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Katharina Peters

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Beschreibung

Die Toten vom Strand.

Emma Klar, Privatdetektivin in Wismar, erhält einen scheinbar unverfänglichen Auftrag. Für eine Beratungsfirma soll sie einen Mitarbeiter beschatten, der im Verdacht steht, Werkspionage zu betreiben. Bastian Gundlach jedoch verhält sich völlig unauffällig – bis er eines Tages nach vielen Umwegen zu dem kleinen Ort Zierow fährt, um sich dort mit einer jungen Frau zu treffen. Wenige Tage später endet Emmas Auftrag. Man scheint mit ihren dürftigen Ergebnissen zufrieden zu sein. Doch dann werden am Strand von Hoben zwei Leichen gefunden: Bastian Gundlach und eine junge Frau. Beide weisen schwere Kopfverletzungen auf ...

Der neue Roman der Krimispezialistin und Bestsellerautorin Katharina Peters – nicht nur für Fans der Ostsee.

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Über das Buch

Die Toten vom Strand.

Emma Klar, Privatdetektivin in Wismar, erhält einen scheinbar unverfänglichen Auftrag. Für eine Beratungsfirma soll sie einen Mitarbeiter beschatten, der im Verdacht steht, Werkspionage zu betreiben. Bastian Gundlach jedoch verhält sich völlig unauffällig – bis er eines Tages nach vielen Umwegen zu dem kleinen Ort Zierow fährt, um sich dort mit einer jungen Frau zu treffen. Wenige Tage später endet Emmas Auftrag. Man scheint mit ihren dürftigen Ergebnissen zufrieden zu sein. Doch dann werden am Strand von Hoben zwei Leichen gefunden: Bastian Gundlach und eine junge Frau. Beide weisen schwere Kopfverletzungen auf.

Der neue Roman der Krimispezialistin und Bestsellerautorin Katharina Peters – nicht nur für Fans der Ostsee

Über Katharina Peters

Katharina Peters schloss ein Studium in Germanistik und Kunstgeschichte ab. Sie begeistert sich für japanische Kampfkunst und lebt mit ihren Hunden am Rande von Berlin. An die Ostsee fährt sie, um zu recherchieren, zu schreiben – und gelegentlich auch zu entspannen.

Aus der Ostsee-Serie mit Romy Beccare sind »Hafenmord«, »Dünenmord«, »Klippenmord«, »Bernsteinmord«, »Leuchtturmmord«, »Deichmord«, »Strandmord«, »Fischermord«, »Schiffsmord« und »Ankermord« lieferbar.

Aus der Ostsee-Serie sind »Todesstrand«, »Todeshaff«, »Todeswoge«, »Todesklippe« sowie »Todeswall« lieferbar.

Mit der Kriminalpsychologin Hannah Jakob als Hauptfigur sind »Herztod«, »Wachkoma«, »Vergeltung«, »Abrechnung«, »Toteneis« und »Abgrund« lieferbar.

Zuletzt erschienen von ihr: »Bornholmer Schatten« und »Bornholmer Falle«.

Mehr zur Autorin unter www.katharinapeters.com

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Katharina Peters

Todeswelle

Ein Ostsee-Krimi

Inhaltsübersicht

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Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

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Kapitel 13

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Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Epilog

Impressum

1

Christoph hatte eindeutig nicht übertrieben, dachte Emma Klar – Privatdetektivin in Wismar und freie Mitarbeiterin des BKA Berlin –, als sie den Kopf hob. Sie ließ den Blick eine Weile über die dreistöckige weiße Jugendstilvilla schweifen, in der das Hamburger Beratungsunternehmen ansässig war, das sie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hatte. Auf dem Türschild stand ebenso schlicht wie elegant: Beratung und Konzept Hamburg.

Das Unternehmen mit den Schwerpunktbereichen Personal- und Führungskräfte sowie Investitionen, Versicherungen und Kapitalanlagen verfügte auch über Büros in Lübeck und Schwerin und hatte ihrem Partner Christoph Klausen und seiner kleinen Sicherheitsfirma vor zwei Monaten einen vielversprechenden und umfassenden Security-Auftrag mit langfristiger Bindung erteilt, der sich auf sämtliche Standorte des Unternehmens bezog. Christoph konnte sein Glück nach wie vor kaum fassen, denn bei dem Auftrag ging es nicht nur um die einmalige Überprüfung von Gebäuden und Außenanlagen sowie der Büros und Fahrzeuge auf Sicherheitsmängel und Spyware, sondern um langfristige Security-Aufgaben, die auch die Installation und Wartung eines hochmodernen Video-Überwachungssystems beinhaltete. Die Arbeiten gestalteten sich so umfangreich, dass Christoph eigene Büroräume beziehen und mehrere Mitarbeiter einstellen konnte und dennoch kaum genügend Schlaf bekam. Emma lächelte. »Schlaf wird ohnehin überbewertet«, lautete an der Stelle sein Standardspruch.

Als Klaus Hallner, der Geschäftsführer, Christoph vor einigen Tagen zudem für einen verdeckten Observierungsauftrag gewinnen wollte, hatte der nicht lange gezögert und vorgeschlagen, seine Partnerin einzubeziehen. Hallner war einverstanden gewesen, und nun stand Emma vor der beeindruckenden Villa in Hamburg-Marienthal. Sie hatte nicht das Geringste gegen einen eigenen Auftrag einzuwenden, auch wenn Observation nicht unbedingt ihre herausragende Stärke war, wie sich bei ihrem letzten Fall in Wismar, der erst einige Monate zurücklag, auf unrühmliche Weise gezeigt hatte. Doch umfassende Security-Technik war noch deutlich weniger ihre Welt, das BKA hielt sich zurzeit mit Aufträgen zurück, und auch in Wismar ging es gerade vergleichsweise ruhig zu.

Emma strich ihren Blazer glatt, den sie nur für besondere Anlässe aus dem Schrank holte, drückte auf die Klingel und betrat nach kurzer Prüfung über eine Videokamera einen Augenblick später die Villa.

Die Räumlichkeiten entsprachen dem äußeren Eindruck – helle Farben, elegantes, unaufdringliches Ambiente. Ein junger Mann begleitete sie in den zweiten Stock in das Büro von Klaus Hallner, der kaum eine Minute später den Raum über eine zweite Tür betrat. Hallner wirkte auf den ersten Blick hanseatisch kühl – ein blonder mittelgroßer Mann, dessen Alter schwer zu schätzen war. Wahrscheinlich in den Vierzigern, dachte Emma. Er trug einen luftigen dunkelblauen Anzug und lächelte zurückhaltend.

Emma wusste, wie gefährlich es war, Menschen in Schablonen zu stecken, dennoch hätte sie aufgrund des ersten Eindrucks glatt gewettet, dass Hallner noch keinen einzigen Tag in seinem Leben von echten Geldsorgen bedrängt worden war – sah man einmal davon ab, dass er sich um Aktienkurse oder Währungsschwankungen sorgte, die die Anlagen seiner Kunden und damit seine Aufträge betreffen könnten. Reiches Elternhaus, eigenes Reitpferd, Tennis, Golf, Segeln, Internat, internationale Universitäten …

Hallners Lächeln vertiefte sich, als sei er sich ihrer Einschätzung bewusst und amüsiere sich darüber. Er wies auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch, öffnete den Knopf seines Sakkos und setzte sich. »Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«, fragte er. »Tee, Kaffee?«

Emma bat um ein Glas Saft. Hallner bestellte für sich Kaffee, die Getränke wurden wenig später serviert. Er trank einen Schluck und hob den Blick. »Lassen Sie uns gleich zur Sache kommen, Frau Klar. Ich suche jemanden, der oder die einen meiner Mitarbeiter im Blick behält. Ich möchte sicherstellen, dass er sensible Unternehmens- und Kundendaten mit ausreichender Sorgfalt behandelt, und zwar durchgehend«, fuhr Hallner in sachlichem Ton fort.

Emma stellte ihr Glas ab. »Hegen Sie einen Verdacht?«

Hallner deutete lediglich ein Achselzucken an. »Ich gehe von einem Zeitraum von zwei, drei Wochen aus«, wich er aus. »In dieser Zeit möchte ich, dass engmaschig Tagesablauf, Treffen, Kontakte und Geschäftsreisen protokolliert und unmittelbar an mich weitergeleitet werden.«

Natürlich hegt er einen Verdacht, er befürchtet Wirtschaftsspionage, dachte Emma, sonst würde er wohl kaum eine professionelle Observation anschieben. Noch hielt er sich bedeckt, zumindest ihr gegenüber – die Beweise fehlten wahrscheinlich. Darüber hinaus war ja noch gar nicht hundertprozentig sicher, dass sie den Zuschlag erhielt, und es bestand ja rein theoretisch auch die Möglichkeit, dass sie sich gegen den Auftrag entschied.

»Ich muss sicherstellen, dass unsere geschäftlichen Interessen, Daten und alle Interna des Unternehmens absolut vertraulich behandelt werden«, betonte Hallner. »Das ist das A und O in unserer Branche, und ich lege gesteigerten Wert gerade auf diesen Aspekt.« Er legte seine Hände auf den Tisch und suchte ihren Blick. »Sie haben vielfältige Berufserfahrungen gesammelt. Ich muss Ihnen nicht erläutern, wie wichtig Verschwiegenheit ist.«

»Nein, das müssen Sie nicht.«

»Ich habe selbstverständlich Erkundigungen über Sie eingezogen, wie auch zuvor über Christoph Klausen«, erklärte er weiter. »Das dürfte Sie nicht weiter verwundern.«

»Nein.« Emma war klar gewesen, dass Hallner sich im Vorfeld eingehend schlau gemacht hatte. Die Frage, warum er sich bei der Suche nach einem Sicherheitsunternehmen ausgerechnet für Christoph und sein Mini-Team entschieden hatte, statt eines der großen, bundesweit agierenden Unternehmen zu beauftragen, ging ihr nicht zum ersten Mal durch den Kopf. Christoph hatte sich dazu auch seine Gedanken gemacht, um schließlich festzustellen, dass Hallner einen regionalen Partner gesucht hatte, der sofort anfangen konnte, und er zudem einfach mal bei der Auswahl Glück gehabt hatte.

»Ich gehe gerne ungewöhnliche Wege und folge dann individuellen statt allgemein üblichen Kriterien«, fuhr Hallner nach kurzem Blick in ihr Gesicht fort. »Das betrifft auch geschäftliche Entscheidungen in der Zusammenarbeit mit externen Firmen oder Freiberuflern. Sie haben umfangreiche Erfahrungen als Ermittlerin in unterschiedlichen Branchen gesammelt, der Lebenslauf Ihres Partners ist gespickt mit besonderen Herausforderungen, die er allesamt zu meistern wusste. So etwas beeindruckt mich mehr als große Namen und eine glatte oder gar beeindruckende Vita mit hervorragenden Zeugnissen.«

Christoph war Berufssoldat gewesen und hatte viele Jahre im Gefängnis gesessen, nachdem er bei der Suche nach den Hintergründen für den Mord an seinem Bruder deutlich über das Ziel hinausgeschossen war. Diese Jahre konnte man selbstverständlich auch unter der Überschrift »besondere Herausforderungen« zusammenfassen. Dass ein smarter Hamburger Geschäftsmann genau das tat, gefiel Emma.

Sie deutete ein Nicken an. Emma bezweifelte, dass Hallner ihren Lebenslauf in sämtlichen Details nachvollziehen konnte – einschließlich ihres Identitätswechsels im Zusammenhang mit der Entscheidung, als Privatermittlerin nach Wismar zu gehen und zugleich für das BKA im Bereich der Organisierten Kriminalität ihre Fühler auszustrecken. Aber vielleicht hatte ihm genügt, was sich recherchieren ließ, und er war zufrieden, eine Ermittlerin gewinnen zu können, die sowohl für eine Bundesbehörde als auch für regionale Dienststellen und darüber hinaus als Privatdetektivin tätig war. Außerdem sollte die zwei- oder dreiwöchige Observation eines Mitarbeiters, der nicht das hundertprozentige Vertrauen seines Chefs genoss oder sich in irgendeiner Weise verdächtig gemacht hatte, keine allzu schwierige Aufgabe für eine ehemalige Polizistin darstellen.

»Das klingt pragmatisch«, erwiderte sie schließlich.

»Falls Sie sich für den Auftrag entscheiden, muss ich Sie bitten, unsere Sicherheitsvorkehrungen zu akzeptieren.«

»Das dürfte kein Problem sein.«

»Das bedeutet nicht nur, dass Sie Außenstehenden gegenüber kein einziges Wort zu Ihrem Auftrag verlieren dürfen. Dazu gehört auch, dass Sie Ihr privates Smartphone in den Geschäftsräumen nicht nutzen dürfen – genauer gesagt: Sie werden es abgeben, bis Sie die Räumlichkeiten wieder verlassen.«

Emma runzelte die Stirn.

Hallner hob kurz die Hände. »So läuft es bei uns.«

»Nun gut, damit werde ich leben können.«

»Darf ich davon ausgehen, dass Sie den Auftrag übernehmen werden?«

»Ja, das dürfen Sie.«

»Das freut mich zu hören.« Er lächelte, öffnete eine Schublade und reichte ihr eine Dokumentenmappe, die den Vertrag enthielt, sowie ein Smartphone. »Sie können gleich unterschreiben oder sich ein, zwei Tage Bedenkzeit nehmen und dann …«

»Ich werde gleich unterschreiben, sofern Sie mir die Zeit lassen, den Vertrag zu lesen«, warf Emma ein.

»Natürlich.«

Sie öffnete die Mappe und las das Schreiben mit konzentrierter Miene. Die Bezahlung war exorbitant, die Spesenabrechnung großzügig, Hinweise zur Arbeitsweise und zum Datenschutz waren detailliert aufgelistet und streng geregelt, was sie nach Hallners Erläuterungen nicht mehr sonderlich wunderte. Auch Christoph hatte bereits darüber berichtet, dass der Geschäftsführer ungewöhnlich pingelig war, was in der Branche nicht allzu sehr verwundern durfte. In der Regel ging es um sehr viel Geld.

Emma unterschrieb wenige Minuten später, Hallner zeichnete gegen, und sie nahm kurz darauf das Smartphone in Betrieb.

»Sie finden alle Einzelheiten zu Ihrem Auftrag im Dokumentenordner. Alle Belege, Fotos, Notizen und sonstige Dateien, die Sie im Laufe der Observation für nötig befinden, sollten Sie ausschließlich mit diesem Gerät verschicken«, erklärte Hallner.

»Natürlich.«

»Noch Fragen dazu?«

»Nein.« Emma trank ihren Saft aus und erhob sich, als Hallner sie abwartend ansah. »Danke für das Vertrauen.«

»Auf gute Zusammenarbeit.« Sein Händedruck war fest, sein Lächeln dezent, aber freundlich.

Wenige Minuten später machte Emma sich auf den Heimweg. Für die Rückfahrt über Lübeck und Grevesmühlen benötigte sie kaum anderthalb Stunden. Christoph war – wie nicht anders zu erwarten – noch unterwegs und würde erst am Abend zu Hause sein. Emma setzte sich mit einem späten Mittagsimbiss an den Schreibtisch.

Der Mann, den sie im Blick behalten sollte, hieß Bastian Gundlach, war vierzig Jahre alt und gehörte erst seit knapp anderthalb Jahren zum Unternehmen. Laut Hallners Kurzbericht leitete er seit vier Monaten das Büro des Beratungsunternehmens in Schwerin, wo er auch mit seiner Lebensgefährtin wohnte. Zuvor hatte er einige Zeit im Hauptgeschäft in Hamburg sowie im Lübecker Büro gearbeitet, Schwerpunkt seiner Beratertätigkeit waren Anlagefonds unterschiedlicher Risikoeinstufungen sowie Versicherungen. Sein Lebenslauf – einschließlich Schule, Ausbildung, Studium und bisherige Arbeitgeber – war lediglich stichwortartig erfasst und wirkte oberflächlich. Hallner schien sich ausschließlich für das Hier und Jetzt zu interessieren, dachte Emma, während sie sich einige Fotos von Gundlach ansah – ein gutaussehender, schlanker Typ mit gewinnendem Lächeln, kurzem dunklem Haar und braunen Augen; die Vierzig sah man ihm nicht an. Vielleicht war er für höhere Aufgaben vorgesehen, und Emmas Check sollte für letzte Gewissheit sorgen, dass Gundlach tatsächlich der Richtige war. Falls er sich mit Leuten traf, die das Misstrauen der Geschäftsführung weckten oder sich nicht an Absprachen hielt, dürfte seine Karriere an der Stelle schnell beendet sein.

Während eines langen Rundgangs am Holzhafen ließ Emma sich am späten Nachmittag Hallners Sicherheitsvorkehrungen und strenge Verschwiegenheitsverpflichtung zum wiederholten Male durch den Kopf gehen. Falls sie in den nächsten Wochen etwas beobachtete, was sie stutzig machte oder sich im Nachhinein als bedeutsam erweisen würde, verfügte sie über keine Möglichkeit einer Nachprüfung – es sei denn, sie machte sich die Mühe, mit unterschiedlichen Geräten zu fotografieren und Notizen doppelt anzufertigen, was ziemlich aufwendig war.

Nach ihrer Rückkehr rief sie kurzerhand Jörg Padorn an – freier Journalist und Texter aus Schwerin sowie begnadeter Rechercheur, Hacker und langjähriger Freund von Christoph, mit dem Emma inzwischen regelmäßig zusammenarbeitete und sich bestens verstand, nachdem sie einen alten Konflikt stillschweigend beigelegt hatten. Sie berichtete ihm von dem Auftrag und von den hohen Auflagen, die sie doch ein wenig verwunderten.

»In dieser Branche nicht unüblich«, meinte er in lapidarem Ton. »Da geht es um richtig viel Geld.«

»Schon klar, aber …«

»Du willst dich absichern«, stellte er unumwunden fest. »Sind dir die Leute nicht geheuer? Ich meine – Christoph hat einen fetten Auftrag abgegriffen und ist ziemlich zufrieden.«

»Ich weiß.« Sie blickte einen Moment ins Leere. Vielleicht wird man mit der Zeit übervorsichtig, überlegte sie – oder auch zwanghaft, hysterisch.

»Vorschlag«, schob Padorn einen Moment später nach. »Mach deinen Job wie vereinbart, und wenn dir eine Sicherheitskopie am Ende des Auftrags immer noch wichtig ist, kümmere ich mich um eine zusätzliche Datensicherung, ohne dass dein Auftraggeber etwas davon mitbekommt. Hoffe ich zumindest.« Er räusperte sich leise.

»Klingt vernünftig. Danke.«

»Keine Ursache.«

Emma begann am nächsten Morgen mit der engmaschigen Observierung. Gundlach verließ gegen acht Uhr das Haus, fuhr ins Büro und nahm tagsüber verschiedene Auswärtstermine wahr. Sie protokollierte und fotografierte und saß viele Stunden mehr oder weniger untätig im Wagen herum – ein Tagesablauf, der sich in den nächsten knapp zwei Wochen so oder so ähnlich wiederholen sollte. Ein abwechslungsreicher Job war das nicht, wie sie dreimal am Tag feststellte, um sogleich entgegenzuhalten, dass die Bezahlung überragend war.

Gundlach machte ihrem ersten Eindruck nach einen entspannten Eindruck und schien auch nicht zu bemerken oder zu befürchten, dass er beschattet wurde. Nach einigen Tagen tauschte Emma dennoch vorsichtshalber ihr Fahrzeug gegen Christophs Wagen ein, sie trug andere Kleidung und Sonnenbrille.

Die Tagesprotokolle, mit denen sie Hallner regelmäßig und minutiös über Gundlachs Bewegungsprofil, Treffen und Kontakte auf dem Laufenden hielt, klangen fast eintönig. Lediglich zwei Geschäftsreisen führten ihn für einige Stunden nach Berlin und Hannover, ansonsten bewegte er sich im Umkreis von Schwerin und Wismar oder saß stundenlang in seinem Büro.

Wenige Tage vor Ablauf des vereinbarten Beobachtungszeitraums machte Gundlach sich an einem Freitagabend auf den Weg nach Wismar, und Emma gewann zum ersten Mal den Eindruck, dass er sich anders verhielt. Er unterbrach die Fahrt mehrfach, fuhr Umwege und änderte wiederholt das Tempo. Emma war plötzlich hellwach und vergrößerte den Abstand, um keineswegs Verdacht zu erregen.

In Wismar hielt Gundlach vor einem Discounter, erledigte Einkäufe und verließ die Stadt schließlich in nordwestlicher Richtung – in erhöhtem Tempo. Emma blieb gerade so dicht an ihm dran, dass sie den Wagen erkennen konnte. Als Gundlach schließlich den kleinen Ort Zierow ansteuerte und in einen schmalen Weg einbog, hielt Emma im Schutz einer Baumgruppe und griff nach ihrem Fernglas. Gundlach war neben einem abgelegenen ehemaligen Fischerhaus stehengeblieben. Schließlich stieg er aus, sah sich eingehend um und fuhr den Wagen dann wenig später in einen Schuppen neben dem Haupthaus.

Emma schoss mehrere Fotos, doch die Bilder waren aus der Entfernung wenig aufschlussreich. Als sie nach einer guten halben Stunde den Wagen verließ und sich im Schutz der hereinbrechenden Dämmerung näher an das Haus heranschlich, entdeckte sie eine Videokamera und mehrere Bewegungsmelder. Das Risiko, entdeckt zu werden, war zu groß. Hallner hatte während eines kurzen Telefonats betont, dass Gundlach keinerlei Verdacht schöpfen dürfe. Emma fotografierte noch einige Male und trat schließlich den Rückzug an.

Gleich am nächsten Morgen brachte sie in Erfahrung, dass das Haus einer Familie aus Hamburg gehörte, die es zurzeit an eine Studentin namens Louise Herzog vermietet hatte. Emma war verblüfft. Was bewog eine junge Frau, eine Studentin, in der Abgeschiedenheit eines winzigen Ortes an der Ostsee ein großes Haus zu mieten? Und was hatte Gundlach mit ihr zu tun? Dass er lediglich eine gute Freundin oder Bekannte besuchte, konnte nicht gänzlich ausgeschlossen werden, doch Emma war aufgrund seiner veränderten Verhaltensweise äußerst skeptisch und tippte eher auf eine Geliebte oder aber auf ein Treffen mit unlauteren Absichten.

Letztlich spielten ihre Fragen jedoch überhaupt keine Rolle. Sie vervollständigte ihren Bericht und schickte ihn Hallner. Falls ihre Informationen dazu führen würden, dass Gundlachs Karriere ins Stocken geriet, würde sie nie erfahren, was genau dahintersteckte. Der Gedanke behagte ihr ganz und gar nicht.

Klaus Hallner rief am Montagmorgen an, kurz bevor Emma das Haus in Richtung Schwerin verlassen wollte, um wie gewohnt Gundlach durch den Tag zu begleiten. »Sie haben gute Arbeit geleistet«, erklärte er nach kurzer Begrüßung. »Ich bin sehr zufrieden. Haben Sie Zeit, heute Mittag nach Hamburg zu kommen? Ich veranlasse dann sofort die Auszahlung Ihres Honorars.«

»Darf ich daraus schließen, dass die Observation beendet ist?«, fragte Emma nach. Sie war überrascht.

»Die vorliegenden Informationen sind völlig ausreichend. Eine weitere Beschattung ist unnötig.«

Emma runzelte die Stirn. »Dieser Ausflug nach Zierow …«

»Ich habe Ihren Bericht erhalten und zur Kenntnis genommen. Wie gesagt – Ihre Recherchen sind sehr aussagekräftig. Mehr brauche ich nicht.«

Und alles andere geht mich nicht das Geringste an, dachte Emma. Sie konnte sich nicht daran erinnern, je einen Auftrag ausgeführt zu haben, bei dem sie derart im Dunkeln geblieben war. Und das Honorar wog das Unbehagen nicht gänzlich auf, stellte sie weiter fest. Ihr Wissensdurst blieb völlig unbefriedigt.

»Ich verstehe«, erwiderte sie schließlich. »Ich könnte um dreizehn Uhr bei Ihnen sein.«

»Das passt hervorragend.«

Emma unterbrach die Verbindung und rief sofort Padorn an. »Ich möchte, dass du dich mit dem Smartphone beschäftigst, über das wir letztens sprachen.«

Leises Seufzen. »Ich hätte glatt eine Wette darauf abgeschlossen, dass du dich genau so entscheidest. Na schön.«

»Hast du Zeit? Ich könnte auf dem Weg nach Hamburg bei dir vorbeikommen.«

»Wohl kaum.«

Emma blinzelte. »Wie meinst du das?«

»Du darfst davon ausgehen, dass dein Bewegungsprofil mit dem Handy aufgezeichnet wird. Ein kleiner Abstecher zu meiner Adresse wäre nicht klug, um nicht zu sagen: ziemlich bescheuert, insbesondere wenn ich an dem Teil herumfummele.«

Emma atmete tief aus. »Okay. Logisch. Darüber habe ich wohl nicht nachgedacht.«

»Nö. Setz Kaffee auf, ich mache mich auf den Weg.«

Padorn brauchte eine gute halbe Stunde, bis er eine, wie er meinte, halbwegs elegante Lösung gefunden hatte, die Daten zusätzlich in einer Cloud zu sichern. »Davon dürften die nichts mitkriegen.« Er zögerte einen Moment.

»Aber hundertprozentig sicher ist es nicht?«

»Hundertprozentig sicher ist gar nichts«, entgegnete Padorn. »Wenn jemand einen Verdacht schöpft und sich sehr schlau anstellt, kann ich nicht ausschließen, dass er oder sie etwas entdeckt, sofern er oder sie an der richtigen Stelle nachforscht. Aber das Risiko ist nicht groß, zumal ja nicht gerade aufregende Dinge passiert sind, wenn ich deine Andeutungen richtig verstanden habe.«

»Kann man so sagen. Ich weiß nicht, warum ich diesen Typen observiert habe, und werde es wohl auch nie erfahren, das war Teil der Abmachung, aber …«

»Sicher ist sicher. Alles klar. Noch eine Frage: Wann hast du zum letzten Mal ein Backup von deinem Handy gemacht?«

Emma zögerte und lächelte schuldbewusst. Padorn schüttelte den Kopf. »Okay, dann erledige ich das auch gleich noch mit.«

Emmas Besuch in Hamburg-Marienthal fiel noch kürzer aus als ihr Vorstellungsgespräch zwei Wochen zuvor. Hallner wirkte ähnlich zufrieden wie bei ihrem Telefonat und war genauso wenig mitteilsam. Als sie eine Viertelstunde später wieder in ihr Auto stieg, war ihr Konto um eine beträchtliche Summe angewachsen. Sie griff nach ihrem Handy und wollte Christoph anrufen, um festzustellen, dass sämtliche Daten gelöscht waren. Für einen Moment war sie perplex. Dass Hallner dahintersteckte, stand für sie außer Frage, dass sein Verhalten ziemlich übergriffig war und sie gut daran getan hatte, sich abzusichern, ebenfalls. Wie gut, dass Padorn Vorsorge getroffen hatte, dachte sie und fuhr zum zweiten Mal an diesem Tag nach Schwerin. Sie hatte Padorn selten breiter grinsen gesehen.

2

Die nächsten Wochen blieben für Christoph arbeitsreich und ausgefüllt. Er pendelte zwischen Wismar, Schwerin, Lübeck und Hamburg, während Emma hin und wieder Büroaufgaben in seinem neu angemieteten Betriebshof am Ortsrand von Gadebusch übernahm. Etwa dreißig Kilometer südwestlich von Wismar und zirka zwanzig nordwestlich von Schwerin gelegen war der Hof für die neuen Aufgaben gut zu erreichen. Ansonsten genoss sie Christophs aufgeräumte Stimmung und das hochsommerliche Wetter.

Für Emma gab es keine Folgeaufträge aus Hamburg, und das war ihr auch ganz recht. Stattdessen sorgte die BKA-Frau Johanna Krass dafür, dass sie an einem zweitägigen Fortbildungsseminar in Berlin teilnahm – Schwerpunkt: die Aufgaben externer Ermittler und Ermittlerinnen. In Erinnerung bleiben würde Emma vor allem die Kneipentour, die sie am letzten Abend mit Johanna und zwei anderen Teilnehmern in Kreuzberg und Mitte unternahm und die ihr einen gehörigen Kater bescherte.

Der Auftrag Gundlach geriet komplett in Vergessenheit – bis zu jenem Tag einige Wochen später, als Feriengäste am naturbelassenen Strand von Hoben, nicht weit von Zierow entfernt und mitten in der Hochsaison am frühen Morgen die Leichen einer jungen Frau und eines Mannes in Schwimmanzügen entdeckten. Emma war gerade in der Küche und kochte Kaffee, als die Meldung im Radio nach den Regionalnachrichten vertieft wurde. Sie drehte die Lautstärke hoch und lauschte konzentriert. Die Sprecherin erwähnte Kopfverletzungen, die den Schluss zuließen, dass es einen Zusammenstoß mit einem größeren Boot gegeben hatte. Zur Identität der beiden konnte die Polizei noch nichts sagen.

Emma ließ ihren Kaffee stehen und machte sich sofort auf den Weg in die Wismarer Dienststelle. Kommissariatsleiter Torsten Friedmann, mit dem sie bereits mehrere Fälle gemeinsam gelöst hatte, war nicht im Hause, erklärte ihr eine uniformierte Polizistin in zurückhaltendem Ton – offenbar war die junge Beamtin neu.

»Ich nehme an, er ist am Strand von Hoben?«

Die Beamtin zögerte.

»Ich habe gerade von dem Leichenfund erfahren«, erklärte Emma. »Ich kannte die beiden womöglich.« Das war womöglich etwas übertrieben, aber in der Sache nicht falsch. »Friedmann und ich arbeiten schon eine Weile zusammen und …«

»Das stimmt«, ertönte die Stimme des Kommissariatsleiters plötzlich hinter ihr.

Emma drehte sich um.

Friedmann war verschwitzt und angespannt, er winkte der Polizistin zu und wandte sich dann an Emma. »Gehen wir in mein Büro.«

Er ließ sich in seinen Schreibtischsessel fallen und atmete zweimal tief durch, bevor er eine Flasche Mineralwasser zur Hälfte leerte, dann zwei Telefonate erledigte und schließlich die Hände faltete und Emma ansah. »Habe ich das richtig mitbekommen: Du kennst die beiden Verunglückten?«

»Möglich. Jedenfalls habe ich einen Verdacht. Ich hatte vor einigen Wochen einen Observationsauftrag, der mich auch in die Nähe von Hoben geführt hat. Hast du Fotos von den Leichen?«

Friedmann zögerte.

Emma hob eine Braue. »Sag nicht, dass du …«

Er winkte ab. »Natürlich vertraue ich dir«, warf er ein. »Die Aufnahmen sind allerdings nichts für schwache Gemüter.«

»Seit wann zählst du mich ausgerechnet dazu?«

»Tue ich nicht. Versteh es bitte nur als Warnung.«

»Mach ich.« Emma zuckte mit den Achseln, aber sie schluckte, als Friedmann ihr mehrere Bilder auf seinem Handy zeigte. Beide Opfer wiesen beträchtliche Kopfverletzungen auf, von denen ja bereits in der Radiomeldung die Rede gewesen war. Die Gesichter waren zumindest im Stirnbereich entstellt. Dennoch war sie ziemlich sicher, sowohl den Mann als auch die junge Frau zu erkennen, obwohl sie von Letzterer lediglich das offizielle Foto der Meldebehörde kannte.

»Es hat beide voll erwischt – wahrscheinlich mit dem Bug in der Mitte des Schädels«, erörterte Friedmann. »Kein schöner Anblick.«

Emma nickte und sah wieder hoch. »Bei dem Mann handelt es sich um Bastian Gundlach«, sagte sie leise. »Und die Frau kenne ich auch, zumindest namentlich.«

Friedmann verschränkte die Arme vor der Brust.

»Gundlach war in einem großen Hamburger Beratungsunternehmen als Betriebswirt und Anlagenexperte beschäftigt und leitete das Büro in Schwerin. Ich sollte ihn beschatten – Auftrag der Geschäftsführung. Warum genau, hat man mir nicht verraten. Ich ging davon aus, dass man seine Arbeitsweise und seine Kontakte überprüfen wollte. Unter Umständen hatte er sich verdächtig gemacht – Stichwort: Wirtschaftsspionage. Vielleicht ging es auch nur um einen Check, weil der Mann für eine andere Position infrage kam. Wie auch immer – ich konnte nichts Verdächtiges feststellen, aber das muss nichts heißen«, fuhr sie fort und berichtete zusammenfassend von den Besonderheiten, die dieser Auftrag mit sich gebracht hatte.

Friedmann lauschte mit zunehmend konzentrierter Miene, insbesondere als Emma von Gundlachs Besuch im Fischerhaus in Zierow erzählte.

»Bei der zweiten Leiche dürfte es sich um die junge Frau handeln, die Gundlach besuchte«, beendete Emma ihren Bericht. »Louise Herzog, Ende zwanzig, eine Studentin, die das Haus vor einiger Zeit gemietet hat. Mehr wollte mein Auftraggeber übrigens gar nicht wissen – zumindest gab es keine weitergehenden Fragen, auch nicht, als ich darauf hinwies, dass Gundlach sich während der Fahrt seltsam verhielt, als befürchte er, verfolgt zu werden.«

Friedmann runzelte die Brauen. »Und nun sind beide tot.«

»Klingt ein bisschen seltsam, wenn du mich fragst.«

»Ich stimme dir zu. Wir haben allerdings bisher keinerlei Anhaltspunkte, die für eine Straftat sprechen könnten.«

»Bis auf die Tatsache, dass Gundlach offenbar seinen Ausflug verheimlichen wollte«, warf Emma eilig ein. »Warum und vor wem auch immer.«

»Ich kann mir denken, was du meinst – aber das liegt Wochen zurück, wenn ich dich richtig verstanden habe, und die beiden waren vielleicht nur ein heimliches Liebespaar. Nach den bisher vorliegenden Erkenntnissen war das Ganze ein Unfall. Sie sind ziemlich weit rausgeschwommen, und ein Boot oder eine größere Yacht hat sie erwischt. So könnte es zumindest gewesen sein.«

Emma wies mit einer beiläufigen Handbewegung in Richtung der Fotos. »Und das Boot erwischt beide auf die gleiche Weise – jeweils mittig über dem Kopf, ohne dass der Bootsführer etwas bemerkte? Wie soll das gehen? Sind sie etwa direkt hintereinander geschwommen? Oder welche Erklärung böte sich noch an?«

Friedmann schüttelte den Kopf. »Die einzige schlüssige Erklärung, die wir zurzeit haben, lautet, dass wir noch zu wenig wissen. Der Rechtsmediziner hat hoffentlich bald ein paar erhellende Erkenntnisse für uns. Ansonsten versuchen wir, alle Boote und Schiffe ausfindig zu machen, die heute früh und auch gestern Abend in der Wismarer Bucht unterwegs waren. Bislang ist ja noch nicht einmal klar, wann der Unfall geschehen ist. Es könnte auch gestern passiert sein, und die Leichen sind erst in den frühen Morgenstunden angeschwemmt worden.«

»Und niemand hat sie vermisst gemeldet?«

Friedmann seufzte. »Eins nach dem anderen, Emma. So ersparen wir uns überflüssige Aktivitäten.«

»Ja, okay.«

»Du klingst alles andere als überzeugt.«

Emma konnte ihm nicht verdenken, dass er sie auszubremsen versuchte. Zurzeit sprach tatsächlich einiges für ein Unfallgeschehen – ob nun am gestrigen Abend oder frühen Morgen spielte lediglich eine untergeordnete Rolle. Falls Gundlach und Herzog ein Paar waren, hatte er bei seiner Lebensgefährtin sehr wahrscheinlich einen Auswärtstermin vorgeschoben. Das würde sich alles bald herausstellen. Und trotzdem wuchs ihr Unbehagen. Sie glaubte nur höchst selten an Zufälle. »Wärst du damit einverstanden, wenn ich mit dem Geschäftsführer in Hamburg Kontakt aufnehme?«

Friedmann zögerte.

»Dafür überlasse ich dir alles, was ich zu Gundlachs Vita vorliegen habe«, fügte sie rasch hinzu. »Das erspart dir und deinen Leuten ein paar Recherchen, und ihr könnt euch anderen Aufgaben widmen.«

»Wie großzügig! Falls ich eingehende Infos überhaupt benötigen werde … Aber sag mal – ich denke, du durftest deine Aktivitäten nicht zusätzlich aufzeichnen«, wandte Friedmann ein.

»Stimmt, aber einige Eckdaten sind ja frei verfügbar. Außerdem verfüge ich über ein sehr gutes Gedächtnis.«

Friedmann warf ihr einen schrägen Blick zu. »Na schön. Sprich mit dem Geschäftsführer, aber halte mich an der Stelle bitte zunächst heraus. Ich kann dein Engagement zumindest im Moment nicht rechtfertigen.«

»Kein Problem.«

Auf dem Nachhauseweg schrieb Emma Padorn eine Nachricht. Es war kaum eine Stunde vergangen, als sie wieder in ihrer Küche saß und sich einen frischen Kaffee gönnte. Sie überlegte nur einen Moment, ob es tatsächlich schlau war, an der Stelle voreilig aktiv zu werden, doch dann wählte sie kurzerhand die Handynummer von Hallner. Der Geschäftsführer meldete sich erst nach dem vierten Rufzeichen. »Frau Klar«, begrüßte er sie, und die Überraschung war seiner Stimme deutlich anzuhören. »Was kann ich für Sie tun?«

»Ich störe nur ungern, Herr Hallner, aber der Anlass ist wichtig genug. Es geht um Bastian Gundlach und Louise Herzog.«

Kurzes Schweigen.

»Die beiden sind heute früh tot am Strand von Hoben entdeckt worden«, fügte Emma hinzu. Sie hörte, wie er scharf einatmete.

»Wie bitte?«

Emma berichtete von der Meldung in den Nachrichten und ihrem Verdacht, der sich wenig später bestätigt hatte. Dabei ließ sie unerwähnt, dass sie ihren hervorragenden Draht zur Wismarer Polizei genutzt hatte und bereits die Fotos der Opfer kannte.

»Das ist ja schrecklich«, sagte Hallner leise. Sie hörte leises Klappern im Hintergrund und vermutete, dass er am PC saß. »Die Polizei geht von einem tragischen Unfall aus, wie im Netz nachzulesen ist«, fügte er kurz darauf hinzu. »Im Übrigen sind die Identitäten noch gar nicht geklärt, heißt es dort auch.«

»Ich habe nachgehakt und mich vergewissert«, erwiderte Emma.

»Vergewissert? Warum?« Seine Stimme klang plötzlich hellwach.

»Der Strand von Hoben befindet sich ganz in der Nähe von Zierow. Gundlachs seltsames Verhalten an jenem Freitagabend, als er zum Haus von Louise Herzog fuhr, ist mir noch in guter Erinnerung. Ich war alarmiert und …«

»Alarmiert?«, warf Hallner ein. »Seltsame Wortwahl. Dort ist ein Unfall geschehen.«

»Ich war trotzdem alarmiert, zumal es sich um einen tödlichen Unfall handelte.«

»Frau Klar, darf ich Sie noch einmal in aller Form an Ihre Schweigepflicht erinnern?«

Emma hielt inne. War das seine einzige Sorge? »Halten Sie das tatsächlich für nötig?«, entgegnete sie dann. »Zwei Menschen sind ums Leben gekommen, Herr Hallner. Vielleicht bei einem Unfall. Es ist meine Art, stutzig zu werden, wenn Menschen plötzlich sterben, und es gehört zu meinem Beruf, nach den Hintergründen zu fragen. Betrachten Sie meinen Anruf doch ganz schlicht als zusätzliche Information zu meinem ursprünglichen Auftrag. Ihr Mitarbeiter, den ich etliche Tage beschattet habe, lebt nicht mehr.«

Emma hätte an der Stelle gerne noch einiges hinzugefügt, aber sie hielt sich zurück. Die Schweigepflicht bezüglich ihres Auftrags war eine Sache, die andere hatte mit Christoph zu tun. Er hatte endlich einen gesicherten Job, der ihm zudem großen Spaß machte, und sollte er aufgrund ihrer forschen Vorgehensweise Probleme bekommen oder gar seinen Auftrag verlieren, müssten sie zumindest gemeinsam abwägen, ob es das Risiko wert war, in dieser Situation eine dicke Lippe zu riskieren.

Es blieb lange still. »Ja, Sie haben recht. Danke für die Mitteilung«, sagte Hallner schließlich und legte auf.

Emma schob das Handy beiseite. Seltsamer Typ! Sie griff erneut das Smartphone und versuchte, Christoph zu erreichen, doch der ging nicht ans Telefon. Viel zu tun, teilte er ihr kurz darauf in einer SMS mit. Wir reden heute Abend.

Sie war auf dem Weg nach unten in ihr Büro im Erdgeschoss, als Padorn sich meldete. »Das ist ja ein Ding«, meinte er statt einer Begrüßung.

»Kann man so sagen«, erwiderte Emma und erstattete ihm einen Kurzbericht über ihren Besuch bei Friedmann und das Gespräch mit Hallner.

»Verstehe. Liege ich richtig mit meiner Vermutung, dass du nun auf die Daten in der Cloud zugreifen möchtest?«

»Absolut. Ich habe Friedmann ein paar allgemeine Rechercheergebnisse zu Gundlach und Herzog versprochen, auch wenn noch nicht klar ist, worum es hier geht.«

»Frei nach dem Motto: Ein paar zusätzliche Infos können nicht schaden? Okay, ich halte es allerdings für keine gute Idee, wenn ich dir die Datei unter deiner offiziellen Mailadresse zuschicke. Wenn du verstehst, worauf ich hinauswill.«

»So ungefähr.«

»Das beruhigt mich. Kann ich sonst noch was für dich tun?«

»Falls du gerade nichts Besonderes zu tun hast …«

Padorn seufzte. »Schon verstanden. Ich schaue mich mal im Netz um und lasse ein paar Namen durchlaufen. Es ist ja nicht so, dass mich deine Frage großartig überraschen würde.«

»Danke dir.«

»Ich melde mich.«

Zehn Minuten später traf die Datei ein, die Emma umgehend an den Kommissariatsleiter weiterschickte.

Friedmann blieb eine ganze Weile nachdenklich an seinem Schreibtisch sitzen, nachdem Emma sein Büro verlassen und er die Kollegen über die möglichen Identitäten der Toten informiert hatte. Der Aspekt mit der auffallenden Ähnlichkeit der Verletzungen gab ihm durchaus zu denken. Die Vermutung, dass ein Boot beide Schwimmer auf nahezu identische Weise erwischt und tödlich verletzt hatte, wirkte bizarr, aber das allein war natürlich kein überzeugendes Argument, das gegen ein Unfallgeschehen sprach. Die bisherigen Nachforschungen im Wismarer Hafen waren in vollem Gange, Hinweise hatten sich bislang nicht gefunden. Das Gleiche galt für die Suche nach Zeugen im Bereich des Naturstrandes.

Friedmann strich sich durchs Haar, dann griff er zum Telefon und bat einen Kollegen in Schwerin, Gundlachs Lebensgefährtin nach Wismar zu bringen. Das persönliche Gespräch war ihm wichtig, außerdem stand die offizielle Identifizierung noch aus.

Anschließend telefonierte er mit dem Kollegen, der den Einsatz am Fundort leitete, und beorderte zwei Beamte zu dem Fischerhaus nach Zierow, bevor er erneut in der Rechtsmedizin anrief. Ein deutlich entnervter Assistent erklärte ihm, dass noch kein Bericht vorläge und weitere Anrufe ihn von der Arbeit abhalten würden. Friedmann knurrte ein undeutliches »Alles klar« und schob das Telefon unwirsch beiseite.

Er legte die Hände auf den Tisch und stemmte sich hoch, als sein PC mit einem leisen Pling den Eingang einer Nachricht signalisierte – Emmas Informationen zu Bastian Gundlach und einige Stichpunkte zu der jungen Frau.

Friedmann setzte sich wieder und studierte eine Weile die Vita des Mannes, bevor er sich den Angaben zu Louise Herzog widmete. Sie war in Lüneburg geboren, gelernte medizinisch-technische Assistentin, die in Hamburg gearbeitet und in Rostock Pharmakologie studiert hatte, letzter Wohnsitz war in Rostock. Jemand muss die Angehörigen informieren, dachte Friedmann, eine furchtbare Aufgabe. Vielleicht hat Emma sich geirrt, dachte er. Allerdings war die Ähnlichkeit zwischen den offiziell zugänglichen Fotos von Herzog und der Leiche durchaus überzeugend.

Friedmann zuckte zusammen, als sein Handy auf der Schreibtischplatte vibrierte.

»Chef, wir sind an dem Fischerhaus«, erklärte einer der Kollegen vom Einsatzteam. »Die Terrassentür ist nur angelehnt, und es ist niemand hier. Sollen wir reingehen?«

»Irgendwas Verdächtiges?«

»Auf den ersten Blick – nein.«

Friedmann stand rasch auf. »Wartet auf mich.«

Er brauchte keine Viertelstunde für die knapp acht Kilometer. Die beiden Kollegen erwarteten ihn an der Grundstücksrückseite.

»Habt ihr die Nachbarn schon befragt?«

Kopfschütteln. »Das Haus liegt ziemlich abgelegen. Der nächste Nachbar …«

»Dann macht das mal«, warf Friedmann ein und zog sein Handy aus der Tasche. »Zeigt dieses Bild von ihr herum.«

Der ältere der beiden Kollegen speicherte das Foto. »Alles klar.«

»Ich gucke mich in der Zwischenzeit schon mal drinnen um.«

»Okay, Chef.«

Friedmann streifte Handschuhe über und betrat das Wohnzimmer über die offenstehende Terrassentür. Der Raum war groß, die Decke niedrig, die Dielen wirkten blank wie nach jahrzehntelanger Nutzung. Auf der linken Seite befand sich ein wuchtiger Kamin, rechts eine dunkle Kommode und ein großer Tisch, auf dem Hefter und Notizzettel verstreut waren. Friedmann trat näher und überflog einige Seiten. Wie es aussah, hatte Herzog sich mit Unistoff beschäftigt. Sie hat für eine Prüfung gelernt, dachte er. Er schoss einige Fotos mit dem Smartphone und ging nach nebenan. Die Küche wirkte unaufgeräumt. Geschirr stand in der Spüle, darunter Weingläser und Espressotassen. Er betrat das Schlafzimmer – das Doppelbett war zerwühlt, beide Decken und Kissen wirkten benutzt.

Friedmann ließ den Blick einen Moment schweifen und ging zurück ins Wohnzimmer. In der Schublade eines Beistelltisches entdeckte er den Studentenausweis von Louise Herzog. Nun gab es keine Ausrede mehr – es blieb ihm nichts anderes übrig, als die Eltern zu kontaktieren. Er hob den Kopf und drehte sich um, als er Schritte auf der Terrasse hörte.

»Chef?«

»Ja, ich bin hier.«

Der jüngere der beiden Beamten trat ein. »Nichts«, sagte er.

»Geht das etwas genauer?«

»Von den nächsten Nachbarn hat niemand irgendwas mitbekommen. Die Frau wohnte erst seit ein paar Wochen hier und hat zurückgezogen gelebt.«

Friedmann wies auf den Tisch. »Sie hat für die Uni gelernt, vielleicht stand eine wichtige Prüfung an.«

Der Kollege nickte. »Und wo ist ihr Laptop?«

Friedmann blinzelte. »Keine Ahnung. Für eine gründliche Durchsuchung gibt es keinen Anlass. Außerdem soll es Leute geben, die sich Notizen machen und nicht alles digital erledigen.«

Skeptischer Seitenblick. Der Kollege kratzte sich am Hinterkopf. »Wie du meinst.«

»Verschließt die Tür«, meinte Friedmann. »Ich fahre zurück. Muss in Ruhe telefonieren.«

»Alles klar, Chef.«

Eine halbe Stunde später stellte sich heraus, dass Herzog alleinstehend war. Ihre Eltern waren vor zwei Jahren gestorben, genauer gesagt bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommen, weitere Angehörige gab es nicht. Friedmann war erleichtert. Er wollte gerade nachfragen, wo der Kollege aus Schwerin blieb, als der Rechtsmediziner anrief, um ihm mitzuteilen, dass die beiden Opfer zum gleichen Zeitpunkt gestorben waren – zirka acht bis zwölf Stunden vor Auffinden der Leichen. Genauer konnte der Todeszeitpunkt noch nicht bestimmt werden.

»Das heißt, die beiden sind am späten Abend rausgeschwommen«, überlegte Friedmann halblaut. Ein nächtliches Bad in der Ostsee – warum nicht? Doch wieso waren sie so weit herausgeschwommen? Das klang seltsam.

»Möglich.«

»Wieso nur möglich? Gibt es weitere Erkenntnisse?«

»Noch nicht. Wir brauchen noch etwas Zeit.«

Friedmann blinzelte »Wir gehen bislang von einem Unfall aus, einem Zusammenstoß mit einem Boot.«

»Das wissen wir. Ist denkbar.«

»Spricht irgendetwas dagegen?«

»Diese Frage lässt sich zurzeit nicht eindeutig beantworten.«

Friedmann runzelte die Stirn. »Aber …«

»Konkreter kann ich bislang nicht werden, Kommissar Friedmann. Sie kennen doch das Spiel. Ich habe mich vor Abschluss des vorläufigen Berichts gemeldet, weil wir den Todeszeitpunkt inzwischen näher eingrenzen können.«

»Und Sie können auch nicht genauer sagen, was Ihnen zu denken gibt?«

Schweigen.

»Auch wenn ich Sie nicht zitieren würde?«, schob Friedmann behutsam nach.

Leises Seufzen. »Wir haben bei der ersten Untersuchung eine Diskrepanz zwischen dem Todeszeitpunkt und der angenommenen Dauer des Aufenthalts der Leichen im Wasser festgestellt.«

Friedmann ließ den Satz einen Moment sacken. »Das heißt, sie könnten bereits tot gewesen sein, als sie …«

»Schlussfolgerungen kann und will ich daraus nicht ziehen. Das wäre zum jetzigen Zeitpunkt völlig unprofessionell. Wir müssen einige Analysen wiederholen. Vielleicht irren wir uns an der Stelle. Es wäre fatal, wenn Sie aufgrund falscher Ergebnisse Ermittlungen einleiten würden.«

»Ich verstehe.« Friedmann war plötzlich sicher, dass der Rechtsmediziner nicht daran glaubte, dass die Analysen ein falsches Bild zeichneten. Er wollte einen Hinweis geben, weil ihm die Ergebnisse – oder auch einzelne Befunde – seltsam vorkamen. Die üblichen Einwände gegen voreilige Interpretationen vor Abschluss aller Untersuchungen und nochmaligen Überprüfungen gehörten zum standardmäßigen Geplänkel zwischen Rechtsmedizinern und drängelnden Ermittlern, auch wenn Friedmann sich selbst nicht unbedingt zu dieser Kategorie zählen würde. »Dennoch: Was würden Sie mir antworten, wenn ich nun behaupten würde, dass die beiden länger tot sind, als sie im Wasser trieben?«, warf Friedmann ein.

»Dann würde ich antworten, dass diese These …« Der Rechtsmediziner brach ab. »Das würde dem vorliegenden, noch nicht bestätigten Ergebnis durchaus entsprechen.«

Friedmann nickte langsam.

»Wir haben bei beiden Opfern kein Wasser in der Lunge feststellen können«, fuhr der Mediziner fort.

Friedmann lehnte sich zurück. Vor seinem inneren Auge tauchte plötzlich das Bild der beiden Schwimmer auf, die sich weit hinausgewagt hatten und in der Bucht von einem Schiffsbug erfasst worden waren. »Nun, sie waren aufgrund der schweren Verletzungen möglicherweise sofort tot«, meinte er.

»Ein paar Atemzüge wären durchaus noch drin gewesen – ohnmächtig und unter Wasser. Der Kreislauf bricht nicht in Sekundenbruchteilen komplett zusammen.«

»Sie wollen darauf hinaus, dass man Wasser in den Lungen hätte finden müssen – falls sie während des Schwimmens verletzt wurden und dann ertranken?«

»Und im Magen, ja. Eigentlich schon, zumindest eine kleine Menge. Aber womöglich gibt es auch Fälle, die anders verlaufen sind.«

»Viele Fälle?«

»Eher die berühmten Ausnahmen.«

Friedmann biss sich auf die Unterlippe. »Und nun?«

»Wie gesagt – wir werden auf jeden Fall einige Tests und Untersuchungen wiederholen«, erklärte der Rechtsmediziner. »Zur Abklärung. Eine endgültige Beurteilung des Geschehens ist im Moment nicht möglich. Mehr wird dann in meinem vorläufigen Bericht stehen.«

»Ich verstehe. Danke trotzdem für den Hinweis.«

Darauf antwortete der Mediziner nicht.

Friedmann legte das Telefon beiseite und starrte zum Fenster hinaus. Emma hatte wahrscheinlich richtiggelegen mit ihrer Skepsis, nicht zum ersten Mal. Er drehte sich um, als es klopfte. Der Kollege aus Schwerin stand vor der Tür und mit ihm die Lebensgefährtin von Bastian Gundlach. Friedmann zögerte nur einen Augenblick, dann schickte er Emma eine Nachricht, bevor er sich auf den Weg in den Befragungsraum machte.

3

Emma las die SMS zweimal, während sich ihre Augen weiteten, dann wählte sie Friedmanns Nummer.

»Ich bin gerade auf dem Weg zur Befragung mit Gundlachs Freundin«, erklärte er. »Also …«

»Das war alles, nur kein Unfall«, warf Emma leise ein. »Wenn ich spekulieren sollte, würde ich glatt behaupten, dass man sie an Land oder auf einem Boot ermordet und später in die Ostsee geworfen hat. Die Ergebnisse …«

»Die noch nicht bestätigt sind! Der Rechtsmediziner hat sich ziemlich geziert.«

»Ich weiß, Friedmann. Sollten sie bestätigt werden, haben wir es mit einem Doppelmord zu tun. Das fehlende Wasser in der Lunge wäre ein starkes Indiz – und falls sich der verschobene Todeszeitpunkt auch bestätigt, wird der Staatsanwalt nicht zögern, unsere Schlussfolgerungen zu teilen.«

»Du sagst es. Nett übrigens, dass du von einem Wir ausgehst.«

Emma lächelte.

»Warten wir ab, was im endgültigen Bericht steht. Ich werde spätestens morgen noch mal nachhaken. Aber ich gebe dir recht – mich stimmt das auch ziemlich nachdenklich.«

»Vielleicht hat man sie sogar einfach am Strand im flachen Wasser abgelegt«, grübelte Emma weiter. »Wäre denkbar.«

»Vielleicht reicht nicht und wäre denkbar auch nicht.«

»Nein …« Emma zögerte. »Hast du was dagegen, wenn ich mir deine Befragung von Gundlachs Freundin im Nebenraum ansehe?«

»Nun … Beeil dich.«

»Bin schon unterwegs.«

Emma brach zwei Minuten später auf. Einen Augenblick lang durchströmte sie ein mulmiges Gefühl. Falls sich der Verdacht bestätigte, musste auch Hallner befragt werden, insbesondere was die Entscheidung betraf, Gundlach beschatten zu lassen. Das würde dem Geschäftsführer gar nicht schmecken.

Karla Brendel war sechsunddreißig Jahre alt, eine mittelgroße Frau mit hellblondem Haar und aparten Zügen. Sie war gelernte Kauffrau, ohne feste Anstellung, wie Emma sich an ihre Recherchen erinnerte. Ihr Partner hatte genug für beide verdient, und das Paar verfügte zudem über gemeinsames Vermögen.

Brendel war seit gut zwölf Jahren mit Gundlach zusammen, wie sie Friedmann ohne Zögern erzählte. Sie war blass und zittrig und trank immer wieder in kleinen Schlucken von ihrem Wasser. Sie steht unter Schock, stellte Emma sofort fest. Friedmann zeigte ihr ein Foto von Gundlach, und Emma hoffte, dass es sich um eine bearbeitete Version handelte, auf dem die schweren Verletzungen nicht zu erkennen waren. Brendel blickte einen Moment mit starrem Blick auf das Foto, dann nickte sie und sah wieder auf. »Man sagte mir, dass er am Strand gefunden wurde, in der Nähe von Wismar«, sagte sie leise.

»Am Strand von Hoben«, erklärte Friedmann. »Inzwischen haben wir erfahren, dass Ihr Lebensgefährte wahrscheinlich gestern in den späten Abend- oder Nachtstunden verstorben ist.«

Karla Brendel nickte erneut. »Ein Schiff oder ein größeres Boot hat ihn erfasst«, fügte sie mit gepresster Stimme hinzu. »So hat es mir Ihr Kollege berichtet.«

»Ja – soweit wir bisher wissen. Für die Einzelheiten müssen wir das endgültige rechtsmedizinische Gutachten abwarten.«

»Er war ein guter Schwimmer«, betonte Brendel und trank erneut einen Schluck. »Schon immer …« Sie sah einen Moment in die Ferne.

»War er häufiger in der Wismarer Gegend schwimmen?«

Sie zögerte. »Ich weiß es nicht, um ehrlich zu sein.«

»Sie waren nie gemeinsam am Strand von Hoben?«

Sie schüttelte den Kopf. »Wir wohnen noch nicht so lange in Schwerin, und ich bin kein Ostsee-Fan.«

Friedmann sah sie abwartend an.

»Wir sind beide gebürtige Niedersachsen«, führte Brendel schließlich aus. Sie sah kurz auf ihre Hände. »Wir haben uns in Hannover kennengelernt, sind gemeinsam nach Berlin gegangen und weiter nach Hamburg und Lübeck, schließlich Schwerin …« Sie atmete tief durch und blickte wieder hoch. »Wir wollten jetzt etwas kürzer treten und haben sogar über Kinder gesprochen …« Sie schüttelte den Kopf und wandte kurz den Blick ab.

Friedmann ließ ihr Zeit, bevor er die nächste Frage stellte. »Wann haben Sie Ihren Lebensgefährten zum letzten Mal gesehen, Frau Brendel?«

Sie wandte das Gesicht herum. »Wie bitte?«

Friedmann wiederholte die Frage.

»Gestern Morgen«, antwortete Brendel. »Sie müssen entschuldigen, ich …«

»Selbstverständlich.«

Karla Brendel bemühte sich um ein Lächeln, aber es misslang. »Wir haben zusammen gefrühstückt«, erklärte sie schließlich. »Er hatte mehrere Termine, auch auswärts, und meinte, dass er wahrscheinlich erst heute im Laufe des Tages zurückkommen würde. Wissen Sie, er fährt nach einem anstrengenden Tag nicht gerne noch am späten Abend. Ich habe kaum vor heute Nachmittag mit ihm gerechnet.« Das klang seltsam mechanisch.

Friedmann legte die Hände auf den Tisch. »Haben Sie zwischenzeitlich mal mit ihm telefoniert?«

Sie schüttelte sofort den Kopf.

»Kurznachrichten?«

»Nein. Warum fragen Sie?«

»Reine Routine.«

Wohl kaum, dachte Emma. Sie war gespannt, wie Friedmann das Gespräch auf die Studentin lenken würde.

»In den Nachrichten ist von einer zweiten Leiche die Rede«, ergriff Karla Brendel plötzlich das Wort. »Eine junge Frau.«

Friedmann nickte und zeigte ihr ein Behördenfoto. »Kennen Sie diese Frau vielleicht?«

»Nein.« Brendel schüttelte den Kopf und sah verblüfft hoch. »Hat das Boot sie etwa auch erwischt?«

Friedmann rieb sich übers Kinn. »Unsere Untersuchungen haben gerade erst begonnen, aber: ja, so sieht es im Moment aus.«

»Das ist ja furchtbar«, sagte Brendel leise und stützte das Kinn in eine Hand.

Emma atmete tief durch. Sie war gespannt, ob Friedmann sich an dem Punkt weiter vorwagen würde.

»Frau Brendel, fühlen Sie sich in der Lage, Ihren Lebensgefährten zu identifizieren?«

Brendels Schultern versteiften sich. »Ist das wirklich nötig?«, flüsterte sie.

»Es würde uns sehr helfen.«

»Aber Sie wissen doch längst, dass es sich um ihn handelt.«

»Wir brauchen die offizielle Bestätigung eines ihm nahestehenden Menschen.«

Sie starrte ihn sekundenlang schweigend an, dann erhob sie sich abrupt. »Ich verstehe. Dann möchte ich es sofort hinter mich bringen.«

Friedmann blickte sie verblüfft an.

Wenige Minuten später fuhr Brendel mit einem Beamten ins rechtsmedizinische Institut; keine halbe Stunde später erhielt Friedmann die Bestätigung, dass Karla Brendel ihren Lebensgefährten zweifelsfrei identifiziert hatte. Emma saß noch in seinem Büro, als die Nachricht einging. Friedmann atmete tief aus und sah Emma an. »Hätten wir das geklärt.«

»Sie hat nicht die geringste Ahnung«, meinte Emma nachdenklich. »Und hegt auch keinen Verdacht.«

»Nein. Und vielleicht liegt sie richtig damit.«

Emma schüttelte den Kopf. »Dein Ernst? Die beiden treffen sich zufällig am späten Abend zu einer nächtlichen Schwimmrunde in der Ostsee und werden am nächsten Morgen tot am Strand entdeckt?«

Friedmann winkte ab. »Ja, schon gut. Aber dass sie in keiner Weise hellhörig wird, wundert mich nicht.« Er zuckte mit den Achseln. »Ein alter Schulfreund von mir hat kurz vor der Silberhochzeit zufällig erfahren, dass seine Frau seit zehn Jahren einen anderen hat. Soll vorkommen.«

»Vielleicht will sie es nicht wissen, weil das im Moment einfach zu viel wäre.«

»Auch möglich. Sollte es zu offiziellen Ermittlungen kommen, werden wir ihr sicherlich noch einige Fragen stellen.« Friedmann gähnte hinter vorgehaltener Hand. »Entschuldige, es war ein langer Tag.«

Emma stand auf. »Du meldest dich?«

»Selbstverständlich.«

Als sie nach Hause kam, stand Christoph in der Küche am Herd. Es roch nach Fisch und Speck. Emma trat von hinten dicht an ihn heran und lehnte sich kurz an seine Schulter. »Hast du Hunger?«, fragte er.

»Ein wenig.«

»Wir könnten auf dem Balkon essen.«

»Gerne. Ich decke den Tisch.«

Die Abenddämmerung erleuchtete die roten Dächer von Wismar. Emma ließ den Blick einen Moment schweifen, dann trat Christoph zu ihr und verteilte den Fisch. Er aß still und hungrig, seine Miene war nachdenklich.

»Hallner hat mich angesprochen«, brach er plötzlich das Schweigen, legte sein Besteck beiseite und sah Emma an. »Er befürchtet, dass du voreilige Schlüsse ziehst und deine Verschwiegenheitspflicht verletzt, und das ärgert ihn ziemlich.«

»Das überrascht mich nicht.«

»Hallner kann ziemlich grantig werden.«

»Das ist mir auch klar.«

»Emma, es geht um einen Unfall …«

»Vielleicht geht es um etwas anderes. Es gibt inzwischen zumindest deutliche Hinweise darauf, dass die Unfalltheorie nicht zutrifft.«

Christoph hob das Kinn. Ein Schatten glitt über sein Gesicht, während Emma ihn auf den neuesten Stand brachte. »Und falls sich der Verdacht erhärtet, muss auch Hallner Rede und Antwort stehen und vor allem die Frage beantworten, warum genau er Gundlach beschatten ließ«, erklärte sie weiter.

»Zeitweise Observationen sind in der Branche nicht unüblich«, wandte Christoph ein. »Das weißt du doch selbst.«

Emma nickte. »Natürlich. Es geht um Kontaktdaten, viel Geld, lukrative Anlagen, schillernde Namen, Abwerbeversuche, den ganzen Kram und jede Menge Geheimnistuerei. Niemand will sich von der Konkurrenz in die Karten gucken oder von einem Mitarbeiter vorführen lassen.«

Christoph hob kurz die Hände. »Ganz genau.«

»Aber der Zeitpunkt des Auftrages lässt Fragen offen, zumal Hallners Verhalten mir schon seinerzeit zu denken gab. Was aber in dem Zusammenhang viel lauter nachklingt, ist die Tatsache, dass sich Gundlach verfolgt fühlte, als er nach Zierow fuhr. Doch darauf ging dein Chef mit keiner Silbe ein.«

»Ja, auch darüber sprachen wir. Das kann alles Mögliche bedeuten.«

»So ist es.«

Christoph verschränkte die Arme vor seiner breiten Brust. »Okay. Wir werden sehen. Es wäre nur …«

»Ich weiß«, unterbrach Emma ihn eilig. »Ich hoffe auch, dass dein neuer Job nicht gefährdet ist, weil da irgendeine miese Geschichte abgelaufen ist.«

Christoph stand abrupt auf und räumte das Geschirr ab. Emma blieb noch eine Weile sitzen und hörte ihn in der Küche rumoren, dann klappte die Tür zum Schlafzimmer zu. Plötzlich wünschte sie sich sehnlichst, dass sich der Verdacht in Wohlgefallen auflösen würde. Ein Versehen in der Rechtsmedizin, Messfehler, falsche Werte und eine darauf basierende, irrtümliche und vor allen Dingen vorschnelle Einschätzung oder auch Befürchtung. Friedmann würde morgen anrufen und Bescheid sagen, dass sie falschgelegen hatten und darauf verzichten konnten, die Pferde scheu zu machen.

Als sie wenig später schlafen ging, rührte sich Christoph nicht, obwohl sie sicher war, dass er noch nicht schlief. Irgendwann mitten in der Nacht schreckte sie hoch und spürte einen Augenblick später, wie er sie in seine Arme zog und behutsam festhielt. »Wenn es eine miese Geschichte aufzuklären gibt, dann ist das so, und du musst deinen Job machen«, flüsterte er an ihrem Ohr. »Und falls sich herausstellt, dass Hallner ein Arschloch ist, will ich ohnehin nicht für ihn arbeiten. Ich bin zu alt für so einen Scheiß.«

Ihr Herz klopfte laut und stark. Ich glaube, ich liebe dich, dachte sie.

»Ich dich auch«, sagte er.

Sie drehte sich in seinen Armen um und blickte ihm in die Augen. »Du wunderbarer Kerl.«

Er lächelte. »Lust auf …«

»O ja. Schlaf wird ohnehin überbewertet.«

Padorn rief am nächsten Morgen an, als Emma vom Bäcker zurückgekehrt war und Kaffee kochte. Christoph schnappte sich eine Brötchentüte und seine Thermoskanne, küsste sie zum Abschied und machte sich eilig auf den Weg.

»Hast du Zeit?«, fragte Padorn.

»Habe ich.« Sie goss sich Kaffee ein und biss von einem Croissant ab. »Ich muss lediglich nebenbei eine Kleinigkeit essen, wenn du nichts dagegen hast.«

»Natürlich nicht. Ich esse grundsätzlich während des Telefonierens. Gibt mir das Gefühl von … Ach, egal jetzt. Lass mich zum Punkt kommen: Ich habe ein paar Suchanfragen und meine üblichen Checks durchlaufen lassen, das Ganze mit deinen Recherchen abgeglichen und festgestellt, dass sich die Wege der beiden bereits gekreuzt haben.«

Emma schluckte einen Bissen hinunter und hielt inne. »Wessen Wege?«

»Die von Hallner und Gundlach natürlich. Wenn du dich erinnerst, sollte ich diesbezüglich mal recherchieren, und das habe ich getan.«

»Du bist schneller und gründlicher, als ich …«

»Danke, das wollte ich hören. Also: Die sind sich schon mal über den Weg gelaufen und kennen sich nicht erst, seitdem Gundlach in der Beratungsfirma angestellt ist.«

Emma runzelte die Stirn. Sie ging mit ihrem Frühstück nach unten in ihr Büro und setzte sich an den Schreibtisch. »Aha. Und?«

»Gundlach hat eine ganze Weile überregional als freiberuflicher Berater gearbeitet – hauptsächlich für größere Finanzdienstleister, die auch Versicherungspakete vermitteln, und für Vermögensgesellschaften, ansässig in Niedersachsen, Berlin und in Hamburg, bevor er schließlich die Stelle bei Beratung und Konzept Hamburg bekam und kürzlich Schwerin übernahm«, berichtete Padorn in eifrigem Ton. »Sein Schwerpunkt sind Vermögensfonds für gutsituierte Privatleute.«

»Das ist nicht neu.«