anderen Kunden zur Seite und wies den Verkäufer an, ihm die teuerste Diamantenkette zu zeigen, die er im Laden hatte. Eingeschüchtert lief der Angestellte zum Tresor und holte eine dunkelblaue Schachtel hervor. Eigentlich könnte ich jetzt meine Waffe ziehen und das Ding einfach mitnehmen, dachte das Muskelpaket kurz, aber dann rief er sich wieder ins Gedächtnis, dass er ja stinkreich war und außerdem gab es Strafpunkte, wenn er Unschuldige mit der Waffe bedrohte …
Doch gerade da fiel ihm ein, dass er ja noch mit dem Hund raus musste.
„Pünktlich wie immer“, flüsterte der kahlgeschorene Mann mit den großen grünen Augen und den dunklen Wimpern, als um zwei Uhr nachts die Türe des Mehrfamilienhauses gegenüber geöffnet wurde und sein Nachbar wie jeden Tag um die gleiche Zeit das Haus verließ, um mit seinem Schäferhund eine Runde zu drehen. Hatte sich der Typ also doch von seinem Computerspiel losreißen können. Gerade heute hatte es den Anschein gehabt, als würde er es nicht rechtzeitig schaffen. Mit seinem Fernglas konnte der verlebt und verbraucht aussehende junge Mann immer genau beobachten, welche Spiele sein Nachbar spielte und welche Filme er sich anschaute. Wahrscheinlich rechnete der Typ überhaupt nicht damit, dass ihm jemand nachspionieren könnte, denn ringsum waren hohe Bäume und dichtes Gebüsch. Doch von seinem Dachfenster aus konnte der Siebenundzwanzigjährige durch eine kleine Lücke im Geäst sehr gut in die Wohnung des Hundebesitzers blicken. Eigentlich war es Zufall gewesen, als er vor Wochen eine Elster dabei beobachtete hatte, wie sie mit ihrer glitzernden Beute im Baum saß und darauf herumpickte. Es war schon ziemlich dämmrig gewesen, als er entdeckt hatte, dass er mit seinem teuren, allerdings geklauten Fernglas, problemlos in die Wohnung gegenüber schauen konnte. Dass es so einfach werden würde, hätte er nicht gedacht, als er vor ein paar Wochen die kleine Wohnung in diesem Kaff bezogen hatte. Dieses verschlafene Nest „Ottenbach“ hatte er vorher nicht gekannt, obwohl ihm der Name „Hohenstaufen“ schon etwas gesagt hatte. Seine Recherchen hatten ihn hierher geführt und nun konnte er sich daran machen, seinen Plan in die Wirklichkeit umzusetzen. Endlich!
Um ihn herum nur verschwitzte Leiber, die sich zur Technomusik in wilden Zuckungen bewegten. Normalerweise war er mitten drin und einer der verrücktesten Tänzer in dieser Nobeldisko. Aber heute war nicht sein Tag – eigentlich hätte er gar nicht herkommen sollen. Doch zu Hause zu bleiben hätte ganz sicher bedeutet, dass der Obermacker ihn wieder auf die Straße zum Arbeiten geschickt hätte. Dazu hatte er aber auch keinen Bock gehabt. Bevor er hierher kam, hatte er schon mehr als genug Kunden bedient, mehr brauchte er heute wirklich nicht. Das Tanzen machte ihm aber auch keinen Spaß und so trollte er sich an die Bar. Schien wieder mal einer von den Tagen zu sein, an denen sich Besaufen die beste Alternative war.
„Jacky-Cola, Süße! Wie immer!“, schrie er die Barkeeperin an, die schon immer da war, solange er hierher kam.
„Ist heute wieder Sauftag, Dimitri?“, fragte sie augenzwinkernd und stellte ihm das gewünschte Getränk vor die Nase.
„Scheint so, Olga. Wenn ich die Verrückten da auf der Tanzfläche angucke, kann ich mir gar nicht vorstellen, dass ich normalerweise einer von den Wildesten bin. Schau sie dir doch an – lauter Wahnsinnige!“, bemerkte er kopfschüttelnd und kippte seinen Drink in einem Zug hinunter.
„Noch einen, Olgaschätzchen“, sagte Dimitri lächelnd und Olga wusste genau, was er nun von ihr hören wollte.
„Ja, ja. Ich bring dich nach Hause, wie immer, mein Süßer. Aber heute muss ich bis zum Schluss dableiben, Julia ist krank und ich muss auch noch ihre Schicht übernehmen. Also trink nicht so schnell und teile dir deine Ration gut ein“, kommandierte sie mit mütterlicher Strenge.
„Jawohl, Mutter. Ganz wie du meinst. Du könntest mir ja zwischendurch eine Geschichte erzählen“, bat der junge Mann, und wie er so dasaß, mit seinem schwarzen Lockenkopf und den großen grünen Augen, sah er wie ein kleiner Junge aus. Auch seine Statur war sehr schmal und zierlich. Groß war er auch nicht, höchstens einen Meter sechzig. Olga überkamen immer mütterliche Gefühle, wenn sie ihn ansah, doch heute wirkte er besonders schutzbedürftig.
„Bei dem Lärm kann ich dir keine Geschichte erzählen. Vielleicht später. Mal sehen. Jetzt hab ich zu viel zu tun. Du musst dich schon mit dir selbst beschäftigen“, erklärte Olga und wandte sich einem Gast zu, der gerade neben Dimitri auf einen Barhocker gerutscht war.
„Was darf`s sein, junger Mann?“, fragte sie den untersetzten Burschen, der mit seinen strähnigen, schulterlangen Haaren und seinen wasserblauen Augen ziemlich heruntergekommen aussah.
„Jacky-Cola, bitte“, schrie er ihr entgegen, sodass es auch Dimitri neben ihm hören konnte.
„Ist auch mein Lieblingsgetränk!“, rief er seinem neuen Nachbarn ins Ohr.
„Nastrovje!“, fügte er noch hinzu und dabei hielt er dem Mann neben ihm sein Glas entgegen. Dieser schaute ihn zunächst zurückhaltend an, doch dann klirrten die Gläser aneinander. Auch der Neuankömmling leerte sein Getränk in einem Zug.
„Noch einen bitte!“, rief auch er, worauf Dimitri und Olga sich vielsagend angrinsten.
„Hier, bitte!“, sagte Olga und setzte noch grinsend hinzu:
„ Soll ich Sie nachher auch heimfahren?“
„Wie bitte?“, fragte der Mann und schaute abwechselnd zu seinem Sitznachbarn und zu der netten, wenn auch schon etwas älteren Bardame.
„War nur ein Scherz, mein Junge. Nur ein Scherz!“, rief Olga und widmete sich wieder ihrer Arbeit und den anderen Gästen. Doch Dimitri musterte seinen neuen Saufkollegen nun doch etwas genauer. Gut sah der momentan nicht aus mit seinen ungepflegten Haaren und den verwaschenen Schlabberklamotten. Dass er einen leichten Bauchansatz hatte, konnte sein geübter Blick trotzdem erkennen, doch schien er ziemlich muskulös zu sein. Aus dem würde sich schon was machen lassen.
„Bist du zum ersten Mal hier? Ich hab dich noch nie gesehen“, fragte Dimitri deshalb und prostete dem verwahrlosten Kerl zu.
„Ja. Ich war vorher noch in drei anderen Kneipen und irgendwie bin ich hier gelandet. Und du?“
„Ich bin Stammgast. Schon seit Jahren. Ich bin Dimitri und du?“
„Jimmy. Ich bin eigentlich auf Wohnungssuche, aber hier in Stuttgart ist es gar nicht so einfach, was Bezahlbares zu finden“, jammerte er und bestellte noch eine Jacky-Cola. Dimitri tat es ihm gleich und bei Olgas mahnendem Blick zuckte der nur gelangweilt mit den Schultern.
„Ich wohn in ner WG. Wir hätten noch Platz, wenn du sowas willst“, sagte Dimitri ganz spontan. Hinterher wusste er selbst nicht mehr, warum er einem Wildfremden einfach so dieses Angebot gemacht hatte.
„Verdammt!“, keuchte ich und zog hastig den Topf mit dem kochenden Nudelwasser von der Herdplatte. Wie so oft hatte ich verträumt am Küchenfenster gestanden und den herrlichen Sonnenuntergang hinterm Hohenstaufen betrachtet. Ich hatte mit meinen zweiundzwanzig Jahren immer noch keine Routine beim Kochen, denn bisher war ich, wenn überhaupt, nur Statistin in der Küche meiner Mutter gewesen. Ich wohnte immer noch zu Hause bei meinen Eltern, gemeinsam mit meinem zwanzigjährigen „kleinen“ Bruder Felix, der mich aber inzwischen um einen Kopf überragte.
Doch heute hatte ich endlich mal sturmfreie Bude. Mein Vater war mit Felix in Urlaub gefahren. Meine Mutter Delfina befand sich schon seit Wochen auf Kur, und das war der einzige Wehrmutstropfen bei der ganzen Sache. Bei ihr waren Herzrhythmusstörungen und der Verdacht auf einen Herzklappenfehler diagnostiziert worden und um sie komplett durchzuchecken und damit sie sich erholen konnte, war sie nun in Bad Urach. Doch nächste Woche würde sie endlich zurückkommen. Dass sie mir doch so fehlen würde, hätte ich nicht gedacht. Ich hätte ja auch mit in Urlaub fahren können, doch da mein Freund Joska, der bei der Kripo in Göppingen als Kommissar arbeitete, leider nicht frei bekommen hatte, war ich auch zuhause geblieben. Aber Urlaub hatte ich trotzdem, denn mein Onkel war auch nicht da – er war auf einer Fortbildung im Messermacherhandwerk in Hamburg. Alleine in unserer Werkstatt arbeiten wollte ich nicht. Dazu fehlte mir erstens der Mut und zweitens war ich noch nicht soweit, dass ich mit den Kunden alleine verhandeln konnte und es mir auch nicht zutraute. Seit meine Großeltern gestorben sind, ist nur noch die Messerwerkstatt in dem großen Haus – die Wohnung steht leer.
Heute hatte ich Joska also zum Abendessen auf unseren Hof, der etwas außerhalb von Ottenbach lag, eingeladen, und ihm das Einzige gekocht, das ich einigermaßen konnte:
Spaghetti Bolognese.
Gerade, als ich im Begriff war, das Nudelwasser abzugießen, klingelte das Telefon und ich schüttete mir vor Schreck etwas heißes Wasser über die Finger. „Verdammte Scheiße!“, jammerte ich und grabschte mit der noch heilen Hand nach dem Telefon. Die andere hielt ich unter fließend kaltes Wasser.
„Angerer!“, meldete ich mich mit weinerlicher Stimme, denn die verbrannte Haut tat höllisch weh.
„Nora?“, fragte mein Freund sofort hellhörig. „Ist was passiert? Du klingst irgendwie komisch.“
„Hab mich verbrannt, ist aber nicht so schlimm“, wiegelte ich ab, denn Joska bekam schnell Panik, wenn es um meine Sicherheit ging. Was ja auch nicht verwunderlich war – hatte ich mich in den vier Jahren, die wir uns nun kannten, doch des Öfteren leichtfertig in Gefahr gebracht.
„Bist du sicher? Mit Verbrennungen ist nicht zu spaßen. Soll ich dich zum Arzt …“, setzte er an, doch ich unterbrach ihn sofort.
„Nein, Joska! Es geht schon. Wir wollen uns doch unseren ersten Abend alleine auf unserem Hof nicht verderben lassen!“, versuchte ich meinen Freund zu überzeugen, was mir anscheinend, erstaunlicherweise, auch gelang, denn er seufzte erleichtert auf. Allerdings nicht aus dem Grund, den ich angenommen hatte.
„Das ist gut, dass ich dich nicht zum Arzt fahren muss, mein Engel. Ich kann nämlich überhaupt nicht zu dir kommen, weil …“
„WAS?“, kreischte ich und stoppte wütend das kalte Wasser, um es dann aber wegen den starken Schmerzen gleich wieder aufzudrehen. „Warum nicht?“, fragte ich weiter, obwohl ich es mir natürlich schon denken konnte.
„Ein Todesfall kam gerade rein und … jetzt halt dich fest, Schatz: Ein Mann wurde in seiner Wohnung tot aufgefunden und sein Hund lag ziemlich entkräftet neben ihm … und das in Ottenbach!“, klärte Joska mich auf. Ich musste mich hinsetzen, denn meine Beine versagten mir den Dienst.
Nicht schon wieder ein Verbrechen in unserem beschaulichen „Tal der Liebe“!
Da ich jedoch wusste, dass er mir keine weiteren Details mitteilen durfte, fragte ich auch nicht weiter nach.
„Wie lange wird es dauern?“, wollte ich in gespielter Gleichgültigkeit wissen, was meinen Freund natürlich sofort misstrauisch machte.
„Willst du gar nichts Näheres wissen?“
„Du darfst doch sowieso nix sagen, Joska! Aber falls ihr Hilfe wegen des Hundes braucht – meldet euch. Seit unser Moritz vor sechs Wochen eingeschläfert werden musste, fehlt uns allen etwas. Ich würde mich um das Tier kümmern, wenn es keine Verwandten, Freunde oder Nachbarn des Toten tun können“, erklärte ich und hoffte plötzlich inständig, somit bei einem neuen Fall mithelfen zu dürfen. Es war wirklich kaum zu glauben, dass ich neben dem ersten Fall, in den ich verwickelt gewesen war und Joska dabei kennengelernt hatte, nun schon mit einem dritten Verbrechen konfrontiert war. Irgendwie schien ich das magisch anzuziehen.
Wer der Verstorbene wohl war? Wie alt war er geworden? War er umgebracht worden oder hatte er Selbstmord begangen? Oder war er vielleicht doch eines natürlichen Todes gestorben? Aber nein, ermahnte ich mich, dann wäre ja nicht die Kripo gerufen worden. Ich wiederholte meine Frage nochmals, wie lange es wohl dauern würde, doch das konnte Joska vorerst nicht abschätzen. Er war noch gar nicht hier in Ottenbach.
„Bologneser Soße sollte stundenlang einkochen, dann wird sie umso besser. Wirst du auf mich warten?“, schnurrte mein verfressener Freund und ich verzog halb grinsend, halb vor Schmerz das Gesicht, während ich mir eine meiner widerspenstigen roten Locken hinters Ohr strich.
„Bleibt mir ja nix anderes übrig“, grummelte ich und stellte mich auf einen langweiligen Abend ein. Ganz wohl war mir dabei nicht, denn unser alter Hof liegt in einem kleinen Tal und der nächste Nachbar ist weiter weg – jedenfalls nicht in Rufweite. Nachts war es hier manchmal so totenstill, dass man denken konnte, man wäre ganz alleine auf der Welt. Ohne Hund war es wirklich sehr einsam hier und bei dem Gedanken kroch mir eine Gänsehaut über den Rücken.
„Mach dir einfach einen gemütlichen Kaminabend, meine Süße. Draußen ist es höllisch kalt und ich freu mich jetzt schon auf dich und das Bärenfell vor dem Kamin“, säuselte Joska in dem Versuch, sein Fernbleiben schönzureden.
„Du weißt, dass ich nicht gerne alleine auf dem Hof bin, Joska. Also beeil dich bitte!“, jammerte ich nun doch und spielte mit dem Gedanken, an den Ortsanfang zu fahren, Joskas Wagen abzupassen und hinter ihm herzufahren. So würde ich nicht alleine bleiben müssen und falls ich mich wirklich um den Hund kümmern musste, wäre ich gleich vor Ort. Ich hätte Joska natürlich auch diesbezüglich fragen können, doch wenn er es mir nicht erlauben würde, hätte ich zuhause bleiben müssen.
„Bist du schon in Ottenbach?“, fragte ich deshalb beiläufig und tat so, als würde mich das nur am Rande interessieren.
„Nein, noch nicht ganz. Bin gerade am Kreisel in Krummwälden. Aber die Spurensicherung müsste schon länger da sein. Magdalena .. äh … Frau Müller-Harnisch, meine ich …“, stotterte Joska herum, doch ich unterbrach ihn gereizt. Bei der Erwähnung seiner gutaussehenden Chefin zog sich mir immer noch der Magen zusammen, obwohl es für diese Eifersucht wirklich keinen Grund gab. Das Missverständnis hatte schließlich nach unserem letzten gemeinsamen „Fall“ aus der Welt geschafft werden können. Aber dennoch …
„Ich weiß, dass du inzwischen mit deinem Boss per Du bist, also stammle hier nicht rum“, sagte ich giftiger, als ich eigentlich wollte. Ob das nun an den elenden Schmerzen lag oder an dem verdorbenen Abend, oder an seiner Chefin, wusste ich auch nicht so genau.
„Also … äh … wo war ich? … Ach ja – Also. Magdalena und ich waren auf einer Fortbildung und sind vorhin erst zurückgekommen. Deshalb ist die Spusi schon mal vorgefahren“, erklärte mein Kommissar und man hörte ihm an, dass er froh war, dass ich auf dem Thema „Magdalena“ nicht weiter herumritt.
„Dann können die euch ja hoffentlich schon einige Erkenntnisse liefern und es geht dann nachher schneller. Ist deine Chefin auch dabei?“, wollte ich wissen, denn dann konnte ich meine Aktion mit dem Hinterherfahren von vornherein vergessen.
„Nein, die musste gleich weiter zu einer Tagung. Ich hab den Clemens bei mir“, stöhnte Joska und ich hörte durchs Telefon, wie er einen weiteren Seufzer unterdrückte. Der gute Clemens hatte als Späteinsteiger nun endlich seine Ausbildung beendet. Bis endgültig geklärt war, wohin er versetzt wurde, durfte Joska sich mit dem nervtötenden Besserwisser herumschlagen. Einzig in Sachen langwieriger Recherchearbeiten war er gut zu gebrauchen, denn sein Lieblingsplatz waren der PC und das Archiv.
„Na dann – viel Spaß!“, sagte ich sarkastisch und Joska schnaubte nur. Mit einem „Bis nachher!“, legte er auf, während ich bereits in meine Stiefel geschlüpft war. Beim Hinausstürmen warf ich mir noch die Winterjacke über, und war auch noch so geistesgegenwärtig, an die Hausschlüssel zu denken. Zum Glück hatte ich vorhin noch Schnee geschippt, sodass ich nun mit meinem Käfer-Cabrio einigermaßen problemlos fahren konnte. Als ich jedoch bereits im Wagen saß, fiel mir ein, dass ich die Soße noch auf höchster Stufe auf dem Herd stehen hatte – die würde garantiert einbrennen und das wollte ich natürlich nicht. Also schnell nochmal rein und die Herdplatte auf klein gedreht!
„Hoffentlich reicht es jetzt noch, dass ich Joska abpassen kann. Sonst muss ich ihn suchen“, jammerte ich vor mich hin, während ich die schneebedeckte Straße vorsichtig hinunter fuhr. Heute war zwar schon mal der Schneepflug vom Nachbarhof gefahren, aber inzwischen hatte der starke Schneefall wieder für weiße Straßen gesorgt.
Gerade, als ich von der Kitzener Straße her auf die Hauptstraße zu fuhr, rauschte Joskas Wagen an mir vorbei. Hoffentlich hatte er meinen markanten Käfer nicht entdeckt. Musste ich mir eben eine Ausrede einfallen lassen, warum ich nochmal losgefahren war. Es waren keine Spaghetti mehr im Haus – das war doch eine gute Ausrede, denn die Supermärkte im Nachbarort Salach hatten noch bis mindestens zwanzig Uhr geöffnet. Leider konnte ich nicht sofort hinter Joska herfahren und so sah ich nicht, ob er rechts oder links von der Hauptstraße abgebogen war. Schöner Mist!
Aber so groß war Ottenbach mit seinen knapp zweitausendfünfhundert Einwohnern ja nicht und nach rechts gab es sowieso nur eine Möglichkeit. Joskas kleinen Mini würde ich sicher entdecken. Vielleicht hatten sich auch schon ein paar Schaulustige eingefunden und vor dem Haus des Toten versammelt. Die Einsatzfahrzeuge der Spurensicherung würde ich allerdings nicht so leicht erkennen können, da das meist Privatwagen waren. Also fing ich einfach vom neuen Rathaus aus an, die Straßen abzufahren. Schon von der Hauptstraße aus konnte ich trotz des Schneetreibens den herrlichen, großen Weihnachtsbaum auf dem Dorfplatz leuchten sehen. Auch das Rathaus war schon festlich geschmückt – ringsum hingen glitzernde Vorhänge und erhellten unseren schönen neuen Platz oberhalb des hellen Sandsteingebäudes. Dabei entdeckte ich, dass auf diesem Areal schon wieder einige Fahrzeuge parkten, obwohl das doch verboten war. Ganz sicher hatten die Fahrer morgen einen Zettel an der Windschutzscheibe, denn es gab eine sehr aufmerksame Anwohnerin, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, als Hüterin des Gesetzes zu fungieren und Falschparkern Warnzettel zu verteilen. Solange es allerdings nur bei diesen Zetteln blieb, wurde sicher weiterhin fröhlich kreuz und quer geparkt. Ich wusste von meinem Vater, dass sich darüber auch der Gemeinderat ziemlich aufregte, denn der mit einer besonderen Grauwacke gepflasterte Dorfplatz war nicht dafür ausgelegt, dass viele Fahrzeuge darüber fuhren. Mit welch vielfältigen Angelegenheiten sich doch so ein Rat auseinandersetzen musste …
Ich musste sehr vorsichtig die doch recht steilen Berge hoch- und runterfahren, denn der Schneepflug, den unsere fleißigen Männer vom Bauhof in Schichten fuhren, konnte ja nicht überall zur gleichen Zeit sein. Als ich jedoch in die Sackgasse beim Erlenweg fuhr, sah ich vor einem der wenigen Wohnblocks, die wir hier im Ort haben, ungewöhnlich viele Autos stehen. Schaulustige konnte ich allerdings keine entdecken. Dennoch fuhr ich die Straße wieder zurück und parkte in einer der Seitengassen. Mein kleiner Käfer war bei der Kripo Göppingen durch die beiden Fälle, in die ich bisher verwickelt gewesen war, hinreichend bekannt und ich wollte nicht gleich erkannt werden. Wenn Joska herausfand, dass ich schon wieder meine Nase in Dinge steckte, die mich nichts angingen, würde er fuchsteufelswild werden. Was ich zwar ob seines ungarischen Temperamentes ganz süß fand, aber unserem bisher sehr harmonischen Verhältnis würde es sicher ziemlich schaden. So huschte ich dann im Schutze der Dunkelheit durch die engen Gässchen und versuchte zu erkennen, in welcher der zahlreichen Wohnungen sich das Verbrechen abgespielt haben könnte. Aber es brannte in fast allen Wohnungen Licht, es war auch ungewöhnlich ruhig. Denkbar war natürlich, dass die schneebedeckten Straßen und Wege jedes Geräusch dämpften oder gar gänzlich verschluckten.
Doch das Schicksal meinte es gut mit mir und führte mich zu einem kleinen Balkon im ersten Stock, auf dem gerade zwei Männer mit weißen Anzügen standen und rauchten. Deutlich konnte ich erkennen, wie die Zigarettenspitzen hellrot aufleuchteten, wenn an ihnen gezogen wurde. Das mussten die Mitarbeiter der Spusi sein. Mein Pech war natürlich, dass die Tat anscheinend im ersten Stock passiert war, so konnte ich von hier unten nichts weiter sehen. Aber nach Hause auf unseren einsamen Hof wollte ich auch nicht alleine zurück. Vielleicht konnte ich hören, was die Männer sprachen, wenn ich näher heranschlich? Der Garten darunter war nur durch eine niedrige Hecke umzäunt und nur aus einem kleinen Fenster drang Licht hinaus in die winterliche Nacht. Bei diesem Schneetreiben konnte ich es schon wagen, in den Garten zu hüpfen und dann zu lauschen. Meine verräterischen Spuren würden bald wieder zugeschneit sein.
Tatsächlich konnte ich die beiden Männer dann auch gut verstehen und zumindest eine Stimme kam mir bekannt vor. Das musste der Paul Kollmann sein, ein noch recht junger Kollege von Joska. Er war vor zwei Jahren maßgeblich daran beteiligt gewesen, dass Joska mich über mein Handy orten und letztendlich hatte finden können. Eigentlich war der Kollmann ein Computer-Spezialist und ich fragte mich, was er hier an diesem Tatort zu suchen hatte. Vielleicht war er einfach nur eine Krankheitsvertretung, denn momentan waren sehr viele Leute krank – eine Grippewelle, wie fast in jedem Jahr. Oder er war persönlich da, um den PC oder Laptop des Toten abzuholen. Ich ging einfach automatisch davon aus, dass heutzutage jeder so etwas hatte. Den anderen Beamten, der gerade über das Wetter schimpfte, kannte ich nicht.
„Wir sind doch jetzt soweit fertig und Joska ist ja nun da. Wir besprechen noch kurz das Wichtigste. In der Wohnung da drin ist es auch saumäßig kalt, die Heizung war komplett ausgeschaltet. Jetzt geht`s endlich heim zu Frau und Kaminfeuer“, sagte der Jüngere, von dem ich wusste, dass er allein lebte. Sein Kollege gab daraufhin einen schnaubenden Laut von sich.
„Seit wann hast du eine Frau? Kaminfeuer vielleicht, wenn du dir selbst welches anmachst, aber es wartet kein Frauchen auf dich. Genauso wie auf mich nur eine kalte Zweizimmerwohnung ohne Partnerin und Feuer wartet“, jammerte der mit der älteren Stimme, sodass man direkt Mitleid bekommen konnte.
„Selber schuld, Hermann. Du warst ja mehr mit deiner Arbeit verheiratet. Kein Wunder, dass sich deine Frau einen anderen gesucht hat“, versetzte Paul nicht gerade einfühlsam. „Und außerdem … woher willst du wissen, dass niemand auf mich wartet?“
„Dann pass nur auf, dass es dir nicht genauso ergeht“, knurrte Hermann knapp und ich fragte mich genervt, wann die beiden aufhörten, über diesen privaten Kram zu quatschen. Wann lieferten sie mir endlich noch mehr Fakten zu dem Fall? Immerhin wusste ich bereits, dass die Heizung in der Wohnung des Toten aus war, dadurch war auf jeden Fall der Verwesungsprozess verzögert worden.
Wie lange er wohl schon tot dort lag?
Leider waren die Zigaretten bald aufgeraucht und die Männer waren bestimmt froh, wieder ins trockene Zimmer zu kommen. Natürlich zogen sie auch die Balkontüre zu und somit war es aus und vorbei mit dem Lauschen. Doch so leicht wollte ich nicht die Segel streichen. Ich hatte bereits an der Wand ein Holzgerüst entdeckt, an dem sich ein Rosenstrauch emporrankte. Vielleicht konnte ich daran hinaufklettern? Ob das Ding stabil genug war? Ich hatte in den letzten Jahren nach den zwei Abenteuern, die ich durchgestanden hatte, etwas an Gewicht zugelegt, aber: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt!, war schon immer meine Devise und so machte ich mich, nachdem ich mich vergewissert hatte, dass mich niemand beobachtete, an den schwierigen Aufstieg. Es war wegen des dichten Astgewirrs und der Dornen äußerst mühsam, ohne Schrammen und kaputten Klamotten da hoch zu klettern. Aber Aufgeben und Umkehren kam gar nicht infrage und so kämpfte ich mich keuchend hinauf bis zur Balkonbrüstung. Doch gerade, als ich ein Bein über das Geländer schwingen wollte, öffnete sich die Türe wieder und Joska kam heraus.
„Mann!“, jammerte er. „Ich kann mich an diesen ätzenden Leichengeruch einfach nicht gewöhnen.“ Gierig saugte er frische Luft in seine Lungen und mir blieb gerade noch Zeit, mein Bein zurückzuziehen und mich zu ducken.
„Das hier wird wohl noch länger dauern“, rief er seinen Kollegen zu und mich überkam Panik. Wo war mein Handy? Hatte ich es im Wagen liegenlassen oder hier in der Manteltasche? Hektisch klopfte ich alle Taschen ab und fand das verflixte Ding (in diesem Falle: leider) in meiner Jackentasche. Joska würde doch nicht gerade jetzt …
„Ich werde Nora Bescheid sagen, dass es später wird, als gedacht“, sagte er mehr zu sich selbst und setzte noch hinzu: „Das wird ihr gar nicht gefallen.“
Richtig! Das gefiel mir ganz und gar nicht und zwar in zweifacher Hinsicht. Ohne nachzudenken warf ich mein armes Handy in hohem Bogen in den nächstgrößeren Schneehaufen, wo es dann augenblicklich kurz hintereinander zwei Mal piepte. Soein Schuft! Nur eine SMS! Der hatte wohl Angst vor meiner Reaktion am Telefon. Zum Glück war er wieder hineingegangen und hatte das verräterische Piepen nicht gehört oder keinen Zusammenhang mit seiner gesendeten Nachricht hergestellt. Nachdem die Balkontüre wieder geschlossen war, atmete ich hörbar aus. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich den Atem angehalten hatte. Nun konnte ich endlich mit meiner geplanten Aktion fortfahren und schwang zum zweiten Mal mein Bein über die Brüstung. Mit einem katzenhaften Sprung schaffte ich es, fast lautlos im knöchelhohen Schnee zu landen. Sofort fing ich an, mich genauer umzuschauen und zu kombinieren:
Die wenigen Fußspuren stammten sicher von den Kripo-Mitarbeitern. Es hatte seit drei Tagen ununterbrochen geschneit, aber Hundespuren sah ich gar keine. Also konnten weder der Wohnungsbesitzer (wahrscheinlich der Tote), noch sein Hund seither draußen auf dem Balkon gewesen sein. Vielleicht waren sie einfach keine Frischluftfreunde und gingen nicht zusätzlich zu den notwendigen Hundespaziergängen hinaus auf den Balkon. Oder aber – der Mann war schon seit drei Tagen tot, was auch Joskas Reaktion bezüglich des starken Leichengeruchs bestätigen würde.
Aber wie konnte das sein?
Warum hatte der Hund sich nicht irgendwie bemerkbar gemacht?
Der musste doch Durst und Hunger gehabt haben. Oder war der bedauernswerte Kerl so auf sein Herrchen fixiert gewesen, dass ihm seine körperlichen Bedürfnisse völlig egal waren? Ein schrecklicher Gedanke! Armes Tier.
Ich musste unbedingt einen Blick auf den Hund werfen.
Dazu schlich ich von der Seite, die noch etwas im Dunkeln lag, an die Terrassentüre heran. Die Vorhänge waren nur zum Teil zugezogen und so konnte ich in die Wohnung schauen. Ich sah gerade noch, wie der Reißverschluss des Leichensackes geschlossen wurde und die Leute mit der Trage schon zum Abtransport bereitstanden. Ansonsten war es in dem Wohnzimmer sehr aufgeräumt, das heißt, außer einem Schrank, einem Sofa (auf dem die Leiche lag) und davor einem Tisch, war nichts weiter zu erkennen. Nichts lag herum – keine Bücher oder Zeitschriften, keine Gläser oder Geschirr, keine Klamotten – einfach nichts! Soeben trug der Kollmann einen ziemlich großen Laptop hinaus. Ich war jetzt schon gespannt, was sie darauf alles finden würden. Dennoch war mir klar, dass ich von Joska, zumindest vor der öffentlichen Bekanntgabe, nicht viel erfahren würde.
Aber … wo war der Hund?
Als ich mir diese Frage stellte, tauchte plötzlich Joskas Gesicht an der Türe auf und mir gelang es gerade noch, meinen Kopf zurückzuziehen. Der würde doch nicht nochmal …
Doch! Er öffnete die Türe, aber nicht er selbst kam heraus, sondern eine dunkle Hundeschnauze. Verdammter Mist! Was würde der wohl tun, wenn er mich hier entdeckte? Anbellen – anfallen – oder gleich in Stücke reißen? Aber ich konnte nichts tun, außer abzuwarten. Doch dann fiel mir ein, dass Joska vorhin am Telefon erwähnt hatte, dass der Hund total entkräftet war. Somit konnte er mir ja nicht gefährlich werden, oder? Immerhin schien er wieder auf den Beinen zu sein und Joska versuchte wohl gerade, ihn zu überreden, hinaus in die Kälte zu gehen.
„Feiner Hund“, sagte Joska dann. „Wie wäre es, wenn du draußen pinkelst?“ Und zu seinem Kollegen gewandt rief er nach drinnen:
„Habt ihr in der Wohnung irgendwo Hundehaufen gefunden?“
„Ja. Zwei in der Dusche und auch eingetrocknete Pisse.“
„Das könnte doch hinkommen. Der Gerichtsmediziner hat gesagt, dass der Tote mindestens seit drei Tagen hier gelegen hat. Genaueres erfahren wir natürlich wie immer erst nach der Obduktion. Aber davon ausgehend, dass der Hund vor drei oder vier Tagen noch gefüttert worden ist und danach nicht mehr, könnte das mit den zwei Haufen schon passen. Wie das arme Tier es aber drei Tage ohne Wasser ausgehalten hat, ist mir ein Rätsel“, sagte Joska und schob den Schäferhund weiter nach draußen.
„Hunde können es ganz gut auch mal eine Woche ohne Trinken aushalten, hab ich mal gelesen“, kam es von drinnen.
Ob das wirklich stimmte? Ich konnte das kaum glauben.
Mit angehaltenem Atem drückte ich mich an die eiskalte Hauswand. Ich schlotterte so sehr, dass ich sicher war, Joska musste meine Zähne klappern hören. Ob vor Angst oder Kälte, war mir selbst nicht klar. Doch das Tier würde meine Angst riechen können, da war ich mir ganz sicher. Als der große Altdeutsche Schäferhund dann aber selbst mit wackligen Beinen herauskam und zitternd stehen blieb, verflog meine Furcht vor diesem Hund doch ein bisschen. Der Arme musste wirklich völlig am Ende und komplett durch den Wind sein. Schon war ich versucht, ihm meine Hand hinzustrecken, als mich die nächsten Worte von Joskas Kollegen aufhorchen ließen.
„Eigentlich hätte ich auch gedacht, dass der Hund nach drei Tagen ohne Wasser in schlechterem Zustand hätte sein müssen. Aber wenn du behauptest, die halten das auch noch länger aus …“
„Vielleicht hat er sich das Wasser in der Schüssel einfach eingeteilt“, vermutete Joska und tätschelte dem Hund den Kopf, worauf der ein leises Knurren hören ließ. Das konnte aber auch daran liegen, dass das Tier mich entdeckt hatte. Denn jetzt konnte ich in zwei traurig dreinblickende Hundeaugen schauen und sofort stieg eine Welle des Mitleids in mir hoch. Was hatte dieser arme Kerl nur alles mitmachen müssen? Und nun war er ganz alleine und von lauter fremden Menschen umgeben.
„Was hast du denn, du Armer?“, fragte Joska leise. „Ist es dir hier draußen doch zu kalt?“ Damit wollte mein fürsorglicher und tierlieber Freund den Hund am Halsband zurück ins Warme ziehen, aber leider knurrte der noch lauter in meine Richtung. Mist! Jetzt konnte es nicht mehr lange dauern, bis Joska mich entdecken würde. Während ich gerade mit dem Gedanken spielte, mich zu erkennen zu geben, rief drinnen jemand nach ihm und ich bekam nochmal eine kleine Schonfrist.
„Mach, was du willst, Hundetier“, sagte mein Freund und verschwand wieder in der Wohnung. Ich konnte gerade noch verstehen:
„… und seinen vollen Fressnapf hat er nicht angerührt. Warum wohl?“
„Vielleicht, weil er so um sein Herrchen getrauert hat“, mutmaßte Joska, doch sein Kollege spielte mit dem Gedanken, das Futter analysieren zu lassen. Was hoffte er, dadurch zu erfahren? Konnte man am Vertrocknungsgrad erkennen, wie lange es schon dalag?
Jetzt war eigentlich ein guter Zeitpunkt, um hier zu verschwinden, doch schon die kleinste Bewegung meinerseits veranlasste den Hund, die Zähne zu fletschen und zu knurren. Kein guter Einstieg für mich, falls ich mich wirklich demnächst um das Tier kümmern sollte.
„Ganz ruhig, mein Guter“, flüsterte ich mutiger, als ich war. Ich kannte den Hund ja nicht, ich wusste nicht, wie verstört er war und ob tatsächlich Gefahr von ihm ausging. Doch ich konnte diesen traurigen Augen nicht widerstehen und so streckte ich wider besseren Wissens meine Hand in seine Richtung. Dabei murmelte ich irgendein zusammenhangloses Zeug, nur um ihn und auch mich zu beruhigen. Obwohl die Männer immer noch lauthals diskutierten, gab es hier draußen in all dem Schnee und der Kälte nur noch uns zwei: Den zitternden Hund und mich, ebenfalls schlotternd. Langsam näherten wir uns an und ich vergaß dabei alles um mich herum. So blieb mir auch beinahe das Herz stehen, als Joska plötzlich sehr leise zischte:
„Ihr scheint euch ja schon angefreundet zu haben.“
„Ein bisschen“, murmelte ich zögerlich, denn ich konnte nicht fassen, dass mein heißblütiger Freund keinen Tobsuchtsanfall bekommen hatte. Seine nächsten Worte erklärten es jedoch.
„Nora! Du schwingst deinen Hintern jetzt sofort wieder da runter und zwar so, dass meine Kollegen nichts davon mitkriegen. Hast du mich verstanden?“
Ich konnte nur nicken.