Tod auf dem Mars - John E. Brandenburg - E-Book

Tod auf dem Mars E-Book

John E. Brandenburg

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Beschreibung

DER TOD KAM PER NUKLEARWAFFEN Auf dem Mars wurde vor langer Zeit eine komplette Zivilisation mit Nuklearwaffen ausgelöscht. Dies ist die Geschichte einer wissenschaftlichen Spurensuche, die sich über mehrere Jahrzehnte erstreckt. Dr. John Brandenburg ist Plasmaphysiker und hat im Lauf seiner Karriere unter anderem am Lawrence Livermore National Laboratory geforscht. Seine akribischen Analysen der vielen Daten, die der Wissenschaft mittlerweile durch Fotos, Gesteinsproben und Isotopenanalysen vom Mars zur Verfügung stehen, lassen nur einen Schluss zu: Der Mars war einst ein erdähnlicher Planet mit einer blühenden Zivilisation. Zwei gigantische Nuklearwaffen jedoch vernichteten in grauer Vorzeit dort alles Leben und machten den roten Planeten bis heute unbewohnbar. Für uns auf der Erde hat diese Entdeckung weitreichende Folgen: Wenn eine solche Tat auf dem Mars geschah – wie können wir sicher sein, dass ein solches Schicksal nicht eines Tages auch unserer Zivilisation droht? Wir sollten alles daransetzen, um uns und unsere Nachkommen davor zu schützen! Dafür ist es unabdingbar, dass wir die Technologie der Raumfahrt schnellstens so weit entwickeln, dass bemannte Missionen zum Mars möglich werden, um ein klareres Bild der verbliebenen Spuren und der Geschehnisse zu entwickeln. Wir dürfen nicht weiterhin dem Irrglauben anhängen, dass wir im Weltraum allein wären. Die Spuren auf dem Mars sprechen eine deutliche, unwiderlegbare Sprache. WIR SIND NICHT ALLEIN IM UNIVERSUM

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John Brandenburg

Tod auf dem Mars

Die Entdeckung eines planetaren nuklearen Massakers

John Brandenburg

Tod auf dem Mars

Titel der Originalausgabe: „Death on Mars“

1. Auflage, 2018

Deutsche Übersetzung: Alexandra Kühn, Markus Lebmann

Layout: Inna Kralovyetts

www.mosquito-verlag.de

© Copyright 2018, Mosquito Verlag, Immenstadt

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieses Buchs darf vervielfältigt, abgespeichert, in eine Datenbank bzw. ein anderes Datenabfragesystem eingefügt oder in irgendeiner Form mithilfe einer bereits bekannten oder erst in Zukunft entwickelten Methode ohne die vorherige ausdrückliche schriftliche Genehmigung des Inhabers der Urheberrechte sowie des Herausgebers dieses Buchs verbreitet werden. Unter anderem fallen darunter alle mechanischen und elektronischen Verfahren und die Anfertigung von Fotokopien und Aufzeichnungen.

ISBN 978-3-943238-59-4

Widmung

Den ersten Menschen gewidmet, die in Cydonia landen werden.

Vorwort: Die Brücke ins All

Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht.

Erster Brief des Paulus an die Korinther: Kapitel 13, Vers 12

An Thanksgiving beginne ich damit, meinen Bericht über eine der gewaltigsten und erschütterndsten Entdeckungen unserer Epoche niederzuschreiben. Thanksgiving ist der Tag, an dem wir über unser Dasein nachdenken, an dem wir Gott und unseren Mitmenschen Dank aussprechen für all die Segnungen, zu denen auch das Leben selbst zählt.

Wie der Leitgedanke des Tages, an dem ich mit der Niederschrift meiner Darstellung beginne, ist dieses Buch eigentlich ein Gebet, eine dringende Bitte darum, dass die Menschheit erkennen möge, wie glücklich sie sich schätzen kann, die Erde und einander zu haben. Und ferner, dass sie, sobald sie um ihr Glück weiß, sich weiterentwickeln möge, um es festzuhalten. Denn jenseits unseres leuchtenden Erdkreises klaffen die Abgründe des Weltraums, und auf der anderen Seite dieses Schlunds befindet sich der Rote Planet. Der Mars, der so wüst ist und leer, wie die Erde vor Leben strotzt, birgt eine Geschichte, die in sein Gestein geritzt und eingebrannt ist. Diese erstaunliche und gleichzeitig erschreckende Geschichte handelt von überschwänglichem Leben, aber auch vom katastrophalen Tod. Sie weiß von wissenschaftlichen Entdeckungen zu erzählen, die so gewaltig sind, dass man ihresgleichen vergeblich sucht und enthält eine Warnung, die ebenso sehr überraschend wie ernüchternd ist.

Mein Vater, der im Zweiten Weltkrieg 25 Kampfeinsätze in einem B24-Bomber über Deutschland flog.

Meine Erzählung setzt im malerischen Albuquerque ein, das nahe der Painted Desert im Südwesten der Vereinigten Staaten gelegen ist; sie beginnt während der eisigen Tiefpunkte des Kalten Krieges, unweit eines der vielen „Ground Zeroes“ dieses Konflikts. Ich hatte dort eine Stelle an einer der großen staatlichen Forschungseinrichtungen – den Sandia National Laboratories (SNL), die nach dem in rote Farbe getauchten Gebirge nordöstlich von Albuquerque benannt worden waren – angenommen und forschte an Energiewaffen. Meine Aufgabe im Dienste der Landesverteidigung bestand in der Perfektionierung eines neuen, zerstörerischen Strahls, der den Laserstrahl ausstechen sollte. Ich selbst war stets ein überaus patriotischer Staatsbürger gewesen, und mein Vater sowie mein Onkel waren Veteranen des Zweiten Weltkriegs.

Mein Vater hatte den Verlust von drei Vierteln der Bomber seines Verbandes überlebt, wobei er dies stets auf „reines Glück“ zurückführte.1Folglich war es für mich die natürlichste Sache der Welt, zur Verteidigung unseres Landes beizutragen.Der Kalte Krieg, bei dem die gegenseitige nukleare Auslöschung drohte, kam mir wie ein Albtraum vor, der dazu angetan war, mir den Verstand zu rauben. Und ich bewegte mich an vorderster Forschungsfront.

Während meiner Studentenzeit hatte ich Russland besucht und war zwei Wochen lang durch das Land gereist. Bei meiner Rückkehr hatte sich meine patriotische Gesinnung sogar noch verstärkt, doch verspürte ich gleichzeitig eine tiefe Zuneigung zu Land und Leuten. Der Anblick von russischen Müttern in den Fernsehnachrichten, die um ihre in Afghanistan gefallenen Söhne weinten, erfüllte mich mit tiefer Traurigkeit.

Am SNL versuchten wir, hochenergetische Elektronenstrahlen in die Luft abzufeuern – eine Art von zielgerichtetem Blitzschlag. Die Elektronen sausten aus einem Beschleuniger, der zufällig auf einem russischen Entwurf beruhte. In der Theorie sollten sie fast mit Lichtgeschwindigkeit geradewegs auf ein Ziel zufliegen, es treffen und – wie Röntgenstrahlen – Energie freisetzen, sodass es unter Entwicklung von weißem, heißem Dampf explodieren würde. Die energiereichen Elektronenstrahlen wollten es allerdings lieber den Blitzen gleichtun, die so häufig den Himmel über Albuquerque zierten, und dachten keine Sekunde daran, geradeaus zu fliegen. Wie ein Schwarm aufgescheuchter Spatzen flogen sie in diese Richtung und in jene, um schließlich – unter Missachtung all unserer Versuche, sie präzise auszurichten – einem beliebigen sinusförmigen Pfad zu folgen. Die Elektronen reagierten dynamisch auf das elektrisch leitfähige Plasma, das sie dadurch erzeugten, dass sie ein Loch in die Luft bohrten. „Plasma“, der vierte Aggregatzustand, bezeichnet ein glühendes, elektrisch leitfähiges Gas, aus dem die Sterne, das Polarlicht, Leuchtstoffreklame, Blitze und 99 Prozent des Universums bestehen. Für uns lag die Schwierigkeit darin, dass das Plasma, das sich in der Luft um die Elektronenstrahlen herum bildete und – ähnlich wie poliertes Metall – als elektrischer Leiter fungierte, eine Reflexion oder einen „Bildstrom“ auf den Elektronenstrahl hervorbrachte, sodass dieser von seinem eigenen Abbild zurückgeworfen wurde. Die Strahlen durchbohrten also die Luft, erzeugten eine Plasmaschicht, die sie umschloss, erkannten darin ihr eigenes Spiegelbild und schlugen wie wild um sich, um ihm zu entkommen. Gewissermaßen war ich von den Sandia National Laboratories als Psychiater für die Elektronen angeworben worden, um ihnen irgendwie beizubringen, die Furcht vor ihrem eigenen Spiegelbild abzulegen, damit sie geradeaus fliegen und an den Zielen, auf die wir sie ausrichteten, ihre unerbittliche Mission erfüllen würden. Als Wissenschaftler war ich dazu ausgebildet worden, mit Plasmen zu arbeiten.

Elektronenstrahl in einem Fast-Vakuum.

Während meines Studiums hatte ich mich im Zusammenhang mit der Lösung des großen Problems, dem sich die Menschheit gegenübersah – dem Energieproblem – mit Plasmen beschäftigt. Meine Doktorarbeit hatte ich über die Schwierigkeit verfasst, Plasmen einzuschließen, die heißer als das Zentrum eines Sterns sind. Dadurch sollte die Menschheit in den Genuss von kontrollierter Fusionsenergie kommen – eine sicherere und sauberere Form der Kernenergie. Man kann sagen, dass meine Kollegen und ich versuchten, die Sternenenergie auf die Erde zu holen. Ich hatte meine Doktorarbeit an einer staatlichen Forschungseinrichtung, dem Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL), begonnen und war dabei von dem glänzenden Wissenschaftler Richard F. Post betreut worden. Während unserer gemeinsamen Zeit konnten wir im Bereich der kontrollierten Fusion enorme Fortschritte erzielen. Mit dem Regierungswechsel und der Ablöse von Carter durch Reagan war jedoch eine Verschiebung der Prioritäten verbunden: Die Forschung über kontrollierte Fusion sollte von nun an weniger Fördermittel erhalten, stattdessen wollte man das eisige Feuer des Kalten Krieges schüren. Mein Traum, daran beteiligt zu sein, wie der Menschheit eine strahlende, warme Zukunft beschert werden würde, zerschlug sich – all meine Bemühungen um einen Arbeitsplatz im Bereich der kontrollierten Fusion verliefen erfolglos in einer Zeit, in der die Budgets gestrafft wurden. Um mein Versprechen, das ich meiner Frau gegeben hatte, zu erfüllen, nahm ich eine Stelle auf dem Gebiet der Energiewaffen-Forschung an; denn nach den Entbehrungen während des Studiums hatte ich ihr „einen guten Job, ein schönes Haus und Wohlstand“ in Aussicht gestellt. Die geistige Umstellung war knallhart für mich, aber ich war immer darauf bedacht gewesen, unverdrossen meinen Weg zu gehen. So war ich froh darüber, diesen Job erhalten zu haben. Doch alles hatte seinen Preis.

Plasma innerhalb eines Tokomak-Reaktors zur Fusion mittels magnetischen Einschlusses.

Am LLNL, das von der University of California verwaltet wird, wurde Wissenschaft in einer überwiegend akademischen Manier betrieben – soweit ich, tief begraben in der Abteilung für Fusionsenergie mittels magnetischen Einschlusses wie ich war, das beurteilen konnte. Doch immerhin wusste ich, dass man sich am anderen Ende des riesigen Laborkomplexes mit den physikalischen Grundlagen der Wasserstoffbombe und deren Basiskonstruktion beschäftigte, um Amerika aufzurüsten. Die Hochschule, die ich besuchte, wurde informell „Teller Tech“ genannt, weil Edward Teller, ein Mann, den ich zutiefst schätzte, sie gegründet hatte. Teller half dabei, Albert Einstein davon zu überzeugen, einen Brief an Franklin D. Roosevelt zu unterzeichnen, in dem die Gefahren, die damit verbunden wären, wenn Adolf Hitler die Atombombe im Zweiten Weltkrieg vor den USA und Großbritannien zur Verfügung hätte, thematisiert wurden – eine äußerst realistische Bedrohung. Edward Teller erfand später die Wasserstoffbombe – und zwar um Haaresbreite vor Andrei Sakharov, der sie für Joseph Stalin entwickelte. Deshalb war ich stolz, Absolvent dieser Hochschule zu sein.

Edward Teller

Eine Zeitlang hatte ich im hochgeheimen Endtrakt des LLNL mit der Arbeit an der Laserfusion zugebracht, wobei meine Tätigkeit den Versuch darstellte, die Wasserstoffbombe zu miniaturisieren, damit ihre Energie in einer Reihe von Mikroexplosionen freigesetzt werden konnte. Dieses Unterfangen erforderte viel Wissen, das bei der Entwicklung der Atombombe erworben worden war. Ich konnte mir in dieser Zeit grundsätzliche Kenntnisse über Entwicklung und Funktionsweise von Atomwaffen aneignen. Beim Laserfusionsprojekt war man weniger akademisch eingestellt, sondern eher ergebnisorientiert. Die Forschungsresultate wurden stärker nach ihrem Einfluss in der Welt bemessen und waren eher nicht dazu gedacht, einen allumfassenden Erkenntnisdrang zu stillen. Mein Betreuer bei diesem Projekt, der große Dr. Harry Sahlin, starb während der Zeit, in der ich für ihn arbeitete, tragischerweise an Herzversagen. Deshalb wechselte ich zurück an den Magnetfusions-Flügel des Laborkomplexes. Als ich in der entspannteren und akademischeren Atmosphäre der Abteilung für Magnetfusion, wo die Fusionsenergie wie eine sanfte Gasflamme freigesetzt werden sollte, mit einer neuen Doktorarbeit beschäftigt war, erschien der Kalte Krieg eher als Abstraktion. Die wissenschaftlichen Untersuchungen wurden zum Selbstzweck durchgeführt. All das änderte sich, nachdem ich meine Abschlussarbeit fertiggestellt hatte und den Job am SNL antrat: Das Livermore-Forschungszentrum befand sich in einer kleinen Studentenstadt, die sich einer Wissenschaft verschrieben hatte, von der die Menschheit profitieren sollte, das SNL war damals eine Festung in der Wüste.

Andrei Sakharov

Das SNL, ein riesiger, von einem doppelten Sicherheitszaun umgebener Komplex, lag unweit der rostbraunen Berge, denen es seinen Namen zu verdanken hatte. Am südöstlichen Rand von Albuquerque befindlich, erstreckte sich die Anlage im Süden bis in die rötlich gefärbte Hochwüste, von der die Stadt umgeben war. Der ohnehin doppelte Sicherheitszaun um das SNL war von einem weiteren Sicherheitszaun umgeben, der den Luftwaffenstützpunkt Kirtland abriegelte. Hier waren auch das Waffenlabor der Air Force und das Manzano Nuclear Weapons Depot untergebracht. Manzano Mountain, ein ausgehöhlter, in südlicher Richtung weit draußen in der Wüste gelegener Berg, war von einem dreifachen Zaun aus glänzendem Stacheldraht umgeben. Dort lagerten, wenn man den Gerüchten Glauben schenken durfte, tausende Atomwaffen. Im Falle eines Atomkrieges würde dieses Nuklearwaffenlager – so mutmaßten meine Kollegen am SNL – wahrscheinlich hundert sowjetische Atomsprengköpfe anlocken und Manzano Mountain, das SNL und Albuquerque in einen riesigen glühenden Krater verwandeln.

Amerikanischer Wasserstoffbombentest

Es ist schwierig, den damaligen Zeitgeist nachzuempfinden, besonders die Einstellung derjenigen von uns, die in den frühen 1980er Jahren, als der Kalte Krieg mit eisiger Heftigkeit tobte, in der Landesverteidigung tätig waren. Die Erinnerung an diese Tage, in denen die nukleare Auslöschung des Menschengeschlechts nie mehr als 30 Minuten entfernt war, ist bei den meisten – gnädigerweise – verblichen. Die Sandia National Laboratories waren im Unterschied zu Livermore eine eher an der Ingenieurswissenschaft orientierte Forschungseinrichtung, deren Hauptaugenmerk auf der detaillierten technischen Planung für den Bau von Atomwaffen lag. Darüber hinaus sollte sichergestellt werden, dass die Waffen reibungslos funktionieren würden, wenn sie zum Einsatz kämen, am Tag des Jüngsten Gerichts also. An diesem schicksalhaften Tag sollten unsere Bomben nichts zu wünschen übrig lassen. „Keine Blindgänger beim Weltuntergang“, lautete das inoffizielle Motto am SNL. Man arbeitete zuverlässig und professionell.

Zahlreiche Laserstrahlen werden gebündelt, um die Laserfusion zu erforschen.

Der Kalte Krieg, damals in der Magnetfusions-Abteilung von Livermore nur eine abstrakte Bedrohung, wurde mir jeden Morgen, wenn ich am SNL zur Arbeit erschien, mit aller Wucht in Erinnerung gerufen. Der Kalte Krieg war eine Auseinandersetzung zwischen Menschen, die in Freiheit lebten und solchen, denen dies verwehrt blieb. Nach meiner Russlandreise wusste ich das nur zu gut. Allerdings stellte der Kalte Krieg auch eine gewaltige Pattsituation zwischen den USA und ihren Verbündeten aus der NATO einerseits sowie der Sowjetunion und den Warschauer-Pakt-Staaten andererseits dar. Beide Staatenbündnisse verfügten über Nuklearwaffen, die auf die jeweils andere Seite gerichtet waren. Unter gegenseitigen Drohungen lagen die Finger auf dem Abzug. Jeder – insbesondere, wenn man mit der Landesverteidigung betraut war – wusste, dass es nur eines unschuldigen Geräuschs bedurfte, das für einen Gewehrschuss gehalten wurde, um beide Seiten dazu zu bringen, Atomwaffen aufeinander abzufeuern. Dass das Leben in dieser Zeit in gewohnten Bahnen verlaufen konnte, war ein Triumph der menschlichen Fähigkeit, Probleme wie die Vorstellung eines Weltuntergangs auszublenden – und zwar zugunsten der alltäglichen Herausforderungen wie dem Erstellen einer Einkaufsliste für den Supermarkt und dem Finden des richtigen Wegs zur Arbeit.

Der Kalte Krieg: Westdeutsche und amerikanische Truppen beobachten die innerdeutsche Grenze.

Mein eigener Weg zur Arbeit führte mich tagtäglich an einem bärtigen Mann vorbei, einem ehemaligen Mitarbeiter des SNL, der nun vor dem Haupteingang stand und ein Transparent hochhielt, auf dem die Frage gestellt wurde: „Würde Jesus in dieser Todesfabrik arbeiten?“ „Das kann man ausschließen“, witzelte einer meiner Kollegen beim Mittagessen, „Er würde keine Sicherheitsfreigabe erhalten.“

Sowjetische Panzer: Der Warschauer Pakt war der NATO weit voraus, was konventionelle Waffen betraf.

1982, mein erstes Jahr am SNL war gut verlaufen – ich hatte den tollen Job, das schöne Haus und insgesamt das Leben in Wohlstand erreicht, wie ich es meiner Frau versprochen hatte. Ich erinnere mich daran, dass ich eines Sommertages im Jahr 1983 in der Abenddämmerung in meinem Hausgarten inmitten der schönen nordöstlichen Höhenzüge von Albuquerque herumspazierte und die vertrockneten Stellen in meinem gepflegten grünen Rasen mit dem Gartenschlauch bewässerte. Dabei sagte ich zu Gott: „Mein Glück ist perfekt“. Darüber hinaus kann ich mich daran erinnern, ein schicksalhaftes Gebet gesprochen zu haben: „Gott, wenn Du einen ausgebildeten Wissenschaftler für irgendeine Aufgabe brauchen kannst – ich bin Dein Mann.“ Ich hatte keine Ahnung davon, mit welch wunderbarer, gewaltiger und schauderhafter Mission mich Gott betrauen würde. Bereits kurze Zeit später sollte sich der Schatten des Planeten Mars auf uns alle legen – auf meine Familie, auf meine Kollegen und auf mich.

Kriegsgott Mars

Mars, der Rote Planet, der Planet des Krieges, hatte die Menschen von alters her fasziniert und in den Aufzeichnungen der königlichen Astrologen eine wichtige Stellung eingenommen. Königreiche zahlten große Summen an Sterndeuter, damit sie die Bewegungen des Planeten, der Auskunft über das Schlachtenglück gab, mit aller Sorgfalt verfolgten. Zu diesen königlichen Astrologen gehörte Tycho Brahe, der mit dem modernen Kopernikanischen Weltbild vertraut war. Kopernikus hatte – den Ideen des Aristarchos von Samos, mehr als anderthalb Jahrtausende vor ihm, folgend – vorgeschlagen, dass die Sonne und nicht die Erde im Zentrum des Universums stünde. Darüber hinaus hatte Kopernikus behauptet, dass die Planeten, auch die Erde, in Kreisbahnen um die Sonne zögen. Diese Sicht der Dinge war bei religiösen Würdenträgern äußerst unbeliebt und brachte deshalb Kopernikus’ Veröffentlichung einen der vordersten Plätze auf dem Index der verbotenen Bücher der Katholischen Kirche ein. Galileo Galilei, der die Kunst beherrschte, Glaslinsen für Fernrohre herzustellen, fand Beweise für das grundsätzliche Kopernikanische Modell und wurde für seine Behauptungen für den Rest seines Lebens unter Hausarrest gestellt. Die Erde aus dem Mittelpunkt des Kosmos zu entfernen, war gleichbedeutend damit, die Menschheit und ihre autoritären Institutionen ihrer zentralen Bedeutung zu berauben – ein Akt der Demontage, den die Obrigkeit gar nicht schätzte. Vom selben Schicksal war einst auch Aristarchos von Samos ereilt worden, mit dem Unterschied, dass die erzürnte Priesterschaft damals Ares [römisch: Mars] und Zeus [römisch: Jupiter] angebetet hatte. Tycho Brahe, der genau wusste, wer ihm die Butter aufs Brot strich, lehnte das Kopernikanische Weltbild offiziell ab, während er insgeheim dessen Genauigkeit überprüfte. Es handele sich tatsächlich um ein brauchbares Modell, erzählte er seinem Assistenten Johannes Kepler – abgesehen davon, dass die Umlaufbahn des Mars zweifellos kein vollkommener Kreis sei, dessen Mittelpunkt in der Sonne liege. Mit dieser schicksalhaften Bemerkung nahm die wissenschaftliche Revolution ihren Anfang – eine Revolution, die einst nicht nur Atomwaffen, sondern auch Transportraketen, um sie auf Ziele auf der Erde abzufeuern, hervorbringen sollte und natürlich meinen Job am SNL.

Johannes Kepler

Alles hatte mit der Umlaufbahn des Mars begonnen, die offensichtlich nicht kreisförmig war. Als Kepler die Umlaufbahn des Mars erforschte und sich dabei Tycho Brahes sorgfältiger und höchst exakter Aufzeichnungen bediente, fand er heraus, dass sich der Mars auf einer elliptischen Bahn bewegte – ein Kreis, der leicht ins Ovale gezogen war – und berechnete die Gesetze der Planetenbewegungen. Später würde Newton Keplers Arbeiten heranziehen, um die elliptische Umlaufbahn des Mars mithilfe seiner Gravitationstheorie zu erklären und in diesem Zuge die Grundgesetze der Bewegung und die Infinitesimalrechnung entwickeln. Diese Erkenntnisse würde Newton in seinem Buch „Philosophiae Naturalis Principia Mathematica“ veröffentlichen und damit die Welt und die Art und Weise revolutionieren, wie Probleme gelöst werden. Die Newtonschen Bewegungsgesetze sollten zum Werk von Tsiolkovsky führen, der die Raketengrundgleichung entdeckte und auch, dass flüssige Brennstoffe mit ihren leichten Molekülen am besten für Reisen in den Weltraum geeignet wären.

Der wissenschaftliche Fortschritt ließ den Mars nur noch verlockender erscheinen. Ein gründlicheres Verständnis der Optik ermöglichte weitaus bessere Fernrohre, als sie Galilei herzustellen vermochte, um sie auf den Mars zu richten.

Isaac Newton

Seitdem ist der Mars zum wissenschaftlichen Außenposten der menschlichen Sphäre geworden. Wir knüpften zarte Bande zu einem Objekt, das im Rest des Universums unserer Erde glich. Der Blick durch ein Spiegelteleskop offenbarte den strahlenden Mars, überzogen von einem Feld aufwallender, erdähnlicher atmosphärischer Turbulenzen. Seine weißen Polkappen waren problemlos sichtbar, und das galt auch für die Staubstürme in seiner von Winden gepeitschten Atmosphäre. Der Mars zeigte eindeutig auf, dass es Planeten gab, die der Erde glichen und ließ vermuten, dass auch andere Sterne von erdähnlichen Planeten umkreist werden könnten. Percival Lowells Teleskop mit seinen großartigen Glaslinsen, das hoch in der Wüste in der Nähe von Flagstaff (Arizona) errichtet worden war, bot vermutlich unter allen Teleskopen weltweit die beste Aussicht auf den Mars. In den Augenblicken, in denen die Atmosphäre ruhig war, wurden tausende von feinen, fragilen Detailstrukturen auf der Marsoberfläche deutlich sichtbar, um wieder zu verschwinden, sobald die irdische Wettersphäre von Luftbewegungen aufgewühlt wurde. Für gewöhnlich fertigte Percival Lowell in günstigen Momenten Skizzen seiner Beobachtungen an, war das menschliche Auge doch das beste optische Hilfsmittel für die Protokollierung, das es zu jener Zeit gab. Unermüdlich arbeitete er ganze Nächte durch und füllte während der „Manifestationen“ des Mars – wenn sich die Umlaufbahnen von Mars und Erde am stärksten annäherten – einen Notizblock nach dem anderen mit seinen Skizzen. Diesen erschöpfenden Nächten entsprangen Materialien und Karten, die Lowell nutzte, um Bücher über den Mars zu schreiben. In Übereinstimmung mit anderen Beobachtern glaubte er, Kanäle auf dem Mars zu erkennen, die für die Existenz von intelligentem Leben sprachen, woraufhin er in seinen Büchern einschlägige Karten veröffentlichte. Darüber hinaus zeichneten viele Beobachter eine offensichtliche Welle der Verdunkelung auf, als die Polkappen in den Mars-Sommern schrumpften, was für pflanzliches Leben in sommerlicher Blüte sprach. All das machte den Mars zum Gegenstand von Träumen und zum reizvollen Ziel für Forschungsreisende. Doch wie sollte man dorthin gelangen? Darin bestand die Schwierigkeit. Andere Menschen wiederum dachten, dass ein bewohnter Mars womöglich mit seinen eigenen Problemen zu kämpfen hätte.

Percival Lowell

Im Jahr 1906 war es der Mars, der in H. G. Wells’ „Krieg der Welten“ für die erste extraterrestrische Invasion auf der Erde verantwortlich zeichnete. In der brutalen Schilderung des Überfalls der Marsianer auf das Viktorianische England überwältigten die Kriegsmaschinen vom Mars das irdische Militär mit laserähnlichen Hitzestrahlen sowie Giftgas und nutzten Menschen als Nahrungsquelle. Für Robert Goddard, der das Buch im Alter von 16 Jahren verschlang, wurde der Mars dadurch nur noch faszinierender. Ein Jahr später, als er auf einen Kirschbaum kletterte, um ihn zu beschneiden, wurde er von einer Art Erleuchtung heimgesucht, die er folgendermaßen beschrieb:

Percival Lowells Karte vom Mars, mit Polkappen und Kanälen.

„An jenem Tage erkletterte ich den großen Kirschbaum hinter der Scheune … und als ich meinen Blick über die Felder im Osten streifen ließ, malte ich mir aus, wie wundervoll es doch wäre, eine Maschine zu erschaffen, die so leistungsstark wäre, dass sie hinauf bis zum Mars reisen könnte; und wie eine verkleinerte Version aussehen mochte, wenn sie von der Wiese zu meinen Füßen emporgeschickt würde. Seither habe ich etliche Fotografien von diesem Baum gemacht, an dem die kleine Leiter lehnte, die ich zum Hinaufklettern angefertigt hatte. Es schien mir dann, dass ein Gewicht, das um eine waagrechte Spindel herumwirbelte und sich dabei schneller hinauf als hinunter bewegte, vermittels der größeren Zentrifugalkraft im oberen Bereich der Umlaufbahn, an Höhe gewinnen konnte. Als ich wieder vom Baum herunterkam, war ich nicht mehr derselbe Junge. Endlich schien mein Leben einem Ziel entgegenzustreben.“2

Robert Goddard

Robert Goddard sollte die erste mit flüssigem Brennstoff betriebene Rakete entwerfen, konstruieren und starten. Als seine Raketen später an Größe und Reichweite zunahmen, entschloss er sich dazu, seine Raketenforschung an einen abgelegenen Ort zu verlegen, an dem niemals etwas geschah: Roswell, New Mexico. Hier wurde die moderne Rakete geboren, die eines Tages Satelliten in die Erdumlaufbahn bringen und Sonden zum Mars schicken würde, und sie entwickelte sich prächtig.

Dass der Mars ebenso wie die Erde Leben barg, wurde zur weithin anerkannten Vorstellung. Doch das sollte sich rasch ändern, als die ersten Marssonden – die Früchte einer wissenschaftlichen Revolution, die ausgerechnet vom Mars inspiriert worden war – den Roten Planeten erreichten und ihn aus nächster Nähe und ohne den störenden Einfluss der turbulenten Erdatmosphäre fotografierten.

Eine von Goddards Raketen in Roswell (New Mexico).

Der Mars, wie ihn die Roboteraugen von Mariner 4 auffingen, war eine trostlose Einöde, ein mit Kratern übersäter, mondähnlicher Himmelskörper. In den Augen der Menschen, die tief in den Kalten Krieg verstrickt waren – ein Krieg, der jederzeit zu nuklearer Hitze aufflammen konnte – präsentierte sich der Mars, wie die Erde in ihren schlimmsten Befürchtungen erschien: So wie der Mars würde unser Heimatplanet aussehen, wenn ein Atomkrieg das Menschengeschlecht schon vor langer Zeit ausgelöscht hätte. Zwar war der Mars zum Bindeglied zwischen der Menschheit und den Sternen geworden, doch anstelle eines Anlasses zur Hoffnung bot er uns einen flüchtigen Blick auf unser mögliches Schicksal. Und so kam es, dass der Rote Planet nicht nur für die Alten das Kriegsgespenst verkörpert hatte, nicht nur der Funke war, der die wissenschaftliche Revolution entfacht hatte, nicht nur der Vater der Rakete war, die den Abgrund zwischen Erde und Mars zu überbrücken vermochte, sondern nun auch eine finstere Vorstellung unserer Zukunft.

Foto der Marsoberfläche, aufgenommen von Mariner 4

Doch nebenbei konnte diese Rakete atomare Sprengköpfe an jeden beliebigen Ort auf der Erde transportieren – diesem Umstand hatte ich meine Anstellung am SNL, im „Tempel des Mars“, zu verdanken. Mein Wirkungsbereich befand sich weit innerhalb des Begrenzungszauns des Luftwaffenstützpunkts Kirtland, wo jeden Morgen Kampfjets der New Mexico Air National Guard direkt über dem Gebäude abhoben, in dem ich arbeitete. Sie steuerten die südlich gelegene White Sands Missile Range an, wo in der marsähnlichen Wüste der Tiefflug trainiert und Zielübungen mit Bomben und Raketen durchgeführt wurden. Es hieß, dass diese Einheiten der National Guard als Erste das US-Territorium verlassen sollten, falls in Europa der seit Langem befürchtete Krieg zwischen den Staaten der NATO und denen des Warschauer Pakts ausbrechen sollte. Aus diesem Grund fanden ununterbrochen Übungen statt.

Titan-Rakete, sowohl Lang­strecken- als auch Trägerrakete.

Außerhalb des Luftwaffenstützpunktes, in einer nahegelegenen Anlage, die „the Trestle“ (dt.: „das Gerüst“) genannt wurde, simulierte man den elektromagnetischen Impuls, den Kernwaffenexplosionen erzeugen. Außerdem überprüfte man dort jeden erdenklichen militärischen Ausrüstungsgegenstand der Vereinigten Staaten und ihrer Alliierten. Von Panzern angefangen bis hin zu Krankenwagen wurde alles getestet, um zu ermitteln, ob die Funktionstüchtigkeit auch noch nach einem nuklearen Angriff gewährleistet wäre.

Testanlage „Trestle“ zur Untersuchung von simulierten nuklearen elektromagnetischen Impulsen (NEMP) am SNL.

Ich erlaubte mir den Scherz, dass man demnächst sogar Bajonettständer untersuchen würde, um sicherzustellen, dass sie einen atomaren Angriff unversehrt überstehen würden. Auf diese Weise könnte man den Krieg selbst dann fortsetzen, wenn die letzte Kugel verschossen wäre. All das diente der Perfektionierung des Gleichgewichts des Schreckens (engl. „Mutual Assured Destruction“, abgekürzt „MAD“; dt.: „wahnsinnig“), das auf der Gewissheit beruhte, dass wir auf jeden nuklearen Schlag in gleicher Weise reagieren würden, selbst wenn dies bedeuten sollte, dass alles, was uns am Herzen lag, zu Asche verbrennen würde. Um perfekt zu sein, musste unser Wahnsinn vollkommen überzeugen.

Während ich vor langer Zeit zum Entschluss gekommen war, dass ich einen Atomkrieg nicht überleben wollte, arbeiteten andere Mitglieder des Militärs – auch am SNL – pflichteifrig daran, die Funktionsfähigkeit der militärischen Ausrüstung zu gewährleisten, um den Krieg nach dem Ableben des größten Teils der Menschheit noch lange fortführen zu können. Ich fand heraus, dass viele meiner Physiker- und Ingenieurskollegen am SNL meine Ansicht nicht teilten und die Zuversicht bewahrt hatten, dass sie und ihre Familien einen Atomkrieg überstehen könnten. Dass diese verzweifelte Hoffnung bestand, entdeckte ich ausgerechnet in dem Moment, als Nachrichten über den öden Planeten Mars auftauchten, die der Illusion ein gründliches Ende bereiteten.

Ein weiterer Bereich der NEMP-Testanlage.

Im Herbst 1983 warf ein Staubsturm auf dem Mars, der sich im Jahr 1971 ereignet hatte, seinen düsteren Schatten über die Labors am SNL und über alle, die dort arbeiteten. Denn gerade als die Raumsonde Mariner 9 im Jahr 1971 den Mars erreicht hatte und in ihre Umlaufbahn eingeschwenkt war, brach ein planetenumspannender Staubsturm aus, der den Mars monatelang von Pol zu Pol bedeckte. Spätere Untersuchungen zeigten auf, dass der Staub in der Marsatmosphäre das gesamte Sonnenlicht von der Oberfläche des Planeten ferngehalten hatte, so dass diese zufror. Die oberen Schichten der Atmosphäre waren dagegen von den Sonnenstrahlen, die auf die Staubpartikel trafen, erwärmt worden. Schwere Stürme ließen den Staub monatelang in der Atmosphäre schweben. Im Jahr 1982 fand ein Wissenschaftlerteam, das sich aus Turco, Toon, Ackerman, Pollack und Sagan zusammensetzte und für das gemeinsame Projekt die von den Initialen abgeleitete Abkürzung TTAPS gewählt hatte, heraus, dass sich dieselben Vorgänge, die den planetenumspannenden Staubsturm auf dem Mars ausgelöst hatten, auch auf der Erde ereignen könnten – und zwar infolge eines Atomkriegs.3 So würde eine vergleichbare globale Staubschicht einen nuklearen Winter hervorrufen, dessen Auswirkungen den Folgen des Ausbruchs des Mount Tambora in Indonesien im Jahr 1815 ähneln würden: Die Eruption hatte das „Jahr ohne Sommer“ ausgelöst und dadurch zahlreiche kälte- und hungerbedingte Todesfälle in Europa verursacht. Das bedeutet, dass im Fall eines Atomkriegs weit mehr Menschen erfrieren oder verhungern würden, als dem anfänglichen Massenmord aufgrund der Explosionen und der radioaktiven Niederschläge zum Opfer fielen. Zeitgleich gelangten Forscher aus der Sowjetunion zu ähnlichen Schlussfolgerungen. Die Veröffentlichung dieser Ergebnisse Anfang Dezember 1983 löste unter vielen meiner Mitarbeiter eine tiefe Depression aus. Es misslang uns, den Gedanken daran beiseitezuschieben.

Der Mars ist in einen globalen Staubsturm eingehüllt.

„Ich bin immer davon ausgegangen, dass ich nach Hause laufen, Frau und Kinder ins Auto packen und Kurs auf die Hügel nehmen würde, falls ein Atomkrieg ausbrechen sollte. Stattdessen würde ich jetzt alle zu einem Picknick im Rio-Grande-Park in Albuquerque mitnehmen“, erzählte mir ein Wissenschaftler beim Mittagessen mit leerem Blick. Mein Bürokollege Malcom, der normalerweise recht unbeschwert war, äußerte sich eines Tages in ähnlicher Weise; aber anstatt ein Picknick mit seiner Familie zu veranstalten, beabsichtigte er, mit einem Sixpack Bier auf das Dach seines Hauses zu klettern, um von dort aus alles mitanzusehen. Meine hilflose Reaktion bestand in der Frage: „Zu welcher Biermarke würdest du an diesem Tag greifen, Malcolm?“

Enrico Fermi

Seit meinen jungen Jahren wollte ich Science-Fiction-Geschichten schreiben und damals, in Albuquerque, packte mich der Wunsch, eine Erzählung über eine zukünftige Besiedelung des Mars zu verfassen. Es sollte sich um eine hoffnungsvolle Utopie handeln, derzufolge die Menschheit den Kalten Krieg irgendwie überleben würde, und zwar ohne nukleare Massenvernichtung. Die roten Berge, Wüsten und trockenen Schluchten in der Umgebung von Albuquerque inspirierten mich, über den Mars nachzudenken. Weihnachten rückte heran und ich begann, die wissenschaftlichen Unterlagen, die vom Viking-Programm zur Erforschung des Mars vor mehreren Jahren gesammelt worden waren, aufzuarbeiten. Meine Darstellung des Mars sollte präzise sein. Wie gesagt, das Bedürfnis, Science-Fiction-Literatur zu verfassen, ging auf meine Kindheit zurück.

Eine Erzählung, mit der ich als 14-Jähriger während der Sommerferien begonnen hatte, handelte vom Captain eines kleinen Patrouillenschiffs, das sich in einem ruhigen Sektor befand, während ein interstellarer Krieg tobte. Der Name des Captains war „García“ – eine Wahl, mit der ich meine persönliche Verbeugung vor der kulturellen Vielfalt, die ich in „Star Trek“ gesehen hatte, zum Ausdruck brachte. Zum Inhalt der Erzählung hatte mich die Geschichte von Outerbridge, dem Captain des Zerstörers USS Ward, inspiriert: Als frisch gebackener Kapitän auf seiner ersten Patrouille hatte Outerbridge etwas erspäht, das er für ein Kleinst-U-Boot hielt, das oberflächennah versuchte, in die Mündung von Pearl Harbor einzudringen. Er reagierte, indem er die Mannschaft auf Gefechtsstation beorderte, das Schiff dem U-Boot zuwendete, es mit Artilleriefeuer und Unterwasserbomben angriff und versenkte. Allerdings war das U-Boot nach der Attacke spurlos verschwunden, sodass die Handlungsweise von Outerbridge zu Land als nervöse Tat eines Anfängerkapitäns auf seiner ersten Patrouille abgetan wurde. All dies hatte sich früh an jenem wunderschönen Sonntagmorgen des 7. Dezembers 1941 zugetragen. Wenige Stunden später setzte der Luftangriff auf Pearl Harbor ein. Und tatsächlich gelangten an diesem Tag mehrere Kleinst-U-Boote in den Hafen.

Die USS Ward

In meiner Science-Fiction-Geschichte hatte mein 14-jähriger Geist diese historische Begebenheit ausgeschlachtet. Der Feind, den die Menschen im interstellaren Raum bekämpften, war uns im Erscheinungsbild sehr ähnlich, verhielt sich nach unseren Maßstäben jedoch recht irrational und unberechenbar. In meiner Geschichte erspähte Captain García etwas, das er für ein Gesicht hielt, das in die Oberfläche eines Asteroiden geritzt war, der sein Raumschiff passierte. Obwohl der Rest der Mannschaft an seinem gesunden Verstand zweifelte, befahl er, dass das Schiff schlagartig die Bahn wechseln sollte. Diese Tat rettete das Raumschiff und im weiteren Verlauf die gesamte Menschheit, denn als der „Asteroid“ explodierte, stellte sich heraus, dass es sich in Wirklichkeit um eine nukleare Weltraummine gehandelt hatte. Die Weltraummine erwies sich als erster Vorbote des Vormarsches einer feindlichen Alien-Flotte, die darauf spekulierte, eine Schleichattacke durch das dunkle Sternensystem, in dem Captain Garcías Raumschiff patrouillierte, durchführen zu können. Deshalb war das einsame Patrouillenschiff das beabsichtigte Anschlagsziel gewesen. Der Grund jedoch, weshalb die Aliens ein menschliches Gesicht in eine Seite der Weltraummine geritzt hatten – eine Weltraummine, die für das Gelingen des Schleichangriffs entscheidend war –, lag in ihrer angeborenen Irrationalität. Diese provozierende Geste der Aliens den Menschen gegenüber war dem „Counting Coup“ der Indianer nachempfunden. Wenn ich darauf zurückblicke, glaube ich, dass mein 14 Jahre alter Verstand versuchte, mit dem Wahnsinn des Kalten Krieges fertig zu werden. Während jener Sommerferien hatte ich die Geschichte plastisch vor Augen. Ich umriss die gesamte Handlung und schrieb ungefähr 100 Seiten nieder, ehe die Schule wieder anfing und ich das Projekt aufgeben musste.

Ich hatte mir Aliens ausgemalt, die wie wir aussahen und handelten. Wäre ich Außerirdischen begegnet, die uns nicht ähnlich gewesen wären, hätte ich sie wahrscheinlich als Vorbild in meiner Science-Fiction-Erzählung verwendet. Meine Erzählmethode orientierte sich in groben Zügen am kosmologischen „Prinzip der Mittelmäßigkeit“. Dieses Prinzip besagt, dass die Menschen repräsentativ für das intelligente Leben im Kosmos sind. Die Annahme, dass wir eher durchschnittlich als exotisch sind, ist eine Hypothese, die jeder Suche nach extraterrestrischer Intelligenz zugrunde liegt.4 Dennoch hat noch niemand Außerirdische im Weltraum aufgespürt und ich konnte nur Mutmaßungen anstellen. Die Sterne um uns herum schwiegen. Aber sogar dieses Schweigen war verdächtig, wenn man die Unruhen des Zeitalters, in dem wir leben, bedenkt. Das Schweigen ist auch unter dem Begriff „Fermi-Paradoxon“ bekannt: eine gefühlte Leere des Universums, obwohl die Logik nahe legt, dass das All ein geräuschvoller Ort sein sollte, der überfüllt ist von Zivilisationen, die der unseren ähneln.

Enrico Fermi hatte das Paradoxon 1950 formuliert, während er in Los Alamos in New Mexico die Wasserstoffbombe entwickelte. Eines Tages, als er mit Edward Teller und einigen anderen Wissenschaftlern beim Mittagessen saß, wendete sich das Gespräch außerirdischen Lebewesen und Weltraumreisen zu. Die Mittagsrunde bestand aus Männern, die vor dem Holocaust geflohen waren und Hitlers beste Wissenschaftler im Wettlauf um den Bau der ersten Atombombe geschlagen hatten, während gleichzeitig der barbarischste und zerstörerischste Krieg tobte, den die Welt je erlebt hatte. Sie hatten gesehen, wie die Atombombe die Nacht in der Wüste „heller als tausend Sonnen“ erstrahlen ließ und Sand zu Glas schmolz. Sie hatten gesehen, wie Atombomben über Hiroshima und Nagasaki abgeworfen worden waren, um den Krieg zu beenden. Nun lieferten sie sich ein Rennen mit der Sowjetunion, um die Wasserstoffbombe zu konstruieren – eine tausendmal mächtigere Waffe, weshalb Joseph Stalin sie nicht als Erster besitzen sollte. Schlussendlich würden sie nur um wenige Monate schneller sein. Die Männer an diesem Mittagstisch vereinigten mehr reine Intelligenz und geistige Ausdauer als jede andere Gruppe auf der Erde. Die Behauptung, dass sie um die Ecke dachten, wäre eine Untertreibung; denn für diese Männer gab es keine Ecken.

Wie nicht anders zu erwarten, hatte Fermi das Problem rasch analysiert: Intelligentes Leben im Universum war sowohl möglich als auch lautstark. Fermi hob hervor, dass die Erde und die Menschheit anscheinend ein Zufallsprodukt waren. Aber trotz seines schlechten Benehmens vermehrte sich Homo sapiens rasant und erzeugte darüber hinaus eine gewaltige Menge elektromagnetischer Signale. Fermi legte das Prinzip der Mittelmäßigkeit zugrunde und leitete ab, dass es auch anderswo erdähnliche Planeten mit Leben geben könnte und dass sich die Evolution dort in vergleichbarer Weise abspielen würde. Er wusste, dass das Universum im Vergleich zur Menschheit sehr alt war. Es wäre ausreichend Zeit vorhanden gewesen, in der sich andere Arten von Lebewesen entwickeln, Radio- und TV-Sendungen produzieren und vielleicht sogar mit Raumschiffen zu uns hätten reisen können. Jeder Logik zufolge hätten wir es mit einem Kosmos zu tun, in dem es vor Leben und umtriebigen Zivilisationen, wie unserer eigenen, wimmelte. Man muss verstehen, dass Forscher, die im Bereich der nationalen Verteidigung tätig sind, anders denken als akademische Forscher und dass ihre Logik einem anderen kritischen Pfad folgt. Während sich das Denken in der Hochschulforschung häufig um die Wahrscheinlichkeit von Ereignissen dreht, konzentrieren sich Wissenschaftler, die für die Landesverteidigung tätig sind, auf die Risiken. Das Risiko wird definiert als das Produkt der Eintrittswahrscheinlichkeit eines Ereignisses und der Schadensschwere der Konsequenzen. Demnach liefert wahrscheinlichkeitsbasiertes Denken häufig Antworten in Form eines Prozentsatzes, während risikobasierte Kalkulation das Ergebnis in Gestalt von Menschenleben zählt. Beide Methoden haben ihre Vorteile.

Carl Sagan

„Wo zur Hölle sind sie?“, rief Fermi plötzlich über die Mittagstafel.5 Jeder am Tisch wusste, worauf er sich bezog: Es ging um die Außerirdischen. Aber niemand war imstande, seine Frage zu beantworten. Warum schien das Universum leer und schweigsam zu sein, wenn die Logik nahe legte, dass es mit Musik, Seifenwerbung und politischer Propaganda erfüllt sein musste? Gab es da irgendeine Macht, die Zivilisationen zerstörte, sobald der Zeitpunkt erreicht war, an dem sie – so wie wir – den Sternen ihre Existenz durch Radio- und TV-Sendungen kundtaten? Oder bedeutete dies vielleicht, dass sich Zivilisationen mit Atomwaffen selbst zerstörten, sobald sie ein gewisses Alter erreicht hatten? Sagan hatte auf diese schreckliche Möglichkeit in seinem Buch „Cosmos“ hingewiesen.6 War es das, was das Schweigen der Sterne besagte? Teilten uns die Sterne durch ihre Geräuschlosigkeit mit, dass wir dem Untergang geweiht waren? Ich verschwendete wenig Zeit, um über diese Frage zu sinnieren, aber sie lauerte in jenen Tagen beständig in meinem Hinterkopf.

Meine Eltern hatten mich zu einem früheren Zeitpunkt des Jahres 1983 besucht, und ich hatte ihnen von meinem wieder erwachten Wunsch erzählt, Science-Fiction-Geschichten zu schreiben, genauer gesagt von einer zukünftigen Besiedelung der Sterne durch die Menschheit. Ich sprach davon, einen Roman abfassen zu wollen, in dem die größte Entdeckung der Menschheit darin bestünde, dass das Universum größtenteils von anderen menschlichen Wesen besiedelt wäre. Ich deutete diese Absichten als ein Zeichen für meinen Optimismus und als einen Beweis dafür, dass meine geistige Gesundheit nicht unter dem Stress am SNL gelitten hatte.

Während ihres Besuchs nahm ich meine Eltern auf eine Rundfahrt über das Gelände des SNL mit und fuhr an einem regnerischen Tag weit in die Wüste hinaus, um ihnen ein riesiges solarthermisches Versuchsturmkraftwerk zu zeigen. Auf dem Rückweg in die Stadt stießen wir auf eine militärische Straßensperre: Die regennasse Autobahn wurde für einen gewaltigen Militärkonvoi aus getarnten Lastwagen frei gemacht, der von Soldaten in Kampfausrüstung (inklusive M-16) und von mit Maschinengewehren ausgestatteten Panzerwagen bewacht wurde. Die Lastwagen zogen Flachbettauflieger nach sich, die unter blauen Abdeckplanen rechteckige Objekte transportierten. Der gesamte Konvoi von vielleicht zehn Lastwagen schlängelte sich unter dem grauen Himmel bis zur Einfahrt in der Wand des Manzano Mountain voran. Als uns einer der Lastwagen passierte, ergriff der Wind eine lose, regenglatte Plane und blies sie zur Seite, sodass auf der Ladefläche des langsam vorbeirollenden Fahrzeugs eine Atombombe – komplett bis zur Schwanzflosse – enthüllt wurde. Ich erinnere mich daran, dass mich der Anblick bis ins Innerste frösteln ließ und bat meine Eltern, gemeinsam mit mir zu beten, bevor sie abreisten; denn ich arbeitete an einem furchterregenden Ort. Kurz nach der Abreise meiner Eltern begannen sich die Dinge an meinem Arbeitsplatz zum Schlechten zu entwickeln.

Die Truppen des Herodes schlachten die männlichen Kinder in Bethlehem ab.

In meiner Kindheit war ich ein ziemlich sensibles Kind gewesen. Vor der Pubertät hatte ich mit Legasthenie und Koordinationsschwierigkeiten zu kämpfen, was mich zum häufigen Mobbingopfer machte. „Ich verpasse dir eine, dass du bis auf den Mars fliegst!“, lautete eine Drohung eines Raufbolds aus meiner Nachbarschaft, die mir in Erinnerung geblieben ist. Dabei fuchtelte er mit der Faust vor meinem Gesicht herum. Als ich ins Teenageralter kam, bemühte ich mich, koordinierter zu werden und stählte Geist und Körper. Ich begann, das Leben als einen Konflikt aufzufassen. In der High School geriet ich in zwei Schlägereien, in denen ich meine neu gewonnene Stärke und mein Selbstvertrauen geltend machte. Andererseits war ich auch immer religiös gewesen, und als meine Eltern beschlossen, einer charismatisch-neupfingstlichen Kirche beizutreten – zu dieser Zeit ging ich aufs College – folgte ich ihrem Beispiel. Dort erhielt ich die Taufe im Heiligen Geist, was mein Leben veränderte und mich selbstsicherer und scharfsinniger werden ließ; beispielsweise gewann ich plötzlich beim Pokern – natürlich handelte es sich dabei um freundschaftliche Partien. Außerdem wurden Ereignisse, die man in der säkularen Welt als psychische Phänomene bezeichnet, alltäglich für mich. Ich wurde sehr intuitiv. Eine der wichtigsten Auswirkungen dieser Erfahrung war jedoch das Gefühl, dass die Zwecksetzungen in meinem Leben über meine persönlichen Interessen hinausgehen sollten und dass ich danach trachten müsste, weniger meine eigenen Pläne als diejenigen Gottes zu verwirklichen.

Ungeachtet meines religiösen Zartgefühls schöpfte ich viel Mut aus meinem Glauben, als der Gedanke an den nuklearen Winter mich bedrängte und sich die Probleme am Arbeitsplatz auftürmten. Die Tätigkeit am SNL war mein erster Job nach Abschluss meiner Dissertation, und die Bedingungen am Arbeitsplatz erschienen mir ebenso rau wie die Wüste um mich herum. Ich beging viele Fehler und in meiner ungestümen, selbstsicheren Art beleidigte ich ein paar Leute. Auch hatte ich mir mein Interesse an der Fusion durch magnetischen Einschluss bewahrt und wurde in einer diesbezüglichen Debatte des Managements auf der falschen Seite erwischt. Schlimmer war allerdings, dass ich trotz meiner guten Beziehungen zu den Forscherkollegen am Arbeitsplatz in einen wissenschaftlichen Streit mit einer höher gestellten Person geriet. Dabei ging es um das Elektronenstrahlprojekt, an dem ich gerade arbeitete. Der Streit hatte eine bittere Note angenommen, und obwohl ich mich nach Kräften bemühte, ihn zu entschärfen, wurde er zunehmend persönlich.

Meine Frau und ich in Albuquerque.

Wir forschten daran, wie man verhindern konnte, dass die Elektronenstrahlen durch ihr eigenes elektronisches Abbild im Plasmakanal, den sie in der Luft erzeugten, abgelenkt wurden. Dieses Verhalten bezeichnet man als „Feuerwehrschlauch-Instabilität“, weil es dem wilden Herumzucken eines frei beweglichen und unter hohem Druck stehenden Feuerwehrschlauchs ähnelt. Wie einen Mantel um sich selbst formte der Elektronenstrahl eine Blitzröhre in der Luft und versuchte dann, sich gewaltsam einen Ausweg zu bahnen. Er agierte wie ein von Panik erfasstes, in einem Spiegelkabinett verirrtes Tier, das sich vor seinem eigenen Bild fürchtete und verzweifelt versuchte, zu entkommen. Ich hatte angeregt, dass sich die Instabilität beruhigen würde, wenn sich die Strahlen wie ein Minié-Geschoss drehten. Das allegorische Tier sähe um sich herum ein weichgezeichnetes, nach außen verschmiertes Selbstporträt und würde sich entspannen. Als ich die Idee präsentierte, widersprach ich allerdings unabsichtlich einem Forscher, der bei diesem Projekt höher gestellt war. Ich war der großspurige Nachwuchswissenschaftler, der begierig darauf war, sich zu beweisen; er war der erfahrene Forscher, der sich bemühte, seinen Ruf als Koryphäe zu bewahren. Ehe ich mich versah, waren wir tief in einen theoretischen Streit verstrickt, in dem keine der beiden Seiten nachgeben wollte. Auch mein unmittelbarer Vorgesetzter, der einen seltsam abwesenden und abgehobenen Eindruck machte, als ich versuchte, ihm mein Problem zu erklären, war keine Hilfe. Er hatte ein erstklassiges Pokerface aufgesetzt, das er mir präsentierte, wann immer ich in sein Büro kam, um mich darüber zu beschweren, wie ich behandelt wurde. Daraufhin verfiel ich regelmäßig in verlegenes Schweigen, murmelte eine Entschuldigung, dass ich mich wie ein Jammerlappen verhalten hätte und ging.

Die schweigenden Sterne

Das war die Situation am SNL, als der Dezember des Jahres 1983 vorüberging: Angesichts der Arbeitsbedingungen war ich verwirrt und ängstlich, tief besorgt wegen des Kalten Kriegs, an dem ich mich beteiligte, und ebenso wie meine Arbeitskollegen verfolgte auch mich der Schatten des Mars. Dabei handelte es um denselben Mars, der eine von mir geschätzte Forschungsrichtung initiiert hatte – ein Mars, der in denselben Farben leuchtete wie die Berge und die Wüste rund um mich herum; der Mars, der mich zu dem beruhigenden Gedanken an eine gesunde und muntere Menschheit inspiriert hatte, die in Zukunft seine Oberfläche besiedeln würde. Deshalb war ich auf meine Kollision mit dem Objekt auf dem Mars, das alles verändern würde, vorbereitet.

Weihnachten 1983 rückte heran. Ich erinnere mich, die wunderschöne Hymne „O Little Town Of Bethlehem“ in der Kirche gemeinsam mit meiner entzückenden Frau und meiner wunderbaren dreijährigen Tochter Elizabeth gesungen zu haben.

O little town of Bethlehem,

how still we see thee lie;

above thy deep and dreamless sleep

the silent stars go by.

Yet in thy dark streets shineth

the everlasting light;

the hopes and fears of all the years

are met in thee tonight.

Während ich die Hymne sang, musste ich daran denken, was Bethlehem und seinen männlichen Babys bevorstand. Sie wurden von den Truppen des Herodes niedergemetzelt. An diesem Weihnachtsfest gelang es mir nicht, meine Gedanken abzuschotten. Um an meinem Arbeitsplatz oder anderswo zu funktionieren, wäre das jedoch unbedingt nötig gewesen.

An diesem Weihnachtsfest, das im Zeichen meines Kampfes stand, mich in meinem neuen Leben und meinem neuen Job zurechtzufinden – überschattet vom Mars und unter den schweigenden Sternen –, schien die Zeit reif, mein Versprechen zu erfüllen, das ich Gott gegeben hatte.

Endnoten

Stapfer, H.-H.: „Strangers in a Strange Land“, Carrollton: Squadron/Signal Publications Inc. 1998, ISBN 0-89747-198-9. ). Stapfer schreibt über den Verband meines Vaters, die 42. Bomber-Gruppe, die auch unter der Bezeichnung „hard luck group“ (dt.: „Unglücksgruppe“) bekannt ist und nach schrecklichen Verlusten im August 1944 aufgerieben wurde. Das Ereignis wird im Kapitel „Massacre over Bernburg” auf den Seiten 71-72 besprochen.Zitatquelle fehlt.Turco, R. P.; Toon, O. B.; Ackerman, T. P. et al.: „Nuclear Winter: Global Consequences of Multiple Nuclear Explosions“ in: Science, 23.12.1983, Vol. 222, 1283–1292. Sagan, C.; Shklovskii, I. S.: „Intelligent Life in the Universe“, New York: Random House 1966, 10. Jones, E.: „Where is Everybody: An Account of Fermi’s Question” in: Los Alamos Report LA-10311-MS, März 1985.Sagan, C.: „Cosmos“, New York: Ballantine Books 1980, 251.

Kapitel 1: Der Tag nach dem Weihnachtsfest

Es war am Tag nach Weihnachten, als ich dieses Objekt aus einer anderen Welt, das mir so bedeutungsschwer und schicksalhaft entgegentrat, erstmals zu Gesicht bekam.

Gemeinsam mit meiner reizenden Frau und meiner kleinen Tochter Elizabeth hatte ich ein wunderschönes Weihnachtsfest verbracht. Meine Frau, mit der ich damals seit zehn Jahren verheiratet war, machte sich große Sorgen über die humanitären Auswirkungen des Kalten Krieges und engagierte sich in der Kirche, indem sie Menschen unterstützte, die vor den Kriegen, die in Mittelamerika tobten, geflüchtet waren. Weil sie zum Teil indigener Herkunft ist, hat sie eine andere Sicht der amerikanischen Geschichte als ich. Dies war bislang noch niemals Anlass zu Auseinandersetzungen zwischen uns gewesen, doch nun bereitete ihr meine Tätigkeit im militärisch-industriellen Komplex Unbehagen. Allerdings versuchte meine Frau, die toleranter ist als ich, das Beste aus der Situation zu machen. Wie in unserer Heimat Oregon üblich, waren wir bei unserer Hochzeit blutjung gewesen. Unmittelbar nach meinem Abschluss und ihrem ersten Jahr auf dem College waren wir vor den Traualtar getreten. Gegenwärtig war sie damit beschäftigt, ihr Studium an der University of New Mexico zu beenden. Man heiratet einen Menschen, lebt dann jedoch mit demjenigen zusammen, zu dem er sich entwickelt hat.

Unser komfortables Anwesen mit Blick auf das malerische Albuquerque befand sich in der Nähe eines riesigen Arroyo, eines ausgetrockneten Flussbetts, das nur ab und zu Wasser führte. Die Schneeflocken wirbelten ums Haus, als die Nacht hereinbrach und wir auf ein abendliches Fernsehmagazin über den Planeten Mars warteten. Bereits am Nachmittag hatte ich eine Vorschau gesehen. Nun freute ich mich richtig darauf und erwartete mir einige schöne Farbbilder von der Marsoberfläche – eine willkommene Ablenkung für mich.

Im Zusammenhang mit meinem Traum, eine Science-Fiction-Erzählung über das Leben der Menschheit in der Zukunft zu verfassen, hatte ich die Literatur über den Mars nur so verschlungen, an vorderster Stelle das Buch „Cosmos“ von Carl Sagan. Ungeachtet dessen, dass der Mars als unwirtliche und mondähnliche Welt angesehen wurde, wies Sagan auf Belege für ausgetrocknete Flussläufe (Arroyos) hin, die dafür sprachen, dass es in der fernen Vergangenheit des Roten Planeten eine Periode mit erdähnlichen Klimaverhältnissen gegeben hatte. Der schmale Luftdruck- und Temperaturbereich, in dem Wasser in flüssiger Form bestehen kann, ist ein entscheidendes Kennzeichen einer erdähnlichen Umwelt. Alle Lebensprozesse sind auf flüssiges Wasser angewiesen, weshalb das fehlende Wasser auf dem Roten Planeten als Ausschlusskriterium für jede Form von Leben erachtet wurde. Beim Lesen fiel mir auf, dass viele dieser ausgetrockneten Flussläufe zwischen 1971 und 1972 von Mariner 9 aufgenommen worden waren. Die Viking-Missionen im Jahr 1976, bei der zwei große Sonden zum Einsatz kamen, die man jeweils mit einer Landekapsel ausgestattet hatte, konzentrierten sich auf Regionen, die für die Kameras von Mariner 9 so ausgesehen hatten, als ob hier in der Vergangenheit große Mengen Wasser geflossen wären.

Die Missionen waren darauf angelegt worden, den Boden auf dem Mars auf Leben zu untersuchen. Viele Forscher vom JPL (Jet Propulsion Laboratory) waren dem gesamten Vorhaben gegenüber überraschend kritisch eingestellt und hatten die Unternehmung als „vergebliche Liebesmüh“ eingestuft. In den Wochen vor den Viking-Landungen – während meiner Zeit als Student am Lawrence Livermore National Laboratory also – hörte ich, wie ein Mitarbeiter mit einer solchen Einstellung sagte: „Die biologischen Experimente dieser Mission haben mehr mit dem Mars von Lowell zu tun als mit der modernen Marsforschung.“ Der Mars sei, sagte er, mit Sicherheit genauso unbelebt wie der Mond, und das sei nie anders gewesen. Er prophezeite, dass die Experimente der Viking-Landegeräte keinen Hinweis auf Leben aufspüren würden. Ich kann mich noch daran erinnern, dass mich diese Haltung, die mir recht voreingenommen zu sein schien, sehr verärgerte.

Wenn ich in Livermore etwas über wissenschaftliche Experimente in Erfahrung bringen konnte, dann dies, dass bei haarigen Experimenten die Einstellung entscheidend war. Glaubte man nicht an den Effekt, den man hervorrufen wollte, dann würde er wahrscheinlich auch nicht zustande kommen. In meiner Zeit als Student am Livermore Lab sah ich mit an, wie viele Versuche scheiterten, während nur wenige erfolgreich verliefen. Ich konnte die Beobachtung machen, dass eine abträgliche Grundhaltung das Scheitern eines Experiments beinahe schon garantierte. Ungeachtet der negativen Einstellung dieses Mitarbeiters von JPL akzeptierte ich seine wissenschaftlichen Argumente für einen unbelebten Mars und war deshalb auch nicht überrascht, als Monate später – nach den erfolgreichen Landungen – der offizielle Standpunkt verkündet wurde: Demnach war der Mars eine tote Welt. Ich verspürte sogar eine gewisse Erleichterung.

Wie bei vielen anderen religiösen Menschen auch, löste die Vorstellung, es könnte außerirdisches Leben geben, Unbehagen in mir aus. War mir doch von der Kanzel gepredigt worden, dass dieser Gedanke wider die Bibel sei. 1976 geriet ich in eine spirituelle Krise, aus der ich allerdings reifer und unerschrockener hervorging. Ich hatte die Heilige Schrift gründlich in Altgriechisch, der Sprache des Neuen Testaments, studiert und dabei erfahren, dass die Bibel in Wirklichkeit recht stark auf Leben und Intelligenz anderswo im Universum hinweist. Wenn Jesus beispielsweise seinen Jüngern mitteilt, dass sie „in die Welt hinaus gehen und jedem Geschöpf das Evangelium verkünden“ sollen, so deutet im altgriechischen Original nichts darauf hin, dass diese Wesen zwangsläufig menschlich sein müssen. Der Heilige Franz von Assisi legte diesen Vers so aus, dass er auch den Tieren des Waldes die Frohe Botschaft überbringen sollte. Am ausschlaggebendsten war jedoch, dass der Begriff, der in der King James Bible mit „world“ übersetzt wird, auf dem altgriechischen Wort „kosmos“ beruht – auf der Bezeichnung, die der Philosoph Pythagoras gewählt hatte, um das gesamte Universum zu beschreiben. Somit hatte Jesus seinen Jüngern bedeutet, sie sollten hinaus ins gesamte Universum gehen und die Botschaft jedem verkünden, der willens sei, zuzuhören. Ich wusste einfach, dass das nicht vergeblich wäre. Aber darum kreisten meine Gedanken an jenem nachweihnachtlichen Abend in Albuquerque nicht.

Ich war in einer recht unbeschwerten Stimmung, als der Beginn des Abendmagazins näher rückte, ganz so, wie ich auf eine Folge von „Flash Gordon’s Trip to Mars“ gewartet hätte. In der Ankündigung war von einem „Marsgesicht“ die Rede gewesen, und ich erwartete mir so etwas Albernes wie eine Aubergine, die Richard Nixon ähnelte. So saß ich also da am Tag nach Weihnachten, ruhte mich im Kreise meiner liebenswerten Familie von den Mühen meiner Arbeit aus, trank Kaffee, aß Nachos dazu, die meine Frau zubereitet hatte und freute mich auf unbeschwerte Unterhaltung. Endlich fing die Sendung an.

Meine heitere Gelassenheit verflüchtigte sich allerdings recht rasch, nachdem ich die beiden Bilder des Marsgesichts erblickt hatte, die von Vincent DiPietro und Gregory Molenaar, zwei Elektrotechnikern, die für das Goddard Space Flight Center der NASA arbeiteten, entdeckt und vergrößert worden waren. Mit einer Aubergine, die wie Richard Nixon aussah, hatten sie rein gar nichts gemein. Das Objekt auf den Abbildungen wirkte vielmehr wie ein archäologisches Artefakt, wie ein gemeißelter, mit einem Helm versehener Kopf. Ich war sprachlos vor Staunen und erinnerte mich an die ausgetrockneten Flussläufe auf dem Mars, die auf erdähnliche Bedingungen in der Vergangenheit des Roten Planeten hinwiesen. Doch ließ das Gesicht auf weit mehr schließen als die Handvoll Arroyos. Es erinnerte mich an Kunstwerke, die ich in Museen bewundert hatte, als meine Frau und ich Jahre zuvor nach Mexiko gereist waren. Die Olmeken hatten riesengroße behelmte Antlitze in Stein gemeißelt, die ähnlich aussahen. Ferner kam mir in den Sinn, dass ich im Buch „Cosmos“ auf die Pyramiden der Elysium-Region gestoßen war.

„Flash Gordon’s Trip to Mars“

Ich erinnerte mich daran, dass ich ein paar Tage zuvor etwas verärgert auf die Passage über die Pyramiden von Elysium und die dazugehörigen Bilder im Buch „Cosmos“ reagiert hatte. Sagan zufolge „lohnt es unbedingt, sie aus der Nähe zu begutachten“.1 Das hatte mich deshalb gestört, weil sie das ansonsten perfekte Bild vom Mars als einer öden, mondähnlichen Welt, die für immer bar jeglichen Lebens sein würde, verdarben. Sagans Kapitel über den Mars formulierte als grundlegende Botschaft das Konzept eines mondähnlichen Planeten. Aber warum fügte er dann ein Bild von Objekten hinzu, die wie Pyramiden aussahen? Für mich bestand ein Zusammenhang zwischen den Pyramiden und den Bildern vom Marsgesicht, das sich richtiggehend in mein Gedächtnis eingebrannt hatte. Wiesen sie doch zusammen darauf hin, dass der Mars früher bewohnt gewesen war – aber wie sollte das möglich sein? War es vorstellbar, dass die gesamte Gemeinschaft der Marsforscher das Marsrätsel vollkommen falsch interpretiert hatte? Ungeheuer neugierig geworden, prägte ich mir die Namen DiPietro und Molenaar vom Goddard Space Flight Center ein und war fest entschlossen, nach den Weihnachtsfeiertagen mit ihnen in Kontakt zu treten. Für gewöhnlich befand ich mich auf dem neuesten Stand der Forschung. Die Vorstellung, dass dieser mögliche Durchbruch von mir unbemerkt vonstattengehen könnte, war undenkbar für mich. Ich war fest entschlossen, mehr darüber in Erfahrung zu bringen.

Die wissenschaftliche Beurteilung des Mars und der Geschichte des Lebens auf dem Roten Planeten wurde größtenteils von den Daten bestimmt, die von den gewaltigen Viking-Expeditionen des Jahres 1976 geliefert worden waren. In meinem Buch, „Life and Death on Mars: The New Mars Synthesis“ habe ich geschrieben:

Das Marsgesicht, aufgenommen von der Viking-Sonde: links Bild 35A72 , rechts Bild 70A13; Bilder: Carlotto