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Als der spanische Paläograf, Professor Xavier Cardona in den Ruinen von Tiwanaku ein verschollenes Inka-Archiv entdeckt, ahnt er nicht, was er mit seinem Fund für eine Lawine an Ereignissen auslöst. Zudem geht ihm das zweimalige Auftauchen einer Klapperschlange, die ihn bei seiner Arbeit zu beobachten schien, nicht mehr aus dem Kopf. Urs Stierli, der durch Zufall von dieser Entdeckung erfährt, erkennt rasch deren Bedeutung und bittet deshalb Bischof Gaetano Silvestri, den Leiter der apostolischen Archäologie in Rom um Rat. Im Archiv des Vatikans entdeckt Silvestri geheime Dokumente, die auf eine unglaubliche Geschichte aus dem 13. Jahrhundert hinweise. Als auch noch zwei Menschen in Zürich und Genf unter mysteriösen Umständen ums Leben kommen, beschliessen Urs Stierli und Bischof Silvestri, nach Bolivien zu reisen um in den Inka-Ruinen von Tiwanaku, in der Nähe des Titicacasees, eigene Nachforschungen anzustellen. Begleitet von seiner Frau Daniela, seiner Tochter Alenia, die überraschende und ungeahnte Fähigkeiten entwickeln wird, und seinen Freunden, der Archäologin Anna Santoro und ihrem Lebenspartner Harry Regottaz, befinden sich Urs und seine Freunde alsbald in einem schier unvorstellbaren Abenteuer, bei dem es nicht nur um den Ursprung der Menschheit geht, sondern auch um die sagenumwobenen Tempelritter und ihren Nachkommen. Vieles deutet nämlich darauf hin, dass Tempelritter bereits 250 Jahre vor der Entdeckung des amerikanischen Kontinents von dessen Existenz nicht nur wussten, sondern ihn sogar bereist hatten. In wiederentdeckten Schriften befinden sich Hinweise auf einen Schatz, den Tempelritter bei ihrer Flucht auf einer letzten Seereise mit sich führten. Dass Professor Cardona noch am Abend seiner geschichtsträchtigen Entdeckung spurlos verschwindet, deutet darauf hin, dass unbekannte Akteure aus einem geheimnisumwitterten Grund die Forschungsarbeiten behindern wollen. Immer mehr geraten Nachfahren einstiger Inka-Herrscher in den Verdacht, mit dem seltsamen Verschwinden des Professors zu tun zu haben. Als dann auch in Bolivien zwei Menschen ermordet werden, tritt ein Staatsanwalt auf den Plan, dessen familiären Wurzeln vor Jahrhunderten in Frankreich lagen. In Zusammenarbeit mit Urs und dem Bischof versucht er die vielen Rätsel zu lösen, die nicht nur auf kriminelle Machenschaften von hochrangigen Regierungsmitgliedern hinweisen, sondern auch zu seiner eigenen Familiengeschichte führen.
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Seitenzahl: 888
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Personen
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10. Juni 2020
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11. Juni 2020
Epilog
Urs Stierli
Sprachgenie
Daniela Stierli-Wolf
Ehefrau und Journalistin
Alenia Stierli
Tochter von Daniela und Urs Stierli
Harry Regottaz
Freund von Urs, Abenteurer
Anna Santoro
Archäologin, Professorin, Lebenspartnerin von Harry
Professor Xavier Cardona
Paläograf an der Universität von Barcelona
Manuel Ruiz
Chauffeur und Freund
Professor Erich Wagenknecht
Paläograf an der LMU, München
Petra Seyfferth
Assistentin Professor Wagenknechts
Helmuth Holthaus
Dekan der Fakultät für Kulturwissenschaften an der LMU, München
Anuk Yupanqui
Voller Geheimnisse, Nachfahrin eines Inka-Herrschers
Antonio Mamani
Undurchsichtiger Direktor des CIAAAT
Gaetano Silvestri
Bischof, Leiter der päpstlichen Kommission für Sakrale Archäologie
Gideon Fitzpatrick
Kardinal, Kongregationsleiter für Glaubenslehre
Kurt Semmler
Bischof, Mittglied der Apostolischen Signatur, dem höchsten Gerichtshof im Vatikan
Goffredo Furini
Assistent Bischof Silvestris
Lorenzo Lunardi
Erzbischof und Diplomat im vatikanischen Dienst
Kurt Flückiger
Teamleiter Kantonspolizei Zürich, Abteilung für Gewaltverbrechen
Otto Stettler
Kantonspolizist, Hauptmann, Chef Abteilung Gewaltverbrechen
Heinz Tobler
Kantonspolizist im Team Flückigers
Karin Herzog
Kantonspolizistin im Team Flückigers
Max Schneider
Kantonspolizist im Team Flückigers
Bernadette Bérard
Mysteriöse Bolivianerin mit französischen Wurzeln
Maurice Bérard
Cousin Bernadettes und Staatsanwalt
Miguel Berenguar
Diplomat und Onkel Bernadettes
Jorge Sanchez
Generalkonsul Boliviens in Genf
Rosalia Quispe
Konsulatsangestellte in Genf
Victor Bérard
Reisender im 13. Jahrhundert
Thomas Bérard
Onkel Victors und 20ster Grossmeister des Tempelritterordens von 1256 bis 1273
Max Beracasa
Kulturminister Boliviens
Alfonso Sucre
Grossmeister einer Freimaurerloge in Cochabamba
Dr. Hugo Condori
Leiter der Forschungsabteilung beim ETS in La Paz
Juan Olano
Loyaler Mitarbeiter Maurice Bérards
Luis Rosario
Chef der Mordkommission in La Paz
La Cascabel
Geheimisvolle junge Frau, die mit Schlangen zusammenlebt
Schon wieder dieses Rascheln. Er konnte es nicht richtig orten, weil es immer wieder aus einer anderen Richtung zu kommen schien. Man hatte ihn vor Schlangen gewarnt, als er ankündigte, dass er in den alten Ruinen von Tiwanaku im Westen Boliviens Forschungsarbeiten nachgehen wollte. Vor allem die Schauer-Klapperschlange sollte eine der giftigsten Schlangen überhaupt sein und gerade auch in den Ruinen zahlreich vorkommen. Ihr Gift war für den Menschen äusserst gefährlich und in drei Viertel aller Fälle tödlich, wenn er nicht sofort behandelt wurde. Bekam man von diesem Gift nur wenig in die Augen, bestand die Gefahr, daran zu erblinden. Er hatte sich wieder über seinen Fund gebeugt, als ein erneutes Rascheln ihn herumfahren liess. Keine drei Meter von ihm entfernt lauerte tatsächlich eine dieser gefährlichen Schlangen und starrte ihn unverwandt an. Man hatte ihm nahegelegt, in so einem Fall absolute Ruhe zu bewahren und keine abrupten Bewegungen zu machen. Solche würden die Schlange besonders reizen und sie würde ohne weitere Vorwarnung angreifen. Er hatte vorsichtig seine Machete in die Hand genommen und fühlte sich gleich sicherer. Bestimmt konnte er mit einem schnellen Schlag einen Angriff abwehren, sollte er denn kommen. Ihre schmalen Augen waren immer noch auf ihn gerichtet und ihr Schwanzende bewegte sich leicht auf und abwärts. Dann, als ob sie die Gefahr, die von der Machete ausging erkannt hätte, drehte sie sich um und verschwand in einem grossen Steinhaufen, der unweit des Fundortes am Fuss einer mächtigen Säule lag. Das war noch einmal gut gegangen. Er nahm sich vor, noch vorsichtiger zu sein und wandte sich erneut seiner Arbeit zu.
Eigentlich war seine Forschungsarbeit in den alten Ruinen, die nahe bei der Ortschaft Tiawanaku lagen, weder spektakulär noch von grosser Wichtigkeit.
Die Ruinen stammen von Prä-Inka-Kulturen aus der Zeit von 1500 v. Christus bis etwa 1200 n. Christus und zählen zu den wichtigsten archäologischen Stätten Boliviens, die im Jahre 2000 von der UNESCO als Weltkulturerbe aufgenommen wurden. Erst ein Bruchteil der einstigen Stadt war bisher freigelegt und von Archäologen untersucht worden. Sie liegt auf 4000 Metern Höhe auf der Hochebene des Altipiano und nur 15 km vom nordwestlich liegenden Titicacasee. Bei den indigenen Völkern wird Tiwanaku als heilige Stätte verehrt, weil sie eine wichtige Rolle in der Schöpfungsgeschichte der Andenwelt spielte. Der Konquistador Francisco Pizarro soll anfangs des 16. Jahrhunderts die antike Stadt entdeckt und geplündert haben.
Die damals gesprochene Sprache war Puquina und die damit verbundenen Funde waren das eigentliche Ziel seiner Forschungsarbeit. Sein Spezialgebiet war die Paläografie mit Schwerpunkt auf die alten Schriften aus den Andengebieten. Darin galt er weltweit als der führende Paläograf und er hatte Dutzende Bücher über diesen faszinierenden Aspekt der Sprachwissenschaft veröffentlicht. Allerdings gab es in seiner Forschung noch grosse Lücken und die diesjährige Forschungsreise nach Bolivien sollte einige davon mit neuen Ergebnissen schliessen.
Aufgrund von alten Dokumenten, die bei früheren Forschungen entdeckt worden waren, hatte er sich auf einen Teil der Anlage konzentriert, die noch gar nicht freigelegt war. Dort vermutete er ein tempelartiges Gebäude mit einer Art Bibliothek, wo die heiligen Schriften aufbewahrt wurden. Noch war alles Hypothese, aber er war überzeugt, dass er mit seiner Annahme richtig lag.
„Buenos tardes, Profesor“ erklang plötzlich die Stimme seines Chauffeurs und Begleiters Manuel hinter ihm. War es schon wieder so spät, durchfuhr es ihn, als er sich umdrehte und Manuel mürrisch anlächelte. Es fehlte nur noch sehr wenig, und er würde endlich einen Zugang zum alten Tempel freigelegt haben.
„Buenos tardes, Manuel“ antwortete er, „ist es schon wieder Zeit zu gehen?“
„Ja, Profesor, Sie wissen doch, dass Sie nach 18:00 Uhr nicht mehr hier sein sollen. Es wird sehr schnell dunkel und das Gelände ist gefährlich. Morgen ist auch wieder ein Tag.“ Manuels Worte sollten seinen Patron aufmuntern, aber dieser wollte nur eines: endlich den Durchbruch erzielen. In knapp einer Woche musste er seine Rückreise antreten. Die Universität von Barcelona rechnete mit ihrem Professor, wenn die Studiengänge nach der Sommerpause wieder aufgenommen würden.
„Schon gut, Manuel, schon gut. Ich verstehe ja deine Sorge um mich. Aber heute habe ich sogar eine Schauer-Klapperschlange in die Flucht geschlagen, also bin ich nicht so hilflos, wie du annimmst.“
„Was sagen Sie da, Profesor? Eine Schauer-Klapperschlange? Sie wissen schon, dass die verdammt gefährlich sind. Wenn sie zubeissen, bedeutet das fast immer den sicheren Tod.“ Bestürzt hatte Manuel den Professor angeschaut und es beschlich ihn ein schlechtes Gewissen. Denn eigentlich hätte er den ganzen Tag bei Professor Xavier Cardona verweilen müssen um ihn vor allen möglichen Gefahren, die in der Forschungsstätte lauerten, bewahren zu können. Nach Absprache mit seinem Auftraggeber war er am Nachmittag für einige Stunden weggefahren, um seine alten Eltern zu besuchen, die in einem kleinen Dorf, etwa 20 km entfernt, in einem bescheidenen Häuschen lebten. Er sah sie nicht oft und als er den Auftrag von Professor Cardona annahm, war die Gelegenheit, seine Eltern sehen zu können mit ein Grund dafür.
„Keine Sorge, Manuel. Es ist ja nichts geschehen. Die Tiere greifen nicht grundlos Menschen an. Solange man sie in Ruhe lässt, sind sie nicht gefährlich.“
„Nein, Profesor, das ist gar nicht so. Diese Schlangen greifen auch an, wenn sie nicht bedroht sind. Sie wissen doch“, sagte er mit verschwörerischer Stimme, „dass sie die Hüterinnen dieser heiligen Stätte sind und jeden Eindringling verjagen oder sogar töten.“
„Ach Manuel“, antwortete der Professor kopfschüttelnd, „du wirst doch diese Märchen nicht glauben.“
„Das sind keine Märchen, Profesor“, wehrte sich Manuel, „hier haben schon etliche Menschen durch die Schlangen ihr Leben verloren. Aber nun ist es sicher besser, wenn wir gehen. Morgen früh werde ich zuerst einmal alles absuchen und wenn die Schlangen weg sind, können Sie mit Ihrer Arbeit fortfahren.“ Entschlossen packte er die grosse Tasche des Professors und marschierte in Richtung des Parkplatzes, wo sein Auto stand. Professor Cardona blieb nichts anderes übrig, als seinem Begleiter zu folgen und sich von diesem in sein Hotel fahren zu lassen. Morgen würde er wieder um sieben Uhr auf dem Gelände sein und sich endlich den Zugang zum verschollenen Tempel verschaffen. Er träumte davon, darin die Antworten auf die vielen Fragen zu finden, welche die Schöpfungsgeschichte der Prä-Inka-Kultur für ihn bereithielten. Im Grunde genommen waren sich die Schöpfungsgeschichten rund um den Globus sehr ähnlich und es war für ihn klar, dass es eigentlich nur eine wirkliche Geschichte gab und alle anderen sich von dieser ableiteten. Und er war sich auch sicher, dass die ursprünglichste aller Schöpfungsgeschichten der Menschheit in den Anden anzusiedeln war. Die nächsten Tage würden ihm Gewissheit verschaffen und den Durchbruch in seiner Forschung bedeuten. Wie oft war er von Kollegen schon belächelt worden und man hatte die Akribie, mit welcher er seine Forschung vorantrieb, viele Male als verschrobene Sturheit abgetan. Trotzdem hatte ihn nichts davon abhalten können, seinen Theorien nachzugehen, um eines Tages die Wahrheit ans Licht zu bringen.
„Wollen Sie gleich ins Hotel, Profesor, oder soll ich Sie zum Restaurant fahren?“ Manuel hatte die Frage gestellt, weil sein Schützling nahezu jeden Abend im Pachamama Restaurant, unweit von seinem Hotel, gegessen hatte. Das Essen schmeckte ihm gut und die Leute waren überaus freundlich und gesprächig. Zudem tat ihm der anschliessende Spaziergang zu seinem Hotel gut und er schlief hinterher ganz ausgezeichnet. In 4000 Metern Höhe war das nicht selbstverständlich.
„Fahr mich zuerst ins Hotel, Manuel. Ich will meine Sachen ins Zimmer bringen und muss noch einige Emails versenden. Danach werde ich zu Fuss ins Restaurant gehen. Es sind ja bloss 10 Minuten.“
„Ich kann Sie doch auch fahren, Profesor. Das macht mir gar nichts aus und hinterher fahre ich Sie zurück ins Hotel.“ Manuel hatte immer noch ein schlechtes Gewissen, weil ihm der Vorfall mit der Schlange nicht aus dem Kopf ging.
„Aber nur, wenn du mir beim Essen Gesellschaft leistest. Sonst will ich das nicht.“ Der Professor liess keinen Zweifel daran, dass er es ernst meinte. Für ihn war Manuel mehr als nur gerade ein Chauffeur. In den vergangenen zwei Wochen war ihm der liebenswürdige Mann ans Herzen gewachsen und er betrachtete ihn inzwischen als Freund.
Manuel schaute hinüber zu ihm und verstand, dass es der Professor wirklich so meinte. Freudig nickte er mit dem Kopf und setzte die Fahrt zum Hotel fort. Dort angekommen, stieg der Professor aus und eilte auf sein Zimmer. Er liess Manuel wissen, dass er in einer halben Stunde wieder unten sein würde um mit ihm Essen zu gehen. Dann verschwand er durch den Hoteleingang und überliess Manuel sich selber.
Im Zimmer packte er seine Tasche aus und griff nach den Notizen, die er während seiner heutigen Arbeit gemacht hatte. Er wollte unbedingt seinen Freund und Kollegen an der LMU darüber informieren, dass er zuversichtlich war, in wenigen Tagen eine sensationelle Entdeckung zu machen. Professor Dr. Erich Wagenknecht war einer der wenigen auf seinem Fachgebiet, der seine Forschung nicht belächelte, sondern unterstützte. Auch er glaubte fest daran, dass die Schöpfungsgeschichte der Menschheit ihren Ursprung in den Anden hatte. Beide hatten sie dafür oft Kritik einstecken müssen, denn nicht alle Kollegen und erst recht nicht die Religionsgemeinschaften waren einverstanden mit ihren Thesen. Man wünschte nicht, dass derartige Dogmen die seit Jahrhunderten feststehende biblische Schöpfungsgeschichte ins Wanken bringen könnten. Von den Naturwissenschaftlern und ihrer Urknall-Theorie ganz zu schweigen. Für diese war alles, was mit irgendeinem höheren Wesen zu tun hatte, Fantasie und im Reich der Märchen anzusiedeln.
Professor Cardona verfasste eine enthusiastische Email an seinen Münchner Kollegen und versprach ihm, schon bald die Beweise vorzulegen, die ihre These als einzig richtige untermauern würden. Danach schrieb er die heutigen Erkenntnisse in sein Tagebuch, welches er nach wie vor von Hand führte. Er hatte sich nie daran gewöhnen können, die Einträge mit einem Programm auf seinem Computer zu erfassen. Das mochte altmodisch sein, aber er wollte auch sicher sein, dass niemand an seine Forschungsergebnisse gelangen konnte, ohne dass er es wollte. Seine Vorstellung, dass von Hand niedergeschriebene Arbeiten nicht unkontrolliert an die Öffentlichkeit oder in falsche Hände gelangten, war zwar richtig, aber bei Verlust des Tagebuches oder sogar bei dessen Diebstahl, würden sämtliche Resultate auf einen Schlag verloren sein. Vielleicht würde er seiner Assistentin in Barcelona nach seiner Rückkehr den Auftrag geben, sein Tagebuch niederzuschreiben. Er würde ja die Forschung abgeschlossen haben und seine Erkenntnisse konnten endlich veröffentlicht werden.
Pünktlich nach einer halben Stunde fuhr Manuel mit seinem Auto wieder vor das Hotel und Professor Cardona trat wenig später aus der Türe und stieg gut gelaunt ins Auto.
„Heute Abend werden wir besonders gut essen, Manuel, und dazu den besten Rotwein trinken, den wir bekommen können.“
„Olà, Profesor, gibt es etwas zu feiern“.
„Vielleicht, ja. Morgen werde ich Gewissheit haben. Ich glaube, dass ich mit der heutigen Entdeckung einen entscheidenden Schritt in meiner Forschung gemacht habe.“ Er strahlte Zuversicht aus, die auch bei Manuel nicht unbemerkt blieb.
„Das sind ja gute Neuigkeiten. Darauf werden wir anstossen“, meinte Manuel und lächelte seinen Schützling freundlich an.
Einige Minuten später betraten sie das bereits gut besetzte Restaurant und wurden an einen grossen Tisch geführt, der am Fenster stand und an dem schon andere Gäste sassen. Die beiden Männer wurden von den Anwesenden kurz gemustert und freundlich begrüsst. Dann wurden die kurz unterbrochenen Gespräche wieder aufgenommen und man beachtete sie nicht mehr weiter.
Die Wirtin, die sich persönlich um sie kümmerte, empfahl ihnen die pikant gekochte Kalbszunge mit Kartoffeln und Gemüse, eine bolivianische Spezialität. Der Professor bestellte dazu eine Flasche bolivianischen Rotwein mit dem Namen Aranjuez. Die Traubensorte Tannat schmeckte ihm besonders gut und er hatte sich an diesen Wein aus der Region von Tarija gewöhnt. Es war sozusagen ein Höhenwein, da er in etwa 1800 Metern Höhe über Meer angebaut wurde. Sie genossen ihr Abendessen und auch den Wein, der sie angenehm schläfrig machte. Gegen 22:00 Uhr verabschiedeten sie sich und der Professor machte sich zu Fuss auf den Weg zurück in sein Hotel. Manuel würde am nächsten Morgen bereits um 08:00 Uhr wieder mit seinem Auto vorfahren, um ihn zurück zu den Ruinen zu bringen. Er war voller Tatendrang und konnte es kaum erwarten, dass der Morgen anbrach.
Am nächsten Morgen war er schon vor 06:00 Uhr auf den Beinen und hatte als erstes seine Emails gelesen. Professsor Wagenknecht hatte bereits geantwortet und wünschte ihm viel Glück bei seiner weiteren Forschung und erwartete gespannt die nächsten Meldungen. Xavier Cardona lächelte und stellte sich vor, wie sein Kollege staunend seine Entdeckung begutachten würde. Er packte eine Tasche, die er immer bei sich trug und die alle wichtigen Notizen zu seiner Forschung enthielt. Dann begab er sich in den Speisesaal, um zu frühstücken.
Manuel war wie immer sehr pünktlich und stand mit seinem Auto vor dem Hotel, als der Professor hinaustrat.
„Buenos Dias, Profesor“, wurde er freundlich begrüsst, “fahren wir sofort wieder zu den Ruinen?“
„Ja, ich will so rasch wie möglich weitermachen. Vielleicht schaffe ich es heute, zur Bibliothek zu gelangen.“
„Bibliothek?“, wunderte sich Manuel, „Sie vermuten eine Bibliothek da unten?“
„Ja, sofern die alten Dokumente, die ich studierte, korrekt sind, muss es tatsächlich eine verschollene Bibliothek geben, in welcher die ganz alten Schriften verwahrt wurden.“
„Werden Sie meine Hilfe für die weiteren Grabungen benötigen? Ich stehe Ihnen sehr gerne zur Verfügung.“
„Warum nicht, Manuel. In dieser letzten Phase kann ich deine kräftigen Arme sicher sehr gut brauchen. Danke.“
Die kurze Fahrt vom Hotel zur Ausgrabungsstätte kam dem Professor heute besonders lange vor und als Manuel sein Auto parkiert hatte und den Motor abstellte, sprang er hinaus und eilte mit seiner Tasche in der Hand zum vermuteten Fundort der verschollenen Bibliothek. Dort angelangt, betrachtete er kurz mit grosser Aufmerksamkeit das Ausgrabungsfeld, das er ausgesteckt hatte und nahm dann seine Schaufel zur Hand. Er wusste genau, wo er zu graben hatte. Auch Manuel stand jetzt mit einer Schaufel in der Hand da und blickte fragend zum Professor.
„Hier drüben, Manuel“, wies er ihn an, „grabe vorsichtig, damit nichts zerstört wird. Ich vermute, dass der Zugang zur Bibliothek nicht allzu tief liegt, vermutlich kaum einen Meter.“
Professor Cardona hatte bereits mit Graben begonnen und schichtete die abgetragene Erde vorsichtig einige Meter neben dem Loch auf, das nach und nach immer grösser wurde. Und tatsächlich: Nach einer Stunde intensivster Arbeit stiess er auf eine Steinplatte, die hohl tönte, als er vorsichtig mit der Schaufel daran klopfte. Freudig ging er auf die Knie, um die Platte mit einem kleinen Besen von der Erde zu befreien. Wie vermutet waren Ornamente und Schriftzeichen darauf zu finden. Auch Manuel, der etwa zehn Meter von ihm entfernt grub, war auf eine Steinplatte gestossen und rief sofort den Professor zu sich. Auch diese Steinplatte befreite er sorgfältig von der Erde und es kamen ähnliche Ornamente und Schriften darauf zum vorschein.
„Können Sie das lesen, Profesor?“, wollte Manuel wissen und starrte ehrfürchtig auf seinen Fund.
„Ja, ich kann das lesen. Es heisst, dass dieser heilige Ort Qun Tiksi Wiraqucha, dem Schöpfer der Zivilisation und seinen beiden Kindern, dem Sohn Inti, was Mond bedeutet, und der Tochter Mama Killa, der Sonne, gewidmet ist.“
„War das eine wichtige Gottheit, Profesor?“, fragte Manuel, der bis heute noch nie von einem solchen Gott gehört hatte.
„Der Legende nach schon. Er liess fast alle Menschen um den Titicacasee in einer Sintflut sterben und nur zwei blieben am Leben. Diese hatten die Aufgabe, die Zivilisation in die Welt zu bringen. Die Sintflut wird Unu Pachakuti genannt, die Wasser-Zeitwende.“ Professor Cardona war ins Dozieren gekommen.
„Der Name Tiksi bedeutet „Grundlage“ und Wira steht für „Fett“. Für die Inkas war Fett die Quelle der Energie. Seine Gemahlin war Mama Qucha, also „Mutter Meer“.
„Das ist aber doch sehr ähnlich zu den Vorgängen, die in der Bibel beschrieben sind. Auch dort wird von einer Sintflut geschrieben und auch dort überleben nur eine Handvoll Menschen, welche die Menschheit wieder neu entstehen lassen!“ wunderte sich Manuel.
„Völlig richtig, Manuel, es gibt in der alten Inka-Schöpfungsgeschichte viele Gemeinsamkeiten mit der christlichen. Übrigens werden auch in anderen Weltreligionen ähnliche Geschichten weitergegeben."
„Das ist erstaunlich! So als hätte es also am Anfang tatsächlich nur eine Geschichte gegeben und alle weiteren sind davon abgeleitet?“
„Genau das ist meine These, Manuel. Ich gehe sogar so weit, zu behaupten, dass die Schöpfungsgeschichte der Menschheit genau hier ihren Anfang nahm.“
„Dio mio!“ stöhnte Manuel, „Sie denken doch nicht ernsthaft, dass sich unsere Bibel, unsere Religion von der Geschichte der Inkas ableitet! Das ist völlig ausgeschlossen.“
„Ach Manuel. Ich kann dich ja verstehen. Aber als Wissenschaftler und Forscher betrachtet man diese Dinge völlig anders. Wir reihen Fakten an Fakten, auch wenn das Resultat nicht immer allen Menschen in den Kram passt. So ist das halt mit der Forschung.“
Abrupt brach er die Unterhaltung ab, um mit seiner Arbeit weiterzufahren.
„Hilf mir mal, Manuel. Wir versuchen, diese Platte vorsichtig anzuheben. Ich vermute darunter den Eingang zur Kammer mit den Schriften.“
Gemeinsam schaufelten sie alle Erde weg, die auf der Platte lag und stellten bald fest, dass sie viel zu gross war, um sich einfach so bewegen zu lassen.
„Wir brauchen einen Kran, um sie anzuheben. Wie schnell kannst du das organisieren?“ Professor Cardona war ungeduldig geworden. So nahe vor dem Ziel und nun diese Verzögerung.
„Ich rufe meinen Cousin an, der hat ein Baugeschäft und kann sicher innerhalb einer Stunde mit seinem Schaufelbagger hier sein.“ Schon hatte er zu seinem Telefon gegriffen und führte ein kurzes Gespräch.
„Er hat mir versprochen sofort loszufahren, Profesor.“ Manuel war selber gespannt auf das, was nach dem Entfernen der Steinplatte zum Vorschein kommen würde.
Als der Schaufelbagger mit Manuels Cousin am Steuer endlich auf den Platz fuhr, wies ihn der Professor ungeduldig an, die Steinplatte behutsam anzuheben, ohne sie zu zerstören. Der Cousin stieg aus, sah sich die Platte an und nickte. Zu Manuel gewandt meinte er, dass es kein grosses Problem sein sollte, sie unversehrt zu entfernen.
Er fuhr mit seinem Bagger nahe heran, um mit der Baggerschaufel vorsichtig weiteres Erdreich rund um die Platte zu entfernen. Dann senkte er seine Schaufel senkrecht an deren Rand und begann sie zu sich heranzuziehen. Und wirklich, die Platte gab nach und liess sich mühelos wegbewegen. Darunter kam eine dunkle Öffnung zum Vorschein, und als Professor Cardona mit einer Taschenlampe hineinzündete, entdeckte er schmale Stufen, die hinunter führten. Im Strahl der Taschenlampe konnte er erkennen, dass der Raum darunter etwa 6 Meter hoch sein musste. Ohne gross nachzudenken band er sich seine Stirnlampe um und begann, die Stufen hinabzusteigen. Unten angekommen blickte er sich um und stellte fest, dass der rechteckige Raum gut zehn Meter lang und 8 Meter breit war. In der Mitte befand sich ein riesiger, altarähnlicher Steintisch, auf dem zahlreiche aus Stein gehauene Figuren standen. Prüfend nahm er eine davon in die Hand und erkannte sogleich, dass sie aus einer jüngeren Inka-Zeit stammen musste und nicht viel älter als 600 bis 800 Jahre alt war. Im Moment interessierten ihn diese Figuren wenig. Es ging einzig darum, verschollene Schriften zu finden, die ihm bei seiner Forschung einen grossen Schritt weiterbringen würden. In diesem Raum vermutete er eine Art Archiv vorzufinden, in welchem noch viel ältere Schriften aufbewahrt wurden.
Manuel und sein Cousin Pepe waren ebenfalls in den Raum hinabgestiegen und standen staunend vor dem grossen Steintisch mit den vielen Steinfiguren. Sie hatten ebenfalls Taschenlampen mitgenommen und der Raum war so recht gut ausgeleuchtet.
„Das sind alles heilige Figuren, Profesor“, meinte Manuel ehrfürchtig und wagte es nicht, eine davon in die Hand zu nehmen.
„Das ist möglich, ja. Aber ich bin nicht wegen dieser Figuren hier. Mich interessieren vor allem die alten Schriften die hier irgendwo sein müssen.“
„Wir helfen Ihnen suchen, Profesor. Aber wir dürfen nicht vergessen, die Behörde über den Fund zu informieren. Die werden bestimmt Experten bestimmen, die diesen Raum untersuchen müssen.“
„Nachher, Manuel, nachher. Zuerst lass uns einmal feststellen, ob ich mit meiner Annahme richtig liege. Die CIAAAT wird noch genügend Zeit haben, sich hier unten auszutoben. Und ein paar Stunden mehr oder weniger spielen nach der langen Zeit, in welcher dieser Raum verschollen war, auch keine grosse Rolle.“
Die CIAAAT (Centro de Investigación Arqueológica, Antropólogica, y Administración de Tiwanaku) hatte ihm eine Forschungsbewilligung erteilt, unter der Voraussetzung, dass er eventuelle Funde unverzüglich meldete. Natürlich würde er das auch tun. Aber zuerst wollte er sich Gewissheit darüber verschaffen, ob er hier tatsächlich die verschollene Bibliothek gefunden hatte.
„Profesor, hierher!“ rief plötzlich Manuel aus dem Dunkeln und zündete mit der Taschenlampe in seine Richtung, „ich glaube, ich habe etwas gefunden.“
Schnell war Professor Cardona zu Manuel geeilt und betrachtete dessen Fund. Tatsächlich, es waren Steintafeln mit reihenweisen Schriftzeichen, die er kurz überflog. Sie verschlossen einen Tabernakel-ähnlichen Verschlag, der an der Wand stand. Seine Länge war gut drei Meter, etwa ein Meter seine Tiefe und nahezu zwei Meter Höhe. Jede der drei Steinplatten, die ihn verschlossen, war etwa einen Meter breit und ging über die ganze Höhe.
„Ist es das, wonach Sie suchen?“, wollte Manuel vom Professor wissen.
„Vielleicht, ja. Nein, ich hoffe es sogar. Lass uns versuchen, diesen Verschlag zu öffnen.“
Pepe, der auch herangetreten war, betrachtete prüfend die Steinplatten, die den Verschlag verschlossen, und meinte, er könne diese entfernen, ohne Schaden anzurichten. Aus seinem Bagger holte er sein Werkzeug und mit einem Meissel kratzte er die Fugen frei, Und wirklich, die Platte liess sich bewegen und mit vereinten Kräften wurde sie von Manuel und Pepe weggetragen. Die zwei weiteren Platten konnten sie ebenfalls mühelos entfernen und vorsichtig auf den Boden legen. Die darauf angebrachten Schriften würde der Professor später entziffern, er war vorerst auf den Inhalt des Verschlags konzentriert. Mit seiner Taschenlampe leuchtete er hinein und stellte mit Genugtuung fest, dass sich tatsächlich eine Fülle von weiteren Schrifttafeln, aber auch Pergamentrollen darin befanden. Er hatte sich Handschuhe übergezogen, und schon als er die erste Rolle in die Hand nahm und aufrollte, erkannte er, dass es sich um sehr alte Dokumente handeln musste. Er schätzte ihr Alter auf mindestens 600 Jahre, vielleicht noch älter. Er überflog den Text und lächelte freudig.
„Ja, Manuel, das ist genau so, wie ich es erwartet habe. Das sind Dokumente, die vor sehr langer Zeit geschrieben wurden und sozusagen Protokolle einer längst vergessenen Epoche darstellen.“
Er hatte mittlerweile einige Pergamentrollen durchgesehen und allesamt beschrieben sie das Leben, wie es sich hier vor über 600 Jahren abspielte. Ein unglaublicher Fund! Noch heute wurde die Quechua-Sprache gesprochen und sie war ihm natürlich geläufig.
„Was denken Sie, Profesor?“, fragte Manuel neugierig, „Sind das wirklich so alte Dokumente? Können Sie alles lesen, was darauf geschrieben ist?“
„Das meiste davon. Und ja, es handelt sich hier wohl um Aufzeichnungen, die vor gut 600 bis 800 Jahren gemacht wurden. Es ist tatsächlich ein wertvoller Fund für unsere Forschung.“
Der Professor hatte unterdessen sämtliche Rollen aus dem Verschlag genommen und sorgfältig auf einem Tuch, das er auf den Boden gelegt hatte, ausgebreitet. Es gab auch textile Rollen, die mit dem bekannten Topacu-Muster versehen waren. Bei diesen waren sich die Altertumsforscher noch nicht einig, ob es sich um eine Schrift oder einfach um eine Musteranordnung handelte. Er hatte seinen Fotoapparat zur Hand genommen und begann, die Pergamente sowie die Textilien zu fotografieren. Alles musste lückenlos erfasst werden, damit er seine Arbeit in Barcelona fortsetzen konnte. Die Behörden Boliviens würden natürlich ihre Besitzansprüche durchsetzen und die Rollen irgendwann einmal in einem Museum ausstellen. Das interessierte ihn nicht weiter, denn er hatte ja auf seinem Fotoapparat das, was er für seine eigene Forschung benötigte.
„Schauen Sie mal, Profesor“, meldete sich Manuel erneut, „da gibt es offenbar noch einen kleinen Verschlag. Wenn man daran klopft, tönt es ganz hohl.“
Schnell war der Professor hinzugetreten und liess sich von Manuel seine Entdeckung zeigen. Tatsächlich konnte man erkennen, dass an der Rückwand des Verschlags eine Art Geheimfach angebracht war, das ebenfalls mit einer Steinplatte verschlossen war.
„Das müssen wir auch öffnen, Manuel. Versuche diese Platte ebenfalls unversehrt zu entfernen. Dahinter müssen weitere Dokumente liegen.“
Pepe war erneut mit seinem Werkzeug auf die Knie gegangen und betastete die Abdeckung. Auch hier begann er alsbald die Fugen von einer mörtelartigen Substanz zu befreien und schon bald konnte man die Platte entfernen. Dahinter befand sich tatsächlich ein weiterer Hohlraum, der etwa einen Meter Durchmesser hatte. Als Pepe und Manuel beiseite traten, um den Professor heranzulassen, ging dieser auf die Knie und leuchtete mit seiner Taschenlampe hinein. Im Geheimfach stand eine etwa vierzig Zentimeter hohe menschliche Statue, die aus purem Gold war. Vermutlich stellte sie einen Inka-Herrscher dar. Daneben lagen zwei weitere Pergamentrollen, die ihm viel älter erschienen als die bisher gefundenen. Vorsichtig nahm er sie in die Hand und legte sie zu den anderen Rollen auf das Tuch neben sich. Schon als er das erste Pergament entrollte, gab er einen überraschten Pfiff von sich.
„Das ist unglaublich, Manuel!“ Man sah ihm an, dass er völlig durcheinander war, als er das Dokument betrachtete.
„Es ist eine Schrift, die mir bisher unbekannt war. Sie muss sehr viel älter als die Inkasprache Quechua sein! Das ist unfassbar! In den vielen Jahren meiner Forschung ist mir so etwas nie begegnet. Das ist eine fantastische Entdeckung!“
Die beiden Rollen bestanden aus sehr dünnem Tierleder, welches für ihren Zweck speziell gegerbt worden war. Was hatte man damals wohl für eine Technik angewandt? Die Rollen selber waren kleiner als die im grossen Verschlag gefundenen. Zusammengerollt waren sie nur gerade etwa dreissig Zentimeter lang und offen hatten sie eine Breite von kaum 20 Zentimetern. Er fotografierte auch diese Funde und gab dann Manuel den Auftrag, die zuständige Behörde über ihren Fund zu unterrichten. Schon bald würden Spezialisten der CIAAAT hier auftauchen und dann musste er ihnen das Feld überlassen.
Manuel verliess den Raum, um den Anruf zu tätigen. Hier unten hatte er mit seinem Handy keinen Empfang. Pepe folgte ihm, da seine Arbeit offensichtlich beendet war. Als er alleine vor seinem Fund stand, hatte er auf einmal das Gefühl, nicht alleine hier unten zu sein. Er leuchtete mit seiner Taschenlampe in alle Ecken, konnte aber niemanden entdecken. Als er den Schein seiner Taschenlampe nochmals über den Boden gleiten liess, fiel sie ihm vor Schreck fast aus der Hand, als er keine drei Meter von ihm entfernt die Klapperschlange entdeckte, die ihn mit ihren beklemmenden Augen anstarrte. Sie machte keinen Wank und er vermeinte plötzlich eine Stimme in seinem Kopf zu hören. Es waren nur drei Worte. Rette die Geschichte. Was hatte das zu bedeuten? Die Schlange blickte ihm nochmals direkt in seine Augen und dann verschwand sie durch ein Loch im Boden. Die drei Worte klangen noch immer in seinem Kopf. Ohne zu überlegen steckte der Professor die beiden Rollen in seine Tasche und liess die restlichen Dokumente sowie die Schrifttafeln so liegen, wie sie aus dem Verschlag herausgenommen worden waren. Er interessierte sich nur noch für die beiden kleinen Dokumente, die mit einer ihm völlig unbekannten Schrift beschrieben waren. Dann ergriff er seine Tasche und hängte sie sich um, bevor er den Raum ebenfalls verliess. Das Erlebnis mit der Schlange würde ihn noch lange beschäftigen.
Oben erwartete ihn Manuel, der berichtete, dass bereits Leute der CIAAAT unterwegs waren, um die Kontrolle über den Fundort zu übernehmen. Ihm war das egal. Er wollte schnellstens weg und nach Barcelona zurückkehren. Eine Aufregung hatte sich in ihm breit gemacht, weil ihm bewusst war, dass er kein Recht hatte, Fundgegenstände zu entfernen. Aber auch deshalb, weil er die Wichtigkeit seines unglaublichen Funds erkannt hatte. Die ganze Geschichte über die Prä-Inka-Kultur in den Anden würde damit umgeschrieben werden.
Es war Mittag geworden und der Professor machte Manuel den Vorschlag, in die Stadt zurückzufahren, um ein gutes Mittagessen zu geniessen. Er wollte damit Manuel für seine Hilfe danken und gleichzeitig davon ablenken, dass man das Fehlen der beiden Dokumente zu früh feststellen könnte. Sein Plan war, die Dokumente sorgfältig zu verpacken und sie per Post an seinen Kollegen in München zu senden. Barcelona war ihm zu riskant, denn man würde nach der Entdeckung des Fehlens der Rollen diese am ehesten dort vermuten.
Manuel hatte seinem Vorschlag freudig zugestimmt und sie fuhren zu Professor Cardonas Lieblingsrestaurant, nachdem die Beamten der CIAAAT auf den Platz gekommen waren.
„Würdest Du mich bitte zuerst ins Hotel fahren, Manuel? Ich möchte mich kurz frisch machen und den ganzen Staub von mir abwaschen.“ Er schaute dabei Manuel ganz unschuldig an. Dieser nickte zustimmend und fuhr seinen Auftraggeber zuerst zum Hotel.
„Gib mir eine halbe Stunde, Manuel und dann gehen wir ins Restaurant“, sagte er, als sie vor dem Hotel standen.
„Ist gut, Profesor“, antwortete dieser, „ich werde auf sie warten. Lassen Sie sich ruhig Zeit.“
Xavier Cardona eilte ins Hotel und fragte an der Rezeption nach einem grossen Briefumschlag für eine Postsendung nach Europa. Die Angestellte reichte ihm einen dicken, braunen Umschlag und bot ihm an, den Brief für ihn zur Post zu bringen. Diese sei ja gleich um die Ecke. Er bedankte sich freundlich und eilte weiter.
Im Zimmer zog er die beiden Pergamentrollen aus seiner Tasche, glättete sie und schob sie behutsam in den Umschlag. Dazu verfasste er eine kurze Mitteilung an seinen Kollegen Wagenknecht:
Lieber Erich,
Ganz kurz: Ich habe einen sensationellen Fund gemacht. Meine Entdeckung ist in diesem Umschlag und ich bitte Dich, ihn für mich aufzubewahren. Bitte sprich vorerst mit niemandem darüber. Ich erkläre Dir alles, wenn ich zurück in Europa bin. Nur so viel: Wenn es das ist, was ich vermute, steht die Menschheit vor einer Sensation.
Danke für Deine Freundschaft und bis bald.
Beste Grüsse
Xavier
Er verschloss den Umschlag, schrieb die Adresse von Erich Wagenknecht darauf und verliess anschliessend sein Zimmer. Er wusste, wo das Postamt stand, und er wollte das Hotel durch einen Nebenausgang verlassen, um nicht gesehen zu werden. Es sollte nichts darauf hindeuten, dass er der Dieb der Dokumente war.
Das Postamt lag nur gerade 200 Meter entfernt an einer Nebenstrasse. Als er es betrat, ging er auf einen freien Schalter zu. Er gab dem Postangestellten den Umschlag, den dieser frankierte und abstempelte, nachdem er für das Porto bezahlt hatte. Dann kehrte er zum Hotel zurück, das er wieder unbemerkt durch den Nebeneingang betrat. Die ganze Aktion hatte keine Viertelstunde gedauert und so nahm er sich die Zeit, zu duschen und frische Kleidung anzuziehen. Nichts würde auf seinen Coup hindeuten. Nach einer weiteren Viertelstunde verliess er sein Zimmer und begab sich zum Eingang. Wie er an der Rezeption vorbeiging, wollte die Hotelangestellte von ihm wissen, ob sie nun den Brief für ihn aufgeben solle. Er verneinte und teilte ihr mit, dass er noch nicht alles zusammen hätte und den Brief erst morgen losschicken würde. Dann trat er aus dem Hotel, wo Manuel wie abgemacht auf ihn wartete. Er stieg ins Auto und die beiden fuhren ins Restaurant Pachamama.
Xavier Cardona bestellte für sich und Manuel das Beste, was die Küche zu bieten hatte. Dazu wieder eine gute Flasche Rotwein und zum Schluss genehmigten sie sich zur Feier des Tages einen Gran Singani. Das cognac-ähnliche Getränk wird aus reinen Muskatellertrauben gekeltert, die auf mindestens 1600 Metern Höhe über Meer angepflanzt werden. Das Nationalgetränk unterliegt strengsten Herstellungsregeln und wird mittlerweile auch bei internationalen Wettbewerben als erstklassiges Produkt gewertet.
„Wie wollen Sie den Rest des Tages verbringen, Profesor?“, fragte Manuel gerade, als sein Telefon zu vibrieren begann. Er entschuldigte sich beim Professor und antwortete. Es war ein Vertreter der CIAAAT, der sich bei Manuel erkundigte, ob Professor Cardona noch einmal zur Fundstelle zurückzukommen gedenke. Man wollte mit ihm über seinen Fund sprechen und ihm auch danken für seinen grossen Einsatz, der am Ende einen weiteren, historischen Schatz ans Tageslicht befördert hatte. Der Professor versuchte abzuwinken, aber Manuel machte ihm klar, dass man seine Anwesenheit erwartete, wenn später die Presse am Fundort versammelt würde. Schliesslich war er der Entdecker der alten Schriften und sein Name würde an allererster Stelle der Berichterstattungen stehen. Mit einem schlechten Gewissen und einem mulmigen Gefühl gab er schliesslich nach und sie wurden gebeten, sich spätestens um 15:30 Uhr wieder beim Fundort einzufinden.
„Wenn es unbedingt sein muss“, seufzte Xavier Cardona, “dann ist es halt so. Lass uns noch einen Singani trinken und dann machen wir uns auf den Weg.“
„Trinken Sie ruhig, Profesor“, lachte Manuel, „aber ich habe genug. Schliesslich muss ich sie noch heil zu den Ruinen bringen. Einen starken Kaffee werde ich aber noch trinken.“
Als sie die Ruinen wieder erreicht hatten, bemerkten sie eine grosse Menschenansammlung und viele Autos, die auf dem Parkplatz abgestellt waren. Kaum waren sie in die Nähe des Fundorts gelangt, wurden sie von einem Mann, der sich als Direktor der CIAAAT vorstellte, in Empfang genommen.
„Mein Name ist Antonio Mamani und ich bin der Direktor des CIAAAT. Zuerst einmal herzliche Gratulation zu Ihrem Fund. Es sieht auf den ersten Blick wirklich danach aus, als müsste die Geschichtsschreibung für die Zeit vor 800 Jahren ergänzt werden. Unsere Experten sind bereits mit der Analyse der zahlreichen Schriften beschäftigt.“ Er hatte den Professor am Arm genommen und ihn zu einer Gruppe geführt, die er als die führenden Experten für die PräInka-Kultur vorstellte.
„Es ist eine Pressekonferenz vorgesehen, die in Kürze startet. Wir werden einen kurzen Überblick über die Funde geben und es wäre uns eine grosse Ehre, wenn Sie als Entdecker des Archives den Presseleuten Ihre Arbeit und Ihre Eindrücke erklären würden. Sie dürfen gerne auch etwas Werbung für das Buch machen, das Sie mit Sicherheit über diesen Fund schreiben werden.“ Diesen letzten Satz hatte er mit einem Augenzwinkern begleitet. Wenn du wüsstest, dachte sich Xavier Cardona und versuchte, sein schlechtes Gewissen zu unterdrücken. Schliesslich wollte er ja nur die Analyse an den Originalen selber vornehmen und sie dann mit dem Ergebnis seiner Untersuchungen an Bolivien zurückgeben. Er war unerschütterlich überzeugt davon, dass nur er in der Lage war, die Wichtigkeit der Dokumente zu erkennen.
Zuerst musste er aber viele Hände schütteln, Fragen beantworten und mehrmals erzählen, warum er sich so sicher war, wo die Bibliothek sich befände.
Fasziniert hörten ihm die meist sehr jungen Wissenschaftler zu und er freute sich über ihr reges Interesse an seiner Forschung. Das war nicht immer so gewesen. Nur zu oft war er belächelt worden und die Studenten schienen während seiner Vorlesungen gelangweilt. Nun würde alles ganz anders werden, freute er sich.
„Kommen Sie, Profesor“, rief Manuel ihm zu, „wir müssen zur Pressekonferenz, die in fünf Minuten beginnen wird.“ Er war herangetreten und hatte in die Richtung gewiesen, wo sie hinmussten.
Die nächste Stunde war überhaupt nicht nach seinem Geschmack. Am liebsten wäre er einfach davongelaufen. Aber er riss sich zusammen und gab bereitwillig Antwort auf all die Fragen, die von den zahlreichen Journalisten, die sich kurzfristig eingefunden hatten, gestellt wurden. Sie wollten von ihm wissen, ob die Dokumente wirklich so alt seien, was in ihnen stünde und ob die Schriften neue Erkenntnisse für die Menschen beinhalteten. Er versuchte, so gut wie möglich die Fragen zu beantworten, ohne sich zu sehr auf endgültige Thesen einzulassen. Tatsächlich musste er zuerst selber einmal Klarheit darüber haben, was die Dokumente genau bedeuteten. Somit kamen seine Antworten sehr zurückhaltend und einzig die Experten des CIAAAT hatten dafür Verständnis. Genau wie der Professor aus Barcelona wollten auch sie zuerst Gewissheit haben, was ihnen die Dokumente alles erzählten. Je mehr man jetzt preisgab, desto mehr würde man erklären müssen, wenn es am Ende doch nicht so war, wie sie alle vermuteten. Als niemand mehr Fragen stellte, erklärte Antonio Mamani die Pressekonferenz für beendet und bedankte sich für die grosse Teilnahme. Man würde zu gegebener Zeit, wenn die heutigen Erkenntnisse erhärtet waren, weiter informieren.
Die Journalisten wurden zu den Objekten geführt, die am Morgen von Professor Cardona entdeckt worden waren, damit sie diese fotografieren konnten. Der Professor stand etwas abseits und beantwortete die Fragen von Studenten, als ihn Manuel plötzlich ganz aufgeregt rief und ihn zu sich heranwinkte.
„Was gibt’s denn, Manuel?“, fragte er ihn, als er zu ihm trat.
„Schauen Sie doch, Profesor!“ antwortete er aufgeregt und zeigte auf die ausgestellten Objekte. „Die beiden kleinen Rollen aus dem Geheimfach fehlen!“
„Bist du sicher, Manuel?“, tat der Professor ganz erstaunt und schaute sich wohl oder übel die ausgestellten Objekte an. „Tatsächlich, sie sind nicht mit dabei. Vielleicht haben die Archäologen die beiden Rollen bereits ins Institut gebracht, um sie dort einer Prüfung zu unterziehen?“
„So wird es wohl sein, Profesor“, erwiderte Manuel sichtlich erleichtert, „eine andere Möglichkeit besteht ja wohl nicht. Soll ich den Direktor fragen gehen?“
„Das wird nicht nötig sein, denke ich. Es wird sich bestimmt so verhalten, wie ich es vermute.“ Er wandte sich ab und ging zur Studentengruppe zurück. Jetzt durfte er wirklich keinen Fehler machen.
Die Studenten hatten ihn bereits wieder in Beschlag genommen und bestürmten ihn mit Fragen zu den Dokumenten. Sie wollten von ihm auch wissen, was für Schlüsse er aus dieser Entdeckung zog und ob diese tatsächlich die bisher bekannte Geschichte über die Prä-Inka-Kultur verändern würde. Er überlegte und meinte, dass es noch viel zu früh sei, um konkrete Aussagen dazu zu machen. Noch eine ganze Weile stellte er sich den Fragen seiner interessierten Zuhörer, und erst als Manuel wieder neben ihm auftauchte, bedankte er sich für ihr Interesse und versprach, seine weiteren Nachforschungen schon bald zur Verfügung zu stellen.
„Kommen Sie, Profesor,“ drängte Manuel,“ der Direktor möchte sich von Ihnen verabschieden und vorher noch über die weiteren Forschungsschritte mit Ihnen reden“.
Auch das noch. Wenn das nur alles gut ging und man das Fehlen der Dokumente nicht zu früh feststellte. Schon morgen wollte er sich um seine Rückreise nach Barcelona kümmern und mit etwas Glück konnte er bereits am Abend einen Flug nach Madrid bekommen.
„Da sind Sie ja, Herr Professor“, begrüsste ihn Antonio Mamani und nahm ihn herzlich beim Arm. „Kommen Sie, kommen Sie, es gibt noch einige Leute, die Sie gerne kennenlernen würden.“
Er führte ihn zu einer Gruppe von acht Personen, die alle vom Institut waren und dort wichtige Funktionen bekleideten. Er kam nicht umhin, auch ihnen zahlreiche Fragen zu seiner Forschung und zu den gefundenen Objekten zu beantworten. Eine Frau mittleren Alters hatte ihn besonders in Beschlag genommen und löcherte ihn mit Fragen zu seinen Eindrücken. Ob er denn schon wisse, was die Schriften beinhalteten. Der Direktor unterbrach kurz die Gespräche und nahm den Professor beiseite.
„Seien Sie bloss vorsichtig, was Sie dieser Frau erzählen, Professor“, warnte er ihn, „sie ist der Legende nach eine Nachfahre der Inka-Herrscher und hütet deren Andenken mit aufopfernder Hingabe. Vor allem sollten Sie sich hüten, negative Äusserungen zu machen oder zu sehr in Details zu gehen. In ihren Kreisen sieht man es gar nicht gerne, wenn wir Forscher in ihrer Vergangenheit herumstochern. Diese ist für die Inkas absolut heilig und lässt keine Spekulationen zu.“
„Danke für die Warnung, Direktor, “ antwortete der Professor überrascht, „ich habe nicht vor, in Details zu gehen und ich will vor allem nicht näher über meine jetzige Forschung sprechen. Das wäre noch verfrüht.“
„Dann ist ja gut. Kommen Sie, ich begleite Sie zurück.“
Dort sagte er lächelnd zur Inka-Frau:
„Anuk, hier bringe ich dir den Professor zurück. Ich hoffe, dass du Verständnis für ihn hast, wenn er noch nicht alle deine Fragen beantworten kann.“
„Schon gut, Antonio. Vermutlich weiss ich ja sowieso mehr als er“, neckte sie die beiden Männer und lachte dabei herzlich, „aber es ist doch sehr interessant, mit einem Mann zu reden, der weiss, wovon er spricht und der unsere Kultur so gut kennt.“
„Ja, das ist wirklich so“, mischte sich Manuel in die Diskussion mit ein, „er hat mir erklärt, dass die gefundenen Schriften 800 Jahre alt sind und ein Beweis dafür, dass die Inka-Kultur damals schon die Quechua-Sprache kannte.“
„Ist das so?“, wollte Anuk wissen. Sie hatte Manuel aufmerksam zugehört und dabei einen angespannten Gesichtsausdruck an den Tag gelegt.
„Ja, das ist so“, ereiferte sich Manuel, ohne mitzubekommen, dass es Xavier Cardona nicht mehr wohl in seiner Haut war. „Und die beiden Pergamentrollen, die er im Geheimfach gefunden hat, sollen noch viel älter sein und in einer Schrift, die bisher völlig unbekannt war!“ sprudelte es aus ihm heraus.
Anuk schaute mit todernstem Gesicht zum Professor und fragte mit fast zusammengekniffenen Augen:
„Was für Pergamente, Herr Professor? Ich habe solche nicht bei den vorgestellten Objekten gesehen. Sind diese noch bei Ihnen? Und wie sind sie zu beurteilen?“
Manuel, der richtig in Fahrt gekommen war, antwortete, bevor der Professor reagieren konnte:
„Sie werden bereits im Institut sein, wo sie einer Prüfung unterzogen werden. Schon bald wird man vermutlich wissen, wie alt sie tatsächlich sind und in welcher Schrift sie verfasst wurden. Der Professor wird sie zweifellos entziffern können.“
„Würden Sie mir das bitte auch erklären, Professor?“, schaltete sich der Direktor nun ein, „von diesen Dokumenten weiss ich ja gar nichts, und ich kann dir versichern, Anuk, dass noch gar keine Funde ins Institut gebracht worden sind.“ Er hatte sich zu Xavier Cardona gewandt und blickte ihn fragend an.
„Tatsächlich haben wir in einem Geheimfach zwei Rollen gefunden, die ich auf eine Zeit lange vor den 800-jährigen Dokumenten taxiere. Sie lagen zusammen mit den übrigen Dokumenten auf dem Tuch im entdeckten Archiv. Manuel hatte mich vorhin schon darauf aufmerksam gemacht, dass sie nicht bei den anderen Rollen lägen. Meine Vermutung war, dass sie eventuell bereits in Ihrem Institut für weitere Untersuchungen seien.“
„Ich kann Ihnen versichern, Professor, dass wir bisher noch gar nichts von hier entfernt haben. Sind Sie wirklich sicher, dass die beiden Rollen nicht da waren?“
„Sicher bin ich natürlich nicht, aber sie waren bestimmt nicht bei den übrigen Rollen. Sie wären sofort aufgefallen, da sie wesentlich kleiner sind.“ Er gab sich Mühe, in einem lockeren Tonfall zu sprechen. Allerdings fiel ihm auf, dass Anuk ihn mit ihren unglaublichen Augen unverwandt anstarrte. Ihm kam es vor, als könnte sie in seinen Gedanken lesen.
„Dann werden wir jetzt alles nochmals gründlich absuchen. Die Rollen müssen bestimmt noch irgendwo sein.“ Der Direktor hatte sich bereits an seinen Assistenten gewandt und ihm Anweisungen gegeben. Dieser rief drei Männer zu sich, teilte ihnen kurz mit, worum es ging, und beauftragte sie, nach den Pergamentrollen zu suchen.
„Erzählen Sie mir von diesen Rollen, Herr Professor.“ Anuk war nahe an ihn herangetreten und schaute ihn herausfordernd an. Ihre Augen waren tiefschwarz und erinnerten ihn ein wenig an die Augen der Klapperschlange, die schon zweimal plötzlich hinter ihm aufgetaucht war.
„Viel kann ich dazu nicht erzählen. Sie lagen in einem separaten Fach. Dem ersten Augenschein nach müssen sie wesentlich älter sein als die übrigen Schriftrollen und sie sind in einer Schrift abgefasst, der ich in meiner bisherigen Forschungstätigkeit nie begegnet bin.“
„Auf den Steinplatten, die das Archiv verschlossen, sind Schriftzeichen angebracht. Haben Sie diese gelesen?“
„Ja, ganz kurz überflogen. Da waren auch Namen von früheren Inka-Herrschern drauf. Warum fragen Sie?“ Er war neugierig geworden und wunderte sich über diese Frau, die ihm ganz andere Fragen stellte, als die der Journalisten und auch der Studenten.
„Weil der Name Pachacútec Yupanqui auf der Tafel steht. Er war der Gründer des grossen Inkareichs Tawantinsuyu. Und er war einer meiner Vorfahren. Mein Familienname ist Yupanqui.“ Immer noch schaute sie ihn unverwandt an und ein zufriedenes Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie seine Überraschung bemerkte.
„Sie sind eine Yupanqui?“ Er blickte sie fast ehrfurchtsvoll an: „Ich dachte, dass dieses Geschlecht ausgestorben sei. Bitte verzeihen Sie mir meine Unwissenheit.“
„Wir sind nicht ausgestorben, wie Sie sehen können. Aber tatsächlich bin ich noch die einzige meiner Generation. Nach meinem Tod wird die Yupanqui-Dynastie endgültig Geschichte sein. Aber bis es soweit ist, bin ich die Hüterin der Familiengeschichte und Ihre heutige Entdeckung bereitet mir grosse Sorgen.“
„Ich verstehe nicht recht. Was genau bereitet Ihnen Sorgen? Eigentlich sollten Sie doch Freude daran haben, dass wir das verschollene Archiv finden konnten.“
Anuk schaute ihn lange an und drang mit ihrem Blick tief in seine Augen. Als wollte sie das Gespräch abbrechen, drehte sie sich um, um wegzugehen. Sie drehte sich kurz noch einmal um: „Verschollen? Wie kommen Sie denn darauf?“ Dann war sie weg.
Xavier Cardona stand wie ein begossener Pudel da und blickte ihr nach. Ihre letzten Worte hatten sich in sein Gehirn gebrannt und er fragte sich, was sie damit wohl gemeint hatte. Dass sie über dieses Archiv immer Bescheid gewusst hatte? Wie musste er sich die Frau als Hüterin des Archivs vorstellen? Was wusste sie über all die Schriften und, vor allem, über die beiden alten Schriftrollen? Und wie kam die Klapperschlange ins Spiel? Warum sollte er die Geschichte retten? Manuel riss ihn aus seinen Gedanken:
„Die Rollen bleiben verschwunden, Profesor. Sie können nirgendwo gefunden werden. Wer könnte sie denn entwendet haben? Es waren immer Leute auf der Fundstelle. Das wäre doch jemandem aufgefallen, oder nicht?“
„Ich weiss es nicht, Manuel. Vielleicht hat ja diese Frau etwas damit zu tun. Sie behauptet, die Hüterin der Familiengeschichte zu sein und sie machte mir den Eindruck, dass ihr das Archiv schon immer bekannt war.“
„Die spinnt doch, Profesor. Sie behauptet, eine Nachfahrin alter Inka-Herrscher zu sein, obwohl das sehr unwahrscheinlich ist. Diese Dynastien sind schon seit Jahrhunderten ausgestorben.“
Xavier Cardona schaute Manuel an und schüttelte langsam den Kopf:
„Nein, Manuel. Ich denke, die Frau ist keine Spinnerin. War sie vorher unten im Archiv?“
„Unmöglich, nein. Da ist alles abgesperrt. Die lassen niemanden hinunter.“
„Dann muss ich unbedingt nochmals dahin. Komm.“ Er war schon unterwegs zum Eingang des Archivs und Manuel stapfte hinter ihm her. Dort angekommen erklärte Manuel den beiden Sicherheitsleuten, die den Eingang bewachten, wer er war und dass er sich nochmals im Archiv umsehen wolle. Problemlos liessen die Sicherheitsleute Professor Cardona in das Archiv hinabsteigen. Unten angekommen streifte er sich wieder seine Stirnlampe über und in ihrem Schein ging er zu den Steinplatten hinüber. Sie hatten das Archiv verschlossen und er hatte die Schriften darauf nur kurz überflogen. Jetzt wollte er sie gründlich untersuchen, weil er einen unglaublichen Verdacht hegte.
Aufmerksam studierte er die Schrift auf den drei grossen Steinplatten und schüttelte dann ungläubig den Kopf. Zu Manuel gewandt, der neben ihm stand und ihn fragend anblickte, sagte er:
„Die Tafeln sind eindeutig aus der Zeit von Pachacútec Yupanqui, der im Jahre 1438 viele Gebiete eroberte und das Grossreich Tawantinsuyu errichtete.“
„Und was bedeutet das genau?“, fragte Manuel neugierig.
„Das bedeutet, dass Anuk bereits wusste, was wir hier vorfinden würden und sie sagte mir auf den Kopf zu, was auf diesen Steinplatten geschrieben steht. Sie erweckte den Eindruck, als hätte sie schon immer davon gewusst. Und vergiss nicht, dass sie sich als Hüterin der Familiengeschichte bezeichnet.“
„Aber wie sollte sie das denn wissen? Der Fundort war doch unter der Erde begraben und es gibt keine weiteren Zugänge. Wir haben doch alles abgesucht.“
„Ich hab keinen blassen Schimmer, Manuel. Aber irgendetwas ist hier unheimlich. Lass uns von hier verschwinden.“ Er war bereits wieder bei der Treppe und stieg aus dem Archiv an die Oberfläche. Dort erwartete ihn der Direktor.
„Nichts, Herr Professor, wir haben gar nichts gefunden. Sind Sie sich sicher, dass Sie diese beiden Rollen zu den übrigen gelegt haben?“
„Ja, selbstverständlich. Schauen Sie“, er nahm seinen Fotoapparat aus der Schultertasche und suchte darauf nach den von ihm gemachten Fotos der beiden Rollen, „hier, sie liegen auf dem Tuch und können gar nicht übersehen werden.“ Man erkannte auf dem Foto ganz klar die beiden kleineren Rollen.
„Ich habe selbstverständlich Fotos von der Schrift auf diesen Rollen und werde Ihnen entsprechende Abzüge zur Verfügung stellen“, offerierte der Professor in der Hoffnung, den Direktor etwas zu besänftigen.
„Ja, bitte machen Sie das. Aber es ist trotzdem nicht akzeptabel, dass diese beiden Rollen einfach so verschwunden sind. Wir werden nicht aufhören zu suchen, bis wir sie gefunden haben. Sollten sie gestohlen worden sein, so werden wir den Dieb zur Rechenschaft ziehen.“
Xavier Cardona nickte nur mit dem Kopf und begann, sich von den Anwesenden zu verabschieden. Es war bereits dunkel geworden und er wollte unbedingt alleine sein. Er rief Manuel zu sich und bat darum, ihn zum Hotel zu fahren. Essen mochte er nicht mehr, sie hatten ja eine üppige Mittagsmahlzeit zu sich genommen.
Manuel verhielt sich auf der kurzen Fahrt merkwürdig ruhig und auch der Professor war nicht in Stimmung, ein Gespräch zu führen. Beim Hotel angekommen, stieg er aus und sagte zu Manuel, er würde ihn am nächsten Tag anrufen, sobald er wisse, wie sein Programm aussehe. Dann wünschte er ihm eine gute Nacht und verschwand durch den Hoteleingang. Seine Gedanken rasten und sein schlechtes Gewissen tat das übrige, um sich elend zu fühlen. Was war in ihn gefahren, diese Rollen einfach an sich zu nehmen und nach München zu senden? Die drei Worte, die er andauernd in seinem Kopf hörte, wollten nicht aus seinem Bewusstsein verschwinden.
In seinem Zimmer legte er sich aufs Bett und blickte zur kahlen Decke. Rette die Geschichte. Was für eine Geschichte? Die Geschichte der Inkas? Die war doch hinlänglich bekannt und da gab es nichts zu retten. Was gab es also noch für eine Geschichte? War das Ganze überhaupt real oder unterlag er einer Halluzination? Und warum kannte Anuk den Inhalt des verschollenen Archivs? Vor allem die Schriften auf den grossen Steintafeln? Die Flut der Fragen, die in seinem Kopf entstand und ihn nicht losliess, verursachte ihm Kopfschmerzen, wie er sie in seinem bisherigen Leben nie gekannt hatte. Er beschloss, aufzustehen und noch etwas trinken zu gehen. Das würde seine Nerven beruhigen und ihm hoffentlich einige Stunden Schlaf bescheren.
Im Hotel gab es einen Speisesaal sowie eine kleine Bar. Er setzte sich an einen freien Tisch und bestellte ein Paceña. Das Bier schmeckte würzig und war seit Jahren sein Lieblingsgetränk, wenn er in Bolivien war.
Ein „buenos tardes, Herr Professor“, riss ihn aus seinen Gedanken. Überrascht blickte er in die Richtung, aus der die Stimme kam, und erkannte den Mann sofort. Es war Antonio Mamani, der Direktor des CIAAAT, der mit zwei anderen Männern an einem Tisch sass. Er hatte sie beim Eintreten gar nicht bemerkt.
„Buenos tardes, Direktor“, antwortete er höflich, nachdem er sich wieder gefasst hatte. „Sind Sie zufällig hier oder wollten Sie zu mir?“
„Ein bisschen beides, Herr Professor. Ich möchte mich gerne über die beiden verschwundenen Schriftrollen mit Ihnen unterhalten.“ Dabei wies er mit seiner Hand auf den freien Stuhl neben sich und der Professor stand nach kurzem Zögern auf und folgte mit dem Bier in der Hand seiner Einladung.
„Was möchten Sie denn noch wissen?“, fragte der Professor, als er sich gesetzt hatte.
„Finden Sie es nicht merkwürdig, dass ausgerechnet diese beiden Schriftrollen verschwunden sind?“
„Ich finde es merkwürdig, dass überhaupt etwas verschwunden ist. Wer sollte daran ein Interesse haben?“, antwortete er mit grösstmöglicher Unschuldsmiene.
Der Direktor sah ihn mit prüfendem Blick an und sagte einen Moment gar nichts. Dann nahm er das Gespräch wieder auf:
„Sie haben sich lange genug mit unserer Kultur befasst, Professor, also wissen Sie genau, wovon ich spreche. Es gibt Leute, die es nicht gerne sehen, wenn die bisher nahezu unbekannte Geschichte der Andenvölker aus den letzten zwei Jahrtausenden plötzlich an die Öffentlichkeit kommt. Sie haben heute den Beweis dafür selber erlebt.“
„Sie meinen Anuk? Die Frau, die von sich behauptet, eine Nachfahre der Yubanquis zu sein? Kann man sie denn überhaupt ernst nehmen?“ Xavier Cardona hatte die Frage zwar gestellt, kannte die Antwort aber schon. Er war sicher, dass sie viel mehr wusste, als irgendwer auf dieser Erde, ihn eingeschlossen.
„Sie gefallen mir, Professor“, meinte Antonio Mamani sarkastisch, „es ist wohl nicht Ihre Art, Tatsachen als solche hinzunehmen. Aber seien Sie versichert, ich weiss genau, wie Sie über diese Frau denken. Vergessen Sie bitte nicht, dass auch ich einem alten Inka-Geschlecht entstamme. Wir haben Sensoren in unseren Genen, die uns fühlen lassen, was in anderen Menschen vorgeht. Und Sie durchleben im Moment einen gewaltigen Gefühlssturm. Habe ich nicht recht?“
„Und was wollen Sie jetzt von mir, Direktor?“ fragte er, nicht bereit, auf seine Andeutungen einzugehen.
„Ich will von Ihnen wissen, wo die Schriftrollen sind, Professor. Nach meinem Erkenntnisstand sind Sie die einzige Person, die sowohl Zugang zu ihnen hatte, als auch die Möglichkeit, sie unbemerkt vom Fundort wegzubringen. Also: wo sind die Schriftrollen?“
Man konnte Xavier Cardona ansehen, dass es ihm äusserst unwohl war in seiner Haut. Trotzdem sammelte er sich und antwortete mit fester Stimme:
„Wie können Sie mich des Diebstahls beschuldigen! Ganz sicher habe ich diese Schriftrollen nicht bei mir. Sie dürfen sich gerne in meinem Zimmer umsehen, wenn Sie mir nicht glauben.“ Seine gespielte Entrüstung kam beim Direktor an, denn er hob abwehrend beide Hände und meinte:
„Beruhigen Sie sich, Herr Professor. Ich stehe unter immensem Druck und wollte einfach sicher sein, dass Sie für den Diebstahl nicht in Frage kommen. Warum sollten Sie auch. Schliesslich sind Sie der Entdecker der Schriftrollen. Und“, jetzt ging ein verlegenes Lächeln über sein Gesicht, „wir haben uns in Ihrem Zimmer bereits umgesehen und haben natürlich nichts gefunden. Aber wir mussten einfach sicher gehen, um das Naheliegende auszuschliessen.“
Das laute Lachen Xavier Cardonas entstand aus der grossen Erleichterung, die ihn durchfuhr. Für den Direktor war es ein Auslachen für seine Überreaktion und er konnte den Gefühlsausbruch des Professors gut verstehen. Er hätte wohl auch so reagiert.
„Ich möchte mich in aller Form bei Ihnen entschuldigen, Herr Professor. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich im Rahmen meiner Untersuchung keine andere Wahl hatte.“
„Schon gut, Direktor, ich nehme es Ihnen nicht übel. Jetzt bin ich froh, dass Sie mich von Ihrer Liste der Verdächtigen gestrichen haben.“ Er hob sein Glas und prostete dem Direktor zu.
„Ich habe nicht gesagt, dass ich Sie von der Liste gestrichen habe. Was ich sagte war, dass wir bei Ihnen nichts gefunden haben. Das heisst aber nicht, dass Sie nicht doch etwas mit dem Verschwinden der Rollen zu tun haben könnten.“
„Und was sollte ich Ihrer Meinung nach mit den Rollen gemacht haben? Ich war ja immer in Begleitung von Manuel.“
„Das ist natürlich richtig. Auch Manuel haben wir dazu befragt und er hat uns versichert, dass Sie nichts mit dem Verschwinden der Rollen zu tun haben können. Aber vielleicht haben Sie ja Verbündete gehabt?“
„Verbündete? Wer soll denn das sein? Ich kenne hier ja niemanden ausser Manuel.“
„Zum Beispiel Anuk? Ihre selbstauferlegte Aufgabe ist es, mit aller Kraft zu verhindern, dass die von den Inkas bewahrten Geheimnisse über die Entstehung der Natur bekannt werden.“
Verblüfft schaute Professor Cardona sein Gegenüber an.
„Sie glauben, dass es tatsächlich solche Geheimnisse gibt? Mir ist bekannt, dass die Legende sagt, die menschliche Zivilisation sei hier, nach der grossen Sintflut am Titicacasee, entstanden. Aber das ist eine Geschichte, die bekannt ist. Was daran soll denn noch geheim sein?“
„Das kann ich Ihnen auch nicht sagen. Aber Anuk sieht das sicher anders. Sie behauptete einmal, ihre Familie sei die Hüterin der Entstehungsgeschichte der Menschheit. Und diese habe hier in den Anden begonnen.“
„Ernsthaft, jetzt? Und Sie glauben so etwas?“
„Wie gesagt, auch ich entstamme aus einer alten Familie und auch meine Vorfahren haben vieles überliefert, das zumindest einige Fragen aufwirft.“
„Kommen wir zurück auf die Schriftrollen, Direktor. Auch wenn sie im Moment verschwunden sind, so habe ich doch Fotos davon gemacht und ich kann somit daran arbeiten, die Schriftzeichen zu entschlüsseln. Dann werden wir ja sehen, was es mit diesen Geheimnissen tatsächlich auf sich hat.“
Der Direktor sah ihn nachdenklich an. Dann lächelte er und streckte ihm seine Hand entgegen:
„Ich werde einfach nicht schlau aus Ihnen, Professor. Sie wissen viel mehr, als Sie bereit sind zuzugeben. Ihre Forschung ist selbstverständlich sehr wichtig und ich bin hinsichtlich Ihrer Ergebnisse äusserst erwartungsvoll. Aber die Rollen selbst hätten uns schon einmal ihr Alter verraten. Sie sind ja der Meinung, dass sie viel älter sind als die anderen. Haben Sie denn schon eine Idee wieviel älter?“
„Das ist sehr schwierig zu sagen. Aber ich vermute, dass sie weit über 1000 Jahre alt sind, eventuell noch älter.“
„Faszinierend! Das müssen dann die ältesten erhaltenen Schriftrollen sein, die jemals in unserer Gegend gefunden wurden. Umso mehr ist es von grösster Bedeutung, sie raschmöglichst und unversehrt wieder zu bekommen.“ Er hatte dabei den Professor ernst angeschaut. Wie war das zu verstehen, fragte sich Xavier Cardona, will er mir damit sagen, ich solle die Schriftrollen nach der Untersuchung sofort zurückgeben? Weiss er tatsächlich, dass ich diese habe?
„Ich bin fest überzeugt, dass die Schriftrollen bald wieder auftauchen, Direktor. Sie sind vermutlich einfach verlegt worden, als die Fundstücke aus dem Archiv geborgen wurden.“
„Ich hoffe, Sie haben recht Herr Professor. Alles wird sich aufklären. Es war ein langer Tag heute und ich werde mich nun verabschieden. Nur noch eins: Seien Sie vorsichtig im Umgang mit Anuk. Sie dürfen die Frau nicht unterschätzen.“ Er war aufgestanden, und auch seine Begleiter hatten sich erhoben. Sie hatten bisher kein Wort gesprochen und machten auch jetzt keine Anstalten, etwas zu sagen. Sie nickten ihm nur kurz zu und verliessen dann mit dem Direktor das Hotel.
Xavier Cardona sass noch eine Weile am Tisch und liess das Gespräch auf sich einwirken. Ihm war klar, dass er den beiden Inka-Nachfahren nichts vormachen konnte. Anuk hatte gewusst, was er im Archiv vorfinden würde und Antonio Mamani hatte ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass er ihn für den Dieb der Schriftrollen hielt.
Als er kurze Zeit später ins Bett sank, kreisten seine Gedanken um Anuk und um die Klapperschlange. Mit der Überzeugung, dass beide etwas miteinander zu tun haben mussten, schlief er ein.
***