Tod am Teide - Irene Börjes - E-Book

Tod am Teide E-Book

Irene Börjes

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Beschreibung

Lisa Sommer ist frischgebackene Reiseleiterin. Als sie am Flughafen von Teneriffa ihre erste Wandergruppe in Empfang nimmt, fällt ihr der Starfußballer vom Verein Real Madrid tödlich getroffen vor die Füße. Die Reisegruppe entwickelt detektivischen Ehrgeiz. Kein leichter Job für Lisa, die sich wacker bemüht, ihren munteren Trupp durch die Landschaften Teneriffas zu führen. Ob bei Wanderungen im Naturpark Teno oder im Nationalpark Las Cañadas del Teide, beim Museumsbesuch oder bei der Osterprozession in La Laguna, viele Spuren deuten auf einen Zusammenhang mit traditionellen Inselbräuchen...

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Irene Börjes

Tod am Teide

Kanaren-Krimi

DAS BUCH: Lisa Sommer ist frischgebackene Reiseleiterin. Als sie am Flughafen von Teneriffa ihre erste Wandergruppe in Empfang nimmt, fällt ihr der Starfußballer vom Verein Real Madrid tödlich getroffen vor die Füße. Die Reisegruppe entwickelt detektivischen Ehrgeiz. Kein leichter Job für Lisa, die sich wacker bemüht, ihren munteren Trupp durch die Landschaften Teneriffas zu führen. Ob bei Wanderungen im Naturpark Teno oder im Nationalpark Las Cañadas del Teide, beim Museumsbesuch oder bei der Osterprozession in La Laguna, viele Spuren deuten auf einen Zusammenhang mit traditionellen Inselbräuchen...

Impressum

Textgrundlage dieses E-Books Tod am Teide ist die mit dem gleichnamigen Titel im Zech Verlag (Teneriffa 2006) erschienene Taschenbuchauflage, erstmals veröffentlicht im E-Pub-Format November 2014.

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, auch einzelner Teile, ist nur mit schriftlicher Zustimmung des Verlags zulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, öffentlichen Vortrag, Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, Übersetzungen, die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das öffentliche Zugänglichmachen, z.B. über das Internet.

Alle Rechte vorbehalten. © 2014 ZECH VERLAG

Verena Zech, 38390 Santa Úrsula (Teneriffa, Kanarische Inseln, Spanien)

Tel./Fax: (34) 922-302596 · E-Mail: [email protected]

Text: Irene Börjes

Covergestaltung: Verena Zech unter Verwendung eines Fotos von Moisés Pérez Pérez

Konvertierung: Zech Verlag

E-Book ISBN 978-84-941501-8-0 (epub)

ISBN der gedruckten Ausgabe 978-84-934857-0-2

Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Bücher finden Sie auf unserer Webseite:

www.editorial-zech.es/de/

Inhaltsverzeichnis
Cover
Titel
Impressum
Inhaltsverzeichnis
TOD AM Teide
Palmsonntag
Montag
Dienstag
Mittwoch
Gründonnerstag
Karfreitag
Samstag
Ostersonntag

Palmsonntag

»Die Fluggesellschaft Iberia teilt Ihnen mit, dass der Flug E 09131 aus Madrid mit einer voraussichtlichen Verspätung von 30 Minuten eintreffen wird. La compañía Iberia les informa, que...«

Enttäuschung und Ärger machte sich in der Ankunftshalle breit und während die Buchstaben der Anzeigentafel zu einem weiteren Delay rasselten, zogen einige Grüppchen zur Cafébar.

Andere hielten die Stellung wie das ungleiche Paar am ­gegenüberliegenden Ende der Schranke. Vermutlich waren sie Vater und Tochter, obwohl sie ihn um Haupteslänge überragte. Er schien Bauer zu sein, untersetzt, mit kantigem Schädel und so muskulösen Armen, dass sie fast die kurzen Ärmel seines weißen Hemdes sprengten. Seine kräftigen Hände hatte er nach der Ansage zu Fäusten geballt und ärgerlich gegeneinander geschlagen. Den viel zitierten fröhlichen Langmut der kanarischen Landbewohner strahlte er jedenfalls nicht aus. Weil sein linker Mundwinkel ein wenig herunter hing, wirkte er nicht nur verärgert, sondern geradezu grimmig. Lediglich die Art, wie er mit der jungen Frau sprach – zwar von unten herauf, aber doch so, als hätte er ihr etwas zu sagen – ließ darauf schließen, dass er ihr Vater war.

Beeindruckt war sie dennoch nicht. Zerstreut lächelte sie. Wie ein graziler, dunkler Engel schien sie über seinen Worten und über der ganzen Unruhe in der Ankunftshalle zu schweben. Das dunkle, fast schwarze Haar, in der Mitte gescheitelt, fiel ihr in sanften Wellen bis zur Taille. Überraschend hell strahlten graugrüne Augen im zartbraunen Gesicht. Ihr Blick ging mal durch die Glastüren nach draußen, auf die von Straßenlaternen beschienene helle Steinwüste, über der hoch oben der Gipfel des Teide im Mondlicht glänzte, mal verlor er sich im Dunkel der Hallendecke. Obwohl sie keinen Lippenstift benutzt hatte, nahm sich ihr Mund riesig in dem schmalen Gesicht aus. Gekleidet war sie ganz irdisch in Jeans und Schlabber-Shirt. Gleich nach der Durchsage hatte sie in ihrer Tasche nach einer Zigarette gekramt, um sie unter den finsteren Blicken ihres Begleiters mit langen, langsamen Zügen zu rauchen.

Die falsche Blondine, die nur wenige Schritte weiter stand, hatte dagegen umso dicker aufgetragen. Korallenrote Lippen und dunkelviolette Lidschatten bis zu den Augenbrauen zu lilafarbenem Stretchkleid. Mindestens ein Dutzend Ringe blinkten an ihren kräftigen Armen, auch sonst war sie nicht gerade zierlich. Als einzige hatte sie bei der Durchsage erleichtert aufgeatmet und dabei das Geklimper mit ihrem Goldschmuck eingestellt. Vorher war sie unruhig zwischen Hallenausgang und Schranke hin- und hergelaufen, hatte ihr Handy erfolglos malträtiert, um dann ein Gespräch mit der neben ihr stehenden Männergruppe in Trainingsanzügen zu suchen. Nun zog sie entspannt Spiegel und Lippenstift aus der Handtasche und legte Farbe nach.

»Verspätung, ausgerechnet, wenn die arroganten Vasallen aus dem königlichen Lager kommen. Wie stehen wir denn da? Wie die Deppen!«, zischte der große, kompakte Typ mit Bürstenschnitt neben ihr. Seine Jacke klaffte an Hals und Brust auseinander. Heraus quoll schwarze, krause Behaarung, gekrönt von einem Goldkettchen.

»Was haben wir denn mit der Iberia zu tun, ist das etwa unsere Linie? Nee, das sind Godos, genau wie die.« Sein Nachbar trug eine identische blauweiße Kluft, war aber eher klein und hager. Laurel und Hardy im Sportdress auf den Kanaren. Als der Hagere sich umdrehte, wurde der Schriftzug »CD Tenerife« auf dem Rücken sichtbar.

Die beiden gehörten offensichtlich zum Team der erfolgreichsten Fußballmannschaft der Kanaren. Zurzeit dümpelte sie zwar nur auf den mittleren Tabellenplätzen der zweiten Liga, aber die Fans zehrten noch von den Erfolgen der Vergangenheit. Dank Trainer Jupp Heynckes hatte der Verein es nicht nur in die Erste Liga, die Primera División geschafft, sondern vor genau zehn Jahren sogar mit Real Madrid gleichgezogen und im UEFA-Pokal für Furore gesorgt.

»Bei den Deutschen haben die Osterferien angefangen und bei uns die Semana Santa. Alle Welt ist unterwegs und hat Verspätung.« Die gelassen klingende Stimme gehörte zu einem Mann, der an der Schranke lehnte. Vermutlich würde er im Trainingsanzug nirgendwo hingehen, nicht einmal auf den Sportplatz. Er hatte naturfarbene, klassische Leinenhosen mutig und geschmackvoll mit einem locker fallenden, tomatenroten Seidenhemd kombiniert. Genau der Typ von Latin Lover, der laut Umfrage der Zeitschrift Cosmopolitan bei Frauen um die 35 besonders begehrt ist. »CD Tenerife« stand auch auf der Sporttasche, die er lässig über die Schulter geworfen hatte.

Der ist trotzdem nichts für mich, hatte ich schon entschieden, als ich vor wenigen Minuten den strategisch günstigsten Standort gewählt hatte, gleich rechts vom Ausgang.

Mit spöttischem Lächeln hatte er mich von unten nach oben gemustert. Angefangen bei den klobigen Wanderstiefeln die nackten Beine hinauf über die Shorts hinweg war sein Blick sekundenlang an dem handgeschriebenen Schild hängen geblieben, das ich vor der Brust hielt, um mir dann direkt in die Augen zu schauen.

Viel zu schön und garantiert ein Obermacho, musste ich mein Herz beruhigen, denn ärgerlicherweise hatte es einen Extrahopser eingeschoben. Anders gekleidet, in meinem engen Mini und den neuen, schicken Sandaletten und vor allem ohne dieses Schild hätte ich genauso spöttisch zurück gelächelt, meinen Blick betont langsam von unten nach oben gleiten und vielleicht an der einen oder anderen Stelle etwas verweilen lassen, das hätte ihm garantiert einen Satz rote Ohren verpasst.

Aufdringliche Gaffer schlägt man, indem man noch aufdringlicher gafft. Aber für so eine Aktion musste man sich gut fühlen, und ich fand mich in meiner Wanderaufmachung plötzlich irgendwie peinlich. Ich sah deshalb durch ihn hindurch und schickte ein telepathisches »Guck doch den dunklen Engel dort an« hinüber, was er die Stirn runzelnd auch tat. Ich wollte mich jetzt ohnehin nicht ablenken lassen, denn vor mir lag das Abenteuer eines neuen Jobs.

»Wegreisen« stand auf meinem Schild, dazu passend hatte ich mit farbigen Filzstiften das Logo gezeichnet, eine Weglinie in Regenbogenfarben und an deren Ende eine Gestalt mit Buch und Wanderstock.

Entschuldigung, es wird Zeit, dass ich mich vorstelle:

Lisa Sommer, die Wander-, Studien- und Reiseleiterin obigen Unternehmens, daneben noch Gebietsleiterin für die Kanaren. All das in einer Person, denn es gibt nur mich, jedenfalls auf den Kanarischen Inseln. Ich mache diesen Job seit genau zwei Wochen. Geld gab es aber erst ab Ankunftstag der ersten Reisegruppe, wenn denn endlich der Flieger mit der Nummer E09131 landen würde und die Teilnehmer durch den Ausgang der Gepäck- in die Ankunftshalle kämen. Dann müsste ich sie nur nach links bugsieren, dahin, wo ich mich postiert hatte, denn es sollten nicht schon am ersten Tag Gruppenmitglieder verloren gehen und Regresszahlungen fällig werden, die mein Honorar überstiegen.

Noch 14 Tage zuvor hätte ich nicht einmal im Traum daran gedacht, in dieser Aufmachung auf dem Flughafen Reina Sofía in Teneriffa-Süd zu stehen, mich von attraktiven Männern spöttisch betrachten zu lassen und dazu noch mit leichtem Bammel auf zwölf mir unbekannte Menschen zu warten. Kaum zu glauben, vor nur wenigen Tagen war ich noch völlig mit mir im Reinen gewesen und hatte, in meinen Seidenkimono gehüllt, entspannt die milde Luft auf meiner Terrasse auf der kleinen Nachbarinsel La Palma genossen.

Der Morgen hatte gut angefangen. Die Sonne war über die Berge gestiegen und hatte den Frühstücksplatz beschienen, genau so wie ich es mir immer gewünscht hatte. Geranien blühten rosa und rot, weiße Margeritensterne leuchteten aus frischem Grün, die blassblauen Köpfe des Plumbargo-Busches auf der Terrasse rundeten das pastellige Idyll ab. Bienen summten. Sie folgten ohne Umweg über mein Honigbrot dem Blütenduft des persischen Flieders, der das Zentrum der Terrasse beschattete. Dort krochen sie in die winzigen Kelche und machten sich wenige Augenblicke später, beladen mit goldenem Staub, auf den Heimweg. Ich hatte mir eine zweite Tasse Kaffee eingeschenkt und es mir im Korbsessel in der Sonne gemütlich gemacht. Genauso sollte es sein. Genauso hatte ich mich im vergangenen Jahr gesehen, beim Sonntagsfrühstück in Hamburg, wenn vor dem Fenster der Regen niederging und ich meinen Traum vom Leben auf La Palma vor Augen hatte.

Den Entschluss, dieses kleine Anwesen zu kaufen, hatte ich spontan gefasst, als ich während meines ersten Urlaubs auf La Palma den steinigen Pfad zu dem kleinen Haus hinaufgestiegen war, und ihn ebenso spontan in die Tat umgesetzt. Seither wollte ich wie jetzt die Blütenpracht genießen und in die Sonne blinzeln. Ich hatte Schluss gemacht mit meinem früheren Leben, hatte, zunächst nur zur Probe, sechs Monate dunklen Himmel pro Jahr gegen zwölf Monate Helligkeit eingetauscht.

Inzwischen ging es mir richtig gut, denn ich hatte mich entschieden, dauerhaft auf dieser kleinen, grünen kanarischen Insel zu leben. War nur die Frage, wie sich so ein Leben finanzieren ließ? Eine Erbschaft war nicht zu erwarten, kein Mäzen in Sicht. Als besonders bedrückend empfand ich diese Frage aber nicht.

Ich hatte gerade erst meinen 35. Geburtstag gefeiert und konnte mein Leben meistern. Das hatte ich immer schon gekonnt. Ich war beruflich erfolgreich genug gewesen, um dieses romantische, aber dürftige Häuschen kaufen und mich fast ein Jahr ausschließlich mit seiner Renovierung und der Anlage eines Gartens beschäftigen zu können.

Jetzt war das Werk fast vollbracht. Der Garten musste noch einwachsen, bot aber Terrassen mit Schatten- und Sonnenplätzen für jede Tages- und Jahreszeit. Im Haus gab es zwar noch den einen oder anderen Mangel, aber damit konnte ich erst einmal leben.

Ideen, wie ich meinen Lebensunterhalt bestreiten könnte, hatte ich genug. Mein aktueller Favorit war ein Restaurant für Vollwertkost. Nicht nur für Vegetarier, womöglich ideologisch befrachtet, bloß das nicht. Ich hatte Urlauber- und aktuelle Angebotsstruktur analysiert, Lage und passende Räumlichkeiten gecheckt, über Personal und Einrichtungen nachgedacht und mich an Speisefolgen und Tischdekoration begeistert.

So ein Restaurant musste ein Erfolg werden. Noch gab es nichts Vergleichbares, und La Palma-Urlauber waren genau die Leute, die auf dem Isestraßenmarkt in Hamburg die Bratwurst links liegen ließen und den Stand mit der Gemüsepizza ansteuerten.

Ich sinnierte mit Genuss über die Garzeiten von Tomatentorte und Quiche mit frischem Mangold, als eine Stimme mich hochschreckte.

»Hallo, guten Morgen!« Die Stimme kannte ich nicht und den mittelalterlichen, rotblonden Mann, dessen Nase ganz offensichtlich zuviel Sonne abbekommen hatte, auch nicht. Er trocknete sich mit einem schon reichlich verknautschten Taschentuch die Stirn, als er auf die Terrasse kam.

»Bist du Lisa?«

»Ja, und wer bist du?«

Er atmete erleichtert auf. »Frank Wegner, von ­Wegreisen«.

Unaufgefordert ließ er sich in den zweiten Korbsessel am Tisch fallen, der empört knarrte, und knöpfte sich unter meinem entsetzten Blick das Hemd auf.

»Ich muss erst einmal verschnaufen«, keuchte er und wedelte sich mit den Hemdzipfeln Luft auf den schweißnassen Bauch. »War nicht einfach, dich hier am Ende der Welt zu finden«, und mit begehrlichem Blick auf meine Kaffeetasse:

»Hast Du noch einen Kaffee für mich?«

Wegreisen kannte ich: Ein eher kleines Wander- und Studienreise-Unternehmen, mit dem ich vor Jahren einmal in Israel und Jordanien gewesen war. Es war eine gute Reise gewesen, »Wasser und Wüsten« war das Thema, mit einem angenehmen Wasserbauingenieur als Leiter und einer sehr sympathischen Gruppe. Bevor meine Restaurantträume blühten, hatte ich die Idee gehabt, für Wegreisen auf den Kanaren zu arbeiten, aber auf meine Anfrage und mein eingesandtes Konzept war eine Absage gekommen. Man konzentrierte sich auf das Hauptgeschäft.

Hatten sie ihre Meinung geändert? Hatten sie erst jetzt meine Vorschläge gelesen und festgestellt, dass Wasser und Wüsten auch auf den Kanaren ein Thema waren? Und wenn ja, warum erschien der Chef persönlich und so plötzlich und dann noch ohne Ankündigung, überlegte ich auf dem Weg in die Küche.

»Mit Milch und Zucker, und wenn du schon unterwegs bist, bring mir doch gleich ein Glas Wasser mit«, tönte es von der Terrasse.

Und überhaupt, führte der sich immer so unverfroren auf?

Die ersten Fragen waren schnell geklärt, nachdem ich mit frischem Kaffee, Milchtüte, Zuckerdose und einem Glas Wasser zurückgekehrt war. Es waren nicht meine Ideen gewesen, die ihn überzeugt hatten, sondern die Not. Die politische Lage drohte nicht nur den Nahen Osten zu zerstören, sondern gefährdete auch das kleine Unternehmen. Die Hauptreisezeit begann in wenigen Wochen, und eine ganze Reihe der Reisen ließ sich wegen der Gefahren von Selbstmordanschlägen und unkalkulierbaren Militäraktionen nicht riskieren.

»Da bleibt mir nur eine Möglichkeit, die Pleite abzuwenden, nämlich den Kunden schleunigst eine Alternative in einer krisensicheren Region anzubieten, auf den Kanaren, dachte ich.«

»Und wie willst du das machen? Was ist mit Hotels, Bussen, Reiseleitung, und welches sollen die Inhalte der Reisen sein?«

»Ich dachte mir, das machst du. Ich habe dein Papier gelesen, das war okay. Wie gut kennst du dich auf Teneriffa aus? Dorthin sollen unsere ersten Reisen führen. Das ist ja bestens. Wanderst du gern? Prima, das wollen die Kunden auch. Du informierst sie über die Inseln. Die Kanaren sind doch vulkanisch, oder? Na super, das interessiert die Leute immer.«

Studienreisen, kein Problem, das war ja fast mein alter Job, und Wandern gehörte zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Plötzlich summten nicht mehr die Bienen in meinen Ohren, sondern mein Blut.

Der Kick, von dem ich mich entwöhnt geglaubt hatte, war wieder da und in mein eben noch so beschauliches Leben gedrungen. Ich bemerkte, dass ich zu seinen Worten begeistert nickte. Ich war ganz offensichtlich nicht von der Stresssucht geheilt, denn meine Venen begrüßten das Adrenalin wie einen lieben alten Bekannten. Ein weiterer Schub folgte, als Frank zufrieden bemerkte:

»Ich habe 43 Teilnehmer für drei Gruppen. Die erste kommt in zwei Wochen, die anderen dann jeweils im Anschluss. Na, dann sollten wir mal loslegen, welches Hotel kannst du empfehlen? Die Reisen sind nicht ganz billig, da brauchen wir was Ordentliches.«

Krisenmanagement, das Unmögliche doch noch zu packen, war mir immer am liebsten gewesen. Hauptsaison, 43 Teilnehmer und noch 14 Tage Zeit, da gackern ja die Hühner. Ich warf meinen Phantasieprodukten eine Kusshand zu: Liebe Tomatentorte, liebe Gemüsequiche, ihr müsst noch etwas warten. Eure eben noch vollkommen relaxte Köchin hat leider anderweitig zu tun. Sie ist innerhalb von wenigen Minuten zur Reiseleiterin mutiert. Keine Angst, ich komme wieder, ich mache nur einen kurzen Ausflug in mein früheres Leben und bringe euch einen ganz feinen Edelstahlbackofen mit, selbstverständlich mit Umluft und Turboantrieb.

»La compañía Iberia les informa...« Weitere 20 Minuten Verspätung. Langsam wurde auch ich nervös, trat von einem Fuß auf den anderen. Trieb die Wartezeit die Kosten für den Bus in die Höhe? Vermietete das Hotel womöglich die mühsam ergatterten Zimmer weiter, wenn wir nicht rechtzeitig kämen?

»Keine Sorge, das ist immer so um diese Jahreszeit.« Ramón, der Busfahrer, stand plötzlich neben mir und nahm mir das Schild ab, auf dem meine schweißnassen Finger bereits Spuren hinterlassen hatten.

»Geh ruhig ein bisschen spazieren, ich warte solange hier.« Das war echt nett von ihm.

Ich schlenderte an der Schranke und den anderen Wartenden vorbei zum Stand der Touristeninformation. Mit Inselplänen und Infomaterial über Museen und Freizeitparks hatte ich mich zwar schon reichlich eingedeckt, so dass ich die ganze Gruppe damit versorgen konnte, aber ein weiterer Blick auf die Angebote konnte nicht schaden. Rund um den Kiosk bauten Arbeiter Vitrinen auf. Einige waren schon gefüllt, eine Schautafel stand daneben.

»Teneriffa und seine Vulkane«, stand in großen Lettern über der Abbildung des Teide.

»Der Teide ist nicht nur einer der jungen Vulkane des Archipels, sondern mit seinen 3718 Metern der höchste Berg Spaniens und die höchste Erhebung im Atlantik.«

Im Kopf repetierte ich meinen Text für den Ausflug in den Nationalpark. Oder sollte ich 3717 oder 3719 m sagen? Die Zahlen variierten je nach Auskunftsquelle. Möglicherweise hatten die Urlauber, die jeden Tag auf den Gipfel stiegen, schon einige Meter der lockeren Asche heruntergetrampelt. Am besten, ich stellte alle drei Zahlen vor und die Probleme, die Umweltschützer damit haben. Immerhin hatten sie es geschafft, die Zahl der Personen, die bis zum Krater aufsteigen dürfen, auf 100 täglich zu begrenzen. Da haben die Teilnehmer was zu denken und reden.

Gar nicht schlecht, die Ausstellung am Ankunftstag der Gruppe, da konnte ich die Verspätung nutzen, um letzte Unsicherheiten zum Thema Vulkanismus abzubauen. Ich schaute mir die bereits dekorierten Vitrinen genauer an.

»Hier sehen Sie ein typisches Beispiel für Brocken- oder Schollenlava, auch mit dem Terminus technicus Aa-Lava bezeichnet, der auf hawaiische Vulkane zurückzuführen ist.« Fast lautlos murmelte ich weiter: »Sie entsteht meist zu Beginn eines Vulkanausbruchs, wenn zähflüssige, stark durchgaste Lava nach außen dringt. Die Gasbläschen werden entweder im erkalteten Stein eingeschlossen und ergeben einen porösen Stein, oder sie steigen nach oben und durchbrechen die Masse mit einem ›Blopp‹. Dabei entsteht die scharfkantige, bizarre Oberfläche, weil das Material genau in dem Moment, in dem es auseinanderspritzt, erstarrt.«

Okay, das saß. Gleich daneben lag ein faustgroßer, glatter, säulenförmiger, blauschwarzer Stein ganz anderer Art.

»Hier«, fuhr ich halblaut fort, »liegt nun ein Stück Basalt. Basalt bildet sich aus dünnflüssiger Lava. Die Gase können schnell und ungehindert entweichen, das Ergebnis ist deshalb ein massiver, schwerer Stein. Wenn sich die erkaltete Lava zusammenzieht, bilden sich die typischen Risse, die den Stein in fünfkantige Säulen teilt. Wir sehen sie hier nur als scharfen Kanten. Basalt entsteht immer dann, wenn die Lava mehr als 52 Prozent Silikat enthält.«

Oder waren es weniger als 52 Prozent? Hilfe! Hoffentlich ist kein Vulkanologe in der Gruppe. Ein Prof. stand auf der Teilnehmerliste, und zwei hatten ein Dr. ihrem Namen vorangestellt, die Angeber.

»Entschuldigen Sie bitte, wie viel Silikat enthält Basalt?« Der angesprochene Mann, der die Steine sortierte, war wohl kein Vulkanologe, jedenfalls guckte er verständnislos und deutete auf die junge Frau am Kiosktresen.

»Guten Tag, ich interessiere mich für ihre Ausstellung.« Sie lächelte mich erfreut an, und ich fuhr hoffnungsvoll fort:

»Können sie mir sagen, wie viel Silikat Basalt enthält? Mehr als 52 Prozent oder weniger?«

Wäre der Lärmpegel in der Halle nicht so hoch gewesen, hätte man sicher hören können, wie ihr Unterkiefer herunterklappte.

»Oh, äh, ich bin nur eine Studentin zur Aushilfe. Oben im Informationszentrum des Nationalparks kann man Ihnen sicher eine genaue Auskunft geben.« Sie lächelte mich um Entschuldigung bittend an.

»Oder, halt, warten Sie, ich habe hier eine Liste aller wichtigen Adressen und Telefonnummern auf Teneriffa. Sehen Sie, hier ist die Nummer vom Geologischen Institut, dort können Sie sicher auch anrufen. Und wenn Sie den Silikongehalt erfahren haben, sagen Sie es mir doch bitte. Vielleicht kommen noch mehr Urlauber, die das wissen möchten. Ich bin immer samstags ab 14 Uhr und den ganzen Sonntag hier, oder Sie rufen mich einfach an.« Sie reichte mir eine Visitenkarte des Tourismusverbandes.

So etwas Liebenswürdiges und Bemühtes hatte ich wirklich selten erlebt. Da mochte ich den Versprecher von Silikat und Silikon nicht korrigieren. Hoffentlich würde ich ihn nicht selbst irgendwann einmal machen. Ich schämte mich direkt, dass ich sie mit einer derartig speziellen Frage in Verlegenheit gebracht hatte und bedankte mich deshalb überschwänglich für ihre Hilfe.

Beim Geologischen Institut würde ich selbstverständlich nicht anrufen. Es reichte, wenn ich nachher im Hotel in die vorsorglich mitgeschleppten Fachbücher schaute.

»Die Fluggesellschaft Iberia teilt Ihnen mit, dass der Flug mit der Nummer E 09131 aus Madrid soeben gelandet ist. La compañía Iberia...« Na endlich, alles klar, ich hatte verstanden.

Gut, dass Ramón die Stellung gehalten hatte, denn das Gedränge am Ausgang war enorm. Die Zahl der Typen in Trainingsanzügen hatte sich verdoppelt, sie standen jetzt im Scheinwerferlicht eines Aufnahmeteams von TV 2, und wer stand mittendrin und gab der mit Schmuck behängten, ­falschen Blondine gerade ein Interview? Der Latin Lover. Der nun wieder. Rundherum Schaulustige, wahrscheinlich Fans. Da wurde wohl der CD Tenerife nach einem erfolgreichen Auswärtsspiel zurückerwartet. Aber ich hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, denn kaum hatte ich mich mit dem Schild wieder rechts von der Schranke platziert, kamen schon die ersten Fluggäste aus der Gepäckhalle, und, wunderbar, bei Zweien prangte ein leuchtender »Wegreisen«-Aufkleber auf dem Koffer.

»Hallo und herzlich willkommen auf Teneriffa«, perlte eine mir unbekannte Reiseleiterinnenstimme von den Lippen, dem Träger eines graumelierten Bartes entgegen.

»Danke, ich bin Hajo Kleinschmidt, Hans Joachim steht wohl auf der Teilnehmerliste, und das ist Regina Börnsen«, stellte er eine langbeinige Brünette mit lockigem Pferdeschwanz vor.

Der Herr Professor machte den Anfang. Er hat wohl seine Lieblingsstudentin mitgebracht, war mein erster Gedanke. Sahen aber ganz nett aus, die beiden.

Beim Abhaken auf der Teilnehmerliste entdeckte ich bei Regina Börnsen ein Dr. vor dem Namen. Soviel zum Thema vorschnelle Urteile, um nicht zu sagen Vorurteile, dachte ich und platzierte sie neben Ramón, denn schon stürzten zwei junge Frauen auf mich zu.

»Hallo, du bist bestimmt Lisa, das ist Laura und ich bin Jenny«, sprudelte die erste hervor. Jenny und Laura traten die Reise im Partnerlook an. Beide hatten streichholzkurze, karottenrote Haare, waren komplett schwarz gekleidet und mit reichlich Steckschmuck an sichtbaren und möglicherweise auch unsichtbaren Körperteilen ausgestattet. Bei der zierlichen Laura konzentrierte er sich an den Ohrmuscheln, bei Jenny an den Nasenflügeln.

»Das ist toll, eine Frau als Studienreiseleiterin, eigentlich wollten wir die Wüstentour mit dem Jeep durch Jordanien machen, die sollte ein Kerl leiten. Als das nicht klappte, waren wir erst total sauer. Aber nachdem wir gelesen hatten, dass eine Frau diese Reise leitet, war das nicht nur irgendein Ersatz für uns, sondern sogar eine Verbesserung.«

»Hauptsache, ihr findet das am Ende der Reise auch noch«, erwiderte ich, hakte sie auf der Liste ab und bat sie unverbindlich lächelnd zu Ramón, um nach den nächsten Teilnehmern Ausschau zu halten. Bisher klappte ja alles wie am Schnürchen.

Plötzlich brandete lauter Beifall auf. Die Scheinwerfer des Fernsehteams richteten sich auf vier, fünf junge Männer in grünen Blazern mit Clubabzeichen auf der Brusttasche. Das waren wohl die Spieler vom CD Tenerife.

Auf mich wirkten sie ziemlich klein gewachsen, außerdem sahen sie rührend jung und brav aus, so hatte ich mir Fußballprofis nicht vorgestellt. Das Trainingsanzugskomitee begrüßte sie mit Umarmungen und Rückenklopfern.

»He, das ist ja ein Empfang, wer saß denn da in der ersten Klasse bei uns im Flieger? Ich bin übrigens Burghard Schaubner.«

»Da kommt wohl...«

»Mensch, das ist ja die Mannschaft von Real Madrid. Mensch, das darf nicht wahr sein, da kommt Stefan Neumann. Wahnsinn, dass ich das erleben darf!«

Burghard Schaubner, ein eher unsportlich, wenn nicht sogar wabbelig aussehender Mann von etwa 45 Jahren, mit einem zottelig unter seiner Nase hängendem Schnauzer und einem farblosen, fusseligen Haarkranz, der in alle Richtungen abstand, boxte mir begeistert auf die Schultern. Ein Glück, dass ich nichts von CD Tenerife gesagt hatte, da hätte ich meine Karriere als Reiseleiterin ja beinahe mit einer Falschinformation gestartet.

»Godos, königliche Vasallen«, klang es mir in den Ohren, wieso war ich nicht gleich auf Real Madrid gekommen?

»Ste-fan, Ste-fan, Ste-fan«, skandierten jetzt deutsche Fans, die ihr Glück über diese Begegnung bei der Ankunft auf Teneriffa nicht fassen konnten, und mein Professor und Frau Doktor brüllten mit.

»Este-ban, Este-ban, Este-ban«, zogen die Spanier nach und irgendwie klang das rhythmischer, obwohl ich das »E«, das Spanier jedem St und Sp voran setzen, überhaupt nicht leiden kann, weil es sich immer wie »Äh« anhört.

Stefan Neumann: dreifach gekrönter Fußballer des Jahres. Nur kurz hatte die deutsche Presse ihm übel genommen, dass er zu Real Madrid gewechselt war. Danach überschlugen sich die Berichte über seine Erfolge, und dann kamen die Homestorys. Der große Neumann mit seiner kleinen Frau und den niedlichen Kindern am Pool seiner Hacienda, das Rassepferd am Zügel haltend, im Hintergrund leuchtete der rote Ferrari.

Ja, sogar ich erkannte ihn, als er durch die jetzt weit geöffnete Tür in die Ankunftshalle trat, denn er hatte zu Rudis »Riesen« in der deutschen Nationalmannschaft 2002 gehört, die zum Erstaunen der deutschen Fans die Vizeweltmeisterschaft erkämpft hatte. Er überragte alle Anwesenden um Haupteslänge. Weil in diesem Moment keine weiteren Fluggäste die Gepäckhalle verließen, konnte ihn die Kamera ungehindert erfassen.

Genau dieser Stefan Neumann stutzte jetzt, drehte sich, wohl überwältigt von dieser herzlichen Aufnahme, den Beifall klatschenden Menschen zu, dann verbeugte er sich und bedankte sich artig für den Applaus, ließ dabei ein Lächeln aufblitzen und strich mit der bekannten Geste seine weißblonde Tolle aus der Stirn.

Ein Aufstöhnen der weiblichen Fans begleitete die Handbewegung.

»Ach, ist der süüüß«, hauchte mir jemand ins Ohr. War das etwa Laura oder Jenny?

Und überhaupt, warum kam Stefan Neumann direkt auf mich zu? Der gehörte doch gar nicht zu meiner Gruppe. Stand ich im Weg? Der kannte mich doch gar nicht! Guckte er mich so intensiv an oder jemanden hinter mir?

Es gab es keinen Irrtum. Die wasserblauen Augen des Jahrhundertspielers bohrten sich geradewegs in meine veilchenblauen. Und dabei sah ich doch in dieser Wanderaufmachung nicht einmal gut aus. War denn die ganze Welt verrückt?

Als er den Mund öffnete, die Arme ausstreckte und, ausgeleuchtet von Scheinwerfern, die Tasche fallen ließ, um sich zu mir zu beugen, machte ich einen Schritt zurück. Das wurde mir nun doch zu intensiv. Nur, hinter mir stand noch das Gepäck von Burghard, Jenny und Laura, und so stürzte ich hintenüber in eine Landschaft aus Reisetaschen und Rucksäcken, und Stefan Neumann landete über mir.

Da lag ich nun, mit vor Pein geschlossen Augen, er reichlich schlaff auf mir, den Kopf auf meinem Busen gebettet. Wirklich, unmöglich das ganze. Aber, warum war es plötzlich so still?

Vorsichtig öffnete ich die Augen. Vor mir seine berühmte Tolle, doch die sah überhaupt nicht mehr weißblond aus, sondern ziemlich rot und in seinem Gesicht blitzte kein Lächeln auf. Langsam dämmerte mir, dass darin niemals mehr etwas aufblitzen würde. Stefan Neumann, der Champ, lag nicht nur auf mir, Stefan Neumann war tot.

Wäre das hier ein B-Movie gewesen, hätte ich jetzt schrecklich schreien müssen. Aber ich kann B-Movies und schreiende Frauen in Filmen nicht ausstehen. Ich schrie also nicht. Hätte ich auch nicht gekonnt, denn ich musste die Lippen zusammenpressen, weil mir ungeheuer schlecht geworden war.

Es war Ramón gewesen, der alles geregelt hatte. Er schaffte es, alle zwölf Gruppenmitglieder in dem Menschenknäuel, das sich rasch um uns gebildet hatte, zu finden und heraus zu leiten. In einer kurzen, aber heftigen Diskussion brachte er es sogar fertig, eine kräftige Gestalt von der Policía Nacional davon zu überzeugen, dass sie mich und die Gruppe jederzeit im Hotel erreichen und dort ausgiebig befragen könnten. Dann hakte er mich unter und marschierte, alle weiteren Polizisten ignorierend und die vor mir herlaufenden Kameraleute und Journalisten beiseite schiebend, mit uns zum Bus.

»Lass mal stecken«, sagte er, nachdem er unseren verstörten Haufen an der Hotelrezeption mit einigen erklärenden Worten abgeliefert hatte und ich aus lauter Dankbarkeit einen Fünf-Euro-Schein aus meiner Tasche fischte. »Ich weiß doch, was Reiseleiter verdienen.«

Ja, ich war immer noch die Reiseleiterin, und zwölf Augenpaare schauten mich erwartungsvoll an, während sich die gläsernen Flügeltüren mit dem eingravierten Schriftzug »Hotel Médano« hinter Ramón auspendelten. »Trotz alledem würden wir gerne wissen, wie es weiter geht, unser Urlaub hat angefangen, und wir haben schließlich eine Gruppenreise gebucht, damit wir uns um nichts kümmern müssen.«

Ein mir noch unbekannter, blonder, athletischer Typ mit hirsch­ledernen Kniebundhosen und kariertem Flanellhemd sprach aus, was alle dachten. Jedenfalls nickten elf Köpfe dazu.

»Ähm, ähm...« Ich musste mich erst einmal frei räuspern und auf die Schnelle ein paar klare Gedanken zu fassen.

»Nach diesem aufregenden Anfang«, versuchte ich einen müden Scherz, auf den niemand reagierte, »kann es ja nur ruhiger weitergehen. Ich denke, Sie würden morgen gern ausschlafen, es ist schließlich schon spät. Wir treffen uns deshalb erst um 10 Uhr nach dem Frühstück im Fernsehraum zu einer Vorstellungsrunde und dem Programmgespräch. Den Speisesaal, in dem das Frühstück eingenommen wird, finden Sie, wenn Sie diesen Gang geradeaus durchgehen, die Bar liegt dahinter. Alle, die noch nicht müde sind, lade ich in 30 Minuten dort zu einem Getränk ein«.

Wenn es ein Problem gegeben hat, solltest Du nicht viel erklären, sondern einen ausgeben, hatte Frank mich in seine gesammelten Reiseleitererfahrungen eingeweiht. Dann würden sie ihren Ärger vergessen und wären wieder froh.

Alle nickten, aber fröhlich sah niemand aus.

Der heiße Wasserstrahl brauste auf meinen Kopf und spülte die letzten roten Flecken aus dem Haar. Nur nicht hinsehen, sonst verlierst du wieder die Fassung, sagte ich mir.

Was war eigentlich genau passiert? Warum war Stefan Neumann tot auf mir gelandet? Hatte jemand geschossen oder ein Messer geworfen? Einen Schuss hatte ich jedenfalls nicht gehört, aber ich war ja auch voll auf meinen neuen Job konzentriert gewesen. Vielleicht hatte der Schütze auch einen Schalldämpfer benutzt. Ich drehte den Hahn energisch erst auf Kalt und dann auf Aus. Beim Trockenrubbeln sah ich die unglückliche Szene wieder vor mir.

Stefan Neumann wurde hochgehoben und entschwand aus meinem Blickfeld. Um mich herum Straßenschuhe, Sandalen und jede Menge Wanderstiefel. Aber die interessierten mich im Moment nicht, ich kämpfte noch immer gegen die Übelkeit.

»Hallo, sind Sie verletzt?«, eine Männerstimme über mir. Er hielt mir ein Fläschchen unter die Nase, ich atmete ein, mir wurde wohler, und ich schaute hoch. Trainingsanzug, behaarte Brust, Goldkettchen, der Typ war wohl Mediziner, Sanitäter, Masseur oder sonst irgendjemand aus der Wiederbelebungstruppe vom CD Tenerife.

Ich betastete meinen Kopf, bewegte Arme und Beine. »Bin wohl okay«, kam es krächzend aus meinem Mund.

Er lenkte den Strahl einer Minitaschenlampe in meine Augen und verkündete: »Kein Schock, die ist in Ordnung.«

Jemand wischte mir das Gesicht ab und streifte mir eine Jacke über. Das war Laura. Ich war ihr unendlich dankbar. Ramón nahm meinen Arm, ich rappelte mich hoch, hinter mir setzte das Surren von Kofferrädchen ein, dann stolperte ich nach draußen in die kühle Nachtluft und konnte endlich wieder richtig durchatmen.