Tödlicher Familienschatz - Petra Starosky - E-Book

Tödlicher Familienschatz E-Book

Petra Starosky

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Beschreibung

Nach einem eskalierenden Ehestreit - die Frau verunglückt tödlich bei einem Verkehrsunfall, der Mann ist verschwunden. Wochen später erst wird seine Leiche zufällig entdeckt in einem Stollen tief im Weinberg, von dem weder Winzer noch Nachbarn etwas zu wissen scheinen. Die Umstände können nicht als natürlicher Tod angesehen werden. Die junge Polizeibeamtin Juana Ruweler muss wegen Personalknappheit fast allein auf die Suche nach dem Täter gehen. Dabei stößt sie immer wieder auf Hinweise zu einem mysteriösen Familienschatz und auf alte Vampirgeschichten. Wird es ihr gelingen, Licht ins Dunkel des Weinbergs zu bringen?

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Ich möchte meinen geneigten Leserinnen und Lesern mit auf die Lesereise geben, dass sie mir in ein Fantasiereich folgen. Meine Geschichte erhebt keinerlei Anspruch auf Realitätsnähe.

Petra Starosky

Wenngleich die Örtlichkeiten durchaus existent sind, so sind doch Handlung und Personen frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden, toten oder untoten Personen sind rein zufällig und unbeabsichtigt.

Diese Geschichte ist ohne KI erstellt, für eventuelle menschliche Fehler bitte ich um Nachsicht.

Mehr über die Autorin und ihre Bücher auf

www.Petra-Starosky.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

1.

Ein heißer Augusttag neigte sich seinem Ende entgegen. Im Garten zirpten die Grillen und übertönten mit ihrem Gesang das Summen der hungrigen Mückendamen, die in der Dämmerung zur Blutsuche ausschwärmten. Fliegengitter vor den weit geöffneten Fenstern verwehrten ihnen allerdings den Einflug, so dass sie zornig brummselnd weiterziehen mussten.

Die Sonne versank glutrot über dem Land hinter der Elbe. Mit dem Abend kam ein leichtes Lüftchen auf, das die Hitze des Tages jedoch nicht aus dem Haus vertreiben konnte.

Gudrun Käferbeck stand am Plättbrett, neben ihr auf einem Stuhl der Korb mit der frischgewaschenen Wäsche.

Immer wieder stellte sie das Bügeleisen ab und griff sich an ihre Hüfte. Die Schmerzen waren heute wieder einmal kaum auszuhalten.

Sie seufzte leise. Und sie ahnte, nein, sie wusste, dass der Tag für sie mit dem Sonnenuntergang nicht zu Ende ging. Ein Ausruhen war für sie noch lange nicht in Sicht.

Schwerfällig stieg sie die Treppe nach oben ins Bad, um sich ihre Schmerztabletten zu holen. Erneut tönten ihr die vorwurfsvollen Worte ihrer Schwester im Kopf: „Warum lässt du dir das von Helmuth gefallen? Denk mal an dich und deine Gesundheit. Komm einfach mal ein paar Tage zu mir, damit du dich erholen kannst.“

Ein Hauch ihres Verstandes stimmte der Schwester zu. Der Rest jedoch empörte sich: „Du kannst Helmuth nicht alleine lassen. Er

kommt doch ohne dich gar nicht zurecht. Außerdem ist es deine Pflicht als treusorgende Ehefrau, immer für ihn da zu sein - in guten wie in schlechten Zeiten.“

Und die Zeiten waren gerade nicht die Besten.

Ein Wispern widersprach: „Kümmert er sich denn um dein Wohlergehen, wie er es vor dem Traualtar geschworen hat?“

Ärgerlich über ihre widerstreitenden Gedanken warf Gudrun zu den Schmerztabletten noch eine Beruhigungspille ein, bevor sie zurück ans Plättbrett hinkte.

Kurze Zeit später drehte sich ein Schlüssel in der Haustür. Erschrocken zuckte Gudrun zusammen.

„Guten Abend, Helmuth“, versuchte sie, ihn freundlich zu begrüßen.

Noch immer wirbelten die unangenehmen Gedanken durch ihren Kopf.

„Was soll gut sein an diesem Abend?“, maulte er sie an, eine Hand an den Türrahmen gestützt. Er musterte sie mit zusammengekniffenen Augen. An seinem Blick erkannte sie, dass er mal wieder ein Bier mehr getrunken hatte, als ihm bekam.

Er reckte seine Nase in Richtung Küche. Hörbar sog er die Luft ein und murrte: „Schon wieder Bohneneintopf.“

Sie zuckte entschuldigend die Schultern: „August ist Bohnenerntezeit. Es wachsen in diesem Jahr sehr viele im Garten.“

Helmuth verzog angewidert das Gesicht. Dass sie sich von seinen Sozialhilfebezügen und ihren Minijobs nicht jeden Tag Schnitzel leisten konnten, vergaß er nur zu oft. Gudrun war froh, dass die Beete hinterm Haus so einiges gedeihen ließen, was sie nicht teuer kaufen musste. So reichte das Geld oft sogar über das Monatsende hinaus, ohne dass der Tisch am Abend leer blieb. Doch statt einen Notgroschen beiseitelegen zu können, trug Helmuth jeden Cent, den er in die Finger bekam, abends in die Gastwirtschaft.

„Wenn es wenigsten rote Bohnen oder diese gescheckten Dinger wären“, er grinste anzüglich. „Die sollen ja angeblich eine gute Wirkung für Männer haben, aphrodi... Dingsda machen“, höhnte er.

„Also Männersamen attraktiver machen.“

‚Wo hat er denn diesen Unsinn her?‘, fragte sich Gudrun, während sie weiter mit gesenktem Blick das Bügeleisen über die Wäsche gleiten ließ.

„Vielleicht“, er legte noch immer grinsend einen Finger an die Nase, als überlege er, „will ich ja noch mal eine neue Familie gründen. Mit meiner kann man sich ja nirgends sehen lassen.“ Er bedachte sie mit einem abfälligen Blick.

„Denk ja nicht, dass mich keine mehr will.“ Überheblich reckte er sein Kinn in die Höhe. Sein ungewaschener Hals streckte sich, sein Adamsapfel hüpfte spöttisch. „Schließlich gibt es den wunderlichen Pfauenring meiner Mutter, der mir jeden Wunsch erfüllen wird. Sie wusste nichts damit anzufangen, aber ich! Und ich werde ihn mir zurückholen.“

Über Gudruns schockierten Gesichtsausdruck brach er in meckerndes Gelächter aus.

„Dein Anblick bietet schließlich keinen Grund für einen guten Abend oder eine aufregende Nacht.“ Er kratzte sich im Schritt.

Gudrun sagte nichts, sondern senkte den Kopf und bügelte weiter seine Feinrippunterhemden. Sie trug natürlich kein Abendkleid, wenn sie mit ihrer Hausarbeit beschäftigt war, sondern eine praktische Kittelschürze. Auch ihre Haare hatte sie wegen der Sommerhitze zu einem Zopf zusammengeknotet.

‚Was beschwert er sich eigentlich?‘, dachte sie. ‚In seiner bunten Trainingshose und dem Unterhemd ist er auch nicht gerade herausgeputzt. Und so war er in der Weinstube!‘ Bei dem Gedanken schämte sie sich, dass sie ihn in diesem Aufzug aus dem Haus gehen ließ. ‚Ich hätte ihm etwas Ordentliches zum Anziehen rauslegen müssen. Was sollen denn nur die Leute denken?‘

„Möglicherweise hast du ja Recht. Bohnen weisen nach den Meinungen der Traumforscher schließlich auf einen Neuanfang hin. Ich sollte mich mal wieder in Schale werfen und auf die Balz gehen.“

Herausfordernd schwieg er und wartete auf Gudruns Reaktion. Doch sie hielt den Blick auf ihre Plättarbeit gerichtet. Sie wollte nicht, dass er den Tränenschimmer in ihren Augen sah. Sie wollte nicht, dass er sah, wie sehr er sie mit seinen Worten kränkte.

Nach geraumer Zeit, in der nur das Lied der Grillen den Abend durchdrang, fragte er: „Warst du heute wieder bei dem feinen Pinkel da oben?“ Seine Hand zuckte undeutlich in Richtung der großen Villa im Weinberg.

Sie nickte langsam. „Das weißt du doch. Er hat mir auch den Lohn für August gleich hingelegt.“ Sie hoffte, dass das Geld ihn besänftigen würde.

„Ha, ein Hungerlohn! Gibts da nicht mehr zu holen? Könntest ja mal in den Schubladen kramen oder so, wie Mutter damals.“ Murmelnd fügt er hinzu: „Irgendwo muss er diesen vermaledeiten Ring doch versteckt haben.“

Gudrun schaute ihren Mann entsetzt an. „Das ist doch nicht dein Ernst, dass ich bei Rudolph etwas stehlen soll?“

Er winkte ab. „Nee, nee, lass mal. Dazu fehlt dir der Mumm.“

„Wir sind doch keine Diebe“, empörte sich Gudrun.

Er wandte sich zur Treppe um. Gudrun atmete erleichtert auf, dass die leidige Diskussion über ihren Nebenverdienst bei Rudolph nicht wieder ausgeartet war. Sie konnte sich nicht erklären, wieso Helmuth seit einigen Wochen so aggressiv gegen den jungen, höflichen Eigentümer der Villa war. Zwar hatte sie von einem Streit zwischen den beiden gehört. Jedoch war es nichts Neues, wenn ihr Mann mal wieder mit jemanden aneinandergeriet.

Unvermittelt drehte sich Helmuth wieder zu ihr.

„Gehst du in dieser Aufmachung auch bei Martin putzen?“

Seine Frage klang bedrohlich lauernd.

Was sollte sie darauf antworten? Natürlich war eine Kittelschürze ihre Arbeitskleidung, wenn sie in der Weinpension die Gästezimmer reinigte.

„Ich hab dich was gefragt!“, schrie er sie unvermittelt an.

Gudrun zuckte zusammen. „Ja“, antwortete sie schließlich leise.

„Ha, dachte ich’s mir doch. Du alte Schlampe spazierst halbnackt durch die Weinpension und machst den Gästen schöne Augen. Wer weiß, was du noch so alles mit den Männern auf den Zimmern anstellst.“

Er stemmt die Arme in die Hüften und funkelte sie wütend mit trunkenen Augen an. „Bezahlen sie dich dafür?“

Er kam zurück ins Wohnzimmer. „Und wo ist das Geld, dass die Hurenböcke dir zustecken?“

Ungläubig blickte Gudrun von ihrer Arbeit auf. Sie konnte nicht fassen, was er ihr soeben an den Kopf geworfen hatte. Ihr blieb vor Empörung über diese Unterstellung die Luft weg.

„Wie kommst du auf solche absurde Idee?“ Sie bemühte sich, dennoch beherrscht zu bleiben.

„Wie ich darauf komme? Das wagst du noch zu fragen?“

Drohend trat er zwei Schritte vor, musste sich dann jedoch am Tisch festhalten.

„Man munkelt es, man tuschelt hinter vorgehaltener Hand.“

Gudrun mochte es nicht glauben. Wer sollte so etwas über sie behaupten?

Er grinste bösartig, als er ihr Entsetzen sah.

Schwankend stieß er sich vom Tisch ab und kam weiter auf sie zu.

„Aber das Rumhuren werde ich dir schon austreiben.“

Mit höhnischem Auflachen stieß er das Plättbrett zur Seite. Die frischgebügelte Wäsche fiel zu Boden. Rücksichtslos trampelte er darauf herum.

Er begann, seltsam unverständliche Worte zu brabbeln, und stierte sie aus glasigen Augen an.

Einen Wimpernschlag lang stand Gudrun wie erstarrt. Das Bügeleisen hielt sie noch immer in der rechten Hand.

Als er seinen Arm hob, um sie wieder einmal, wie so oft in der letzten Zeit, zu schlagen, setzte ihr Denken aus. Ihre lang aufgestaute Wut kochte über. Heute hatte er mit seinen Anschuldigungen eine Grenze überschritten.

Viel zu lange ließ sie sich schon von ihm schikanieren, beleidigen und misshandeln.

Bevor er sie schlagen konnte, warf sie in ihrer Verbitterung das heiße Bügeleisen nach ihm. Sie traf ihn im Gesicht. Die Wucht des Wurfes riss den Stecker aus der Steckdose. Er flog dem Bügeleisen hinterher und schlug wie das Plätteisen gegen Helmuths Kopf.

Vor Überraschung und vor Schmerz brüllte er wütend auf. Er stolperte rückwärts und fiel auf den Boden. Seine Wange zierte ein großer Brandabdruck der heißen Bügeleisensohle.

Gudrun schlug entsetzt die Hände vor den Mund.

‚Um Himmelswillen, was habe ich nur getan?‘

„Du verfluchtes Miststück, dafür wirst du mir büßen. Ich bringe dich um!“, schrie Helmuth, während er versuchte, sich wieder aufzurappeln.

Von Panik getrieben, stürzte Gudrun an ihm vorbei in den Flur. Sie griff blind nach ihrer Handtasche auf der Kommode und nach den Autoschlüsseln. So wie sie war, in Kittelschürze und Hauslatschen rannte sie aus dem Haus.

Sie bemerkte nicht den Mann im schwarzen T-Shirt und Shorts, der gerade durch das Gartentor trat und ihr erstaunt nachblickte.

Als sie ihren Kleinwagen von der Grundstückseinfahrt auf die Straße lenkte, packte sie ein Weinkrampf. Sie sah kaum, wohin sie fuhr, sie wusste auch nicht, wohin sie fahren sollte.

Ihr Kopf war völlig leer. Kein Gedanke hallte durch die Schwärze ihres Hirns.

Tränen strömten über ihr Gesicht. Sie zitterte am ganzen Leib.

Das Auto fuhr fast wie von selbst die Straße hinunter. Auch als sie auf die Hauptstraße einbog, fehlte ihr jegliches Gefühl für den Straßenverkehr.

So sah sie den dunklen SUV nicht, der mit überhöhter Geschwindigkeit von links angefegt kam. Er erwischte genau die Fahrertür, katapultierte Gudruns Kleinwagen weit von sich weg, so dass er sich überschlug. Ein ganzes Stück weiter krachte das Auto gegen einen Laternenmast.

Der SUV schleuderte und kam kurz darauf mit quietschenden Reifen zum Stehen.

Kreidebleich stieg ein junger Mann aus dem Fahrzeug und eilte auf den gecrashten Wagen zu.

Der Anblick der verunglückten Frau ließ ihn würgen. Hastig wandte er sich ab und übergab sich. Nach einigen Sekunden fing er sich jedoch wieder und wählte den Notruf.

2.

Die Polizeibeamten blieben erstaunt vor dem Grundstück stehen. Die Haustür stand sperrangelweit offen, einige Fenster im Erdgeschoss waren hell erleuchtet. Eine unheilvolle Stille lag in der warmen Abendluft.

Sie gingen den gepflasterten, von Studentenblumen gesäumten Weg entlang, bis sie die Tür erreichten. Wachsam schweiften ihre Blicke rechts und links in die Dunkelheit, ohne jedoch eine Gefahr auszumachen.

Der Ordnung halber drückten sie den Klingelknopf. Das Schellen dröhnte durch das ganze Haus, doch nichts rührte sich.

„Hallo?“

„Polizei, ist jemand da?“

Alles blieb still, nur die Grillen im Garten begannen ihr fröhliches Gezirpe.

„Wir kommen jetzt rein“, meldeten sie sich nochmals an.

Wiederum erhielten sie keine Antwort. Sie schauten sich kurz an und zogen vorsichtshalber ihre Waffen, wie man das aus den Fernsehkrimis kennt.

Langsam betraten sie das Haus. Der enge Flur führte sie an zwei verschlossenen Türen vorbei. Jeder der beiden Polizisten warf jeweils einen Blick in die dahinterliegenden Räume – Abstellkammer und Gäste-WC. Aber sie waren dunkel und menschenleer.

Am Ende des Flures stand die Tür zum Wohnzimmer offen.

„Was ist denn hier passiert“, entfuhr es beiden gleichzeitig, als sie einen ersten Blick in den Raum warfen.

Ein Plättbrett lag umgestoßen am Boden, frischgewaschene Wäsche verstreute sich überall auf dem Teppich. Das Bügeleisen lag mitten im Zimmer und war glücklicherweise vom Strom getrennt. Kopfschüttelnd gingen sie weiter durch einen bogenförmigen Durchgang in die Küche. Das Licht brannte, auf dem ausgeschalteten Herd stand ein noch warmer Topf Bohneneintopf.

Sie durchstreiften die restlichen Räume des Hauses. Doch weder im Oberschoss noch im Keller fanden sie den Ehemann der Verunglückten oder andere Personen.

Sie verließen das Haus und meldeten sich in der Zentrale.

„Möglicherweise gab es einen Streit, Frau Käferbeck ist Hals über Kopf mit dem Auto weggefahren und ihr Mann ist unten in der Weinstube von Martin Kellermann, um seinen Ärger runterzuspülen. Wir werden dort mal nachsehen.“

„Könnte ein tragischer Ehestreit sein“, stimmte der Diensthabende in der Polizeidienststelle zu. „Ja, seht mal nach, vermutlich klärt sich sein Verbleib bald auf.“

Wenige Augenblicke später hielt der Streifenwagen vor der Weinstube. Im Vorgarten sassen etliche Gäste, die den schönen Sommerabend bei einem Glas Wein oder auch einem Bier genießen wollten.

Neugierig beäugten sie die Beamten. Das zuckende Blaulicht vom Unfallort erhellte die Nacht und war auch im Garten der Weinpension zu sehen. Tuschelnde Vermutungen folgten den beiden Beamten, als sie die Wirtschaft betraten. Hinter dem Tresen stand der Wirt. Er war der erste Anlaufpunkt der Polizeibeamten.

Freundlich begrüßte er die beiden Männer.

„Guten Abend, die Herren, was kann ich für Sie tun? Ein Bier?“

Seufzend schüttelten sie den Kopf. „Nein danke, wir sind noch im Dienst. Ist Herr Käferbeck im Moment zu Gast bei Ihnen?“

Martin Kellermann schaute rasch in die Runde und schüttelte den Kopf.

„Nein, der Helmuth hat so gegen halb neun bezahlt und ist nach Hause gegangen. Er wohnt ja nicht weit von hier, ein Stück die Straße hoch.“ Er deutete vage in die Richtung.

„Warum fragen Sie? Ist etwas passiert?“

Das grelle Gelichter am Nachthimmel war ihm natürlich nicht entgangen.

Die beiden Polizeibeamten schauten sich nachdenklich an.

„Wo könnte Herr Käferbeck sonst noch sein? Bei ihm zu Hause waren wir bereits, da ist er nicht.“

Verwundert schüttelte Martin Kellermann den Kopf. „Wo sollte er sonst sein?“

„Bei seinen Kindern, Freunden oder so etwas in der Art?“

„Nein, sein Sohn lebt in Leipzig. Und Freunde? Nein, Stammtischkumpels vielleicht, aber die treffen Sie hier.“ Er deutete auf einen großen Tisch vor dem Tresen mit dem unmissverständlichen Schild: „Stammtisch“. Allerdings saß kein Gast mehr dort.

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass er einen der Männer zu Hause besucht.“ Martin schüttelte energisch den Kopf. „Warum sollte er?“

„Besucht er regelmäßig die Kirche?“, fiel Knut Greiner noch eine Möglichkeit ein, wohin der Ehemann sich gewandt haben könnte.

„Was?“ Martin lachte auf. „Nicht der Helmuth. Der scheut die Geistlichen wie der Teufel das Weihwasser. Glauben Sie mir.“

Knut Greiner und sein Kollege, Nils Petersen, schauten sich enttäuscht an.

„Könnten Sie uns wenigstens Name und Anschrift des Sohnes geben?“

Martin überlegte einen Moment. „Er heißt Holger Käferbeck und wohnt in Leipzig. Aber seine Anschrift oder wo er sein könnte weiß ich leider nicht.“ Er zuckte bedauernd die Schultern.

„Was ist denn mit Gudrun? Weiß sie nicht, wo Helmuth ist?“ Während Martin seine Frage aussprach, ahnte er plötzlich die Antwort. Erwurde bleich.

„Was ist mit Gudrun?“ Seine Stimme überschlug sich fast vor Angst.

„Hat das Blaulicht mit ihr zu tun? Ist ihr etwas passiert?“

Unbehaglich trat Knut Greiner von einem Fuß auf den anderen. Ihm blieb nichts weiter übrig, als dem Wirt die traurige Wahrheit mitzuteilen: „Frau Käferbeck hatte einen Unfall ...“

„Wie geht es ihr? Ist sie schwer verletzt?“, ließ Martin den Polizeibeamten nicht aussprechen.

Der atmete tief durch. „Leider hat sie den Unfall nicht überlebt. Es tut uns sehr leid.“

Martin sackte hinter dem Tresen zusammen. Hastig trat Nils Petersen zu ihm und stützte ihn. Er sah ein Glas Wasser neben dem Zapfhahn stehen und reichte es dem Wirt. Dankbar nahm Martin das Glas und trank einen Schluck.

Nils Petersen geleitete ihn nach vorn zu einem Stuhl.

„Kannten Sie Frau Käferbeck?“

Erschüttert nickte Martin. „Sie arbeitet bei mir, reinigt die Gästezimmer und hilft immer aus, wenn es irgendwo klemmt.“

Schluchzen schüttelte Martin. Dass Gudrun tot sein sollte, erschütterte ihn zutiefst.

„Sie ist doch so eine gute Seele. Warum ist sie tot?“ Sein Blick schweifte durch die Gaststube, die an diesem Abend kaum besucht war. Seine Gäste genossen die Zeit im Garten.

„Ist sie es wirklich? Kann es nicht eine Verwechslung sein?“ Ein letzter Hoffnungsschimmer, dass sich die Beamten irrten, lag in seiner Frage.

Knut Greiner nickte unbehaglich.

„Was soll ich denn jetzt ohne sie machen?“

Die Polizeibeamten konnten ihm darauf keine Antwort geben.

Eine von Martins Mitarbeiterinnen kam herein. Auch sie sah blass aus. Vermutlich hatte sie vor der Tür gestanden und mitgehört. Bevor sie den Mund öffnen konnte, sagte Martin: „Kümmerst du dich bitte draußen um die Gäste? Tu, was notwendig ist.“

Sie nickte und verschwand wieder.

Knut Greiner war sich sicher, nun wussten bald alle im Garten und auch im Ort Bescheid. Ihm blieb nur, dem Wirt seine Visitenkarte auf den Tisch zu legen: „Herr Kellermann, wenn Sie etwas von Herrn Käferbeck hören, sagen Sie ihm bitte, er möchte sich bei mir oder in der Polizeidienststelle melden. Und wenn Ihnen noch etwas einfällt, rufen Sie mich an.“

Zögernd nahm Martin die Karte und nickte bedächtig.

„Können wir Sie allein lassen?“

Wieder nickte Martin geistesabwesend.

Als die Polizeibeamten die Weinstube verließen, folgten ihnen besorgte Blicke aus der Dunkelheit des Kellerabganges.

3.

In bester Laune schlenderte Rudolph von Hirschenstein-Nietodt durch einen unterirdischen Gang, der ihn zu Martins Weinstube führte. Lautlos öffnete er eine Tür, die in den Lagerraum der Wirtschaft führte.

Auf der Kellertreppe blieb er wie immer stehen und lauschte, ob sich jemand im Flur aufhielt. Schließlich brauchte niemand zu erfahren, welchen Eingang er nutzte. Nur sehr wenige wussten von diesem Zugang und dem verzweigten Stollensystem unter den Weinbergen.

Überrascht verharrte er, als er Stimmen mit einem ungewohnt steifen Ton vernahm: „Wo könnte Herr Käferbeck sonst noch sein? Bei ihm zu Hause waren wir bereits, da ist er nicht.“

‚Warum sucht man nach Helmuth?‘, fragte sich Rudolph besorgt.

Mit gespitzten Ohren lauschte er weiter.

„Frau Käferbeck hatte einen Unfall ...“

Erschrocken schlug Rudolph die Hand vor den Mund.

‚Ach du liebe Güte, was ist Gudrun nur passiert?‘

Betroffen zog sich er ein paar Stufen zurück in den Keller.

‚Wo wollte sie um diese Zeit hin? Und wo ist Helmuth, wenn er nicht mehr am Stammtisch herumlungert?‘

Während Rudolph grübelte, achtete er nicht mehr auf das Gespräch in der Gaststube.

Dafür stieg ein Verdacht in ihm auf: ‚Ist er etwa immer noch auf Schatzsuche im Tunnel? Ich habe ihm doch das kleine Kästchen mit den Schmuckstücken überlassen, damit er aufhört, herumzuschnüffeln‘, ärgerte er sich.

Die Erinnerung an den Abend vor einigen Wochen zog vor ihm auf: Mit einer Haselnussgerte, die er Wünschelrute nannte, schlich Helmuth durch das unterirdische Labyrinth. Rudolph ertappte ihn in einem Seitengang, als er auf dem Weg zu Martin war.

Helmuth schien nicht wirklich überrascht, Rudolph dafür umso mehr.

„Teufel auch, hab ich mir es doch gedacht“, fuhr Helmuth ihn an und blendete ihn mit seiner Stablampe.

„Was hast du dir gedacht?“ Ungläubig fragend schlug Rudolph nach der Lampe.

„Und was tust du hier?“

„Man hat sich einen neuen Namen zugelegt!“ Helmuth schnaubte bösartig. „Man nennt sich jetzt von und zu. Und man nistet sich in der Nähe ein, lauert mir auf, weil man immer noch hinter Mutters Geheimnis her ist.“

Rudolph klappte vor Überraschung die Kinnlade herunter. Es war ihm völlig rätselhaft, wovon Helmuth schwafelte.

„Früher nannte man dich doch Matthias Seidler, habe ich Recht?

Hast dir die Villa erschlichen und dich dort breitgemacht. Wer weiß, was du mit den alten Herrschaften von Hirschenstein gemacht hast, um dir das Erbe unter den Nagel reißen zu können.“

Als Rudolph nicht antwortete, fuhr Helmuth höhnisch fort: „Gib es zu, ich weiß es. Du stellst seit zweihundert Jahren meiner Familie nach.

Du bist einer von dieser Vampirbrut! Es steht in Mutters Tagebuch.

Und auch, was sie damals in der Villa fand ...“

Die nächste Tirade verschluckte Rudolphs Faust. Mit zornglühenden Augen zischte er: „Du dreckiger Maulwurf. Welcher Esel dich auch besprungen hat, bleibe dem Stollen fern, wenn dir dein Leben lieb ist.“

„Ha, du gibst es also zu?“ Er wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht.

„Was willst du tun, wenn ich weitersuche? Mein Blut trinken, mich auch zu einem Vampir machen wie bei Dracula?“ Helmuth grinste breit.

„Du hast zu viel Schundliteratur gelesen. Die Gänge sind uralt und können einstürzen“, stieß Rudolph zwischen den Zähnen hervor. Es kostete ihn große Mühe, seine Beherrschung wiederzufinden.

Wie zur Bestätigung knackte es in den Balken, die den Stollen stützten. Etwas Erde rieselte herab.

Beunruhigt blickte Helmuth sich um.

„Damit könntest du allerdings recht haben.“

Einen Wimpernschlag maßen sie sich mit Blicken. Schließlich gab Rudolph nach und trat zur Seite.

„Verzieh dich!“

Betont lässig schlenderte Helmuth an ihm vorbei und verschwand mit seiner Lampe in der Dunkelheit des Berges.

Nachdenklich war Rudolph zurückgeblieben. Viele Fragen rasten durch seinen Kopf: „Wie war Helmuth hereingekommen? Wer ist dieser Matthias? Und was steht in Elisabeths Tagebuch?“

Es dauerte nicht lange, bis Rudolph zumindest den neuen Eingang zum Weinberglabyrinth entdeckte. Helmuth war es gelungen, von seinem Geräteschuppen hinter der Backofentür den Durchbruch wieder zu öffnen, den sein Großvater vor langer Zeit vermauerte. In einer Art Bastelkammer entdeckte er sogar das Tagebuch. Hastig blätterte er durch die Einträge, fand aber nichts, was Elisabeth über einen Besuch in der Villa niedergeschrieben hätte.

Allerdings bemerkte er, dass einige Seiten herausgerissen wurden.

Das Büchlein verstaute er wieder in der Truhe, in der er es gefunden hatte.

In den nächsten Nächten wachte er sorgsam über alle Bewegungen im Tunnelsystem. Aus dem Verborgenen heraus beobachtete er Helmuth. Der ließ sich natürlich von der Warnung nicht abschrecken.

Jeden Abend streifte er mit seiner Wünschelrute durch die verzweigten Gänge.

Bereits nach wenigen Tagen schien Helmuth etwas gefunden zu haben. Mit roher Gewalt riss er ein Brett aus der Wandabstützung. Drohend knackte es in den Bohlen, Erde rieselte auf ihn herab. Doch er ließ sich davon nicht aufhalten.

Rudolph schlich näher.

Helmuths Lampenlicht schälte einen Hohlraum aus der Dunkelheit.

Kurz darauf stieß er einen triumphierenden Schrei aus: „Mutters Erbe!“

Er gluckste: „Es ist also wahr. Und Ingrid, die dumme Kuh, wusste davon. Wie blöd muss man sein, so armselig wie sie zu leben, wenn man einen Schatz besitzen kann“, grummelte er.

Er hob etwas aus dem Versteck und sank auf die Knie.

„Danke, Mutter!“, flüsterte er ergriffen. „Du wolltest sicher, dass ich ihn bekomme und nicht meine einfältige Schwester.“

Dann klappte er einen Deckel auf.

Lautlos trat Rudolph hinter ihn. Als er ihm über die Schulter blickte, schloss er für einen Moment geblendet die Augen. Im Schein der Stablampe glitzerten Geschmeide und Edelsteine in vielen Farben.

Ein erregter Laut entfuhr Rudolph. Er erkannte sowohl das Kästchen als auch den Inhalt wieder. Es gehörte seiner Familie seit vielen Jahrhunderten und beherbergte ein ganz besonderes Familienstück. In den Wirren der letzten Kriegstage 1945 war es verloren gegangen oder sogar den Russen in die Hände gefallen, hatte er angenommen.

Erst in diesem Moment erinnerte er sich wieder an den Zwischenfall, als er Elisabeth in seinem Keller ertappte. Sie hielt jene Schmuckschatulle in der Hand. Doch er war sich sicher, sie ihr wieder abgenommen zu haben zusammen mit ihrem alten Erbtaler, mit dem sie sich von einer Bestrafung für das Eindringen in das Haus freikaufen wollte. Wo hatte er das Kästchen danach hingestellt? Irgendetwas lenkte ihn damals ab. Zu schnell geleitete er seine ungebetene Besucherin zur Tür hinaus und schaute nach einer drohenden Gefahr.

Elisabeth musste entweder so dreist gewesen sein, ihm die Truhe aus der Hand zu stehlen oder aber zurückzukommen, um sie doch noch an sich zu bringen. Diese Unverfrorenheit, die er dem biederen Mädchen nicht zugetraut hätte, erzürnte ihn nun erst recht.

Blitzschnell drängte er sich vor und griff nach dem Schatz.

Helmuth schrie erbost auf. Er versuchte, sich mit seiner Körpermasse über das Kästchen zu werfen. Doch Rudolphs Kräften konnte er sich nicht erwehren.

Rudolph wühlte, ohne auf das wütende Gezeter zu achten, in der Truhe, bis er fand, was er suchte. Ihm entfuhr ein erleichterter Seufzer, als seine Finger filigrane Pfauenfedern ertasteten. Nur dieses eine Schmuckstück interessierte ihn. Das unheilbringende Erbstück gehörte nicht in fremde Hände, schon gar nicht in so bocksdämliche wie Helmuths.

Die restlichen Klunker waren ihm egal, davon besaß er mehr als genug. Sollte Helmuth sie haben. Vielleicht fand er dann wieder Ruhe und streunte nicht mehr durch die Tunnel.

Er drückte schließlich die Schatulle dem verdutzten Helmuth in die Hand und verschwand wortlos in der Finsternis des Berges.

4.

Rudolph verweilte im Keller, bis die Polizeibeamten das Haus verließen. Er überlegte, ob er Martin aufsuchen und nach ihm sehen sollte.

Doch eine ungewisse Besorgnis trieb ihn zurück in die geheimen Gänge.

Kurz bevor er eine Kreuzung im Tunnel erreichte, drang wütendes Gezänk an sein Ohr. Es kam aus Richtung des Geräteschuppens.

Eine Stimme gehörte unzweifelhaft Helmuth. Mit wem er sich stritt, wusste Rudolph nicht.

Er blieb stehen und lauschte: „Meinst du, du bist schlauer als ich, elender Dämelsack? Willst mich mit ein paar lausigen Ohrgehängen und Katzengoldringen abspeisen? Wo ist das andere Kästchen, das mit den wertvollen Sachen?“

„Wenn ich es dir doch sage, mehr habe ich nicht gefunden.“

„Du bist doch aus Lug und Trug zusammengesetzt!“

„Pah, sagt ein Erpresser und Betrüger!“

„Gib mir das Tagebuch. Die gute Elisabeth wird doch sicher aufgeschrieben haben, wo sie ihren Fund versteckt hat. Sie kritzelte doch alles aufs Papier. Du warst nur zu blöd, ihre Worte richtig zu deuten.“

„Woher willst du das eigentlich wissen?“, fauchte Helmuth.

Der Fremde kicherte obszön: „Weil sie es mir bei einem Schäferstündchen ins Ohr flüsterte. Ich kenne da lauschige Plätzchen im Weinberg ...“

„Du lügst!“

„Oh, beileibe nicht.“

„Mutters Gedankenbüchlein geht dich einen feuchten Kehricht an!“ Helmuths Stimme kippte vor Empörung und Zorn zu einem schrillen Jammerlaut.

„Stell dich jetzt nicht so an wie eine zickige Jungfer!“, drohte der Fremde.

Es folgte Gerangel, Gefluche und das Aufschnappen eines Schlosses.

„Ha, hier ist es ja!“, triumphierte er. Gleich darauf keifte er wütend: „Du hast die Seiten herausgerissen!“

Helmuth jaulte schmerzerfüllt auf, als ihn ein klatschender Schlag traf.

„Zeig mir die Stelle im Berg, wo du deinen Schatz gefunden hast“, forderte der Fremde drohend. „Ich werde selbst nachsehen, was du vor mir verbergen willst.“

Rudolph verzog ärgerlich das Gesicht.

‚Wer ist dieser Typ eigentlich?‘, fragte er sich. ‚Ist es jener Matthias, den Helmuth meinte? Wieso kannte er Elisabeth? Ist er etwa einer meiner unseligen Art?‘

Wieder bedrückten ihn unzählige Fragen, auf die er keine Antwort wusste.

Ärgerlicher fand er jedoch, dass noch jemand von den geheimen Gängen wusste. Doch im Augenblick konnte er nichts dagegen unternehmen. Ihm blieb nichts übrig, als aus dem Verborgenen heraus die Eindringlinge zu beobachten.

Er hörte Helmuth vorbeischlurfen, doch die Schritte des anderen konnte er kaum vernehmen, so lautlos bewegte er sich.

„So genau weiß ich das gar nicht mehr“, jammerte Helmuth. „Die Gänge sind alle irgendwie gleich.“

„Du brauchst deinen Atem nicht feiltragen, du Lügner. Bringe mich zu dem Versteck!“ Ein weiterer Schlag folgte.

Das Licht der Lampe und die schlurfenden Schritte entfernten sich.

Rudolph schlich lautlos hinterher. Er bemerkte, dass Helmuth seinen Peiniger tatsächlich zu der Fundstelle führte.

Kurz darauf wurden Holzbohlen gewaltsam herausgerissen.

Die Stützbalken ächzten besorgniserregend.

„Wo ist der Ring und wo ist der Taler?“, knurrte der Fremde drohend, nachdem er offenbar vergeblich die Nische durchsucht hatte.

„Du falsche Schlange, willst alles für dich behalten.“

„Was denn noch für ein Ring? Die waren doch alle in der Schatulle“, stotterte Helmuth. Furcht, doch auch ein Schimmer von Trotz schwangen in seiner Stimme.

„Stell dich nicht dümmer als du bist. Der stolze Pfau, vor dem deine Mutter sich ins Hemd gemacht hat.“

Diese Worte trafen Rudolph ins Mark. ‚Was weiß er von meinem Pfauenring?‘

Der Fremde beunruhigte ihn immer mehr.

„Es wird Zeit, dass ich mir den mal vorknöpfe“, knurrte er.

Er schlich sich näher an die beiden heran, um zu sehen, wer der Unbekannte war und um seine Witterung aufzunehmen.

Ein Krachen und ein Aufschrei hielten ihn jedoch von einer voreiligen Konfrontation ab.

Balken barsten und polterten zu Boden. Staubschwaden quollen aus dem Gang.

Hastig drehte sich Rudolph um und eilte davon, um sich vor dem einstürzenden Tunnel in Sicherheit zu bringen.

5.

„Notrufzentrale der Polizei in Dresden, was kann ich für Sie tun?“

„Mein Jonas ist in einem Erdloch verschwunden“, kreischte eine hysterische Stimme ins Telefon. Die Beamtin in der Notrufzentrale zuckte zusammen. Da sie ein Headset trug, konnte sie nicht wie früher den Hörer etwas vom Ohr entfernt halten, um die Lautstärke zu mindern.

„Bitte beruhigen Sie sich und ...“

„Wie soll ich mich beruhigen? Mein Sohn ... Oh mein Gott, er ist doch noch so klein. Sie müssen jemanden schicken, der ihn rausholt!“

„Wo befinden Sie sich?“ Im Hintergrund bellte ein Hund sehr aufgeregt.

Die Beamtin versuchte, von der Anruferin die notwendigsten Informationen zu erhalten.

„Sagen Sie mir bitte, wo Sie sind.“

„Na, im Weinberg, in Pillnitz! Ein Stück über der Weinbergkirche, auf diesem Weg mit den Wächterhäuschen“, keifte die Anruferin aufgebracht.

Die Beamtin verdrehte die Augen, blieb aber freundlich: „Ist Ihr Sohn verletzt?“

„Was weiß denn ich? Er ist im Erdloch verschwunden.“

„Können Sie mit ihm sprechen? Antwortet er?“

Die Beamtin hörte die Frau rufen. Unterdessen gab sie ihrem Kollegen ein Zeichen, einen Streifenwagen in die Weinberge zu schicken.

Sie hoffte, noch etwas mehr von der Frau zu erfahren, um ihre Kollegen mit wichtigen Informationen versorgen zu können.

Eine Streife befand sich gerade in Pillnitz, als der Notruf über Funk durchgegeben wurde. Die beiden Polizisten kannten sich in der Gegend aus.

„Fahr hoch zur Hirschenbergvilla. Von dort kommen wir am schnellsten in den Hang.“

Als sie aus dem Fahrzeug stiegen, hörten sie bereits das Hundegekläff.

„Es muss in der Nähe sein.“ Sie nahmen vorsichtshalber das Abschleppseil mit, falls sich das Erdloch als tiefer herausstellte. Andere brauchbare Ausrüstung hatte der Polizeiwagen nicht an Bord.

Es war ein schöner Spätherbsttag. Die Weintrauben waren bereits geerntet.

Doch der Regen der letzten zwei Oktoberwochen schien den Boden mehr als gewöhnlich aufgeweicht zu haben. Der Weg gab bei jedem ihrer Schritte schmatzende Geräusche von sich.

Die beiden Männer sahen die aufgeregte Frau bereits nach wenigen Schritten. Sie stand zwei Terrassenstufen unterhalb des Sächsischen Weinwanderweges. Ihre knallgelbe Jacke leuchtete zwischen den kahlen Rebstöcken.

„Frau Schlinger!“, riefen die Beamten, als sie vorsichtig über eine steile Treppe im Weingarten zu ihr hinabstiegen.

Sie hatte noch immer das Handy am Ohr und sprach mit der Notrufzentrale.

Knut Greiner gab über Funk durch, dass sie am Unfallort waren.

„Da sind Sie endlich!“ Frau Schlinger ging hektisch einen Schritt auf die Polizeibeamten zu.

„Guten Tag, wo ist Ihr Sohn eingebrochen?“ Es klang barscher als gewollt. Doch für Förmlichkeiten blieb keine Zeit. Ein Kind war in Gefahr.

Noch während Knut Greiner die Frage stellte, entdeckte er das Loch im Erdreich. Ein kleiner Hund sprang aufgeregt kläffend am Rand hin und her.

Mit einer raschen Geste verständigten sich die beiden Polizeibeamten über das weitere Vorgehen.

Während Knut Greiner sich vorsichtig der Einsturzstelle näherte, versuchte sein Kollege Nils Petersen Frau Schlinger zu beruhigen und vom Unglücksort ein Stück wegzulotsen.

„Was ist denn genau passiert?“

„Wir sind spazieren gegangen, ist ja noch mal schönes Wetter. Und der Jonas muss mal wieder raus an die frische Luft, naja, und der Hund auch. Die beiden haben gespielt und dann ist der Ball durch ein Loch in der Steinwand da oben“, sie zeigte anklagend mit dem Finger hinauf zur Weinbergsmauer, „einfach hindurchgekullert. Jonas und Feenie sind natürlich sofort hinterher. Plötzlich höre ich einen Schrei und hab das Kind nicht mehr gesehen. Ich konnte gar nicht so schnell die steilen Abhänge runter. Das ist ja lebensgefährlich.“

Sie deutete auf den rutschigen Boden zwischen den Rebstöcken.

Deutlich grub sich die Spur ihres Weges in den Weinberg.

Nils Petersen verzichtete vorerst auf den Hinweis, dass sie auf dem Weinhang nichts zu suchen hatte und genaugenommen widerrechtlich auf Privatgrund eingedrungen ist. Die Sorge um das Kind ließ er als Entschuldigung durchgehen. Er wusste schließlich aus eigener Erfahrung, wie unberechenbar kleine Kinder und erst recht Hunde waren, wenn sie einem Ball nachjagten.

Während Frau Schlinger mit dem Polizeibeamten sprach und seine Fragen nach Personalien und Alter ihres Sohnes beantwortete, drehte sie sich immer wieder zur Unglücksstelle um. Nils Petersen konnte sie nur mit Mühe davon abhalten, zu seinem Kollegen zu laufen. Er stellte sich zwischen die Mutter und den Erdeinbruch.

Oben am Weinwanderweg tauchten zwei Sanitäter auf. Nils Petersen winkte ihnen und sie stiegen vorsichtig den gleichen Weg über die Treppen hinab wie die Polizeibeamten.

„Das Kind ist noch nicht geborgen, Knut kümmert sich gerade darum.“ Nils Petersen deutete mit dem Arm auf seinen Kollegen. Die Sanitäter nickten und gingen ein Stück in Richtung Unglücksstelle.