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Der 4. Hochtaunus-Krimi! In der Wehrheimer Feldmark endet eine Heißluftballonfahrt ungebremst an der Weidenkuppel. Jules Klausner, Inhaberin des Handarbeitsladens ›Umgarnt & Wollig‹, eilt einer jungen Frau zu Hilfe, die ihr zuflüstert: „Kein Unfall.“ Der Rettungswagen kommt zu spät. Kommissarin Sara Winter startet die Ermittlungen, denn die ersten Untersuchungsergebnisse werfen Fragen auf. Wenig später bittet die Tante des Opfers Jules, sich diskret umzuhören – und schon steckt sie unfreiwillig wieder mitten in einem undurchsichtigen Fall. Wer hat ein Motiv? Tatsächlich finden sich im näheren Umfeld mehrere Personen, die der Toten nicht wohlgesonnen waren. ›Tod an der Weidenkuppel‹ ist der vierte Band in der Hochtaunus-Krimi-Reihe mit Jules Klausner, der Inhaberin des Wehrheimer Handarbeitsladens. Er kann als Einzelbuch gelesen werden, enthält aber auch einige Bezüge zu den vorigen Büchern der Reihe. Tod im Obstgarten (1) Tod in der Großen Kurve (2) Tod am Feldrand (3) Wenig Gewalt, kein Thriller, aber gemütliche Unterhaltung mit viel Lokalkolorit. Mit Häkelanleitung!
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Tod an der Weidenkuppel
Buchbeschreibung
Jules Klausner, Inhaberin des Wehrheimer Handarbeitsladens "Umgarnt & Wollig", kommt dazu als eine junge Frau mit einem Heißluftballon an der Weidenkuppel havariert und aus dem Korb stürzt. Sie stirbt im Krankenhaus, aber nicht an ihren Verletzungen.
Wer hatte es auf die junge Frau abgesehen? So beliebt, wie ihre Tante glaubt, war sie zwar nicht - aber gleich ein Mord?
Jules zögert, als Elli Brede, besagte Tante, sie bittet, sich umzuhören – sie kannte die junge Frau gar nicht. Kann sie etwas herausfinden?
Ihre Neugier könnte Jules gefährlich werden, zumindest reagieren einige Personen recht empfindlich auf ihre Fragen.
Über die Autorin
Alex Sassland wohnt und arbeitet im Hochtaunus. Die Landschaft, die Menschen, ein Wortfetzen, eine Krähe im Baum - es gibt viele Inspirationen für Geschichten. Diese hier entstand bei einer Fahrradtour rund um Wehrheim.
Tod an der Weidenkuppel
www.alex-sassland.de
1. Auflage, veröffentlicht 2025.
© Alex Sassland – alle Rechte vorbehalten.
Obernhainer Weg 30
61273 Wehrheim
Druck:
Print-on-Demand
ISBN: 9783759297709
www.alex-sassland.de
Dies ist ein fiktives Werk. Namen, Charaktere und Ereignisse entspringen der Fantasie der Autorin. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind nicht beabsichtigt und zufällig. Einige Orte, Straßen, Plätze sowie Geschäfte gibt es zwar, aber sie dienen als Inspiration und werden fiktiv verwendet.
Kapitel 1
Zuerst sah sie nur den bunten Ballon.
Der altmodisch aussehende Heißluft-Ballon sank immer tiefer und der Korb touchierte die Wipfel der alten Weiden im Bizzenbachtal. Gestreift in allen Regenbogenfarben leuchtete er fröhlich in der Morgensonne. Jules dachte noch, der fliegt, nein, Ballons fahren ja, fährt also, extrem tief. Und langsam.
Jules Klausner war auf ihrer Lieblingslaufrunde um Wehrheim unterwegs. Endlich hatte es aufgeklart, nach gefühlten Wochen mit Dauerregen und eiskaltem Wind. Kühl war es immer noch, aber es roch nach Frühling heute. Sie atmete tief ein und aus und überließ sich dem stetigen Rhythmus ihrer Schritte.
Sie bog um die Ecke beim Ponyhof und lief Richtung Weidenprojekt die kleine Anhöhe hinauf. Hier hatten engagierte Wehrheimer vor ein paar Jahren eine Weidenkuppel mit einem Turm daneben errichtet, aus denen jetzt bereits eine lebendige, grüne Kathedrale geworden war.
Jules kniff die Augen gegen die tiefstehende Morgensonne zusammen und versuchte, durch die Bäume am Wegesrand mehr zu erkennen.
In diesem Moment verfing sich der Korb an einem der Bögen der Weidenkathedrale. Ein lautes Knirschen und das Brechen von frischem Holz erfüllten die klare Märzluft. Der Korb hing jetzt halb schräg nach unten und die Hülle hatte sich flach auf die Kuppel gelegt, es schien keine Luft mehr darin zu sein. Waren da keine Ballonfahrer an Bord? Die konnten sich doch so gar nicht halten. Ein angsterfüllter Schrei.
Jules lief schneller. Eine Lücke in der Hecke ermöglichte ihr einen freien Blick auf die Weidenkuppel. Eine gelbe Gestalt erschien im Korb. Jules beschleunigte noch mehr.
Außer Atem bog sie auf den Platz vor der Weidenkathedrale ein. Eine Frau hing am Korb, hielt sich noch mit einer Hand und verlor dann den Halt. Sie schlug mit dem Kopf hart auf dem Boden auf, lag verdreht da, bewegungslos. Lange blonde Haare, lange Beine, dicker gelber Steppmantel. Jules beugte sich über sie und sah ein hochrotes Gesicht, die Augen geschlossen. Aus einigen Kratzern und kleinen Schnitten sickerte Blut.
Jules streckte die Hand aus, um ihren Puls zu fühlen. Ihre warmen Finger auf der kalten Haut der Unbekannten schienen deren Lebensgeister wieder zurückzurufen. Die Frau schlug die Augen auf. Ihre Pupillen füllten fast die ganze Iris ihrer Augen aus.
»Was …«, flüsterte sie kaum hörbar.
»Nicht bewegen. Ich hole Hilfe. Ganz ruhig liegenbleiben«, antwortete Jules beschwichtigend. Die Frau tastete mit einer Hand kraftlos nach Jules Arm.
»Kein Unfall … das war kein … keine Luft.« Sie verlor wieder das Bewusstsein.
Jules schossen die Bilder des Erste-Hilfe-Kurses durch den Kopf, den sie voriges Jahr als Auffrischung gemacht hatte. Stabile Seitenlage, Herzdruckmassage, Beatmen, vorsichtig sein bei Stürzen. Die Frau atmete, der Daunenmantel bewegte sich leicht.
Kapitel 2
Jules nestelte ihr Smartphone aus der Armtasche und rief 112 an. Dann hockte sie sich wieder neben die Verunglückte.
Was hatte die Frau damit gemeint, dass dies kein Unfall sei? Keine Luft? Sie sah nach oben. Der Ballon hing schlaff auf der Kuppel, der Korb pendelte leicht hin und her. Er hing etwa dreieinhalb Meter über dem Boden. Zwei Seile waren daran befestigt, die fast den Boden erreichten.
Jules merkte schnell, dass es noch zu kalt war, um lange bewegungslos zu bleiben. Sie stand auf und lief kleine Runden auf dem Weidenkuppel-Platz. Zwischendurch beugte sie sich immer wieder zu der Frau hinunter, aber die blieb bewusstlos.
Da kam der Notarztwagen. Die Sanitäter und eine Notärztin sprangen heraus.
»Was ist passiert? Wie lange liegt sie schon so da? War sie bei Bewusstsein?« Die Ärztin feuerte ihre Fragen ungefähr in Jules Richtung, ohne hochzuschauen.
Jules sah auf ihre Uhr.
»Sie ist abgestürzt, aus dem Ballonkorb gefallen. Das war vor etwa einer halben Stunde. Sie ist nur einmal kurz wach gewesen, als ich ihren Puls fühlen wollte, seitdem nicht mehr. Aber sie atmet.«
Die Ärztin winkte die Sanitäter mit der Trage heran. Sie hatten die Vakuummatratze und eine Thermodecke gleich mitgebracht. Vorsichtig hoben sie die Frau auf die Matratze und drückten die einzelnen Kammern in Form um ihren Körper. Die starke Pumpe saugte in kurzer Zeit die Luft heraus, sodass sie stabil lag. Dann hoben die Männer sie auf die Trage und legten die Thermodecke über sie.
»Gut, dass Sie gleich hier waren. Sie ist unterkühlt, viel länger hätte das nicht dauern dürfen mit der Hilfe. Wir bringen sie nach Usingen, und ich habe die Polizei benachrichtigt. Die müsste auch gleich da sein. Bitte warten Sie solange. Und bewegen Sie sich ein wenig, sonst kühlen Sie auch aus!« Sie hob kurz die Hand und stieg wieder in den Notarztwagen.
Jules starrte dem Rettungswagen hinterher, der langsam über den unebenen Feldweg fuhr. Sie nahm ihre Runden auf dem Vorplatz der Weidenkuppel wieder auf, um die Zeit zu füllen, bis die Polizei kam. Endlich sah sie einen blauen Streifenwagen herannahen. Ob Kommissarin Winter kommen würde? Immerhin handelte es sich wohl nicht um einen Unfall, wenn man den Worten der Verunglückten Glauben schenken wollte.
Die beiden Beamten hielten auf dem Feldweg an und stiegen aus. Der eine ging sogleich zu dem Ballon, der immer noch auf der Kuppel hing, der andere kam auf Jules zu.
»Guten Tag. Ich bin Polizeiobermeister Walther. Sie haben einen Unfall gemeldet? Was ist passiert?«
»Ja, eine Frau ist abgestürzt.« Jules erzählte die Geschichte noch einmal. »Und sie hat noch gesagt, dass das kein Unfall gewesen sei.«
Skeptisch sah der Beamte sie an.
»Wir müssen die Feuerwehr rufen, oder das THW. Jedenfalls braucht es entsprechendes Gerät, um den Ballon zu bergen. Drehleiter, Kran, was weiß ich.« Das war der andere Beamte. »Ich habe die herunterhängenden Seile gesehen, aber wir kriegen den Ballon nicht allein da runter. Ich denke, wir informieren die Kollegen von der Kripo. Und wo ist der Verfolger?« Er zog sein Telefon aus einer Ärmeltasche.
»Warum meinte das Opfer, das sei kein Unfall gewesen? Hat sie noch mehr gesagt?« Bei dem Wort Opfer zuckte Jules zusammen. Das hörte sich so endgültig an. Hoffentlich konnten die Ärzte im Krankenhaus ihr helfen. Und was hatte er mit Verfolger gemeint? Aber dann fiel ihr ein, dass bei Ballonfahrten immer eine Bodenbegleitung dabei war, um bei der Landung zu helfen und die Crew und den Ballon wieder zurückzubringen.
»Nein, sie war fast die ganze Zeit bewusstlos. Nur einmal ist sie aufgewacht und hat gesagt, dass es kein Unfall gewesen sei und noch ›keine Luft‹. Sie war ganz unterkühlt, deswegen ist der Rettungswagen schon losgefahren.« Sie sah auf die Uhr. Jetzt wurde es Zeit, in nicht einmal einer Stunde musste sie ihren Laden aufschließen. »Kann ich jetzt los? Ich muss zur Arbeit.«
Sie gab den Beamten ihre Adresse und Telefonnummer und machte sich auf den Heimweg. Sie widerstand der Versuchung, jetzt ganz schnell nach Hause zu rennen. Die ersten Minuten mit flottem Schritt und dann ein lockerer Trab. Das dauerte auch nicht viel länger und bewahrte sie davor, sich eine Zerrung zu holen.
Auf der Straße am Friedhof kam ihr sehr langsam ein schlammbespritzter SUV entgegen, dessen Fahrer sich suchend umsah. Er hielt an und ließ das Fenster herunter.
»Hallo! Ich suche … haben Sie einen Heißluft-Ballon gesehen, gestreifte Hülle, kleiner Korb? Der muss hier vorbei gekommen sein! Aber ich sehe ihn nicht mehr!«
Das musste der Verfolger sein, von dem der eine Beamte gesprochen hatte. Hätte der nicht schon viel früher da sein müssen? Waren die nicht normalerweise als Team unterwegs, dann wäre es sicherlich einfacher, einen Ballon im Auge zu behalten.
»Ja, der hängt an der Weidenkuppel. Dahinten!« Jules zeigte auf den Turm der Weidenkuppel, der von hier aus gerade noch zu sehen war. »Fahren Sie da vorne rechts und den nächsten Feldweg wieder rechts, dann sind Sie schon da.«
Der SUV-Fahrer hob dankend eine Hand und gab Gas.
Kapitel 3
Für eine rasche Dusche war noch Zeit, Frühstück musste heute ausfallen. Fünf vor elf schloss sie die Tür zu ihrem Laden auf. Hoffentlich kamen die ersten Kundinnen heute mal etwas später, damit sie noch Computer und Kasse einschalten und den Kaffee aufsetzen konnte.
Zu ihrer morgendlichen Routine gehörte es, für ein paar Sekunden still in der Mitte des Verkaufsraumes zu stehen und die heimelige Vintage-Atmosphäre ihres Handarbeitsladens auf sich wirken zu lassen. An den meisten Tagen tankte sie einfach noch einmal Energie, manchmal fiel ihr auch etwas ein, das sie unbedingt bald erledigen musste, wie zum Beispiel Bestellungen von Nadeln, Garnen oder Zubehör. Und manchmal rissen die ersten Kundinnen sie aus ihrer Meditation, die es nicht abwarten konnten, ihre Strick-Projekte zu planen, anzufangen, fortzusetzen, fertigzustellen. Die Glocke über der Tür schlug an.
»Guten Morgen, Frau Klausner!«
Diese Stimme kannte sie. Ihr Lächeln erreichte noch nicht gleich ihre Augen, das fiel ihr bei dieser Kundin manchmal schwer. Elli Brede hatte einen durchdringenden Tonfall, der ihr als Lehrerin früher sicherlich gute Dienste geleistet hatte. Ihre eisgrauen Haare saßen akkurat, Twinset und Chinos unterstrichen mit ihren Blautönen die kühle Ausstrahlung. Sie war immer in Eile, zumindest vermittelte sie den Anschein ungeduldiger Rastlosigkeit. Nur wenn ihre Freundin Maria Brandner dabei war, wirkte sie gelassen. Heute war sie allein.
»Hallo, Frau Brede. Was kann ich heute für Sie tun?«
»Ich brauche dringend noch ein paar Knäuel von dieser superweichen, grün-blauen Wolle, die ich letzten Winter bei Ihnen gekauft hatte – erinnern Sie sich?«
Jules hatte schon bei ihren ersten Worten die Kundendatenbank aufgerufen und ihren Namen eingetippt. Gerade bei ihren Stammkundinnen hatte sich die Mühe der Datenpflege schon oft bezahlt gemacht.
»Ja, hier habe ich den Eintrag. Das war Concept von Katia, Baumwolle-Merino-Mischung 70/30. Ich habe auch dieses Jahr etwas davon eingekauft, allerdings sind die Farbtöne anders, die denken sich immer etwas Neues aus. Da müssen wir schauen, ob wir etwas Passendes finden. Haben Sie einen Faden dabei?« Sie zeigte ihrer Kundin die aktuellen Farbtöne.
Elli Brede zog eine Garnschleife aus ihrer Handtasche.
»Ja, das habe ich schon befürchtet, aber Sabrina will unbedingt einen Schal zu der Mütze, die ich ihr letztes Jahr gestrickt hatte. Sabrina ist meine Nichte, wissen Sie. Dann schaue ich mal, was hierzu passt.« Eifrig hielt sie die Schleife gegen alle vorhandenen Knäuel.
Jules lächelte, das konnte eine Weile dauern, bis eine Entscheidung getroffen würde. Sie wandte sich der nächsten Kundin zu, die inzwischen den Laden betreten hatte.
Es war schon halb drei, als sie das nächste Mal auf ihre Uhr schaute. Ihr Magen hatte sich lautstark beschwert, dass es jetzt höchste Zeit für eine ordentliche Mahlzeit sei. Ihr Mitarbeiter Alexander lachte nur und empfahl einen Besuch im Café Eintrachten.
»Geh ruhig, es ist gerade wenig los und ich kann gut eine Weile allein hier klarkommen«, sagte er und wedelte mit einer der Zeitschriften, die er gerade in den Ständer räumte.
Im Café setzte sie sich an ihren Lieblingstisch, von dem aus sie das ganze Lokal im Blick hatte und bestellte eine Apfelschorle sowie eine Ofenkartoffel mit Shrimps. Nina hatte Dienst und brachte gleich noch den Usinger Anzeiger für die Wartezeit mit. Sie hatte gar nicht mehr an das Unglück von heute Morgen gedacht, aber der Bericht über den neu aufgelegten ›Feld- und Flug-Knigge‹ des Hochtaunuskreises erinnerte sie durch den Tippfehler im Titel des Artikels daran. Jules schmunzelte kurz – Flug und Flur lagen nur einen Buchstaben auseinander. Oder hatte der Redakteur an Pflug gedacht?
Wie es der jungen Frau wohl ging? Sie war immer noch bewusstlos gewesen, als die Sanitäter sie auf die Trage gehoben hatten. Ob die Polizei ermitteln würde? Immerhin hatte der eine Beamte die Kriminalkollegen angerufen.
Jules hatte gerade ihre Rechnung beglichen, als sie Kommissarin Sara Winter über den Marktplatz gehen sah. Sie trat rasch aus der Tür des Cafés.
»Hallo Frau Kommissarin, wollten Sie zu mir?«
Sara Winter blieb stehen und nickte.
»Ja. Guten Tag, Frau Klausner. Haben Sie ein paar Minuten?«
»Sicher. Kommen Sie, wir gehen in den Laden.«
Kapitel 4
Alexander hob die Augenbrauen, als sie eintraten, fuhr aber unbeirrt mit der Beratung einer Kundin fort.
Jules nickte ihm zu und ging in die Teeküche zur Kaffeemaschine. Sie holte zwei Becher aus dem Schrank.
»Kaffee, mein Lebenselixier. Nehmen Sie Milch und Zucker?«
»Danke, schwarz. Da ein Kaffee bei mir meist kalt wird, bevor ich dazu komme, ihn zu trinken, darf er keine Haut bekommen.«
Jules goss Milch in ihren eigenen Becher und stellte beide Mugs auf den langen Arbeitstisch im ›Strickkasten‹, dem langgestreckten Raum hinter dem eigentlichen Ladengeschäft. Hier fanden die regelmäßigen Taunuswollknäuel-Treffen mit ihren Stammkundinnen statt und auch Workshops und Kurse.
Sara Winter setzte sich an das Kopfende und hielt den Kaffeebecher in beiden Händen. Sie wartete, bis Jules ebenfalls saß.
»Es geht um den Vorfall heute Morgen, das haben Sie sich sicherlich schon gedacht. Leider habe ich schlechte Nachrichten, das Opfer, also die junge Frau, ist im Krankenhaus verstorben.«
Damit hatte Jules nicht gerechnet. Ihre Hände krampften sich um den Becher.
»Ach du liebe Zeit. Wie tragisch. Wissen Sie denn, wer sie ist … hm, war?«
Die Kommissarin hob abwehrend eine Hand.
»Ja, wir wissen, wer sie war, aber das kann ich Ihnen nicht sagen, das wissen Sie sicherlich.« Jules nickte, natürlich, Datenschutz. Und laufende Ermittlung? Die nächste Frage brannte ihr auf der Zunge.
»Und was war mit dem Ballon, der hatte ja gar keine Luft mehr, lag ganz platt auf der Kuppel.«
»Deswegen wollte ich noch mal mit Ihnen reden. Die Feuerwehr konnte den Ballon bergen, und der Verfolger kam dann ja auch und konnte dabei helfen.«
»Der Verfolger? Das muss der SUV-Fahrer gewesen sein, den ich am Friedhof getroffen und zum Weidenprojekt geschickt hatte. Ich dachte noch, dass der Ballon einen recht kleinen Korb hatte. Dann ist es eine Mordermittlung, wenn Sie jetzt hier sind, oder? Aber was kann ich Ihnen noch sagen? Ich kam ja erst, als die arme Frau schon gefallen war.« Jules dachte kurz nach. »Ich habe den Ballon sehr tief über mich hinweggleiten gesehen und hatte mich noch darüber gewundert. Er kam von hinten, also aus Westen. Gehört habe ich nichts. Dann blieb der Korb an der Weidenkuppel hängen, der Korb hing ganz schräg unter dem einen Bogen.« Sie trank einen Schluck Kaffee. »Ich dachte zuerst, dass da gar keiner an Bord war, aber dann tauchte über dem Korbrand eine gelbe Gestalt auf. Ich bin dann schneller gelaufen und kam an, als sie schon auf dem Boden vor der Weidenkuppel lag.« Dieses Bild würde sie so schnell nicht vergessen.
»Ist sie nochmal wach gewesen? Hat sie etwas gesagt? Irgendetwas?«
»Ich habe nach ihrem Puls gefühlt, da ist sie ganz kurz aufgewacht. Ihre Augen bestanden fast nur aus Pupillen, unheimlich. Sie hat geflüstert, dass das kein Unfall gewesen sei. Und noch ›keine Luft‹, dann war sie wieder weg. Der Ballon hatte ja keine Luft mehr, aber ich weiß nicht, ob sie das gemeint hat.«
»Ja, das passt zu … Das würde bedeuten, dass sie einen Verdacht hatte. Gut, vielen Dank, Frau Klausner.« Sara Winter hatte ihren Kaffee bereits ausgetrunken und stand auf. Sie ging langsam durch den Verkaufsraum und ihre Augen blieben an einigen der besonders bunten Garnknäuel hängen, und an den langen Strängen an den spinnenartigen Gestellen.
»Schade, dass ich so gar keine Zeit zum Handarbeiten habe. Auf Wiedersehen!«
Jules hatte sie zur Tür begleitet und sah der Kommissarin bedrückt hinterher. Wie schrecklich, dass die junge Frau nicht überlebt hatte. Hätte sie mehr tun können, mehr tun müssen heute Morgen? Und was passte wozu, was hatte die Kommissarin gemeint?
Sie wandte sich um und ging zum Tresen, an dem Alexander einer Kundin gerade eine Auswahl Knöpfe zeigte.
Kapitel 5
Sara Winter ging zu ihrem Auto, das sie nur ein paar Meter weiter die Hauptstraße hinauf abgestellt hatte. Früher hatte sie gerne gestrickt, aber ihr Beruf ließ ihr kaum Zeit für dieses oder ein anderes Hobby. Aber vielleicht wäre es doch zweckdienlich, sich manchmal etwas mehr Zeit für sich selbst zu gönnen. Ihr Blick fiel auf das Schaufenster der alten Bankfiliale, in der sich jetzt ein Künstleratelier befand. Großformatige Bilder einer Vase oder Amphore in mehreren Farbvarianten lehnten an den Wänden. Das könnte sie sich auch vorstellen, selbst malen. Na ja, vielleicht später, wenn sie in Pension wäre, dann hätte sie Muße dafür. Sie grinste, als sie das alt bekannte Verhaltensmuster erkannte.
Ihr Mobiltelefon pingte. Kollege Beierlein meldete geheimnisvoll einen nicht erwarteten Erfolg in einem alten Fall. Was denn nun schon wieder?
»Bin gleich wieder auf dem Revier«, schrieb sie kurz zurück und machte sich auf den Weg nach Usingen. Alte Fälle genossen nicht ihre höchste Aufmerksamkeit, vor allem, wenn sich gerade etwas Neues ereignet hatte, das sich zu einer aufwändigen Ermittlung entwickeln könnte.
In ihrem Büro angekommen, warf sie Jacke und Handtasche schwungvoll auf den Besucherstuhl. Mark Beierlein hatte sich gerade einen Kaffee geholt und stand mitten im Raum.
»Willst du auch einen? Gerade frisch durchgelaufen. Es geht übrigens um Thomas Meister.« Sara blieb wie angewachsen stehen. Diesen Namen hatte sie nicht erwartet.
»Das war doch Maurers letzter Fall! Diese Mumie, der Tote im Handarbeitsladen in Wehrheim, da war ich ja gerade. Wir wollten Meister wegen Beihilfe belangen, hatten aber keine Beweise.« Sie erinnerte sich noch gut, wie frustriert Maurer gewesen war, dass er seinen letzten Fall nicht hatte abschließen können. »Das ist doch schon ewig her, zwei Jahre?«
»Na, eher eineinhalb Jahre. Offenbar hatte es in Husum einen Personalwechsel gegeben, gerade, als Maurer dann auch nicht mehr aktiv war, und so ist das liegengeblieben. Dass die da überhaupt etwas rausgefunden haben, und sich jetzt nochmal dazu melden, ist schon erstaunlich. Hier, schau.«
»Ich brauche jetzt tatsächlich erstmal einen Kaffee. Bin gleich wieder da.« An der Kaffeemaschine nahm sie einen frischen Becher aus dem Schrank und schenkte ihn voll. Thomas Meister, der Kunstdieb. Da hatte er sich in Norddeutschland einen Namen gemacht, und für einige dieser Coups saß er jetzt eine Gefängnisstrafe ab. Ein paar Jahre hatte er bekommen. Für die Beihilfe zum Mord an Robert Wolf oder auch Beihilfe zur Vertuschung nach dem Mord hatte Maurer keine ausreichenden Beweise finden können. Meister hatte dichtgehalten, hatte nichts gesagt, als Maurer ihn konfrontierte. Keine Aussage, kein Geständnis und keine Beweise, also keine Anklage.
Mit geübt ruhiger Hand trug sie den Kaffeebecher in ihr gemeinsames Büro, wo Beierlein inzwischen seinen Bildschirm gedreht hatte, sodass sie mit draufschauen konnte. Die E-Mail von den Kollegen in Husum begann recht norddeutsch-humorig, aber die Geschichte klang vielversprechend.
›Sehr geehrte Taunus-Kollegen, leider ist diese Angelegenheit im Watt stecken geblieben, was wir zu entschuldigen bitten. Der sachbearbeitende Kollege hier ist vor längerer Zeit krankheitsbedingt ausgefallen und wir kommen erst jetzt dazu, die letzten seiner Fälle abschließend zu bearbeiten.
Ihre Anfrage betraf einen Audi 90 Quattro, Baujahr 1984 oder Anfang 1985, mit bestimmten Vorbesitzern, namentlich Robert Wolf als Erstbesitzer und Thomas Meister als darauffolgender Eigentümer. Tatsächlich hatte der Kollege ein solches Modell in einer der örtlichen Sammlerbörsen entdeckt und die Besitzer recherchiert.