Tödliche Klippen - Cristina Cassar Scalia - E-Book
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Tödliche Klippen E-Book

Cristina Cassar Scalia

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Beschreibung

Tiefe Nacht in Sizilien, eine im Meer treibende Leiche und ein Verbrechen, so abgründig wie der Tod selbst ... Der zweite Fall für Giovanna Guarrasi!

Halb fünf Uhr morgens: Doktor Montereale und Journalist Tammaro beobachten die schattenhaften Umrisse eines Mannes, der einen schweren Koffer hinter sich her schleift und zwischen die Felsen ins Meer wirft. Wenige Stunden später erhält Vize-Polizeichefin Giovanna Guarrasi einen anonymen Anruf: Eine weibliche Stimme gesteht, am Mord eines jungen Mädchens in einem Haus am Meer beteiligt gewesen zu sein. Beide Begebenheiten hängen wohl zusammen und stellen sich als heikler heraus als erwartet: Giovanna deckt ein perfides Komplott auf, das ihre schlimmsten Vorstellungen übersteigt …

Authentisches Sizilien-Feeling und Urlaubsspannung pur – begleiten Sie Giovanna Guarrasi auch bei ihren weiteren Fällen: »Schwarzer Sand« und »Finsteres Meer«.

Alle Bände sind eigenständige Fälle und können unabhängig voneinander gelesen werden.

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Seitenzahl: 482

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Buch

Tiefe Nacht in Sizilien, eine im Meer treibende Leiche und ein Verbrechen, so abgründig wie der Tod selbst … Der zweite Fall für Giovanna Guarrasi, die toughste Ermittlerin Süditaliens!

Es ist halb fünf Uhr morgens, als Doktor Manfredi Monterreale und Sante Tammaro, Journalist bei einer kleinen Tageszeitung, die schattenhaften Umrisse eines Mannes entdecken, der einen schweren Koffer hinter sich her schleift und zwischen die Felsen ins Meer wirft. Wenige Stunden später erhält Vizepolizeichefin Giovanna Guarrasi einen anonymen Anruf: Eine weibliche Stimme gesteht, am Mord eines jungen Mädchens in einem Haus am Meer beteiligt gewesen zu sein. Beide Begebenheiten hängen zusammen und geben den Anstoß für Ermittlungen, die sich als heikler herausstellen als erwartet. Gemeinsam mit Biagio, einem Kommissar im Ruhestand, deckt Giovanna ein perfides Komplott auf, das ihre schlimmsten Vorstellungen übersteigt …

Die spannende Reihe um Kommissarin Giovanna Guarrasi bei Limes:

1. Schwarzer Sand

2. Tödliche Klippen

Alle Bände sind eigenständige Fälle und können unabhängig voneinander gelesen werden.

Die Autorin

Cristina Cassar Scalia stammt aus dem spätbarocken Noto und hat sich schon immer gewünscht, Sizilien zum Schauplatz eines Romans zu machen. Wenn sie ihre Leser durch die Lektüre dazu inspirieren kann, ihrer Heimat einen Besuch abzustatten, so sagt sie, hat sie ihren Job gut gemacht. Wenn sie nicht gerade schreibt, arbeitet sie als Augenärztin in Catania. Nach »Schwarzer Sand« ist »Tödliche Klippen« ihr zweiter Roman um die hartgesottene Ermittlerin Giovanna Guarrasi.

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CRISTINACASSAR SCALIA

TÖDLICHEKLIPPEN

Giovanna Guarrasi ermittelt in Sizilien

Aus dem Italienischen von Christiane Winkler

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »La logica della lampara« bei Einaudi, Turin, 2019.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright der Originalausgabe © 2019 by Cristina Cassar Scalia

© 2019 First published in Italy by Einaudi

This edition published in arrangement with Grandi & Associati

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2022 by Limes Verlag, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Friedel Wahren

Covergestaltung: bürosüd

LO · Herstellung: sam

Satz und E-Book Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-641-28707-8V004

www.limes-verlag.de

Für meine Mutter,

Die Jagd nach Erinnerungen lohnt sich nie … Denn die guten kann man nicht mehr einfangen, die schlechten nicht auslöschen.

GIORGIOFALETTI, Io sono Dio

1

Die alte Laterne hatte sich endlich zum Arbeiten entschlossen und baumelte nun von ihrem Haken und beleuchtete einen Quadratmeter Meer.

Sante Tammaro hielt sich am Heck auf, in einer gefährlichen Haltung. Mit dem Kopf nach unten und der Nase in einem Eimer mit Glasboden drehte er sich ab und zu um und prüfte, ob sich Speer und Netz in Reichweite befanden.

Verschmitzt betrachtete Manfredi Monterreale die Angelgeräte, die unbenutzt auf dem Deck der Gozzo lagen. Die Hände fest an den Rudern summte er Verse von De André, die von einem Angler handelten, vor sich hin.

»Hör auf mit dem Gejaule! Oder willst du, dass die Fische abhauen?«, meinte Sante und bewegte sich unvermittelt. Das Boot geriet gefährlich ins Schwanken.

Manfredi ließ die Ruder los. »Aha, das ist also der Grund, weshalb du in zwei Stunden keine einzige Sardine gefangen hast!«, rief er und griff nach der Thermoskanne unter dem Sitz, die durch die Erschütterung umgefallen war.

Sante winkte ab, als wollte er sagen, dass die Frage keine Antwort verdiene.

»Hier, bitte«, sagte Manfredi und reichte ihm ein kleines Glas, das er gerade gefüllt hatte. »Trink einen Schluck Kaffee, der wärmt dich wenigstens auf. Es ist so feucht, dass man die Luft mit dem Messer schneiden könnte. Und findest du es angemessen, dass ich seit Stunden auf diesem Stuhl sitze und friere, statt zu Hause im Bett zu liegen, das nur hundert Meter von hier entfernt steht? Und das alles nur, damit du dich wohlfühlst. Nicht einmal De André darf ich singen.«

Nach dem Zerlegen und dem erneuten Zusammensetzen der Laterne, einem Original, das Sante nach langer Suche gefunden hatte, und die manchmal funktionierte und dann wieder nicht, waren sie eine Zeit lang an der Küste entlanggeschippert. Nach den letzten Ruderschlägen, weil die Fische ja sonst abgehauen wären, hatten sie dicht vor der Klippe angehalten, von der aus sie auf Manfredis Wohnung blicken konnten.

»Dottore, du hast keine Ahnung«, erwiderte Tammaro. »Das Fischen mit Laterne dauert, da gibt es keine Zeitvorgabe. Das ist eine Philosophie, wenn du so willst.«

Zweifelnd musterte ihn der Dottore. Auch er nahm einen Schluck Kaffee. »Na klar, eine Philosophie des Angelns«, spottete er und schüttelte den Kopf.

Wie sie Freunde geworden waren, blieb den beiden ein Rätsel. Manfredi Monterreale war von Beruf Kinderarzt. Er stammte aus Palermo, lebte aber seit sieben Jahren in Catania. Um genau zu sein, in Aci Castello, im zweiten Stock eines kleinen Mietshauses mit Blick auf die schwarzen Felsen zwischen der normannischen Burg und dem Ort Aci Trezza, vor denen das Boot des Freundes gerade schaukelte. Sante Tammaro hingegen war Journalist und eingefleischter Catanier mit besonderer Vorliebe für investigativen Journalismus. Aber den richtigen, jenen, für den weiß weiß und schwarz schwarz war.

Manfredi blickte zu seiner Terrasse hoch. Von seiner Position aus wirkte sie klein. Einige Pflanzen waren zu ersetzen und die Fensterläden zu streichen. Wenn er denn mal Zeit hatte … Aber es war trotzdem ein schönes Haus. Sein idealer Lebensraum. Er duckte sich unter die Bootsbank, auf der er saß, und fingerte an seinem Rucksack herum, um die Thermoskanne zu verstauen.

»Da hält ein Auto vor deinem Haus«, bemerkte Sante.

Manfredi hob den Kopf. Seine Zufahrt war die letzte an der Straße, dahinter begannen die Klippen, an denen um diese Jahreszeit auch keine Pfahlbauten der Badeanstalten mehr standen.

»Ah ja? Das ist sicher wieder irgendein Pärchen, das nach Intimität sucht. Im Winter herrscht hier abends ein reges Treiben …«

»Das ist doch wohl eher im Sommer der Fall«, wandte der Journalist ein. »Aber …«, fuhr er fort und verengte die Augen zu Schlitzen. »Für mich sieht das nicht nach einem Paar aus.«

»Na, dann ist es wohl ein einsamer Nachtmensch, der zum Nachdenken hergekommen ist. Hör auf, dir Sachen auszumalen!«

Doch Sante war nicht mehr aufzuhalten und kramte in seiner Leinentasche nach seinem Fernglas. Er hielt es dicht vor die Augen. »Inzwischen sind es zwei, und zwar Männer.«

»Das muss nichts heißen«, antwortete der Arzt.

»Könnte sein, dass es Diebe sind und dass sie es auf dein Haus abgesehen haben, während du hier faul herumsitzt und die Gefahr herunterspielst.«

Manfredi beschränkte seine Antwort auf ein resigniertes Seufzen, nahm seinem Freund das Fernglas aus der Hand und richtete es auf das Auto.

Ein Mann erhob sich vom Beifahrersitz und öffnete den Kofferraum. Er hievte einen großen Koffer heraus und schleppte ihn zur Klippe. Der Fahrer lehnte sich aus dem Fenster, zog sich dann aber schnell wieder zurück.

»Sante, sie scheinen sich nicht für mein Haus zu interessieren. Aber irgendetwas Seltsames geschieht dort.«

Der Journalist nahm das Fernglas wieder an sich und konzentrierte sich auf den Mann, der auf die Felsen zuging, bis er hinter der Mauer verschwand, an der die Straße endete. Dann drehte er sich schnell wieder um, kehrte mit leeren Händen zurück, stieg ins Auto und fuhr davon.

»Ich wette, in dem Koffer befand sich etwas Gefährliches. Zumindest etwas Illegales«, kommentierte Sante herablassend. Er trat ans Bootsheck und begann mit dem Verstauen der Netze und Harpunen in einem Schrank. Er zog den Eimer hoch und schaltete die Laterne aus, hob die Ruder an Bord und legte sie an ihren Platz.

»Los!«, rief er, ließ den Motor ins Wasser und startete ihn.

»Los, wohin?«, fragte Manfredi, erstaunt über die Schnelligkeit, mit der Sante die Fische ihrem Schicksal überließ. Drei Minuten, um das Netzwirrwarr zu zerlegen, für das sie Stunden Arbeit und Engelsgeduld investiert hatten.

»Zu dir nach Hause«, antwortete der Journalist. Er schwieg einen Moment lang und konzentrierte sich.

»Ich will nachsehen, wohin er den Koffer geworfen hat.«

2

Vicequestore Vanina Guarrasi rollte die Papiertüte auf, die mit Schokoladencreme verschmiert war und deren Inhalt sie gerade mit der Welt versöhnt hatte. Sie schaukelte auf ihrem Bürostuhl vor und zurück, drehte die Papiertüte in den Händen und starrte auf die Uhr an der Bürowand, die acht Uhr dreißig anzeigte. Fünf Minuten mehr als gerade eben. Sie trank den letzten Schluck Cappuccino aus dem Styroporbecher, warf das leere Zuckertütchen hinein und schloss den Deckel.

Sie war früh und schlecht gelaunt aufgewacht. In Anbetracht der – wie immer unmöglichen – Zeit, zu der sie in der Nacht zuvor endlich eingenickt war, hatte sie insgesamt nicht länger als drei Stunden geschlafen. Ausgerechnet an diesem Morgen, in einem jener seltenen Augenblicke, die sich zwischen dem Abschluss eines Mordfalles und dem Auftauchen der nächsten Leiche einstellten. Eine Chance, sich die Annehmlichkeiten zu gönnen, auf die sie an arbeitsreichen Tagen verzichten musste. Eine großartige Gelegenheit, wenn sie nur nicht den gegenteiligen Effekt als den gewünschten in ihr hervorgerufen hätte.

Keine Arbeit zu haben, das wusste Vanina, war gleichbedeutend mit der Abwesenheit von Problemen. Doch wer keine Probleme hatte, bei dem traten andere Gedanken an die Stelle der Probleme. So gewichtige Gedanken, dass sie bedauerte, auch der noch so trügerischen Spur nicht gefolgt zu sein. Sie wollte die Papiertüte in den Mülleimer werfen, zielte aber so hoch, dass sie durchs offene Fenster flog.

»Mist …«, fluchte sie, stand blitzschnell auf und lief zu dem kleinen Balkon hinüber.

Vorsichtig linste sie hinaus, zog eine Gauloise aus ihrer Zigarettenschachtel und zündete sie gleichgültig an, während sie prüfend auf die Straße blickte.

In der Via Ventimiglia herrschte zu dieser Stunde wie in allen Straßen, die Catania vom Stadtzentrum bis zu den Jachthafenbogen durchzogen, das reinste Chaos. Eine Autoschlange raste hupend auf die Kreuzung mit der Via Vittorio Emanuele zu, die in diesem Moment von drei Autos und zwei Stadtbussen blockiert wurde.

Ispettore Capo Carmelo Spanò richtete sich wieder auf, nachdem er sich zum Bürgersteig hinabgebeugt hatte. Er hob den Kopf in Richtung der gegenüberliegenden Fenster und spähte prüfend hinüber. Dann drehte er sich erst nach links, dann nach rechts und beäugte das Gebäude, bis sein Blick auf den Balkon von Vicequestore Vanina Guarrasi fiel. Er lächelte sie an und grüßte sie mit einer Hand, während er in der anderen einen zerknüllten Papierball hielt.

»Guten Morgen, Boss!«, rief er ihr zu, bevor er durch die Tür des mobilen Einsatzkommandos trat und sie hinter sich schloss. Fünf Minuten später hörte Vanina ihn an ihrer Tür klopfen.

»Diese Lümmel! Da steht man auf dem Gehweg und denkt an nichts Böses, und sie werfen einem einen Papierball an den Kopf! Mir blieb nicht einmal Zeit, um zu sehen, woher er kam«, sagte Spanò, der neben ihr auf dem Balkon stand.

Vanina lächelte in sich hinein, ohne einen Kommentar abzugeben. Sie bot ihm eine Zigarette an. Es war gut, dass das Café bei ihrer Wohnung in Santo Stefano anonyme weiße Tüten ohne Logo verwendete. Für Spanò wäre es wohl schwer vorstellbar gewesen, dass ein einheimischer Lümmel aus der Nachbarschaft dreizehneinhalb Kilometer gereist wäre, um sich in einem Dorf an den Hängen des Ätna ein Frühstück zu kaufen.

»Es ist ungewöhnlich ruhig heute«, bemerkte Spanò. Sogar auf dem Gang herrschte Stille. Zwei Drittel der mobilen Einheit waren an diesem Morgen unterwegs, um an der Pressekonferenz des Leiters der Ermittlungseinheit Tito Macchia über den Schlag gegen das organisierte Verbrechen teilzunehmen, der in der Nacht zuvor mit etwa dreißig Verhaftungen durchgeführt worden war.

Die Abteilung für Straftaten gegen die Person hatte sich hingegen wie jeden Morgen im Büro nebenan versammelt. Man unterhielt sich, tauschte Meinungen aus und wartete, bis Vicequestore Vanina Guarrasi mit ihrer üblichen, inzwischen chronischen halbstündigen Verspätung erschien. Sie an diesem Morgen schon bei ihrer Ankunft in ihrem Büro vorzufinden verwirrte alle.

Sie wollte gerade die Fenster schließen und sich mit Spanò in das Büro begeben, als plötzlich Inspektorin Marta Bonazzoli im Raum erschien.

»Boss, ich weiß, du magst es nicht, aber ich fürchte, du musst nebenan ans Telefon kommen. Eine Frau ist dran, sie ist total außer sich und behauptet, wichtige Informationen für uns zu haben. Und sie will nur mit dir reden, sonst legt sie auf«, teilte Marta mit.

Vanina schnaubte. Es kam immer öfter vor, dass Leute darauf bestanden, mit ihr persönlich zu sprechen. Daran waren natürlich die Medien schuld, die in letzter Zeit ausgiebig ihr Gesicht und ihren Namen veröffentlichten, ein paarmal hatten sie zu ihrer Bestürzung auch über ihre Vergangenheit berichtet. Palermo. Über ihren Vater, Inspektor Giovanni Guarrasi, der vor fünfundzwanzig Jahren von einem Killerkommando der Cosa Nostra vor ihren Augen niedergemetzelt worden war. Über ihre Jahre in der Antimafia-Einheit. Über Paolo Malfitano, Richter der Bezirksdirektion für Mafiabekämpfung und später ihr Lebensgefährte, den sie vier Jahre zuvor mit einer Kaliber 9 vor dem Angriff der Mafia gerettet hatte. Über überflüssige Dissertationen, in denen sie die salbungsvolle Patina erkannte, die sie Rhetorik derLegalität nannte und in denen sie, offiziell Vicequestore Giovanna Guarrasi, als Vorkämpferin der Gerechtigkeit ohne Wenn und Aber dargestellt wurde. Als so etwas wie ein sizilianischer Sheriff.

»So ein Ärgernis«, murmelte sie und verschwand durch die Tür.

Im Büro nebenan lehnten Vicesovrintendente Fragapane und Sovrintendente Nunnari über Marta Bonazzolis Schreibtisch und starrten auf den Telefonhörer.

Vanina winkte ihnen zu und ließ sich auf Martas ergonomischen Schreibtischstuhl nieder. Sie legte die Knie auf die dafür vorgesehenen Kissen, wie sie es bei Marta gesehen hatte, und sofort kippte der Stuhl nach vorn.

»Guarrasi«, sagte sie und drückte auf den Knopf der Freisprechtaste.

»Guten Morgen, Dottoressa.« Pause. »Verzeihen Sie, es ist sehr ernst, und ich wollte, dass Sie es mit eigenen Ohren hören.« Es handelte sich um eine feine, weibliche, aber zweifellos veränderte Stimme.

»Mit wem spreche ich?«

»Das kann ich Ihnen nicht sagen.« Wieder eine Pause. »Dottoressa Guarrasi, Sie müssen mich anhören. Ich bin sicher, dass letzte Nacht ein Mädchen ermordet wurde.«

Um den Schreibtisch bildete sich ein Grüppchen. Vanina suchte Spanòs Blick, der die Stirn runzelte.

»Und wo soll dieser Mord geschehen sein?«

»In einem Haus in der Via Villini a Mare.«

»Was meinen Sie damit, dass Sie sicher sind? Haben Sie die Tat selbst beobachtet?«

»Nein«, antwortete die Stimme und klang aufgeregt, aber immer gedämpfter. »Ich habe die Tat nicht selbst beobachtet. Ich wurde weggeschickt, bevor … Ich kann es nicht erklären. Bitte fahren sie hin und sehen Sie selbst nach, was passiert ist! Ich bin sicher, dass ich mich nicht irre. Die Hausnummer ist 158.«

Vanina öffnete den Mund, um zu antworten, doch das Klicken am anderen Ende kam ihr zuvor.

Alle standen einige Sekunden lang schweigend da und sahen sich an.

»Klingt für mich wie Schwachsinn«, erklärte Fragapane.

»Der Anruf lief nicht zufällig über die Telefonzentrale?« Vanina wandte sich an Sovrintendente Nunnari.

Spanò nahm ihm die Antwort vorweg und schnitt eine Grimasse, als wollte er sagen, dass dies ziemlich unwahrscheinlich sei.

»Nein, Boss, das habe ich sofort gecheckt. Der Anruf kam direkt«, antwortete Nunnari.

»Wenn wir etwas wissen wollen, müssen wir uns also an die Telefongesellschaft wenden. Lassen Sie uns sicherheitshalber nachprüfen, ob in der letzten Nacht in dieser Gegend zufällig Meldungen an die 113 ergingen. Abstürze, seltsame Vorgänge, Geräusche, die Rückschlüsse erlauben, kurzum, das ganze Repertoire«, schloss Vanina und wandte sich an den Sovrintendente, der nickte und sogleich zur Tür eilte.

Sie bewegte die Knie, die allmählich schmerzten, und der ergonomische Stuhl neigte sich noch mehr nach vorn. Mit den Ellbogen stützte sie sich auf Martas Schreibtisch ab, damit ihre Nase nicht im Pappbecher landete, den Marta dort abgestellt hatte. Eine bräunliche Brühe, die nach Heu, Kamille und Eukalyptus roch und einer Südtiroler Therme alle Ehre gemacht hätte.

»Nur keinen normalen Kaffee, was, Marta?«, entfuhr es ihr, als sie aufstand.

Marta zuckte mit den Achseln und antwortete nicht. Dass beim Thema Essen und Trinken eine unüberbrückbare Kluft zwischen ihr und Vanina klaffte, war jedenfalls Fakt.

»Entschuldigen Sie, Boss«, mischte sich Fragapane ein. »Bei allem Respekt, aber mir schien der Anruf echt zu sein …«

»Ja, Fragapane, ich verstehe, was Sie meinen«, unterbrach Vanina ihn. »Aber selbst wenn wir davon ausgehen, dass dem so ist, müssen wir die Sache überprüfen.«

Fragapane nickte. Er suchte Spanòs Blick, mit dem er das Amt und das Dienstalter teilte und der bekanntlich das absolute Vertrauen der Chefin genoss. Er wirkte in Gedanken versunken. Der Telefonanruf hatte natürlich auch ihn nicht überzeugt, doch etwas in der Stimme dieser Frau beunruhigte ihn. Vielleicht der ängstliche Ton, den sie angenommen hatte, nachdem Vanina sie bedrängt hatte, oder vielleicht die Überzeugung, mit der sie die Adresse diktiert hatte. Jedenfalls konnte man den Anruf nicht ignorieren.

»Ich sehe mal nach, Dottoressa«, schlug er vor.

»Na klar, und ich bleibe im Büro und versaure!«, spottete Vanina. »Nein, wir fahren zusammen hin. Schließlich bin ich neugierig auf diese Geschichte.« Sie drehte sich zu Marta Bonazzoli um, die den letzten Schluck des Kräutertees austrank, der bestimmt schon kalt und somit noch ungenießbarer geworden war. »Marta kommt mit, damit auch sie sich amüsieren kann. Sie wirkt heute Morgen noch gelangweilter als sonst.«

»Gelangweilt? Ich?«, entgegnete Marta. Der Blick ihrer Vorgesetzten, teils wohlwollend, teils ironisch, verbot ihr jede weitere Erklärung.

Der Verkehr auf der Promenade war so störungsfrei, wie er nur um halb zehn an einem Wochentag im Spätherbst sein konnte, wenn jeglicher Wunsch, die Scogliera zu erreichen, ganz aus der Vorstellung der Catanesen gewichen war. Die Badeanstalten waren bis auf wenige Ausnahmen geschlossen, und der fast völlig freie Radweg wurde nur bei sich anbahnendem Stau von vorwitzigen Mopedfahrern gestürmt. Auf der Promenade am Meer liefen einige Workaholics in Marathonkleidung gegen die Novembersonne an, die an diesem klaren Morgen fast den UV-Index von Ende Juli hatte. Nur die Bars auf der linken Seite schienen keine Verlangsamung erfahren zu haben und waren noch gut besucht.

Der Streifenwagen mit Marta am Steuer kam zügig voran. Auf dem Beifahrersitz, den Ellbogen auf das Fenster gestützt, die unangezündete Zigarette schon zwischen den Lippen und das Feuerzeug in der Hand, musterte Vanina die Villen und Häuser, die an die Klippe nördlich des kleinen Hafens von Ognina gebaut waren, deren Lage derjenigen entsprach, welche die Frau am Telefon durchgegeben hatte.

Sie bogen in die Via Villini a Mare ein und fuhren im Schritttempo entlang bis zur Nummer 158. Es war ein unscheinbares Haus, etwas zurückgesetzt und ohne Blick auf die Klippe.

Vanina und Spanò stiegen sofort aus, während Marta das Auto in der Nähe der niedrigen Gartenmauer parkte, an der sich Schlingpflanzen emporrankten, deren Blätter bereits rot gefärbt waren. Hinter einem weißen Eisentor erstreckte sich ein unbefestigter Weg, der ein nicht sonderlich gepflegtes Gärtchen in zwei Hälften teilte und zu einem zweistöckigen Gebäude führte, das sich offenbar in gutem Zustand befand.

Spanò trat an die Sprechanlage neben dem Tor und klingelte.

»Ispettore, ich glaube nicht, dass Sie Antwort bekommen«, prophezeite Vanina und spähte von der Seite über die Mauer, an der keine Schlingpflanzen emporwuchsen. Das Haus ähnelte einem Sommerwohnsitz, der nun geschlossen war. Der Garten wirkte ungepflegt, jedoch nicht unkultiviert, die Fenster waren vergittert, aber in gutem Zustand, das Tor zwar nicht frisch gestrichen, aber auch nicht so, als würde die Farbe gleich abblättern. Alles deutete darauf hin, dass das Haus erst seit wenigen Monaten unbewohnt war.

Spanò näherte sich und hielt das Handy ans Ohr.

»Bei der 113 ist keine Meldung eingegangen«, sagte er zu Vanina und beendete das Gespräch.

Vanina nickte und richtete den Blick auf die Einfahrt.

»Boss, vielleicht hat Fragapane recht. Das Haus ist verschlossen, aber drinnen könnte sich alles Mögliche verbergen, auch ein totes Mädchen …«

»Hat es letzte Nacht auch in Catania geregnet?«, unterbrach Vanina Guarrasi ihn, ohne ihn anzusehen, und rauchte weiter die Zigarette, die sie sich angezündet hatte, sobald sie aus dem Wagen gestiegen war. In Santo Stefano, dem Dorf an den Hängen des Ätna, in dem sie wohnte, hatte es in der Nacht zuvor eine Überschwemmung gegeben. Es lag nicht weit entfernt, aber die Wetterbedingungen stimmten selten mit denen in der Stadt überein. Schuld – oder auch Verdienst, je nach Sichtweise – daran hatte der Ätna, von den Einheimischen Muntagna genannt.

»Ja, auch hier am Meer hat es geregnet«, antwortete Marta, die sich auf die benachbarte Mauer gehockt hatte und in ihre Richtung blickte.

»Logischerweise können die Reifenspuren auf dem Feldweg also frisch sein«, stellte Vanina fest und deutete auf einen Bereich der Auffahrt, wo deutlich ein Reifenabdruck zu sehen war.

»Oder nachts entstanden sein«, fügte Marta hinzu.

Spanò beugte sich gerade weit genug vor, um die Stelle einzusehen, auf die Vanina wies. Die Spur war ziemlich ausgeprägt, ein Zeichen dafür, dass sie auf nassem Boden hinterlassen worden war. Und dass sie nicht vor dem Regen entstanden war, der sie sonst ausgelöscht hätte.

»He, Leute, wir sollten hier ganz genau kontrollieren! Schauen wir mal, wem dieses Haus gehört«, verkündete Vanina und stieg von dem losen Ziegelhaufen herunter, auf den sie geklettert war.

Es war ein Gefühl, lediglich ein Gefühl. Eine unterschwellige Unruhe, die sie stets dann befiel, wenn etwas sie nicht überzeugte oder – wie Spanò es nannte – »die Leiche in unmittelbarer Nähe auffindbar war«. Vielleicht war es nur ein Eindruck oder, schlimmer noch, der Übereifer einer Polizistin, die nicht glauben konnte, dass sie einen neuen Fall am Hals hatte. Das war Vanina in diesem Moment jedoch ziemlich egal. Irgendetwas sagte ihr, dass der Anruf an diesem Morgen alles andere als Schwachsinn gewesen war. Und jetzt wollte sie Licht ins Dunkel bringen.

Der Tag hatte eine gute Wendung genommen.

3

An einer schwer zugänglichen Stelle war der Koffer zwischen zwei Felsen eingekeilt. Manfredi hatte sich intensiv bemüht, Sante davon abzuhalten, Kopf und Kragen zu riskieren und den Ermittler zu spielen, um seiner fixen Vorstellung zu folgen, die sich am Ende vielleicht als Unfug herausstellte.

»Das verstehst du nicht«, beharrte Sante, »so läuft es nun mal in meinem Geschäft. Was nur du bemerkt hast, kann mit etwas Glück zu einem Durchbruch führen.«

Das hatte er schon x-mal gehört, wenn er Manfredi wie einen Bluthund losziehen sah, um diese oder jene Spur zu verfolgen, die ihn zur Entdeckung von wer weiß was oder zur Entlarvung von wer weiß welcher kriminellen Organisation führte. Um dann doch zu spät und nach einem Konkurrenten ans Ziel zu gelangen, der den entscheidenden Hinweis vielleicht schon zu Hause erhalten hatte und den er nur noch in politisch korrekte Worte fassen musste.

Aber Sante gab nicht auf, und dafür bewunderte Manfredi ihn insgeheim.

Denn um ehrlich zu sein, hatte Sante in seiner Online-Zeitung La Cronaca einige interessante Artikel veröffentlicht. Interessant und unbequem. Bedingungslos, wie er es nannte … als freier Mann. Doch statt die treibende Kraft für seine Karriere zu sein, hatte ihn das immer behindert.

Die Geschichte mit dem Koffer schien für Manfredi jedoch eher eine Andeutung zu sein.

Es war eine Spur, auf die der Journalist sich offenbar fixiert hatte. Das ging so weit, dass er sogar überlegte, einen befreundeten Polizisten damit zu behelligen.

»Es ist schon seltsam, dass er den Koffer genau dorthin gebracht hat. Ein so unauffindbares Versteck ist das nun auch wieder nicht«, dachte Sante laut nach und beugte sich über das Geländer der Terrasse in Manfredis Wohnung. Dies war ein riesiger Raum, der wie das Deck eines Schiffes gebaut war und den Blick auf die Felsen von Aci Trezza freigab.

»Den einen Tag in der Woche, an dem ich nicht arbeiten muss, verbringe ich vormittags im Nassen und wohne deinen Höhenflügen bei«, antwortete Manfredi.

Aber Sante tat so, als würde er nichts hören, und sog die letzten Züge seiner Zigarette ein.

»Der Einzige, den ich anrufen kann, ist mein Freund Carmelo Spanò. Er hat den richtigen Riecher. Wenn etwas nicht stimmt, fällt es ihm sofort auf. Und er hält mich nicht für verrückt, nur weil ich ihn um Hilfe bitte«, schloss er und musterte seinen Freund, der sich auf einem der beiden Sessel – bereits ohne Kissen – ausgestreckt hatte, die den herbstlichen Abbau der Terrasse überlebt hatten.

»Weißt du was, Sante? Mach doch, was du willst! Was kann als Schlimmstes passieren? Dass du am Ende einen kaputten Koffer in der Hand hältst, den ein Bürger mit wenig Lust auf Recycling auf unorthodoxe Weise entsorgt hat. Wäre ja schlimm, wenn ein anderer auf den Gedanken käme, ihn zu bergen, und dann etwas Interessantes darin fände. Damit lägst du mir ewig in den Ohren.«

»Genau.«

»Können wir jetzt frühstücken?«, fragte Manfredi und erhob sich wie ein alter Mann von seinem Stuhl. Sante warf die Kippe von der Terrasse und lächelte endlich.

In den Büros des mobilen Einsatzkommandos war wieder Leben eingekehrt. Vor dem Büro des Leiters der Ermittlungseinheit Tito Macchia hatte sich eine Menschentraube gebildet, müde, aber zufriedene Gesichter derer, die ihre Arbeit erledigt hatten und nun den wohlverdienten Beifall genossen.

Tito stand in der Tür, lehnte sich an den Türpfosten und nahm mit seiner imposanten Statur die ganze Schwelle ein.

»Guarrasi, woher kommst du denn?«, rief er, als er Vanina mit Marta im Schlepptau näher kommen sah. Er löste sich von der Tür und ging auf sie zu.

»Glückwunsch, Jungs«, sagte Vanina zu den dreien, die sie begrüßten. Ein ausgewählter Beamter, ein Assistent und ein stellvertretender Inspektor der Abteilung für organisierte Kriminalität. Gemeinsam bedankten sich die Männer bei ihr.

Sie betrat ihr Büro, gefolgt vom Big Boss und Marta.

Macchia begab sich wie üblich sogleich hinter den Schreibtisch und ließ sich mit seinem ganzen Gewicht auf den Sessel fallen, der jedes Mal gefährlich ins Schaukeln geriet.

»Eine ziemliche Genugtuung für diese Jungs«, kommentierte er. »Und natürlich für denjenigen, der die Ermittlungen geleitet hat«, fügte er süffisant hinzu.

»Bist du beleidigt, weil ich dich nicht besonders erwähnt habe?«, scherzte Vanina.

»Ganz und gar nicht! Im Gegenteil, ich wäre gern derjenige gewesen, der dich beglückwünscht.«

Vanina nahm den Hinweis entgegen, antwortete aber nicht.

Tito Macchia ließ keine Gelegenheit aus, sie in jene Welt zurückzulocken, von der sie sich eigentlich fernhalten wollte.

Stimmt, die Jungs waren zufrieden. In Hochstimmung wie nach dem Erreichen eines großen Ziels oder der Vernichtung einer riesigen Menge Müll, sowohl in menschlicher als auch in materieller Hinsicht. Ein Gefühl, das sie gut kannte, denn sie hatte es schon oft erlebt. Sie, Vanina, hatte sechs Jahre lang von diesem Hochgefühl gelebt. Tag und Nacht hatte sie mit bloßen Händen im Schlamm gewühlt, um so viel wie möglich aufzudecken. Bis sie Angst bekommen hatte, darin zu ertrinken. Und die Flucht war ihre einzige Chance auf Rettung gewesen.

Marta nutzte das Gespräch, um zu verschwinden.

Macchia folgte ihr mit einem Blick, kratzte sich am dichten dunklen Bart und hielt eine nicht angezündete Zigarre zwischen den Lippen. Er seufzte und schüttelte den Kopf. »Wer schlau aus ihr wird, ist ein Genie.«

Seit dem Tag, als Vanina sie am Strand bei einem romantischen Ausflug mit Macchia erwischt und ihre Beziehung entdeckt hatte, war Marta nicht mehr dieselbe gewesen. Im ersten Augenblick hatte Vanina darauf geachtet, sich nichts anmerken zu lassen, doch dann hatte sie sich zu einigen Witzen hinreißen lassen, was bei den beiden völlig entgegengesetzte Reaktionen hervorgerufen hatte. Tito hatte sofort geantwortet und damit gezeigt, dass er nicht die Absicht hatte, die Liebschaft zu verbergen. Marta hingegen hatte so getan, als wüsste sie von nichts, hatte sich in ihr Schneckenhaus zurückgezogen und das Thema geflissentlich gemieden.

Die vertrauliche Beziehung, welche die junge Frau vom ersten Moment an mit Vanina aufgebaut hatte und aufgrund derer sie die Einzige war, die sie duzen durfte, hatte einen Rückschlag erlitten, wenn auch einen einseitigen. Und auch die Beziehung zu Tito Macchia litt auf lange Sicht unter der Spannung.

Vanina setzte sich auf einen kleinen Stuhl mit Rädern neben Tito und verkniff sich einen erneuten Kommentar. Innerlich bedankte sie sich für Martas Rückzug, der ihn zweifelsohne so irritiert hatte, dass er seine vorherige Rede unterbrechen musste.

»Wolltest du nicht wissen, woher ich komme?«, erinnerte sie ihn und nutzte die Ablenkung.

Tito kam zur Besinnung und war zum Zuhören bereit.

Vanina erzählte ihm von dem anonymen Telefonanruf und dem darauffolgenden Ortstermin.

»Vier Reifenabdrücke bedeuten gar nichts, Vanina«, wandte Tito ein.

»Stimmt, vielleicht bedeuten sie auch gar nichts. Aber schlimmer wäre gewesen, wenn es keine gegeben hätte«, antwortete Vanina.

Fragend runzelte Tito die Stirn. Wenn die Guarrasi etwas für sich behielt, bedeutete das meistens, dass sich ihr Verstand bereits auf etwas eingestellt hatte, das sich in neunundneunzig von hundert Fällen als lästige Angelegenheit erwies, obwohl es zunächst nach nichts ausgesehen hatte.

»Überleg mal! Eine junge Frau ruft bei uns an und will mit mir sprechen. Sie erzählt mir, dass heute Nacht ein Mädchen getötet wurde. Sie wirkt aufgewühlt und verängstigt, wie ich hinzufügen möchte. Sie gibt mir eine genaue Adresse: eine kleine Villa am Meer, die auf den ersten Blick so aussieht, als wäre sie seit Monaten mit Brettern vernagelt, wären da nicht vier Reifenspuren, die bei den Wetterverhältnissen der letzten Tage nur von gestern Abend stammen können. Jetzt wirst du mir sagen, dass das ein Zufall sein könnte, aber weißt du …«

»Du glaubst so lange nicht an Zufälle, bis man dir das Gegenteil beweist, nicht wahr?«

»Und das kommt nur selten vor«, fügte Vanina hinzu.

Vicesovrintendente Fragapane klopfte an die offene Tür und betrat das Büro von Vicequestore Vanina Guarrasi.

»Dottoressa, ich habe Nachforschungen zu dem Haus angestellt. War in weniger als fünf Minuten möglich.«

»Und zu welchem Ergebnis haben diese fünf Minuten geführt?«, fragte Vanina. Eifrig sah der Beamte den Inhalt eines Blattes mit Briefkopf der Polizeibehörde durch, das wie eine Klassenarbeit mit blauen und roten Markierungen übersät war.

»Das Haus gehört offenbar einem gewissen Alicuti Armando, wird aber seit zwei Jahren regelmäßig an Lorenza Iannino vermietet, geboren am 13. Februar 1990 in Syrakus, wo sie offenbar noch immer wohnt.«

Tito Macchia strich sich über den Bart. »Alicuti. Diesen Namen habe ich schon einmal gehört, an den Anlass kann ich mich aber nicht mehr erinnern.«

»Lasst uns versuchen, diese Iannino ausfindig zu machen«, schlug Vanina vor.

»Ja, Carmelo erledigt das gerade. Was den Namen des Besitzers betrifft, Dottoressa …«

Fragapane konnte seinen Satz nicht beenden, da trat Carmelo Spanò bereits mit einer frisch gedruckten Zeitung über die Schwelle.

»Also …«, begann er, blieb dann aber in der Mitte des Raumes stehen. »Oh, guten Morgen, Dottore!«, grüßte er.

»Guten Morgen, Ispettore. Reden Sie ruhig weiter!«, antwortete Tito Macchia und bedeutete ihm, sich zu setzen.

»Wie ich schon sagte, heißt die Mieterin des Hauses Lorenza Iannino. Ledig, von Beruf Rechtsanwältin. Sie arbeitet in der Anwaltskanzlei Ussaro.«

»Wir sollten sie kontaktieren«, erklärte Vanina.

Spanò nickte, schüttelte dann aber den Kopf. »Das habe ich gerade versucht, Dottoressa. Ich habe jede auffindbare Nummer angerufen, ohne Erfolg. Das Handy ist abgeschaltet, die Festnetznummer klingelt wie verrückt, und in der Kanzlei ist sie heute Morgen auch nicht aufgetaucht.«

Vanina und Tito Macchia sahen sich an. Sie, als wollte sie sagen: Siehst du? Hier geht etwas Seltsames vor sich. Er schien zu antworten: Sag bloß nicht, du denkst ernsthaftdarüber nach.

Tito Macchia, Leiter der Ermittlungseinheit, erhob sich von seinem Sitz, der daraufhin in heftige Bewegung geriet.

»Alles klar, halten Sie mich auf dem Laufenden!«, schloss er und warf einen Blick auf die Tür, hinter der Marta Bonazzoli verschwunden war.

»Dottore, was den Namen des Hausbesitzers betrifft …«, wiederholte Fragapane.

»Ach ja, an den dachte ich vorhin auch schon. Was ist mit dem?«

»Den haben Sie bestimmt schon öfter gehört.«

»Warum? Um welchen Namen geht es denn?«, fragte Vanina.

»Um den Sohn des Parlamentsabgeordneten Alicuti.«

Spanò blickte von seinem Telefon auf, auf dem er eines der wenigen Bilder von Lorenza Iannino geöffnet hatte, die Google zur Verfügung stellte.

»Mist, dieses Detail hatte ich übersehen!«, rief er und sah Vanina an. »Giuseppe Alicuti, auch Beppuzzo genannt«, sagte er. Vanina hatte zu kurz in Catania gelebt und wahrscheinlich noch nie von diesem Urgestein der Stadtpolitik gehört, das bereits mehrfach in römische Paläste exportiert worden war.

»Viel Spaß! Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste«, verabschiedete sich Tito Macchia grinsend, bevor er durch die Tür trat.

Vanina kehrte an ihren Platz zurück. Sie warf sich in den schwankenden Bürostuhl und wandte den Blick den beiden Männern zu, die wie angewurzelt dastanden und auf ihre Reaktion warteten.

»Wir werden darüber hinwegkommen«, sagte sie und seufzte. Ironie blitzte kurz in ihren grauen Augen auf, und ein spöttisches Lächeln umspielte ihre Lippen, zwischen denen die vierte Zigarette des Tages steckte.

Carmelo Spanò erreichte seinen Schreibtisch, öffnete auf seinem Handy die Seite von Google und scrollte sie durch. Er griff nach seiner Lesebrille, die er nur ungern trug, ohne die er aber keine Zeile zu lesen vermochte.

Er hatte gerade ein Bild ausgewählt, das auf Facebook getaggt war und das die Suchmaschine einer Lorenza Iannino zuordnete, und versuchte anhand der Details herauszufinden, ob es sich um die fragliche junge Frau handeln konnte, als sein Handy klingelte.

Sante Tammaro stand auf seinem Display.

»He, Santino!«, rief er.

»Ciao, Melo, wie geht’s? Entschuldige, dass ich dich bei der Arbeit störe, aber die Angelegenheit ist dringend.«

Carmelo Spanò lächelte. Nur wenige nannten ihn Melo, genauso wie nur wenige Sante Tammaro Santino nannten. Unter diesen Spitznamen waren sie als Kinder im Oratorium bekannt gewesen, wenn sie im Hof Fußball gespielt hatten, der eine im Tor, der andere als Stürmer.

»Was gibt’s?«

Sante Tammaro erzählte seinem Freund die Geschichte eines Koffers, den ein Mann, dessen Verhalten ihm verdächtig vorgekommen sei, in besagter Nacht am Ende der Promenade von Scardamiano auf die Felsen geworfen habe, jener Promenade, die nach rechtzeitiger Fertigstellung Aci Castello mit Aci Trezza verbunden hätte. Seiner Meinung nach – oder, wie der Inspektor ihn sogleich korrigierte, seiner Einbildung nach – empfahlen das verdächtige Verhalten des Mannes und die Anstrengung, die er beim Tragen des Koffers gemacht hatte, den Inhalt einer gründlichen Inspektion zu unterziehen.

»Vielleicht kannst du einen Beamten vorbeischicken«, schlug Sante Tammaro vor.

Spanò lachte. »Na klar! Wir haben ja nichts zu tun.«

»Glaub mir, irgendetwas stimmt da nicht. Das spüre ich.«

»Kannst du dich überhaupt noch an das Auto erinnern, aus dem der Kerl ausgestiegen ist? Oder an sein Gesicht?«

»An sein Gesicht beim besten Willen nicht … Aber vielleicht an das Auto.«

Für Carmelo Spanò schien die Geschichte nur ein Hirngespinst seines Freundes zu sein. Ihm seine Hilfe zu verweigern war ein bisschen so, als hätte er ihm erklären müssen, dass sein Verdacht nicht der Beachtung wert sei, wie naheliegend er auch sein mochte. Santino war ziemlich empfindlich und hegte schnell einen Groll. Und er war nicht irgendein Dummkopf. Neben einer lebhaften Fantasie besaß der Journalist auch ein gewisses Gespür, mit dem er gelegentlich sogar richtiglag.

»Mal sehen, was ich tun kann. Ich garantiere für nichts, aber wenn ich bis Mittag alles erledige, können wir zusammen in Aci Castello essen. Dann bringst du mich zu dem Koffer.«

Sante Tammaro bedankte sich überschwänglich bei seinem Freund.

Sobald er aufgelegt hatte, konzentrierte sich Spanò wieder auf seine Nachforschungen. Falls Lorenza Iannino auch weiterhin nicht erreichbar war, würde er bald ein ernstes Problem haben, so wie er Vanina Guarrasi kannte. Er musste die Verwandten der jungen Frau aufsuchen und nach ihrem Verbleib fragen. Dreißig Jahre Erfahrung hatten ihn gelehrt, dass er dergleichen nicht tun konnte, ohne ein Familiendrama heraufzubeschwören. In diesem Fall war nicht ausgeschlossen, dass die Sache sich zu einer ausgewachsenen Tragödie entwickelte.

Er absolvierte eine weitere unproduktive Telefonrunde mit allen Nummern, die er fand. Lorenza Ianninos Handy war immer noch nicht erreichbar, und auch von der Anwaltskanzlei Ussaro gab es keine Neuigkeiten.

Er sah auf die Uhr. Es war fast eins. Er hatte keine Pläne für das Mittagessen, und zu Hause wartete seit fast anderthalb Jahren niemand mehr auf ihn. Also konnte er genauso gut auf Sante Tammaros verrückte Bitte eingehen und ihm eine Stunde seiner Zeit widmen.

Er schaltete den Computer aus und erhob sich vom Stuhl.

Fragapane war gerade mit einer Thermotasche bewaffnet ins Zimmer zurückgekehrt und deckte den Tisch auf seinem Schreibtisch: Nudelsalat, Quarkomelett und Tarte.

»Heute ist Finuzza wohl mit dem richtigen Bein aufgestanden«, kommentierte Spanò.

»Sie hat einer Kollegin einen Gefallen getan und zwei Nachtschichten übernommen. Heute hat sie Zeitausgleich bekommen. Aber einfach nichts zu tun ist nicht ihr Ding, also ist sie heute früh aufgestanden und hat mir Mittagessen gemacht.«

Die Frau von Salvatore Fragapane war Krankenschwester. Sie rackerte sich ab wie ein Esel und nahm zusätzliche Nachtschichten auf sich, nur um ihrem einzigen Sohn ein Studium an der Bocconi-Universität zu ermöglichen.

»Du weißt gar nicht, wie sehr ich dich beneide, Salvatore.«

Fragapane lächelte. Natürlich wusste er es, und es tat ihm sehr leid, das mitansehen zu müssen.

Carmelo verabschiedete sich mit einem Klaps auf die Schulter von ihm und verließ den Raum.

Vanina klopfte an Martas Tür und fand sie an ihrem Schreibtisch vor, wo sie Unterlagen sortierte. Der Schreibtisch daneben, der Sovrintendente Nunnari gehörte, war hingegen leer. Ein Zeichen dafür, dass er bereits zu Tisch gegangen war. In die hinterste Ecke des Raumes verbannt saß Lo Faro und nagte an einem Sandwich. Er trug Kopfhörer und starrte auf den Computerbildschirm.

Vanina trat an ihn heran.

»Lo Faro!«, rief sie. Er antwortete nicht.

Sie erhob die Stimme: »Lo Faro!« Nichts.

Dann stellte sie sich mit eisigem Blick hinter ihn und verschränkte die Arme.

Der junge Mann zuckte förmlich auf seinem Stuhl zusammen und riss die Kopfhörer herunter. »Dottoressa!«, rief er und bewegte mühsam die Maus, um die Seite zu schließen.

Vanina trat gerade rechtzeitig neben ihn, um noch einen Blick auf das zu erhaschen, was er sich ansah.

»Halt!«, befahl sie.

Vier Personen in einem Raum diskutierten angeregt. Unter ihnen erkannte Vanina einen Sänger, an dessen Namen sie sich nicht erinnerte und dessen Stimme so selten zu hören war, dass sie keinen bleibenden Eindruck hinterließ.

»Was ist das?«, fragte sie.

Lo Faro senkte den Blick.

»Promi Big Brother«, antwortete er leise.

Vanina starrte ihn an, als käme er vom Mars.

»Big Brother?«, wiederholte sie.

»Promi«, präzisierte der junge Mann zunehmend verlegen.

»Aha. Und gibt es da einen Unterschied?«

»Jjjj...ja, weil hier die Teilnehmer berühmte Leute sind.«

Vanina schaute auf den Bildschirm. Außer dem Sänger erkannte sie niemanden. Aber sie benutzte den Fernseher auch nur, um Filme zu sehen, vorwiegend alte, am besten in Schwarz-Weiß, sie war also kein Maßstab. Dann drehte sie sich zu Marta um, die die Szene gleichermaßen amüsiert wie peinlich berührt verfolgte.

»Berühmt, sagen Sie?«

Lo Faro nickte und schluckte so schwer, als würde er vor Gericht vernommen.

Vanina wollte nicht weiter auf ihm herumhacken.

»Und wie kommt es, dass ich Sie heute Morgen nicht gesehen habe?«

»Ich … ich war bei der Pressekonferenz …«

»Ach. Und wie kommt es, dass ich nichts davon wusste?«

»Entschuldigen Sie, Dottoressa, aber im Büro gab es nichts zu tun …«

»Doch, hier gibt es immer etwas zu tun, Lo Faro. Und jedes Mal sind Sie nicht an Ihrem Platz.«

Der Junge wurde feuerrot.

»Aber ich dachte, die Pressekonferenz von Dottore Macchia sei wichtig …«

»Für Sie? Wieso das denn?«

Der Beamte schwieg.

Dass es Lo Faros Spezialität war, sich beim Chef einzuschleimen, hatte Vanina schon kurz nach ihrem Amtsantritt herausgefunden. Immerhin hatte es Lo Faro vor Jahren nicht aufgrund seiner Verdienste in die Abteilung für Straftaten gegen die Person geschafft, doch er hatte Pech gehabt. Denn wenn sie etwas nicht duldete, dann waren es Typen wie er, die unter ihrer Führung Karriere machten und sie aber letztlich den Schleimereien verdankten, die sie nach links und rechts austeilten. In diesem Zusammenhang war Macchia ganz Vaninas Meinung.

Sie gab ihm seine Ohrstöpsel zurück.

»Los, essen Sie Ihr Sandwich auf!«

Der junge Beamte bedankte sich bei ihr.

Vanina ging zu Marta Bonazzolis Schreibtisch hinüber.

»Gehst du mit zum Mittagessen?«, fragte sie.

Marta warf einen flüchtigen Blick auf das Display ihres Telefons.

»Er ist nicht vor drei Uhr zurück«, kam Vanina ihr zuvor, doch diesmal schwang keine Ironie in ihren Worten mit.

»In Ordnung«, antwortete die junge Frau.

Sie holte ihre Jacke von der Garderobe und folgte ihrer Vorgesetzten.

Die Trattoria Da Nino war gerappelt voll. Sie mussten mindestens fünf Minuten warten, bis es dem gleichnamigen Besitzer gelang, ein freies Plätzchen für sie zu finden. Wie immer ganz Kavalier begleitete er sie zu ihren Stühlen und rückte diese zurecht.

Marta bestellte wie immer Macco di Fave, eine Saubohnensuppe und eines der wenigen veganen Gerichte auf der Speisekarte, während Vanina sich für ihr Lieblingsgericht entschied, gemischte Rouladen und Fleischbällchen. Nino schlug ihnen außerdem eine Caponata vor, die beide doch schon öfter gegessen hätten.

»Ich dachte an die Frau, die heute Morgen anrief«, begann Marta das Gespräch, sobald der Wirt gegangen war und Brot und die unverzichtbare Schale Stimpirata-Oliven auf dem Tisch zurückgelassen hatte. »Ich weiß nicht, warum, aber ich habe auch das Gefühl, dass es ihr ernst war. Glaubst du, es ist Zufall, dass besagtes Haus ausgerechnet an eine junge Frau vermietet ist?«

»Woher weißt du, dass die Mieterin eine junge Frau ist? Ich glaube nicht, dass du dabei warst, als Spanò darüber berichtet hat«, scherzte Vanina.

Marta holte tief Luft. »Okay, Tito hat es mir erzählt. Bist du jetzt zufrieden?«

»Nein, ich bin beruhigt. Dann können wir das Theater beenden.«

Marta wirkte nicht überzeugt.

Vanina lächelte, beugte sich vor und tätschelte ihr die Hand.

»He, Täubchen, hör auf, die Kühle aus dem Norden zu spielen, und entspann dich!.«

»Was hat es damit zu tun, dass ich aus dem Norden stamme?«

»Hat es, hat es. Du bist nicht gerade locker, meine Liebe.«

»Ich versichere dir, wir aus Brescia sind genauso locker wie ihr aus Catania.«

»Ich komme aus Palermo.«

»Na, dann eben aus Palermo.«

»Dann sag mir bitte, warum du deinen armen Pseudofreund mit deiner Unsicherheit in den Wahnsinn treibst! Er hatte heute Morgen so einen gewissen Gesichtsausdruck, als du aus meinem Büro gerannt bist.«

Marta wurde ernst. »Vanina, was du meinen Pseudofreund nennst, ist gleichzeitig mein Chef. Oder vielmehr, wie ihr ihn nennt, der Big Boss. Der Leiter der mobilen Ermittlungseinheit, in der ich als Inspektorin tätig bin. Wenn sich herumspricht, dass wir zusammen sind, kann man mit der Eieruhr die Zeit zählen, in der ich mich von Marta Bonazzoli zur Geliebten des Chefs verwandle.«

Vanina dachte über die Antwort nach.

»Da hast du nicht ganz unrecht. Aber ich glaube nicht, dass dein Verhalten der beste Weg zur Problemlösung ist. Wenn du mich fragst, ist Geheimnistuerei schlimmer. Denn wenn ich es bemerkt habe, merken es vielleicht auch andere. Daher, glaub mir … je offizieller deine Geschichte ist, desto weniger Aufhebens werden sie darum machen.«

Marta zuckte mit den Achseln, als wollte sie das Gespräch mit dieser Geste beenden.

Die Ankunft von Nino mit dem Geschirr kam ihr zu Hilfe.

Vanina respektierte ihren Wunsch. »Reden wir über ernstere Dinge und hoffen, dass Spanò diese Lorenza Iannino aufspürt«, sagte sie, spießte ein Fleischbällchen auf und wedelte damit vor Martas Gesicht herum. Die reagierte mit einer Grimasse darauf, und ihre großen grünen Augen blitzten auf.

»Obwohl ich befürchte …«, fuhr sie fort, ohne den Gedanken zu Ende zu führen. Eins war klar: Wenn Lorenza Iannino sich wirklich in Luft aufgelöst hätte, dann ergab der anonyme Telefonanruf an diesem Morgen tatsächlich einen Sinn.

4

Die See war rau. Ein ausgewachsener Scirocco, wie er im November nur selten vorkam. Er brachte kurzfristig heiße Luft mit sich und schlug Inspektor Spanò seit gut zehn Minuten entgegen, während er über das Stahlrohrgeländer blickte, das die Terrasse des Gebäudes umgab, in dem Manfredi Monterreale wohnte.

»Wusste ich’s doch! Wir hätten nicht warten sollen!«, schimpfte Sante Tammaro, der unruhig am Geländer auf und ab ging.

Sie hatten sich eine Stunde zuvor auf dem Hauptplatz unterhalb der normannischen Festung getroffen, die der Stadt ihren Namen verliehen hatte. Ein tausend Jahre alter Felsen aus Lavagestein, der aus der Ferne über die Schornsteine von Aci Trezza wachte. Sie hatten gemeinsam in einem Fischrestaurant in der Nähe zu Mittag gegessen und waren dann zu Monterreales Haus gegangen, von dem aus sie den berühmten Koffer sehen konnten, der zwischen den Felsen eingekeilt war. Kaum hatten sie ihn von der Terrasse aus erspäht, hatte Sante Tammaro auch schon laut aufgeschrien. »Mist, jemand hat ihn geöffnet!« Er hatte Manfredi Monterreale wütend angestarrt, der sich mit geschlossenen Augen an der Stirn kratzte, als wollte er sagen, das habe ihm gerade noch gefehlt. Spanò hatte gemerkt, dass etwas nicht stimmte, und seinen Freund um Aufklärung gebeten.

»Heute Morgen war der Koffer noch geschlossen, verdammt noch mal! Da bin ich mir sicher«, sagte Sante, hielt sich mit beiden Händen am Geländer fest und schüttelte sich.

Inspektor Spanò hatte sein Fernglas herausgeholt, um einen besseren Blick auf das Objekt zu werfen, das die Neugierde des Journalisten so sehr geweckt hatte, dass sogar er sich damit beschäftigte.

Ein beigefarbener Koffer, einer von jenen mit großen Rädern, lag zerbrochen zwischen den schwarzen Felsen der Klippe, an der die Straße endete. Der Koffer war offen und leer.

Während Tammaro weiterschimpfte und das Eingreifen von wer weiß welcher verborgenen Hand vermutete, beobachtete Spanò die Wellen, die sich an den Felsen brachen. Er wartete, bis eine Woge über den Koffer hinwegfegte und ihn um einige Zentimeter bewegte.

»Wenn du mich fragst, hat ihn das Meer geöffnet«, erklärte er.

Sante schüttelte den Kopf. »Nein, nein, Melo! Ich habe den Kerl beobachtet, der ihn heruntergeworfen hat. Er hatte Mühe damit. Leer war der Koffer sicher nicht.«

»Ispettore, dieses Mal muss ich Sante zustimmen«, mischte Monterreale sich ein. »Der Koffer schien ziemlich schwer zu sein, wenn man bedenkt, wie sehr sich der Mann mit dem Schleppen anstrengen musste.«

Spanò warf einen weiteren Blick auf das Objekt der Diskussion.

Über Felsen zu laufen war nicht gerade sein Ding, aber vielleicht konnte er jemanden aus dem Team zur Unterstützung hinzuziehen. Jemanden, der jung war und den unbequemen Weg zurücklegte, ohne mit der Wimper zu zucken, wenn er ihn darum bat.

Er dachte gerade über diese Möglichkeit nach, als ein Telefonanruf von Vicequestore Vanina Guarrasi ihn aus seinen Gedanken riss.

Das Telefon in Martas Büro klingelte seit zehn Minuten, nachdem sie und Vanina vom Mittagessen zurückgekehrt waren.

»Dottoressa Guarrasi?«

Die Stimme war dieselbe wie am Morgen. Marta winkte Vanina herbei, die sich an ihren Platz setzte.

»Mit wem spreche ich?«

»Ich bin es wieder«, antwortete die Frau, als wäre es normal, dass Vanina sie erkannte.

»Hören Sie, Signora, ich habe keine Zeit zu verlieren. Wenn Sie mir etwas zu sagen haben, dann kommen Sie her und …«

»Bitte, Sie müssen mir zuhören!«, unterbrach die Frau sie freundlich. »Ich muss Ihnen etwas Wichtiges sagen. Ich weiß, wo die Leiche des Mädchens entsorgt wurde.«

»Dann sagen Sie es mir!«

»Sie haben sie in einem Koffer über die Klippen zwischen Aci Castello und Aci Trezza geworfen.«

Vanina schwieg.

»Dottoressa?«

»Sagen Sie mir den Namen des Mädchens.«

Klick.

»Mist, na so was!« Vanina legte den Hörer auf. »Nunnari!«

Der Inspektor stand von seinem Stuhl auf und ging die zwei Meter auf sie zu, die sie trennten.

»Hier bin ich, Boss.«

»Prüf mal nach, ob der Anruf von eben über die Telefonzentrale ging. Auch wenn mir das unwahrscheinlich erscheint.«

»Sofort. Gibt es Probleme, Dottoressa?«

»Nein, nur eine weitere Panne, wie die von heute Morgen.«

»Hatte der anonyme Anrufer neue Informationen für uns?«, fragte Marta.

Während Nunnari loslief, um die Herkunft des Anrufs zu überprüfen, informierte Vanina Marta über dessen Inhalt. Dann griff sie erneut zum Hörer und rief Spanò an.

»Ispettore, wir haben Neuigkeiten.«

Sie hatte gerade angefangen zu erzählen, als Marta sie verwirrt unterbrach.

Lo Faro stieg vom Scooter ab und sah sich um.

»Lo Faro, wir kommen!«, rief ihm Spanò vom Balkon von Monterreales kleiner Wohnung zu. Er trank den letzten Schluck des unglaublich guten Kaffees einer alten palermitanischen Rösterei aus, den ihm der Arzt Manfredi Monterreale angeboten hatte. Vanina Guarrasis Anruf hatte seine Sicht der Dinge geändert, und jetzt wollte er möglichst rasch überprüfen, ob er richtiglag. Spanò, Monterreale und Tammaro holten den Beamten ab, der am Eingangstor stand und die Wellen beobachtete, die fast die Straße umspülten.

Über Lo Faro konnte man viel lästern, nicht aber darüber, dass er körperlich schwächlich war. Über die Mauer zu springen und die Felsen hinaufzuklettern, wo der Koffer eingeklemmt war, war für einen jungen Mann wie ihn ein Kinderspiel. Kurz und schmerzlos, hätte ihn nicht gleich eine Welle erwischt, bevor er auf die Straße zurückkehrte.

»Ich bin total durchnässt!«, brummte er triefend und hielt den Koffer in der Hand. Er reichte ihn dem Inspektor, der ihn auf dem Gehweg abstellte und öffnete. Ein iPhone mit zerbrochenem Bildschirm rutschte heraus und fiel zu Boden. Spanò hob es auf und hielt es mit zwei Fingern an den Seiten fest. Es war ausgeschaltet und funktionierte ganz offensichtlich nicht.

Tammaro musterte ihn neugierig, während Monterreale sich hinabbeugte, um das Innenfutter des Koffers zu inspizieren, auf dem sich ein unregelmäßiger dunkler Fleck ausbreitete. Der Arzt verengte die Augen. Er hob den Kopf und begegnete Tammaros Blick, der immer aufgeregter zu werden schien, um dann Chefinspektor Carmelo Spanò anzusehen. Sofort nach dem Öffnen des Koffers und ohne sich bücken zu müssen, hatte er erkannt, was der Fleck bedeutete.

»Was ist das?«, fragte Lo Faro, näherte sich und schien durch das plötzliche Schweigen der drei Männer leicht eingeschüchtert zu sein.

Spanò blickte von dem Koffer auf und sah ihn an.

»Blut, Lo Faro. Zu neunundneunzig Komma neun Prozent.«

Vanina hatte den knarrenden Sessel hinter dem Schreibtisch hervorgezogen und stellte sich vor das weit geöffnete Balkonfenster. Sie hatte sich eine Zigarette angezündet und ihr iPhone herausgezogen.

Das WhatsApp-Symbol zeigte drei Nachrichten an, die sie absichtlich ignoriert hatte und die im Lauf des Vormittags auf dem Display erschienen waren. Eine Mitteilung stammte von ihrem Freund Adriano Calì, Catanias bestem Gerichtsmediziner. Er war morgens um Viertel nach acht bei ihr vorbeigekommen, um ein Paket abzugeben, das er für sie erhalten hatte. Sie nicht mehr zu Hause anzutreffen hatte ihn sehr überrascht. Das Paket hatte er bei Inna abgegeben, dem moldauischen Mädchen, das zweimal in der Woche bei ihr putzte.

Die zweite Nachricht kam von ihrer Mutter, die ihr offenbar etwas Wichtiges mitzuteilen hatte und um Rückruf bat. Um sich ein wenig abzulenken, wollte sie das sofort erledigen. Wichtige Mitteilungen ihrer Mutter waren gewöhnlich nicht allzu dringlich, allerdings konnte sie nie wissen.

»Liebling, ich wollte dir nur sagen, dass ich zu Federicos Geburtstag eine Überraschungsparty plane. Am zwölften November. Der fällt auf einen Samstag. Er würde sich bestimmt riesig freuen, wenn du auch kämst.«

Vanina nahm die Nachricht mit einem kurzen Schweigen auf, das ihre Mutter sofort mit den Details des bevorstehenden Ereignisses überdeckte. »Nur ein paar Leute, weißt du. Unsere Familie, plus die zukünftigen Schwiegereltern deiner Schwester Costanza und etwa fünfzig Freunde.«

»Nur ein paar enge Freunde«, ironisierte Vanina, die ihre Verärgerung über den Hinweis auf die Familie nicht verbergen konnte.

Doch Marianna Partanna, ehemals Witwe Guarrasi, war nicht der Typ, der lockerließ. Nach fast dreiundzwanzig Jahren Ehe mit dem illustren Herzchirurgen beharrte sie vergeblich auf dem Versuch, ihre Tochter in die Familienidylle der Calderaro zu integrieren.

Instinktiv hätte Vanina sofort eine Ausrede vorgebracht, um jede weitere Forderung im Keim zu ersticken, doch der Gedanke, Federico zu enttäuschen, hielt sie davon ab. Obwohl sie ihn nie als Ersatzvater akzeptiert hatte, war sie sich der Zuneigung bewusst, die er ihr immer entgegenbrachte. Und erst kürzlich hatte ihre Beziehung sich sogar gefestigt. Federico Calderaro war ein guter Freund geworden. Jemand, dem sie plötzlich vertrauen konnte. Er hatte es nicht verdient, noch immer unter den Folgen ihrer Wut auf ihre Mutter Marianna zu leiden, die nie ganz abgeebbt war.

»Wenn in Catania niemand ermordet wird, kannst du mit mir rechnen.«

Das Seufzen am anderen Ende des Telefons war der Beweis, wie verärgert ihre Mutter war, die das nicht weiter kommentierte. »Dann hoffen wir mal, dass die Killer um den Ätna für diesen Tag Gnade walten lassen«, schloss sie.

Vanina beendete das Gespräch und drückte die Zigarettenkippe in dem alten Aschenbecher aus, der seit ihrem ersten Tag in diesem Büro auf dem Balkon stand. Die dritte Nachricht kam von einer Nummer, die sie auswendig kannte und die sie immer noch nicht speichern wollte, obwohl sie zu einer der am häufigsten wiederkehrenden Nummern geworden war. Oder besser gesagt, auf dem Weg dorthin war.

Sie beschloss, noch ein wenig zu warten, bevor sie die Nachricht öffnete. So erschienen keine doppelten blauen Häkchen und schürten Erwartungen auf der anderen Seite. Damit nahm sie sich immer selbst auf den Arm, wenn diese Nummer ihre Gelassenheit bedrohte. Auch der Faktor Zeit schien offenbar nicht auszureichen. Sie überlegte sich eine Antwort, las sie noch einmal durch, wog sie ab, veränderte sie, nur um dann zu bereuen, sie abgeschickt zu haben.

Inspektor Spanòs Anruf kam wie gerufen und unterbrach die zunehmend lästigen Gedanken. Die Tatsache, dass der Koffer leer war, selbst wenn sich Blutflecken darin befanden, machte einen Ortstermin für sie überflüssig.

Zusammen mit Marta Bonazzoli machte sie sich an die Arbeit, um eine erweiterte Überprüfung des gesamten Küstenabschnitts zu veranlassen.

»Marta, frag mal bei der Grenzpatrouille nach, ob unser  Lotsenboot frei ist, sonst wenden wir uns an die Feuerwehr.«

»Du bist also der Meinung, dass die Unbekannte die Wahrheit gesagt hat?«, fragte Marta.

»Das weiß ich nicht. Aber es gibt auch zwei Zeugen, die behaupten, dass sie jemanden beim Schleppen eines schweren Koffers beobachtet haben. Außerdem verheißt ein Blutfleck nichts Gutes. Sollte die vermeintliche Leiche zufällig im Meer gelandet sein, gilt die Devise: Je schneller wir uns bewegen, desto besser. Während wir also darauf warten, mehr zu verstehen, kontrollieren wir.«

Marta nickte. »Ich rufe sofort an.« Sie begab sich in ihr Büro.

Um vier Uhr nachmittags erschien ein müder Spanò mit Lo Faro im Schlepptau. Vanina sah ihn an ihrer Tür vorbeigehen und das Büro betreten, das er sich mit Inspektor Fragapane teilte. Das Dokument, das sie gerade gelesen hatte, legte sie auf den Stapel zurück, von dem sie es genommen hatte, und rief ihn an. Einen Moment später erschien der Inspektor und strich sich das zerzauste graue Haar zurecht.

»Entschuldigen Sie mein Aussehen, Dottoressa, aber Sie können sich nicht vorstellen, wie viel Wind und Salz ich abbekommen habe!«

Er nahm ihr gegenüber Platz und strich sich das Hemd glatt, als wollte er es selbst aufbügeln.

»Ich hielt es für das Beste, Pappalardo in der Gerichtsmedizin anzurufen und ihm zu sagen, er solle kommen, Koffer und Telefon abholen und den Fundort überprüfen. Obwohl … bei den Wassermengen, die die abbekommen haben …«

»Nur damit ich das richtig verstehe, Spanò … Sie waren rein zufällig dort?«

Ausführlich erzählte der Inspektor die Geschichte seines Freundes Tammaro und fügte weitere Details zum Fundort hinzu.

»Vielleicht war es Santes Hartnäckigkeit. Wenn der sich etwas vornimmt, gibt er nicht mehr auf. Wie dem auch sei, seine absurde Geschichte hat auch mich irgendwie gefesselt. Dann kam Ihr Anruf, und plötzlich bekamen die Dinge eine ganz andere Bedeutung. Ehrlich gesagt, Dottoressa, Zufälle gibt es, aber in diesem Fall wären es ein bisschen zu viele.«

»Spanò, in diesem Geschäft müssen wir uns daran gewöhnen, dass Zufälle ein seltenes Gut sind. Sie kommen praktisch nicht vor.«

Seit jemand ihn damit gehänselt hatte, dass das Nichtvorhandensein von Zufällen in Krimis mittlerweile schon ein Gemeinplatz sei, hatte Spanò beschlossen, dass ihnen mehr Möglichkeit eingeräumt werden musste. Und jedes Mal wieder schlug er mit dem Kopf gegen eine Wand.

»Es war genau richtig, Pappalardo anzurufen, Ispettore. Wir sparen Zeit, und ich muss mich nicht mit seinem Vorgesetzten rumschlagen.«

Vaninas Verhältnis zum stellvertretenden Leiter Cesare Manenti hatte sich in letzter Zeit weiter verschlechtert. Es gebe nichts Schlimmeres, als mit Dummköpfen zu tun zu haben, pflegte ihr Vater stets zu sagen. Wahre Worte.

Capo Pappalardo, ein enger Freund von Fragapane, auch wenn er sein Sohn hätte sein können, hatte sich Vaninas Wertschätzung im Einsatz verdient – immerhin der einzig mögliche Weg – und war jetzt zu ihrem Liebling avanciert.

»Beim Warten auf die Spurensicherung habe ich allerdings nicht Däumchen gedreht.« Spanò zog sein Handy aus der Tasche und rief die Anrufliste auf. »Dreimal habe ich es noch bei Lorenza Iannino auf dem Handy versucht, zweimal bei ihr zu Hause. Vorsichtshalber habe ich auch noch einmal in der Kanzlei angerufen mit dem Ergebnis, dass sich die Sekretärin nur noch mehr Sorgen gemacht hat.«

Vanina beugte sich vor. »Wollen Sie damit sagen, dass es so gar nicht zu Lorenza Iannino passt, einen ganzen Tag zu verschwinden?«

»Offenbar nicht.«

Vanina blickte auf die Uhr an der Wand. Es war zwanzig nach vier, bald würde es dunkel werden. Wenn der Apparat sich in Bewegung setzen sollte, durften sie keine Zeit verlieren.

»Wissen Sie zufällig, wer der diensthabende Staatsanwalt ist?«

Spanò erkundigte sich jeden Tag nach den Schichten der Staatsanwälte, um nicht unvorbereitet erwischt zu werden.

»Das müsste Vassalli sein, Dottoressa.«

Er erwartete, dass Vanina die Augen verdrehte, aber sie zuckte nicht mit der Wimper. Stattdessen stand sie auf, griff nach ihrer Lederjacke, die über der Lehne hing, und stopfte Zigaretten und Telefon in ihre Tasche.

»Gehen wir.«

Spanò sprang auf und folgte ihr, ohne zu fragen, wohin es gehen sollte.

Sie betraten das Büro nebenan.

»Unser Lotsenboot war verfügbar«, verkündete Marta eilig. »Sie sind bereits unterwegs.«

»Gut. Ich weiß allerdings nicht, ob ich eher hoffen soll, dass sie nichts finden …« Es stimmte zwar, dass die Ermittlungen ohne eine Leiche eintönig begonnen hätten, aber sie zu finden hätte den Tod einer sechsundzwanzigjährigen jungen Frau bedeutet. An so etwas gewöhnte man sich auch nach zwölf Jahren Polizeiarbeit nicht. Die Hälfte davon hatte dem Antimafia-Kampf gegolten.

»Also, Marta, da du hier fertig bist, kannst du Spanò und mich gleich begleiten.«

Sie rekrutierte auch Nunnari, der sofort aufsprang und mit der Hand an der Stirn salutierte.

»Nunnari, sagen Sie mal, wie kommt es, dass Sie nicht zur Armee gegangen sind?«, fragte Vanina, als sie die Treppe hinunterstiegen.

Nunnari lächelte verlegen. »Boss, Sie wissen, dass ich nur Spaß mache. Aber wenn Ihnen das zu weit geht, dann …«

»Ich weiß, dass Sie nur Spaß machen, und es amüsiert mich. Vergessen Sie nicht, dass auch ich eine Kinoliebhaberin bin. Trotzdem verstehe ich nicht, warum Sie nicht zur Armee gegangen, sondern Polizist geworden sind, obwohl Sie amerikanische Kriegsfilme lieben und gern den Soldaten in der Ausbildung geben. Sie hätten auch zur Marine gepasst.«