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Veröffentlichungsjahr: 2020
Inhaltsverzeichnis
Tod am Feldrand
Tod am Feldrand
Impressum
3. überarbeitete Auflage 2025.
© 2017 Alex Sassland – alle Rechte vorbehalten.
Obernhainer Weg 30
61273 Wehrheim
Druck:
Veröffentlicht über tolino media
ISBN 9783739487250
Alex.Sassland(at)gmail.com
www.alex-sassland.de
Dies ist ein fiktives Werk. Namen, Charaktere und Ereignisse entspringen der Fantasie der Autorin. Ähnlichkeiten
mit lebenden oder verstorbenen Personen sind nicht beabsichtigt und zufällig. Einige Orte, Straßen, Plätze sowie
Geschäfte gibt es zwar, aber sie dienen als Inspiration und
werden fiktiv verwendet.
Buchbeschreibung
Jules Klausner hat vor einigen Monaten den Handarbeitsladen ihrer Großtante übernommen. Sie findet das Leben grandios, der Laden läuft gut, das Wetter ist schön, sie hat eine neue Freundin gefunden.
Dann findet sie eine Leiche unter der Brombeerhecke, die vom Feldrand in den Garten wuchert. Viel ist nicht zu sehen, aber die Hose und die Schuhe gehören ihrer neuen Freundin Marija.
Kommissarin Sara Winter hat schnell einige Verdächtige, die alle kein Alibi haben. Mit den Motiven sieht es allerdings nicht so gut aus. Zeugen gibt es auch nicht. Oder doch?
Ist es wirklich Jules Freundin, die da unter den Brombeerranken liegt? Kann Jules ihre Neugier im Zaum halten, die sie letztes Jahr schon einmal in Verdacht gebracht hatte?
Welche Rolle spielt Professor Silbenstein? Und wer ist der Amerikaner, der im Café viele Fragen stellt?
Über die Autorin
Alex Sassland lebt und arbeitet im Hochtaunus,
einer der schönsten Mittelgebirgslandschaften
Deutschlands, nördlich von Frankfurt am Main.
Reizvolle Natur und idyllische Ortschaften,
Radio- und Zeitungsmeldungen sowie Begeg-
nungen setzen den Rahmen für ihre Regional-
Cosy-Krimis.
Tod am Feldrand
Hochtaunus-Krimi (3)
Alex Sassland
Geerdet
Mittwoch Vormittag.
Leana Yaeger sah sich nicht mehr um, nachdem sie das Haus verlassen hatte, das sie bisher mit ihrem Mann geteilt hatte. Sie hatte ein paar Klamotten in ihren mittleren Koffer geworfen, hatte zusammengerafft, was sie an Schmuck und Bargeld im Haus finden konnte, Smartphone und ihren Laptop in ihre große Handtasche gepackt, und ein Taxi bestellt. Jetzt stand sie am Ende der langen Auffahrt und wartete. Da kam das Taxi ja endlich. Der Fahrer stieg aus, um ihren Koffer einzuladen. Sie setzte sich hinten hinein.
"Bitte zum Flughafen, Terminal A, United", gab sie das Fahrtziel an. Das Ticket nach Frankfurt hatte sie noch schnell online gebucht. Business Class, natürlich, es war ein langer Flug von Tulsa, Oklahoma, nach Deutschland. Umsteigen musste sie auch noch, in Houston. Nach einem zum Glück kurzen Aufenthalt dann der Nachtflug nach Frankfurt, fast zehn Stunden. Viel Zeit, um nachzudenken.
Burt Yaeger. Ihr Ehemann seit neunzehn Jahren, seit sie sich im College kennengelernt hatten, eigentlich noch bevor sie mit dem Studium begonnen hatte. Das war ein Austauschprogramm gewesen, in dem junge Leute, die noch nicht so recht wussten, was sie genau machen wollten, in verschiedene Kurse hineinschnuppern konnten. Damals waren sie Hals über Kopf verliebt gewesen. Gegen den Rat aller Freunde und den ausgesprochenen Widerstand seiner Eltern hatten sie schon nach drei Monaten geheiratet. Er hatte Jura studiert, sie hatte sich dann im Wirtschaftszweig eingeschrieben, mit Schwerpunkt Marktforschung. Die ersten Jahre waren wunderbar gewesen, sorglos. Seine Eltern hatten Geld, und nachdem sie sich mit ihr abgefunden hatten, unterstützen sie das Paar nach Kräften, mit Geld, einem Haus und Beziehungen.
Nach dem Studium begann er in einer großen Kanzlei, in der er bald die Karriereleiter hinaufstieg. Sie hatte nach ihrem Abschluss in einem Marktforschungsinstitut als Projektleiterin und Account Managerin gearbeitet.
Die letzten Jahre waren allerdings anstrengend gewesen. Vor allem, weil Burt sich immer wieder Affären mit seinen Sekretärinnen, Paralegals und weiblichen Frischlingen in der Kanzlei leistete. Und es gab immer eine "besorgte" Frau eines Kollegen, die ihr das brühwarm erzählte. Und sie dann musste so tun, als machte ihr das nichts aus. Die letzte, vor zwei Wochen war ... ach, egal.
Seitdem hatte Burt, wie auch heute, die meisten Abende nicht zuhause verbracht. Wegen Arbeitsüberlastung und neuen Mandanten, die ausdrücklich nur mit ihm arbeiten wollten, angeblich. Aber jetzt reichte es.
***
Sie brauchte eine Auszeit. Ihren Job hatte sie vor zwei Wochen verloren, weil das Institut nach Oklahoma City umzog. Etwas Neues hatte sie noch nicht, hatte sich aber auch nicht darum gekümmert. Das konnte warten, eine Weile jedenfalls. Zeit, sich selbst zu erden, sich selbst wiederzufinden, hatte sie auch viel zu lange nicht gehabt. Oder besser, sie hatte sich die Zeit nicht genommen.
Sie würde Marija besuchen, davon hatten sie immer mal wieder gesprochen, aber immer waren Dinge dazwischen gekommen, die wichtiger erschienen. Die würde Augen machen, denn sie hatte sich nicht angekündigt. Sie wohnte jetzt in einem Ort namens Wehrheim, irgendwo nördlich von Frankfurt am Main. Hörte sich nach einem ziemlich kleinen Ort an. Egal. Sie war ihre Zwillingsschwester und sie hatten sich lange nicht gesehen.
Sollte Burt sehen, wie er ohne sie zurechtkam.
Leana stieg am Flughafen aus dem Taxi und ging zum Check-in-Bereich im Terminal A, wo die United Airlines Flüge abgefertigt wurden. Zum Glück war die Schlange am Schalter nur kurz. Ihren Koffer checkte sie gleich durch nach Frankfurt. Auch die Sicherheitskontrolle dauerte nicht allzu lange, und dann war es auch schon Zeit zum Einsteigen. Nach Houston war es eine Embraer, der Unterschied der Business Class- zu den Economy-Plätzen wirkte eher minimal. Sie hatte das Glück, dass der Platz neben ihr frei blieb. Das kam ihr gerade Recht, sie hatte keine Lust auf sinnlosen Small Talk mit einem völlig Fremden. Der Flug war relativ kurz, nur eineinhalb Stunden.
Die Umsteigezeit in Houston war recht knapp bemessen, sie musste sich beeilen, durch den Transitbereich zu dem Ausgang zu gelangen, an dem der Lufthansa-Flug nach Frankfurt abging. Allerdings wurde eine halbe Stunde Verspätung angezeigt. Also blieb etwas Zeit für einen Bummel durch die Geschäfte im internationalen Transitbereich. Vor allem der Presseladen hatte es ihr angetan, dort waren auch immer deutsche Illustrierte zu bekommen.
Die Maschine, ein Airbus A380, war riesig. Sie hatte einen Fensterplatz im hinteren Teil der Business Class bekommen, sodass sie nicht nur auf den Flügel schaute, sondern die Vogelperspektive genießen konnte. Auch diesmal hatte sie keinen Sitznachbarn, die Maschine war sowieso nur etwa zu zwei Dritteln besetzt. Sie nahm ihr Smartphone und ihren Laptop aus der Tasche und verstaute sie im oberen Fach. Nach dem Start durfte man die Geräte ja wieder einschalten, und sie musste nachher ihre E-Mails checken.
Sie orderte einen Riesling und einen Kaffee bei der Stewardess und nahm erstmal die deutsche Illustrierte zur Hand, die sie am Flughafen entdeckt hatte. Ihr war eine kleine Schlagzeile auf dem Titelbild ins Auge gefallen. "Lichtberg. Guru Silbenstein sammelt neue Jünger", stand da.
***
Guru? Silbenstein? Wenn das derselbe Silbenstein war, bei dem sie damals ...
Von Professor Silbenstein hatte sie Burt nie erzählt. Das wäre ihr einfach zu peinlich gewesen, und er hätte es ganz sicher nicht verstanden. In dieser Hinsicht war er der sprichwörtliche prüde Amerikaner. Damals war sie zu jung und dumm gewesen, um Silbenstein als das zu erkennen, was er war. Ein Schürzenjäger, ein Don Juan, der junge und naive Studentinnen zum Sex nötigte, wenn sie gute Noten haben wollten. Die sich nicht trauten, das anzuzeigen. So, wie sie.
Er hatte ja sehr gut ausgesehen, damals, aber war da bereits Ende vierzig gewesen. Groß, mit langen dunklen Haaren, die an den Schläfen leicht silbrig waren, schlank. Charismatisch. Sie hätte es besser wissen sollen, auch damals schon, die anderen Studentinnen hatten sie ja gewarnt. Aber sehr charmant war er gewesen und es hatte ihr geschmeichelt, von einem so weltgewandten Mann bemerkt zu werden. Bis die nächste Kommilitonin dran war. Da hatte er sich einfach nicht mehr gemeldet und in der Vorlesung kalt lächelnd an ihr vorbei gesehen. Beziehungsweise, er hatte dann nur noch Augen für die neue Flamme, und alle anderen interessierten ihn nicht mehr. Immerhin hatte sie ihre gute Note bekommen. Zum Glück brauchte sie nur dieses eine Semester bei ihm, um einen bestimmten Schein zu erhalten. Danach hatte sie genau darauf geachtet, dass sie ihm nicht mehr über den Weg lief.
Leana blätterte durch das Heft, bis sie zu dem Artikel über den ›Lichtberg‹ kam, was immer das sein sollte. Und Guru Silbenstein, dass sie nicht lachte. Mit wachsender Erheiterung las sie über den erleuchteten Lebensweg von Maharishi Silbenstein, seiner Lebenshilfeberatung, seinen Seminaren und Veranstaltungen, die seine Jünger ebenfalls auf den Weg der Erkenntnis bringen sollten. Das Bild beim Artikel zeigte Professor Werner Silbenstein, mit weißem Bart und langen Haaren, gütig über eine Lesebrille blinzelnd. Älter, aber das war er.
Allerdings stand da nichts von seinen Jahren an ihrem College, natürlich. Dafür wurde ausführlich über seine Zeit in Indien berichtet, wie er dort gelebt und gelernt habe und seine Weisheit erlangt habe. Er musste jetzt schon fast siebzig sein. Am Ende des Artikels befand sich ein Kasten mit Informationen zu dieser Lichtberg-Veranstaltung und den Seminarreihen. Die Themen der Seminare kamen ihr alle sehr vertraut vor, das waren praktisch dieselben, die er damals in seinen Vorlesungen behandelt hatte. Und auch damals schon waren es sehr viele Allgemeinplätze und billige Ratschläge aus der Küchenpsychologie gewesen. Da hatte er offenbar einen Weg gefunden, damit auch noch Geld zu machen.
Die nächste Lichtberg-Session sollte schon morgen Abend stattfinden, auf der Bergmühle, zwischen Wehrheim und Neu-Anspach. Das musste doch ganz in der Nähe von dem Ort sein, in dem Marija jetzt wohnte. Offenbar kostete die Veranstaltung keinen Eintritt, also konnte sie einfach hingehen. Das würde sie sich auf jeden Fall mal näher ansehen.
Sie ließ die Zeitschrift sinken und starrte eine Weile gedankenverloren vor sich hin. Die Erinnerung an das Semester, in dem sie eine Affäre mit Silbenstein angefangen hatte, weil ihr von einigen anderen Studentinnen erzählt wurde, wie das bei ihm lief, kehrte lebhaft zurück. Ihre Flirtversuche, damals sicher noch etwas ungelenk, hatten auch gleich funktioniert. Aber er hatte sich schon nach ein paar Treffen wieder von ihr abgewendet, weil eine noch hübschere junge Studentin aufgetaucht war. Damals hatte das schon wehgetan. Ihre gute Note hatte sie zwar bekommen, aber sie hatte ihn daran erinnern müssen. Das wäre die Gelegenheit, es Silbenstein heimzuzahlen. Sicherlich fände er es höchst unangenehm, wenn sie mit Bloßstellung drohte. Oder damit, seiner Frau alles zu erzählen. In dem Artikel stand, dass sie seine Geschäftspartnerin sei, schon seit langen Jahren. Leana hatte Viola einmal getroffen. Damals war es ihr so vorgekommen, als wäre eigentlich sie der bestimmende Faktor in der Ehe Silbenstein.
Vielleicht ließ sich daraus etwas machen. Geld musste er ja genug haben, da könnte er doch sicherlich etwas abgeben. An sie.
Hatte sie das jetzt wirklich gerade gedacht? Das wäre Erpressung. Strafbar.
***
Donnerstagvormittag.
Den Rest des Fluges verbrachte sie in unruhigem Schlaf, wachte immer wieder auf und konnte keine bequeme Position finden. Erleichtert vernahm sie die Ankündigung des Frühstücks und der bevorstehenden Landung in Frankfurt. Während sie ihren Kaffee trank, sinnierte sie weiter über ihrem Plan, versuchte sich auszumalen, wie sie vorgehen könnte, wie er reagieren würde. Nicht erfreut, sicher. Verängstigt oder eher verärgert? Was würde er tun?
Am Gepäckausgabeband wartete sie mit den anderen Fluggästen auf ihren Koffer, aber der kam und kam nicht. Nachdem schon zwanzig Minuten kein weiteres Gepäckstück auf das Band gepurzelt war, gab sie am Gepäckermittlungs-Schalter ihre Verlustanzeige auf. Zum Glück hatte sie ihren Pass, Telefon, Kreditkarten und das Geld in Ihrer Handtasche gehabt.
Sie ging zu den Mietwagenschaltern und mietete sich einen Kompaktwagen. Für ihre Pläne musste sie mobil sein. Und auch sonst verließ sie sich lieber auf sich selbst als auf andere, und dafür war ein eigener fahrbarer Untersatz eine Grundvoraussetzung.
Aber jetzt musste sie erstmal einige Dinge erledigen. Wo war die nächste Shopping-Mall? Sie musste ein paar Sachen einkaufen, bis ihr Koffer wieder auftauchte. Sie brauchte auch Euros, hatte momentan nur Dollar in der Tasche. Auf dem Weg zur Mietwagenabholung gab es eine Wechselstube.
Marija war bestimmt nicht zuhause jetzt, sie arbeitete ja. Zeit, sie anzurufen. Marijas Büronummer hatte sie gleich in ihren Kontakten gespeichert, als sie vor zwei Monaten den neuen Job bei dieser Unternehmensberatung angenommen hatte. Wie hieß die noch gleich? Irgendetwas mit Katze. Bobcat? Nein, Wildcat, das war es. Wildcat Consulting.
Verlassen
Mittwoch Abend.
Burt Yaeger schäumte. Innerlich, sodass es keiner von außen sehen konnte. Obwohl niemand da war, der ihn beobachtete. Er war wie fast immer spät nach Hause gekommen, weil er noch mit seiner neuen Geliebten zu Abend gegessen hatte. Die übliche Ausrede für Leana hatte er schon auf den Lippen gehabt, als er zur Tür hereinkam.
Aber Leana war nicht da. Ihre Autoschlüssel lagen zwar auf dem Sideboard im Flur und ihr Auto stand in der Garage. Aber ihre Handtasche und ihr Laptop lagen nicht an ihren angestammten Plätzen. Die Tür zu seinem Arbeitszimmer stand offen. Und die Safetür auch. Die Bargeldreserve war weg. Er ging in den ersten Stock und in ihr Zimmer. Dort sah es aus wie nach einem Einbruch, die Schränke standen offen und ihr Lieblingskleid, ein paar Jeans und T-Shirts fehlten. Auch der mittelgroße Koffer stand nicht zwischen den anderen.
Burt wurde immer wütender. Ausgerechnet jetzt.
Leana wagte es, ihn zu verlassen? Sie war einfach gegangen? Sie hatte sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, es zu verbergen. Ihr Auto stand ja in der Garage, also musste sie ein Taxi genommen haben. Burt rief die Wahlwiederholung am Telefon auf, und da war die Nummer des örtlichen Taxiunternehmens. Angerufen hatte sie da um elf Uhr.
Da soll doch ... Burt rief die Nummer an und versuchte, so unverfänglich wie möglich zu klingen.
"Sagen Sie, meine Frau ist heute Vormittag mit einem Ihrer Wagen gefahren, sie hat aber ihr Smartphone hier vergessen. Wo wollte sie hin? Ich muss es ihr bringen!"
"Einen Moment, das muss ich nachsehen. Ja, hier ist es. Sie wollte zum Flughafen, Terminal A, wo die United-Flüge abgehen", antwortete die noch sehr junge Stimme am Telefon.
"Danke, dann fahre ich auch gleich dahin. Hoffentlich erreiche ich sie noch!", presste Burt halbwegs freundlich heraus, bevor er die Verbindung beendete und das Telefon an die Wand warf.
United? Wo wollte sie hin? Er schaltete seinen Laptop ein und rief den Flugplan des Flughafens von Tulsa auf. Heute gab es viele Flüge, aber keines der Ziele hatte eine Bedeutung für Leana, so viel er wusste. Das konnte nur heißen, dass sie nach Deutschland wollte, es gab keine Direktflüge von Tulsa nach Frankfurt.
Aber was wollte sie da? Sie hatte doch nur noch ihre Schwester dort, und mit der mailte und telefonierte sie regelmäßig. Nach Frankfurt musste sie über Denver, Chicago oder Houston fliegen. Bestimmt hatte sie die Route über Houston gewählt, der Aufenthalt dort war kürzer. Also war sie schon über dem Atlantik. Die nächsten Flugmöglichkeiten gab erst Morgen Nachmittag.
Aber er konnte jetzt nicht weg. Gerade diese Woche hatten sie ein neues Mandat übernommen, um das sie lange gekämpft hatten. Dieses Mandat war äußerst wichtig für die Firma, da gerade in letzter Zeit einige andere Mandate verloren gegangen waren.
Eine sehr konservative Familie, diese van den Rabens. Die Matriarchin hatte es sehr deutlich ausgesprochen, dass sie nur von einem verheirateten Anwalt vertreten werden wollte. Und zwar von einem, der seiner Frau auch treu war. Nun ja, sie musste es ja nicht erfahren, seine Affären arrangierte er immer sehr diskret. Dachte er zumindest. Eine Trennung oder gar Scheidung konnte er jetzt gerade überhaupt nicht gebrauchen. Eine Scheidung ließ sich nicht verbergen, heutzutage. Eine Trennung vielleicht einige Zeit, aber auch nicht für länger. Dann wäre das lukrative Mandat in großer Gefahr. Die Matriarchin war berüchtigt dafür, sehr rigoros zu handeln, wenn ihr etwas nicht passte.
Überrascht
Donnerstagvormittag.
Marija Walters saß an ihrem Schreibtisch und machte sich Notizen zum Ergebnis des Meetings, aus dem sie gerade gekommen war. Die bildeten dann das Gerüst für das Besprechungsprotokoll. Das Projekt war so komplex, dass es sie viel mehr Aufzeichnungen als sonst brauchte, um den Überblick zu behalten. Ihre Firma, Wildcat Consulting, übernahm häufig notleidende Projekte, die bei den Kunden nicht mehr vorankamen, auf interne Widerstände gestoßen waren oder denen die Finanzierung entzogen worden war. Ihre Aufgabe war es, den aktuellen Stand zu dokumentieren und Vorschläge zu machen, wie das Projekt doch noch zu einem guten Abschluss gebracht werden könnte.
Als das Telefon klingelte, nahm sie den Hörer ab, ohne auf das Display zu schauen. "Wildcat Consulting, Walters", meldete sie sich, mit den Gedanken noch bei ihren Notizen.
"Hallo Marija, hier ist Leana", drang die Stimme ihrer Zwillingsschwester durch den Draht.
Marija riss sich von ihren Notizen los. Leana? Sie hatten doch vorgestern erst telefoniert, und gestern hatte sie auch eine E-Mail von ihr erhalten. Die hatte sie zwar noch nicht beantwortet, aber das war nicht so ungewöhnlich. Manchmal kam sie erst nach ein paar Tagen dazu, Ihrer Schwester zurückzuschreiben.
"Hallo Leana! Was gibt's? Ich habe gerade ziemlich viel zu tun", antwortete Marija überrascht. Das passte ihr jetzt gar nicht. Sie musste diese Notizen unbedingt noch fertig schreiben, damit sie nichts vergaß, das ins Protokoll gehörte.
"Ich ... Na ja", druckste Leana herum, "Ich bin gerade in Frankfurt gelandet. Ich weiß, ich hätte dich vorher anrufen sollen, aber ich musste einfach weg. Wann machst du Feierabend?"
Marijas Augen waren immer größer geworden, als sie ihrer Schwester zuhörte. Gerade in Frankfurt gelandet? Was sollte das heißen, sie musste weg? Das hörte sich nach Problemen an. Das war mal wieder typisch Leana. Keine Rücksicht auf andere, jedenfalls nicht, wenn sie ihren eigenen Kopf durchsetzen wollte.
"Leana! Du bist in Frankfurt? Das ist ja eine Überraschung. Ja, du hättest mich anrufen sollen, aber ist egal. Ich freue mich, dass du da bist." Marija freute sich wirklich, auch wenn der Besuch etwas überfallartig war. "Ich muss noch bis ungefähr vier Uhr arbeiten, ich habe noch ein paar Meetings heute, die ich nicht absagen kann.